ZUM THEMA Stickstoffentfernung aus hochbelasteten industriellen Abwässern Cristian Bornhardt / Christian Antileo // Chile Die biologische Abwasserreinigung zur Entfernung von organischen Reststoffen und Nährstoffen ist für städtische Abwässer in Deutschland schon seit mehreren Jahren selbstverständlich. In den Entwicklungsländern jedoch stellt der nachhaltige Umgang mit Abwässern die Umweltbehörden immer noch vor immense Probleme. Die wachsende Verstädterung erfolgt weitgehend ohne die Zunahme der Kapazitäten zur Abwasserreinigung, so dass vor allem häusliche Abwässer damit immer mehr zur Bedrohung werden. Eine Bedrohung, die Chile im Vergleich mit anderen Staaten dieser Region heute bereits gut im Griff hat. Dank einer scharfen Umweltgesetzgebung wurden in Chile in den letzten 15 Jahren durch Privatisierung der Trink- und Abwasserversorgung große Fortschritte erreicht, so dass derzeit mehr als 90 Prozent der städtischen Bevölkerung Zugang zu Abwasserbehandlungsanlagen hat. Mit Hilfe von Forschungsprojekten sollen nun auch industrielle Abwässer effektiv gereinigt werden können. In den städtischen Abwässern liegt Stickstoff üblicherweise als Ammonium vor und kann über eine Kombination von Nitrifikation und Denitrifikation biologisch entfernt werden. In der Nitrifikation (Abb. 1) wird das Ammonium unter aeroben Bedingungen Abb. 1: Nitrifikation von autotrophen langsam wachsenden von Ammonium über Bakterien (Ammonium-oxidierende Nitrit zu Nitrat Bakterien, AOB) zu Nitrit oxidiert und anschließend von weiteren autotrophen Bakterienstämmen (Nitrit-oxidierende Abb. 2: Bakterien, NOB) in Nitrat verwandelt. Denitrifikation von Da die autotrophen nitrifizierenden Nitrat zu Stickstoff Bakterien deutlich langsamer wachsen als die üblichen heterotrophen Bakterien, sind bei Anlagen mit Nitrifikation einerseits höhere Verweilzeiten nötig, d. h. größere Beckenvolumina, andererseits steigen die Belüftungskosten auf Grund des erhöhten Sauerstoffbedarfs an. Darüber hinaus werden bei der Tab. 1: Nitrifikation Wasserstoffkationen freiStickstoffgehalt einiger hochbelasgesetzt, welche eine pH-Absenkung teter industrieller des Abwassers bewirken. Die anschlieAbwässer ßende Denitrifikation wird unter anoxischen (unbelüfteten) Bedingungen von heterotrophen Bakterien durchgeführt, welche unter Nutzung von organischem Substrat das Nitrat über Nitrit hin zu gasförmigem molekularen Stickstoff reduzieren (Abb. 2). Ein H+-Proton wird bei dieser Reaktion wieder aufgenommen, so dass die in der Nitrifikation erfolgte pH-Absenkung neutralisiert werden kann. In häuslichen Abwässern steht normalerweise genügend organisches Substrat für die Denitrifikation zur Verfügung, so dass über eine angebrachte Prozessführung eine weitgehende Stickstoffentfernung möglich ist. Bei industriellen Abwässern mit hoher Stickstoffbelastung, wie zum Beispiel in Tabelle 1 zusammengefasst, würde jedoch die Notwendigkeit einer zusätzlichen externen C-Quelle einen Industrieabwasser Gesamtstickstoff(mg/L) Koksherstellung 3.300 - 4.100 Ölraffinerie 450 - 630 Düngemittelherstellung 200 - 940 Rinder- und Schweinehaltung 500 - 2.300 Brennerei 114 - 380 Glasherstellung 300 - 650 Pharmaindustrie 475 Fischmehlindustrie 300 - 1.500 weiteren belastenden Kostenfaktor darstellen. In diesen Fällen ist eine Optimierung der Prozessbedingungen unumgänglich. Das Ziel ist, bei kurzen Verweilzeiten mit minimaler Belüftung und – wenn möglich – ohne Zugabe einer externen C-Quelle eine vollständige Stickstoffeliminierung zu erreichen. Eine Alternative dazu ist die partielle „Nitrifikation oder Nitrifikation-Denitrifikation via Nitrit“ (vgl. Abb. 3, Alternative 2). Dabei wird die Nitrifikation nach dem ersten Schritt bei der Oxidation des Ammoniums zu Nitrit unterbrochen und dieses direkt denitrifiziert. Hierfür müssen Prozessbedingungen geschaffen werden, die einerseits die Aktivität der Ammonium-oxiTU INTERNATIONAL 63 | JANUAR 2009 f 15 p ZUM THEMA dierenden Bakterien (AOB) fördern, jedoch die Nitritoxidierenden Bakterien (NOB) inhibieren. Durch die unterschiedliche Sensibilität beider Bakterienstämme gegenüber der Sauerstoffkonzentration und dem pHWert kann ausgehend von den theoretisch-kinetischen Faktoren vorausgesagt werden, dass es einen optimalen Bereich im leicht alkalischen Milieu und bei niedrigen O2 NITRIFIKATION (AEROB) Reaktoren − durchgeführt werden kann. Unter bestimmten Prozessbedingungen tritt jedoch auch eine simultane Nitrifikation-Denitrifikation (SND) auf, wofür nur ein Reaktor notwendig wäre. Unter diesen Bedingungen können bis zu 25% Belüftungskosten in der Nitrifikation und bis zu 45% an organischem Substrat in der Denitrifikation eingespart werden. (Abb. 3) DENITRIFIKATION (ANOXISCH) C Alternative 1 Alternative 2 25% weniger Sauerstoff, 45% weniger C-Quelle Alternative 1: konventionelle Nitrifikation – Denitrifikation Alternative 2: Nitrifikation – Denitrifikation via Nitrit Abb. 3: Alternativen für die Stickstoffentfernung WTW Oxi 171 O2 Elektrode Getauchter Scheibenreaktor V=8L Hach EC 310 pH/T° Elektrode Synthetisches Abwasser PLC: Datenaufnahme und Regelung pH Einstellung (Karbonatlösung) [NH4] = 150 mg N/L [Na2CO3] = 0,5 M Rückführung (Homogenisierung) 16 Abb. 5: Gesamtansicht der Versuchsanlage pH = 7,5 – 8,6 [O2] = 0,6 – 5,0 mg O2/L T° = 20 °C Rotationsgeschwindigkeit = 3 - 4 upm Um die erwähnten komplexen Zusammenhänge experimentell zu untersuchen, wurden an der Universidad de La Frontera in Chile im Rahmen eines vom chilenischen Forschungsfond unterstützten Forschungsprogramms mehrere Reaktorsysteme installiert. Es handelt sich dabei um automatisch geregelte Reaktoren mit suspendierter Biomasse, wie auch um Biofilm-Rotationsscheibenreaktoren, die sowohl kontinuierlich als auch im Sequencing Batch Modus gefahren werden können. Da auch schwerpunktmäßig das Online-Monitoring und die Regelung der Reaktoren im Vordergrund stehen, ist eine enge Kooperation mit Fachleuten aus der Elektronik und Softwaretechnik notwendig. Die Forschungsgruppe besteht aus drei Professoren, einem Doktoranden und mehreren Studenten, u.a. von der TU Berlin und der Bauhaus Universität Weimar. Nach mehreren Vorversuchen wurden die Untersuchungen in einem Sequencing Batch Biofilm Reactor (SBBR) durchgeführt, der die Vorteile von aeroben und anoxischen Zonen im Biofilm und die flexible Fahrweise (über Anpassung der Phasendauer) der Sequencing Batch Reaktoren (SBR) kom- Trägermaterial = Textil, Polystyrene Spezifische Oberfläche = 35 m2/m3 Sauerstoffzufuhr Trägermaterial Abb. 4: Schema der Versuchsanlage: Sequencing Batch Biofilm Reactor (SBBR) Sauerstoffkonzentrationen geben müsste. Zusätzlich hängt die Kinetik der AOB von einer optimalen Konzentration von freiem Ammoniak ab, welche sich wiederum durch ein pH-abhängiges NH 3-NH 4+-Gleichgewicht während der Reaktion verändert und über eine dynamische pHSteuerung geregelt werden kann. Darüber hinaus können auch Stofftransportlimitierungen (Sauerstoff, Substrat und Reaktionsprodukte) bei einigen Reaktortypen eine ausschlaggebende Rolle spielen. Bei der nachgeschalteten Denitrifikation sind anoxische Bedingungen notwendig, so dass eine sequentielle Fahrweise − entweder zeitversetzt in einem Reaktor oder kontinuierlich in zwei aufeinanderfolgenden TU INTERNATIONAL 63 | JANUAR 2009 ZUM THEMA biniert. In Abbildung 4 wird das Schema der Versuchsanlage zusammengefasst, und Abbildung 5 zeigt eine Gesamtansicht der Anlage. Wie oben erläutert, ist die partielle Nitrifikation die kritische Phase bei der Stickstoffentfernung über Nitrit, wobei eine schnelle weitgehendeAmmoniumoxidation mit hoher Nitritakkumulierung angestrebt wird. In den Abbildungen 6 und 7 wird der Einfluss uDie Ammoniumoxidationsrate nimmt mit der Sauerstoffkon- zentration stark zu, wohingegen der Einfluss der Sauerstoffkonzentration auf die Nitritakkumulierung eher gering ist. total ammonia concentration [mg N/L] 160 Abb. 6: Einfluss der Sauerstoffkonzentration auf den Ammoniumabbau 0.6 mgO2/L 140 0.8 mgO2/L 1.0 mgO2/L 5.0 mgO2/L 120 100 80 60 40 20 0 time [h] pH 7.5 pH 8.5 a a' 6 b' nitrite accumulation [%] 80 b 60 40 20 0 ammonia oxidation rate [mg N/L/h] 100 a' 5 a 4 3 2 1 b b' 0 der Sauerstoffkonzentration (Dissolved 0.6 5 0.6 5 Oxygen, DO) und des pH-Wertes auf den oxygen concentration [mg O 2/L] Ammoniumabbau im Batch-Verfahren zusammengefasst. Es wird deutlich, dass Abb. 7: Einfluss der Sauerstoffkonzentration und des pH-Wertes auf die Ammoniumabbaugeschwindigkeit und Nitritakkumulierung Quellen: Cristian Bornhardt bei niedrigeren DO-Konzentrationen auch die Abbaugeschwindigkeit markant abnimmt, so dass bei uIm kontinuierlichen Betrieb wurden höhere Ammoniumhöheren Sauerstoffkonzentrationen dementsprechend kürzeoxidationsraten erreicht als im Batch-Betrieb, die Nitritakre Reaktionszeiten erreicht werden. Der Einfluss der DOkumulierung war jedoch geringer und wurde bei höheren Konzentration auf die Nitritakkumulierung (Abb. 7) ist dagegen Sauerstoffkonzentrationen instabil. eher gering. Bei einem pH-Wert von 8,5 werden deutlich bessere uBei der Nitrifikation-Denitrifikation im SBBR trat eine Ergebnisse erreicht als bei einem pH-Wert von 7,5. Wird der pHdeutlich simultane Nitrifikation-Denitrifikation auf. Wert während der Nitrifikation jedoch dynamisch geregelt, um uOnline-Messungen zur Bestimmung der Reaktionsphasen eine optimale Ammoniakkonzentration einzuhalten, werden die sind für eine Optimierung von großer Bedeutung. Ergebnisse noch besser. Die Schlussfolgerungen der gesamten Versuchsphase können folgenderweise zusammengefasst werden: uIm Batch-Betrieb kann durch eine Kombination von Dr.-Ing. Cristian Bornhardt Sauerstoffkonzentration- und pH-Regelungsstrategien eine Dr.-Ing. Christian Antileo stabile partielle Nitrifikation erreicht werden. Universidad de La Frontera, Cas: 54-D uÜber eine dynamische pH-Regelung kann eine optimale Temuco/ Chile NH3-Konzentration eingestellt werden, so dass eine hohe [email protected] Ammoniumoxidationsrate und die Nitritakkumulierung www.ufro.cl favorisiert werden sollten. TU INTERNATIONAL 63 | JANUAR 2009 f 17