Vorlesung Allgemeinpsychiatrie Bipolare Affektive Störungen SS 2013 Dr. Viola Oertel-Knöchel 20.06.2013 Vorlesung Allgemeinpsychiatrie 1 Agenda Begriffbestimmung 1 Therapiebausteine 2 5 3 4 Exkurs: Patientenvorstellung Symptomatik & Ätiologie Diagnostik 20.06.2013 Vorlesung Allgemeinpsychiatrie 2 Historischer Hintergrund: Somatogenese Hippokrates (460-377 v. Chr.) Ausbildung: im Asklepios-Tempel (Kos). Hippokratischer Eid: etwa 400 v. Chr. Trennte die Medizin von Religion, Magie und Aberglaube. Diskussion über Krankheitskonzept 20.06.2013 Vorlesung Allgemeinpsychiatrie 3 Hippokrates Einteilung psychischer Störungen Manie Einteilung psychischer Störungen Phrenitis (GehirnFieber) Melancholie 20.06.2013 Vorlesung Allgemeinpsychiatrie 4 Gegenwärtige Auffassung zwei Hauptgruppen schwerer psychischer Erkrankungen: 1. Dementia praecox 2. manisch- depressive Psychose Ursache für die D.p.: chemisches Ungleichgewicht im Gehirn. Ursache für die m.-d. Psy.: Stoffwechselstörung im Körper. Kraepelins Klassifikationsschema wurde zur Grundlage der heute gebräuchlichen diagnostischen Kategorien in der Psychiatrie. 20.06.2013 Vorlesung Allgemeinpsychiatrie 5 Begriffsbestimmung 20.06.2013 Vorlesung Allgemeinpsychiatrie 6 Krankheitsmodell Hirnanatomie Transmitter Hirnfunktion Genetische Disposition Schosser et al. (2006) 20.06.2013 Vorlesung Allgemeinpsychiatrie 7 Bipolare Störung Schosser et al. (2006) 20.06.2013 Vorlesung Allgemeinpsychiatrie 8 Genetik Intermediäre Phenotypen 20.06.2013 Risikogenstratifizierung Vorlesung Allgemeinpsychiatrie Stammbaumforschung 9 Neuronale Veränderung: frontal-limbische Netzwerkstörung PCC IPL mPFC HC z = -50 z = -10 z = 40 20.06.2013 Vorlesung Allgemeinpsychiatrie PCC = posteriorer cingulärer Kortex IPL = lateraler parietaler Kortex mPFC = Medialer präfrontaler Kortex HC = Hippocampus 10 Transmitterstörungen Vesikel (in diesen Bläschen werden die Botenstoffe gespeichert) Wie werden Informationen von einer Nervenzelle zur nächsten weitergeleitet? Botenstoffe (z.B. Serotonin, Noradrenalin, Dopamin) Transport der Botenstoffe in der langen Nervenfaser (Axon) Endknö Endknöpfchen Nervenzellen Rezeptoren (Bindungsstellen) Die Kontaktzone, in der eine Information an die nächste Nervenzelle weitergeleitet wird, heißt Synapse. Der Spalt zwischen den Zellen wird synaptischer Spalt genannt. 20.06.2013 Durch „Andocken“ der Botenstoffe an den Bindungsstellen der Zielzelle werden die Aktivitäten der Zielzelle beeinflusst. Für jeden Botenstoff gibt es nach dem Schlüssel-Schloss-Prinzip eigene Bindungsstellen. Vorlesung Allgemeinpsychiatrie 11 Forschungsziele Entwicklung von biologischen Markern der Erkrankungen Krankheitsmodell Von Phänotypen hin zu biologischen Markern → Imaging-Marker, genetische Marker 20.06.2013 Diagnostik Entwicklung von diagnostischen Tools zur Früherkennung und Prävention → Multimodaler diagnostischer Ansatz: Neuropsychologie, ImagingMarker, weitere Marker Vorlesung Allgemeinpsychiatrie Therapie Etablierung multimodaler Therapieansätze zur Behandlung spezifischer Symptome → Biologisch, Psychotherapeutisch 12 EXKURS: Patientenvorstellung 20.06.2013 Vorlesung Allgemeinpsychiatrie 13 EXKURS: Patientenvorstellung ERFRAGEN VON INFORMATIONEN ZU: Diagnose & Symptome Verlauf Suizidalität Familien- und Sozialanamnese Therapiebausteine: Medikamente & andere Behandlungen Probleme & Schwierigkeiten Eigene Beurteilung der Erkrankung 20.06.2013 Vorlesung Allgemeinpsychiatrie 14 Patientenvorstellung Welche Symptome sind geschildert worden? ? ? ? Hypomanie / Manie ? / Depression? ? ? ? ? 20.06.2013 Vorlesung Allgemeinpsychiatrie 15 Symptomatik Quelle: www.wikipedia.org 20.06.2013 Vorlesung Allgemeinpsychiatrie 16 Hypomanie Symptome für mindestens 4 Tage Auffallendes Gefühl von Wohlbefinden und körperlicher und seelischer Leistungsfähigkeit Gehobene Stimmung, erhöhtes Selbstwertgefühl Gesteigerte Gesprächigkeit / Geselligkeit, Ablegen von Schüchternheit Verstärkte Motivation am Arbeitsplatz, verstärkte soziale Aktivitäten Hypomanie Heiterkeit, witzige Einfälle, vermehrtes Lachen Gesteigerter Antrieb, vermehrte körperliche Aktivität Schnelleres Denken, mehr Ideen und Pläne Körperliche Symptome 20.06.2013 Vorlesung Allgemeinpsychiatrie 17 Hypomanie Die dunkle Seite der Hypomanie Unvorsichtiges und riskantes Autofahren Ungeduld, Erregbarkeit Vermehrte Geldausgaben Vermehrte Ablenkbarkeit Hypomanie Hypomanie Riskantes Geschäftsverhalten, unüberlegte Investitionen Vermehrter Konsum von Kaffee, Tabak und Alkohol Starker Sexualtrieb Vermehrter Konsum von illegalen Drogen 20.06.2013 Vorlesung Allgemeinpsychiatrie 18 Manie Symptome für mindestens 7 Tage Unruhe, Gereiztheit, Aggression Übersteigertes Selbstwertgefühl, maßloser Optimismus Gesteigertes Aktivitätsniveau Größenideen, Größenwahn Wahrnehmungsstörungen Ungezügeltes Einkaufen, Verlust sozialer Hemmungen Erhöhte Redegeschwindigkeit, starker Rededrang Manie Starke Ablenkbarkeit Gesteigerte sexuelle Aktivität Appetitminderung 20.06.2013 Verlust der Urteilsfähigkeit Deutlich vermindertes Schlafbedürfnis Vorlesung Allgemeinpsychiatrie Ideenflucht und Gedankenrasen 19 Manische Phase Patienten beschreiben ihren Zustand als euphorisch, großartig, beglückend Manchmal: entweder durchgehend gereizt-aggressiv / euphorisch glücklich Manie = Extremsituation 20.06.2013 Vorlesung Allgemeinpsychiatrie 20 Depressive Phase Verminderte Konzentration und Aufmerksamkeit Interessenverlust und Freudlosigkeit Verminderter Antrieb und wenig Energie Erhöhte Ermüdbarkeit Gedrückte Stimmung Depression Vermindertes Selbstwertgefühl, Schuldgefühle Suizidgedanken und suizidale Handlungen Negative und pessimistische Zukunftsperspektiven Körperliche Beschwerden 20.06.2013 Vorlesung Allgemeinpsychiatrie 21 Atypische Depression Vermehrter Schlaf Affektive Reagibilität („Auslenkbarkeit“) Atypische Depression Vermehrter Appetit Bleierne Schwere in Armen und Beinen Gewichtszunahme Überempfindlichkeit gegenüber Zurückweisungen 20.06.2013 Vorlesung Allgemeinpsychiatrie 22 Mischzustand Manische Episode Depressive Episode Gemischte Episode Suizidgedanken Gesteigerter Antrieb Hoffnungslosigkeit Gereiztheit Gedrückte Stimmung Ideenflucht 20.06.2013 Vorlesung Allgemeinpsychiatrie 23 Epidemiologie 1-2 % Lebenszeitprävalenz Verhältnis Männer / Frauen 1:1 → Insgesamt: größere Anzahl gestörter Phasen im Leben als bei rein unipolarer Störung Ca. 10 %: Rapid-Cycling (Risiko steigt mit zunehm. Dauer der Erkrankung); hier Verhältnis Männer / Frauen 1:5 Phasenhäufigkeit: 10 % bis 15 % der Betroffenen durchleben mehr als 10 Episoden in ihrem Leben. 20.06.2013 Vorlesung Allgemeinpsychiatrie 24 Verlauf • bei ca. 1/5 der Patienten mit dep. Episode treten zusätzlich zu dep. Phasen auch hypoman., man. oder gemischte Episoden auf. • Prognose: 10 bis 15 Prozent → sehr ungünstig • Langfristig: auch bei Prophylaxe häufig Rezidive • Trend: Schwere der dep. / man. Phasen nimmt zu, gesunde Intervalle werden kürzer. 20.06.2013 Vorlesung Allgemeinpsychiatrie 25 Generelles Leistungsniveau Beobachtung von 51 bip. Patienten über 8 Jahre (Goldberg & Harrow, 1999): 15-20%: keine oder leichte Leistungsminderung 50-60%: mittlere Leistungsminderung 10-15%: schwere Leistungsminderung Goldberg & Harrow, 1999 20.06.2013 Vorlesung Allgemeinpsychiatrie 26 (Nonverbales) episodisches Gedächtnis Verminderte Wiedererkennensleistung bei BP Patienten Antwortrichtigkeit Episodisches Gedächtnis 20.06.2013 Vorlesung Allgemeinpsychiatrie 27 Verlauf Quelle: www.lichtblick99.de 20.06.2013 Vorlesung Allgemeinpsychiatrie 28 Diagnostik Diagnosestellung Therapiebegleitende Diagnostik, Verlaufskontrolle 1) Interview / Screening-Verfahren 2) Selbstbeurteilung 3) Fremdbeurteilung 20.06.2013 Vorlesung Allgemeinpsychiatrie 29 Diagnosestellung Interviewleitfäden: SKID-I, SCAN, DIA-X, CIDI, ICDL, DIPS Validität: → 70% aller bip. Patienten wurden als solche mit dem Instrument erkannt (= Sensitivität) → 90 % aller Personen ohne bip. Störung wurden richtiger als nicht bipolar identifiziert (= Spezifität). Screening-Instrument: MDQ (Mood Disorder Questionnaire) beinhaltet 13 Ja-Nein Fragen zu maniformen Symptomen. → Aber: erfragt, ob jemals eine hypomanische / manische Episode vorhanden war, nicht: liegt aktuell eine Episode vor! 20.06.2013 Vorlesung Allgemeinpsychiatrie 30 Diagnostik Verlaufskontrolle - Depression Selbstbeurteilung (1) Beck Depressions Inventar (BDI II) (Beck et al., 1996) (2) Allgemeine Depressions Skala (ADS) Fremdbeurteilung (1) Hamilton Depressions Skala (HAMD, Hamilton, 1996) (2) Bech Rafaelsen Melancholie Skala (BRMS; Bech & Rafaelsen, 1986) 20.06.2013 Vorlesung Allgemeinpsychiatrie 31 20.06.2013 Vorlesung Allgemeinpsychiatrie 32 Diagnostik Verlaufskontrolle Manie Selbstbeurteilung (1) MSS (Manie Selbstbeurteilungs-Skala) (Krüger et al., 1997) (2) ISS (Internal State Scale) (Bauer, 1991) (3) ADMS (Meyer & Hautzinger, 2001) Fremdbeurteilung (1) Bech-Rafaelsen-Manie Skala (BRMAS; Bech & Rafaelsen,1990) (2) Young Mania Rating Scale (YRMS; Young et al., 1978) 20.06.2013 Vorlesung Allgemeinpsychiatrie 33 20.06.2013 Vorlesung Allgemeinpsychiatrie 34 Diagnostik: Schwierigkeiten Fehlen typischer Symptomatik Fehldiagnosen 20.06.2013 Vorlesung Allgemeinpsychiatrie 35 Differentialdiagnose Schizophrenie Bipolare Störung Unipolare Depression Zyklothymia Manisch-depressive Erkrankung Schizoaffektive Psychose BorderlinePersönlichkeitsstörung Organische Ursachen 20.06.2013 Vorlesung Allgemeinpsychiatrie 36 Komorbidität Insgesamt: 50-75% Essstörungen (5%) Alkoholismus (48-60%) Bipolare Störung Spielsucht Drogenabhängigkeit (ca. 30%) Kaufrausch 20.06.2013 Vorlesung Allgemeinpsychiatrie 37 Therapiebausteine 3-Säulen Modell Psychotherapie Pharmakotherapie Soziotherapie 20.06.2013 Vorlesung Allgemeinpsychiatrie 38 Pharmakotherapie (Stoffgruppen) 1) Stimmungsstabilisierer / Phasenprophylaktika („Mood Stabilizer“) 2) Antidepressiva 3) Antipsychotika (Neuroleptika) 4) Anxiolytika 20.06.2013 Vorlesung Allgemeinpsychiatrie 39 Pharmakotherapie Stimmungsstabilisierer / Phasenprophylaktika („Mood Stabilizer“) → → → → Lithium (Wirkstoff) Valproinsäure Carbamazepin Lamotrigin Hypnorex® Quilonum® Ergenyl®, Orfiril® Tegretal® Elmendos®, Lamictal® Antidepressiva → Citalopram Venlafaxin Mirtazapin Amitriptylin Reboxetin 20.06.2013 Cipramil® (SSRI) Trevilor® (SSNRI) Remergil® (SSNRI) Saroten® (Tryzylikum) Edronax® (SNRI) Vorlesung Allgemeinpsychiatrie 40 Pharmakotherapie Anxiolytika / Sedativa → → Lorazepam Diazepam → Promethazin Tavor® Valium® Atosil® (typisch, niederpotent) Neuroleptika → Olanzapin → Quetiapin → Aripiprazol 20.06.2013 Zyprexa® (atypisch) Seroquel® (atypisch) Abilify® (atypisch) Vorlesung Allgemeinpsychiatrie 41 http://universimed.com/images/artikel/ne080608_abb.jpg 20.06.2013 Vorlesung Allgemeinpsychiatrie 42 Therapiebaustein: Psychotherapie Cognitive Behavioral Therapie (CBT; z.B. Basco, 1996) Social Rhythm Therapy (SRT; Frank, 1997) Interpersonelle Psychotherapie (IPT; Frank, 1990) Familien-gestützte Psychoedukation (FFT; Milkowitz und Goldstein, 1990; 1997) Psychoedukative Gruppentherapie (PEG; Bauer und McBride, 1996; Erfurth, 2006) 20.06.2013 Vorlesung Allgemeinpsychiatrie 43 Psychotherapie nach Meyer & Hautzinger (2004) THERAPIETHERAPIE-PHASE Modul I Sitzung 11-4 ZIEL WAS BEDEUTET DAS? Information und Was kann mir die Therapie bringen? Klärung von Was bedeutet man.-dep. für mich, für meine Angehörigen? Fragen Was bringen mir die Medikamente? = PSYCHOEDUKATION MOTIVATION Modul II Sitzung 55-8 Selbstbeobachtung und Individuelle Warnsignale Was sind für mich Warnhinweise für erneute für erneute dep. / man.Episoden? Was kann ich dann tun? Modul III Sitzung 99-15 Aktivitä Aktivitätsniveau und Kognitionen in Manie und Depression Was mache ich? Wie mache ich es? Wie gehe ich mit mir um? Wie sehe ich mich und meine Umwelt? Was ist mir wichtig? Modul IV Sitzung 1616-20 Aufbau zusä zusätzlicher Wie gehe ich meine Probleme an? Gibt es Alternativen? Fertigkeiten z.B. Wie verhalte ich mich in sozialen Situationen, z.B. bei Problemlösen, Streitigkeiten? Gibt es andere Möglichkeiten? interpers. Verhalten und Notfallplan 20.06.2013 Vorlesung Allgemeinpsychiatrie 44 Ambulante Behandlung: wichtige Voraussetzungen 1. Vermeidung von Drogen- und / oder Alkoholmissbrauch 2. Früherkennung 3. Ein gutes Ansprechen auf die Medikamente 4. Unterstützende Psychotherapie 5. Soziale Ressourcen, familiäre Beziehung 6. Eine individuelle Behandlung 20.06.2013 Vorlesung Allgemeinpsychiatrie 45 Ziele von Psychotherapie 1) Erhaltungstherapie 2) Akutbehandlung Geeigneter Therapiebeginn: → Poststationäre Anschlussbehandlung nach dep. Phasen 20.06.2013 Vorlesung Allgemeinpsychiatrie 46 Erhaltungstherapie: Psychoedukation & Rezidivprophylaxe Symptome & Diagnostik Medikamente Therapiemöglichkeiten Komorbidität Verlauf & Häufigkeit Störungsmodell Rezidivprophylaxe 20.06.2013 Vorlesung Allgemeinpsychiatrie 47 Rückfallprophylaxe Stressoren: „selbstgemachter“ Stress partnerschaftliche Konflikte Umzug berufliche Veränderungen Leistungsdruck am Arbeitsplatz Prüfungen finanzielle Belastungen körperliche Erkrankungen Trennungserlebnisse Tod eines Angehörigen beeinflussbar schwer oder nicht beeinflussbar 20.06.2013 Vorlesung Allgemeinpsychiatrie 48 Frühwarnsymptome veränderte Schlafstruktur Konzentrationsstörungen veränderte Lebensgewohnheiten verändertes Konsumverhalten verändertes Sozialverhalten (Kontakte) veränderte Tagesstruktur 20.06.2013 Vorlesung Allgemeinpsychiatrie 49 Frühwarnsymptome Liste von Frühwarnsymptomen erstellen Angehörige einbeziehen Was tun, wenn erste Symptome auftreten (Notfallplan) Saisonale Muster beachten! HA: Frühwarnlisten 1* wöchentlich durchgehen zur Übung 20.06.2013 Vorlesung Allgemeinpsychiatrie 50 Selbstbeobachtung & Warnsignale Sammlung individueller Frühwarnsymptome: …wenn ich nicht krank bin und keine Symptome habe? …wenn ich depressiv bin? …wenn ich hypoman bzw. manisch bin? Verhalten Verhalten Verhalten Denken Denken Denken Gefühle Gefühle Gefühle Andere Symptome Andere Symptome Andere Symptome 20.06.2013 Vorlesung Allgemeinpsychiatrie 51 Notfallplan Was tun bei Frühwarnsymptomen? 20.06.2013 Vorlesung Allgemeinpsychiatrie 52 Akutbehandlung: Allgemeines Auf welche Symptome richten wir unser Augenmerk? 1) Verhalten / Aktivitäten 2) Schlaf 3) Kognitionen 20.06.2013 Vorlesung Allgemeinpsychiatrie 53 Akutbehandlung: Aktivitätsniveau während Depression Abbau depressiver Verhaltensweisen „Schrittweise Aufgabenbewältigung (SAB)“ (bei Überforderung) Wochenplan Persönliche Liste an angenehmen Aktivitäten → Wichtig: bei unipolarer Depression: mehr pos. Aktivitäten → bessere Stimmung → Bei bipolarer Depression: Ausgewogenheit, Regelmäßigkeit, feste Struktur, nicht auf das „Mehr“ achten! 20.06.2013 Vorlesung Allgemeinpsychiatrie 54 Planung positiver Aktivitäten □Körperpflege (waschen, duschen) □ein Bad nehmen □Zahnpflege □Saubere Kleidung tragen □Haare frisieren □sich schminken □Betten machen □Wäsche waschen, bügeln □Lebensmittel einkaufen □Fenster putzen □Blumen gießen □die Post erledigen □Kuchen backen □ein neues oder besonderes Gericht zubereiten □im Garten arbeiten □den Balkon bepflanzen □die Wohnung verschönern □Ordnung im Zimmer halten □Gymnastik machen □Gespräche führen □ein Gesellschaftsspiel spielen □spazieren gehen □im Park auf einer Bank sitzen 20.06.2013 □im Café etwas trinken □Tischtennis spielen □kegeln □Besuch einladen □mit Besuch spazieren / ins Café gehen □sich mit anderen unterhalten □fernsehen □Musik hören □Zeitung / Zeitschriften lesen □Romane oder Gedichte lesen □einen Brief oder eine Karte schreiben □Tagebuch schreiben □Schach spielen □Progressive Muskelentspannung □einen Gottesdienst besuchen □Kreuzworträtsel lösen □am Wochenende ausschlafen □handarbeiten, basteln, zeichnen, malen □zum Friseur gehen □zum läutenden Telefon gehen □Gegenstände aus der Natur sammeln □gut essen □jemand Komplimente machen □in der Stadt bummeln Vorlesung Allgemeinpsychiatrie □ein Geschenk kaufen □Blumen kaufen □sich neu einkleiden □Leute beobachten □ins Kino gehen □ins Theater gehen □Eis essen gehen □in ein Lokal gehen □eine Ausstellung / Museum besuchen □schwimmen gehen □Rad fahren □wandern □Freunde besuchen □Kontakte erneuern, alte Freunde wiedertreffen □alleine U-Bahn fahren □Ausflüge planen □lachen □in der Sonne sitzen □mit den Kindern/Enkel zusammen sein □mit den Haustieren spielen □Auto fahren □einen romantischen Abend verbringen □sonstige Hobbys: 55 Planung positiver Aktivitäten Erster Tag Uhrzeit geplante positive Aktivität tatsächliche Aktivität Stimmung Dienstag 13h Spaziergang im Garten etwas besser Zweiter Tag Uhrzeit geplante positive Aktivität tatsächliche Aktivität 20.06.2013 durchgeführt Vorlesung Allgemeinpsychiatrie Stimmung 56 Akutbehandlung: Aktivitätsniveau während Manie Pacing hypoman. / man. Verhaltens → Schlafprobleme, Geldausgeben, Unruhe, Ablenkbarkeit, Gedankenrasen „Ausbremsen“ → Überstimulation vermeiden → Reduktion impulsiven Verhaltens → 48 Stunden-Regel → Stimulus-Kontrolle → Übung: „Ziele setzen“ → Lenkung der gesteigerten Aktivität in unschädliche Bahnen Imagination möglicher negativer Konsequenzen → Exakte Planung von Aktivitäten → „Sitzen und Zuhören“ → Antizipatorisches Problemlösen 20.06.2013 Vorlesung Allgemeinpsychiatrie 57 Selbstbeobachtung → Wahrnehmen und Benennen, regelmäßige Beobachtung von Schlüsselsymptomen, eventuell hier: Lifechart erstellen 1. Stimmungstagebuch 2. Aktivitätenbeobachtung 20.06.2013 Vorlesung Allgemeinpsychiatrie 58 3. Therapie Stimmungstagebuch 20.06.2013 Vorlesung Allgemeinpsychiatrie 59 Stimmungs- und Aktivitätstagebuch 1. Monitoring der täglichen Stimmung & Symptome 2. Überblick über Verlauf 3. Erlernen der Unterscheidung zw. normalen Stimmungsschwankungen und affektiven Symptomen 4. Zusammenhang zw. Aktivität und Stimmung 5. Folgen mangelnder Medikamenten-Compliance 6. Realitätstestung („Ich war die ganze Woche niedergeschlagen“) 7. Ausführlich Funktion erklären! 20.06.2013 Vorlesung Allgemeinpsychiatrie 60 Selbstbeobachtung Was ist normal? • Symptome sind alltägliche Erfahrungen mit anderer Dauer! • Unterscheidung zw. alltäglichen Stimmungsschwankungen und Symptomen der Manie / Depression. • Wichtig: Veränderung in Stimmung, Denken und Verhalten → Aber: maniforme Zustände lassen sich eher an Aktivität, Energie feststellen und nicht an der Stimmung. • Wichtig: anders als bei Depressionen erkennen Patienten Stimmungsschwankungen schlechter. 20.06.2013 Vorlesung Allgemeinpsychiatrie 61 Akutbehandlung: Kognitionen während Depression Identifikation automatischer Gedanken / verzerrtes Denken Modifikation von negativen automat. Gedanken und gedanklichen Verzerrungen: Vermittlung von Strategien HA: Protokoll automatischer Gedanken 20.06.2013 Vorlesung Allgemeinpsychiatrie 62 Gedanken-Tagebuch Situation 20.06.2013 Automatischer Gedanke Gefühl(e) Vorlesung Allgemeinpsychiatrie Rationalerer, positiver Gedanke Ergebnis 63 Akutbehandlung: Kognitionen während Manie Sammeln von Gedanken, die Anzeichen für Beginn einer euphorischen Episode sein können oder erfahrungsgemäß einer solchen vorausgehen Wie erkenne ich als Therapeut diese Gedanken? → erhöhtes Selbstvertrauen, Größenideen → Selektive Wahrnehmung → Positive Veränderung in der Stimmung Grenze: wenn Therapeut nicht mehr Patient distanzieren kann. → besser Verhaltensstrategien einsetzen! 20.06.2013 Vorlesung Allgemeinpsychiatrie 64 Akutbehandlung: „Stimmungsstabilisierung“ Veränderungen in Richtung manischer Stimmung werden eher vom Angehörigen gemerkt als vom Patienten. Hypomanien werden selten als Belastung erlebt. Fehlende Krankheitseinsicht in manischen Phasen. Bei Konflikten: Patient = manisch / depressiv. 20.06.2013 Vorlesung Allgemeinpsychiatrie 65 Akutbehandlung: Suizidalität Suizidalität (= Suizidgedanken und –pläne) (Dilsaver et al., 1997): → 79.3% der bipolar depressiven → 56.3% der Patienten mit Mischzustand → 25 bis 50% der BD Patienten unternehmen einmal in ihrem Leben einen Suizidversuch. Suizidrate (Goodwin & Jamison, 1990): → 15% (-30%) der bip. Pat. versterben an Suizid = Risiko x 30 der Bevölkerung 10 – Jahresbeobachtung: → meisten Suizide in den ersten 5 Jahren nach Diagnosestellung. 20.06.2013 Vorlesung Allgemeinpsychiatrie 66 Literatur - I Beck, A. T., Rush, A. J., Shaw, B. F. & Emery, G. (1996). Kognitive Therapie der Depression (5. Aufl.). Weinheim: Psychologie Verlags Union. Beesdo, K. & Wittchen, H.-U. (2006). Depressive Störungen: Major Depression und Dysthymie. In H.-U. Wittchen & J. Hoyer (Hrsg). Klinische Psychologie und Psychotherapie. Heidelberg: Springer. (731-762). Comer, R.J. (2001). Klinische Psychologie. Spektrum Akademischer Verlag: Heidelberg, Berlin. Elkin, I., Shea, T., Watkins, J.T., Imber, S.D. et al. (1989). NIMH treatment of depression collabroative research program. Archives of General Psychiatry, 46 (971-982). Hautzinger, M. (2000). Kognitive Verhaltenstherapie bei Depressionen. Weinheim: PVU. (5., vollständig überarbeitete Auflage). Hautzinger, M. & deJong-Meyer, R. (1996). Depression. Zeitschrift für Klinische Psychologie, 25 (79-160). (Themenheft). Hinsch, R. & Pfingsten, U. (2002). Gruppentraining sozialer Kompetenzen (GSK). Weinheim: Beltz. (4., völlig neu bearbeitete Auflage). Lam, D. H., Jones, S. H., Hayward, P. & Bright, J. A. (1999). Cognitive therapy for bipolar disorder. A therapist's guide to concepts, methods and practice. Chichester: Wiley. Lopez, A.D., Mathers, C.D., Ezzati, M., Jamison, D.T. & Murray, C.J.L. (Hrsg.). (2006). Global Burden of Desease and Risk Factors. Washington/New York: The World Bank/Oxford University Press. 20.06.2013 Vorlesung Allgemeinpsychiatrie 67 Literatur - II Meyer, T. D. & Hautzinger, M. (2000). Bipolare affektive Störungen. In: M. Hautzinger (Hg.): Kognitive Verhaltenstherapie bei psychischen Störungen (S. 40-69). Weinheim: Psychologie Verlags Union. Meyer, T. D. & Hautzinger, M. (2000). Psychotherapie bei bipolaren affektiven Störungen Ein Überblick über den Stand der Forschung. Verhaltenstherapie, 10, 177-186. Meyer, T.D. & Hautzinger, M. (2004). Manisch-depressive Störungen. Kognitivverhaltenstherapeutisches Behandlungsmanual. Weinheim: Beltz. Murray, C.J.L. and Lopez, A.D. (1996a) The Global Burden of Disease and Injury Series. Volume I. The Global Burden of Disease. A comprehensive assessment of mortality and disability from diseases, injuries, and risk factors in 1990 and projected to 2020. Harvard School of Public Health, World Bank, World Health Organization. Murray, C.J.L. and Lopez, A.D. (1996b) The Global Burden of Disease and Injury Series. Volume II. Global Health Statistics. A compendium of incidence, prevalence and mortality estimates for over 200 conditions. Harvard School of Public Health, World Bank, World Health Organization. Segal, Z.V., Williams, J.M.G. & Teasdale, J.D. (2001). Mindfulness-Based Cognitive Therapy for Depression: A New Approach to Preventing Relapse. New York: Guilford Press. Zeitschrift der Deutschen Gesellschaft für Bipolare Störungen e. V. 20.06.2013 Vorlesung Allgemeinpsychiatrie 68 Weitere Buchtipps Bock: Achterbahn der Gefühle. Psychiatrie-Verlag Krüger: Mutter sein mit einer bipolaren Störung. BoD Assion: Handbuch bipolare Störungen. Kohlhammer Ferrero: Pharmakotherapie bipolarer Störung. Huber Bipolarium: Kompaktwissen über Manie und Depression. PsychoGenVerlag 20.06.2013 Vorlesung Allgemeinpsychiatrie 69 Wichtige Adressen Deutschen Gesellschaft für Bipolare Störungen e. V. (DGBS e.V.) Deutsche AG Selbsthilfegruppen e.V. (DAG) Bipolar Selbsthilfe Netzwerk e.V. (BSNe e.V.) 20.06.2013 Vorlesung Allgemeinpsychiatrie 70