Vortrag beim Europäischen Gewerkschaftsbund1

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"Beyond the crisis: Developing sustainable alternatives"
Hintergrundinformation zum Vortrag auf der Konferenz
des Europäischen Gewerkschaftsbunds ETUI (european trade union institute)
vom 10.-11. September 2009 in Brüssel zum Thema
"How did we get there – have we reached a consensus?"
von Friederike Spiecker
Die Ursachen der Finanz- und Wirtschaftskrise sind vielschichtig. Ein Hauptproblem ist die
seit Jahren forcierte Deregulierung der Finanzmärkte. Letzten Endes führte sie zu einer
Aufweichung des Geldmonopols der Zentralbanken. Damit standen finanzielle Mittel für
spekulative Geschäfte in großen Mengen zur Verfügung. Spekulationen führen – anders als
von vielen Ökonomen behauptet – nicht automatisch zu "Gleichgewichts"preisen, die ohne sie
auf Dauer sowieso zustande gekommen wären aufgrund von realwirtschaftlichen
Fundamentaldaten. Vielmehr können sie bei entsprechend großem Volumen Preise verzerren
und zumindest für eine gewisse Zeit eigene Trends in die Welt setzen, die den
Fundamentaldaten komplett zuwider laufen. Mit dem Platzen spekulativer Preisblasen werden
diese falschen Trends zwar wieder korrigiert – die realwirtschaftliche Wirklichkeit holt die
monetäre Traumtänzerei irgendwann ein –, aber in aller Regel unterschießen die Preise dann
das, was die Fundamentaldaten zuvor erfordert hätten. Schlimmer noch: Das
spekulationsbedingte Auf und Ab der Preise behindert die Realwirtschaft derart, dass die
realwirtschaftlichen Fundamentaldaten ihrerseits auf die spekulativen Trends reagieren, denen
sie angeblich Orientierung geben.
Die Realwirtschaft, also der Sektor der nicht der Finanzbranche angehörenden Unternehmen,
leidet daher extrem unter der Deregulierung des Finanzsektors: Bereits vor der Krise konnten
Sachinvestoren mit den im Spekulationsgeschäft kurzfristig erzielbaren Renditen kaum
konkurrieren, so dass viele Finanzmittel nicht in Sachinvestitionen flossen, sondern in das
globale Finanzkasino wanderten. Die Sachinvestitionen blieben deshalb in den Boomzeiten
hinter dem zurück, was ohne Spekulationsmotor möglich gewesen wäre. Seit Ausbruch der
Krise gerieten durch die extremen Preisschwankungen bei Rohstoffen und Währungen die
Kalkulationsgrundlagen vieler Sachinvestoren dermaßen durcheinander, dass sie wie gelähmt
sind und mit Abwarten reagieren – ein einzelwirtschaftlich rationales Verhalten mit
gesamtwirtschaftlich katastrophalen Folgen. Zudem haben sich die
Finanzierungsbedingungen für Investitionen deutlich verschlechtert, weil viele
Finanzintermediäre, die sich jahrelang als Croupiers und Spieler des globalen Finanzkasinos
betätigt haben, ihre Wunden lecken und jetzt risikoavers agieren.
Ich möchte mich bei der Analyse, wie es zur Finanzkrise kam, auf einen Aspekt der
Realwirtschaft konzentrieren, der meines Erachtens eine erhebliche Rolle spielt und
Ansatzpunkte bietet, welche Lehren aus der Krise zu ziehen sind und was die Gewerkschaften
dazu beitragen können. Es geht darum, dass die Realwirtschaft in vielen Ländern nicht nur
unter dem globalen Finanzkasino schon vor der Krise gelitten hat und seit Ausbruch der Krise
leidet, sondern dass die Realwirtschaft dem Finanzkasino auch Vorschub geleistet hat, also
mit ursächlich ist für die Krise. Die Rede ist von den immensen Handelsungleichgewichten,
die sich in den letzten zehn Jahren weltweit aufgebaut haben. Sie waren zwar nicht direkt
Auslöser der Finanzkrise, aber – das ist meine These – sie stellten eine Art Treibstofflager
dar, das die Spekulationsblasen mit speiste und bei deren Platzen enorme Explosionskräfte
frei setzte. (evtl. Grafik )
Wie kommen Handelsungleichgewichte zustande? Ein Land verkauft netto mehr an andere
Länder, wenn es insgesamt wettbewerbsfähiger ist als die Handelspartner.
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Wettbewerbsfähiger ist es, wenn es seine Waren im Schnitt billiger anbieten kann als die
Konkurrenz. Ein Land gewinnt insgesamt an internationaler Wettbewerbsfähigkeit, wenn
seine Inflationsrate unter der anderer Länder bleibt und gleichzeitig seine Währung nicht
entsprechend aufwertet. Umgekehrt verliert ein Land an Wettbewerbsfähigkeit und baut
Handelsdefizite auf, wenn es dauernd höhere Inflationsraten aufweist als seine
Handelspartner. Handelsüberschüsse bedeuten logisch zwingend Aufbau von Vermögen im
Ausland, Handelsdefizite bedeuten umgekehrt zwingend Verschuldung im Ausland. Schulden
und Vermögen sind jeweils das monetäre Spiegelbild der güterwirtschaftlichen
Ungleichgewichte.
Die gesamtwirtschaftlichen Lohnstückkosten bestimmen den vom jeweiligen Land selbst zu
verantwortenden Teil der Inflation, der Rest geht auf die Importpreise zurück, auf die das
Land keinen direkten Einfluss hat. Um wie viel die Preise in einer Volkswirtschaft insgesamt
steigen, hängt also davon ab, um wie viel die Stundenlöhne schneller wachsen als die
Stundenproduktivität. (evtl. Grafik) Wegen dieses für Marktwirtschaften fundamentalen
Zusammenhangs von Löhnen und Preisen ist das Land mit der langsamsten
Lohnstückkostenentwicklung im Außenhandel das erfolgreichste und umgekehrt. (evtl.
Grafik)
Nun gibt es aber auch noch die Welt außerhalb der EWU mit ihren Devisenmärkten, auf
denen der Wert der Währung eines Landes im Vergleich zu den anderer Länder bestimmt
wird (zumindest wenn sie frei sind). Macht ein Land über Jahre hinweg im Handel mit dem
Ausland Defizite in einer Größenordnung, die im Vergleich zu seiner Wirtschaftskraft und
dem zu erwartenden Wachstum des Landes erheblich sind, schwindet das Vertrauen der
Gläubiger, dass das verschuldete Land langfristig in der Lage ist, diese Schulden zu bedienen.
Dann versuchen die Gläubiger, die Schuldtitel, die sie von dem verschuldeten Land halten, zu
verkaufen und die dafür erhaltene Landeswährung des Defizitlandes umzutauschen in die
eigene Währung oder die eines anderen Staates, dessen Bonität besser ist. Die automatische
Folge ist, dass die Kapitalmarktzinsen in dem Defizitland steigen und die angebotene
Währungsmenge des Defizitlandes zunimmt und daher der Preis der Währung des
Schuldnerlandes fällt: Das Land wertet ab.
Das allein wäre noch kein Grund, der gegen den zeitweisen Aufbau von
Handelsungleichgewichten spräche: Die Devisenmärkte korrigieren eben irgendwann, was an
Fehleinschätzungen über zukünftige Entwicklungsmöglichkeiten eines Landes kursiert, so
dass auf Dauer kein Land zahlungsunfähig wird. Aber stimmt das wirklich? Wenn an den
Devisenmärkten nur diejenigen teilnähmen, die tatsächlich realwirtschaftlich aktiv sind, die
also im Rahmen güterwirtschaftlicher Handelsgeschäfte Devisen benötigen, um ihre
Transaktionen durchzuführen, dann ließe sich so argumentieren.
Aber an den Devisenmärkten nehmen noch andere Leute teil, die nichts mit der
güterwirtschaftlichen Ebene zu tun haben, sondern rein auf der monetären Seite arbeiten und
daher einen ganz anderen, nämlich einen sehr kurzfristigen Zeithorizont haben. Das sind dank
der Finanzmarktderegulierung so viele und mit so viel (oft geliehenem) Geld ausgestattete
Marktteilnehmer geworden, dass sie gegenüber den realwirtschaftlich Aktiven rein vom
Finanzhandelsvolumen her oft die Oberhand haben und daher die Entwicklung von
Devisenmärkten kurz- bis mittelfristig wesentlich beeinflussen können.
Konkret: So wie sich an den Finanzmärkten "Geheimtipps" sehr schnell herumsprechen,
welchem Land eine wirklich große Zukunft beschert sein wird, wo das Wachstum also ganz
bestimmt enorm sein wird in den kommenden Jahren, wo man folglich sein Geld unbedingt
anlegen sollte, um Teil zu haben an den ansehnlichen Renditemöglichkeiten, so schnell
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spricht sich auch das Misstrauen gegen ein Defizitland herum. Das Fatale an diesen
Stimmungen auf Finanzmärkten ist, dass sie immer eine selbsterfüllende Tendenz aufweisen,
sich also perfekt zu Spekulationen eignen. Während auf realwirtschaftlichen Märkten
Entscheidungen Zeit brauchen, ihre Durchführung (z.B. der Bau einer Windkraftanlage) Zeit
braucht und sich ihr Ergebnis erst oft Jahre später beurteilen lässt, funktionieren Finanzmärkte
in Sekundenschnelle. Ein Knopfdruck – und man ist in den Markt eingestiegen, ein
Knopfdruck – und man hat eine neue Information, die einen zum Ausstieg anregt. Und das
machen hunderte von Finanzmarktteilnehmern gleichzeitig, womöglich mit ähnlichen oder
sogar gleich gestrickten Computerprogrammen, die allen ihren Nutzern gleichzeitig dieselbe
Empfehlung geben zu Kauf oder Verkauf. Dann gleicht so ein Finanzmarkt einem Schiff, auf
dem die Passagiere alle gleichzeitig von der einen Seite zur anderen rennen und so eine
Schlagseite erzeugen. (evtl. Grafik)
Mit anderen Worten: Die Finanzmärkte sind viel volatiler als die realwirtschaftlichen Märkte
und daher extrem anfällig für Spekulationswellen. Stimmungen zählen oft weit mehr als
Fundamentaldaten. Die Währung eines Landes kann über Jahre hinweg überbewertet sein und
so Handelsdefizite verfestigen, ohne dass der Wechselkurs reagiert. Dazu bedarf es nur
einiger finanzkräftiger Spekulanten, die den Kurs durch ihre (oft über Leverage-Methoden
aufgebauschte) Anlagestrategie so auf Trab bringen, dass es für andere Marktteilnehmer
einzelwirtschaftlich rational ist, in die Blase einzusteigen. Das ist sogar dann noch rational,
wenn sie wissen, dass die realwirtschaftlichen Fundamentaldaten gegen den Kurstrend
sprechen. Denn jeder Teilnehmer bestätigt durch seine Teilnahme den "falschen" Trend. D.h.
solange sich neue Marktteilnehmer finden und man deswegen nicht der Letzte im
Schneeballsystem ist, macht man Gewinne – je nach Kredithebel auch leicht im zweistelligen
Bereich – ohne eine einzige nachhaltige Sachinvestition zu tätigen oder einen Handschlag
realer Arbeit vollbracht zu haben. Man spekuliert eben, man spielt.
Die monetäre Traumtänzerei von Spekulanten auf den Devisenmärkten macht die aus
Handelsungleichgewichten entstandenen ausländischen Vermögens- und Schuldenpositionen
instabil, das liegt auf der Hand. Aber hier geht es nicht nur um das Wechselkursrisiko, dem
Auslandsvermögen unterworfen sind. Hier geht es darum, dass die aus
Handelsungleichgewichten stammenden Auslandsvermögen zu Spekulationen geradezu
anregen. Ein Land mit lohnbedingt relativ hoher Inflation bietet in der Regel vergleichsweise
hohe Nominalzinsen und umgekehrt. (evtl. Grafiken)
Das liegt an der Geldpolitik, die durch hohe Zinsen die Inflation zu bekämpfen versucht.
Wegen der Nominalzinsdifferenz zum Ausland ist so ein Land ein interessanter Kandidat für
Spekulanten, die sog. carry trader. Die nehmen Kredite in Niedrigzinsländern auf und legen
die so erhaltenen Gelder kurzfristig in dem Hochzinsland an. Damit stabilisieren sie
tendenziell den Wechselkurs des Hochzinslandes, das eigentlich abwerten müsste. Tun das
hinreichend viele carry trader gleichzeitig, kann die Währung sogar noch aufwerten. Dann
kommt zum Zinsgewinn noch der Wechselkursgewinn hinzu. Das motiviert neue Spekulanten
zum Einstieg in den Markt. (evtl. Grafiken)
Das geht solange gut, bis die Wirtschaft des Hochzinslandes wegen intern hoher Zinsen und
Verlust von Marktanteilen im In- und Ausland an die unterbewertete ausländische
Konkurrenz so am Boden liegt, dass es einigen Spekulanten zu riskant wird, auf die
Verzinsung und Tilgung ihrer kurzfristigen Kredite zu vertrauen. Denn irgendjemand muss ja
letzten Endes das real erwirtschaften, was an Zinsen aus dem Land abfließt. Erscheint das
immer ungewisser, steigt die Wahrscheinlichkeit, dass die Kredite faul werden. Deshalb
ziehen die ersten misstrauischen Spekulanten ihr Kapital ab. Das senkt den Preis der
Währung, zuerst möglicherweise nur marginal – aber das gilt als Signal, dem nun alle anderen
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Spekulanten blitzschnell folgen. Sie ziehen ebenfalls ihre Gelder wieder ab, so dass ein
Absturz der Währung einsetzt, der meist weit über das hinausgeht, was den Fundamentaldaten
entsprochen hätte.
Um die geschädigten Spekulanten ist es dabei nicht schade, aber um die Realwirtschaft des
betroffenen Landes. Waren während der Überbewertung die Unternehmen des Landes und
ihre Arbeitnehmer die Geschädigten, weil ihnen dank mangelnder preislicher
Wettbewerbsfähigkeit die Absatzmärkte wegbrachen, sind bei Unterbewertung die
Verbraucher und die Bezieher ausländischer Rohstoffe die Dummen, weil sie für die Importe
zu viel bezahlen müssen. Das heizt auch noch die inländische Inflation an. Oft reagiert dann
die Geldpolitik – auch auf Anraten des IMF oder der Weltbank – inadäquat, nämlich mit
Zinssteigerungen. Das stranguliert dann die heimische Wirtschaft weiter. Zwar haben nun die
exportorientierten Unternehmen wieder bessere Verkaufschancen. Aber zugleich wird das
Land wieder interessant für carry trader: Ist die Währung erst mal extrem billig geworden und
der Nominalzins kräftig gestiegen, beginnt manch einer das Spiel von vorn: Währung billig
einkaufen, Wechselkurs auf diese Weise stabilisieren oder gar in die Höhe treiben, Geld
kurzfristig für hohe Zinsen anlegen und kassieren.
Die Lehre aus diesen Zusammenhängen muss daher sein, dass erstens jedes Land durch eine
strikt produktivitätsorientierte Lohnpolitik (d.h. durchschnittliches Lohnwachstum =
gesamtwirtschaftliches Produktivitätswachstum plus Zielinflationsrate der Zentralbank)
versuchen muss, von vornherein große Inflationsdifferenzen gegenüber den Handelspartnern
zu vermeiden. Das reduziert Zinsunterschiede und entzieht dadurch carry tradern die
Geschäftsgrundlage, was Wechselkursverzerrungen vermindert. Außerdem gibt es durch eine
solche Lohnpolitik von vornherein weniger Handelsungleichgewichte und damit weniger
international kursierende Wertpapiere. Das lässt das internationale Finanzmarktvolumen
schrumpfen, so dass sich das Treibstofflager verringert, das den Spekulationswellen ihre
Sprengkraft verleiht. Die Gewerkschaften können also zur Stabilisierung der monetären
Sphäre beitragen.
Doch auch wenn das gelingt, können zumindest kleinere Länder immer noch
Devisenmarktspekulanten ausgeliefert sein. Das heißt, dass wir zweitens eine multilaterale
Zusammenarbeit der Zentralbanken benötigen, die Devisenmarktspekulanten dadurch
weitgehend entmutigt, dass wettbewerbsneutrale Wechselkurse ohne Wenn und Aber
verteidigt werden (Bretton Woods II). Wettbewerbsneutral sind die Wechselkurse dann,
wenn im Zeitablauf entstehende gesamtwirtschaftliche Lohnstückkostendifferenzen zwischen
den Ländern permanent und kontinuierlich ausgeglichen werden. Das ist rein technisch
gesehen nicht ganz einfach, aber immer noch erfolgversprechender als alle staatlichen
Abfederungsversuche der Realwirtschaft, wie sie bei Währungskrisen unternommen wurden.
Die Einstiegskurse in ein solches Währungssystem sind natürlich ein Politikum. Hier sollte
den aufstrebenden Volkswirtschaften, deren Sachkapitalstock pro Kopf im Vergleich zu den
Industrieländern deutlich geringer ist und die unter der Finanzkrise besonders leiden, obwohl
sie sie weniger zu verantworten haben als die Industrieländer, mit einer leichten
Unterbewertung entgegen gekommen werden.
Die Hoffnung einzelner kleiner Länder, sich durch Anlehnen an große Währungsblöcke quasi
aus eigener Kraft Wechselkursstabilität zu verschaffen, ist trügerisch. Wenn ihnen die
Zentralbank des großen Währungsraumes nicht hilft, können sie einer Abwertungsattacke
durch Finanzspekulanten möglicherweise nicht genug Devisenreserven entgegensetzen. Aber
auch ein regelrechter Beitritt zu einem großen Währungsraum ist nicht risikolos. Denn er
erfordert eine strikte Anpassung der Lohnstückkosten des neuen Mitglieds an die
Zielinflationsrate der Zentralbank. Und auch wenn das gelingt, ist das keine Garantie für den
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Erhalt internationaler Wettbewerbsfähigkeit, solange sich nicht alle übrigen Mitglieder einer
Währungsunion genau so an diese Lohnregel halten.
Und damit kommen wir zur dritten Lehre, die aus dem bisher Gesagten gezogen werden
sollte. Wenn in einer Währungsunion größere Differenzen in der
Lohnstückkostenentwicklung zwischen den Währungspartnerländern auftreten, kann kein
Währungssystem für einen Wettbewerbsausgleich und damit die Zahlungsfähigkeit der
Teilnehmerstaaten sorgen. In einer Währungsunion darf es daher nie zu länger
anhaltenden Lohnstückkostendifferenzen kommen. Die Teilnehmerstaaten können sich
gegenseitig zur strikten Einhaltung einer produktivitätsorientierten Lohnpolitik durch
folgende Vereinbarung zwingen: Länder, die das Stabilitätsziel der Zentralbank mit ihren
Lohnstückkosten unterschreiten, müssen Strafzahlungen in einen Fonds leisten, aus dem
diejenigen Länder entschädigt werden, die trotz zielgerechter Lohnpolitik ins Handelsdefizit
geraten, weil sie an das Land, das Lohndumping betreibt, Marktanteile verlieren. Länder, die
das Stabilitätsziel der Notenbank überschreiten, sind durch Marktanteilsverluste geschädigt
genug und müssen nicht noch extra "bestraft" werden. Diesen Punkt müssen sich vor allem
die deutschen Gewerkschaften zu eigen machen. Sie werden dafür Unterstützung aus fast
allen anderen EWU-Ländern erhalten.
Die Vermeidung großer Wettbewerbsunterschiede innerhalb eines Währungsraums ist
wichtig, um die Auszehrung nicht wettbewerbsfähiger Regionen mit ihren negativen Folgen
wie Verarmung und Abwanderung zu verhindern. Langfristig gesehen schaden sich
überlegene Regionen auch selbst, wenn ihre Wettbewerbsvorteile aus Lohndumping stammen
statt aus technologischer Überlegenheit. Denn dann schöpfen sie ihre binnenwirtschaftlichen
Wachstumsmöglichkeiten nicht aus, wie das etwa in Deutschland der Fall ist. Die
zunehmende Einkommensungleichheit, die solche international auftrumpfenden Länder dafür
intern in Kauf nehmen, gefährdet das Vertrauen der eigenen Bevölkerung in das
marktwirtschaftliche System und letztlich auch in die Sinnhaftigkeit der Demokratie. Darüber
hinaus ist eine Verhinderung von Wettbewerbsunterschieden in einer Währungsunion aber
auch deswegen wichtig, weil solche Unterschiede auf Drittmärkte außerhalb der
Währungsunion durchschlagen: Mag auch die Handelsbilanz der Währungsunion insgesamt
nach außen hin relativ ausgeglichen sein, können doch große Handelsüberschüsse eines
Mitglieds gegenüber Staaten außerhalb der Union auftreten, nämlich "gedeckt" durch
entsprechende Defizite der Währungspartner. Dann liefert die Realwirtschaft aber wieder
Anlass für Spekulanten, Zinsdifferenzen auszunutzen.
Wenn es auf diesem Wege gelingt, das Treibstofflager für Spekulationen namens
Handelsungleichgewichte zu verringern, ist schon eine Menge gewonnen.
Spekulationsmöglichkeiten auf Lebensmittelrohstoffmärkten gehören verboten und die
auf anderen Rohstoffmärkten durch eine antizyklische Nachfragepolitik der
Staatengemeinschaft ausgetrocknet. Das ließe sich auch hervorragend mit umweltpolitischen
Zielen – Stichwort Klimawandel – verbinden.
Natürlich muss der Finanzsektor wieder so reguliert werden, dass das Geldmonopol zurück
an die Notenbanken geht. Das bedeutet, dass vor allem spekulationsanfällige Geschäftsfelder
des Finanzsektors – also etwa alle Finanzwetten – mit 100%-Eigenkapitalanforderungen
belegt werden. Die Widerstände aus der Finanzbranche dagegen und auch gegen ein
Weltwährungssystem sind gewaltig, weil damit ein Großteil der Verdienstmöglichkeiten
entfällt. Das wird auch Arbeitsplätze im Finanzsektor kosten, aber allemal weniger, als durch
die Finanzkrise in der Realwirtschaft verloren gegangen sind und noch verloren gehen
werden.
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Wenn die globalen Finanzspekulationsmöglichkeiten nicht lahmgelegt werden, gilt: Nach der
Krise ist vor der Krise – mit allen wirtschaftlich und politisch katastrophalen Folgen.
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