Rezension zum Artikel Pierre Bourdieu Kapitel II - Klassenstellung und Klassenlage in "zur Soziologie der symbolischen Formen" Suhrkamp. Frankfurt am Main, 1974 S. 42 bis 76 Titel der LV : Medienpädagogik Leiter der LV: Uni. Prof. Thomas A. Bauer StudentInnen : Simon Inou Mat.nr.: 9647222 Wien, den 07.12.04 im WS 04 Jennifer Imhoff Mat.nr. :0009034 1- Abstract In einer ersten Phase versucht Pierre Bourdieu die Bedeutung von sozialen Strukturen einen neuen Inhalt zu geben oder neu zu definieren. Mit erklärenden Beispielen ermöglicht er uns sein Verständnis von Klassenstellung sowie Klassenlage zu verstehen, indem er die Rolle des Individuums in der Dynamik einer sozialen Klasse nicht vernachlässigt. Pierre Bourdieu widerlegt jedoch die Betrachtung von sozialen Klassen als permanente Strukturen die immer gleich bleiben in einer immer veränderten Welt. In diesem Text schlägt er einige Untersuchungsschlüssel vor um die Zeitgenossische Klassenkonstruktion zu verstehen vor. Die moderne Klassenkonstruktion soll den Beruf, das Ausbildungsniveau, das Geschlecht, das Alter, der Wohnort aber vor allem das Volumen des im Besitz akkumulierten Kapitals (Reichtum) sowie die Flugbahn des sozialen Aufstiegs der diversen Mitglieder diese Klasse berücksichtigen. Erklärt und kritisch betrachtet werden: - Begriffliche Definitionen (und etwaige Unklarheiten) wissenschaftlicher Termini und Vergleiche wie z.B. Sozialstruktur, Klasse vs. Stand, Kategorie (im Kontext der Sozialwissenschaften), usw. - Bisherige verbreitete Theorien und Ausführungen ( Weber, Marx, LeviStrauss, Parkin u.a.) - Wissenschaftliche Forschungspraxen und – Modalitäten. Bourdieu beschreibt die Problematik der Interdisziplinären Forschung wie sie sich für EhtnologInnen, SoziologInnen und KomparatistInnen äußert. Zusammenfassung des Textes Der Artikel erscheint das erste Mal im Band VII der Zeitschrift "Archives Européennes de Sociologie" im Jahre 1966. Der Forschungsschwerpunkt dieses Bandes war "Aliénation et Structure or conscience and conciousness"1. In diesem Text der für viele der Grundtext seines Buches „Die feinen Unterschiede“ ist, versucht Bourdieu den Begriff der sozialen Klasse neu 1 Archives européennes de sociologie, Tome VII, 1966 , N°1, P. 201-223 2 zu positionieren. Er beginnt das Wort Struktur im Kontext der "Sozialstruktur" zu hinterfragen. Weil dieses Wort sehr oft von Soziologen benutzt werden. Wichtig erscheint ihm, den (oftmals sehr allgemein verwendeten) Begriff möglichst klar zu definieren und sich der Inhalte der sogenannten Sozialstruktur in Rahmen der wissenschaftlichen Forschung im Kontext der jeweiligen lokalen und historischen, kulturellen und ökonomischen Bedingungen zu nähern. Die Integration einer sozialen Klasse – als Element oder auch Partie der jeweiligen Sozialstruktur- könne nur im Kontext ihrer Rahmenbedingungen verstanden und folglich ihre Auswirkungen nur auf diese Weise richtig und als solche verstanden werden. „(....) dass die Soziologen damit vor jener Alternative stehen, wie sie den Ethnologen so wohlbekannt ist, nämlich zwischen einem abstrakten und leeren Nominalismus und einer Ideographie wählen zu müssen, die allzu bedacht, nur ja jede Gruppe oder jedes charakteristische Merkmal einer Kultur im Netz dieser Beziehungen zwischen den anderen Gruppen oder Zügen jedes einzelnen Systems wieder an den ihm gemäßen Ort zu stellen, nicht in der Lage ist, gemeinsame Formeln und Prozesse zu begreifen?“2 . Den Begriff "Sozialstruktur" ernst zu nehmen , heißt voraussetzen , dass jede soziale Klasse, da sie in einer historisch bedingten Sozialstruktur eine Stellung einnimmt, von ihren Beziehungen zu den anderen konstitutiven Teilen der Struktur derart berührt wird, dass sie diesen Positionseigenschaften verdankt, die von ihren rein immanenten relativ unabhängig sind3. In diesem Sinne referiert er an Max Weber in seiner Untersuchung bestimmter Merkmale der bäuerlichen Lebensbedingungen und kommt zu dem Schluss, dass diese Merkmale die sich in zwei Kategorien differenzieren (Klassenstellung Merkmale sowie Klassenlage Merkmale) an eine Referenz angekoppelt sind. Nämlich die Stadt. Die Stadt gilt hier als Bezugssystem für den Bauer. Einige Züge des Bäuerlichen Lebens können nur wegen der Stellung des Bauern in der Gesellschaft verstanden werden und andere Züge nur in der Klassenlage in der sozialen Struktur verstanden werden . So beklagt er, dass die heuristische Aufschlusskraft von strukturalen Aussagen beträchtlich schwankt. Vor allem hinsichtlich der stellungs- und lagespezifischen Eigenschaften, die nicht ableitbar sind. 4 2 Pierre Bourdieu, „ Zur Soziologie der symbolischen Formen, Suhrkamp 1974, S 45 Pierre Bourdieu, Zur Soziologie der symbolischen Formen, Suhrkamp 1974, S. 42 4 Pierre Bourdieu, „ Zur Soziologie der symbolischen Formen, Suhrkamp 1974, S 48 3 3 Bourdieu kommt zur Erkenntnis, dass es daher „ unmöglich (ist), die Stellung eines Individuums oder einer Gruppe in der Sozialstruktur jemals unter einem, (....) statischen Gesichtspunkt vollständig (....) zu analysieren.“5 Allgemeingültige Kriterien für die verschiedenen Partien der Sozialstruktur scheinen trotzdem möglich zu sein, hier folgt Bourdieu dem Beispiel Davis und Gardners: • Bei den unteren Klassen richten sich die Kriterien größtenteils nach Geld • Die mittleren Klassen streben nach Geld und Moralität6 • Die oberen Klassen legen den Akzent auf Geburt und Erbe. (symbolische Unterschiede) Eine gröbere Einteilung der Klassen erfolgt komplementär: Bourdieu spricht von „Besitzenden“ und „Besitzlosen“ (ökonomische Unterschiede) Symbolische Unterschiede zwischen den jeweiligen Partien werden als „Träger von Bedeutungen zweiten Grades“ beschrieben, da die Individuen selbst Distanzierung von den anderen Partien und zugleich ethnozentristische Orientierung in ihrer Gruppe selbst suchen. Insofern findet, laut Bourdieu eine Verdoppelung einer Bedeutung- zum Beispiel Kleidung als Ausdrucksmittel sozialen Standes- statt. Der eigentlichen Bedeutung wird eine übergeordnete, „zwangsweise“ Bedeutung hinzugefügt. Die symbolisch- soziale Interaktion der jeweiligen Partien wird im Hauptteil des Artikels ausführlich besprochen und als wesentlichstes Merkmal (neben den objektiven ökonomischen Unterschieden) der dynamischen Klassenbildung und des Selbstverständnisses derselben gesehen. Diverse Beispiele hierfür werden genannt: Die Extravaganz der „Upper class“ versus standardisierter Fließbandkollektionen für das (Klein-) Bürgertum; Anerkennung durch Leistung versus vererbter Soziabilität. Klassentheorien und seine Kritik: Karl Marx Verständnis von Klassen: Klassen sind Bevölkerungsgruppierungen, die sich aufgrund der Arbeitsteilung im 5 Pierre Bourdieu, „ Zur Soziologie der symbolischen Formen, Suhrkamp 1974; S 48 Bourdieu beschreibt in seinem Text ausführlich den „kleinbürgerlichen Objektivismus“ (Marx)- und dessen Anforderungen an das Individuum 6 4 politischökonomischen Sozialgefüge der Produktion und des Warenaustausches herausgebildet haben. Ihre Stellung in der Gesellschaft hängt ausschließlich von der Struktur der herrschenden Eigentumsordnung ab. Der Unterschied und der Gegensatz zu anderen Klassen in der Gesellschaft ergeben sich aus der politischen Verfügungsgewalt über Menschen und aus der ökonomischen Verfügungsgewalt über die Aneignung von Produktionsmitteln. Klassen entstehen durch Besitz und Nicht-Besitz an Produktionsmitteln. Zwangsläufig stehen sich somit immer zwei Klassen in antagonistischen Interessenlagern gegenüber (im Industriekapitalismus die Kapitalisten und Proletarier). Die Zugehörigkeit zu einer Klasse bestimmt das individuelle Bewusstsein (Klassenbewusstsein). Die Ursachen individuellen Handelns haben immer materielle Ursprünge oder sind durch Klasseninteressen zu erklären7. Also ein hierarchisches Verständnis der Klassen basiert auf den materialen Ebenen. Kritik an traditioneller Klassenanalyse, am Beispiel Frank Parkin: Frank Parkin kritisiert in Strategien sozialer Schließung und Klassenbildung die traditionelle Klassenanalyse: • Mangelnde Adaption der gestiegenen internen Differenzierung in den Klassenbegriffen P ARKIN geht davon aus, dass die traditionelle Klassenanalyse nicht die innerhalb einer Klasse stattfindenden Differenzierungsprozesse erfassen kann, d.h. es wird innerhalb einer Klasse von einem relativ homogenen und friedfertigen Gebilde ausgegangen. Seiner Meinung nach ist eine Klasse durch einen „Waffenstillstand im ‚Krieg aller gegen alle‘“ gekennzeichnet, d.h. im Gegensatz zu den Klassenkämpfen – als Ausdruck von knappen Ressourcen, scheint dieser Konflikt in der Klasse nicht zu bestehen. • Mangelnde Erfassung der inner-klassen Komplexität Konflikte zwischen den Klassen werden üblicherweise innerhalb eines dichotomen Bezugsrahmens erklärt, d.h. KonfliktteilnehmerInnen der einzelnen Klassen werden streng und explizit einer Seite zugeteilt. Innerhalb der Klassen mit einem gleichen Schema vorzugehen wäre insofern verwirrend, da diese Konflikte ja eben nicht als Ausdrücke von Klassenkonflikte im bekannten Sinne verstanden werden können: 7 http://www.uni-potsdam.de/u/sozialstrukturanalyse/glossfaq/begriffe/texte/klassen.pdf , 23.11.2004, 12h55, S.1 5 • Vernachlässigung von ethnischen und religiösen Gruppen in einer Klasse Nach P ARKIN ist zudem die Anwendbarkeit der Klassenanalyse hinsichtlich der Differenzierung in einzelne ethnische, religiöse Gruppen fraglich. Kritische Medienpädagogische Interesse und Cultural Studies: „In der Tat erscheinen die unter ökonomischem Gesichtspunkt unterprivilegiertesten und am härtesten betroffenen Klassen in diesem Spiel von Verbreitung und Distinktion, das eigentlich kulturelle Spiel ist und sich objektiv nach der Klassenstruktur organisiert, nur als Kontrastmittel, d.h. als der zur Hervorhebung der anderen notwendige Gegensatz, bzw. als „Natur“. Das Spiel der symbolischen Unterscheidungen spielt sich also innerhalb des engen Raumes ab, dessen Grenzen die ökonomischen Zwänge diktieren, und bleibt, von daher gesehen, ein Spiel der Privilegierten privilegierter Gesellschaften, die es sich leisten können, sich die wahren Gegensätze, nämlich die von Herrschaft, unter Gegensätzen der Manier zu verschleiern“8 Unserer Ansicht nach erweckt dieser Text von Pierre Bourdieu eine Sehnsucht nach einer kritischen Betrachtung der Gesellschaft und der Medienpädagogik. Heutzutage beherrscht die Marktwirtschaft Kulturgüter mehr als je zuvor. Konzentrationen von Verlagshäusern, Medien und das wachsende Interesse von Konzernen an der Kontrolle von Medieninhalten ist nur eine bedrohende Erscheinung. Kein Strohfeuer wie viele vermuten. In diesem Sinne bietet uns die kritische Medienpädagogik andere Mittel wie Rainer Winter hier zu erklären versucht : „ Eine kritische Medienpädagogik soll die Zuschauer ermächtigen, die Botschaften, Ideologien und Werte in medialen Texten zu dechiffrieren, um der Manipulation zu entgehen und eigene Identitäten und Widerstandsformen entwickeln zu können. Darüber hinaus soll sie politisch engagierten Medienaktivismus initiieren und unterstützen, um alternative Formen von Kultur und Gegenöffentlichkeiten hervorzubringen, die von entscheidender Bedeutung für eine lebendige Demokratie sind.“9 8 Pierre Bourdieu, Zur Soziologie der symbolischen Formen, Suhrkamp 1974, S. 72-73 Rainer Winter, Cultural Studies und kritische Pädagogik, 6.2.2004, in Medienpädagogik, Online-Zeitschrift für Theorie und Medienbildung, S.6 http://www.medienpaed.com/03-2/winter03-2.pdf , 07.12.2004, 13h45 9 6 Die sozialen Klassen in der Soziologie mit den Unterscheidungsmerkmalen Bourdieus : Emile Durkheim beschäftigte sich mit der funktionalen Betrachtung der sozialen Differenzierung. Max Weber folgte mit der Spiritualisierung des Klassenhandelns basiert auf empirischen Arbeiten in sozialen Gruppen in Deutschland. Karl Marx versuchte den Begriff der Klasse in einer materialistischen Gesellschaft zu verstehen. Alle drei vergessen was Pierre Bourdieu jetzt in der Debatte um die Definition der Klassen fehlte. Nämlich dass es vier verschiedensten Arten von Reichtümer (Capital) gibt: Das Wirtschaftliche Kapital (z.B. Besitz, Einkommen), das Kulturelle Kapital (Bücher, Zeugnisse, Cds, Bilder...), das Soziale Kapital gekoppelt an einer bestimmten Gruppe von Menschen die sich im bestimmten Vereinen treffen und austauschen sowie rund um bestimmten Events (Rallyes, ....) und das Symbolische Kapital mit u.a. die Art sich zu benehmen, sich anzuziehen, den Ruf, die Berühmtheit, sowie Dekorationen. Für Bourdieu unterscheiden sich die sozialen Klassen nicht nur im Bezug auf die Höhe des Besitzes sondern mit der Struktur in denen sich diese sozialen Klassen bewegen. Aus diesen unterschiedlichen Klassen unterstützt Pierre Bourdieu die Argumentation von Max Weber, dass rein ökonomischer Macht und die „nackte Geldmacht“ nicht unbedingt eine anerkannte Grundlage der „sozialen Ehre“ zu bilden brauchen10. Vergleichen wir großen Händler mit Professoren, dann bemerken wir, dass die ersten weniger reich an kulturellem Kapital als die zweiten sind. Schlussfolgerungen - Die sozialen Elemente einer Gesellschaft können nur im Kontext ihrer soziokulturellen Rahmenbedingungen, der historischen Genesis und der ökonomischen Bedingungen und Möglichkeiten untersucht und betrachtet werden. - Soziale Stände, Klassen, Elemente oder Partien können nicht gesondert voneinander betrachtet werden, ihr Verhältnis gestaltet sich als reziprok- die Elemente bedingen sich wechselseitig und messen sich Bedeutungen zu. 10 Pierre Bourdieu, Zur Soziologie der symbolischen Formen, Suhrkamp 1974, S. 58 7 - Die zugemessenen Bedeutungen werden in symbolischer Interaktion unter den Gruppen ausgetauscht und dienen der Abgrenzung wie der Hervorhebung des sozialen Standes - Die Abgrenzung der Gruppen voneinander fördert ihrerseits wiederum eine gewisse Homologie die sich in den symbolischen Bedeutungsträgern (z.B. Kleidung) äußert. - „ in diesem Sinne sind sie von größerer Realität als die Subjekte, die sie einnehmen, (....) Bedeutungsbeziehungen drücken daher Herrschaftsbeziehungen aus (....) Schlagworte Sozialstruktur Klasse/ Standesgruppen Klassenlage/ Klassenstellung Element Partie Symbolik Homologie Bibliographie - Pierre Bourdieu, Zur Soziologie der symbolischen Formen, Suhrkamp 1974. Frankfurt am Main - Archives européennes de sociologie, Tome VII, 1966 , N°1, P. 201-223 - Rainer Winter, Cultural Studies und kritische Pädagogik, 6.2.2004 - Jean Ziegler, Der Sieg der Besiegten-Unterdrückung und Kultureller Widerstand, Peter Hammer Verlag, Wuppertal 1992, S.85-92 - Frantz Fanon, Die Verdammten dieser Erde, Suhrkamp 1966, S. 127-174 - Nasima E-Yamchi, Interkulturelle Kommunikation in: Jörgen Klussman, Interkulturelle Kompetenz und Medienpraxis, S. 15, Brandes & Apfel, 2004 Frankfurt am Main 8 Internetquellen - http://www.uni-potsdam.de/u/sozialstrukturanalyse/glossfaq/begriffe/texte/klassen.pdf , 23.11.2004, 12h55, S.1 - http://www.medienpaed.com/03-2/winter03-2.pdf , 07.12.2004, 13h45 9