MULTIKOSMOS COVERSTORY N ahezu täglich erscheinen Studien über neue Erkenntnisse zu biologischen Lebensmitteln. Wie viele Kriterien müssen erfüllt sein, damit ein Lebensmittel in die Kategorie „Bio“ fällt, welche Richtlinien sind gefordert, um eine einheitliche Kennzeichnung zu garantieren und wie kann sich der Verbraucher informieren, um auch wirklich am Ende ein Bio-Produkt auf dem Teller zu haben, sind die am häufigsten gestellten Fragen. Ein wichtiger Aspekt ist dabei auch, ob Biolebensmittel nahrhafter und gesünder als herkömmliche Produkte sind. US-Forscher an der Stanford University in Kalifornien haben deshalb in den letzten Jahren alle bisher veröffentlichten Daten zum Thema Gesundheit von biologisch erzeugten Nahrungsmitteln durchgesehen. Tausende Studien wurden dafür herangezogen, Hauptaugenmerk lag auf den Punkten Nährstoffgehalt, Pilze und Pestizide. Das verblüffende Ergebnis, das 2012 veröffentlicht wurde: Es gibt derzeit keinen Nachweis dafür, dass biologische Nahrungsmittel nährstoffreicher sind oder ein geringeres Gesundheitsrisiko bergen. Das bestätigt auch Diplom-Ökotrophologin Antja Gahl von der Deutschen Gesellschaft für Ernährung: „Biolebensmittel sind nicht prinzipiell gesünder als konventionelle Lebensmittel. Es gibt aber vereinzelte Aspekte, bei denen Biolebensmittel besser abschneiden, wie zum Beispiel im Hinblick auf die Pestizidrückstände. Hier sind Obst und Gemüse aus biologischem Anbau weniger bis gar nicht belastet“, so die Ernährungswissenschaftlerin. „In puncto Nährwerte gibt es vereinzelt höhere Gehalte bei Vitamin C oder an sekundären Pflanzenstoffen, während es bei Milch und Fleisch eine günstigere Fettsäurenzusammensetzung ist. Da es bisher jedoch noch keine Langzeitstudien zu dem Thema gibt, ist nicht eindeutig belegt, dass Bioprodukte im Nährwertgehalt besser abschneiden als konventionelle Lebensmittel.“ Logisch! Der größte Pluspunkt aus gesundheitlicher Sicht für Bio-Essen ist also, dass man weniger Pflanzenschutzmittel und Antibiotika (in der herkömmlichen Schweine- und Hühnerzucht häufig verwendete Zusatzstoffe) zu sich nimmt. Pestizide sind nachweisbar krebserregend und auch das weltweit im großen Stil eingesetzte Herbizid Glyphosat hat – so bestätigen wissenschaftliche Untersuchungen – eine für Mensch und Tier bedenkliche Wirkung (siehe multikosmos 00012, Seite 6–8). FOTO Corbis Mit dem Kauf von biologisch erzeugten Nahrungsmitteln trägt man dazu bei, Ressourcen zu wahren, die Umwelt zu schonen und Tiere artgerecht zu halten. 6 Das deutsche Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) begrenzt zwar die Pestizidbelastung für herkömmliche Lebensmittel. Aber Obst- und Gemüsebauern, die nicht ökologisch anbauen, nutzen oft eine Vielzahl unterschiedlicher Pestizide und, da die zulässigen Grenzwerte immer nur für je ein Pestizid gelten, werden die Höchstwerte in der Gesamtheit meist um einiges überschritten. Worin sich alle Biofachverbände jedoch einig sind, ist, dass die Gesundheitsaspekte bei den meisten Menschen nicht den Hauptgrund für den Kauf von Bioprodukten ausmachen bzw. ausmachen sollten. Bio-Produkte kauft man in erster Linie wegen der Verantwortung gegenüber der Umwelt und Landwirtschaft. „Die Gesundheit ist nicht unser Hauptkampffeld“, erklärte Gerald Wehde, Sprecher des Anbauverbands Bioland in Deutschland, in einer Stellungnahme zu der Studie aus Amerika. Kernziel der Ökolandwirtschaft sei es vielmehr, die Umwelt zu erhalten. „Gewässerschutz, Klimaschutz, Artenschutz, Bodenqualität – da erbringen wir eine große ökologische Leistung.“ „Ich kaufe Bio-Produkte nicht aus gesundheitlichen Aspekten“, sagt auch Florian Holzer, „sondern weil ich damit einen Beitrag zum ökologischen Gleichgewicht leiste.“ Der Gastrokritiker arbeitet als freischaffender Publizist und ist stellvertretender Chefredakteur des Gault Millau Österreich. „Durch den Kauf von Bioprodukten kann man die Landwirtschaft nachhaltig beeinflussen“, erklärt der Autor des Buches „Eat Slow“, der seit 25 Jahren über neue Lokalitäten und Foodtrends in der Wiener Wochenzeitung „Falter“ schreibt. „Kaufen ist eine politische Entscheidung. Bio bedeutet, es werden weniger Spritzmittel verwendet, Tiere werden artgerechter gehalten und die Transportwege sind kürzer.“ Ob man die Biolebensmittel im Supermarkt kaufe oder im Bioladen, sei jedem selbst überlassen, so Holzer. „Ich persönlich kaufe gerne direkt beim Erzeuger, denn der Kontakt zu den Produzenten ist mir wichtig.“ KURZFASSUNG Wie kann ich als Konsument mithelfen, Umwelt und Ressourcen zu schonen? Worauf muss ich beim Kauf achten, um zu wissen, wo meine Lebensmittel herkommen? Und wie kann ich selbst dazu beitragen, naturnahe Produktion zu unterstützen? multikosmos-Gastautorin Yvonne Schröder hat sich auf die Suche nach Antworten gemacht und berichtet erfreut vom Bio-Trend, der Erzeuger und Konsumenten einander näherbringt. ZUR AUTORIN Yvonne Schröder ist freischaffende Autorin und lebt in Wien. Die gebürtige Deutsche schreibt für internationale Medien, in Österreich unter anderem für „profil“, „Die Presse“, „Wellness Magazin“ und „Falter“. Zudem betreibt sie einen eigenen Blog, www.dieschroeder.com, auf dem alle Beiträge regelmäßig zu lesen sind. TEXT Yvonne Schröder Zwischen 2006 und 2010 legte der Bioanteil im Frischesegment des Lebensmitteleinzelhandels um mehr als die Hälfte zu. Das größte Stück des Bio-Kuchens mit über 90 Prozent Umsatz sichern sich in Österreich als auch in Deutschland derzeit noch die großen Supermarktkonzerne. Nur etwa 8 bis 10 Prozent davon fließen in die Kassen von Bio-Läden und Reformhäusern. Und auch wenn man davon ausgehen kann, dass die Kunden immer kritischer werden, sind auch sie nicht davor gefeit, dass in Bio nicht immer Bio ist. Seit 2009 gelten prinzipiell EU-weite Regeln für die Produktion, Kontrolle und Kennzeichnung von biologischen Erzeugnissen, die mit dem dazugehörigen BioEU-Logo versehen werden. Dieses schränkt etwa den Einsatz von chemischen Pflanzenschutzmitteln ein und verbietet die Verwendung von Mineraldünger sowie gentechnisch veränderten Organismen. Doch auch das 2010 eingeführte Bio-Siegel der EU schafft es nicht, die Ansprüche, die man mit Bio in Verbindung bringen 7 MULTIKOSMOS COVERSTORY WICHTIGE INFOS & ADRESSEN FÜR VERBRAUCHER DEUTSCHLAND: www.foodwatch.de www.demeter.de www.bioland.de www.bio-siegel.de ÖSTERREICH: www.bio-austria.at www.erde-saat.at www.ochsenherz.at www.foodcoops.at www.buffaloconnection.at www.adamah.at www.biohof.at www.labonca-biohof.at www.selbsternte.at möchte, in die Realität umzusetzen. Zwar sind laut EUÖko-Verordnung für verarbeitete Bio-Produkte wesentlich weniger Zusatzstoffe erlaubt als für konventionelle, nämlich nur etwa 50 im Vergleich zu rund 320. Doch auch Produkte mit dem Bio-Siegel können problematische Substanzen enthalten, heißt es auf der deutschen Website von Foodwatch. Der Verein wurde 2002 vom ehemaligen Greenpeace-Geschäftsführer Thilo Bode gegründet und setzt sich mit den Rechten von Verbrauchern und der Qualität von Lebensmitteln auseinander. Erlaubt ist beispielsweise Carrageen, das im Tierversuch zu Geschwüren und Veränderungen im Immunsystem führte. Bei Fleischprodukten mit dem Bio-Siegel wird zudem das umstrittene Nitritpökelsalz eingesetzt. Zudem dürfen etwa unter dem EU-Biozeichen auch Limonaden verkauft werden, die keinen Tropfen Fruchtsaft enthalten, und auch Bio-Tomaten aus spanischen Gewächshäusern, für die man mehr Wasser verbraucht als etwa in einem heimischen Gewächshaus. „Ich persönlich kaufe gerne direkt beim Erzeuger, denn der Kontakt zu den Produzenten ist mir wichtig.“ „Eine Möglichkeit, sich den Großkonzernen zu entziehen, ist natürlich, dass man seine Produkte nur mehr vom Biobauern direkt bezieht“, sagt Florian Holzer. Denn Bio sei vor allem eine Frage der Handwerklichkeit und Regionalität. Je mehr Handgriffe, je kleiner die Strukturen und je kürzer die Wege, desto höher ist die Wertigkeit des biologischen Produktes“, so Holzer. Echte Bioqualität findet man etwa im niederösterreichischen Marchfeld. Der hier ansässige Biobetrieb Adamah hat sich auf alte Gemüsesorten spezialisiert und das Konzept der „Biokisten“, die man sich auch nach Hause liefern lassen kann, entwickelt. Eine Idee, die mittlerweile vielerorts angeboten wird. Auch beim oberörsterreichischen Biohof Achleitner gibt es Abos. In der Südoststeiermark können bewusste Konsumenten beim Biohof Labonca für einen bestimmten Geldbetrag direkt in Wurst vom „Sonnenschwein“ investieren. Und auch beim Ziegenbauer Robert Paget in Grafenegg, der mit seinem Handwerk des Ziegencamemberts internationale Preise abräumt, führt jeder Handgriff zum biologischen Ergebnis. „Letztlich ist es aber auch eine sehr romantische Vorstellung und aus logistischen als auch zeitlichen Gründen oft nicht bewältigbar, jeden einzelnen Hersteller direkt zu besuchen“, so Holzer. „Dennoch. Will man verantwortlich handeln, erfordert es ein Umdenken und auch ein Umstellen im Alltag. Schafft man es nicht, einzig im Bioladen einzukaufen oder am Bauernmarkt, sollte man wenigstens auf gute Bio-Zertifizierungen achten.“ 8 Neben dem EU-Logo gibt es auch nationale wie das deutsche Biosiegel oder Bio Austria, regionale wie das Mühlviertler Erde & Saat oder auch private Bio-Siegel etwa von Anbauverbänden wie Bioland oder Demeter, die strenge bis sehr strenge Richtlinien verfolgen. Beim Öko-Pionier Demeter sind bei der Herstellung der Bioprodukte etwa nur 13 absolut notwendige Zusatzstoffe in der Verarbeitung erlaubt, künstliche Aromen sind komplett verboten. Mindestens 80 Prozent der Futterration für Wiederkäuer müssen Demeter-Qualität haben und bei Getreide sind weder Hybride noch Sorten aus Zellfusionstechnik zugelassen, um nur zwei Punkte der langen Kriterienliste zu nennen. Das Positivste am allgemeinen Biotrend ist, dass ihn mittlerweile auch kleine Gruppen und Partnerschaften von lokalen Produzenten und Konsumenten aufgreifen. Die Vereinigung Ochsenherz – um nur eines von vielen Beispielen zu nennen – orientiert sich am Modell der „community supported agriculture“ (CSA), eine Bewegung, die seit Ende der 1980er Jahre in den USA und in Japan Anhänger findet. Idee der CSA ist es, eine Form der Landwirtschaft zu entwickeln, in der Produzenten und Konsumenten gemeinsam landwirtschaften. Das bedeutet, ein Kreis von Konsumenten geht mit Ochsenherz eine Vereinbarung ein, dass sie ein Jahr bzw. eine Saison von dem Betrieb mit Gemüse versorgt werden. Der Konsumentenkreis finanziert die Kosten des Gemüseanbaus für diesen Zeitraum und erhält dafür erntefrische, biologische Nahrungsmittel, trägt aber auch das Risiko eines Ernteausfalls mit. Eine weitere Lebensmittelkooperative in Österreich ist Food Coops. Hierbei haben sich Personen und Haushalte zusammengeschlossen, um selbstorganisiert biologische Produkte direkt von lokalen Bauernhöfen, Gärtnereien oder auch Imkereien zu beziehen. Ganz neu ist auch die Idee der sogenannten Selbsterntefelder, die gerade im urbanen Raum immer mehr Anhänger findet. Dabei entsteht ebenso eine Partnerschaft zwischen Bio-Bauer und Konsument. Der Biobauer erledigt die Bodenbearbeitung auf der gepachteten Zelle, der Konsument bestimmt, wann und was geerntet wird. „Der Konsument hat mit Biolebensmittel-Kooperativen und solidarischen Landwirtschaftsprojekten Alternativen. Die muss er nützen, um sich und die Bauern aus der Abhängigkeit der Konzerne zu befreien“, erklärt Clemens G. Arvay in seinem Buch „Der große Bioschmäh“. Und Essensexperte Florian Holzer ergänzt: „Bio ist eine Frage des Vertrauens. Durch die letzten Lebensmittelskandale ist dies bei den Verbrauchern erschüttert worden. Darin kann sich aber nun auch eine Chance auftun, wenn die Konsumenten lernen umzudenken. Nicht nur wegen der Gesundheit, im Idealfall auch der Natur zuliebe.“