Leseprobe Hans-Jochen Bartsch Taschenbuch mathematischer Formeln für Ingenieure und Naturwissenschaftler ISBN: 978-3-446-42785-3 Weitere Informationen oder Bestellungen unter http://www.hanser.de/978-3-446-42785-3 sowie im Buchhandel. © Carl Hanser Verlag, München 666 13 Statistik, Stochastik Ereignisse Jede Teilmenge A ⊆ Ω einschließlich der leeren Menge 0/ (unmögliches Ereignis) und der Gesamtmenge Ω (sicheres Ereignis) heißt Ereignis. A tritt ein, wenn bei einem Versuch eines seiner Elementarereignisse eintritt. Ereignisse können verbal beschrieben werden oder als Menge durch Aufzählung ihrer Elementarereignisse. Beispiele (1) Zufallsexperiment: Werfen eines Würfels Ω = {1, 2, 3, 4, 5, 6} Ereignis A = „Werfen einer geraden Zahl“ = {2, 4, 6} ⊆ Ω A tritt z. B. ein, wenn eine 2 gewürfelt wird. (2) Zufallsexperiment: Lebensdauer eines technischen Gerätes messen Ω = [0; ∞) Ereignis A = „Gerät hält weniger als 3000 h“ = [0; 3000) ⊆ Ω Relationen zwischen Ereignissen A ist Teilmenge von B, mit A tritt stets B ein, A zieht B nach sich A = B Gleichheit, mit A tritt auch B ein und umgekehrt, (A ⊆ B) ∧ (B ⊆ A) A⊆B Operationen mit Ereignissen A ∪ B Summe (Vereinigung), es tritt mindestens eines der beiden Ereignisse ein A ∩ B Produkt (Schnitt), A und B treten gleichzeitig ein A \ B Differenz, A tritt ein, aber B nicht A Komplement, Gegenereignis, A tritt genau dann ein, wenn A nicht eintritt Rechenregeln für Ereignisse A∩B=B∩A A∪B=B∪A (Kommutativgesetze) A ∩ (B ∩ C) = (A ∩ B) ∩ C A ∪ (B ∪ C) = (A ∪ B) ∪ C (Assoziativgesetze) A ∩ (B ∪ C) = (A ∩ B) ∪ (A ∩ C) A ∪ (B ∩ C) = (A ∪ B) ∩ (A ∪ C) (Distributivgesetze) 13.2 Wahrscheinlichkeitsrechnung A∩B=A∪B A∪B=A∩B A ∩ 0/ = 0/ A ∩ A = 0/ 667 (DE M ORGANsche Gesetze) A ∪ 0/ = A A∪A=Ω Disjunkte Ereignisse Zwei Ereignisse A, B ⊆ Ω heißen disjunkt, (unvereinbar, schnittfremd), falls / A ∩ B = 0. Disjunkte Ereignisse können nicht gleichzeitig eintreten, sie schließen sich gegenseitig aus. Beispiel Die Ereignisse A: „Werfen einer geraden Zahl“ und B: „Werfen einer ungeraden Zahl“ beim Würfeln sind disjunkt. 13.2.2 Definition der Wahrscheinlichkeit Empirischer Wahrscheinlichkeitsbegriff Führt man einen Versuch sehr oft (n-mal) unter gleichen Bedingungen durch, so strebt die relative Häufigkeit eines Ereignisses A gegen einen festen Wert P(A). Dieser Wert heißt Wahrscheinlichkeit von A: hn (A) P(A) ≈ n hn (A) Anzahl des Eintretens von A bei n unabhängigen Wiederholungen eines Versuchs h(A) schwankt bei immer größerem n immer weniger um einen gewissen n Wert P(A) 1) . P(A) ist ein Maß dafür, wie häufig ein Ereignis auf lange Sicht eintritt. Im Gegensatz zum strengen Konvergenzbegriff der Analysis kann man aber zu einer vorgelegten Abstandsschranke ε > 0 kein n0 angeben, sodass |P(A) − hn (A)/n| < ε ist für n ≥ n0 . Daher ist der empirische Wahrscheinlichkeitsbegriff als Grundlage der modernen Stochastik unbrauchbar, stattdessen wählt man die 1) gelesen „P von A“, von engl. „probability“ 13 668 13 Statistik, Stochastik Axiomatische Definition der Wahrscheinlichkeit (nach A. N. KOLMOGOROFF) Jedem Ereignis A ⊆ Ω wird eine reelle Zahl P(A), seine Wahrscheinlichkeit, zugeordnet, sodass folgende Axiome erfüllt sind: Axiom 1: 0 ≤ P(A) ≤ 1 Axiom 2: P(Ω) = 1 Axiom 3: Für paarweise disjunkte Ereignisse A1 , A2 , . . . ist P(A1 ∪ A2 ∪ . . .) = P(A1 ) + P(A2 ) + . . . Paarweise disjunkt: Ai ∩ A j = 0/ für i 6= j, i, j ∈ N Die drei Axiome werden nicht bewiesen, stellen aber zusammen mit den Axiomen der reellen Zahlen die Grundlage der Wahrscheinlichkeitsrechnung dar. Aus ihnen werden alle weiteren Sätze streng hergeleitet. Daneben im täglichen Leben: Subjektiver Wahrscheinlichkeitsbegriff, um die Stärke eines Vorsatzes oder den Grad empirischen Wissens auszudrücken: „Wahrscheinlich komme ich morgen nicht zur Vorlesung“ oder „Mit ziemlicher Sicherheit bekommen wir bis Jahresende einen neuen Chef“. 13.2.3 Sätze über Wahrscheinlichkeiten Aus den Axiomen lassen sich unmittelbar folgende Sätze herleiten: Wahrscheinlichkeit des unmöglichen Ereignisses / =0 P(0) Wahrscheinlichkeit des Gegenereignisses P(A) = 1 − P(A) Monotonie der Wahrscheinlichkeit A ⊆ B ⇒ P(A) ≤ P(B) 13.2 Wahrscheinlichkeitsrechnung 669 Additionssatz für beliebige Ereignisse Für zwei Ereignisse: P(A ∪ B) = P(A) + P(B) − P(A ∩ B) Für drei Ereignisse: P(A ∪ B ∪ C) = P(A) + P(B) + P(C) − P(A ∩ B) − P(A ∩ C) − P(B ∩ C) + P(A ∩ B ∩ C) Die Ereignisse A, B und C müssen nicht notwendig disjunkt sein, daher „beliebige Ereignisse“. Im Fall der Disjunktheit sind alle Wahrscheinlichkeiten von Schnittmengen gleich 0 und man erhält das dritte KOLMOGOROFFsche Axiom als Spezialfall des Additionssatzes. Additionssatz für zwei Ereignisse Satz von L APLACE Besteht der Elementarereignisraum Ω aus nur endlich vielen Elementarereignissen, die alle gleichwahrscheinlich sind, so gilt für jedes Ereignis A ⊆ Ω P(A) = Anzahl der für A günstigen Elementarereignisse |A| = |Ω| Anzahl der überhaupt möglichen Elementarereignisse |A| Mächtigkeit von A, Anzahl der Elemente von A Die L APLACE-Annahme „Alle Elementarereignisse gleichwahrscheinlich“ wird in der Praxis als gegeben angesehen, wenn es keinen Grund zu der Annahme gibt, ein Elementarereignis sei gegenüber den anderen in irgendeiner Weise bevorzugt. Dies ist z. B. der Fall bei einem geometrisch und physikalisch perfekt gefertigten Würfel (L APLACE-Würfel) oder bei der Ziehung einer Zufallsstichprobe. Beispiele (1) Werfen eines L APLACE-Würfels, Ereignis A = „Augenzahl > 4“ |{5, 6|} 2 1 P(A) = = = |{1, 2, 3, 4, 5, 6}| 6 3 13