Grußwort der Ministerin für Schule und Weiterbildung des Landes Nordrhein-Westfalen, Sylvia Löhrmann Eröffnung der Ausstellung „Was glaubst du denn?! Muslime in Deutschland“ in Solingen – Gesamtschule Solingen 8. Mai 2015 16:30 bis 18:00 Uhr Gesamtschule Solingen Wupperstr. 126 42651 Solingen – Es gilt das gesprochene Wort. – Min. Löhrmann: Die lebendige Auseinandersetzung mit theologischen und philosophischen Bekenntnissen gehört in die Mitte der Gesellschaft. Veröffentlichung: nein; ja, intern; Version 22.04.2015; 7.936 Zeichen; ca. 13 Minuten ja, extern PL 2 Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister, sehr geehrter Herr Tempel, liebe Schülerinnen und Schüler, liebe Kolleginnen und Kollegen aus Politik und Gesellschaft, sehr geehrte Damen und Herren, vielen Dank für die Einladung und die Gelegenheit, heute mit Ihnen und Euch über Themen zu diskutieren, die mir ganz besonders am Herzen liegen und für die ich mich seit jeher stark mache, nämlich das friedliche Zusammenleben unterschiedlicher Glaubensgruppen in gegenseitigem Respekt und Toleranz in einer offenen, demokratischen und pluralistischen Gesellschaft. Ich komme damit auch meiner Patenschaft für unsere Gesamtschule als „Schule gegen Rassismus“ nach! 3 Anrede, im Grundgesetz sind die Religionsfreiheit und die Meinungs- und Gewissenfreiheit fest verankert. Das bedeutet für mich, dass jede Religion, die sich mit den Werten unserer Verfassung deckt, hier ausgeübt werden kann und damit zu uns, zu unserem Land, gehört. „Was glaubst du denn?“ - so lautet die heutige Veranstaltung, die Ihr, liebe Schülerinnen und Schüler, und Eure Lehrerinnen und Lehrer maßgeblich gestaltet habt. Diese Frage verdeutlicht die Neugier gerade junger Menschen. Diese Neugier wiederum ist Ausdruck einer Offenheit, die dazu bewegt, auf andere Menschen zuzugehen, sich mit ihnen auszutauschen, sich um Verständnis zu bemühen, Gemeinsamkeiten festzustellen, Unterschiedlichkeiten anzuerkennen und diese zu akzeptieren. 4 Anrede, aktuell sind wir alle betroffen und erschüttert über Bilder von Menschen, die auf ihrer Flucht vor Bürgerkriegen, Armut und Verfolgung auf schreckliche Weise umkommen. Wir sind alle ebenso erschüttert über die vielen Kriege, die angeblich im Namen der Religionen geführt werden. Wir sind alle erschreckt von den Menschen, die andere Menschen foltern und ermorden, weil diese anders aussehen, anders denken, anders sprechen, andere sexuelle Neigungen haben oder eben anders glauben. Oft ist die Ursache für diese Taten Unwissenheit und Angst vor dem Unbekannten. Das ist keine Entschuldigung - aber diese Erkenntnis kann helfen, die Welt zu einem besseren Ort zu machen. „Was glaubst du denn?“ ist deshalb die entscheidende Formel, die entscheidende Frage - der Schlüssel für das Wissen, das Angst und Vorurteile aufhebt. 5 Das Wissen über sich selbst, das Wissen über Andersartigkeit, das Wissen über Religionen, Kulturen, Geschichte und Politik. Dieses Wissen ist ein Werkzeug - eine Grundlage, die wir unseren Schülerinnen und Schülern zu vermitteln versuchen. Die Aufgabe unserer Schulen ist aber bei weitem nicht darauf beschränkt. Toleranz, Diskursfähigkeit und Konsensfähigkeit sind Kompetenzen, die Schülerinnen und Schüler im Laufe ihrer Schullaufbahn erwerben. Ihre Vermittlung beschränkt sich nicht nur auf bestimmte Fächer, sondern ist die Querschnittsaufgabe aller Fächer und des Erziehungs-und Bildungsauftrags der Schule. Anrede, in unseren Schulen in Nordrhein-Westfalen bieten wir beispielsweise für sieben Religionsgemeinschaften einen Religionsunterricht an. 6 Neben dem katholischen, evangelischen, griechischorthodoxen, syrisch-orthodoxen, jüdischen und alevitischen Religionsunterricht bietet unser Land seit 2012 auch das Fach „Islamischer Religionsunterricht“ an. Denn der Islam gehört zur Geschichte Europas und hat dessen Kultur tiefgreifende Impulse verliehen. Der Islam ist nicht nur deshalb heute auch Teil unserer Gesellschaft Es geht dabei nicht nur um die Frage, ob der Fächerkanon unserer Schulen um ein weiteres Angebot ergänzt wird, oder um gesellschaftliche Erwartungen. Es geht vielmehr um die Frage, in welcher Gesellschaft wir leben wollen. Und das ist eine pluralistische Gesellschaft mit einer fast unüberschaubaren Vielzahl an Weltanschauungen, religiösen Bekenntnissen und Lebensentwürfen. Die lebendige Auseinandersetzung mit theologischen und philosophischen Bekenntnissen gehört in die Mitte der Gesellschaft - und deshalb auch in die Schulen! 7 Anrede, der islamische Religionsunterricht ist also ein wesentlicher Schritt hin zu mehr Teilhabe und Gleichberechtigung. Er ist seit nunmehr drei Jahren gelebte Integration. Eine muslimische Schülerin hat mir dazu einen Dank geschrieben: Mit der Einführung des islamischen Religionsunterrichts wurde Deutschland ein Stück mehr zu ihrer Heimat. Genau das ist die Wirkung, die uns immer deutlicher wird und die wir uns gewünscht haben. Wir wollen, dass der Religionsunterricht ein Stück dazu beiträgt, Menschen islamischen Glaubens wertzuschätzen, ihre Religion als Teil der selbstverständlichen gesellschaftlichen Normalität zu betrachten und ihnen zu zeigen, dass Deutschland in jeder Hinsicht ihre Heimat sein kann. 8 Eine Schulleiterin erzählte mir nach meinem Besuch einer islamischen Religionsunterrichtsstunde in Duisburg-Marxloh, dass Eltern ihr berichteten, dass sie über den islamischen Religionsunterricht ihrer Kinder erstmals gelernt hätten, mit ihren Nachbarn in deutscher Sprache über ihre Religion zu sprechen. Der Islam gewinnt also mit dem islamischen Religionsunterricht einen deutschen Sprachschatz, eine deutsche Terminologie - und wird somit für die Muslima und Muslime unserer Gesellschaft und für alle andersgläubigen Menschen „näher“ und „erfassbarer“. Anrede, etwa 1,5 Millionen Muslima und Muslime leben in Nordrhein-Westfalen. Die Zahl der muslimischen Schülerinnen und Schüler beläuft sich auf über 342.000. Damit ist der Islam eine wichtige Größe mit einer gesellschaftlich prägenden Kraft. Das kann heute niemand mehr ernsthaft bestreiten. 9 Über 80 Prozent der Muslima und Muslime bezeichnen sich als gläubig oder sogar als sehr gläubig. Überdurchschnittlich viele von ihnen besuchen religiöse Veranstaltungen oder Gottesdienste. Und über 90 Prozent sind für eine demokratischpluralistische Grundordnung! Für mich ist das ein Zeichen, dass sich die Muslima und Muslime mit diesem Land verbunden fühlen, ihren Glauben in der Mitte unserer Gesellschaft leben möchten und Werte der Demokratie verinnerlicht haben. Es ist auch ein Zeichen dafür, dass sich die Muslima und Muslime in einer Diskurskultur über Traditionen und ihren Glauben austauschen, sich kritischen Stimmen stellen können und Kritik aushalten. Anrede, mit unseren schulischen Angeboten bieten wir Schülerinnen und Schüler eine große Chance, ihren Glauben und ihre Traditionen kennenzulernen und zu reflektieren. 10 Der Religionsunterricht gibt hier wichtige Anstöße, er schafft Raum für Reflexion, liefert Impulse für verantwortliches Handeln und vor allem: Er befähigt zu einer intensiven Auseinandersetzung mit dem eigenen Glauben und anderen Weltanschauungen und fördert so Toleranz und Verständnis gegenüber den Lebensweisen anderer Menschen. Der Religionsunterricht und gerade der islamische Religionsunterricht stärken auch gegen radikale Strömungen - gegen „Rattenfänger“, die im Namen der Religion Unheil stiften und leider auch hier in Solingen ihr Unwesen treiben. Aber unser Unterricht missioniert nicht, er zwingt den Schülerinnen und Schülern nichts auf. Er ist vielmehr eine Einladung, ein Angebot und auch Aufklärung, er ist Bestandteil einer guten Schule. Die Teilnahme an diesem Unterricht ist freiwillig. Darin spiegelt sich die weltanschauliche Neutralität des Staates wider. 11 Ihr, liebe Schülerinnen und Schüler, verkörpert die offene und moderne Gesellschaft, von der ich schon am Anfang meiner Rede gesprochen habe, indem ihr Vielfalt als Chance begreift und andersgläubige und anderslebende Menschen respektiert und annehmt. Denn Ihr habt Euch die Frage gestellt: „ Was glaubst du denn?“ - und habt nicht nur Euer Interesse und Eure Wertschätzung gegenüber dem „anderen“ gezeigt, sondern auch zeitgleich demonstriert, dass der „Andere“ willkommen und akzeptiert ist. Dafür danke ich Euch herzlich und wünsche der Ausstellung viele Besucherinnen und Besucher!