Systembiologie mikrobieller Organismen

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Systembiologie mikrobieller Organismen
Vergangenen April fand an der Universität
Bielefeld ein Workshop zur Systembiologie
mikrobieller Organismen statt. Die Systembiologie ist ein junges expandierendes Forschungsgebiet, das mittlerweile weltweit
Eingang in eine zukunftsorientierte Forschungsplanung gefunden hat. In Deutschland wird diese Forschungsrichtung seit kurzem durch das BMBF-Förderkonzept „Systeme des Lebens – Systembiologie“ mit einem Fokus auf die Leberzelle gefördert.
International gibt es neben der systembiologischen Forschung an Eukaryoten wie in
der „Alliance for Cellular Signaling“ sowohl
in den USA als auch in Japan eine starke Fokussierung auf mikrobielle Organismen. Die
Systembiologie gründet auf dem massiven
Einsatz parallel arbeitender Hochdurchsatzverfahren in den Biowissenschaften, der zu
einer Datenflut in der Genom-, Transkriptom- und Proteomforschung geführt hat. Das
aktuelle Problem biowissenschaftlicher Forschung ist, diese Datenfülle in einen sinnvollen Gesamtzusammenhang zu bringen.
Daher muss der auf das molekulare Detail
ausgerichtete reduktionistische Ansatz der
Biologie um eine ganzheitliche Betrachtungsweise der untersuchten Systeme ergänzt werden. Nur so wird ein Verständnis
komplexer Systemeigenschaften wie beispielsweise optimale Regulation oder Adaption an die Umwelt möglicht. Die Systembiologie vertritt diese ganzheitliche Sichtweise, biologische Prozesse auf der Systemebene zu untersuchen. Neben einer quantitativen Beschreibung der Systembestandteile und ihrer Interaktionen ist ein theoriebasierter Ansatz notwendig, um die intuitiv
nicht mehr erfassbare Komplexität und Dynamik biologischer Netzwerke zu verstehen.
Die mathematische Modellierung und Simulationen spielen daher eine zentrale Rolle, um langfristig zu einer virtuellen Repräsentation von Zellen und ganzen Organismen zu gelangen. In Analogie zu in vivo- und
in vitro-Experimenten soll so durch eine in
silico-Vorhersage biologischer Phänomene
der Weg zu einer quantitativen, prädiktiven
Biologie geebnet werden. Dabei kommt einer fruchtbaren interdisziplinären Zusammenarbeit, die Konzepte aus der Biologie, Informatik, Mathematik, Physik und
den Ingenieurwissenschaften kombiniert,
die entscheidende Bedeutung für den Erfolg des systembiologischen Forschungsansatzes zu.
Der in Bielefeld durchgeführte Workshop
hat sich bewusst auf die Systembiologie
mikrobieller Organismen konzentriert, da
deren Genome eine handliche Größe aufweisen und daher einfach sequenziert wer-
den können. Außerdem ist die Genvorhersage für bakterielle Genome verhältnismäßig leicht durchführbar, sodass für Transkriptom- und Proteomforschung ein gesicherter Unterbau existiert. Zusätzlich fördert
das BMBF mit dem Programm GenoMik
drei bakterielle Genomforschungsnetzwerke in Deutschland, deren Datenmengen
langfristig nur mittels Systembiologie in den
Griff zu bekommen sind.
Der Workshop begann mit der Biologie
mikrobieller Systeme. Ernst Dieter Gilles
vom MPI in Magdeburg stellte die Katabolitenrepression bei E. coli als ein charakteristisches Beispiel dar, anhand dessen wesentliche Eigenschaften eines übergeordneten Regulationssystems erläutert werden
können. Alfred Pühler von der Universität
Bielefeld präsentierte die Genomsequenzierprojekte des Bielefelder BMBF-Netzwerks und zeigte am Beispiel des Aminosäureproduzenten Corynebacterium glutamicum, dass sich Bakterien mit ihrer überschaubaren genetischen Ausstattung besonders gut für einen systembiologischen
Ansatz eignen. Anke Becker, ebenfalls aus
der Universität Bielefeld, stellte umfangreiche Transkriptomstudien des symbiontisch
Stickstoff-fixierende Bakteriums Sinorhizobium meliloti vor. Michael Hecker von der
Universität Greifswald schloss mit der Proteomanalyse bei Bacillus subtilis an und zeigte, wie man das adaptive Netzwerk in einzelne Module, in Stimulons, Regulons und
Modulons auflösen kann. Zum Abschluss
des biologischen Teils schilderte Joseph
Lengeler von der Universität Osnabrück die
metabolischen Netzwerke in mikrobiellen
Organismen. Er mahnte an, dass quantitative Daten erzeugt werden müssen, welche
die relevanten Stoffwechselflüsse, die Aktivitäten aller beteiligten Regel- und Signaltransduktionsnetzwerke und alle anderen
dynamischen Prozesse, so wie sie unter
physiologischen Bedingungen ablaufen, korrekt beschreiben.
Der zweite Tag des Workshops war den
systemwissenschaftlichen Ansätzen gewidmet. Zunächst referierte Wolfgang Wiechert,
Universität Siegen, über integrative Stoffwechselwege auf Grundlage von in vivo-, in
vitro- und in silico-Daten. Er führte aus, dass
trotz eines enormen Datenaufkommens die
Datenmengen noch lange nicht ausreichen,
um erfolgreich metabolische Netze in prokaryotischen Zellen zu modellieren. Ulf Leser von der Humboldt-Universität in Berlin
widmete sich dem Thema „Ontologien in
der Bioinformatik“, einem Topthema des
Daten- und Wissensmanagements molekularbiologischer Datenbänke. Reinhart Hein-
rich, ebenfalls von der Humboldt-Universität in Berlin, stellte zunächst Methoden
und Ergebnisse zur mathematischen Modellierung und zur Computersimulation von
metabolischen Wegen vor. Anschließend beschäftigte er sich mit der Modellierung von
Signaltransduktionswegen, bevor er zu dem
neuen Konzept der stöchiometrischen Robustheit von metabolischen Netzwerken
überging. Den Abschlussvortrag mit dem Titel „The Silicon Cell: The computational
and the experimental part“ präsentierte
Hans Westerhoff, Biocentrum Amsterdam.
Mit der Silikonzelle wies er der Systembiologie ein neues Ziel. Hierbei geht es darum,
ganze Teilbereiche von lebenden Zellen im
Computer abzubilden und experimentelle
Fragestellungen zunächst auf Computerebene durchzuspielen. Überraschende Befunde können dann punktuell am lebenden
System verifiziert werden.
Der Workshop klang mit einer Podiumsdiskussion aus. Die Podiumsteilnehmer
stellten einhellig fest, dass bakterielle Systeme aufgrund ihrer Genom- und Postgenomdaten besonders für die Entwicklung
der Systembiologie geeignet sind. Diese
Entwicklung sollte in Deutschland verstärkt
aufgenommen werden. Dazu ist es nötig,
dass die forschungsfördernden Institutionen
wie BMBF und DFG die sich bietende
Chance erkennen und mit Forschungsprogrammen auf diese Herausforderung reagieren. Die Podiumsteilnehmer sprachen
sich auf dafür aus, den Workshop „Systembiologie mikrobieller Organismen“ in den
nächsten Jahren fortzuführen.
Weitere Informationen bei den Organisatoren des Workshops:
Prof. Dr. Andreas Dress
Forschungsschwerpunkt Mathematisierung, FSMP
Fakultät für Mathematik
Universität Bielefeld
Postfach 100131
D-33501 Bielefeld
Tel.: 0521-106-3858; Fax: 0521-106-6007
[email protected]
PD Dr. Klaus Prank
International NRW Graduate School in
Bioinformatics und Genome Research
CeBiTec/Technische Fakultät
Universität Bielefeld
Postfach 100131
D-33501 Bielefeld
Tel.: 0521-106-4897; Fax: 0521-106-6490
[email protected]
Prof. Dr. Alfred Pühler
Lehrstuhl für Genetik
Fakultät für Biologie
Universität Bielefeld
Postfach 100131
D-33501 Bielefeld
Tel.: 0521-106-5607; Fax: 0521-106-5626
[email protected]
BIOspektrum · 5/03 · 9. Jahrgang
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