Pierre Bourdieu Klassenstellung und Klassenlage In: Zur Soziologie der symbolischen Formen“ Suhrkamp, Frankfurt am Main, 1974 Klassenstellung und Klassenlage Abstract: Bourdieu legt in diesem Kapitel dar, wie sich Klassen konstituieren und stellt dabei die Unterscheidungsmerkmale dieser in den Mittelpunkt seiner Analyse. Er unterstellt, dass die Klassenbildung vorrangig durch die Abgrenzung zu anderen Schichten determiniert und nicht Klassenimmanent ist. Er versucht ferner die Spielregeln der Klassenbildung heraus zu arbeiten um sie der Sozialanalyse zugänglich zu machen. Schlagworte: Klasse, Sozialstruktur, Unterscheidungsmerkmale, Stände, Stellung 696511 VO Medienpädagogik: Medienbildung, Medienkompetenz, Medienkultur Univ.-Prof. Dr. Thomas A. Bauer, Institut für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft, Universität Wien, WS 2004/2005 Wolfgang Krapesch, 0061034 Zusammenfassung: Bourdieu versucht zu Beginn den Begriff Sozialstruktur zu definieren. Er wirft die Frage auf, wie gesellschaftliche Schichten, Klassen und Standesgruppen (Partien) erkannt werden können und kommt zu dem Schluss, dass nicht so sehr die den Gruppen immanenten Eigenschaften - wie etwa Berufstypus oder materielle Existenzbedingungen - die Struktur determinieren als vielmehr die jeweiligen Verhältnisse der Gruppen zueinander. Als Beispiel führt er hier das Bauerntum an, dass sich definiert durch sein Verhältnis und Unterscheidung zum städtischen Leben. Die Unkenntnis dieser für Klassen konstitutiven Elemente (Partien), eben der Verhältnisse zueinander, kann zB. bei der Übertragung von einem rein deskriptiven gesellschaftlichen Schemata auf eine andere Gesellschaft zu falschen Interpretationen führen. “So wird ein kategoriales System, wie man es verwendet, um diese oder jene Klasse in einer kleinen Gemeinde zu bestimmen, zu einer strukturell völlig verschiedenen Größe wendet man es auf eine Großstadt oder gar die Gesamtgesellschaft an“1 Es ist also nicht gesagt, dass nur weil ein und die selbe charakteristische Eigenschaft in zwei verschiedenen Partien auftritt automatisch auch Analogien gezogen werden können ohne die strukturelle Vergleichbarkeit zu prüfen. Andererseits “... verfügen die Sozialstrukturen zweier verschiedener Gesellschaften möglicherweise über äquivalente Eigenschaften trotz profunder Unterschiede der Klassen, aus denen sie sich konstituieren.“2 Bourdieu folgend ist es demnach auch nicht möglich die Stellung eines Individuums oder einer Gruppe in der Sozialstruktur vollständig zu analysieren ohne die gesamte soziale Lebenskurve des Individuums bzw. der Gruppe zu betrachten, die erst Aufschluss über die auf oder -absteigende Neigung der Kurve geben kann. Um zu zeigen, dass zwei soziale Klassen bei gleicher synchroner, vor allem aber diachroner Stellung in zwei unterschiedlichen Gesellschaftsstrukturen eine Reihe gemeinsamer Eigenschaften trotz lagespezifischer Unterschiede aufweisen können, führt Bourdieu, Louis B. Wright zitierend, das Beispiel von der elisabethanischen Gesellschaft an, in der sich eine “Mittelklasse“, bestehend aus Kaufleuten und wohlhabenden Handwerkern ausgebildet hat. Diese Mittelklasse entwickelte einen eigentümlichen Lebensstil, der sich auf der einen Seite durch die Abgrenzung vom höhergestellten, verschwenderischen Adel und auf der anderen Seite durch Abgrenzung von den unbekümmert vor-sich-hin-lebenden Armen 1 2 Pierre Bourdieu, Zur Soziologie der symbolischen FormenS44 S47 definierte. Die Einstellungen dieser Gruppe zu Bildung, Erziehung, Ästhetik und Moral sind durchaus vergleichbar mit jenen die in den mittleren Klassen unserer Gesellschaft gelten. “So lassen sich mithilfe eines strukturalistischen Verfahrens, d.h. durch systematische Analyse eines speziellen Falles transhistorische und –kulturelle Züge feststellen, die sich, sieht man von Ausnahmen ab, in allen Gruppen, die äquivalente Stellungen einnehmen, auffinden lassen.“3 Die Typischen Merkmale einer Klasse, wie von der eben beschrieben mittleren Klasse, konstituiert sich aber nicht nur durch Abgrenzung von den “Nachbarklassen“ sondern auch durch deren funktionales Gewicht in der Gesellschaft. In anderen Worten können zwei Typen transhistorischer und –kultureller Aussagen über Gruppen gemacht werden. Einerseits bezogen auf die Struktur der gesellschaftlichen Totalität andererseits auf die Art dieser Struktur selbst. Zur Bestimmung einer sozialen Klasse ist es nicht ausreichend nur auf die Beziehungen/Abgrenzungen der Gruppe zu anderen Klassen acht zu geben, sondern auch die Beziehungen der Individuen die innerhalb dieser Klasse zu berücksichtigen. In den Klassen bilden sich Positionswerte aus, die einer jeden Stellung , einem jedem Rang in der Gesellschaftsstruktur anhaften. Bourdieu trennt hier, Max Weber folgend, die Werte Klasse (ökonomischer Aspekt) und Stand (symbolischen Aspekt) wobei er Letzterem stets sekundäre Stellung zuweist. “Klassen gliedern sich nach den Beziehungen zur Produktion und zum Erwerb der Güter, Stände nach den Prinzipien ihres Güterkonsums , in Gestalt spezifischer Arten von Lebensführung“4 Stil oder Prestige könnte man es wohl auch nennen, was den Stand auszeichnet. Die Sprache oder Kleidung sind hier Beispiele wie sich das Individuum oder eine Gruppe aus der Anonymität herausheben kann. Der Wert liegt hier im Unterscheidungsmerkmal, in unserem Beispiel die Kleidung, der solange besteht als nur eine elitär Gruppe auf ihn Zugriff hat. Ähnlich auch die Logik am Beispiel Sprache und ihrer unterschiedlichen Verwendung in den verschiedenen Klassen (vornehm vs. vulgär). “In einer differenzierten Gesellschaft, in der es nicht nur darum geht, sich vom Gewöhnlichen zu unterscheiden, sondern sich auf unterschiedliche Weise zu unterscheiden, zieht die Logik 3 4 S51 S60 der Umkehrungen des Pro und Contra ebensolche Umkehrungen zwischen der Einfachheit der “Einfachen“ und der gesuchten Einfachheit der “´Raffinierten“ nach sich.“5 Das Hervorheben der Gegensätze zur Profilierung des Standes ist von ökonomischen Zwängen diktiert und bleibt somit eher ein Spiel der Reichen. Das Verständnis um die Spielregel der stellungs und -standesspezifischen Unterschiede soll der Erstellung eines Profils der sozialen Realität dienlich sein. Zu betonen ist dabei, dass in den Beziehungen der verschieden Klassen zueinander die Unterscheidungssymbole zu einem Regelwerk werden, welches in ihrem Bereich absolute Gültigkeit besitz und so die Beziehungen prädisponiert. “Es bliebe daher zu untersuchen, inwiefern die Struktur der ökonomischen Beziehungen, indem sie zugleich die Lage als auch Stellung der sozialen Subjekte determiniert, die Struktur der symbolischen Beziehungen zu bestimmen vermag, deren Gliederung und Organisation einer Logik gehorchen , die nicht die der ökonomischen Verhältnisse ist“6 5 6 S70 S74