OSTEUROPA-WIRTSCHAFT, 51. Jhg., 3-4/2006 Helmut Braun / Christoph Weigl* Der Beitritt Tschechiens zum Euro: Eine Prüfung der im Jahr 2005 realisierten Voraussetzungen Zusammenfassung Zusammen mit weiteren Transformationsstaaten trat am 1. Mai 2004 die Tschechische Republik der Europäischen Union (EU) bei. Als zukünftiger Integrationsschritt ist der Beitritt zur Wirtschafts- und Währungsunion mit der Einführung des Euro vorgesehen. Dazu hat die EU durch mehrere Stabilitätskriterien hohe Hürden in Form der makroökonomischen Kriterien einer niedrigen Inflation, eines niedrigen langfristigen Zinssatzes, einer finanzwirtschaftlichen Stabilität und stabiler Wechselkursverhältnisse institutionalisiert. Für das Jahr 2004 erfüllte Tschechien nur einen Teil dieser Kriterien, aber der formale Konvergenztest für das Jahr 2005 zeigt, dass nun bereits drei Kriterien erfüllt sind, nur noch einige institutionelle Voraussetzungen bleiben unerfüllt. Dennoch bleibt fraglich, ob Tschechien auch eine nachhaltige Einhaltung der makroökonomischen Kriterien gewähren kann. Denn aufgrund des Balassa-Samuelson Effektes beim Aufholen der tschechischen Wirtschaft erscheint eine zukünftige Verletzung der 2005 erfüllten Kriterien wahrscheinlich, wobei sich bei einer dann fälligen Korrektur die Wirtschaftspolitik in einem Trilemma befindet. Die tschechische Zentralbank sieht dieses Problem zwar gelassen, aber von externer Seite wird empfohlen, beim Ziel einer an die nachhaltige Kriterienerfüllung geknüpften Einführung des Euro lieber langsamer vorzugehen als den formal schnellst möglichen Weg zu forcieren. Abstract The Czech Republic joined European Union (EU) in 2004. The adoption of the Euro is planned for the future. Adopting the Euro, however, is in compliance with some macroeconomic criteria installed by the EU. Our test shows that the Czech Republic has a good performance in three central macroeconomic criteria, but fails by some institutional conditions which could be repaired. An important question is, however, the sustainable performance of the criteria in future. Therefore, without calculating it, we analyse the BALASSA-SAMUELSON effect and conclude, at least, a trilemma in economic policy. The Czech National Bank, however, does not qualify consequences of the BALASSASAMUELSON effect dramatically. Nevertheless, a save and slow way adopting the Euro is suggested. 1. Problemstellung und Gang der Untersuchung Am 1. Mai 2004 ist Tschechien zusammen mit neun weiteren Ländern der Europäischen Union beigetreten. Für diesen Beitritt war entscheidend, dass sie die sog. „Kopenhagener Kriterien“ erfüllten. Diese enthalten ein politisches Kriteri* PD Dr. rer. pol. Helmut BRAUN und Dipl.-Betriebswirt (FH) Christoph WEIGL, Lehrstuhl für Wirtschaftsgeschichte, Universität Regensburg, Universitäts-Str. 31, D-93040 Regensburg. Email: [email protected]. Der Beitritt Tschechiens zum Euro 285 um, das die Existenz einer institutionellen Stabilität als Garantie für eine demokratische und rechtsstaatliche Ordnung, die Wahrung der Menschenrechte sowie die Achtung und Schutz von Minderheiten fordert. Ein wirtschaftliches Kriterium sieht vor, dass das Beitrittsland eine funktionierende Marktwirtschaft vorweisen kann, welche den Wettbewerb und den Marktkräften innerhalb der EU standhalten kann. Ein Beitrittsland verpflichtet sich zudem den gemeinsamen Besitzstand (sog. „Acquis Communautaire“) zu übernehmen und sich die Ziele der politischen Union sowie der Währungsunion zu eigen zu machen.1 Da es für die neuen Mitgliedsstaaten keine Opting-Out-Klausel2 gibt, verpflichten sie sich mit dem vollzogenen Beitritt zu einem späteren Zeitpunkt den Euro einzuführen. Die Teilnahme an der Währungsunion setzt allerdings die zusätzliche3 Erfüllung der Konvergenzkriterien des EG-Vertrages voraus. Eine Anpassung der nationalen Zentralbankgesetzgebung an die Anforderungen des Eurosystems, insbesondere die Unabhängigkeit der nationalen Zentralbanken, war bereits für den EU-Beitritt erforderlich.4 Im Folgenden wird untersucht, ob und inwieweit der EU-Neuling Tschechien die Voraussetzungen für einen Beitritt zur Währungsunion erfüllt und welche ökonomische Defizite sich ermitteln lassen. 2. Die Konvergenzkriterien und -prüfung der EU Jedes Land der EU, welches den Euro als Währung einführen möchte, muss entsprechend des Artikels 121 des EG-Vertrages in Verbindung mit den beigefügten Protokollen über die Konvergenzkriterien bestimmte Eintrittsbedingungen erfüllen.5 Die Erfüllung der nun vorzustellenden (nominalen) Konvergenzkriterien hat das Ziel, dass ein Land nur beim Nachweis seiner dauerhaften stabilitätspolitischen Leistungsfähigkeit der Währungsunion beitreten kann um eine annähernde homogene Stabilität der Gemeinschaft zu gewährleisten. Hier ist anzumerken, dass die Erfüllung von allen nominalen Konvergenzkriterien in gewissem Sinne 1 Vgl. DEUTSCHE BUNDESBANK: „Perspektiven der EU-Erweiterung nach dem Europäischen Rat von Nizza“, in: Monatsbericht, März 2001, 53. Jg., S. 15-18 und DEUTSCHE BUNDESBANK: „Währungspolitische Aspekte der EU-Erweiterung“, in: Monatsbericht, Oktober 2001, 53. Jg., S. 15-31. 2 Vgl. EUROPÄISCHE ZENTRALBANK (Hrsg.): „Das Eurosystem und die EUOsterweiterung“, in: Monatsbericht, Februar 2000, S. 41-54, hier S. 48. Im Vertrag von Maastricht haben sich Dänemark und Großbritannien eine sog. Opting-Out-Klausel ausbedungen, wonach diese beiden Länder auch bei Erfüllung der Konvergenzkriterien selbst entscheiden können, ob sie der Währungsunion beitreten wollen. 3 4 Vgl. Hermann REMSPERGER: „Erweiterung der europäischen Union und der Währungsunion: Maastricht meets Kopenhagen“, in: DEUTSCHE BUNDESBANK (Hg.): Auszüge aus Presseartikeln, Nr. 53 vom 5. Dezember 2001, S. 5-10. Vgl. EUROPÄISCHE ZENTRALBANK (Hrsg.): „Das Eurosystem und die EUOsterweiterung“, in: Monatsbericht, Februar 2000, S. 41-43. 5 Vgl. Frank R. PFETSCH: Die Europäische Union, 3. erweiterte und aktualisierte Aufl., München 2005, S. 220-225. Dort finden sich auch die relevanten Textstellen aus Art. 121 EGV, 104 EGV sowie aus dem Protokoll über die Konvergenzkriterien nach Art. 121 EGV und über das Verfahren bei einem übermäßigen Defizit nach Art. 104 EGV. 286 Helmut Braun / Christoph Weigl potenziell endogen ist, weil sich der Grad der Kriterienerfüllung durch eine Aussicht auf eine Aufnahme in die Währungsunion verändern kann.6 2.1. Das Inflationskriterium Die durchschnittliche jährliche Inflationsrate eines Beitrittskandidaten darf während des letzten Jahres vor der Prüfung, was nicht unbedingt dem Kalenderjahr entsprechen muß, um nicht mehr als eineinhalb Prozentpunkte über dem ungewogenen arithmetischen Mittel der Inflationsraten der drei preisstabilsten Mitgliedsstaaten liegen. Ermittelt wird die Inflationsrate eines Landes auf der Grundlage Harmonisierter Verbraucherpreisindizes (HVPIs). Der damalige Referenzzeitraum für die Konvergenzprüfung 1998 reichte von Februar 1997 bis Januar 1998. Er muss also nicht unbedingt dem Kalenderjahr entsprechen.7 Diese Formulierung des Kriteriums kann sich aber inzwischen in einer EU mit 25 Ländern als überholt erweisen. War dieser Ansatz zu Beginn der Währungsunion mit 15 EU-Mitgliedern durchaus sinnvoll, würde nun der Mittelwert der drei preisstabilsten Länder für 25 EU-Länder berechnet. Diese sind jedoch jetzt um einiges heterogener als die ursprünglichen 15 Länder. Bei Betrachtung der Inflationsraten im Jahr 2005 wird diese Bandbreite deutlich: So bewegten sich die Inflationsraten zwischen 0,8 Prozent in Finnland und 6,9 Prozent in Lettland. Daher wurde diskutiert, dass dieses Kriterium ersetzt werden sollte durch einen an der EWU-Inflationsrate orientierten Referenzwert.8 2.2. Der langfristige Zinssatz Der langfristige Zinssatz, gemessen am durchschnittlichen Nominalzinssatz für langfristige (10-jährige) Staatsschuldverschreibungen oder vergleichbare Wertpapiere, darf im Verlaufe des Jahres vor der Konvergenzprüfung einen bestimmten Referenzwert nicht übersteigen: Dieses so genannte Zinskriterium liegt um 2 Prozentpunkte über dem ungewogenen arithmetischen Mittel der langfristigen Zinssätze der drei preisstabilsten Länder (Zinskriterium). Der Zinssatz für ein Land ergibt sich aus dem arithmetisches Mittel der letzten zwölf Monate. Der Referenzzeitraum ist mit dem bei der Ermittlung der Inflationsrate identisch.9 Mithilfe dieses Kriteriums soll die Einschätzung der Märkte Eingang in die Konvergenzprüfung der Europäischen Kommission finden. Ein hoher Zinssatz lässt vermuten, dass die Stabilitätspolitik des jeweiligen Landes noch wenig ausgeprägt ist. Hohe Zinsen implizieren eine hohe Inflationsprämie für langfristige Gelder, weil die Anleger ein hohes zukünftiges Inflationsniveau erwarten.10 6 Vgl. Friedrich L. SELL: „Braucht es monetäre und reale Konvergenz für eine (in einer) Währungsunion?“, in: List Forum für Wirtschafts- und Finanzpolitik, Bd. 27, 2001, S. 379-398. 7 Vgl. Art. 121 Abs. 1 EGV und Protokoll über die Konvergenzkriterien EGV. 8 Vgl. Renate OHR: „Gesamtwirtschaftliche Risiken der Europäischen Währungsunion“, in: J. H. VON STEIN (Hrsg.): Handbuch Euro, München 2001, S. 15-30. 9 Vgl. Art. 121 Abs. 1 EGV und Protokoll über die Konvergenzkriterien EGV. 10 Vgl. Renate OHR: „Gesamtwirtschaftliche Risiken der Europäischen Währungsunion“, in: J. H. VON STEIN (Hrsg.): Handbuch Euro, München 2001, S.18. Der Beitritt Tschechiens zum Euro 287 2.3. Eine auf Dauer tragbare Finanzlage der öffentlichen Hand Eine dauerhaft tragbare Finanzlage bedeutet, dass eine entsprechende Haushaltsdisziplin des Staates auf längere Zeit erkennbar ist. Um diese quantifizierbar zu machen, werden zum einen die jährlichen Haushaltsdefizite, also gleichsam transitorische Finanzierungssalden, zum anderen die Staatsschulden, also langfristige Schuldenstände, herangezogen: So soll der jährliche Finanzierungsfehlbetrag der öffentlichen Haushalte nicht mehr als 3 Prozent des nominalen Bruttoinlandprodukts zu Marktpreisen (BIP) betragen; dies ist die so genannte Defizitquote. Der langfristige öffentliche Bruttoschuldenstand soll 60 Prozent des BIP nicht übersteigen; dies ist die so genannte Schuldenquote.11 Die Vertragsbestimmungen lassen jedoch einen gewissen Interpretationsspielraum zu: So genügt es, wenn das Defizit erheblich und laufend zurückgegangen ist und einen Wert in der Nähe des Referenzwertes erreicht. Ein höheres Defizit bleibt ebenfalls von der Europäischen Kommission unbeanstandet, wenn der Referenzwert nur ausnahmsweise und vorübergehend überschritten wird und in der Nähe des Referenzwertes bleibt. Beim öffentlichen Schuldenstand reicht es aus, wenn er hinreichend rückläufig ist und sich rasch genug den Referenzwert nähert. Um zu erreichen, dass eine stabile Finanzpolitik auch nach Beitritt zur Währungsunion aufrechterhalten wird, wurde im Dezember 1996 in Dublin zwischen den Staats- und Regierungschefs der damals 15 EU-Staaten eben der „Stabilitätund Wachstumspakt“ vereinbart. Um sicherzustellen, dass in konjunkturell schwierigen Zeiten mit stagnierenden oder leicht rückläufigem Wirtschaftswachstum beim Haushaltsdefizit die Obergrenze von 3 Prozent des BIP nicht überschritten wird, haben sich die Mitgliedstaaten in diesem Ergänzungsvertrag verpflichtet, mittelfristig das Ziel eine nahezu ausgeglichenen oder überschüssigen Haushalts einzuhalten.12 Nachdem dieser Vertrag Teil des gemeinsamen Besitzstandes der EU ist, sind die Neumitglieder diesem auch schon vor dem EuroBeitritt verpflichtet. 2.4.Teilnahme am Wechselkursmechanismus II Eine weitere Voraussetzung für den Eurobeitritt ist die spannungsfreie Teilnahme am Wechselkursmechanismus (WKM II) des Europäischen Währungssystems (EWS II).13 Das Wechselkurskriterium sieht vor, dass das jeweilige Land innerhalb der letzten zwei Jahre vor der Konvergenzprüfung an diesem Wechselkursmechanismus teilzunehmen hat, sich der Wechselkurs nur in den vom EWS vorgesehenen normalen Bandbreiten bewegen durfte und der bilaterale Leitkurs der 11 Vgl. Art. 104c Abs. 2 und Protokoll über das Verfahren bei einem übermäßigen Defizit EGV; Werner WEIDENFELS: Europa-Handbuch 2002, 2. Aufl. Bonn 2002, S. 458. 12 Vgl. Art. 121 EGV in Verbindung mit Art. 104 EGV und Protokoll über die Konvergenzkriterien EGV sowie Protokoll über das Verfahren bei einem übermäßigen Defizit EGV. Frank R. PFETSCH: Die Europäische Union, 3. erweiterte und aktualisierte Aufl., München 2005, S. 223-225. 13 Die Erweiterung von WKM und EWS um die Bezeichnung II indiziert, dass damit nicht das vor dem Inkrafttreten der Wirtschafts- und Währungsunion installierte Europäische Wechselkurssystem EWS gemeint ist, welches nach der Einführung des Euro für die Teilnehmerländer überflüssig wurde. 288 Helmut Braun / Christoph Weigl Währung des Beitrittsstaates gegenüber der Währung eines anderen Mitgliedsstaates nicht von sich aus abgewertet werden musste. Damit wird ersichtlich, dass diese Konstruktion des EWS und des Wechselkurskriteriums geeicht war auf die Länder, die sich ursprünglich zur Wirtschafts- und Währungsunion zusammenschlossen. Das EWS musste jedoch trotz der Gründung der Wirtschafts- und Währungsunion reformiert werden und bestehen bleiben, weil bekanntlich nicht alle Mitgliedsstaaten der Europäischen Union, wie beispielsweise Dänemark, zugleich auch Mitglied der Wirtschafts- und Währungsunion werden wollten. Das EU-Mitglied Großbritannien ist beispielsweise 1993 aus dem EWS ausgetreten und der Wirtschafts- und Währungsunion nicht beigetreten; in diesem Sinne schwankt der Wechselkurs des englischen Pfund Sterling frei gegenüber dem Euro und gegenüber den Währungen der EU-Mitglieder, die lediglich über das EWS an den Euro angebunden sind, mit der seit 1993 größeren Schwankungsbreite von ± 15 Prozent.14 In der Literatur ist nun noch nicht klar, ob als die normalen Schwankungsbreiten die zum Zeitpunkt der Maastrichter Verhandlungen gültigen ± 2,25 Prozent als Referenzwert zugrunde zu legen sind oder die wegen der Schwierigkeiten im EWS seit August 1993 auf ± 15 Prozent ausgeweitete Schwankungsbreite nun den Referenzwert für die „normale Bandbreite“ definieren.15 Eindeutig ist jedoch, dass die Wechselkurse der Währungen der neuen Beitrittsländer mit ihren Schwankungen gegenüber dem Euro zu bewerten sind. Damit sind für die Konvergenzprüfung eines sich schon seit mindestens zwei Jahren im WKM II beziehungsweise EWS II befindlichen, beitrittswilligen Landes dessen Wechselkursschwankungen innerhalb des Schwankungsbereiches von maximal ± 15 Prozent zum Euro festzustellen.16 2.5. Der Ablauf der Konvergenzprüfung beitrittswilliger Länder Die Europäische Kommission und die Europäische Zentralbank, bis 1998 noch Europäisches Währungsinstitut, haben nach Artikel 121 Absatz 1 EG-Vertrag zu prüfen ob ein hoher Grad an dauerhafter Konvergenz erreicht ist. Die erste Konvergenzprüfung wurde im April/Mai 1998 auf der Grundlage der Konvergenzberichte der Kommission und des Währungsinstituts vorgenommen. Gemäß EGVertrag findet eine solche Prüfung alle zwei Jahre oder auf Antrag eines Mitgliedstaats statt, wobei letztlich der Ecofin-Rat, der Europäischer Rat der Wirtschaft- und Finanzminister der EU – Staaten, mit qualifizierter Mehrheit auf Vorschlag der EU-Kommission entscheidet, ob ein Land aufgenommen wird.17 Vor 14 Vgl. Frank R. PFETSCH: Die Europäische Union, 3. erweiterte und aktualisierte Aufl., München 2005, S. 217. 15 Vgl. Frank R. PFETSCH: Die Europäische Union, 3. erweiterte und aktualisierte Aufl., München 2005, S. 222. 16 Vgl. Art. 121 EGV und Protokoll über die Konvergenzkriterien EGV. Vgl auch Werner WEIDENFELS: Europa-Handbuch 2002, 2. Aufl. Bonn 2002, S. 460. 17 Während die Auswahl der Teilnehmerstaaten für den Beginn der Währungsunion zum 01.01.1999 im Rat nach Art. 121 Abs. 4 EGV in der Zusammensetzung der Staats- und Regierungschefs getroffen wurde, ist mit Beginn der Währungsunion die Entscheidung gemäß Art. 122 Abs. 2 EGV auf den Ecofin-Rat übergegangen. Vgl. Nicole SCHLEY / 290 Helmut Braun / Christoph Weigl Die Teuerungsrate sank von 9,7 Prozent im Jahr 1998 auf –0,1 Prozent im Jahr 2003. Dann begann die Inflation wieder zu steigen: War sie im Referenzzeitraum der Europäischen Institutionen noch bei 1,8 Prozent, so lag sie Ende 2004 bereits bei 2,6 Prozent, um 2005 wiederum auf 1,6 Prozent zu sinken. Abb.2: Berechnung des Referenzwertes für 2005 Drei preisstabilste Länder Finnland Schweden Niederlande Ungewogenes arithmetisches Mittel (+) 1,5% = Referenzwert Wert 0,8% 0,8% 1,5% 1,03% 2,5% Quelle: http://epp.eurostat.cec.eu.int/portal/page?_pageid=0,1136173,0_45570704&_dad eigene Darstellung. Zum Jahresende 2005 lag der Referenzwert entsprechend der vorgestellten Regelungen im EGV bei 2,5 Prozent, die Inflationsrate der Tschechischen Republik bei 1,6 Prozent. Das Inflationskriterium hat Tschechien im Jahr 2005 demnach erfüllt. Die Eindämmung der Inflation von 1998 bis 2004 war auf eine Reihe von politischen Entscheidungen in Tschechien zurückzuführen: 18 Ein wesentlicher Grund hierfür liegt 1998 beim Übergang zu einer auf das Erreichen von Preisstabilität auf mittlere Sicht ausgerichteten Geldpolitik. Mit Hilfe der Politik einer direkten Inflationssteuerung hatte sich die tschechische Nationalbank das Ziel gesetzt, die Verbraucherpreise bis 2002 auf 3 Prozent bis 5 Prozent und bis Ende 2005 auf 2 Prozent bis 4 Prozent zurückzuführen, was offenbar auch teilweise gelungen ist. Seit 1. Mai 2002 schreibt das Gesetz der Česká národní banka zudem die Gewährleistung von Preisstabilität als vorrangiges Ziel der Zentralbank vor. Auch eine Reihe von Reformen in den 90er Jahren, die den Wettbewerb auf den Gütermärkten förderten und die Finanzmärkte liberalisierten, trugen wesentlich zum Inflationsabbau bei.19 Das starke Absinken der Inflationsraten von 9,7 Prozent im Jahr 1998 auf 1,8 Prozent im Jahr 1999 wurde jedoch erheblich vom Rückgang des realen BIP in den Jahren 1997 und 1998 beeinflusst. Ein Blick auf die jüngsten Entwicklungen zeigt, dass sich die Jahresrate der Inflation, gemessen am harmonisierten Verbraucherpreis-Index HVPI, deutlich von –0,1 Prozent im Jahr 2003 auf 2,6 Prozent 2004 erhöhte. Dies ist zum einen auf die höheren Preise für Nahrungsmittel und Öl, Änderungen der indirekten Steuern20 und der 18 Vgl. EUROPÄISCHE ZENTRALBANK: Konvergenzbericht 2004, Frankfurt 2004, S. 61. Vgl. Andreas POLKOWSKI: „Die mittel- und osteuropäischen Länder auf dem Weg in die EU“, in: Wirtschaftsdienst, 81 Jg., 2001, S. 111-116. 20 Die Mehrwertsteuer wurde 2004 für einen Grossteil der Waren und Dienstleistungen von 5 Prozent auf 19 Prozent erhöht. 19 290 Helmut Braun / Christoph Weigl Die Teuerungsrate sank von 9,7 Prozent im Jahr 1998 auf –0,1 Prozent im Jahr 2003. Dann begann die Inflation wieder zu steigen: War sie im Referenzzeitraum der Europäischen Institutionen noch bei 1,8 Prozent, so lag sie Ende 2004 bereits bei 2,6 Prozent, um 2005 wiederum auf 1,6 Prozent zu sinken. Abb.2: Berechnung des Referenzwertes für 2005 Drei preisstabilste Länder Finnland Schweden Niederlande Ungewogenes arithmetisches Mittel (+) 1,5% = Referenzwert Wert 0,8% 0,8% 1,5% 1,03% 2,5% Quelle: http://epp.eurostat.cec.eu.int/portal/page?_pageid=0,1136173,0_45570704&_dad eigene Darstellung. Zum Jahresende 2005 lag der Referenzwert entsprechend der vorgestellten Regelungen im EGV bei 2,5 Prozent, die Inflationsrate der Tschechischen Republik bei 1,6 Prozent. Das Inflationskriterium hat Tschechien im Jahr 2005 demnach erfüllt. Die Eindämmung der Inflation von 1998 bis 2004 war auf eine Reihe von politischen Entscheidungen in Tschechien zurückzuführen: 18 Ein wesentlicher Grund hierfür liegt 1998 beim Übergang zu einer auf das Erreichen von Preisstabilität auf mittlere Sicht ausgerichteten Geldpolitik. Mit Hilfe der Politik einer direkten Inflationssteuerung hatte sich die tschechische Nationalbank das Ziel gesetzt, die Verbraucherpreise bis 2002 auf 3 Prozent bis 5 Prozent und bis Ende 2005 auf 2 Prozent bis 4 Prozent zurückzuführen, was offenbar auch teilweise gelungen ist. Seit 1. Mai 2002 schreibt das Gesetz der Česká národní banka zudem die Gewährleistung von Preisstabilität als vorrangiges Ziel der Zentralbank vor. Auch eine Reihe von Reformen in den 90er Jahren, die den Wettbewerb auf den Gütermärkten förderten und die Finanzmärkte liberalisierten, trugen wesentlich zum Inflationsabbau bei.19 Das starke Absinken der Inflationsraten von 9,7 Prozent im Jahr 1998 auf 1,8 Prozent im Jahr 1999 wurde jedoch erheblich vom Rückgang des realen BIP in den Jahren 1997 und 1998 beeinflusst. Ein Blick auf die jüngsten Entwicklungen zeigt, dass sich die Jahresrate der Inflation, gemessen am harmonisierten Verbraucherpreis-Index HVPI, deutlich von –0,1 Prozent im Jahr 2003 auf 2,6 Prozent 2004 erhöhte. Dies ist zum einen auf die höheren Preise für Nahrungsmittel und Öl, Änderungen der indirekten Steuern20 und der 18 Vgl. EUROPÄISCHE ZENTRALBANK: Konvergenzbericht 2004, Frankfurt 2004, S. 61. Vgl. Andreas POLKOWSKI: „Die mittel- und osteuropäischen Länder auf dem Weg in die EU“, in: Wirtschaftsdienst, 81 Jg., 2001, S. 111-116. 20 Die Mehrwertsteuer wurde 2004 für einen Grossteil der Waren und Dienstleistungen von 5 Prozent auf 19 Prozent erhöht. 19 Der Beitritt Tschechiens zum Euro 291 administrierten Preise zurückzuführen. Diese beiden Änderungen sind als Anpassungen hinsichtlich des EU-Beitritt zu sehen. Mittelfristig rechnet demnach die tschechische Nationalbank weiterhin mit einem Aufwärtstrend der Preise.21 Auf längere Sicht ist die Gewährleistung und weitere Stärkung der Preisstabilität abhängig von einer angemessenen Geldpolitik, einer soliden Finanzpolitik und einem glaubwürdigen Konsolidierungskurs der öffentlichen Haushalte, aber auch von der Verbesserung der Funktionsfähigkeit der Arbeitsmärkte mit Lohnzuwächsen, die dem Wachstum der Arbeitsproduktivität entsprechen. 22 Einen nicht zu vernachlässigenden Einfluss auf die langfristige Entwicklung der Verbraucherpreise hat der marktwirtschaftliche Aufholprozess, wobei allerdings schwer abzuschätzen ist, in welchem Umfang dies geschehen wird.23 3.2 Prüfung der Entwicklung der öffentlichen Finanzen in Tschechien Folgende Finanzierungssalden und Verschuldungsdaten sind relevant: Abb.3: Finanzierungssaldo Finanzierungssaldo (in % des BIP 2005 -3,0% -2,6% -3,6% -3,7% -5,0% Referenzw. -2,5% 2004 2003 2002 2001 2000 1999 -3,1% 1998 -4,0% -6,0% 1997 -2,0% 1996 0,0% -3,0% -5,9% -6,8% -8,0% -10,0% -12,0% Finanzierungssaldo (in % des BIP) -14,0% -12,6% Quelle:http://epp.eurostat.cec.eu.int/portal/page?_pageid=0,1136173,0_45570704&_dad, eigene Darstellung. 21 Vgl. EUROPEAN COMMISSION: Convergence report 2004 – Special report No.2, Bruxelles 2004, S. 71-75. 22 Vgl. EUROPÄISCHE ZENTRALBANK: Konvergenzbericht 2004, Frankfurt 2004, S. 62. 23 In der volkswirtschaftlichen Theorie wird hierbei der sog. Balassa-Samuelson-Effekt diskutiert, dessen Problematik hier in Abschnitt 4 dieser Abhandlung vorgestellt wird. Helmut Braun / Christoph Weigl 292 Abb.4: Öffentliche Schuldenquote Öffentliche Schuldenquote (in % des BIP) 60,0% Öf fent liche Schuldenquote (in %des BIP) Referenzw 2005 2004 2003 29,8% 30,0% 30,6% 30,6% 2002 2001 2000 1999 12,2% 1998 13,1% 12,9% 13,4% 18,2% 1997 26,3% 1996 70,0% 60,0% 50,0% 40,0% 30,0% 20,0% 10,0% 0,0% Quelle: http://epp.eurostat.cec.eu.int/portal/page?_pageid=0,1136173,0_45570704&_dad, eigene Darstellung. Die beiden Grafiken veranschaulichen, dass sich zum einen die Defizitquote mit 3,0 Prozent in 2004 genau auf Höhe des Referenzwertes bewegt, zum anderen der öffentliche Schuldenstand in Tschechien 30,6 Prozent des BIP erreicht und damit deutlich unterhalb des Referenzwertes ist. Bei genauerer Untersuchung der beiden Grafiken fällt hingegen auf, dass sich die öffentliche Schuldenquote von 1996 bis 2004 um insgesamt 17,5 Prozent vom BIP erhöht hat. Dabei entwickelte sie sich mit einem Anstieg um 0,3 Prozent von 1996 bis 1999 zunächst recht stabil, legt dann aber von 13,4 Prozent im Jahr 1999 auf 30,6 Prozent im Jahr 2003 zu. Dies entspricht mehr als einer Verdoppelung des Anteils der öffentlichen Schuld am BIP. Dieser extreme Anstieg ist zurückzuführen auf die stark steigenden Defizitquoten nach 1999, womit ein enger Zusammenhang zwischen der Schuldenquote der öffentlichen Hand und der Defizitquote hergestellt werden kann: Eine dauerhafte Neuverschuldung, ausgedrückt in der Defizitquote, lässt den Schuldenstand steigen. Während die Defizitquote im Jahr 1996 noch bei 3,1 Prozent gelegen hatte, erhöhte sich die Kennzahl bis 2002 auf 6,8 Prozent, wobei in dieser Zeit gewisse Schwankungen zu verzeichnen waren. Das Jahr 2003 bildet eine gewisse Ausnahme, da eine umfangreiche Einzelmaßnahme mit Staatsbürgschaften und staatlichen Garantien in den Haushalt einflossen, welche das Defizit auf 12,6 Prozent ansteigen ließ: Tschechien hatte viele Bürgschaften für marode Privatunternehmen übernommen, um sie vor einen möglichen Konkurs zu retten, was jedoch in den meisten Fällen nicht gelang. Ohne diese Maßnahme hätte sich das Defizit auf 6,6 Prozent des BIP belaufen.24 Die Jahre 2004 und 2005 mit 3,0 Prozent und 2,6 Prozent Defizit dürften sozusagen „positive Ausrutscher“ vom Trend darstellen.25 24 25 Vgl. EUROPÄISCHE ZENTRALBANK: Konvergenzbericht 2004, Frankfurt 2004, S. 62-64. Vgl. Reimut JOCHIMSEN: Perspektiven der europäischen Währungsunion, Baden-Baden 1998, S. 51. Der Beitritt Tschechiens zum Euro 293 Für Tschechien ist es wichtig, die Vorgaben des Stabilität- und Wachstumspaktes zu erfüllen, welcher als Ziel einen mittelfristig ausgeglichen Haushalt vorsieht, da es sonst sehr schwierig sein dürfte, die Haushaltsposition unter 60 Prozent zu stabilisieren. Ein ausgeglichener Finanzierungssaldo würde dann im Zeitablauf dafür sorgen, dass die Schuldenquote weiter unter den Referenzwert bleibt. Ein Szenario der Deutschen Bundesbank verdeutlicht, was eine dauerhaft hohe Defizitquote für den Schuldenstand bedeuten würde: Abb.5: Entwicklung der Schuldenquoten Quelle: DEUTSCHE BUNDESBANK: Monatsbericht Juli 2003, S. 30 Unter den angegebenen Voraussetzungen könnte Tschechien nach diesem Szenario, wie zu erkennen ist, bis zum Jahr 2015 Schuldenquoten von 84,1 Prozent bzw. 94,2 Prozent erreichen. Zusammenfassend lässt sich zu diesem Kriterium also feststellen: Fände Ende 2005 eine Konvergenzprüfung statt, so würde Tschechien dieses Kriterium erfüllen. Das Referenzjahr 2003, welches für die Konvergenzprüfung 2004 herangezogen wurde zeigt, dass eine Erfüllung des Defizitkriteriums wegen eines Haushaltsdefizits in Höhe von 12,6 Prozent, welches auch bereinigt noch bei 6,6 Prozent lag, nicht gewährleistet werden konnte. Selbst wenn Tschechien die Defizitquote langfristig bei 3 Prozent stabilisiert, was nach Einschätzungen der EZB und der Kommission eher unwahrscheinlich Helmut Braun / Christoph Weigl 294 ist, würde der Schuldenstand trotzdem kontinuierlich steigen. 26 Vor allem die Veränderungen hinsichtlich des EU-Beitritts und der marktwirtschaftlich Aufholprozess werden sich auch zukünftig negativ auf die Defizitquote auswirken.27 Der EG-Vertrag sieht aber nicht nur die Erfüllung der beiden Größen vor, sondern er fordert eine auf Dauer tragbare Finanzlage der öffentlichen Hand. Nicht nur aufgrund der starken Schwankungen hinsichtlich des Defizits und des stark steigenden Schuldenstandes in Tschechien darf diese auf Dauer tragbare Finanzlage angezweifelt werden. 3.3. Entwicklung des langfristigen Zinssatzes Nachfolgende Grafik zeigt die Entwicklung des langfristigen Zinssatzes in Tschechien ab dem Jahr 2000: Abb.6: Entwicklung des langfristigen Zinssatzes Entwicklung des langfristigen Zinses 8,00% 7,00% 6,00% 5,00% 4,00% 3,00% 2,00% 1,00% 0,00% Entwicklung des langfristigen Zinses 6,94% 6,31% 4,87% 4,75% 3,53% 4,11% 2000 2001 2002 2003 2004 2005 * tschechische Staatsanleihe mit 10jähriger Laufzeit Quelle: Česká národní banka: http://www.cnb.cz/cnb/stat.STAT_DATA_ARAD.index_page?p_url=/cnb/stat.ARA DY_WWW.PARAMETRY_SESTAVY?p_csest=930%26p_ind=EBA%26p_lang=EN &p_lang=EN Der Referenzwert errechnet sich laut EGV aus dem Durchschnitt der langfristigen Zinssätze der drei preisstabilsten Länder, plus einem Zuschlag in Höhe von 2%: 26 27 Vgl. EUROPÄISCHE ZENTRALBANK: Konvergenzbericht 2004, Frankfurt 2004, S. 70-71. Vgl. Reimut JOCHIMSEN: Perspektiven der europäischen Währungsunion, Baden-Baden 1998, S. 58. Der Beitritt Tschechiens zum Euro 295 Abb.7: Berechnung des Referenzwerts 2005 Drei preisstabilste Länder Wert Finnland Dänemark Niederlande 3,35% 3,40% 3,37% Ungewogenes arithmetisches Mittel 3,37% (+) 2% = Referenzwert 5,37 % Quelle: http://epp.eurostat.cec.eu.int/portal/page?_pageid=0,1136173,0_45570704&_dad Zum Jahresende 2005 lag der Referenzwert bei 5,37 Prozent, die langfristigen Zinsen in Tschechien lagen bei 3,53% und demnach unter den Referenzwert. Bei einer Prüfung Ende 2005 würde Tschechien dieses Kriterium erfüllen. Von 2000 bis 2003 ist ein klarer Abwärtstrend der langfristigen Zinsen von 6,94% auf 4,11% zu erkennen, der folgende Ursachen hat:28 Zunächst spiegelt sich der Abwärtstrend im Nachlassen des Inflationsdrucks wider. Dies lässt dadurch erklären, dass der langfristige Nominalzins eine Inflationsrisikoprämie enthält, welche sich nach den Inflationserwartungen der Marktteilnehmer richtet. Auch die wachsende Glaubwürdigkeit der tschechischen Geldpolitik spielt eine erhebliche Rolle für die sinkenden Zinsen. Die tschechische Nationalbank hat sich die Geldwertstabilität als oberstes Ziel gesetzt und möchte diese mit direkter Inflationssteuerung erreichen. Aufgrund dieser Tatsachen senkte die tschechische Nationalbank ihren Leitzins von 6,25% Mitte 2001 auf 3% Mitte 2003. Im Jahr 2004 begannen die Zinsen wieder zu steigen, bei gleichzeitig steigender Inflation und zunehmender finanzpolitischer Unsicherheiten. Vor diesem Hintergrund hob die Česká národní banka den Leitzins im Juli 2004 auf 3,5 Prozent wieder an.29 Das Jahr 2005 war mit einer Reihe von Zinssenkungen verbunden, die schließlich zu einem Zinssatz in Höhe von 2,75 Prozent führten. Der Arbitrageprozess von kurzfristigen hin zu langfristigen Zinsen erklärt das Absenken auf 3,53 Prozent im langfristigen Bereich. Dauerhaft ist die Erfüllung des Zinskriteriums vor allem mit zwei wesentlichen Problemen und Hindernissen verbunden: Erstens ist es für Tschechien wichtig, die Inflation durch eine Weiterführung einer stabilitätsorientierten Geldpolitik möglichst auf einem niedrigen Niveau zu halten. Die inflationären Risiken, welche in erster Linie mit dem Aufholprozess und mit den Anpassungen im Rahmen des Beitritts zur Europäischen Union verbunden sind, machen jedoch steigende langfristige Zinsen in Zukunft wahrscheinlich. Zweitens verfügt Tschechien erst seit kurzer Zeit über langfristige Staatsanleihen und diese Papiere müssen sich erst eine gewisse Reputation und Vertrauen im Markt verschaffen. Der Kapital28 Eine Analyse über einen längeren Zeitraum ist bei den langfristigen Zinsen nicht möglich, da Tschechien erst seit kurzer Zeit langfristige Staatspapiere auflegt und deshalb für die Jahre vor 2000 keine Daten vorhanden sind. 29 Vgl. EUROPÄISCHE ZENTRALBANK: Konvergenzbericht 2004, Frankfurt 2004, S. 66. Helmut Braun / Christoph Weigl 296 markt in Tschechien befindet sich demnach noch in der Aufbauphase, deshalb ist es schwierig zu sagen, ob die langfristigen Zinsen momentan überhaupt einen hinreichenden Informationswert enthalten.30 3.4. Die Wechselkursentwicklung und das Kriterium der Währungsstabilität In einem weiteren Kriterium wird Tschechien von der Kommission auf Wechselkursschwankungen zwischen der tschechischen Krone und dem Euro geprüft: Abb.8: Entwicklung des Wechselkurses der Krone zum Euro Wechselkursentwicklung Krone/Euro 38,0000 36,8840 36,0000 34,7542 34,0000 35,9304 35,5990 36,0487 34,0680 31,8460 32,0000 31,8910 30,8040 30,0000 29,7820 28,0000 Wechselkursentwicklung Krone/ Euro 26,0000 1996 1997 1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 *Jahresmittelwerte Quelle: http://epp.eurostat.cec.eu.int/portal/page?_pageid=0,1136173,0_45570704&_dad Die gängige Interpretation des Wechselkurskriteriums sieht vor, dass ein Land nach dem Beitritt zur EU mindestens zwei Jahre spannungsfrei, d.h. ohne Abwertungen und in einer gewissen Schwankungsbreite, am Wechselkursmechanismus II (WKM II) teilnehmen muss, bevor eine Konvergenzprüfung erfolgen kann. Bei Abwertungen würde die „Zwei-Jahresfrist“ von vorne beginnen. Tschechien hat in den letzten zwei Jahren aber nicht am WKM II teilgenommen und konnte damit das Kriterium nicht erfüllen. Positiv zu bewerten ist aber, dass der Wechselkurs der tschechischen Krone von 1999 bis Mitte 2001 gegenüber den Euro kontinuierlich aufgewertet hat. Dies ist vor allem auf das zunehmende Vertrauen ausländischer Investoren in die tschechische Wirtschaft und auf den Konsolidierungskurs der Regierung zurückzuführen. Ab dem Jahr 2002 geriet der Wechselkurs zunehmend unter Druck, was in erster Linie bedingt war durch ein zunehmendes Leistungsbilanzdefizit.31 Im Jahr 2005 setzte sich dann die Aufwertung der Krone gegenüber den Euro fort. Ein Eurobeitrittsplan des tschechischen Finanzministeriums sieht einen Beitritt zum WKM II im Jahr 2008 vor.32 30 Vgl. Hans-Werner SINN: Interview „Eile tut Not“, in: Der Spiegel, 7/2004, S. 78. Vgl. EUROPÄISCHE ZENTRALBANK: Konvergenzbericht 2004, Frankfurt 2004, S. 65. 32 Vgl. http://www.radio.cz/de/artikel/66176. 31 Der Beitritt Tschechiens zum Euro 297 3.5. Vereinbarkeit tschechischer Rechtsvorschriften mit dem EWU-Beitritt Abschließend werden innerstaatliche Rechtsvorschriften Tschechiens auf ihre Vereinbarkeit mit dem EWU-Beitritt untersucht.33 Es ist richtig, dass Tschechien mit dem EU-Betritt den gemeinsamen Besitzstand der EU übernehmen musste und das damit die Vereinbarkeit bereits gewährleistet sein müsste. Jedoch gibt es gewisse Ausnahme- und Übergangsregelungen für die tschechische Nationalbankgesetzgebung, die im Hinblick der künftigen Integration der Česká národní banka in die EWU für problematisch erachtet werden: Denn die Verfassung der tschechischen Republik und das Gesetz über die Česká národní banka bilden die Rechtsgrundlage der Česká národní banka und ihrer Kerngeschäftstätigkeit: Vor allem was die personelle und finanzielle Unabhängigkeit der Zentralbank betrifft, ist in Tschechien in einigen Bereichen noch Anpassungsbedarf nötig. So ist beispielsweise der tschechische Staatspräsidenten befugt, den Präsidenten der Česká národní banka, wenn dieser seinen Aufgaben über einen Zeitraum von mehr als sechs Monaten nicht nachkommt, aus seinem Amt zu entlassen. Die Gründe und Ursachen, welche zur Entlassung führten, werden jedoch nicht genau definiert. Dies widerspricht den personellen Unabhängigkeitsvorstellungen der EZB, die präzise Definitionen von Entlassungsgründen vorsehen. Außerdem ist nicht sichergestellt, dass die Finanzkontrolle der tschechischen Nationalbank allein auf einer rein sachlichen Grundlage ohne jegliche politische Erwägungen erfolgt. Denn es wird nicht nur die Ordnungsmäßigkeit durch den tschechischen Rechnungshof (NKU) geprüft, sondern auch die Effektivität und Wirtschaftlichkeit, was aber die Zentralbank einschränken könnte, unabhängig von Regierungsstellen und sonstigen Institutionen und Einrichtungen ihre Aufgaben zu erfüllen.34 Die innerstaatlichen Rechtsvorschriften bezüglich der Česká národní banka erfüllen damit noch nicht die Voraussetzungen für den Beitritt zum ESZB, dem Europäischen System der Zentralbanken, wie es Artikel 109 EGV vorsieht und sind daher nicht mit einem EWU-Beitritt vereinbar. An dieser Stelle noch weitere Beispiele, vor allem in den Bereichen der Geheimhaltung, des Instrumentariums und der Wechselkurspolitik der Zentralbank angeführt werden, die aufgezeigten Beispiele verdeutlichen jedoch die Problematik. Einen entsprechenden politischen Willen vorausgesetzt, könnten diese institutionellen Hemmnisse im Rahmen der Gesetzgebung binnen kurzer Zeit aber beseitigt werden. 4. Die EGV-Kriterien und der Balassa-Samuelson-Effekt: Probleme bei der Kriterienerfüllung im langfristigen Kontext Ein grundlegendes Problem aller Beitrittstaaten zum Euro, wobei es für diese Länder eben keine opting-out-Möglichkeit mehr gibt, ist nicht nur die vorgestellte formale Erfüllung der Beitrittskriterien, sondern das im Zuge des von der Transformation bedingten wirtschaftlichen Aufholprozesses diese Kriterien auch in Zukunft erfüllt werden müssen. Dabei kann es, auch aufgrund noch zu unterschiedlicher Ausgangspositionen für eine reale Konvergenz, beispielsweise im „Pro-Kopf-Einkommen“ im europäischen Vergleich, zu einer Beeinträchtigung 33 34 Vgl. Artikel 109 EG-Vertrag. Europäische Zentralbank: Konvergenzbericht 2004; Frankfurt 2004, S.240-241. 298 Helmut Braun / Christoph Weigl der internationalen Wettbewerbsfähigkeit kommen, was durch die vertragliche Begrenzung staatlicher Haushaltsdefizite das Wachstum hemmen kann, etwa im Bereich der Finanzierung staatlicher Infrastrukturmaßnahmen. Entscheidend sind damit durch Kaufkraftparitäten erfassbare35 Wirkungen auf die Löhne, Preise und die Wechselkurse der beitrittswilligen Länder mit ihren noch vergleichsweise unterentwickelten Volkswirtschaften bei ihrem wirtschaftlichen Aufholprozess gegenüber entwickelten Volkswirtschaften in einem gemeinsamen Wirtschafts- und Währungsraum. Analytisch erfassbar sind diese Zusammenhänge durch den so genannten Balassa-Samuelson-Effekt.36 Ausgangspunkt ist bei diesem Effekt die Beobachtung, dass bei international nicht-handelbaren Gütern die Preise von Land zu Land stark voneinander abweichen. Dabei handelt es sich bei den nicht grenzüberschreitend handelbaren Gütern nicht, wie oft betont37, nur um Immobilien, Handel und Dienstleistungen, sondern auch der öffentliche Sektor hat mit seinen nicht grenzüberschreitend handelbaren Gütern eine bedeutende Rolle. Der Grund für die Preisunterschiede liegt hauptsächlich im Stand der wirtschaftlichen Entwicklung, denn in wirtschaftlich stärker entwickelten Ländern liegen die Preise für nicht-handelbare Güter tendenziell höher. Der hohe Lebensstandard beruht dabei auf einem hohen Produktivitätsniveau im Sektor der handelbaren Güter, vor allem des verarbeitenden Gewerbes mit seinem hohen Lohnniveau. 38 Dieses hohe Lohnniveau im Sektor der handelbaren Güter führt auch zu hohen Löhnen im Sektor der nicht-handelbaren Güter, da ansonsten die Arbeitskräfte abwandern würden und zudem ein zu hoher Lohnabstand mit Gerechtigkeitsvorstellungen kollidieren würde:39 Aber eine durch Produktivitätssteigerungen bedingte Steigung der Löhne im Sektor der handelbaren Güter bewirkt eine Lohnsteigung im Sektor der nicht-handelbaren Güter, die jedoch nicht mit einer Steigerung der Produktivität einhergeht und so inflationäre 35 Zu den Problemen der Kaufkraftparitätentheorie allgemein und in Verbindung mit dem Distributionssektor, der im Sine einer Balassa-Samueleson-Analyse nicht allein als nur dem Bereich der nicht-handelbaren Güter angehörend betrachtet werden kann vgl. Ronald MACDONALD / Luca RICCI: PPP and the Balassa Samuelson Effect: The Role of the Distribution Sector, De Nederlandsche Bank DNB Staff Reports no. 81, 2002. 36 Vgl. Béla BALASSA: „The Purchasing-Power Parity Doctrine: A Reappraisal“, in: Journal of Political Economy, Vol. LXXII, 1964, S. 584-596; Paul A. SAMUELSON: “Theoretical Notes on Trade Problems”, in: Review of Economics and Statistics, Vol. XLVI, 1964, S. 111-154. Gelegentlich wird er auch als Ricardo-Viner-Harrod-BalassaSamuelson-Penn-Bhagwati-usw.-Effekt bezeichnet. Vgl. Paul A. SAMUELSON: “Facets of Balassa-Samuelson Thirty Years Later”, in: Review of International Economics, Vol. 2, 1994, S. 201-226. 37 Balázs ÉGERT / Ihmed DRINE / Kirsten LOMMATZSCH / Christophe RAULT: “The Balassa-Samuelson-Effekt in Central and Eastern Europe: Myth or Realtiy?”, in: Journal of Comparative Economics, 2003, S.552-572. 38 Vgl. Egon GÖRGENS / Karlheinz RUCKRIEGEL / Franz SEITZ: Europäische Geldpolitik, Stuttgart 2004, S. 35-40. 39 Vgl. ECE (UN- ECONOMIC COMMISSION FOR EUROPE): Economic Survey of Europe 2001, No.1; United Nations New York, Geneva, chapter 6, S. 231. Der Beitritt Tschechiens zum Euro 299 Tendenzen als Folge hat.40 Daneben zeigen die Lohnsteigerungen im Sektor der handelbaren Güter spezielle Folgen für den Staat, dessen Beschäftigte eben nichthandelbare Güter herstellen und durch Abwanderungsandrohungen in den höher entlohnten Sektor der handelbaren Güter Lohnanpassungen über ihre Produktivität hinaus durchsetzen können. Diese Lohnsteigerung hat, neben ihrer inflationären Wirkung und damit auf das Inflationskriterium, auch einen Einfluss auf andere Konvergenzkriterien: Steigende Löhne im öffentlichen Sektor bewirken, dass die Staatsausgaben steigen. Die Regierung hat hier drei nationale Reaktionsmöglichkeiten:41 Sie kann, erstens, die regulierten Preise für öffentliche Dienstleistungen anheben. Sie kann, zweitens, die Steuerbelastung erhöhen oder, drittens, die Lohnsteigerung durch Verschuldung finanzieren, was zu einem steigenden Budgetdefizit durch die Neuverschuldung führt und vorhandene Schuldenbestände erhöht. Damit ist die im EVG geforderte Erfüllung mindestens eines der Kriterien, das Inflationskriterium oder das Defizit- und Verschuldungskriterium bezüglich der öffentlichen Finanzen, verletzt. Es zeigt sich zudem ein weiteres Dilemma zwischen dem Inflationskriterium und dem Wechselkurskriterium: Kommt es durch den Balassa-Samuelson-Effekt zu tendenziellen Preisaufschlägen, dann würden durch eine nominale Aufwertung die handelbaren Güter billiger, gemessen in heimischer Währung, und der Inflation wäre gegengesteuert worden. Folgendes Dilemma bringt diese Aufwertung jedoch mit sich: Entweder werden die EU-Vorgaben einer niedrigen Inflation eingehalten, dann würde eine nominale Aufwertung42 benötigt werden und ein Verstoß gegen die Wechselkursvorgabe wäre die Folge, oder es werden die Wechselkursvorgaben eingehalten, und eine steigende Inflationsrate wäre das Ergebnis. Die Verpflichtung zur nachhaltigen Erfüllung der aller Beitrittskriterien führt damit in ein Trilemma.43 Damit stellt sich die Frage, ob Balassa-Samuelson-Effekte in den zentral- und osteuropäischen Ländern einen Beitritt zur Wirtschafts- und Währungsunion mit 40 Vgl. Josef FALKINGER jun.: Die Maastricht – Kriterien und das Trilemma der neuen EU-Mitglieder, Materialien zu Wirtschaft und Gesellschaft Nr. 98, hrsgg. von der Abteilung Wirtschaftswissenschaft und Statistik der Kammer für Arbeiter und Angestellte für Wien, Wien Februar 2006, S. 10-14. 41 Vgl. Katarzyna ŽUKROWSKA: Methods available to overcome the Balassa-Samuelson effect in a catching-up economy, www.departments.bucknell.edu/management/apfa/Zakopane%20Papers/Zukrowska.doc 42 Reale Aufwertungen hingegen indizieren Produktivitätsfortschritte im Sektor der handelbaren Güter der aufholenden Länder und sind für diese ein natürliches Phänomen in Richtung Gleichgewicht; deshalb sind hier keine Notwendigkeiten für politische Interventionen anzeigt. Nebenbei erwähnt, betont die offizielle Position der Europäischen Union in Wechselkursfragen gegenüber potentiellen Beitrittskandidaten zum Euro, dass die Währungen im Referenzzeitraum nicht abwerten dürfen; von einer Aufwertung als Beitrittshindernis wird nicht gesprochen. Vgl. Fritz BREUSS: Balassa-Samuelson Effects in the CEEC: Are they Obstacles for Joining the EMU?, IEF Working Paper Nr. 52, Vienna May 2003. 43 Vgl. Josef FALKINGER jun.: Die Maastricht – Kriterien und das Trilemma der neuen EU-Mitglieder, Materialien zu Wirtschaft und Gesellschaft Nr. 98, hrsgg. von der Abteilung Wirtschaftswissenschaft und Statistik der Kammer für Arbeiter und Angestellte für Wien, Wien Februar 2006, S. 13-14. 300 Helmut Braun / Christoph Weigl einer Einführung des Euro behindern.44 Die Literatur diskutiert diese Frage sehr kontrovers: Neben theoretischen Diskussionen über die Kaufkraftparitätentheorie und der langfristigen Wirkungen von realen Wechselkursveränderungen45, dem Investitionskanal als zusätzlichen Wirkungskanal46 liegen insbesondere bezüglich der empirischen Quantifizierbarkeit der Wirkungen des Balassa-SamuelsonEffektes die Einschätzungen teilweise weit auseinander.47 Diese theoretischen Probleme wurden in Tschechien durchaus erkannt und bei den Reaktionen auf die Wirkungsweisen des Balassa-Samuelson Effekts kann die Anwendung aller drei nationalen Möglichkeiten beobachtet werden.48 Dennoch ist die Tschechische Zentralbank der Meinung, dass insbesondere im Produktivitätsunterschied gegenüber Deutschland der Balassa-Samuelson Effekt eher gering sei; es wird von einer realen jährlichen Aufwertungsrate von 1% ausgegangen. Die von außerhalb Tschechiens oft vorgebrachte Meinung, die tschechische Krone müsste aufgrund des Balassa-Samuelson Effekts mittelfristig gegenüber dem Euro nominal aufwerten, wird von der Zentralbank abgelehnt.49 Werden die genannten Aspekte aber zusammen bewertet, so lässt sich dennoch schlussfolgern, dass Tschechien mittel- und langfristig weiterhin mit einem, im Vergleich zu den EU 15 Ländern, überdurchschnittlichen Preisanstieg zu rechnen hat. Die durchgeführten Reformen auf den Güter- und Finanzmärkten haben aber eine die Preise dämpfende Wirkung. Für Tschechien würde die Möglichkeit bestehen, diese Inflationsgefahr abzumildern, indem es nominal seine Währung aufwertet. 5. Zusammenfassende Beurteilung Die Kriterienerfüllung im Rahmen einer fiktiven Konvergenzprüfung Ende 2005 erbrachte folgende, einer Momentaufnahme vergleichbare Ergebnisse: Die Konvergenzkriterien Tschechiens zur Wirtschafts- und Währungsunion und damit zur Einführung des Euro wären rein formal in den Bereichen der Preisstabilität, der Finanzlage der öffentlichen Hand sowohl bei der Defizit- als auch bei der Ver44 Vgl. Fritz BREUSS: Balassa-Samuelson Effects in the CEEC: Are they Obstacles for Joining the EMU?, IEF Working Paper Nr. 52, Vienna May 2003. 45 Vgl. João Ricardo FARIA / Miguel LEÓN-LEDESMA: Testing the Balassa-Samuelson Effect: Implications for growth and PPP, Universityof Technology, Sydney, Australia and Universityof Kent, Canterbury, UK, September 2000; Martin CINCIBUCH / Jiři PODPIERA: “Beyond Balassa-Samuelson: Real appreciation in tradable in transition countries”, in: Economics of Transition, Vol. 14, 2006, S. 547-573. 46 Vgl. Christoph FISCHER: Real currency appreciation in accession countries: BalassaSamuelson and investment demand, Economic Research Center of the Deutsche Bundesbank, discussion paper 19/02, Frankfurt am Main July 2002. 47 Vgl. Dubravko MIHALJEK / Marc KLAU: The Balassa-Samuelson effect in central Europe: a disaggregated analysis, Bank for International Settlements, Monetary and economic department, BIS Working Paper No. 141, Basel October 2003; BANQUE DER FRANCE: Measuring the Balassa-Samuelson effect for the countries of Central and eastern Europe? Banque de France Bulletin Digest No. 122, Paris February 2004. 48 Vgl. EUROPÄISCHE ZENTRALBANK: Konvergenzbericht 2004, Frankfurt 2004, S. 61-64. 49 Vgl. CZECH NATIONAL BANK: The Balassa-Samuelson effect, (anney), April 2002, http://www.cnb.cz/www.cnb.cz/en/monetary-policy/inflation_reports/boxes_annexes. Der Beitritt Tschechiens zum Euro 301 schuldungsquote sowie bei Kriterium des langfristigen Zinssatzes ohne Zweifel erfüllt gewesen. Gewisse, aber durch eine entsprechende Gesetzgebung in kurzer Zeit heilbare Verfehlungen der Voraussetzungen bestehen noch im institutionellen Rahmen der Unabhängigkeit der tschechischen Zentralbank. Die Erfüllung des Wechselkurskriteriums hingegen scheitert an der banalen Tatsache, dass die Tschechische Krone im relevanten Zeitraum nicht Mitglied des Wechselkursmechanismus beziehungsweise des EWS II war; bemerkenswert war hier aber die Stabilität der Krone gegenüber dem Euro. Würde die Europäische Kommission und die Europäische Zentralbank nach einer Prüfung Ende 200550 dem Ecofin – Rat eine Empfehlung zum Euro-Beitritt Tschechiens abgeben, so würde diese dennoch negativ ausfallen. Denn nach Untersuchung der wirtschaftlichen Konvergenz der Tschechischen Republik lässt sich festhalten, dass ein Euro-Beitritt nach dem momentanen Stand der Dinge vor 2010 nicht zu erwarten ist. Das tschechische Finanzministerium selbst gab zu erkennen, dass Tschechien die zweijährige Teilnahme am WKM II erst 2008 anstrebt. Ein Beitritt vor 2010 ist demnach sachlich schon gar nicht möglich. Die andauernd tragfähige Erfüllung der Kriterien der Preisstabilität, verbunden mit der Konvergenz der langfristigen Zinsen und die Finanzlage der öffentlichen Hand, beanspruchen aber möglicherweise einen noch längeren Zeitraum als bis 2010, auch wenn sie Ende 2005 erfüllt wurden. Denn die Analyse hat ergeben, das der marktwirtschaftliche Aufholprozess noch eine gewisse Zeit andauert, was in Unsicherheiten und größeren Schwankungen bei der Preisstabilität und der Finanzlage der öffentlichen Hand seinen Niederschlag finden wird. Auch die von der tschechischen Regierung bereits eingeleiteten Konsolidierungs- und Liberalisierungsmaßnahmen werden, bis sie vollständig greifen können, einige Zeit in Anspruch nehmen. Es ist also durchaus denkbar, dass ein hinreichender Grad an Homogenität mit den bisherigen Euro-Ländern erst Mitte des nächsten Jahrzehnts erreicht werden kann. Auch die Untersuchung des Balassa-Samuelson-Effekt und dessen vermutliche Auswirkungen unterstreicht diese Annahme. Aufgrund des bisherigen „politischen Umgangs“ mit den Konvergenzkriterien ist es jedoch mehr als fraglich, ob bei beitrittswilligen Ländern eine „buchstabengetreue“ Einhaltung der Konvergenzkriterien durchgesetzt werden kann bzw. wird und ob die Konvergenz auch Beachtung findet. Belgien und Italien beispielsweise hatten bei der Konvergenzprüfung 1998 eine öffentliche Schuldenquote von über 100% des BIP. Die Staats- und Regierungschefs stimmten einem Betritt dieser beiden Länder trotz gewisser Vorbehalte der Kommission zu. Problematisch stellt sich auch die Art und Weise der Prüfung dar. Um über den Beitritt eines Landes zu entscheiden, wird zur Prüfung ein gewisser einjähriger Referenzzeitraum hergenommen, der für die Erfüllung der Konvergenzkriterien entscheidend ist. Es handelt sich hier demnach lediglich um eine Momentaufnahme; eine nachhaltige oder langfristige Konvergenz des beitretenden Landes spielt somit nur eine untergeordnete Rolle. Außerdem besteht die Gefahr, wie in Italien geschehen, dass Länder versuchen durch Einmalmaßnahmen die Kriterien im Re50 Im eigentlichen Konvergenzbericht wurden für den Referenzzeitraum die Jahre 2003 und 2004 gewählt. 302 Helmut Braun / Christoph Weigl ferenzzeitraum zu erfüllen. 51 Auch ist zu beachten, dass durch die EUAusweitung auf nun 25 Länder eine zunehmende Heterogenität das Analysefundament bildet, was dazu führt, dass vor allem das Inflationskriterium nur noch eine geringe Aussagekraft aufweist. Unabhängig davon ist ein zu früher Beitritt zur Währungsunion eher für Tschechien selbst schädlich. Die Bundesbank macht dies deutlich, wenn sie sagt, dass die Länder „einen verfrühten Beitritt mit dauerhaften Wettbewerbsnachteilen bezahlen“52. Denn nach dem Beitritt zum Euro hat Tschechien nicht mehr die Möglichkeit, eigene geldpolitische Impulse zu setzen. Wechselkursanpassungen und das generelle Fehlen der autonomen Bestimmung des geldpolitischen Kurses beherbergen erhebliche Risiken für die internationale Wettbewerbsfähigkeit Tschechiens und den Fortgang des Aufholprozesses.53 Die Tschechische Republik wäre demnach gut beraten, den Euro-Beitritt nicht vorzeitig erzwingen zu wollen. Erst eine nachhaltige wirtschaftliche Konvergenz, verbunden mit einem preisstabilen Umfeld, in welchem sich die Maßnahmen der tschechischen Regierung sukzessive entfalten können, ermöglichen es den positiven Effekten und Vorteilen des Euros sich volle Geltung zu verschaffen. 51 Italien hatte 1997 eine weitgehend rückzahlbare Eurosteuer eingeführt, um so die Einnahmen zu erhöhen und das Defizitkriterium von 3% zu erreichen. 52 DEUTSCHE BUNDESBANK: „Währungspolitische Aspekte der EU-Erweiterung“, in: Monatsbericht, Oktober 2001, 53. Jg., S. 29. 53 Vgl. Egon GÖRGENS / Karlheinz RUCKRIEGEL / Franz SEITZ: Europäische Geldpolitik, Stuttgart 2004, S. 55.