Evidenzbasierte Psychotherapie in der Psychiatrie – Wunsch und Wirklichkeit Stefan Klingberg Berlin, 26.06.2014 Prof. Dr. Klingberg Vieles wünscht sich der Mensch, und doch bedarf er nur wenig. Johann Wolfgang Goethe (1749 - 1832), 2 Prof. Dr. Klingberg Gliederung ● ● ● ● Evidenzbasierte Leitlinien bei verschiedenen, schweren psychischen Störungen Psychotherapeutische Komplexprogramme in in psychiatrischen Krankenhäusern Eindrücke zur Versorgungsrealität Entspricht die Versorgungsrealität den Ansprüchen der Evidenzbasierten Medizin? 3 Evidenzbasierte Leitlinien Prof. Dr. Klingberg Evidenzbasierte psychotherapeutische Interventionen bei schizophrenen Störungen Akutphase Rückfallverhütung Stabilisierungsphase (~6 Mo) Stabile Phase Psychoedukation KVT zur Rückfallverhütung Familienintervention/Angehörigengruppe Funktionelle Verbesserung Symptomreduktion Individ. zu indizieren: Training sozialer Fertigkeiten und kognitive Remediation KVT zur Reduktion positiver Symptome 4 Evidenzbasierte Leitlinien Prof. Dr. Klingberg NICE-Guideline „Schizophrenia“ - Übersicht Klingberg & Wittorf (2012) 5 Evidenzbasierte Leitlinien Prof. Dr. Klingberg Update Nice Guideline (2014) First Episode • Offer oral antipsychotic medication in conjunction with family intervention and individual cognitive behavioural therapy. (New recommendation.) [Based on low to high quality evidence from randomised controlled trials] Subsequent acute episodes of psychosis or schizophrenia • Offer oral antipsychotic medication in conjunction with a psychological intervention. (New recommendation.) [Based on low to high quality evidence from randomised controlled trials] • Offer - Cognitive behavioural therapy to all people with psychosis or schizophrenia - Family intervention to all families of people with psychosis or schizophrenia who live with or are in close contact with the service user. These can be started either during the acute phase or later, including in inpatient settings. [Based on low to moderate quality evidence from randomised controlled trials] Kuipers, E., Yesufu-Udechuku, A., Taylor, C., & Kendall, T. (2014). Management of psychosis and schizophrenia in adults: summary of updated NICE guidance. British Medical Journal, 348, g1173. doi: 10.1136/bmj.g1173 6 Bei Evidenzbasierte Leitlinien depressiven Episode kann, wenn anzunehmen ist, dass die 3-45 einer leichten Symptomatik auch ohne aktive Behandlung abklingt, im Sinne einer aktivBei schweren Begleitung und rezidivierenden chronischen Depressionen, Dysthymie und abwartenden zunächst sowie von einer depressionsspezifischen Behandlung Double Depression sollte die Indikation abgesehen werden. Hält die Symptomatik nachzur einerKombinationsbehandlung Kontrolle nach spätestensaus 14 Pharmakotherapie und geeigneter Psychotherapie vorrangig vor einer alleinigen Tagen noch an oder hat sie sich verschlechtert, soll mit dem Patienten über die Psychotherapie oder Pharmakotherapie geprüft werden. Einleitung einer spezifischen Therapie entschieden werden. 0 Prof. Dr. Klingberg B Unipolare Depression – NVL/S3-Leitlinie 3- 46 3-40 Studienergebnisse liefernleichter Hinweise, die Compliance bei einer medikamentösen Zur Behandlung akuter bis dass mittelschwerer depressiver Episoden soll eine Therapie höher ist, wenn zugleich auch eine Psychotherapie stattfindet. Psychotherapie angeboten werden. Statement A 3-41 Erhaltungstherapie bzw. Rezidivprophylaxe durch Psychotherapie Bei akuten schweren Depressionen soll eine Kombinationsbehandlung mit medikamentöser und Erhaltungstherapie Psychotherapie angeboten werden. Psychotherapie Therapie als alleinige bzw. Rezidivprophylaxe A 3-42 3-47 Wenn ein alleiniges Behandlungsverfahren in Senkung Betracht des gezogen wird, soll Zur Stabilisierung des Therapieerfolgs sowie zur Rückfallrisikos sollbei im ambulant Patienten mit mittelschweren bis schweren Anschluss behandelbaren an eine Akutbehandlung eineakuten angemessene psychotherapeutische depressiven Episoden eine alleinige Psychotherapie gleichwertig zu einer alleinigen Nachbehandlung (Erhaltungstherapie) angeboten werden. medikamentösen Therapie angeboten werden. Psychotherapie als Teil einer Kombinationsbehandlung 3-43 3-48 Depressive Patienten mit psychotischen Merkmalen sollten in jedem Falle eine medikamentöse Therapie erhalten. Längerfristige stabilisierende Psychotherapie (Rezidivprophylaxe) soll Patienten mit einem erhöhten Risiko für ein Rezidiv angeboten werden. A Statement A Effektivität von Psychotherapie bei behandlungsresistenter Depression 3-49 Bei therapieresistenter Depression sollte den Patienten eine angemessene Psycho- B 7 Evidenzbasierte Leitlinien Prof. Dr. Klingberg Bipolare Störung – S3 Leitlinie 8 Evidenzbasierte Leitlinien Prof. Dr. Klingberg Zwangsstörung – S3 Leitlinie 9 Evidenzbasierte Leitlinien Prof. Dr. Klingberg Alkoholabhängigkeit – S2 Leitlinie ● ● ● ● ● ● ● Motivierende Gesprächsführung (A) Kognitive Verhaltenstherapie (A) Soziales Kompetenztraining (A) Psychoedukation (C) Psychodynamische Psychotherapie (B) Klientenzentrierte Gesprächspsychotherapie (C) Familientherapie (A) 10 Evidenzbasierte Leitlinien Prof. Dr. Klingberg Additive Effekte von Psychotherapie bei verschiedenen Störungen „effective medication and psychotherapy are available for most psychiatric disorders“ „their combination was often superior“ Huhn, M., Tardy, M., Spineli, L., & et al. (2014). Efficacy of pharmacotherapy and psychotherapy for adult psychiatric disorders: A systematic overview of meta-analyses. JAMA Psychiatry. doi: 10.1001/jamapsychiatry.2014.112 11 Evidenzbasierte Leitlinien Prof. Dr. Klingberg Helfen die Leitlinien für die Strukturierung stationärer Versorgung? ● ● ● Der Weg von konkreten Versorgungsmodellen über randomisierte klinische Studien und Meta-Analysen zur Leitlinienempfehlung ist sehr weit. Stellungnahmen zu Rahmenbedingungen sowie erforderlicher Frequenz und Intensität von Psychotherapie sind selten. Leitlinien helfen daher bislang nur begrenzt für die Gestaltung von stationär-psychiatrischen Versorgungskonzepten. 12 Evidenzbasierte Leitlinien Prof. Dr. Klingberg S3-Leitlinie „Psychosoziale Therapien bei schweren psychischen Erkrankungen“ Diese Empfehlungen implizieren eine erhebliche Veränderung der Versorgungsstrukturen. 13 Prof. Dr. Klingberg Gliederung ● ● ● ● Evidenzbasierte Leitlinien bei verschiedenen, schweren psychischen Störungen Psychotherapeutische Komplexprogramme in in psychiatrischen Krankenhäusern Eindrücke zur Versorgungsrealität Entspricht die Versorgungsrealität den Ansprüchen der Evidenzbasierten Medizin? 14 Psychotherapeutische Komplexprogramme Prof. Dr. Klingberg Strukturierte, psychotherapeutische Komplexbehandlung ● Affektive Störungen – – ● Kognitive Verhaltenstherapie (KVT) Interpersonelle Psychotherapie (IPT) Borderline Persönlichkeitsstörungen – ● Dialektisch-Behaviorale Therapie (DBT) Schizophrenie – ● Kognitive Verhaltenstherapie (KVT) Zwangsstörung – ● Kognitive Verhaltenstherapie (KVT) Alkoholabhängigkeit mit Komorbidität – Kognitive Verhaltenstherapie (KVT) 15 Psychotherapeutische Komplexprogramme Prof. Dr. Klingberg Formale Merkmale psychotherapeutischer Komplexprogramme ● ● ● ● ● ● ● Kombination von Einzel- und Gruppenpsychotherapie Gruppenpsychotherapie als standardisierter Behandlungsbestandteil: 2-4 Sitzungen /Woche Individualisierung der Behandlung in Einzelgesprächen: 1-2 Sitzungen/Woche. Nutzung des stationären Settings mit vielen Kurzkontakten Integration aller an der Behandlung beteiligten Berufsgruppen Starke Abhängigkeit von Personalressourcen und durchschnittlichen Behandlungsdauern. Kritisch: aufwändige Verfahren wie Expositionsbehandlungen 16 Psychotherapeutische Komplexprogramme Prof. Dr. Klingberg Aufwand für psychotherapeutische Komplexprogramme ● Erforderliche Kontaktzeiten – – – – – ● Interdisziplinäre Fallbesprechung/Supervision – ● ● ● 1-2 Einzelgespräche (25 min): 50 min 4 Gruppenpsychotherapiesitzungen (50min): 200 min Familiengespräche (14-tägig, 50 min): 25 min Täglich Kurzkontakte (5 min): 25 min Summe: 300 min/5 Zeitstunden 30 min /Woche Organisation: Termine, Räume, Material... Dokumentation: gefühlte Unendlichkeit Einzelgespräche als Stellschraube bei Personalengpässen/Krankheit/Urlaub... 17 Psychotherapeutische Komplexprogramme Prof. Dr. Klingberg Evidenzbasierte psychotherapeutische Interventionen bei schizophrenen Störungen Akutphase Rückfallverhütung Stabilisierungsphase (~6 Mo) Stabile Phase Psychoedukation KVT zur Rückfallverhütung Familienintervention/Angehörigengruppe Funktionelle Verbesserung Symptomreduktion Individ. zu indizieren: Training sozialer Fertigkeiten und kognitive Remediation KVT zur Reduktion positiver Symptome 18 Psychotherapeutische Komplexprogramme Prof. Dr. Klingberg Psychotherapeutische Behandlung schizophrener Störungen – Tübinger Behandlungsprogramm Behandlungsphase Dauer Stat. Akutbehandlung Nach Bedarf Stationäre Stabilisierungsphase Konzipiert auf Ambulante Behandlung 8 Wochen – Abweichung möglich, z.B. TK oder Nachstationäre Behandlung 1 Jahr Patienten Angehörige • Einzelgespräche (1/Woche) • Psychoedukation (16x) • Sozial-emotionales Training (16x, Kommunikation, Emotionswahr-nehmung in standardisierten Situationen) • Sozialtherapeutische Gruppe (8x, Fertigkeitentraining zu Arbeit, Wohnen, Freizeit) Zu Beginn und Ende: Familien-gespräch Kognitiv-verhaltenstherapeutische Gruppentherapie mit Problemlösetraining für individuelle Situationen Angebot der Teilnahme an einer offenen Angehörigengruppe Angehörigengruppe (4x, analog zu Psychoedukation der Patienten) 19 Psychotherapeutische Komplexprogramme Prof. Dr. Klingberg Rückfallverhütung in der Routineversorgung Klingberg et al. 2009, Acta Psych Scand 20 Psychotherapeutische Komplexprogramme Prof. Dr. Klingberg Vergleich von methodologischen Aspekten von Pharmako- und Psychotherapiestudien 21 Psychotherapeutische Komplexprogramme Prof. Dr. Klingberg Versorgungsrelevante Psychotherapieforschung ist massiv unterfinanziert ● ● ● Pharmaforschung wird über den Medikamentenpreis subventioniert Psychotherapieforschung ist auf öffentliche Forschungsförderung angewiesen Strukturen für eine kontinuierliche Forschungsförderung fehlen. 22 Prof. Dr. Klingberg Gliederung ● ● ● ● Evidenzbasierte Leitlinien bei verschiedenen, schweren psychischen Störungen Psychotherapeutische Komplexprogramme in in psychiatrischen Krankenhäusern Eindrücke zur Versorgungsrealität Entspricht die Versorgungsrealität den Ansprüchen der Evidenzbasierten Medizin? 23 Eindrücke zur Versorgungsrealität Prof. Dr. Klingberg Eindrücke zur Versorgungsrealität ● Mir sind keine systematisch erhobenen Informationen über den einzelfallbezogenen Umfang psychotherapeutischer Versorgung im stationärpsychiatrischen Kontext bekannt. ● Aus den bisherigen Informationen zum PEPP: die Schwelle für eine psychotherapeutische Komplexbehandlung scheint nur selten überschritten zu werden. 24 Eindrücke zur Versorgungsrealität Prof. Dr. Klingberg Wirklichkeit der stationären psychotherapeutischen Versorgung bei Schizophrenien? Rummel-Kluge et al. (2006): Befragung von Kliniken ● – nur 21% der stationär behandelten Patienten und 2% der Angehörigen können an Psychoedukation teilnehmen. BPtK-Studie (2014): ● – 60% der Antwortenden halten die Intensität der Psychotherapie bei Patienten mit Schizophrenien für unzureichend. 25 Eindrücke zur Versorgungsrealität Prof. Dr. Klingberg Das Leitbild der psychiatrischen Behandlung von Psychosen? Antipsychotika seien - unverzichtbar für Rehabilitation, Positiv- und Negativsymptomatik - die Basis für jede andere Therapie - Psychotherapie ist optional - Der Weg ist weit - Es droht ein Abgrund Aus: Möller, Laux, Deister, Psychiatrie und Psychotherapie, Stuttgart 2005 26 Eindrücke zur Versorgungsrealität Prof. Dr. Klingberg Psychosen-Psychotherapie in Patienteninformationen: ein Beispiel Psychotherapie wird erwähnt als Kunstfehler, sonst nicht Psychotherapeutische Interventionen erscheinen beliebig Aus der Patienteninformation eines süddeutschen psychiatrischen Krankenhausverbundes 27 Eindrücke zur Versorgungsrealität Prof. Dr. Klingberg IV-Vertrag AOK Rheinland/Hamburg 2010 Präambel: ● – – „soll … eine leitliniengerechte ambulante Langzeitbehandlung sichergestellt“ werden „kommt dabei der psychoedukativen Intervention als essentieller Bestandteil der Therapie eine wesentliche Rolle zu“ Versorgungselemente ● – – – – Psychoedukation Shared decision making Adhärenzförderung Strukturierte Therapiezielplanung Ausschließlich beteiligt: Fachärzte für Psychiatrie Leistungsbeschreibung Psychoedukation ● ● – – „Gruppenedukation“: 4 x 20 € Erarbeitung und follow-up von Frühwarnzeichen: 4X 5 € 28 Eindrücke zur Versorgungsrealität Prof. Dr. Klingberg Berliner Studie zur ambulanten Versorgung von Patienten mit psychotischen Störungen ● ● Görgen & Engler (2005) Ambulante psychotherapeutische Versorgung von psychosekranken Menschen sowie älteren Menschen in Berlin Psychotherapeuten sind kaum an der ambulanten Versorgung psychotischer Patienten beteiligt. In der psychiatrischen Praxis steht für Psychotherapie kaum Zeit zur Verfügung 29 Eindrücke zur Versorgungsrealität Prof. Dr. Klingberg Zugangswege zur ambulanten psychotherapeutischen Behandlung 30 Eindrücke zur Versorgungsrealität Prof. Dr. Klingberg Qualität der Kooperationen Schlussfolgerung: Kooperationsstrukturen sind entscheidend 31 Eindrücke zur Versorgungsrealität Prof. Dr. Klingberg www.ddpp.eu 32 Prof. Dr. Klingberg Gliederung ● ● ● ● Evidenzbasierte Leitlinien bei verschiedenen, schweren psychischen Störungen Psychotherapeutische Komplexprogramme in in psychiatrischen Krankenhäusern Eindrücke zur Versorgungsrealität Entspricht die Versorgungsrealität den Ansprüchen der Evidenzbasierten Medizin? 33 Evidenzbasierte Psychotherapie? Prof. Dr. Klingberg Evidenzbasierte Medizin ● ● Evidenzbasierte Medizin (EbM) ist der gewissenhafte, ausdrückliche und vernünftige Gebrauch der gegenwärtig besten externen, wissenschaftlichen Evidenz für Entscheidungen in der medizinischen Versorgung individueller Patienten. Die Praxis der EbM bedeutet die Integration individueller klinischer Expertise mit der bestmöglichen externen Evidenz aus systematischer Forschung. Wir haben kein Evidenzproblem: Psychotherapie ist ein nachgewiesen wirksamer Bestandteil der Behandlung schwerer psychischer Störungen und wird in Leitlinien eindeutig empfohlen Glossar der AWMF 34 Evidenzbasierte Psychotherapie? Prof. Dr. Klingberg Entspricht die Versorgungsrealität den Ansprüchen der Evidenzbasierten Medizin? ● ● ● ● ● Aufgrund fehlender Daten zur Versorgungsrealität ist diese Frage nicht sicher zu beantworten. Auf der Basis der S3-Leitlinien wurden zu nahezu allen relevanten Störungen psychotherapeutische Komplexprogramme für die stationäre Behandlung entwickelt Diese Programme erfordern den Einsatz von ausreichenden Personalressourcen. Indirekte Hinweise sprechen dafür, dass der in Leitlinien formulierte Anspruch in den gegebenen Rahmenbedingungen oft nicht eingelöst werden kann. => wir haben ein Implementierungsproblem 35 Evidenzbasierte Psychotherapie? Prof. Dr. Klingberg Nachdenkliche Fragen zum Schluss ● Werden unsere S3-Leitlinien nicht hinreichend umgesetzt, weil – – – – – ● sie zu wenig präzise sind? die finanziellen Ressourcen nicht reichen? relevante Interessen nicht berücksichtigt werden? die Empfehlungen nicht wirklich akzeptiert werden? Institutionen Änderungsresistent sind? Brauchen wir – – – – Bessere Leitlinien? Inhaltliches Umdenken? Mehr Geld im stationären Sektor? Eine andere Verteilung des Geldes im stationären Sektor? 36 Prof. Dr. Klingberg Danke für‘s Zuhören! 37 Prof. Dr. Klingberg Danke für‘s Zuhören! 38 Prof. Dr. Klingberg Leitlinien ● ● ● Leitlinien sind systematisch entwickelte, wissenschaftlich begründete und praxisorientierte Entscheidungshilfen für die angemessene ärztliche Vorgehensweise bei speziellen gesundheitlichen Problemen. Leitlinien stellen den nach einem definierten, transparent gemachten Vorgehen erzielten Konsens mehrerer Experten aus unterschiedlichen Fachbereichen und Arbeitsgruppen (möglichst unter Einbeziehung von Patienten) zu bestimmten ärztlichen Vorgehensweisen dar. Leitlinien sind Orientierungshilfen im Sinne von "Handlungs- und Entscheidungskorridoren", von denen in begründeten Fällen abgewichen werden kann oder sogar muss. Wenn das alles stimmt, wie kommt es, dass wir ein Implementierungsproblem haben? Glossar der AWMF 39 Implementierungsproblem Psychotherapie-Richtlinien Prof. Dr. Klingberg §22: Indikationen zur Anwendung von Psychotherapie (2) Psychotherapie kann neben oder nach einer somatisch Maßnahmen: BPTK und haben sich an ärztlichen Behandlung vonDDPP Krankheiten oder deren Auswirkungen angewandt werden, wenn psychische den GBA gewandt und eine Überprüfung der Faktoren einen wesentlichen pathogenetischen Anteil daran Psychotherapie-Richtlinien in diesem Punkt haben und sich ein Ansatz für die Anwendung von angeregt. Psychotherapie bietet; Indikationen hierfür können nur sein: 1. Abhängigkeit von Alkohol, Drogen oder Medikamenten nach vorangegangener Entgiftungsbehandlung, das heißt im Stadium der Entwöhnung unter Abstinenz. 2. Seelische Krankheit auf Grund frühkindlicher emotionaler Mangelzustände oder tiefgreifender Entwicklungsstörungen, in Ausnahmefällen auch seelische Krankheiten, die im Zusammenhang mit frühkindlichen körperlichen Schädigungen oder Missbildungen stehen. 3. Seelische Krankheit als Folge schwerer chronischer Krankheitsverläufe. 4. Psychische Begleit-, Folge- oder Residualsymptomatik psychotischer Erkrankungen. => Die Diagnose „Schizophrenie“ begründet die Psychotherapieindikation. Die Einschränkungen von §22 (2) sind nicht gerechtfertigt. ● „kognitive Modelle“ = psychische Faktoren sind wissenschaftlich etabliert ● Wirksamkeit ist für die Kernsymptomatik und die Rückfallverhütung nachgewiesen ● Selbst bei Ablehnung der Medikation ist Psychotherapie eine Option 40 Prof. Dr. Klingberg ● ● ● Was in den Leitlinien steht sollte auch umgesetzt werden. Stimmt das? Ist das durch die bestehenden Strukturen gedeckt? Wir haben kein Evidenzproblem, sondern ein Implementierungsproblem 41 Prof. Dr. Klingberg Wissenschaft/Berufsrecht/Sozialrecht Evidenzbasis Randomisierte Klinische Studien Meta-Analysen Gremium Leitlinien-AG und Fachgesellschaften Gemeinsamer Bundesausschuss Wiss. Beirat Psychotherapie Dokument Evidenzbasierte Leitlinie PsychotherapieRichtlinie Gutachten/Stellung nahmen Relevanz ??? Versorgung allg. Ambulante Psychotherapie Ausbildung Psychol. Psychotherapeuten 42 Prof. Dr. Klingberg Huhn, M., Tardy, M., Spineli, L., & et al. (2014). Efficacy of pharmacotherapy and psychotherapy for adult psychiatric disorders: A systematic overview of meta-analyses. JAMA Psychiatry. doi: 10.1001/jamapsychiatry.2014.112 43 Prof. Dr. Klingberg • Unser Versorgungssystem weist wenig Steuerungsmöglichkeiten zur Leitlinienimplementierung auf. • „Evidence based psychotherapy“ ist zwar formuliert, aber nicht implementiert • Wozu brauchen wir Leitlinien, wenn sich keiner dafür interessiert? • Auch in den neuen IV-Verträgen spielen die Leitlinien offenkundig eine nachrangige Rolle. • Hier besteht Handlungsbedarf. 44 Prof. Dr. Klingberg Gesamtbehandlungsplan ● (94) Good Clinical Practice. ● Die Erarbeitung eines Gesamtbehandlungsplans, der die medizinische und psychiatrische Intervention einschließlich Medikation, psychotherapeutischer und soziotherapeutischer Maßnahmen umfasst, und für Krisenintervention bei drohenden Rückfällen Vorsorge trifft, ist erforderlich. Im Rahmen dieses Plans sind die Kontakte zu Angehörigen und gesetzlichen Betreuern zu berücksichtigen und für die Rehabilitation des Kranken Vorkehrungen zu treffen. ● Quelle: S3-Leitline Schizophrenie 45 Prof. Dr. Klingberg Huhn, M., Tardy, M., Spineli, L., & et al. (2014). Efficacy of pharmacotherapy and psychotherapy for adult psychiatric disorders: A systematic overview of meta-analyses. JAMA Psychiatry. doi: 10.1001/jamapsychiatry.2014.112 46 Implementierungsproblem Prof. Dr. Klingberg Maßnahmen: Beiträge kommentieren und richtig stellen Diese Bedeutung der Psychotherapie bei Psychosen ist hier nicht zeitgemäß dargestellt. Wie kann die Kenntnis der Leitlinien bei Fachkollegen verbessert werden? Schramm & Berger, 2011, Nervenarzt, 82:1414-1424 47