T R E F F P U N K T FO R SC H U N G B OTA N I K | | Atmungskomplex in den Chloroplasten löst Alterungsprozesse aus Die Chloroplasten der Blütenpflanzen (Angiospermen) enthalten einen Proteinkomplex (NDH-Komplex), der phylogenetisch und funktionell mit der NADH-Dehydrogenase (Komplex I) der mitochondrialen Atmungskette verwandt ist. Wissenschaftler aus Madrid haben nun herausgefunden, dass der plastidäre Komplex eine Funktion bei der Auslösung von Alterungsprozessen (Seneszenz) hat [5]. Der NDH-Komplex bewirkt in den Chloroplasten alternder Blätter eine vermehrte Bildung von reaktiven Sauerstoffspezies (ROS), die schließlich Zelltodprozesse induzieren. Wird die Aktivität des Komplexes durch gentechnische Ausschaltung des plastidären Genes, das für die Untereinheit F des Komplexes codiert, herabgesetzt, altern die Pflanzen später. Dies zeigt, dass die Chloroplasten bei Pflanzen als Quelle für ROS eine vergleichbare Rolle spielen wie die Mitochondrien der tierischen Zellen, in denen während der Alterung vermehrt reaktive Sauerstoffverbindungen entstehen [2]. Chloroplasten sind der Ort der Photosynthese, bei der unter dem Einfluss von Licht Kohlendioxid zu Zucker umgewandelt wird. Mit Hilfe der Lichtenergie werden in der photosynthetischen Membran (Thylakoidmembran) der Chloroplasten Elektronen aus dem Wasser über eine komplizierte Kette von Elektronenüberträgern letztlich auf NADP+ übertragen. Das reduzierte NADPH+H+ wird für die chemische Umsetzung von Kohlendioxid benötigt. Die Thylakoidmembran der Chloroplasten von Blütenpflanzen enthält neben den Komplexen des Photosyntheseapparates zusätzlich einen Proteinkomplex, der Ähnlichkeiten zur NADH-Dehydrogenase der mitochondrialen Atmungskette (Komplex I) hat und kurz NDH-Komplex genannt wird. Analog zum mitochondrialen Komplex I speist der plastidäre NDHKomplex Elektronen in die Elektronentransportkette der Thylakoidmembran ein. Die Elektronen stam294 | Biol. Unserer Zeit | 35. Jahrgang 2005 Nr. 5 | A B B . Seneszierendes Blatt. men vermutlich aus NADH+H+, das beim Abbau von Zuckern in der Glykolyse entsteht. Der NDH-Komplex der Plastiden besteht aus mindestens 14 Untereinheiten. Die Gene für elf Untereinheiten befinden sich im Plastidengenom. Die restlichen drei der bekannten Untereinheiten werden durch Gene im Kern codiert und müssen in die Chloroplasten importiert werden [4]. Man findet den NDH-Komplex nur in den Chloroplasten von Blütenpflanzen (Angiospermen), nicht jedoch bei Algen und immergrünen Gymnospermen und auch nicht bei parasitischen Blütenpflanzen ohne Photosynthese. Es ist bekannt, dass die Aktivität des NDH-Komplexes während der Blattseneszenz zunimmt [1]. Die Seneszenz von Blättern ist charakterisiert durch eine Vergilbung infolge des Abbaus von Chlorophyll. Die Blattseneszenz ist ein Spezifikum der Blütenpflanzen, die dadurch in der Lage sind, in kurzer Zeit große Mengen an Material aus alten Blättern für die Bildung neuer Blätter und Samen zu remobilisieren. Der spanische Wissenschaftler B. Sabater und seine Mitarbeiter konnten zeigen, dass Tabakpflanzen, in denen das plastidäre Gen für die Untereinheit F ausgeschaltet wurde, etwa 30 Tage später altern als unveränderte Tabakpflanzen. Die genaue Analyse der Pflanzen ergab, dass durch die Ausschaltung nur eines Gens die Aktivität des gesamten Komplexes dramatisch abnimmt und die Pflanzen erheblich weniger reaktive Sauerstoffverbindungen bilden. In den unveränderten Kontrollpflanzen kommt es während des Alterns durch die erhöhte Aktivität des NDH-Komplexes zu einer vermehrten Bildung an Superoxidanionen, die zu den reaktiven Sauerstoffverbindungen zählen. Der Komplex speist offensichtlich zusätzliche Elektronen in die photosynthetische Elektronentransportkette ein, die nicht für die Reduktion von NADP+ genutzt werden. Durch Übertragung der überschüssigen Elektronen auf Sauerstoff entstehen Superoxidanionen, die in jungen Blättern durch eine Superoxiddismutase (SOD) enzymatisch in Wasserstoffperoxid überführt werden können. Wasserstoffperoxid kann dann durch eine Peroxidase zu Wasser umgesetzt werden. Während des Alterns sinkt die SOD-Aktivität bei gleichzeitiger Zunahme der NDH-Aktivität. Dadurch kommt es in den Chloroplasten ähnlich wie in den Mitochondrien alternder tierischer Zellen zu einer explosiv anwachsenden Produktion von Superoxidanionen. Dies führt letztlich zum Zelltod. Der NDHKomplex der Plastiden ist damit funktionell verwandt mit Komplex I in den Mitochondrien. Auch dieser überträgt Elektronen auf Sauerstoff, wenn die Elektronentransportkette der Mitochondrien in tierischen Zellen durch Verlust von Cytochrom c unterbrochen ist [2]. Eine Studie über Mutationen in der mitochondrialen DNA des Menschen hat ergeben, dass Menschen | mit Defekten in Komplex I gute Chancen haben, ein hohes Lebensalter zu erreichen [3]. Alterungsprozesse in Pflanzen haben eine große ökonomische Bedeutung für die landwirtschaftliche Produktion. Bei Kulturpflanzen wie den Getreiden hängt die Ertragsbildung von der Lebensdauer der Blätter ab. Durch Verminderung der Aktivität des NDH-Komplexes in den Chloroplasten könnte der Ertrag deutlich ge- steigert werden. Im Fall von Gemüsepflanzen besteht ein großes Interesse, die Alterungsprozesse nach der Ernte (post-harvest senescence) zu verzögern. Es ist zu erwarten, dass Obst- und Gemüsepflanzen mit verminderter Aktivität des plastidären NDH-Komplexes deutlich länger frisch bleiben. [1] L. M. Casano, J. M. Zapata, M. Martín, B. Sabater, J. Biol. Chem. 2004, 275, 942-948. T R E F F P U N K T FO R SC H U N G [2] S. Perl, V. Weimer, H. G. Gassen, Biol. Unserer Zeit 2003, 33, 36-44. [3] E. Ruiz-Pesini, D. Mishmar, M. Brandon, V. Procaccio, D.C. Wallace, Science 2004, 303, 223-226. [4] D. Rumeau, N. Bécuwe-Linka, A. Beyly, M. Louwagie, J. Garin, G. Peltier, Plant Cell 2005, 17, 219-232. [5] J.M. Zapata, A. Guéra, A. Esteban-Carrasco, M. Martín, B. Sabater, Cell Death and Differentiation 2005, 1-8, online. Karin Krupinska, Kiel Nr. 5 35. Jahrgang 2005 | | Biol. Unserer Zeit | 295