Widerspruch Nr. 16/17 Ich - Subjekt - Individuum(1989), S.6375 Autor: Ignaz Knips Artikel Ignaz Knips Symbolische Formen und Akteure. Zur Frage einer Individualität des Theoretikers und Autors (P. Bourdieu und J. Habermas) Aus der Sicht von Pierre Bourdieu haben es Gesellschaftstheorien stets mit symbolischen Ausdrucksformen zu tun, die entscheidend durch sogenannte „soziale Felder“ vorgegeben und beeinflußt sind. Die einzelnen Mitglieder gesellschaftlicher Gruppen, wenn sie als deren Repräsentanten auftreten, verfügen - nach Bourdieu - weniger über ihr Ausdrucksrepertoire, als daß das „soziale Feld“ selbst das ‘Wie’ der Expressionen prägt. Die Vorstellung von einsinnig oder unteilbar über ihre Ausdrucksmöglichkeiten verfügenden Instanzen, also von Individuen, wird von ihm als irreführend für eine soziologische Theoriebildung zurückgewiesen. Im Mittelpunkt des vorliegenden Essays steht - nach einer Einführung in Bourdieus Soziologie der symbolischen Formen und nach einer Erörterung der identitätstheoretischen Schwierigkeiten, in die seine Kritik an einem Individualitätskonzept in der Soziologie gerät, - die Selbstbezüglichkeit des Bourdieuschen Ansatzes. Ihm geht es vornehmlich um eine Soziologie der humanwissenschaftlichen Diskurse, die letztlich sich selbst zum Gegenstand macht und machen muß. Da es sich dabei um eine Theorie institutionalisierter Diskurse handelt, steht ein Vergleich bzw. eine Gegenüberstellung mit Habermas’ „Theorie der kommunikati- Ignaz Knips ven Vernunft“ an, - eine Auseinandersetzung, die bislang noch nicht geführt wurde. Beide, Bourdieu und Habermas, sehen ein absichtsvolles und unteilbares (individuelles) Verfügen über die sprachlichen Ausdrucksmittel in Fachdiskursen nur als eingeschränkt gegeben an. Für Bourdieu steht die eigene Soziologie, der Diskurs seiner Diskurstheorie, selbstbezüglich unter der Einschränkung einer dezentralisierten Autorenschaft; Habermas hingegen versucht, die ‘Theorie’ so von ihrem ‘Text’ zu trennen, daß die ‘Theorie’ auch jenseits ihrer Diskursform Geltung beanspruchen soll, wobei jedoch das appellative Hinausweisen über den ‘Text’ selbst an dessen Mittel gebunden bleibt. Die Divergenzen zentrieren sich letztlich um die Fragen der Verhältnisbestimmung von ‘Text’ und ‘Theorie’ und der Individualität des Theoretikers und Autors. Die Aporien der beiden Positionen werden im folgenden hervorgehoben und markiert, nicht aber aufzulösen versucht. I. Soziale Felder, symbolische Formen und Akteure Bourdieus Soziologie der symbolischen Formen beginnt mit der Unterscheidung von sog. „sozialen Feldern“, in die die Gesellschaft als „sozialer Raum“ aufgeteilt sei, und die er mithilfe der gemeinsamen Merkmale, die den Mitgliedern verschiedener Gruppen zukommen, beschreibt1. Als die wesentlichen Merkmale der „sozialen Felder“ nennt er die verschiedenen „Kapitalsorten“, das „primär ökonomische“, das „kulturelle und soziale“ sowie das „symbolische Kapital“ (Prestige, Renommee) (SR, 10f), die in ihrer Verteilung und Zuordnung ein „mehrdimensionales System von Koordinaten“ ergeben (deshalb die Metapher des „sozialen Raums“) und ihm zur Erklärung gesellschaftlicher Vorgänge dienen. Bourdieu legt Wert darauf, sein soziographisches Verfahren so weit wie möglich von den sozialen Wahrnehmungen seitens des Soziologen unbeeinflußt zu lassen. Da Bourdieu sich vor allem an der ethnologischen Feldtheorie orientiert, konzentriert er sich besonders darauf, die sozialen Felder als symbolische 1 Vgl. P. Bourdieu, Sozialer Raum und 'Klassen' (SR) und Lecon sur la lecon (LL). Zwei Vorlesungen. Übersetzt von B. Schwibs, Frankfurt/Main 1985. Symbolische Formen und Akteure Systeme zu deuten2. Die Handlungen und Artikulationen von „Einzelakteuren“ interessieren ihn daher nur so weit, wie sie sich auf Merkmale eines sozialen Feldes zurückführen lassen; und umgekehrt faßt er diese Artikulationen selbst nur als Transformationen der Determinanten eines sozialen Feldes auf, letztlich also als zweiteilige Zeichen, die nur mittelbar auf ihre Anlässe verweisen, - als Symbole. Jede Theorie des Symbolischen und jede Symboldeutung ist auf ein verallgemeinerndes Verfahren angewiesen, da ohne ein verallgemeinerndes Drittes in der Methode eine Deutung der Ausdrucksformen zirkulär bleiben muß. Denn diese Ausdrucksformen werden als (wenn auch mittelbar) bedeutungsvoll für das angesehen werden, auf was sie gerade zurückgeführt werden, nämlich für die Determinanten eines sozialen Feldes. Bourdieus Symboldeutung nun bezieht ihre Grundlagen u.a. aus E. Cassirers Werk „Philosophie der symbolischen Formen“, aber auch aus G. Simmels Theorie über die Formen der Vergesellschaftung. Weiterhin stehen seine Arbeiten den Gestalttheorien W. Köhlers und K. Lewins nahe und sind von C. Levi-Strauss’ Ethnologie, Lacans psychoanalytisch orientierter Texttheorie und G. Cangiulhelms und M. Foucaults epistemologischen Arbeiten beeinflußt. Das dabei entstandene Theoriegefüge kann hier nicht angemessen behandelt werden. Im folgenden sollen nur die Teile hergehoben werden, die für die Auseinandersetzung Bourdieus mit den subjektphilosophischen Ansätzen in der soziologischen Theoriebildung von Bedeutung sind. In seinen Studien lehnt Bourdieu sich an strukturalistische Textinterpretationen an, die sich auf eine Syntaxanalyse konzentrieren. Sein Interesse richtet sich vor allem auf die syntaktische Anordnung in den jeweiligen Rede- und Schreibstilen. Wie etwas gesagt wird, oder wie etwas geschrieben wird, legt Bourdieu als Distinktionszeichen aus, das den Distinktionen der „Lebensstile“ und politischen Optionen von „Akteuren“ der sozialen Felder - also wie gelebt oder gehandelt wird - homolog sei (vgl. SR, 20 ff). Die syntaktische Eigenheit einer Äußerung ‘bedeutet’ sozusagen eine soziale Differenz, auf die sie zurückgeht, ohne daß diese 2 Aber auch so ausgerichtet ist die soziologische Theoriebildung noch an der Konstitution sozialer Differenzen beteiligt; vgl. dazu Abschnitt II. Zur Methode und den Anwendungen vgl. auch: P. Bourdieu, Zur Soziologie der symbolischen Formen. Übersetzt von W. Fietkau, Frankfurt/Main 1970. Ignaz Knips jedoch ‘benannt’ wird. Die jeweiligen Ausdruckformen seien als ‘habitualisiert’ anzusehen: zwischen den Determinanten eines sozialen Feldes und den ihm eigentümlichen Ausdrucksformen vermittele ein „Habitus“ des faktischen Urhebers von Äußerungen. Diesen Habitus versteht Bourdieu als die „leibhaft gewordene Geschichte“, als Resultat einer Lebens- und Sozialgeschichte, das tiefer liegt als die Selbstzuweisungen, die der ‘Urheber’ der Äußerungen vornimmt, und das als „Gestalt“ sozialer Wahrnehmungen und Impulse generalisierbar ist und ein „System dauerhafter Dispositionen“, z.B. „des Künstlers“ oder „des Gelehrten“ (LL, 69) darstellt. Humanwissenschaftliche Diskurse, den sog. „gelehrten Jargon“, etwa deutet Bourdieu als „Kompromisse“ zwischen dem Gehalt, den Interessen und Optionen eines sozialen Feldes, und der Form, d.h. der Zensur durch ‘bewährte’ - akzeptierte bzw. erfolg- und gewinnversprechende - Ausdrucksmöglichkeiten, die das „soziale Feld“ ausübt3. Bourdieus Heidegger-Studie: die Theorie der ‘strategischen Verdeckungen’ Eingehender als in der allgemeineren Theorie der „sozialen Felder“ hat Bourdieu seine Verfahrensweise auf die Bereiche des Bildungswesens und der kulturellen Produktion angewandt4. Exemplarisch dafür sollen der Ansatz und die Resultate seiner Heidegger-Studie vorgestellt werden, die zugleich ein Beispiel für seine soziologische Theorie des philosophischen Diskurses ist. Etwa auf der Grundlage von biographischem Material nach Heideggers „Nazismus“ zu fragen, heißt für Bourdieu, einem „philosophischen Diskurs stets zu viel oder zu wenig Autonomie“ einzuräumen (POMH, 110). Es käme vielmehr gerade darauf an, den Transformationen der politischen Optionen Heideggers in den philosophischen Diskurs nachzugehen. Die Texte von Heidegger, die ohne eine 3 P. Bourdieu, Die politische Ontologie Martin Heideggers (POMH). Aus dem Franz, von B. Schwibs, Frankflirt/Main 1976, S.7f. 4 Vgl. P. Bourdieu, Lecon sur la lecon, Eine Vorlesung über die Vorlesung; ders., Die feinen Unterschiede. Kritik der gesellschaftlichen Urteilskraft. Übersetzt von B. Schwibs und A. Russer, Frankfurt/Main 1979, 1982. Vgl. weiterhin P. Bourdieu, Die politische Ontologie Martin Heideggers, a.a.O., sowie ders., Homo academicus. Überetzt von B. Schwibs, Frankfurt/Main 1984. - Bourdieus Bildungssoziologie ist als Soziologie der sog. humanwissenschaftlichen Diskurse selbstbezüglich; vgl. hierzu weiter unten Abschnitt II. Symbolische Formen und Akteure direkte politische Bezugnahme sind, stehen für Bourdieu zunächst ganz in der Tradition institutionalisierter ‘philosophischer’ Arbeiten, etwa der „Neulektüre“ von Texten der philosophischen Tradition. Allerdings zeichne sich die Formgebung der Texte Heideggers vor allem durch dichotomisierende Muster aus, in die Ungleichartiges eingefügt sei. Neben den - aus philologischer und linguistischer Sicht oft willkürlichen etymologischen Interpretationen und den Wortneuschöpfungen in der Tradition der Ontologie und Metaphysik durch Heidegger interessieren Bourdieu besonders die Gegensatzpaare ohne Vermittelbarkeit, Heideggers Dichotomien einer ‘ontologischen Differenz’ von Sein und Seiendem, welcher mit einer ‘Entschlossenheit zum Dasein’ entgegen einer bloß oberflächlichen Beschäftigung der ‘Vielen’ und ‘Unberufenen’ mit dem Seienden zu begegnen sei. Solche Dichotomien interpretiert Bourdieu als Kritik Heideggers an der neukantianischen Wissenschaftstheorie und Ästhetik, gegen die er innerhalb des „gelehrten Jargons“ eine „distinktive Neulektüre“ von Texten Kants hat durchsetzen wollen. Über Schlüsselworte in Heideggers Texten, wie ‘Eigentlichkeit’, ‘Entschlossenheit’ oder ‘Wagnis’, lassen sich nun strukturale Homologien zwischen dessen philosophischen Distinktionen und den politischen Topoi erschließen, wie sie in den Elite-Aufrufen ‘jenseits von Bürgertum und Proletariat’ von Repräsentanten der „konservativen Revolution“ (Moeller van den Bruck, E.Jünger u.a.) geäußert wurden. Die so ‘erschlossenen’ politischen Optionen Heideggers führt Bourdieu mit auf dessen lebensgeschichtliche Prägungen zurück, die ein im akademischen Milieu unsicherer Philosophieprofessor ländlicher Herkunft erfahren habe. Durch die formgebende Diktion Heideggers seien diese Prägungen jedoch in dem Maße verarbeitet worden, wie die politischen Optionen Heideggers durch das Zutun des Habitus’ („Handwerk“) des Philosophieprofessors (POMH, 97) verdeckt und damit zugleich für den Philosophiebetrieb ‘legitim’ wurden (vgl. POMH, 10f). Durch die Einbeziehung und die Transformation eines Alltagsvokabulars, das den ‘bodenständigen’ Topoi der „konservativen Revolutionäre“ nahestand, in den philosophischen Diskurs sei es, indem es zu dessen Segmenten wurde, sanktioniert worden. Selbst in Heideggers Dementis und Arbeiten der späteren Jahre (vgl. POMH, 108f) seien derartige Verdeckungen noch zum Gegenstand selbstbezogener Theoriebildung geworden; so etwa, wenn er seine ontologisierenden Sprachoperationen in die „Sprache des Seins selbst“ verwandelt habe. Ignaz Knips Heideggers „Fundamentalontologie“, so Bourdieu, wird also erst dann als eine „politische Ontologie“ verstehbar, wenn man sie im Sinne ihrer strategischen Formgebung liest. Dies zeige eine „Doppellektüre“ der Texte, die vom Vorrang der Form ausgeht, und die mittels der Deutung der Form auf ein semantisches Doppelspiel von politischer und philosophischer Theoriebildung hinweisen kann. Beide können von diesem Ansatz her nicht voneinander getrennt werden, da erst die „relative Eigenständigkeit des philosophischen Feldes“ die Transformationen Heideggers ermöglicht habe, die als solche unkenntlich gemacht wurden und seinen Texten erst eine ‘philosophische’ Rezeption gesichert hätten5. Erst die „politische und philosophische Doppellektüre“ (POMH, 14f) mache Heideggers strategische Formgebung durchschaubar und lasse seine Texte als „philosophisch akzeptierbare Variante des ‘revolutionären Konservatismus’, dessen andere Variante der Nazismus verkörpert“ (POMH, 110f), verstehen. Dezentralisierte Autorenschaft Bourdieus These vom Vorrang des Symbolischen und der Form wirft notgedrungen die Frage auf: wer eigentlich spricht, schreibt, handelt, wenn er spricht, schreibt oder handelt? Eine Alltagssicht und -deutung von Handlungen, nicht-sprachlichen wie sprachlichen Äußerungen, kommt nicht ohne Zuweisungen des jeweils Wahrgenommenen - eingeschlossen der Wahrnehmungen der eigenen Artikulationen über Reaktionen anderer - zu einem „Ich“ als singulärer, intentional disponierter Instanz aus. Bourdieus Soziologie der symbolischen Formen grenzt sich in Anlehnung an Freuds psychoanalytisches Modell von dieser Alltagssicht ab. Was über Handelnde vermittelt ist, wird bei Freud als Ergebnis einer Kontrolle und Modifikation von Einflüssen des „Es“ und des „Über-Ich“ durch die Instanz des „Ich“ aufgefaßt. So ist in Freuds Modell die Vorstellung einer (graduellen) Selbstorganisation des Handelnden und einer Selbstzuweisung von Handlungen zwar identitätstheoretisch ausgerichtet, aber gerade ohne die Unterstellung einer einsinnigen Urheberschaft, eines intentionalen Zentrums von Aktionen und Expressionen im 5 Zur Frage der Autonomie eines Fachdiskurses und des 'Theoretikers' vgl. unten Abschnitt II. Symbolische Formen und Akteure Sinne von Individualität6. Zwar ‘bearbeitet’ die Kontrollinstanz Einflüsse, ist aber nicht deren Urheber; daher können die Äußerungen nicht auf das eine Zentrum, sondern müssen auf das System von Einflußinstanzen oder -faktoren hin übersetzt werden. Bourdieus Freudrezeption bleibt leider fragmentarisch und terminologisch ungenau und unausgewiesen. In Abgrenzung von Freuds kulturtheoretischen Analogiebildungen7 versteht er das Freudsche Modell von „Ich“, „Es“ und „Über-Ich“ nur als einen „Spezialfall jenes allgemeineren Modells“, „das aus dem Ausdruck das Produkt des Ausgleichs zwischen einem Ausdrucksinteresse und der strukturellen Notwendigkeit des in Form einer Zensur wirkenden sozialen Feldes macht“ (POMH, 8). Was Bourdieu hier unter dem Begriff der „Zensur“, aber auch der „Verdrängung“ oder „Sublimation“, versteht (vgl. POMH, 75ff), bedürfte einer terminologischen Neubestimmung, da für ihn die Bezugsinstanzen „soziales Feld“ oder „Habitus“ deskriptiv verfügbar, also grundsätzlich präsent sind, anders als das ‘dunkle Es’ etwa des Freudschen Modells. Es ist bedauerlich, daß Bourdieu keine deutliche Unterscheidung zwischen ‘Identität’ und ‘Individualität’ vorgenommen hat; denn gerade seine Thesen über die Strategien der Formgebung8 würden an Deutlichkeit gewinnen, wenn klarer würde, daß es sich hierbei um ein know how der Kontrolle des Ausdrucksverhaltens handelt, deren Mittel und Gegenstände aber nicht einer unteilbaren Instanz im Sinne von ‘Individuum’ zuzuschreiben sind. Soviel allerdings wird deutlich: Bourdieus Soziologie der symbolischen Formen grenzt sich gegen all die sprach- und handlungstheoretischen Positionen ab, die mit der erwähnten Alltagssicht einer intentional disponierten singulären Instanz, einer ‘ungeteilten Urheberschaft’ übereinstimmen. Diese Abgrenzung ist aber weder gegen die Annahme eines minimalen Regelverständnisses im Verhältnis von ‘Handlung’ und ‘Handelndem’ bzw. von ‘Sprache’ und ‘Sprechendem’ gerichtet, noch gegen die Vorstellung einer Identität in einem solchen Verhältnis. Bourdieus 6 Vgl. S. Freud, Abriß der Psychoanalyse. Das Unbehagen in der Kultur, Frankfurt/Main 1953, S.53f, 59f. 7 Vgl. ebd. 8 Auch Bourdieus Rezeption der Gestalttheorien ist unausgearbeitet; denn es wird keine Typologie ("sozialer Gestalten") entwickelt. Die Symbolauffassung, als Drittes in der Methode einer reduktiven Lektüre, ist insgesamt wenig profiliert. Ignaz Knips Kritik richtet sich vielmehr gegen die (oftmals verdeckten) Ansprüche einer restlosen genealogischen Rückführbarkeit von Äußerungen auf intentional disponierte singuläre Instanzen; er richtet sich gegen eine Anwendung oder Übertragung solcher Ansprüche auf eine soziologische oder soziologisch relevante Theoriebildung. Denn da es in seiner Soziologie in explikativer Absicht um die „Konstitution“ und „Reproduktion“ von sozialen Distinktionen (Ständen, Schichten, Klassen) geht, muß es ihr auch um das Verhältnis von ‘Macht und Diskurs’ gehen. Da für ihn aber in den ‘autoritativen Diskursen’, die mit Körperschaften, Titeln, Renommee, Publizität etc. verbunden sind, eher das folgenreich ist, was über eine akzeptierte bzw. auf Akzeptanz ausgerichtete, d.h. „legitime“, Form vermittelt ist, ist eher das folgenreich, was nicht individuell - unteilbar - disponibel ist (POMH, 32 und 107). So hat für ihn auch das, was z.B. im Hinblick auf eine produktorientierte Ausdruckskultur, auch ohne soziologische Theoriebildung, leicht als Muster vermeintlicher Handlungsmöglichkeiten vermeintlicher Individuen interpretiert werden kann, sein humanwissenschaftliches Äquivalent in den sozialen Autonomieund Independenzzuweisungen, die auf Fachdiskurse bezogen bleiben und in diesen ‘signalisiert’ werden. Vor allem seine Untersuchung von „Lebensstilen“ verdeutlicht, daß Bourdieu vorab den Beteuerungen eines Authentizitätsempfindens mißtraut; ihn interessiert primär dessen Ausdruck und wiederum, genauer, dessen Form. Bourdieu will daher das Begriffspaar ‘Individuen und Interaktion’ durch ‘Akteure und Spiel’ ersetzen, wobei ‘Akteur’ den meint, der offenläßt oder offenlassen kann, ob er das, was er (re)präsentiert, auch selbst durchschaut. Sein Gedanke des ‘Spiels’, eines know how, dem kein know that entsprechen muß9, erweist sich allerdings als schwierig, weil zwar ein Zentrum der Anwendung internalisierter Muster, Identisches also, vorausgesetzt wird, dem aber kein Zentrum einer intentionalen Urheberschaft der Mittel und ihrer Wahl, Individuelles also, entsprechen soll. II. Theorie, Text und Selbstbezug 9 wohl: kann. Eine Reflexion der Selbstbezüglichkeit der Soziologie humanwissenschaftlicher Diskurse soll dem entgegenkommen. Symbolische Formen und Akteure Bourdieu erhebt ausdrücklich den Vorwurf einer hypostasierenden ‘Umwandlung’ komplexer Einflußfaktoren zu Vorstellungen eines „Individuums“ gegenüber pragmatischen Theorien, sobald diese soziologisch relevant sein wollen (vgl. POMH, 32; LL, 77). Thematisch steht so eine Konfrontation seiner Theorie der symbolischen Formen mit den universal- bzw. transzendentalpragmatischen Entwürfen, vor allem mit Habermas’ „Theorie des kommunikativen Handelns“, an10. Bis auf wenige Bemerkungen zu Sprechakttheorien mit ihren Intersubjektivitätstheoremen (vgl. SR; LL) hat Bourdieu bislang eine solche Auseinandersetzung noch nicht geführt. Umgekehrt ist es verwunderlich, daß auch Habermas Bourdieu und dessen Soziologie der symbolischen Formen in den Stellungnahmen zum sog. „Poststrukturalismus“ nicht erwähnt hat11. Im folgenden sollen daher die möglichen Differenzen herausgearbeitet werden, die sich aufgrund der unterschiedlichen Position zu den subjekttheoretischen Annahmen in interaktionistischen Theorien ergeben. Weiter soll auf die Konsequenzen verwiesen werden, die folgen, wenn die Theorien über institutionalisierte Diskurse auf sich selbst angewandt werden. ‘Identität’ bei Habermas und Bourdieu Habermas fragt, im Unterschied zu Bourdieu, nach den Geltungsansprüchen von Äußerungen, die vorausgesetzt sein müssen, um die vorhandene reziproke Basis sprachlicher Verständigung selber erklären zu können. Die Geltungsansprüche (z.B. „Wahrheit“ bei kognitiven Äußerungen, „Richtigkeit von Handlungsnormen“ bei moralisch-praktischen Äußerungen) müßten auch dann supponiert werden, wenn sie in täuschenden oder mißverständlichen Äußerungen verletzt würden, und könnten selbst Gegenstand eines „rationalen“ Diskurses werden. Für Habermas fundieren erst Äußerungen mit „kritisierbaren Geltungs10 J. Habermas, Theorie des kommunikativen Handelns, 2 Bde, Frankfurt/Main 1981 11 Vgl. J. Habermas, Der philosophische Diskurs der Moderne. Zwölf Vorlesungen, Frankfurt/Main 1985, sowie ders., Nachmetaphysisches Denken. Philosophische Aufsätze, Frankfurt/Main 1988 Ignaz Knips ansprüchen“ ein „kommunikatives Handeln“ im Sinne einer ‘Handlungskoordinierung durch Mittel sprachlicher Verständigung’. Das Verfügen über diese Mittel bindet Habermas nun zum einen an das begründungslogische Konstrukt einer „kommunikativen Kompetenz“ oder „kommunikativen Vernunft“, zum anderen entwicklungstheoretisch an die Herausbildung von „Identität“ in einer ‘Ich-Ausbildung durch Ich-Abgrenzung’, die sich durch symbolische Reaktionen auf die verschiedenen Lebensweltbereiche herstelle. Mit der Einführung der „kommunikativen Vernunft“ als eines bloß operationalen Konstrukts wendet Habermas sich gegen die substantialistischen Auffassungen des Subjekts in der metaphysischen Tradition. Andererseits werden über die entwicklungs-theoretische Ausrichtung seiner Theorie, die empirischen Äußerungen mit empirischen Zuweisungen zu einer ‘Person’ zum Gegenstand. Habermas setzt letztlich eine handlungskoordinierende Identität, die ‘Person’, als ‘empirisches Korrelat’ der ‘rekonstruierten Instanz’ als schon ausgebildet voraus, ohne daß das rekonstruktive Verfahren jedoch die Genealogie eines ‘Subjekts’ beanspruchen soll oder kann. Unklar bleibt dabei, wo Habermas in seiner pragmatisch gewendeten Theorie eigentlich das paradigmatische Äqivalent von ‘Subjekt’, ‘Bewußtsein’ oder ‘Selbstbewußtsein’ zwischen „kommunikativer Vernunft“ und empirischer „Ich-Ausbildung“ ansiedelt. Auch in Bourdieus Soziologie symbolischer Formen spielen Identitätsvorstellungen eine problematische Rolle, wie anhand Bourdieus Auffassung von ‘Spiel und Akteur’ gezeigt wurde. Verständlich ist zwar seine These von einem Repertoire an Mitteln, das nicht individuell disponibel ist, und einer Wahl von Mitteln, die durch den Einfluß sozialer Felder mit’kontrolliert’ wird. Aber unklar bleibt sein Verständnis von ‘Strategie’, das die Intentionalität ausschließt resp. offenläßt. Bourdieus Überlegungen sind hier abgebrochen, bestimmte Fragen nicht gestellt. Der Abbruch des Gedankengangs gründet offenbar in seinem Verdacht eines ‘hypostatischen Denkens’, den er auch gegen Habermas’ begründungslogisches Äquivalent mentalistischer Theorien richten würde. In einer weitergehenden Erörterung wären die Parameter selbst einer ‘pragmatischen Wende’ von Subjektphilosophie zu untersuchen, und eine strukturale Analyse wäre durch referenztheoretische Überlegungen Symbolische Formen und Akteure zu ergänzen in der Frage nach dem Verhältnis von Struktur und Bedeutung. Geltungsansprüche ‘jenseits des Fachdiskurses’? (Habermas) Habermas versteht strategisches Handeln als einen ‘Grenzfall kommunikativen Handelns’; denn über die Regeln ‘offener’ Kommunikation muß bei strategischem Handeln verfügt werden. Aus der Sicht Bourdieus ließe sich hier fragen, auf welchen Äußerungsebenen der Texte die ‘Strategien’ eigentlich manifest und über welche sie wirksam werden. In Habermas’ Unterscheidung von Diskurstypen wird dem „Expressiven“, der Diktion o.a., in wissenschaftlichen oder philosophischen Texten eine nur marginale Funktion beigemessen. Das „Expressive“ ist hier Gegenstand ästhetischer Urteile, die aber gerade die Grundlage einer Distanzierung der Theorie vom Text, des Theoretikers von seinen Artikulationen abgeben. Eine solche Distanzierung bleibt durchaus erörterungsbedürftig, weil sie ein ‘gedankliches Substrat’ unterstellt, das als indifferent gegen die ‘Ausführung’ gedacht werden muß12. Markante Differenzen zwischen Bourdieu und Habermas deuten sich an, wenn es um die Einschätzung von institutionalisierten Diskursen und insbesondere um die Lokalisierung der eigenen Theorie als Teil des institutionalisierten Diskurses geht. Habermas’ „Theorie des kommunikativen Handelns“ gemäß umfassen die sozialen Systeme der Moderne hochinstitutionalisierte Expertenkulturen, in und zwischen denen die systemischen Steuerungsmittel Geld und Macht an Bedeutung gewinnen und die Mittel der sprachlichen Verständigung an Bedeutung verlieren. Zwar können in der Alltagskommunikation die sprachlichen Mittel als handlungskoordinierend noch eingebracht werden, aber eine institutionalisierte Kommunikation zeigt deutlich die Defizienzen dieser Mittel. Doch selbst hier noch erweist sich für Habermas die „kommunikative Vernunft“ mit ihren ethischen und gesellschaftspolitischen Dispositionen als universales Prinzip, weil die Herausbildung der defizienten Modi sich nur erklären ließe, wenn die „kommunikative Vernunft“ als Abgren12 Vgl. hierzu Bourdieus Vorwürfe gegen Habermas' frühe Essays über Heidegger (POMH, 29); auch J. Habermas, Philosophie und Wissenschaft als Literatur? In: ders., Nachmetaphysisches Denken, a.a.O., S.242 ff. Ignaz Knips zungsgrundlage vorausgesetzt wird. Wird dies bestritten, so Habermas, dann kommt wiederum die Unterscheidung von Defizientem und Nichtdefizientem ins Spiel, usw. Habermas’ elenktisches Argument, das er aus diesem iterativen Zirkel gewinnt, interessiert hier insofern, als er es selbst, wie die Unterscheidung von Nichtdefizientem und Defizientem, mit den defizienten Mitteln des Fachdiskurses aufrechterhalten muß. Er entzieht sich so - zugespitzt - stets partiell der Artikulation. Einen solchen Einwand läßt Habermas’ eigene Bestimmung von institutionalisierter Kommunikation zu; um sein Argument aufrechterhalten zu können, muß Habermas sein Prinzip der „kommunikativen Vernunft“ von seiner Artikulation, die ‘Theorie’ vom ‘Text’ derart abtrennen, daß die ‘Theorie’ auch jenseits ihrer Diskursform Geltung beansprucht, indem sie letztlich vom ‘Theoretiker’ in eine Lebensform und in eine Praxis ihrer Verteidigung übersetzt wird. Das Begründungsproblem aber seiner „Theorie des kommunikativen Handelns“ bleibt als Problem ihrer Artikulation bestehen; denn selbst ein appellatives Hinausweisen über den eigenen Diskurs bleibt an dessen Mittel gebunden. Habermas räumt denn auch den symbolischen Formen weit weniger Gewicht ein als Bourdieu. Zwar erwähnt er sie als ‘Verkörperungen’ von „kulturellem Wissen“ - „in Gebrauchsgegenständen und Technologien, in Worten und Theorien, in Büchern und Dokumenten nicht weniger als in Handlungen“13, mißt diesen ‘Verkörperungen’ (Habitualisierungen u.a.) und den symbolischen Transformationen aber gegenüber der ‘Theorie’ keine entscheidende Bedeutung bei. Demgegenüber räumt Bourdieu ihnen ihrer signikativen Funktion wegen den Vorrang vor einem ‘Kern von Theorie’ ein, der selbst in Paraphrasen nur über symbolische Mittel präsent sein könne. Aus Bourdieus Sicht signalisiert der Text eines Fachdiskurses stets mehr oder weniger als eine ‘Theorie’ im Sinne eines ‘independenten Systems von Aussagen’, sodaß eine Zurückführung des Textes auf ein Theoriesystem nur eine zirkuläre Fiktion sein könne. Was Habermas als ‘blinde Flecken’ eines Fachdiskurses bezeichnen würde, macht für Bourdieu gerade dessen apokryphe ‘Autonomie’ aus und si13 J. Habermas, Nachmetaphysisches Denken, a.a.O., S.98. "Individualisierung" wird dann als Selbstbehauptung verstanden, die sich aber "kultureller Muster" bedienen muß (siehe ebd., S.223). Symbolische Formen und Akteure chert erst in der Rezeption Zuweisungen wie ‘philosophisch’, dasjenige also, was letztlich als „Theorie“ bezeichnet werden kann (vgl. die Heidegger-Studie). Für Bourdieus Beurteilung von institutionalisierten Diskursen ist es ausschlaggebend, daß seine Soziologie der symbolischen Formen die ‘Theorie’ von der ‘Artikulation’ mittels der Annahme einer dezentralisierten Autorenschaft distanziert. Als Verfasser ist für ihn ein ‘Theoretiker’ nicht ‘Autor’ im Sinne eines auktorial verfügenden Zentrums. Die nur begrenzt verfügbaren symbolischen Formen der Mitteilung, die der Verfasser einsetzt bzw. einsetzen muß, sichern aus seiner Sicht jedoch gerade die Rezeption des Disparaten als Theorie und die Vorstellung des Theoretikers. Bourdieu meint, wie der Heidegger-Studie zu entnehmen ist, die symbolischen Formen (das Ausdrucksrepertoire von Fachdiskursen) und den Habitus (Gelehrter, Theoretiker, Philosoph) auf einen zirkulären Prozeß der Herausbildung und Verfestigung von Topoi zurückführen zu können, die zugleich das Disparate ihrer Einflußfaktoren und dessen Genese verdecken. Habermas hat, auf eine solche These der ‘Dezentralisierung des Autors’ beziehbar, die epistemologisch die ‘Theorie’ auf bloße ‘Artikulation’ reduziert, gegen M. Foucault und J. Derrida den Vorwurf erhoben, „im Durchgang durch den Strukturalismus“ eine „transzendentale Subjektivität ... spurlos zum Verschwinden gebracht zu haben“. Ohne „Spur“, ohne ein paradigmatisches Äquivalent, entfalle so ein Zentrum des Philosophierens, dem der Theoretiker als Philosophierender sich partizipierend zuordnen kann. Foucault hat dies die „Auflösung der philosophischen Subjektivität, ihre Zerstreuung in einer Sprache, die jene entmächtigt und im Raum ihrer Leere vervielfältigt“, genannt und dies auf die Entwicklungen in der Philosophie seit Nietzsche bezogen. Habermas befürchtet jedoch als Resultat, daß „auch noch das der sprachlichen Kommunikation selbst innewohnende System von Weltbezügen, Sprecherperspektiven und Geltungsansprüchen aus dem Blick gerät“: „Das Haus des Seins wird selber in den Strudel eines ungerichteten Sprachstroms hineingerissen“. Er wendet sich gegen einen „radikalen Kontextualismus“, der die von Foucault skizzierte Entwicklung zum Ausgangspunkt des eigenen Arbeitens macht. Die zunächst auf epistemologischem Wege herausgestellte Dezentralisierung philosophischer Subjektivität wird so zur eigenen. Während also Habermas interessiert, was sein Ignaz Knips soll oder nicht sein soll, und er dies durch die „Theorie des kommunikativen Handelns“ zu begründen versucht, geht es in Bourdieus Theorie der symbolischen Formen darum, was humanwissenschaftliche Diskurse eigentlich leisten können bzw. nicht leisten können. Um letztlich das Modell der „kommunikativen Vernunft“ nicht im Expertendiskurs zu desavouieren, versucht Habermas, die Theorie gewissermaßen vor ihrer Durchführung, ihrer Artikulation, zu retten, indem er sie, appellativ, von den Grenzen ihrer Durchführung und Artikulation distanziert. Die Konsequenz ist allerdings, daß nun die Artikulationsgrenzen, die philosophische Fachdiskurse mit anderen teilen, aber auch die Einsicht in das Verhältnis von Macht und appellativen Mitteln, nicht mehr auf die Resultate des eigenen Tuns konsequent angewandt werden. Diskurs zwischen ‘Zirkularität’ und ‘Intentionalität’ (Bourdieu) Wer die Position einer dezentralisierten Autorenschaft einnimmt, muß den eigenen Diskurs aufwerten und desavouieren zugleich. Denn er gilt als ‘Theorie’, aber im apokryphen Sinn. Rückübersetzungen des eigenen Diskurses auf seine Einflußfaktoren hin sind in diesem Kontext selbst an übertragende symbolische Ausdrucksformen gebunden. Eine solche Metakritik des philosophischen Diskurses muß den Zirkel in Kauf nehmen, den auf epistemologischem Wege gewonnenen Ausgangspunkt eines disparaten Verfassertums auf sich selbst anwenden zu müssen. Weiter muß ein Primat des ‘Expressiven’ dem ‘Expressiven’ je mehr zusprechen als etwa Gegenstand ästhetischer Urteile sein kann. Die Geschichte der Ausdrucksformen gilt - sofern die Ausdruckformen ‘Theorie’ mitkonstituieren - als ‘Theorie’-Geschichte. Anders als in Habermas’ Begründungsversuch einer kommunikativen Rationalität bleibt hier die Bestimmung des Verhältnisses von Macht und Diskurs diskursimmanent und erlaubt eine konsequentere Genealogie dieses Verhältnisses, sofern die These von der Transformation oder Modifikation der komplexen Einflüsse nicht von der Durchführung der eigenen Theorie ferngehalten wird. Aber die Position, die von der Kontextualität von Diskurstheorien ausgeht - so wenigstens versteht Bourdieu ja seine Soziologie der humanwissenschaftlichen Diskurse -, hat die Rechtfertigungsschwierigkeit, sich nur im Sinne eines Gestus der Bestäti- Symbolische Formen und Akteure gung von Zirkularität aufrechtzuerhalten und diesen Gestus perpetuierend zum Motiv des eigenen Arbeitens zu machen. Oben wurde darauf hingewiesen, daß Bourdieus Konstruktion des „Akteurs“ die Frage nach der Intentionalität von symbolischen Strategien offenläßt. Es läßt sich nun fragen, welche Bedeutung diese Lücke für ihn als „Akteur“ und in den Texten der Soziologie der symbolischen Formen hat. Da für Bourdieu gesellschaftliche Differenzen (‘Stände’, ‘Klassen’, ‘Schichten’) auf symbolische Distinktionen zurückgehen, gilt dies auch für die soziologischen Theoriebildungen; denn sie werden unter dem Einfluß sozialer Felder, etwa des akademischen Betriebes, artikuliert und operieren selbst mit Klassifizierungsschemata. Aus Bourdieus Sicht gibt es also keine ‘unschuldige’ Soziologie oder Sozialphilosophie. Was an ethischen Dispositionen und politischen Optionen bestehe, komme eben nur über symbolische Formen zum Ausdruck, die eigene Wirkungen und einen eigenen Einfluß auf die Konstitution des ‘Gegenstandes’, letztlich auf soziale Prozesse, haben. Der Zirkel des konstitutiven Eingebundenseins wird - dem Standpunkt der Wissenssoziologie Mannheims vergleichbar - als unvermeidbar angesehen. Eine Soziologie der Soziologie soll den Zirkel wenigstens durchschaubar halten und eine Soziologie des Bildungswesens die Reflexion leiten, die sich auf die eigenen symbolischen Formen richtet. Eine „reflexive Wendung“, schreibt Bourdieu im Vortragstext seiner ‘Vorlesung über die Vorlesung’, „führt eine Distanz ein, die - beim Redner wie bei seinen Zuhörern - den Glauben zu zerstören droht, der die gewöhnliche Voraussetzung für das erfolgreiche Funktionieren der Institution darstellt“. Sollen „Aussagen, die die Grundlage der Macht, welche sie selber ausüben, darstellen oder bloßstellen“, nicht „zynisch“ oder „machiavellistisch“ werden, muß der Reflexion zugetraut werden, „symbolische Macht“ weniger „illegitim“ machen zu können, indem die strategischen Verdeckungen ihrer Strukturen und ihrer Ausübung, durch symbolische Mittel wiederum, durchschaubarer werden (LL, 80). So spielt letztlich doch die Intentionalität eine Rolle in Bourdieus Überlegungen. Es gilt, eine Transparenz der strategischen Verdeckungen zu erreichen, die selbst keine Verdeckung mehr sein soll; aber diese Absicht und deren Artikulation bleiben in den besagten Zirkel eingebunden. An anderer Stelle nennt Bourdieu ‘persönliche’ Motive, von denen aus die Selbstbezüglichkeit der Soziologie der symbolischen Formen als eine Ignaz Knips Art ‘Befreiung’ durch ein Verfahren in progress verstanden werden kann. So schreibt Bourdieu im Vorwort zur deutschen Ausgabe des „Homo academicus“ über sein Bedürfnis, „die Folgen der Entzauberung des Oblaten angesichts des Verlustes aller Wahrheiten und Werte, die ihm einst ans Herz gelegt worden waren, ... mit rationalen Mitteln zu meistern, statt vor ihnen in eine selbstzerstörerische Stimmung des Ressentiments zu flüchten.“ Bourdieu schreibt über Bourdieu.