Keine Qualitäts- Kontrolle bei Embryonen

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Im Blickpunkt
Freitag, 15. April 2011 -
Leben mit Behinderung
So verlaufen
Gentests
an Embryonen
Mit PID würde
es Christian wohl
nicht geben
FRANKFURT a.M. — Mit Medizinethik beschäftigt sich Christian
Papadopoulos schon lange. Sie
war Thema seiner Magisterarbeit.
Sie ist sein Lebensthema. Der
38-Jährige hat die ererbte fortschreitende Muskelerkrankung
Muskeldystrophie, sitzt im Rollstuhl, wird beatmet, benötigt
Hilfe bei vielen Dingen. „Eine
Behinderung – das muss doch
heutzutage nicht mehr sein!“ Vor
solchen Sätzen hat er Angst.
Die aktuelle Diskussion um
Gentests an Embryonen macht
ihm klar: Wäre damals die Präimplantationsdiagnostik (PID) möglich gewesen, würde es ihn heute
vielleicht nicht geben. Papadopoulos wehrt sich dagegen, wenn
Behinderung mit Leiden gleichgesetzt wird. Er leidet nicht, sagt er.
„Meine Behinderung ist ein Merkmal unter vielen.“ Der Soziologe
aus Bonn ist verheiratet, hat
einen Job, der ihm Spaß macht,
engagiert sich ehrenamtlich: „Es
geht mir wirklich gut“, sagt er
mit fester Stimme.
Gesa Boreks Stimme klingt
müde und angestrengt. Mehr als
eine Stunde hat die 44-Jährige
schon vom Leben mit behinderten
Kindern erzählt. Jetzt sollte sie
langsam zum Ende kommen: Die
Oma will endlich nach Hause.
Lars (13) hat Hunger. Moritz (3)
ist immer noch nicht im Bett.
Jonas (6) ist übel, er hatte sich
kurz zuvor übergeben müssen.
Sie kämpft – schon ziemlich
lange: „Ich stehe eigentlich
immer unter Strom.“ Die Boreks
aus Hamburg haben vier Jungen.
Die beiden mittleren, Lars und
Jonas, sind geistig behindert, geraten schnell außer sich, sind sehr
anfällig für Krankheiten, leiden
unter Ängsten. „Fragiles-X-Syndrom“ heißt die Krankheit. Sie
beruht auf einer Veränderung des
X-Chromosoms, wird vererbt.
Gesa Borek setzt sich im Verein
„Achse“, der „Allianz chronischer seltener Erkrankungen“,
dafür ein, dass Eltern durch die
PID die Chance auf gesunde Kinder bekommen. „Ich verstehe die
Argumente der Gegner gut. Aber
unser Alltag ist einfach immer
wieder ein Drahtseilakt, und
manchmal denke ich, das sprengt
einfach unsere Familie.“
So bitter das Leiden manchmal
auch sein mag – Christian Papadopoulos, der auch bei „Achse“ mitarbeitet, kommt dabei der ethische Aspekt zu kurz: „Eltern leiden auch, wenn ihre Kinder kriminell werden.“ Es gehe um die
Frage, ob der Mensch in den
Schöpfungsprozess
eingreifen
dürfe: „Bin ich geworden oder bin
ich gemacht worden?“ Er fürch-
Christian Papadopoulos. Foto: epd
tet, dass eine Zulassung der PID
eine Tür aufstoßen würde, die
dann nicht mehr zu schließen
wäre: Embryonen würden zu
Gütern, die dann auch für die
medizinische und die Arzneimittel-Forschung „gebraucht“ werden könnten. Zudem würde angesichts des Kostendrucks im Gesundheitswesen die Kosten-Nutzen-Analyse in den Vordergrund
treten: „Da wird mein Selbstverständnis als Mensch infrage
gestellt.“ Das Argument, dass ein
Schwangerschaftsabbruch
bei
medizinischer Indikation viel
schlimmer sei, hält er für verfehlt.
Gesa Borek führt dagegen
einen anderen Aspekt an: „Ich
kenne so viele, die sich nach Eintreten der Schwangerschaft testen lassen. Wenn die Erbkrankheit festgestellt wird, lassen sie
das Kind abtreiben. Das ist dann
legal.“ Gesa Borek ist oft am
Ende ihrer Kräfte. Sie wirkt zerrissen. Einerseits kämpft sie für
Gentests an Embryonen und die
Chance auf ein Leben ohne Behinderung. Andererseits möchte sie –
natürlich – keines ihrer Kinder
missen. „Denn bei aller Besonderheit sind wir auch ganz normal.
Wir lachen und haben Spaß.“
Martina Schwager, epd
3
K Wozu dient die Präimplantationsdiagnostik?
Mit der Untersuchung kann
festgestellt werden, ob ein
Embryo von seinen Eltern
bestimmte Erbkrankheiten wie
zum Beispiel Chorea Huntington,
eine erbliche Bewegungsstörung,
die Bluterkrankheit oder
bestimmte Stoffwechselkrankheiten geerbt hat.
Medizinethiker Maio zur PID:
K Wie läuft die Untersuchung
ab?
Zunächst werden im Rahmen
einer künstlichen Befruchtung
mehrere Eizellen der Mutter im
Reagenzglas mit dem Sperma
des Vaters künstlich befruchtet.
Etwa drei Tage nach der Befruchtung, wenn sich acht Zellen des
heranwachsenden Embryos gebildet haben, werden ein bis zwei
Zellen entnommen und in einem
aufwändigen Verfahren auf ihre
Erbanlagen getestet. Für die
Übertragung in die Gebärmutter
der Frau werden nur die Embryos
ausgewählt, bei denen bestimmte Chromosomenstörungen oder Genmutationen mit
hoher Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden können. Alle
anderen Embryos werden beseitigt.
Keine
QualitätsKontrolle bei
Embryonen
K Warum ist die PID umstritten?
Theoretisch können mit der
Methode nicht nur Erbkrankheiten untersucht werden, sondern
auch andere Behinderungen oder
das Geschlecht eines Embryos
festgestellt werden sowie dessen
mögliche Eignung als Organoder Gewebespender etwa für
ein bereits lebendes, erkranktes
Geschwisterkind. Kritiker befürchten nicht nur eine Stigmatisierung
Behinderter, sondern auch eine
schleichende Ausweitung des
Gentests und die Auswahl von
„perfekten“ Embryonen.
Werdendes Leben: Der Bauch der Familienministerin Kristina Schröder während der Bundestagsdebatte über PID. Foto: dapd
NÜRNBERG — Auch Eltern mit erblichen Vorbelastungen wünschen sich
gesunde Kinder. Sollen dafür künftig
mit Hilfe der Präimplantationsdiagnostik (PID) Gentests an Embryonen
erlaubt sein? NZ-Redakteurin Stephanie Rupp sprach mit Professor Giovanni Maio, Lehrstuhlinhaber für Bioethik und Direktor des Instituts für
Ethik und Geschichte der Medizin in
Freiburg. Er ist Mitglied des Ausschusses für ethische und medizinisch-juristische Grundsatzfragen der Bundesärztekammer.
und nur wenn das Leben diese Prüfung besteht, verleihen wir ihm ein
Lebensrecht. Wenn wir uns vorstellen, dass unsere Eltern am Anfang
unserer Existenz darüber hätten befinden dürfen, unter welchen Kriterien
wir hätten weiterleben dürfen, dann
wüssten wir doch alle nicht, ob wir
heute hier wären. Mit einem solchen
Bewusstsein kann kein Mensch richtig leben. Wir wollen doch gerade
leben in dem Bewusstsein, dass wir
einzigartig sind und nicht, dass wir
eine Prüfung bestanden haben. Was
für eine schwere Hypothek wäre das
NZ: Herr Professor Maio, Bayerns frü- denn? Bei einem Ja zu PID hätten wir
herer evangelischer Landesbischof es mit einem solch großen Schritt zu
Johannes Friedrich hat einmal gesagt, tun, den ich niemals gehen würde.
es gibt kein Recht auf ein gesundes Das käme einem Paradigmenwechsel
gleich: Wir prüfen künftig die EmbryoKind. Wie sehen Sie das?
Maio: Das ist vollkommen richtig. Es nen, bevor wir Ja zu ihnen sagen. Das
ist zwar ein sehr verständlicher ist ein Abschied von unserer GrundWunsch aller Eltern, gesunde Kinder vorstellung, dass Leben an sich wertzu bekommen, aber ein Recht darauf voll ist und wir eine Verpflichtung
gibt es nicht — und auch kein Recht, dem Leben gegenüber haben, das sich
Methoden in Anspruch zu nehmen, selber nicht schützen kann. Mit einem
die nicht gesunde Kinder ausselektie- solchen Denken aber würden wir uns
ren. Wenn Kinder nicht gesund sind, dieser Verpflichtung entledigen.
müssen wir uns vielmehr fragen, welNZ: Nun ist ja in keinem der Gesetzesche Verpflichtungen wir ihnen gegenentwürfe von einer generellen Einfühüber haben. Wir können doch dann
rung der PID die Rede. Lediglich Paanicht sagen, wir wollten lieber andere
ren mit genetischem Risiko soll sie
Kinder, also entledigen wir uns dieser
erlaubt werden. Befürworter argumenKinder. Das ist das Grundproblem. Es
wird ja oft so getan, als bräuchte man
heutzutage gar kein Schicksal mehr
anzunehmen und damit auch keine
Präimplantationsdiagnostik
Kinder mehr mit Behinderungen zu
PID
akzeptieren. Das ist ein Denken, das
man kritisch reflektieren muss, denn
Künstliche
das Kind existiert ja. Der Embryo ist
Befruchtung
da – und wir dürfen nicht sagen, ich
von Eizellen
suche mir einen anderen. Denn der
im Reagenzglas
andere Embryo, den wir uns aussuchen würden, wäre ein Embryo auf
Kosten desjenigen, den wir verwerfen.
Untersuchung
Wir reklamieren ansonsten eine Freider Erbanlagen
heit für uns, die auf Kosten eines andenach wenigen
ren Lebens geht.
Tagen
NZ: Grenzt PID, bei der man genetisch
belastete Embryonen „entsorgt“, also
an Mord?
Maio: Es ist in jedem Fall eine Handlung, die dem menschlichen Leben
nicht gerecht wird, weil jedes Leben
für sich ein Existenzrecht hat und
nicht erst, wenn dieses Leben eine
bestimmte Qualität erfüllt. Und
genau damit haben wir es hier zu tun
– dass wir so tun, als bräuchten wir
das Leben, so wie es ist, gar nicht
mehr anzunehmen, sondern als könnten wir uns die Freiheit herausnehmen, nur das Leben zu akzeptieren,
das uns gefällt. Mit PID würden wir
eine Qualitätskontrolle vornehmen.
Wir würden eine Prüfung machen –
Embryonen
mit genetischen
Defekten werden
aussortiert
1–3
Embryonen
werden in die
Gebärmutter
gepflanzt
Quelle: AFP
tieren, PID könne solchen Paaren zur
Erfüllung ihres Kinderwunsches verhelfen. Dürfen wir diesen Betroffenen das
Recht auf ein Kind verwehren?
Maio: Die Frage ist nicht, ob wir ihnen
das Recht auf ein Kind verwehren,
sondern die Frage ist, ob diese Betroffenen ihrerseits ein Recht reklamieren
können, nur das Kind zu bekommen,
das sie wollen. PID sollte in Deutschland verboten bleiben, damit wir weiterhin in dem Bewusstsein leben, dass
jedes Leben ein Lebensrecht hat und
zunächst einmal anzunehmen ist.
Wenn Paare sagen, wir können mit
einem solchen Leben aber überhaupt
nicht zurechtkommen,
wird
es
schwierig. Trotzdem dürfen wir
nicht sagen, dass
wir im Reagenzglas
eine Ausmusterung
vornehmen.
NZ: PID-Befürworter sagen, man
könne
dadurch
Giovanni Maio
das Risiko von Totgeburten vermeiden.
Maio: Das ist sehr leicht gesagt. Die
Prognostik auf den sicheren Tod eines
Kindes ist schwierig. Wenn man ein
Leben hat, das in hohem Maße gefährdet ist, muss man sich fragen, wie man
diesem kurzen Leben gerecht wird.
Dann ist es keine logische Schlussfolgerung zu sagen, weil dieses Leben im
Mutterleib ohnehin nicht lange leben
wird, ist es besser, wir töten es gleich.
Dieser Tötungsakt ist problematisch.
NZ: Schon heute sind vorgeburtliche
Untersuchungen möglich wie Nackenfalten- und Fruchtwasseruntersuchung sowie Korionzottenbiopsie. Bei
schwerer Behinderung eines Kindes
wäre dann eine Spätabtreibung legal.
Wie ist es zu rechtfertigen, dass man
einerseits PID in einem frühen Stadium der Schwangerschaft verteufelt,
andererseits aber die benannten
Methoden erlaubt?
Maio: Das Grundproblem bei diesen
Debatten ist, dass so getan wird, als
wäre der Schwangerschaftsabbruch
in bestimmten Fällen eine gute
Lösung. Das ist ein Schritt, den ich
nicht mitgehe, denn jeder Schwangerschaftsabbruch ist ein ganz großes
Problem, da ein Kind getötet wird.
Bei einem Schwangerschaftsabbruch
ist die Frau in einem Konflikt. Bei Entscheidung für PID hingegen ist das
Paar noch nicht schwanger, sondern
möchte sich bewusst in einen Konflikt
bringen, sagt von sich aus, wir möchten nur so ein Leben und kein anderes.
K Droht PID zur RoutineUntersuchung zu werden?
Die künstliche Befruchtung, die
der PID vorausgeht, ist meist ein
langwieriger und für die Frauen
oft auch belastender Prozess.
Auch ist die Geburtenrate nach
einer solchen Untersuchung relativ gering. Auch lassen sich mit
der PID nur wenige Krankheiten
ermitteln, weil vielen Krankheiten
verschiedene Gene und Umwelteinflüsse zugrunde liegen.
afp
PID: So verfahren
andere Länder
K Belgien
Seit 1994 testen Mediziner im
Reagenzglas erzeugte Embryonen zum Beispiel auf Erbkrankheiten. Eine gesetzliche Regelung
für die Forschung an Embryonen
wurde 2003 geschaffen. Sie
schränkt die PID kaum ein, verbietet aber die rein geschlechtsspezifische Auswahl von Embryonen.
K Dänemark
Bei einem Risiko etwa für genetisch bedingte Krankheiten sind
Untersuchungen an befruchteten
Eizellen im Reagenzglas erlaubt
Die erste PID wurde 1999 zugelassen.
K Frankreich
Die PID ist seit 1997 konkret
rechtlich reguliert. Sie ist nur
erlaubt, wenn dadurch schwere
genetische Krankheiten vermieden werden können, wenn ein
Elternteil nachweislich eine Anomalie hat und das Paar mindestens zwei Jahre zusammenlebt.
Die erste Lizenz gab es 1999.
K Großbritannien
Zur Erkennung schwerer Krankheiten oder spontan auftretender
Chromosomendefekte ist die PID
erlaubt. Sie wird seit 1990 angewendet. Alle Arbeiten mit embryonalem Gewebe unterliegen der
Kontrolle einer speziellen Behörde, die Tests werden an lizenzierten Zentren durchgeführt.
Das Anwendungsspektrum gilt
als relativ breit. Im Januar 2009
kam in London das erste Baby
Großbritanniens zur Welt, bei
dem mittels PID ein Brustkrebsgen ausgeschlossen wurde.
K USA
Das Verfahren wird seit 1990
genutzt, inzwischen an einer Vielzahl von Kliniken. Auf bundesstaatlicher Ebene gibt es keine
gesetzliche Regelung. Selbst die
Nutzung von PID zu nichtmedizinischen Zwecken wie der Wahl
des Geschlechts wird weitgehend als legitim anerkannt. dpa
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