19 Übersetzung umgangssprachlicher Sätze in die Sprache PL Erinnerung Man kann die logischen Eigenschaften der Sätze einer Sprache L, deren Logik wir gut verstehen, zur Beurteilung der logischen Eigenschaften umgangssprachlicher Sätze verwenden, wenn es gelingt, für diese umgangssprachlichen Sätze adäquate Übersetzungen in die Sprache L zu finden. Grundsätzliches 1 Denn Unter der Voraussetzung, dass die Sätze A', A'1, ..., A'n von L adäquate Übersetzungen der umgangssprachlichen Sätze A, A1, ..., An sind, gilt: 1. Wenn die Übersetzung A' logisch wahr ist, dann ist auch der umgangssprachliche Satz A logisch wahr; und 2. wenn der A' logisch aus A'1, ..., A'n folgt, dann folgt auch der umgangssprachliche Satz A logisch aus den umgangssprachlichen Sätzen A1, ..., An. Grundsätzliches 2 Und Ein Satz A' von PL ist eine angemessene Übersetzung des umgangssprachlichen Satzes A, wenn A und A' (im Wesentlichen) dieselben Wahrheitsbedingungen haben. Grundsätzliches 3 Bemerkung 1 Wir hatten gesagt, dass A′ eine adäquate Übersetzung des umgangssprachlichen Satzes A in PL ist, wenn A′ dieselben Wahrheitsbedingungen hat wie A. Zusätzlich werden wir im folgenden aber auch noch fordern, dass A′ (a) möglichst strukturreich und (b) in seiner Struktur A möglichst ähnlich ist. Grundsätzliches 4 Bemerkung 2 Es gibt zwar kein festes System von Regeln, das uns für jeden beliebigen deutschen Satz A gleichsam automatisch eine adäquate Übersetzung A′ erzeugt. Aber es gibt doch einige Grundsätze, an denen man sich orientieren kann. Grundsätzliches 5 Bemerkung 3 Generell besteht jede Übersetzung eines Satzes A der deutschen Umgangssprache in die Sprache PL in (1) der Angabe des Satzes A' von PL, in den A übersetzt werden soll, und (2) der Angabe einer Interpretation I = <D, V>. Die Funktion V muss dabei nur soweit spezifiziert werden, wie dies jeweils nötig ist. D.h., die Werte von V müssen nur für die Individuenkonstanten und Prädikatbuchstaben angegeben werden, die in A' vorkommen. Grundsätzliches 6 19.1 Atomare Sätze Umgangssprachliche atomare Sätze bestehen aus einem n-stelligen Prädikat Φ und n Namen n1, …, nn. Um einen umgangssprachlichen atomaren Satz in PL zu übersetzen, benötigt man daher einen n-stelligen Prädikatbuchstaben Φ', dem V die Menge der Gegenstände (n-Tupel von Gegenständen) zuweist, auf die Φ zutrifft, und n Individuenkonstanten τ1, …, τn, denen V die Gegenstände zuweist, die durch die Namen n1, …, nn bezeichnet werden. Außerdem benötigt man natürlich einen geeigneten Bereich D, der zumindest die Gegenstände enthält, die durch die Namen n1, …, nn bezeichnet werden. Atomare Sätze 1 Beispiele (1) Der Eiffelturm ist schön. Wir benötigen eine Individuenkonstante (sagen wir ‚a‘), der V den Eiffelturm zuordnet, und einen einstelligen Prädikatbuchstaben (sagen wir ‚F1‘), dem V die Menge der Bauwerke zuordnet, auf die der Ausdruck ‚ist schön‘ zutrifft. D = die Menge aller Bauwerke (1′) V(a) = Eiffelturm V(F1) = {x; x ist ein schönes Bauwerk} F1 a Atomare Sätze 2 (2) 9 ist eine Primzahl. (2′) D = die Menge aller natürlichen Zahlen V(a) = 9 V(F1) = {x; x ist eine Primzahl} F1 a 3 Atomare Sätze (3) Die Odyssee ist ein Werk von Homer. (3′) D = Menge aller Menschen und aller Kunstwerke V(a) = Die Odyssee V(b) = Homer V(F2) = {<x, y>; x ist ein Werk von y} F2ab (3) Die Odyssee ist ein Werk von Homer. (3″) D = Menge (aller Menschen und) aller Kunstwerke V(a) = Die Odyssee V(F1) = {x; x ist ein Werk von Homer} F1 a Atomare Sätze nicht optimal strukturreich !! 4 (4) Hamm liegt zwischen Bielefeld und Dortmund. (4′) D = die Menge aller Städte V(a) = Hamm V(b) = Bielefeld V(c) = Dortmund V(F3) = {<x, y, z>; x liegt zwischen y und z} F3abc (4) Hamm liegt zwischen Bielefeld und Dortmund. (4″) D = die Menge aller Städte V(a) = Hamm V(F1) = {x; x liegt zwischen Bielefeld und Dortm.} F1 a nicht optimal strukturreich !! Atomare Sätze 19.2 5 Komplexe Sätze Die Grundsätze, nach denen umgangssprachliche Sätze in komplexe Sätze von PL übersetzt werden können, sind im wesentlichen schon in Kapitel 13 erläutert worden. Aus diesem Grund sollen hier einige Beispiele zur Erinnerung genügen. Komplexe Sätze 1 19.2.1 Negationen Mit Hilfe des Negationszeichens ‘¬’ lassen sich alle umgangssprachlichen Sätze übersetzen, die im Deutschen selbst problemlos mit Hilfe eines ‘es ist nicht der Fall, dass’-Satzes paraphrasiert werden können. Negationen 1 Beispiele (1) Fury ist kein Affe. (1a) Es ist nicht der Fall, dass Fury ein Affe ist. (1′) D = die Menge aller Tiere V(a) = Fury V(F1) = {x; x ist ein Affe} ¬ F1 a Negationen 2 (2) 1 ist nicht kleiner als 2. (2a) Es ist nicht der Fall, dass 1 kleiner als 2 ist. (2′) D = die Menge aller natürlichen Zahlen V(a) = 1 V(b) = 2 V(F2) = {<x, y>; x < y} ¬ F2ab Negationen (3) Hans ist unvernünftig. (3) Es ist nicht der Fall, dass Hans vernünftig ist. (3′) D = die Menge aller Menschen V(a) = Hans V(F1) = {x; x ist vernünftig} 3 ¬ F1 a Negationen 4 Auch der Satz (4) Niemand ist vollkommen lässt sich in eine Negation übersetzen. Denn er bedeutet dasselbe wie der Satz (4a) Es ist nicht der Fall, dass jemand vollkommen ist. Für die Übersetzung muss aber zunächst geklärt werden, wie der Satz (4b) Jemand ist vollkommen in PL übersetzt werden kann. 5 Negationen 19.2.2 Konjunktionen (1) Die Uni Bielefeld ist groß und grau. (1a) Die Uni Bielefeld ist groß und die Uni Bielefeld ist grau. (1′) D = die Menge aller Gebäude V(a) = die Uni Bielefeld V(F1) = {x; x ist groß} V(G1) = {x; x ist grau} F1a ∧ G1a Konjunktionen 1 (2) 7 ist eine Primzahl und 9 ist eine Primzahl. (2′) D = die Menge aller natürlichen Zahlen V(a) = 7 V(b) = 9 V(F1) = {x; x ist eine Primzahl} F1a ∧ F1b Konjunktionen 2 (3) Der Eiffelturm ist nicht schön, aber beeindruckend. (3a) Der Eiffelturm ist nicht schön und der Eiffelturm ist beeindruckend. (3′) D = die Menge aller Bauwerke V(a) = Eiffelturm V(F1) = {x; x ist schön} V(G1) = {x; x ist beeindruckend} ¬F1a ∧ G1a Konjunktionen 3 (4) Obwohl Dresden an der Elbe liegt, ist Dresden nicht hässlich. (4a) Dresden liegt an der Elbe liegt und Dresden ist nicht hässlich. (4′) D = die Menge aller Städte und Flüsse V(a) = Dresden V(b) = Elbe V(F2) = {<x, y>; x liegt an y} V(G1) = {x; x ist hässlich} F2ab ∧ ¬G1b 4 Konjunktionen Problem (5) (5′) Hans und Gerda sind befreundet. D = die Menge aller Menschen V(a) = Hans V(b) = Gerda V(F2) = {<x, y>; x und y sind befreundet} F2ab Konjunktionen 5 19.2.3 Adjunktionen (1) Rau oder Schröder ist Bundespräsident. (1a) Rau ist Bundespräsident oder Schröder ist Bundespräsident. (1′) D = die Menge aller Menschen V(a) = Rau V(b) = Schröder V(F1) = {x; x ist Bundespräsident} F1a ∨ F1b (1b) Entweder Rau oder Schröder ist Bundespräsident. (1b′) ¬(F1a ↔ F1b) Interpretation wie bei (1′) 1 Adjunktionen (2) 9 ist größer als 3 oder durch 2 teilbar. (2a) 9 ist größer als 3 oder 9 ist durch 2 teilbar. (2′) D = die Menge der natürlichen Zahlen V(a) = 9 V(b) = 3 V(c) = 2 V(F2) = {<x, y>; x > y} V(G2) = {<x, y>; x ist durch y teilbar} F2ab ∨ G2ac (2b) Entweder ist 9 größer als 3 oder durch 2 teilbar. (2b′) ¬(F2ab ↔ G2ac) Interpretation wie bei (2′) Adjunktionen 2 19.2.4 Subjunktionen (1) (1′) Wenn Klaus der Arbeitgeber von Matthias ist, dann ist Klaus reicher als Matthias. D = die Menge aller Menschen V(a) = Klaus V(b) = Matthias V(F2) = {<x, y>; x ist der Arbeitgeber von y} V(G2) = {<x, y>; x ist reicher als y} F2ab → G2ab 1 Subjunktionen (2) Bremen ist nur dann pleite, wenn das Saarland pleite ist. (2a) Wenn Bremen pleite ist, dann ist auch das Saarland pleite. (2b) Wenn das Saarland nicht pleite ist, dann ist auch Bremen nicht pleite. (2′) D = die Menge aller Bundesländer V(a) = Bremen V(b) = Saarland V(F1) = {x; x ist pleite} F1a → F1b Subjunktionen bzw.: ¬F1b → ¬F1a 2 19.2.5 Bisubjunktionen (1a) 8 ist dann und nur dann eine gerade Zahl, wenn 8 durch 2 teilbar ist. (1b) 8 ist genau dann eine gerade Zahl, wenn 8 durch 2 teilbar ist. (1c) Dass 8 durch 2 teilbar ist, ist eine notwendige und hinreichende Bedingung dafür, dass 8 eine gerade Zahl ist. (1′) D = die Menge der natürlichen Zahlen V(a) = 8, V(b) = 2 V(F1) = {x; x ist eine gerade natürliche Zahl} V(F2) = {<x, y>; x ist durch y teilbar} F1a ↔ F2ab Bisubjunktionen (2) 1 7 ist ungerade, es sei denn 7 ist durch 2 teilbar. (2a) 7 ist genau dann ungerade, wenn 7 nicht durch 2 teilbar ist. (2′) D = die Menge der natürlichen Zahlen V(a) = 7 V(b) = 2 V(F1) = {x; x ist eine ungerade natürliche Zahl} V(F2) = {<x, y>; x ist durch y teilbar} F1a ↔ ¬F2ab Bisubjunktionen 2 19.3 Quantifizierte Sätze (1) Alle natürlichen Zahlen sind Primzahlen. (1′) D = die Menge der natürlichen Zahlen V(F1) = {x; x ist eine Primzahl} ∀xF1x (2) Es gibt eine Primzahl (d.h. es gibt eine natürliche Zahl, die eine Primzahl ist). (2′) ∃xF1x Interpretation wie bei (1′) Quantifizierte Sätze (3) 1 Nicht alle natürlichen Zahlen sind größer als 3. (3a) Es ist nicht der Fall, dass alle natürlichen Zahlen größer als 3 sind. (3′) D = die Menge der natürlichen Zahlen V(a) = 3 V(F2) = {<x, y>; x > y} ¬ ∀xF2xa bzw.: ∃x¬F2xa (4) Keine natürliche Zahl ist größer als 3. (4a) Es ist nicht der Fall, dass es eine natürliche Zahl gibt, die größer als 3 ist. (4′) ¬ ∃xF2xa bzw.: ∀x¬F2xa Interpretation wie bei (3′) Quantifizierte Sätze 2 (5) Alle geraden Zahlen sind durch 3 teilbar. (5a) Wenn etwas eine gerade Zahl ist, dann ist es durch 3 teilbar. (5′) D = die Menge der natürlichen Zahlen V(a) = 3 V(F1) = {x; x ist eine gerade Zahl} V(G2) = {<x, y>; x ist durch y teilbar} ∀x(F1x → G2xa) (6) Mindestens eine gerade Zahl ist durch 3 teilbar. (6a) Es gibt eine natürliche Zahl, die gerade und durch 3 teilbar ist. (6′) ∃x(F1x ∧ G2xa) Interpretation wie bei (5′) Quantifizierte Sätze (7) 3 Keine gerade Zahl ist durch 3 teilbar. (7a) Es ist nicht der Fall, dass es eine gerade Zahl gibt, die durch 3 teilbar ist. (7′) ¬ ∃x(F1x ∧ G2xa) (8) Einige gerade Zahlen sind nicht durch 3 teilbar. (8′) ∃x(F1x ∧ ¬G2xa) (7″) ∀x(F1x → ¬G2xa) Interpretation wie bei (5′) (8a) Es ist nicht der Fall, dass alle geraden Zahlen durch 3 teilbar sind. (8″) ¬∀x(F1x → G2xa) Quantifizierte Sätze 4 Merke Übersetzung von Allsätzen der Form “Alle F sind G” 1. Möglichkeit: Man kann die Interpretation so wählen, dass die Grundmenge D die Menge aller F ist. Dann lautet die Übersetzung einfach: ∀xG1x. 2. Möglichkeit: Man muss die Interpretation so wählen, dass die Menge aller F eine echte Teilmenge der Grundmenge D ist. Dann lautet die Übersetzung: ∀x(F1x → G1x). ! Ein Satz der Form “Alle F sind G” darf nie in einen Satz der Form “∀x(F1x ∧ G1x)” übersetzt werden. (Diese Übersetzung wäre zu stark.) Quantifizierte Sätze 5 Übersetzung von Existenzsätzen der Form “Es gibt F, die G sind” 1. Möglichkeit: Man kann die Interpretation so wählen, dass die Grundmenge D die Menge aller F ist. Dann lautet die Übersetzung einfach: ∃xG1x. 2. Möglichkeit: Man muss die Interpretation so wählen, dass die Menge aller F eine echte Teilmenge der Grundmenge D ist. Dann lautet die Übersetzung: ∃x(F1x ∧ G1x). ! Ein Satz der Form “Es gibt F, die G sind” darf nie in einen Satz der Form “∃x(F1x → G1x)” übersetzt werden. (Diese Übersetzung wäre zu schwach.) Quantifizierte Sätze 6 Weitere Beispiele (9) Es gibt eine natürliche Zahl, die größer ist als alle natürlichen Zahlen. (9′) D = die Menge der natürlichen Zahlen V(F2) = {<x, y>; x > y} ∃x∀yF2xy (10) Für jede natürliche Zahl gibt es eine natürliche Zahl, die größer ist als sie. (10′) ∀y∃xF2xy Interpretation wie bei (9′) Quantifizierte Sätze 7 (11) Hans verachtet alle Menschen. (11′) D = die Menge aller Menschen V(a) = Hans V(F2) = {<x, y>; x verachtet y} ∀xF2ax (12) Alle Menschen verachten Hans. (12′) ∀xF2xa Interpretation wie bei (11′) Quantifizierte Sätze 8 (13) Alle Holländer besitzen einen Wohnwagen. ∀x(F1x → ) Frage: Wie ist die Leerstelle auszufüllen, d.h. wie übersetzt man (13a) x besitzt einen Wohnwagen? Antwort: ∃y(G1y ∧ F2xy) Insgesamt also: (13′) ∀x(F1x → ∃y(G1y ∧ F2xy)) D = die Menge aller Menschen und aller Gefährte V(F1) = {x; x ist ein Holländer} V(G1) = {x; x ist ein Wohnwagen} V(F2) = {<x, y>; x besitzt y} 9 Quantifizierte Sätze (14) Es gibt eine Primzahl, die größer ist als alle natürliche Zahlen. ∃x(F1x ∧ ) Frage: Wie ist die Leerstelle auszufüllen, d.h. wie übersetzt man (14a) x größer ist als alle natürliche Zahlen? Antwort: ∀yF2xy Insgesamt also: (14′) ∃x(F1x ∧ ∀yF2xy) D = die Menge der natürlichen Zahlen V(F1) = {x; x ist ein Primzahl} V(F2) = {<x, y>; x > y} Quantifizierte Sätze 10 (15) Für jede natürliche Zahl gibt es eine Primzahl, die größer ist als sie. Frage: Wie übersetzt man (15a) Es gibt eine Primzahl, die größer ist als x? Antwort: ∃y(F1y ∧ F2yx) Insgesamt also: (15′) ∀x∃y(F1y ∧ F2yx) D = die Menge aller natürlichen Zahlen V(F1) = {x; x ist ein Primzahl} V(F2) = {<x, y>; x > y} 11 Quantifizierte Sätze (16) Es gibt einen Menschen (jemanden), der alle Hunde liebt. ∃x(F1x ∧ ) Frage: Wie übersetzt man (16a) x liebt alle Hunde? Antwort: ∀y(G1y → F2xy) Insgesamt also: (16′) ∃x(F1x ∧ ∀y(G1y → F2xy)) D = die Menge aller Lebewesen V(F1) = {x; x ist ein Mensch} V(G1) = {x; x ist ein Hund} V(F2) = {<x, y>; x liebt y} Quantifizierte Sätze 12 (17) Jeder Hund wird von einem Menschen (jemandem) geliebt ∀x(G1x → ) Frage: Wie übersetzt man (17a) x wird von einem Menschen geliebt? Antwort: ∃y(F1y ∧ F2yx) Insgesamt also: (17′) ∀x(G1x → ∃y(F1y ∧ F2yx)) D = die Menge aller Lebewesen V(F1) = {x; x ist ein Mensch} V(G1) = {x; x ist ein Hund} V(F2) = {<x, y>; x liebt y} Quantifizierte Sätze 13