Geisteswissenschaft Ulrike M. S. Röhl Pierre Bourdieu und die Ökonomie des sprachlichen Tauschs Essay Pierre Bourdieu und die Ökonomie des sprachlichen Tauschs (Johanna F. S. Röhl) In der vorliegenden wissenschaftlichen Ausarbeitung zur soziologischen Kommunikationstheorie von Pierre Bourdieu werde ich sein Unterfangen, eine soziologische Position jenseits von jedem Subjektivismus und Objektivismus zu formulieren, in prägnanter Weise nachzeichnen. „Wie können Verhaltensweisen geregelt sein, ohne dass ihnen eine Befolgung von Regeln zugrunde liegt?“ (Bourdieu, P., Rede und Antwort. Frankfurt am Main, 1992, 85f.), bildet dabei die Ausgangsfrage seiner Kulturtheorie, die er primär mit dem Terminus des Habitus zu beantworten sucht. Pierre Félix Bourdieu (* 1. August 1930 in Denguin, Département PyrénéesAtlantiques; † 23. Januar 2002 in Paris) gilt allgemein in der Forschung als bedeutender französischer Vertreter einer der wichtigsten Positionen in der Kulturund Literatursoziologie der Gegenwart (siehe hierzu genauer: Bohn, C.; Hahn, A., Pierre Bourdieu in: Kaessler, D. (Hg.), Klassiker der Soziologie, Bd. 2, München 1999, 252f.) und verdient daher der differenzierten Betrachtung. Im Zuge seiner Darstellung grenzt Bourdieu sich sowohl von traditionell subjektivistischen als auch von objektivistischen Ansätzen ab. Dabei ist er jedoch grundsätzlich bestrebt, deren Erkenntnisse nicht in aller Gänze aufzuheben. Vielmehr möchte er sie integrieren sowie ausbauen. Insofern hat er versucht, subjektive Faktoren mit objektiven Gegebenheiten miteinander zu verbinden. Dafür hat er theoretische Begriffe unter Einbeziehung der individuellen Empirie des Akteurs entwickelt. Zur Erklärung der Theorie verwendet er unter anderem die Termini Habitus, sozialer Raum, soziales Feld und Kapital. Diese Begriffe, die eine lange philosophische sowie soziologische Tradition besitzen, hat er aus dem allgemeinen Sprachgebrauch auf seine Theorie transformiert (vgl. Steiner, P. Bourdieu lesen und verstehen, Arbeitsblatt Nr. 19, Institut für Ethnologie, Bern 2001, 23). Seine soziologische Sprachtheorie wendet sich gegen die Auffassung, Sprache sei ein Objekt der Vernunft und des Wissens und nicht ein Machtinstrument. Für ihn ist jeder Sprachakt und sogar jede Handlung in eine bestimmten Zusammenhang von Faktoren eingebettet: auf der einen Seite durch die Dispositionen des sprachlichen Habitus und auf der anderen Seite durch die Strukturen des sprachlichen Marktes. Somit stellt er den intellektualistischen Theorien seine praxeologische Soziologie entgegen. Daher kann man festhalten, dass bei Bourdieu „die Relation von Sprache und Sprechen [...] wie diejenige von Regel und Praxis“ (Schützeichel, R., Soziologische Kommunikationstheorien, Konstanz 2004, 330) ist. Um seine Sprachtheorie in adäquater Weise deuten zu können, sind vier Termini von zentraler Bedeutung: Habitus, soziale Klasse, soziales Feld sowie Kapital. Der Schlüsselbegriff für die Theorie Bourdieus bildet das Konzept des Habitus. In einem allgemeinen Zugang versteht er unter dem Habitus eine soziologische Kategorie, die ein gesellschaftlich bedingtes Dispositionssystem von verschiedenen Akteuren darstellt, d.h. es geht um die vielschichtigen Bedeutungen von Fähigkeiten, Gewohnheiten und Haltungen. Dieses System setzt sich aus drei unterschiedlichen Schemata zusammen: den Wahrnehmungsschema, den Denkschema und den Handlungsschema. Der Habitus des Akteurs, als generatives Prinzip, kann somit zusammenfassend als Inkorporation äußerer sozialer Existenzbedingen beschrieben werden. Der Terminus des Habitus versucht folglich, zwischen den komplementären Einseitigkeiten des Objektivismus und des Subjektivismus zu vermitteln (siehe hierzu genauer: Krais, B.; Gebauer, G., Habitus, Bielefeld 2002, 18-25). Neben dem Habitus verobjektiviert sich die soziale Realität auch in den verschiedenen Ordnungen und Institutionen des sozialen Raumes. Die Größe des sozialen Raumes ist „durch die gegenseitige Exklusion oder Destinktion der ihn konstituierenden Positionen definiert“ (Bourdieu, P., Meditationen. Zur Kritik der scholastischen Vernunft, Frankfurt am Main 2001, 172). Der soziale Raum wiederum ist durch soziale Klassen, soziale Felder und der geschlechtlichen Arbeitsteilung strukturiert. Unter den sozialen Klassen begreift er die vertikalen Differenzierungen von Gesellschaften, die sozialen Felder als der horizontalen Differenzierung von Gesellschaften und die sozialen Geschlechtern als der in allen sozialen Dimensionen vorzufinden geschlechtlichen Arbeitsteilung. Kriterium für diese Differenzierungen bildet die Verfügbarkeit über Kapital. Unter sozialen Feldern versteht Bourdieu einen spezifischen sozialen Raum mit gewissen Gesetzen, welche die Handlungen bestimmen. Diese Felder stellen die unterschiedlichen Teilbereiche der Gesellschaft wie z.B. Wirtschaft, Politik, Bildung oder Religion dar. Das soziale Feld ist somit durch soziale Klassen strukturiert. Diese Felder sind zwar unabhängig voneinander, aber sie sind im weitesten Sinne strukturhomolog. Zum Habitus stehen diese ebenfalls in einem komplementären Verhältnis, da sie in einem bestimmten Denk-, Wahrnehmungs- und Handlungsschema verknüpft sind. Ergo bedingen alle aufgeführten Termini einander. Das Kapital bildet allgemein die Bedingung und die Voraussetzung für die Ausbildung sowie Reproduktion des Habitus. Bourdieu erweitert für sein Verständnis von Kapital den klassischen Marxistischen Kapitalbegriff, indem er zwischen symbolischem, sozialem, ökonomischem und kulturellem Kapital differenziert. Die Zuordnung des einzelnen zu einer sozialen Klasse und die Beurteilung seines sozialen Einflusses funktioniert in der modernen Gesellschaft also nicht nur über die Verteilung des ökonomischen Kapitals, sondern auch über die des sozialen, kulturellen und symbolischen Kapitals. (siehe hierzu genauer: Schützeichel, R., Soziologische Kommunikationstheorie, Konstanz 2004. 332-336). Sein wissenschaftliches Interesse gilt primär den sozialen Bedingungen und Voraussetzungen der zwischenmenschlichen Kommunikation. Er stellt in seinen Untersuchungen fest, dass jeder sprachliche Ausdruck und auch jeder Ausdrucksstil einen spezifischen Distinktionswert mit sich führt (siehe hierzu genauer: Schützeichel, R., Soziologische Kommunikationstheorien, Konstanz 2004, 338-342). Weiter verweist er auf die symbolische Macht der Wörter. Er stellt fest, dass die Art und Weise unseres Sprechens sich nicht nur als eine spezifische Kapitalform zu verstehen ist, sondern dass die Macht der Wörter auf der Macht des Sprechens beruht. Von daher wird die Sprache zu einer symbolischen Macht. „Die Sprache wird zu einer Macht, weil sie unsere soziale Welt in Akten des Benennens konstruiert“ (Schützeichel, R., Soziologische Kommunikationstheorien, Konstanz 2004, 342).