ÜBUNG ZUM GRUNDKURS LOGIK WS 2015 — GÜNTHER EDER FORMALE SPRACHEN • Bevor wir anfangen, uns mit formaler Logik zu beschäftigen, müssen wir uns mit formalen Sprachen beschäftigen • Wie jede natürliche Sprache, hat auch auch jede formale Sprache • Syntax/Grammatik • Semantik GRAMMATIK / SYNTAX • Die Grammatik einer natürlichen Sprache gibt (1) die Grundbausteine an, aus denen man Ausdrücke bilden kann (Alphabet, Wörter) (2) Regeln an, die festlegen, wie man aus den Grundbausteinen komplexe Ausdrücke bilden kann • Die Grammatik des Deutschen legt z.B. fest, dass „John Schnee ist der uneheliche Sohn von Eddard Stark“ ein korrekt gebildeter Satz des Deutschen ist, während „Ist der von uneheliche Sohn Schnee John Stark Eddard“ kein korrekt gebildeter Satz des Deutschen ist. GRAMMATIK / SYNTAX • Die Grammatik / Syntax einer formalen Sprache macht genau dasselbe • Sie spezifiziert • die Grundbausteine, aus denen man Ausdrücke der Sprache bilden kann • Regeln, die festlegen, wie man aus den Grundbausteinen komplexe Ausdrücke bilden kann DIE GRUNDBAUSTEINE DER AL • Die Grundbausteine der Sprache der Aussagenlogik (AL) sind • Nicht-logische Konstanten, atomare Satzbuchstaben: p, q, r, s, p1, q1, … p2,… • Eine bestimmte Menge von atomaren Satzbuchstaben, etwa {p, q, r} nennt man auch Signatur • Logische Konstanten, aussagenlogische Junktoren: ¬, ∧, ∨, ⟶, ⟷ • Klammern DIE GRUNDBAUSTEINE DER AL • Satzbuchstaben p, q, r, … sollen für einfache, aussagenlogisch nicht weiter zerlegbare Aussagesätze stehen wie „Ned Stark ist tot“, „Joshua spielt Gitarre“, „Michael Marco ist arrogant“, etc. • Die aussagenlogischen Junktoren sollen jeweils stehen für Umgangssprachlicher Junktor Formale Sprache der AL nicht und ¬ ∧ oder ∨ wenn, dann ⟶ genau dann wenn ⟷ DIE GRUNDBAUSTEINE DER AL • Nicht alle umgangssprachlichen Junktoren werden in der formalen Sprache der AL berücksichtigt • • Z.B. gibt es kein eigenes Zeichen für „Entweder …, oder …“ Nicht alle Junktoren der formalen Sprache werden benötigt • Z.B. kann man „A und B“ definieren durch „Nicht(Nicht-A oder Nicht-B)“ • Es gibt auch einzelne Junktoren — sogenannte Sheffer-Junktoren — mit denen man alle anderen Junktoren ausdrücken / definieren kann • Mengen von Junktoren, mit deren Hilfe man alle anderen (möglichen) Junktoren ausdrücken / definieren kann, nennt man auch funktional vollständig DIE GRUNDBAUSTEINE DER AL • Durch jede Signatur Σ ist eine bestimmte Menge von sog. wohlgeformten Formeln dieser Signatur festgelegt, die Menge aller Sätze, die sich durch wiederholte Anwendung der Wohlgeformtheitsregeln aus den Sätzen in Σ erzeugen lassen WOHLGEFORMTHEITSREGELN (1) Jedes Element von Σ ist eine wohlgeformte Formel (2) Wenn α und β wohlgeformte Formeln sind, dann auch (i) ¬α (ii) (α ∧ β) (iii) (α ∨ β) (iv) (α ⟶ β) (v) (α ⟷ β) WOHLGEFORMTHEITSREGELN Für die Signatur Σ = {p, q, r, r12} schließt diese Definition also die Zeichenfolgen „(p ∧)¬ rr" und „(p ∧ q) ⟶ r“ und „(β ∧ p)“ als wohlgeformte Formeln aus und schließt „((p ∧ q) ∨ ¬r)“ und „((¬p ∧ q) ∨ (p ⟶ r12))“ als wohlgeformte Formeln ein (Hinweis: äußere Klammern erspart man sich in der Regel) WOHLGEFORMTHEITSREGELN • Die Wohlgeformtheitsregeln sind das erste Beispiel für eine rekursive Definition • Typisches Beispiel aus der Schule: rekursive Folgen — z.B. die Fibonacci-Folge: 1, 1, 2, 3, 5, 8, 13, 21, … • a1=1, a2=1 • an+1= ??? WOHLGEFORMTHEITSREGELN • Die Wohlgeformtheitsregeln sind das erste Beispiel für eine rekursive Definition • Typisches Beispiel aus der Schule: rekursive Folgen — z.B. die Fibonacci-Folge: 1, 1, 2, 3, 5, 8, 13, 21, … • • a1=1, a2=1 • an+1= an + an-1 In der Definition wird zurückgegriffen auf schon gebildete Folgenglieder INDUKTION ÜBER DEN FORMELAUFBAU • Die Tatsache, dass es sich bei der Definition der wohlgeformten Formeln um eine rekursive Definition handelt, gibt uns auch eine Beweismethode an die Hand — die sogenannte Induktion über den Formelaufbau (auch „Strukturelle Induktion“ genannt) • Mit Hilfe der Induktion über den Formelaufbau kann man zeigen, dass JEDE Formel eine bestimmte Eigenschaft hat (eng verwandt mit der vollständigen Induktion in der Mathematik) • ACHTUNG: Hat nichts mit Induktion und dem Induktionsproblem in der Wissenschaftstheorie zu tun — vollständige und strukturelle Induktion sind beides mathematisch einwandfreie Beweismethoden — anders als Induktion in der Wissenschaft INDUKTION ÜBER DEN FORMELAUFBAU • Wollen zeigen, dass eine bestimmte Eigenschaft E auf ALLE Sätze / Formeln einer aussagenlogischen Sprache zutrifft • Zeigen dazu: 1. Induktionsanfang: E trifft auf alle atomaren Aussagebuchstaben der Sprache zu 2. Induktionsschritt: WENN E auf α zutrifft und auf β zutrifft (Induktionsannahme), DANN auch auf ¬α, (α ∧ β), (α ∨ β), (α ⟶ β), (α ⟷ β) INDUKTION ÜBER DEN FORMELAUFBAU — BEISPIEL • Wir wollen zeigen, dass jede wohlgeformte Formel der Signatur {p, q, r} die Eigenschaft E = „genauso viele rechte wie linke Klammern zu haben“ hat • „Zeigen“ dazu im Induktionsanfang, dass E auf alle atomaren Satzbuchstaben p, q, r zutrifft. • „Zeigen“ im Induktionsschritt, dass sich E „vererbt“ (i) von einer Formel α auf deren Negation ¬α (ii) von zwei Formeln α, β auf die Konjunktion (α ∧ β) (iii) von zwei Formeln α, β auf die Disjunktion (α ∨ β) (iv) von zwei Formeln α, β auf das Konditional (α ⟶ β) (v) von zwei Formeln α, β auf das Bikonditional (α ⟷ β) ALTERNATIVE NOTATIONEN — POLNISCHE NOTATION Nα entspricht ¬α Kαβ entspricht (α ∧ β) Aαβ entspricht (α ∨ β) Cαβ entspricht (α ⟶ β) Vorteil: keine Klammern nötig — auch keine „Bindungsregeln“ Nachteil: gegenüber Infix-Notation unintuitiver; weniger Nähe zu natürlich-sprachlichen Bildungsregeln ALTERNATIVE NOTATIONEN — POLNISCHE NOTATION Beispiele für wohlgeformte Formeln in polnischer Notation: CKpqCpp entspricht ((p ∧ q) ⟶ (p ⟶ p)) CKpCqpp entspricht ((p ∧ (q ⟶ p)) ⟶ p)) NCNKpCqpNp entspricht ¬(¬(p ∧ (q ⟶ p)) ⟶ ¬p)) Beispiele für nicht-wohlgeformte Formeln in polnischer Notation: CCKpCqpp entspricht ??? NCKpAqCqp entspricht ??? ALTERNATIVE NOTATIONEN — FREGE NOTATION Frege hat eine zweidimensionale Notation; als Grundbegriffe verwendet er ausserdem nur Negation und Konditional: α entspricht ¬α β α entspricht α⟶β ALTERNATIVE NOTATIONEN — FREGE NOTATION r q p ALTERNATIVE NOTATIONEN — FREGE NOTATION r q p (p ⟶ ¬q) ⟶ ¬r ALTERNATIVE NOTATIONEN — FREGE NOTATION r q p p q q p (p ⟶ ¬q) ⟶ ¬r ALTERNATIVE NOTATIONEN — FREGE NOTATION r (p ⟶ ¬q) ⟶ ¬r q p p q q p (p ⟶ q) ⟶ (¬q ⟶ ¬p) FORMALISIERUNGEN • „Formalisieren“ nennt man den Vorgang des Übersetzens eines natürlich-sprachlichen Satzes / Arguments in eine formale Sprache • Das ist in der AL oft noch Routine — in der Prädikatenlogik PL kann sich das als schwierig erweisen • Aber selbst in der AL ist es oft notwendig, dass man sich den Gehalt einer Aussage / eines Arguments zuerst klar macht, bevor es ans Formalisieren geht FORMALISIERUNGEN — KOCHREZEPT • Schritt 1: Sich klar machen, was der Satz sagt (kann manchmal Umformulierungen erforderlich machen) und aussagenlogische Struktur klarmachen (wo sind welche umgangssprachlichen Junktoren?) • Schritt 2: Nicht weiter zerlegbare, einfachste Sätze isolieren • Schritt 3: Jedem dieser Sätze einen atomaren Satzbuchstaben zuordnen („Übersetzungs-Verzeichnis“ anlegen) • Schritt 4: Umgangssprachliche Junktoren durch deren formale Gegenstücke („nicht“ durch „¬“; „und“ durch „∧“; etc.) und die isolierten nicht weiter zerlegbaren Sätze durch die entsprechenden Satzbuchstaben ersetzen FORMALISIERUNGEN — BEISPIEL (1) Wenn weder John noch Ben zu den Guten gehören, dann muss Kate eine von den Guten sein. FORMALISIERUNGEN — BEISPIEL • Schritt 1: Struktur klarmachen / Umformulieren (1’) Wenn John nicht zu den Guten gehört und auch Ben nicht zu den Guten gehört, dann gehört Kate zu den Guten. (1’) Wenn (John nicht zu den Guten gehört und auch Ben nicht zu den Guten gehört), dann gehört Kate zu den Guten. FORMALISIERUNGEN — BEISPIEL • Schritt 2: Nicht weiter zerlegbare Sätze isolieren (1’) ist ein Konditional und lässt sich zerlegen in 2 Teilsätze (Antezedens und Konsequens) zerlegen (2) John gehört nicht zu den Guten und Ben gehört nicht zu den Guten und (2’) Kate gehört zu den Guten FORMALISIERUNGEN — BEISPIEL • Schritt 2: Nicht weiter zerlegbare Sätze isolieren (2’) ist nicht weiter zerlegbar, aber (2) lässt sich zerlegen in (3) John gehört nicht zu den Guten und (3’) Ben gehört nicht zu den Guten FORMALISIERUNGEN — BEISPIEL • Schritt 2: Nicht weiter zerlegbare Sätze isolieren Sowohl (3) als auch (3’) lassen sich weiter zerlegen, resp. in (4) Nicht (John gehört zu den Guten) und (4’) Nicht (Ben gehört zu den Guten) FORMALISIERUNGEN — BEISPIEL • Schritt 3: „Abkürzungsverzeichnis“ anlegen p … John gehört zu den Guten q … Ben gehört zu den Guten r … Kate gehört zu den Guten FORMALISIERUNGEN — BEISPIEL • Schritt 4: Umgangsprachliche Zeichen durch Zeichen der formalen Sprache ersetzen Analysierte Variante: (1’’) Wenn (nicht (John gehört zu den Guten) und nicht (Ben gehört zu den Guten)), dann gehört Kate zu den Guten. Formalisierung: (1’’) ((¬p ∧ ¬q) → r) FORMALISIERUNGEN • Formalisierung von Argumenten Ein Argument ist eine endliche Folge von Aussagesätzen, verbunden mit dem Anspruch, dass aus einigen der Sätze (den Prämissen) ein anderer (die Konklusion) folgt. FORMALISIERUNGEN • Formal kann man ein Argument als Paar (Σ,α) verstehen, wobei • Σ eine Menge von AL-Sätzen ist (die Prämissen des Arguments) und • α ein einzelner AL-Satz (die gewünschte Konklusion des Arguments) FORMALISIERUNGEN • Formalisierung von Argumenten • Schritt 1: Zunächst Struktur des Arguments klarmachen D.h.: Was sind die Prämissen? Was ist die Konklusion? Und was sagen diese? • Schritt 2 — 4 entsprechen Schritt 2 — 4 von vorhin FORMALISIERUNGEN — BEISPIEL • „Es ist nicht gut ein Redner zu sein, denn wenn man die Wahrheit sagt, verärgert man die Menschen und wenn man nicht die Wahrheit sagt, verärgert man Gott.“ (Thomas Hobbes, Principles of Rhetorik, ch. 24) • („’Tis not good to be an Orator, because if he speak the truth, he shall displease Men: If he speak falsely, he shall displease God.“) FORMALISIERUNGEN — BEISPIEL • Schritt 1: Struktur des Arguments: α1. Man sagt als Redner entweder immer die Wahrheit oder nicht. α2. Wenn man als Redner immer Wahrheit sagt, verärgert man die Menschen. α3. Wenn man die Menschen verärgert, geht es einem nicht gut. α4. Wenn man als Redner nicht immer die Wahrheit sagt, verärgert man Gott. α5. Wenn man Gott verärgert, geht es einem auch nicht gut. ————————— β. Also geht es einem als Redner auf jeden Fall nicht gut. FORMALISIERUNGEN — BEISPIEL • Schritt 2 und 3: Atomare Sätze isolieren und „Abkürzungsverzeichnis“ erstellen p … Man sagt als Redner die immer Wahrheit q … Man verärgert die Menschen r … Man verärgert Gott s … Es geht einem als Rechner nicht gut FORMALISIERUNGEN — BEISPIEL Schritt 4: Ersetzen durch Zeichen der formalen Sprache • α1) (p ∨ ¬p) α2) (p → q) α3) (q → s) α4) (¬p → r) α5) (r → s) ————————— β) s INKLUSIVES UND EXKLUSIVES ODER (1) Heute gehe ich ins Kino oder ich betrinke mich. (i) Will ich mit (1) nicht ausschließen, dass ich beides mache ☛ einschließendes (inklusives) Oder ☛ (p ∨ q) (ii) Will ich mit (1) ausschließen, dass ich beides mache ☛ ausschließendes (exklusives) Oder ☛ ((p ∨ q) ∧ ¬(p ∧ q)) • FAUSTREGEL: Verwende „(p ∨ q)“ bei „… oder …“ und „ ((p ∨ q) ∧ ¬(p ∧ q))“ bei „entweder … oder …“ WENN; NUR DANN WENN; GENAU DANN WENN • Man mache sich den Unterschied zwischen (1), (2) und (3) klar: (1) Wenn man im GKL brav aufpasst, bekommt man einen 1er auf die Prüfung. (2) Nur wenn man im GKL brav aufpasst, bekommt man einen 1er auf die Prüfung. (3) Dann und nur dann wenn man im GKL brav aufpasst, bekommt man einen 1er auf die Prüfung. WENN; NUR DANN WENN; GENAU DANN WENN • In (1) ist braves Aufpassen nur eine hinreichende (aber keine notwendige) Bedingung für einen 1er. (Genies können auch ohne Aufpassen einen 1er bekommen) • In (2) ist braves Aufpassen nur eine notwendige (aber keine hinreichende) Bedingung für einen 1er. (ich kann einen 5er bekommen, auch wenn ich aufpasse; z.B. weil ich die Übungsaufgaben nicht fleissig mache) • In (3) ist braves Aufpassen sowohl eine hinreichende als auch eine notwendige Bedingung für einen 1er • Der Unterschied zwischen (2) und (3) ist im Deutschen ausserdem oft unklar — „nur wenn“ wird manchmal auch als „genau dann wenn“ verstanden WENN; NUR DANN WENN; GENAU DANN WENN (1) Wenn p, dann q entspricht (p ⟶ q) (2) Nur wenn p, dann q entspricht (q ⟶ p) (3) p dann und nur dann wenn q entspricht (p ⟷ q) FORMALISIERUNGEN • Wichtig bei aussagenlogischen Formalisierungen: (i) Alles, was zur aussagenlogischen Struktur eines natürlichsprachlichen Satzes gehört sollte sich in der formalisierten Variante wiederfinden! (ii) Insbesondere muss jedes der umgangssprachlichen Partikel „nicht“, „und“, etc. durch einen Junktor, und jeder nicht weiter zerlegbare Satz durch einen atomaren Satzbuchstaben repräsentiert werden! (iii)Umgangssprachliche Junktoren, die keine Entsprechung in der formalen Sprache haben, müssen umschrieben werden.