Oelgeschläger, Michael | Embryonale Musterbildung durch BMP-Signalgradienten Tätigkeitsbericht 2004 Entwicklungs- und Evolutionsbiologie/Genetik Embryonale Musterbildung durch BMP-Signalgradienten Oelgeschläger, Michael Max-Planck-Institut für Immunbiologie, Freiburg Abteilung - Entwicklungsbiologie Korrespondierender Autor: Oelgeschläger, Michael E-Mail: [email protected] Zusammenfassung Die "Bone morphogenetic proteins" (BMPs) gehören zur TGF-ß-Familie sezernierter Wachstumsfaktoren und steuern fundamentale Prozesse in der frühen Embryonalentwicklung von Wirbeltieren wie auch wirbellosen Tierarten. Durch lokalisierte Expression von BMP-Antagonisten wird im frühen Embryo ein BMP-Aktivitätsgradient etabliert, der von elementarer Bedeutung für die Determinierung der dorsoventralen (Rücken-Bauch) Körperachse ist. Die Wissenschaftler um Michael Oelgeschläger haben eine Reihe von Regulatorgenen identifiziert, die im südafrikanischen Krallenfrosch Xenopus laevis durch den BMP-Aktivitätsgradienten in ihrer Expression gesteuert werden. Eines dieser Gene ist an der Regulation von gerichteten Zellbewegungen, aber nicht an der Determinierung von Zellschicksalen beteiligt. Die Identifizierung dieses Gens gibt möglicherweise erste Hinweise auf die molekularen Mechanismen, durch die Zellbewegungen und Differenzierung in der frühen Embryonalentwicklung koordiniert werden. Abstract The Bone morphogenetic proteins (BMP) belong to the TGF-ß family of secreted growth factors and regulate fundamental events in early development of vertebrate as well as invertebrate embryos. In particular, the formation of a functional BMP signalling gradient, established by the localised secretion of BMP antagonists, is essential for the determination of cell fate along the future dorsoventral or backto-belly body axis. Michale Oelgeschläger and his team have identified a number of new genes that are regulated by the BMP signalling gradient in Xenopus laevis. One of these genes is involved in the regulation of cellular movements rather than cell fate determination and might help to unravel the relationship of cellular movements and cell fate determination during early embryonic development. Die "Bone morphogenetic proteins" (BMPs) gehören zur TGF-ß-Familie sezernierter Signalmoleküle. Sie sind an der Regulation einer Vielzahl zellulärer Prozesse beteiligt, wie Zelldifferenzierung, Zelladhäsion, Zellwanderung und programmierter Zelltod. In der Embryonalentwicklung von Wirbeltieren und auch wirbellosen Tierarten kontrollieren BMPs fundamentale Prozesse in der frühen embryonalen Musterbildung und Organogenese. Insbesondere für die Determinierung der dorsoventralen (Rücken-Bauch) Körperachse sind diese Proteine von zentraler Bedeutung. Genetische Studien in der Fruchtfliege Drosophila und beim Zebrafisch, sowie eine Vielzahl funktioneller und biochemischer Studien im südafrikanischen Krallenfrosch Xenopus laevis, haben gezeigt, dass BMPs für die Ausbildung ventraler, mesodermaler (Blut, Nieren) und ektodermaler (Haut) Strukturen notwendig sind und gleichzeitig die Ausbildung dorsaler, mesodermaler (Chorda, Muskelgewebe) und ektodermaler © 2004 Max-Planck-Gesellschaft www.mpg.de 2931 Tätigkeitsbericht 2004 Oelgeschläger, Michael | Embryonale Musterbildung durch BMP-Signalgradienten (zentrales Nervensystem) Strukturen hemmen. Xenopus laevis wird seit über 50 Jahren für die Charakterisierung von Musterbildungsprozessen und die funktionelle Analyse von Proteinen genutzt. Die Bedeutung von Xenopus für die moderne Embryologie manifestiert sich unter anderem in der Vielzahl an Genen, die in Xenopus identifiziert und charakterisiert wurden, einschließlich des sezernierten BMP-Antagonisten Chordin. Chordin bindet direkt an BMPs und hemmt deren Interaktion mit BMP-Rezeptoren. Chordin wird spezifisch in der dorsalen Urmundlippe, besser bekannt als Spemann-Organisator, exprimiert. Die lokale Sezernierung von BMP-Inhibitoren vom SpemannOrganisator etabliert im Embryo einen BMP-Aktivitätsgradienten, der die Determinierung embryonaler Territorien entlang der zukünftigen dorsoventralen Köperachse im Ektoderm wie auch im Mesoderm ermöglicht (Abb. 1). Abb. 1 : Der BMP-Signalgradient und frühe embryonale Musterbildung. A) Der BMP- Signalübertragungsweg: Die Bindung von BMPs an BMP-Rezeptorkomplexe führt zur Aktivierung von SMAD-Proteinen, die als intrazelluläre Mediatoren wirken und mit zusätzlichen, spezifischen Ko-Faktoren (x) BMP-Zielgene regulieren. B) Im frühen Xenopus-Embryo ist BMP-Aktivität in den zukünftigen drei Keimblättern gleichmäßig vorhanden. C) Durch die Expression von sezernierten BMP-Antagonisten (beispielsweise Chordin) im Spemann-Organisator wird ein BMP-Aktivitätsgradient entlang der zukünftigen dorsoventralen Körperachse etabliert. Dieser ist durch Farbschattierungen schematisch dargestellt. D) Der BMP-Aktivitätsgradient führt zur Determinierung von dorsalem Ektoderm (Neuroektoderm) und Mesoderm (zum Beispiel Muskelgewebe) bei niedriger BMP-Aktivität und ventralem Ektoderm (Epidermis) und Mesoderm (zum Beispiel Nieren) bei hoher BMP-Aktivität. Bild : Max-Planck-Institut für Immunbiologie/Oelgeschläger Die Bindung von Chordin an BMP wird durch Zink-Metalloproteinasen der Xolloid-Familie und "Twisted gastrulation" (TSG) reguliert. Das sezernierte TSG-Protein bindet an Chordin und BMP und bildet einen stabilen, inhibitorischen BMP-Tsg-Chordin- Komplex. Metalloproteinasen der XolloidFamilie spalten Chordin und setzen dadurch aktives BMP frei (Abb. 2). Ähnliche Proteine mit vergleichbaren Funktionen wurden in verschiedenen Vertebraten, aber auch für Drosophila melanogaster beschrieben. Die Konservierung eines derart komplexen Systems interagierender Proteine 2294 www.mpg.de © 2004 Max-Planck-Gesellschaft Oelgeschläger, Michael | Embryonale Musterbildung durch BMP-Signalgradienten Tätigkeitsbericht 2004 in verschiedenen Tierstämmen unterstreicht dessen besondere Bedeutung für die Regulation embryonaler Musterbildungsprozesse. Abb. 2 : Regulation von BMPs im extrazellulären Raum. BMP und Twisted gastrulation (Tsg) werden im frühen Embryo ko-exprimiert und bilden einen BMP-Tsg-Komplex. Tsg kann zusätzlich an Chordin binden und ermöglicht dadurch die Ausbildung eines stabilen BMP-Tsg-ChordinKomplexes. Chordin selbst bindet an BMP mit Hilfe von vier Cystein-reichen Domänen (CR1-CR4). Vor allem CR1 und CR3 haben eine hohe Affinität für verschiedene BMPs. Dieser trimolekulare Komplex kann durch die Aktivität der Zink-Metalloproteinase Xolloid (oder verwandte Proteine) aufgelöst werden. Xolloid spaltet Chordin und setzt dadurch proteolytische Fragmente von Chordin frei, die in Gegenwart von Tsg nicht mehr effizient an BMP binden können. Da Tsg die Bindung von BMPs an deren Rezeporen ebenfalls nicht behindert, kann durch die Aktivität von Xolloid der BMP-Ligand effizient reaktiviert werden. Bild : Max-Planck-Institut für Immunbiologie/Oelgeschläger Im vergangenen Jahr haben die Wissenschaftler am MPI für Immunbiologie eine Reihe von Genen identifiziert, deren Expression durch das BMP-Tsg-Chordin-System reguliert wird. Dafür hat die Arbeitsgruppe von Michael Oelgeschläger ein mutiertes Tsg-Protein eingesetzt, das die Bildung des BMP-Tsg-Chordin-Komplexes hemmt. Überexpression dieser Tsg-Mutante im Xenopus-Embryo verhindert die Regulation von BMP-Aktivität durch Chordin und hemmt die Ausbildung des Zentralen Nervensystems und dorsaler, mesodermaler Strukturen. Ein Xenopus laevis-Weibchen legt nach Stimulation mit humanem Gonadotropin mehrere tausend Eier, die sich innerhalb von 1 bis 2 Tagen zu schwimmenden Kaulquappen entwickeln. Die Eier sind relativ groß (1-1.5 mm im Durchmesser) und erlauben eine Vielzahl experimenteller Manipulationen, die in anderen Wirbeltierembryonen kaum durchführbar sind. Xenopus-Embryonen sind daher besonders für differenzielle Screens geeignet. Die Tsg-Mutante wurde durch mRNA-Mikroinjektion in Xenopus- Embryonen überexprimiert, RNA aus Gastrula-Embryonen isoliert und mithilfe von Microarrays und Library-Filter mit der RNA aus Kontrollembryonen verglichen. Für eine Reihe von Genen konnten die Forscher einen signifikanten Effekt der Tsg-Mutante auf deren Expression im frühen Xenopus-Embryo nachweisen und die transkriptionelle Regulation und Aktivität dieser Gene in der Embryonalentwicklung von Xenopus wurde weitergehend untersucht. © 2004 Max-Planck-Gesellschaft www.mpg.de 2953 Tätigkeitsbericht 2004 Oelgeschläger, Michael | Embryonale Musterbildung durch BMP-Signalgradienten Eines der ersten Gene, das in diesen Screens identifiziert wurde, gehört zur Tetraspanin-Familie, die in Wirbeltieren über 20 verschiedene Proteine umfasst. Diese sind durch vier Transmembran-Domänen und eine große, extrazelluläre Schleifen-Domäne, die Tetraspanin-spezifische Aminosäurenmotive beinhaltet, charakterisiert (Abb. 3). Die große, extrazelluläre Domäne ist notwendig für die Interaktion von Tetraspanins mit einer Vielzahl an Membranproteinen, vor allem Proteinen der Integrin-Familie, die zelluläre Interaktionen mit der extrazellulären Matrix vermitteln. Für verschiedene Tetraspanins wurde eine wichtige Funktion in der Steuerung von Zellbeweglichkeit und Zelladhäsion nachgewiesen und das Expressionsmuster von Xenopus-Tetraspanin (xTspan) weist ebenfalls auf eine Funktion in der Regulation von gerichteten Zellbewegungen hin. Xenopus-Tspan ist spezifisch in Bereichen des Gastrulaembryos exprimiert, wo Zellen in das Blastocoel einwandern und im Neurula-Stadium in der sich schließenden Neuralplatte. In späteren Larvalstadien ist xTspan-mRNA in der Zement- und SchlüpfDrüse im Kopfbereich und im posterioren Neuralrohr nachweisbar. Dieses dynamische Expressionmuster korreliert vor allem in den frühen Entwicklungsstadien mit embryonalen Territorien, die ausgeprägte, gerichtete Zellbewegungen durchführen. Abb. 3 : Xenopus-Tetraspanin: A) Proteine der Tetraspanin-Familie sind durch vier Transmembran-Domänen und eine große Schleifen-Domäne gekennzeichnet. Die große extrazelluläre Schleifen-Domäne beinhaltet Tetraspanin-spezifische Aminosäuresequenzen (insbesondere eine CCG- und PXXCC-Sequenz), durch die Interaktionen mit einer Vielzahl an Proteinen vermittelt werden; unter anderem mit Integrinen und Rezeptoren verschiedener Wachstumsfaktoren. Durch diese Interaktionen werden unter anderem die Adhäsions- und Bewegungseigenschaften der Zelle gesteuert. B) Während der Gastrulation markiert xTspan-mRNA den Bereich um den sich schließenden Urmund, wo mesodermale und entodermale Zellen einwandern, um die inneren Organe zu bilden. C) Im Neurulastadium ist xTspan-mRNA in der Neuralplatte nachweisbar, die zu diesem Zeitpunkt beginnt, sich zum Neuralrohr einzurollen. D) In späteren Larvalstadien ist xTspan in der Zement- und SchlüpfDrüse im Kopfbereich und im posterioren Neuralrohr exprimiert. Bild : Max-Planck-Institut für Immunbiologie/Oelgeschläger Durch ektopische Expression von xTspan und spezifischer Hemmung der Translation von endogenem xTspan mithilfe von Morpholino-Oligomeren, konnten die Wissenschaftler in Freiburg nachweisen, dass xTspan gerichtete Zellbewegungen im frühen Xenopus-Embryo steuert. Dabei scheint xTspan jedoch die Determinierung die verschiedenen Zelltypen entlang der dorsoventralen Achse nicht zu beeinflussen. Die molekularen Mechanismen, durch die xTspan seine Funktion im frühen Embryo ausübt, werden zurzeit analysiert. Die Regulation der xTspan-Expression durch das BMP-Tsg-Chordin-System und seine Funktion in der Morphogenese des frühen Xenopus-Embryos impliziert eine weitere Funktion des BMPSignalgradienten. Neben seiner essentiellen Funktion für die Determinierung embryonaler Territorien 4296 www.mpg.de © 2004 Max-Planck-Gesellschaft Oelgeschläger, Michael | Embryonale Musterbildung durch BMP-Signalgradienten Tätigkeitsbericht 2004 entlang der dorsoventralen Körperachse weisen immer mehr Studien auf eine wichtige Funktion des BMP-Signalgradienten in der Steuerung von Zellbewegungen hin. Xenopus-Tspan scheint zu der Gruppe von BMP-regulierten Genen zu gehören, die diese Funktion des BMP-Signalgradienten vermitteln. Die Charakterisierung von Genen, die spezifisch die verschiedenen Funktionen des BMPAktivitätsgradienten in der frühen Embryonalentwicklung vermitteln, wird zu einem tieferen Verständnis von der Koordination von Zellbewegungen und Zelldifferenzierung in der frühen Embryonalentwicklung beitragen. © 2004 Max-Planck-Gesellschaft www.mpg.de 2975