Biologische Musterbildung - Max-Planck

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Schlake, Thomas | Biologische Musterbildung
Tätigkeitsbericht 2006
Entwicklungs- und Evolutionsbiologie/Genetik
Biologische Musterbildung
Schlake, Thomas, E-Mail: [email protected]
Max-Planck-Institut für Immunbiologie, Freiburg
Zusammenfassung
Wie können einfache embryonale Strukturen die Vielfalt und Komplexität des Lebens hervorbringen?
Periodische Körperstrukturen sowie charakteristische Körperzeichnungen offenbaren anschaulich
die Existenz biologischer Musterbildung. Ein zu deren Erklärung vorgeschlagenes, einfaches mathematisches Modell konnte aber experimentell bisher nicht bestätigt werden. Durch die Verknüpfung
von Biologie und Computersimulation wurden nun Belege für die reale Existenz des hypothetischen
Mechanismus geliefert.
Abstract
How does the complexity and variability of life develop from simple embryonic structures? Periodic
body structures as well as characteristic colour patterns on the body surface clearly stress the existence of biological patterning processes. Although an astonishingly simple mathematical model could
explain pattern formation, experimental proof was still missing. A combined experimental and computer modelling approach now provided evidence for the biological correctness of the hypothesised
mechanism.
Was ist biologische Musterbildung?
Ein wichtiger Prozess bei der Entwicklung vielzelliger Lebewesen ist die Musterbildung, die an Stelle
einer chaotischen Verteilung für eine geordnete räumliche Konfiguration verschiedener Zelltypen und
suprazellulärer Strukturen wie Gewebe und Organe sorgt. Musterbildung auf zellulärem Niveau kann
auf der positionsabhängigen Differenzierung von Zellen oder dem Aufsuchen definierter Positionen
durch bereits differenzierte Zellen beruhen. Die Existenz biologischer Musterbildung ist aber auch
für den Laien leicht zu erkennen. So weisen zum Beispiel die Haare und Federn von Säugetieren bzw.
Vögeln eine charakteristische Dichte und geordnete Verteilung auf der Körperoberfläche auf. Auch
die Fellzeichnung von Tieren wie beispielsweise dem Leoparden macht deutlich, dass die Verteilung
der Pigmente nicht wahllos erfolgt. Der zugrunde liegende Prozess bestimmt jedoch nicht die exakte
Position und Größe von Farbflecken, sondern gibt lediglich Regeln vor, nach denen die Pigmentierung
zu erfolgen hat. Daraus ergibt sich beispielsweise, dass Leoparden auf den ersten Blick zwar identisch
aussehen, grundsätzlich aber einzigartige Fellzeichnungen aufweisen.
Die Entstehung biologischer Musterbildung im Laufe der Evolution
Ein Grundprinzip der Evolution kann am Beispiel der Erstellung von Computerprogrammen verdeutlicht werden. Zu Zeiten limitierter Speicherkapazitäten waren Programme notwendigerweise kompakt,
dadurch für an der Erstellung Unbeteiligte aber nahezu unverständlich und schwer zu erweitern. Mit
der Verfügbarkeit von großen elektronischen Speichern wurden einzelne Programmfunktionen als
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separate Module erstellt, die über Schnittstellen Informationen austauschen. Der Umfang der Software
wurde dadurch größer als erforderlich, aber die Erweiterbarkeit deutlich einfacher und damit ökonomischer.
Gleiche Zusammenhänge scheinen für die Evolution zu gelten. Die Existenz von Proteindomänen
zeigt exemplarisch die Bedeutung von Modularität für die Evolution. Für gut befundene Untereinheiten wurden dupliziert, verändert und neu kombiniert, um schließlich neue Aufgaben übernehmen zu
können. So bauten Neuerwerbungen auf Althergebrachtem auf, und relativ unbedeutende Schritte führten schließlich zu signifikanten Veränderungen oder Verbesserungen. Erst dies ermöglichte die Bildung
komplexer Systeme, deren spontane Entstehung aus evolutionärer Sicht unmöglich erscheinen mag.
Weiterhin haben Computersimulationen sehr einfacher biologischer Systeme unter dem Einfluss von
Mutationen und Selektion gezeigt, dass diese unter stringenten Bedingungen kompakt bleiben, während sich die Komplexität bei moderaten Selektionsbedingungen automatisch erhöht, ohne dass dies
zur Erfüllung der Funktion zwingend erforderlich ist. Dies steigert im Prinzip die Anpassungsfähigkeit
des Systems, unterstreicht aber gleichzeitig die Möglichkeit, dass die erreichte Komplexität biologischer Systeme den Blick auf das Wesentliche verstellen kann.
In der Arbeitsgruppe um Thomas Schlake wurde deshalb die Hypothese aufgestellt, dass das Grundprinzip der biologischen Musterbildung insbesondere bei der Verteilung periodischer Körperstrukturen
wie zum Beispiel Haarfollikeln und bei der Körperzeichnung eine einfache molekulare Basis haben
sollte. Zusätzliche Module könnten dann im Laufe der Evolution zur Entstehung komplexerer Musterbildungsprozesse geführt haben. Die Kernkomponenten und der Grundmechanismus sollten jedoch
erhalten geblieben sein und durch weitere Regulationseinheiten lediglich moduliert werden.
Mathematisches Modell der biologischen Musterbildung
Eine mögliche Erklärung für die Entstehung biologischer Muster lieferte in den 50er-Jahren der
englische Mathematiker Alan Turing, auch bekannt für seine Beteiligung an der Entschlüsselung des
deutschen Enigma Codes während des Zweiten Weltkrieges und seine grundlegenden Arbeiten zur
Computertheorie. Aus rein theoretischen Erwägungen schlug Turing damals einen Reaktions-Diffusions-Mechanismus vor, in dem zwei chemische Substanzen miteinander reagieren und diffundieren. Er
bewies mathematisch, dass ein solch einfaches System eine Vielzahl von Mustern hervorbringen kann.
Wenn die eine Substanz, der Aktivator, sich selbst und einen Inhibitor produziert, während der Inhibitor den Aktivator abbaut oder hemmt, können spontan Verteilungsmuster der Substanzen in Form von
Streifen und Flecken entstehen. Eine wesentliche Voraussetzung dafür ist, dass der Inhibitor sich durch
Diffusion schneller verteilen kann als der Aktivator und auf diese Weise die unregelmäßige Verteilung
stabilisiert. Eine solche Dynamik könnte die Anordnung periodischer Körperstrukturen sowie die Muster der Körperzeichnung bestimmen.
Der Haarfollikel ist ein hervorragendes experimentelles Modellsystem
Haarfollikel erfreuen sich aufgrund ihrer leichten Zugänglichkeit und Manipulierbarkeit zunehmender
Beliebtheit als experimentelles Modellsystem in der Biologie. Ihre auf den ersten Blick verblüffende
Komplexität macht sie für die Untersuchung einer Vielzahl biologischer Fragestellungen geeignet.
Dazu zählt unter anderem auch das Problem der biologischen Musterbildung. Unter den verschiedenen
Prozessen der Musterbildung, die an der Entstehung von Haarfollikeln und Haaren beteiligt sind, ist
die regelmäßige Verteilung dieser periodischen Körperstrukturen der offensichtlichste. Ein weiterer
Vorteil von Haarfollikeln als Modell ist die Tatsache, dass trotz großer Wissenslücken bereits signifikante Kenntnisse über wichtige Signalmoleküle und Genregulatoren in den Follikeln vorliegen. Diese
ermöglichen es prinzipiell, sichtbare Prozesse mit molekularen Vorgängen zu verknüpfen. Für Haarfol258
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likel wurden bisher insbesondere die in deren Entstehung involvierten Faktoren eingehend untersucht.
Eine herausragende Rolle unter den beteiligten Substanzen spielen Signalmoleküle aus der Familie
der WNTs („wingless int“), welche über die Bindung an passende Rezeptorproteine wirken. Erfüllen
WNTs ihre Funktion nicht, fehlen jegliche morphologische und molekulare Anzeichen einer Follikelbildung. Die Wirkung der WNTs wird durch eine Vielzahl von Inhibitoren aus unterschiedlichen
Proteinfamilien reguliert, die verschiedene Angriffspunkte haben. Während eine Familie sezernierter,
rezeptorähnlicher Proteine die Signalleitung durch Abfangen von WNTs blockiert, hemmen Mitglieder
aus der Gruppe der DKKs („dickkopf“) den Informationsfluss direkt an den WNT-Rezeptoren. Neben
WNTs sind auch DKKs während der Follikelinduktion zugegen.
Musterbildung bei der Entstehung von Haarfollikeln
Ausgehend von der Idee, dass der grundlegende Mechanismus der Musterbildung aus evolutionären
Gründen sehr einfach sein sollte, entwickelten die Freiburger Wissenschaftler die Hypothese, dass
WNT-Signale eine maßgebliche Rolle spielen könnten. Da diese für die Entstehung von Haarfollikeln
benötigt werden, könnten sie im Prinzip auch die Kontrolle des Verteilungsmusters übernehmen. Unter
der Annahme, dass die Musterbildung nach dem von Alan Turing vorgeschlagenen mathematischen
Modell abläuft, könnten WNTs und DKKs das postulierte Aktivator-Inhibitor-Paar repräsentieren.
Tatsächlich erfüllen WNTs und DKKs die theoretischen Anforderungen der Turing-Hypothese. Durch
einen systembiologischen Ansatz, der experimentelle Ergebnisse mit mathematischen Modellen
und Computersimulationen verknüpft, konnte die Arbeitsgruppe um Thomas Schlake zeigen, dass
WNT- und DKK-Proteine die räumliche Anordnung von Haarfollikeln maßgeblich kontrollieren [1].
Im Gegensatz zu früheren Ansätzen, die die Bedingungen für die Entstehung von Mustern untersuchten, wurden – ausgehend von einem stabilen, die Realität widerspiegelnden Verteilungsmuster – die
Effekte veränderter Aktivator- oder Inhibitorproduktion simuliert. Die daraus abgeleiteten Vorhersagen
bezüglich der Dichte und Anordnung der Haarfollikel bei verstärkter oder verminderter Expression
von WNTs und DKKs konnten anschließend experimentell bestätigt werden. So konnte die normalerweise gleichmäßige Verteilung von Haarfollikeln in eine Anordnung von kleinen Haarfollikelgruppen
überführt werden (Abb. 1).
Abb. 1: Gefärbte Hautschnitte von Mäusen. Die Verteilung von Haaren und deren Follikel in der Haut verändert
sich in Abhängigkeit von den Proteinen WNT und DKK.
Urheber: Max-Planck-Institut für Immunbiologie
Neben der grundlegenden Bedeutung für das Verständnis der biologischen Musterbildung legen diese
Erkenntnisse das Fundament, um den Prozess der Haarbildung unter Einbeziehung weiterer Faktoren,
die vermutlich über die Kontrolle der WNTs und DKKs wirken, im Detail aufzuklären. Im Hinblick
auf die generelle Rolle von WNT-Signalen für die Entstehung epidermaler Strukturen könnte der aktuellen Studie auf lange Sicht eine therapeutische Bedeutung zum Beispiel für die In-vitro-Herstellung
vollwertiger Haut zu Transplantationszwecken zukommen.
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Literaturhinweise
[1] Sick, S., Reinker, S., Timmer, J., Schlake, T.:
WNT and DKK determine hair follicle spacing through a reaction-diffusion mechanism.
Science 314 (5804), 1447-1450 (2006).
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