Aversionstherapie bei Rauchern - DG

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Aversionstherapie bei Rauchern
Christoph B. Kröger
IFT-Gesundheitsförderung, München
14. Wissenschaftliches Gespräch der DG Sucht,
"Über das Lernen lernen - Neue Impulse für die Behandlung von
Abhängigkeiten?!"
Tutzing, 17.-19.04.2013
Wie wird Rauchen erlernt?
Einstieg
•
Modelllernen
•
Soziale Verstärker
Stabilisierung, Aufrechterhaltung
•
Operante Konditionierung, positive Verstärkung
•
Klassische Konditionierung
Suchtentstehung
•
Operante Konditionierung, negative Verstärkung
•
Klassische Konditionierung
Lerntheoretisches Erklärungsmodell zur
Aufrechterhaltung des Rauchens
Situationen, die mit
dem Rauchen
assoziiert sind, incl.
Zigarette, Geruch
Rauchen
S
C+
Kurzer Kick
ext (CS)
CS
int (CR)
-Verlangen, starke Motivation
-Anspannung
-Zufriedenheit
-Entzug
-„Angst“ vor Zustand ohne Zigarette
Das (negative) innere Erleben
wird abgeschwächt, die
Motivation wird befriedigt
CIFT
Aversives Erleben und Rauchen
(Klinischer Eindruck, Einzelfallberichte)
Verhinderter Einstieg
Viele Personen, denen beim ersten Rauchen schlecht wird, steigen
erst gar nicht ein.
Natürliche „Aversionstherapie“ verhindert den Einstieg.
IFT Gesundheitsförderung München
Aversives Erleben und Rauchen
(Klinischer Eindruck, Einzelfallberichte)
Ausstiegsprozess (Aktueller Bericht, von 12.04.2013)
•
•
•
•
•
Männlich, 45J., Psychotherapeut
Als Raucher, 20 Zig am Tag, Start mit 14 J, ab BW abhängig
Silvestermethode vor 20 Jahren, 2 Packungen geraucht und viel
Alkohol => Übelkeit, Unwohlsein
Spontaner Aufhörbeschluss, seither keine Zig mehr geraucht
Anfangs starke Entzugserscheinungen, Unzufriedenheit, Craving bis
2 Jahre nach Rauchstopp
IFT Gesundheitsförderung München
Ausstiegsprozesse
Ex-Raucher (Riemann, BZgA, 1988, N=265)
• 80% sofort auf Null
• Unterstützung beim Aufhören:
Starker Wille (37%), Beschwerden bzw. Angst davor (12%),
Verlangen, kein Genuss, Ekel (2%)
IFT Gesundheitsförderung München
kein
Ausstiegsprozesse
Schriftliche Berichte von Ausstiegsprozessen
•
•
•
(Inhaltsanalyse, Kröger et al, 1999, n=85)
Anlass: Gesundheit 50%, soziale Gründe 34%
Methode: spontan 41%, geplant 35%, Reduktion 24%
Selbstkontrolle (M 81%, F 66%), Selbsthilfebuch (12%; M 4%, F
21%), Hilfsangebote (13%)
REASONS
Social stimuli
Somatic stimuli
Loss of reinforcing
quality
Overdose/disgust
Addiction
MALE
n= 9
n=16
n= 3
%
25.0%
44.4%
8.3%
FEMALE
n=8
n=9
n=1
%
32.0%
36.0%
4.0%
n= 3
n= 0
8.3%
0
n=1
n=5
4.0%
20.0%
Market situation
n= 5
N=36
13.9%
100.0%
n=1
N=25
4.0%
100.0%
Ausstiegsprozesse
AUSLÖSER (A)
DIFFERENZIERUNG
IN %
Soziale Stimuli (SS)

n= 5
Sozialer Druck (Ehe-/Partner, Freunde,
N=85,
n=51
Berichte zu Gründen
IN %
Krankenhaus, Arzt, Kuraufenthalt)
Körperliche Bewußtwerdung
(KB)

Rücksichtsnahme
n=10

Vorbild
n=2

Sorge um Gesundheit (Angst vor Krankheit,
n=16
27.9%
41%
Leistungsbeeinträchtigung, Raucherhusten)

Konkrete Krankheit (schwere Bronchitis,
Erblindung, Hauterkrankung, Zahn)
n=9

Überdruß, Funktionsverlust
n=4
6.6%
Überdosierung/Ekel(Ü)
n=4
6.6%
Abhängigkeit (A)
n=5
8.2%
Marktsituation (M)
n=6
9.8%
Verstärkerverlust (VV)
REASONS
Social stimuli
Somatic stimuli
Loss of reinforcing
quality
Overdose/disgust
Addiction
Market situation
Kröger et al, 1999
MALE
n= 9
n=16
n= 3
%
25.0%
44.4%
8.3%
FEMALE
n=8
n=9
n=1
%
32.0%
36.0%
4.0%
n= 3
n= 0
n= 5
N=36
8.3%
0
13.9%
100.0%
n=1
n=5
n=1
N=25
4.0%
20.0%
4.0%
100.0%
Ausstiegsprozesse
Kröger et al, 1999
Phasen des Ausstiegs
Komponenten/Methoden der Tabakentwöhnung
Verhaltensebene
kognitiv-emotional
motorisch
physiologisch/
biochemisch
Phase
Motivieren
Vorbereiten
Beenden
Stoppen

Pro-Contra-Liste

Protokollieren

Ambivalenz herausarbeiten

Verhalten beobachten

Einstellungsänderung

kognitive Umstrukturierung 


Aversive Verfahren
Zukunftsvisionen
Aufrechterhalten
Stabilisieren
IFT Gesundheitsförderung München
Aktivitätenplan

Vertragsmanagement

Verhaltenstipps

Bestrafung

soziale Unterstützung

Konfrontationstechniken

Skillstraining

Pharmakotherapie

Pharmakotherapie
Ansatzpunkte der Tabakentwöhnung
Aufbau rauchfreien Verhaltens
S
StimulusKontrolle,
Stressreduktion
?
Alternativverhalten,
„Heldenhaftes
Verhalten“
„Entgegengesetztes
Handeln“
C+
Soziale
Unterstützung,
Belohnungssystem
C-
Missempfinden
entfallen
C-
Entzugserscheinungen
müssen ausgehalten
werden
C+
Gesundheit,
Leistungsfähigkeit
IFT
Ansatzpunkte der Tabakentwöhnung
Abbau des Rauchverhaltens
Situationen, die mit
dem Rauchen
assoziiert sind, incl.
Zigarette, Geruch
S
S
ext
Rauchen
C+
ext
CS
int
C-
Starke neg. Sensationen
IFT
Aversionsbehandlung
Unter Aversionsbehandlung fasst man eine Reihe
verschiedener Behandlungsformen zusammen, denen
gemeinsam ist, dass ein aversiver Reiz zeitlich unmittelbar an
ein klinisch unerwünschtes Verhalten gekoppelt wird. Das Ziel
solcher Behandlungsverfahren ist, das zukünftige Auftreten
des unerwünschten Verhaltens zu reduzieren.
Zwei Vorgehensweisen:
1.
der aversive Reiz wird an einen anderen Stimulus gekoppelt,
der vom aktuellen Verhalten unabhängig ist.
2.
der aversive Reiz tritt kontingent oder direkt nach dem
unerwünschten Verhalten auf
J. Sandler: Aversionsbehandlung.
In: Linden & Hautzinger, Verhaltenstherapiemanual. 2008
Aversive Verfahren am Beispiel des
Rauchens
Klassische Konditionierung (Gegenkonditionierung)
Der positiv besetzte CS bzw. UCS (Zigarette, Geruch) wird
mit negativem UCS (z. B. Elektroschock) gekoppelt, der eine
aversiv empfundene unwillkürliche Reaktion (zunächst UCR,
später CR, z. B. Schmerz, Angst) auslöst
Operante Konditionierung (Bestrafung)
Das operante Verhalten (Rauchen) wird bestraft, die
Auslösesituation wird zum diskrimitativen Stimulus für das
Auftreten eines Strafreizes bzw. eines aversiv erlebten
Zustands
Wirkweise der Aversionstherapie beim
Rauchen für das Ziel Abstinenz
1.
2.
3.
Rauchverhalten und Gedanken an das Rauchen sollen
mit negativen Sensationen gekoppelt werden und
somit unattraktiv, wenig erstrebenswert angesehen
werden, =>Vermeidung, Angst vor Strafreiz
=> motivationale Klärung, Problemaktualisierung
Das Gefühl, rauchen zu müssen (Urge to smoke), soll
reduziert werden
=> Problembewältigung
Kick off, Anstoß für kognitive Neuorientierung
=> motivationale Klärung, Problemaktualisierung
Aversive Techniken der Tabakentwöhnung ‐1‐
• Rapid Smoking: erstmalig 1968 (Lubin), Probanden rauchen solange kontinuierlich (jede 6‐10s ein Zug) 3 min lang bzw. 3 Zigaretten oder bis sie nicht mehr weiter rauchen können. 2 bis 3 Durchgänge pro Sitzung, 3 bis 10 Sitzungen in 1 bis 4 Wochen
• Rapid Puffing: wie Rapid Smoking, aber ohne zu inhalieren.
• Paced Smoking: mit 30 sec Intervallen
• Smoke Holding: Der Zigarettenrauch wird eine bestimmte Zeit im Mund gehalten • Focused Smoking: Hierbei wird ganz normal geraucht, nur soll man sich beim Rauchen auf die negativen Empfindungen konzentrieren. Wird gerne kombiniert.
• Excessive Smoking, Negative Practice, Satiation, Oversmoking: Zigarettenkonsum wird vor dem Rauchstopp auf das 2 bis 3fache erhöht
Aversive Techniken – Akzeptanz und gesundheitliche Folgen
• Befürchtung, dass Nikotinvergiftung, Herzrhythmusstörungen oder Herzinfarkt auftreten könnten (bei Rapid smoking)
• Schätzung, das bis 1977 mindestens 35.000 Raucher diese Methode ausprobierten (Danaher, 1977)
• es gab nur gelegentlich Berichte von vorübergehenden negativen Begleiterscheinungen
• hohe Akzeptanz bei den Rauchern für die Methode
Aversive Techniken der Tabakentwöhnung ‐2‐
Techniken ohne Rauchexposition
• Verdeckte Sensibilisierung – symbolische Aversion
• Elektroschock
• Silberacetat (ähnlich Antabus‐Anwendung)
Stellenwert einer Monotherapie innerhalb der Tabakentwöhnung?
Der spezifische Effekt einer Behandlung? Ein Gedankenspiel
Medizinische Routinebehandlung
aktive Behandlung
Wissen über die Behandlung
spezifischer Effekt
nichtspezifischer Effekt
Ergebnis
Behandlungssimulation mit Placebo
Wissen über die Behandlung
Placebo
Ergebnis?
Verdeckte Gabe einer aktiven Behandlung
aktive Behandlung
Ergebnis??
IFT Gesundheitsförderung München
Die Evidenz: Metaanalysen
Cochrane Analysen (2010)
• Aversives Rauchen
25 von 68 identifizierten Studien
– 12 Rapid Smoking
– 10 andere aversive Methoden
• Silberacetat: 2 Studien
Schlussfolgerungen
• Effektivitätsstudien zu Aversionstherapien sind 30 ‐ 40 Jahre alt, es wurden Monotherapien untersucht
• Wenige neuere Studien untersuchen den Stellenwert aversiver Verfahren, betonen dass man aversive Verfahren mehr untersuchen sollten – tun es aber nicht
• Aversionstherapien haben einen Effekt (bei einer unbekannten Subgruppe) auf die – Initiierung des Rauchstopps – Abstinenz
– kurzfristige Reduktion des Verlangens
• Die Wirkweise/Wirkmechanismen sind unbekannt (Motivation, Verlangen)
Schlussfolgerungen
• Effektivitätsstudien zu Aversionstherapien sind 30 ‐ 40 Jahre alt, es wurden Monotherapien untersucht
• Wenige neuere Studien untersuchen den Stellenwert aversiver Verfahren, betonen dass man aversive Verfahren mehr untersuchen sollten – tun es aber nicht
• Aversionstherapien haben einen Effekt (bei einer unbekannten Subgruppe) auf die – Initiierung des Rauchstopps – Abstinenz
– kurzfristige Reduktion des Verlangens
• Die Wirkweise/Wirkmechanismen sind unbekannt (Motivation, Verlangen)
Schlussfolgerungen: S3 Leitlinie
Aversionstherapie
•
Die Studien zur Wirksamkeit von Aversionstherapien als Monotherapie sind veraltet, die Wirksamkeit ist fraglich. Aversionstherapien sollten nicht angeboten werden.
•
Empfehlungsgrad: KKP (Klinischer Konsens)
Hintergrundtext
Die Aversionstherapie als Monotherapie wird derzeit in der Praxis kaum angewandt. Die Wirksamkeit der Aversionstherapie wurde in Studien nachgewiesen, die mehrheitlich vor 1980, also vor über 30 Jahren veröffentlicht wurden. Laut Cochrane Analyse (Hajek & Stead, 2010) bieten die vorliegenden Studien keine Evidenz für die Effektivität der spezifischen Methode des „Schnellen Rauchens“ (Rapid Smoking), da zur Zeit ihrer Veröffentlichung die heute üblichen Standards noch nicht erfüllt wurden (biochemische Validierung, Poweranalysen). Die US amerikanischen Guidelines (Fiori et al 2008) beschreiben eine signifikante Verbesserung der Abstinenzrate durch aversive Rauchmethoden, empfehlen diese Art der Intervention jedoch nicht mit Hinweis auf die kritische Sicht der Cochrane Analyse und mögliche unerwünschte Nebeneffekte. Die Sorge um Nebeneffekte wie Nikotinvergiftung, Arrhythmien, mangelnde Blutversorgung des Herzens wird jedoch von (Hajek & Stead, 2010) als weitgehend unbegründet angesehen. Zur Aversionstherapie liegt aktuell nur eine neue Studie vor, bei der der Einsatz von Aversionstherapie zur Rückfallprophylaxe erfolglos war (Juliano et al, 2006).
Überlegungen zum Stellenwert aversiver
Techniken
Gesundheitliche und ethische Bedenken
• Aus gesundheitlicher oder ethischer Sicht erscheinen aversive Verfahren unbedenklich.
• Dennoch erscheint eine Empfehlung für Personen mit kardiologischen oder pulmonaren Erkrankungen nicht angemessen.
Überlegungen zum Stellenwert aversiver
Techniken
Andere evidenzbasierte Techniken machen aversive Verfahren überflüssig • Das würde auf alle neuen oder alten Verfahren zutreffen
• Die evidenzbasierten Verfahren sind bisher nicht optimal
• Das träfe zu, wenn es keine differentielle Indikation gäbe
doch
– Es gibt kaum Aussagen zur differentiellen Indikation
– Die differentielle Wirksamkeit ist für fast alle Interventionen gleich
Überlegungen zum Stellenwert aversiver
Techniken
Praktikabilität • Rauchexposition des Therapeuten ist problematisch • Akzeptanz scheint gegeben zu sein
• Kognitive Techniken (ohne Rauchexposition) sind problemlos integrierbar in ein multimodales Vorgehen
Überlegungen zum Stellenwert aversiver
Techniken
Einsatz … in Gruppenprogrammen mit mehreren Komponenten
– Techniken mit Rauchexposition sind im Gruppensetting nicht praktikabel (Rauchbelastung)
– Die Grundhaltung moderner Multikomponentenprogramme ist positiv, zielorientiert
– Das Problemverhalten wird akzeptiert und wertgeschätzt – nicht kritisiert
– Der Stellenwert ist unklar
– Die Methode konkurriert mit anderen Komponenten
… als Monotherapie
– Fragliche Effektivität
… in der individuell geplanten Einzelbehandlung
– Warum nicht?
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