Vorlesung 5 ( Spezielle Soziologie )

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Vorlesung: Sozialstruktur und Ungleichheit
Sommer 2015; Prof. Dr. Rosemarie Sackmann
5. Vorlesung:
Pierre Bourdieu
Habitus und Distinktion
Kapitalien und Felder
WIEDERHOLUNG nur sehr kurz…
Aber: Fortführung…
Erklärungsmodelle
Schicht/soziale Klasse
und Bildungsbeteiligung
Primäre und sekundäre Effekte der sozialen Herkunft (nach Raymond Boudon)
Primäre Herkunftseffekte:
Schulische Performanz
Ressourcen der sozialen
Herkunft:
Bildungserfolg und
1) ökonomisches Kapital
Bildungsungleichheit
2) Bildungsdistanzen
Sekundäre
Herkunftseffekte:
(Elterliche)
Bildungsentscheidung
Heuristisches Modell von Becker und Lauterbach
Wohlfahrtsstaat und
Schulpflicht,
Persistenz der
schichtspezifischen
Bildungsungleichheit
Marktwirtschaft und
soziale Schichtung
Bildungswesen und
Bildungsangebot
Schullaufbahn
Qualifizierung und
Selektion
Schulleistung
Schichtzugehörigkeit
und Sozialisation
Bildungsabsicht
Bildungsübergang
Schüler an Schulen der Sekundarstufe im Schuljahr 2006/07
Quelle: Integrationsreport 2008 (BAMF), S. 22
50
45
40
35
30
Ausländer
25
Ausländerinnen
Deutsche (m)
20
Deutsche (w)
15
10
5
0
Hauptschulen
Realschulen
Gymnasien
Schulen mit
mehreren
Bildungsgängen
Sonstige
…
… es gibt eine relativ junge Theorie, die sowohl einen
gesamtgesellschaftlichen Zusammenhang als auch explizit
binnengesellschaftliche Differenzierungen thematisiert...
Haben Sie Geschmack?
Der gute Geschmack Kennerschaft und Distanz zur Welt der Zwecke
Diese Distanz geht gewöhnlich einher mit
ökonomischer Macht…
Zitat von Bourdieu (1982: 182 ff)
„Wirtschaftliche Macht ist zunächst einmal die
Macht, der Not und dem Zwang des Ökonomischen
gegenüber Distanz zu schaffen. (…)
Die Distanziertheit des reinen Blicks ist nicht zu lösen
von einer allgemeinen Disposition zum ‚Zweckfreien’,
‚Interesselosen’ als dem paradoxen Produkt einer
negativen ökonomischen Bedingtheit, die über
Erleichterungen, über Leichtigkeit und
Ungebundenheit die Distanz zur Notwendigkeit
erzeugt. (…)
Zur objektiven Distanz gegenüber der Sphäre des
Notwendigen und gegenüber denen, die darin
eingebunden sind, kommt jene beabsichtige
Distanzierung hinzu, mit der Freiheit sich
verdoppelt, indem sie sich zur Schau stellt. Je
mehr die objektive Distanz wächst, um so stärker
wird der Lebensstil auch Ausfluss dessen, was
Weber eine ‚Stilisierung’ des Lebens nannte, d.h.,
eine systematische Konzeption, die die
vielfältigsten Praktiken leitet und organisiert, die
Wahl eines bestimmten Weins oder einer
Käsesorte nicht minder als die Ausstattung eines
Landhauses.
Als Bekräftigung der Macht über den domestizierten
Zwang beinhaltet der Lebensstil stets den Anspruch
auf die legitime Überlegenheit denen gegenüber, die
(…) von den Interessen und Nöten des Alltags
beherrscht bleiben.
Der ‚ungebundene’ Geschmack erweist sich als
solcher nur im Vergleich mit dem an materiellen
Zwang gebundenen, womit dieser am ästhetischen
Maßstab gemessen und so als vulgär eingeordnet ist.“
Es geht also…
…um Distinktion, um ein Sich-Unterscheiden, um das
Herausstreichen einer Differenz.
Über Geschmack, über Stil, differenzieren sich soziale
Gruppen aus.
Es geht aber nicht um beliebiges Sich-Unterscheiden
sondern um die Klassengebundenheit der Distinktion und
über die Bedeutung der Distinktion für die Reproduktion
von Ungleichheit.
„Die feinen Unterschiede“ behandeln den Geschmack
bzw. die Distinktion über ‚Geschmack‘. Bourdieu geht
von einer Verbindung zwischen Geschmack und
Konsummustern (einerseits) und der Klassenlage
(andererseits) aus. Die Klassenlage ist dabei das
Determinierende…
Fragen: Wie sieht diese Verbindung aus und wie kommt
sie zustande? Was im determinierenden (unabhängigen
Faktor) ist es, das eine Wirkung entfaltet, und wie
entfaltet der determinierende Faktor seine Wirkung?
Bourdieus Antwort: Der Habitus ist das Bindeglied.
HABITUS
• Alles, was wir gelernt haben, geht in unseren
Habitus ein.
• Es prägen sich darin auch die klassenspezifischen Beschränkungen und
erzwungenen Anpassungen sowie die
Orientierungen im Oben-unten-Schema aus…
• Der Habitus ist inkorporierte Sozialstruktur.
Zugleich aber ist er generativ, das heißt er
bringt Handlungen hervor.
Bourdieu wendet sich gegen ökonomische Handlungstheorien
[und gegen teleologische Handlungstheorien…]
• Der ökonomische Tausch ist nur eine Form des Sozialen; das
Symbolische hat eigene Relevanz.
• Der Habitus generiert Handlungen, die wir als zielgerichtet
interpretieren können, die aber die Handelnden nicht
bewusst so ausgeführt haben müssen und die sie in der
Regel auch nicht nach Art zweck-rational kalkulierter
Handlungen ausführen.
(Dies bedeutet aber nicht, dass es keine bewusst kalkulierten
Handlungen gibt…)
Der Habitus ist eine Handlungsdisposition.Er bedingt
- vermittelt über ein System von Erzeugungsschemata klassifizierbare Praktiken…
„Der Habitus bewirkt, dass die Gesamtheit der
Praxisformen eines Akteurs (oder einer Gruppe
von aus ähnlichen Soziallagen hervorgegangenen
Akteuren) als Produkt der Anwendung identischer
(…) Schemata zugleich systematischen Charakter
tragen und systematisch unterschieden sind von
den konstitutiven Praxisformen eines anderen
Lebensstils“ (Bourdieu 1982: 278, Hervorhebung
rs).
untere, mittlere und obere Klassen (zudem:
untere und obere Segmente innerhalb dieser
Klassen).
– untere Klassen (Notwendigkeitsgeschmack),
– Kleinbürger (Prätention; auch: Anspruch auf
persönliche Meinung),
– Gebildete
• ‚aristokratischer’ Ästhetizismus der höheren Lehrer
und Professoren
• ‚Mann von Welt’ (schön ist, was ich für schön halte…)
• Autodidakten und Neureiche
KAPITAL =
AKKUMULIERTE ARBEIT BZW. INVESTIERTE ZEIT
• Drei Kapitalien:
kulturelles, soziales, ökonomisches
• Zudem: symbolisches Kapital… ( Prestige)
KULTURELLES KAPITAL
Drei Formen:
1) inkorporiert
2) objektiviert
3) institutionalisiert
Zu 1) inkorporiertes kulturelles Kapital
Zwei Produktionsweisen:
- über einen langen Sozialisationsprozess, in dem
der Lernvorgang weitgehend unbewusst abläuft
- über einen bewussten Lernprozess -> Bildung
Weitere Stichworte:
• Ökonomisches Kapital; soziales Kapital
• Felder
• Sozialer Raum; Kapitalvolumen und
Kapitalstruktur
Sekundäre und primäre Einflüsse in der
gesamtgesellschaftlichen Positionierung
Als primären Einfluss für die soziale Position
bezeichnet Bourdieu den Bildungsgrad;
sekundär (als zweite Unterscheidung) wirkt die
Herkunft.
[Warnhinweis: Verwechslungsgefahr  Boudon…]
Trotzdem wirkt sich die Herkunft letztlich als
entscheidend aus, denn: Über die Herkunft wird
auch Bildung weiter gegeben und: Herrschende
Gruppen bestimmen über die Regeln des Spiels…
WO KOMMT IN BOURDIEUS THEORIE BEWEGUNG
– SOZIALER WANDEL –
HER?
Zwei Möglichkeiten werden genannt:
1) Homologie (= die Bildungselite ist innerhalb der
herrschenden Klasse in derselben Position wie die
Unterschicht innerhalb der Gesamtgesellschaft) begünstigt
politische Allianzen  politische Machtkämpfe
2) Verschiebungen insbesondere in Signifikationen und
Legitimationen
Aber….
Literaturangaben (eine kleine Auswahl):
•
Bourdieu, Pierre 1982: Die feinen Unterschiede. Kritik der gesellschaftlichen Urteilskraft. Suhrkamp, Frankfurt am Main. [Orig.: La
distinction. Critique sociale du jugement. Paris 1979).
•
Bourdieu, Pierre 2005: Die männliche Herrschaft; Frankfurt am Main. [Orig. 1998]
•
Barlösius, Eva 2006: Pierre Bourdieu. Frankfurt a.M. und New York: Campus.
•
Burzan, Nicole 2004: Kap. 6: Klassen und Lebensstile in einem Modell. Der soziale Raum bei Bourdieu, in: dies.: Soziale Ungleichheit. Eine
Einführung in die zentralen Theorien; S. 125-138; Wiesbaden.
•
Eder, Klaus 1989: Klassentheorie als Gesellschaftstheorie. Bourdieus dreifache kulturtheoretische Brechung der traditionellen Klassentheorie, in:
ders. (Hrsg.): Klassenlage, Lebensstil und kulturelle Praxis; S. 15-46; Frankfurt a. M..
•
Joas, Hans/ Knöbl, Wolfgang 2004: Zwischen Strukturalismus und Theorie der Praxis – die Kultursoziologie Pierre Bourdieus, in: Sozialtheorie.
Zwanzig einführende Vorlesungen, S. 518-557; Frankfurt: Suhrkamp.
•
Krais, Beate 2008: Zur Funktionsweise von Herrschaft in der Moderne. Soziale Ordnungen, symbolische Gewalt, gesellschaftliche Kontrolle, in:
Robert Schmidt und Volker Wolterdorff (Hrsg.): Symbolische Gewalt. Herrschaftsanalyse nach Pierre Bourdieu; S. 45-58; Konstanz: UVK.
•
Krais, Beate 1983: Bildung als Kapital – Neue Perspektiven für die Analyse der Sozialstruktur?, in: Reinhard Kreckel (Hrsg.): Soziale
Ungleichheiten. Sonderband 2 der Sozialen Welt; S. 199-220; Göttingen: Otto Schwartz.
•
Meuser, Michael 1999: Subjektive Perspektiven, habituelle Dispositionen und konjunktive Erfahrungen. Wissenssoziologie zwischen Schütz,
Bourdieu und Mannheim, in: Ronald Hitzler, Jo Reichertz und Norbert Schröer (Hrsg.): Hermeneutische Wissenssoziologie. Standpunkte zur
Theorie der Interpretation; S. 121-146; Konstanz: UVK.
•
Müller, Hans-Peter 1986: Kultur, Geschmack und Distinktion. Grundzüge der Kultursoziologie Pierre Bourdieus, in: Friedhelm Neidhardt/ M.
Rainer Lepsius/ Johannes Weiß (Hrsg.): Kultur und Gesellschaft. KZfSS (Sonderheft 27), 162-190.
•
Müller, Hans-Peter 2005: Handeln und Struktur. Pierre Bourdieus Praxeologie, in: Catherine Colliot-Thélène, Etienne Francois und Günter Gebauer
(Hrsg.): Pierre Bourdieu. Deutsch-Französische Perspektiven; S. 21-42; Frankfurt am Main: Suhrkamp
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