Ein neues Angebot legen

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Ein neues Angebot legen
Was angesichts der strikten strukturellen Veränderungsverweigerung des Koalitionspartners kurzfristig getan werden
muss, um wieder Anziehungspunkt für das sogenannte
bürgerliche Lager werden zu können
Christoph Neumayer
Die Aufsplitterung des bürgerlichen Lagers ist bei den vergangenen
Nationalratswahlen noch stärker sichtbar geworden. Aufgeklärte
und leistungsorientierte bürgerliche Wähler hatten erstmals wirklich
ernsthafte Alternativen zur Österreichischen Volkspartei vorgefunden – sichtbares Zeichen ist der Einzug der NEOS in den Nationalrat.
Für eine christdemokratische Partei, die in ihrem Namen und trotz
aller Verluste den Anspruch stellt, „Volkspartei“ zu sein – und dies
in einzelnen Bundesländern auch ist –, muss es jetzt darum gehen,
möglichst schnell wieder jenen verloren gegangenen Wählern, die vor
allem auch Nichtwähler sind, ein neues und überzeugendes Angebot
zu legen. Schließlich stehen die nächsten bundesweiten Wahlen mit
jenen zum Europäischen Parlament vor der Tür – ein Wahlgang, dessen Bedeutung gerade für die sich auch als „Europapartei“ verstehende ÖVP nicht zu unterschätzen ist.
Wo angesetzt werden muss
Es gilt, beispielhaft bei drei als Schwächefelder wahrgenommenen
Entwicklungen anzusetzen:
1. Verbreiterung statt Verengung: Mitbewerb hat sich die Volkspartei in den vergangenen Jahren oft selbst produziert. Die Unzufriedenheit bzw. das Unbehagen mit der Rezeption neuer Ideen und der Integration engagierter Persönlichkeiten, die nicht
zwingend die parteiinterne Ochsentour absolviert haben, ist ein
Phänomen, das alle etablierten Parteien auf Bundesebene seit
Längerem begleitet. Gegenstrategien mit „Quereinsteigern“ haben sich auch nicht immer als erfolgreich erwiesen, spätestens
dann nicht, wenn sich jene oft honorigen Persönlichkeiten als
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der fordernden und mit Untiefen versehenen Tagespolitik nicht
gewachsen gezeigt haben.
Wie also gegensteuern? Zum einen muss mehr Augenmerk auf
die nachhaltige (!) professionelle Personalentwicklung gelegt
werden. Diese muss innerhalb der Parteistrukturen, aber ebenso
außerhalb jener stattfinden. Wer inhaltlich kompetent, politisch
interessiert ist und letztlich auch an der Weiterentwicklung des
Landes positiv mitarbeiten will, muss die Chance der politischen
Entfaltung erhalten – auch abseits der den gesellschaftlichen
Realitäten meist ohnehin nicht mehr entsprechenden innerparteilichen Strukturen oder regionalen Überlegungen. Wie es beispielsweise gelingen kann, sich über Engagement ein politisches
Mandat auf Landesebene zu erkämpfen, das funktioniert zumindest in der Volkspartei Niederösterreich gut.
Zum anderen müssen Bindungsinstrumente über Sachthemen
gefunden werden – nicht jede, nicht jeder will (Partei-)Politikerin/
Politiker werden. Sachkoalitionen mit bürgergesellschaftlichem
Engagement können für eine gewisse Zeit das inhaltliche bzw.
thematische Angebot der Partei verbreitern und das erwünschte
Signal der Breite und der Sensibilität für gesellschaftlich brennende Themen geben. Engagierte Bürgerinnen und Bürger werden
zu Gesprächs- und sachpolitischen Koalitionspartnern.
2. Teamgeist statt Ansammlung von Ich-AGs: Das Arbeiten im
Team ist in der unternehmerischen Welt seit Langem gelebte Realität. Mit Persönlichkeiten, denen Eigenprofilierung um jeden
Preis und Ignoranz vor dem gemeinsamen Arbeiten in einer Partei oder in einem Regierungsteam auf Landes- oder Bundesebene
wichtiger als abgestimmtes Teamplay sind, wird kein nachhaltiger
Erfolg möglich sein. Der Team-Kapitän hat auf die Teamentwicklung, den Teamgeist zu achten und den Teamerfolg sicherzustellen, die Teamspielerinnen und -spieler haben ihren Beitrag und
ihr Bestes für den Gesamterfolg zu geben. Erfahrungsgemäß
bleibt dabei ohnehin genug Potenzial für die Selbstpräsentation
und -verwirklichung. Das ist die Erwartungshaltung der Bürgerin150
nen und Bürger, somit des Souveräns an eine politische Partei, die
Regierungsverantwortung trägt.
3. Im Zweifel geht Österreich vor die Partei: Wie oft wird gerade
in den sogenannten „staatstragenden“ Parteien geklagt, dass es
den Populisten um so vieles besser gelingt, in der öffentlichen
Meinung – und damit womöglich auch in der Wahlzelle – zu
reüssieren, weil sie das für die Zukunft Notwendige verweigern
und dagegen polemisieren. Für eine christdemokratische Volkspartei gilt das Gegenteil: Politik ist die Kunst, das Notwendige
möglich zu machen. Das bedingt exzellente und dramaturgisch
entwickelte Kommunikationsarbeit, jene abhandengekommenen Narrative, die es ermöglichen, die Bürgerinnen und Bürger
mehrheitlich für Reformvorhaben zu gewinnen. Das bedingt
den Anspruch der politischen Gestaltungskraft abseits von KleinKlein. Strukturelle Veränderung kann nicht vollständig an die
Verhandlungsgruppen von Kammern und Interessengruppierungen ausgelagert werden – wer nicht mehr in der Lage oder nicht
willens ist, kraft seiner politischen Funktion Entscheidungen zur
nachhaltigen Zukunftsgestaltung eines Landes zu treffen, wird
von bürgerlichen Wählerinnen und Wählern keinen Zuspruch
erhalten. Wer Österreich und seine Zukunft glaubwürdig in den
Mittelpunkt stellt, wird für jene wieder attraktiv werden, denen
es ebenso um die Zukunft des Landes und der nächsten Generationen geht.
Mehr ist machbar
Das gegenwärtige Regierungsprogramm verzichtet weitgehend auf
die von vielen erwarteten und gewünschten strukturellen Veränderungen, was übrigens nicht die (überwiegende) Schuld der ÖVP ist.
Es enthält viele Absichtserklärungen und sehr allgemein gehaltene
Formulierungen. Das ist schade, aber auch eine große Chance: Wer
als Teil der Regierung in aller Breite, mit einer starken Teamleistung
sichtbar macht, dass mehr machbar sein muss und die dazugehörenden Themen besetzt und kommunikativ „übersetzt“, der wird auch
in dieser herausfordernden Situation wieder für jene Menschen at151
traktiv werden, die es zu versammeln gilt: Jene, die das Land positiv
gestalten wollen und sich nicht in reiner Klientelpolitik, Schönreden
und Zukunftsverweigerung ergehen.
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