Vergleich verschiedener Resistenzbewertungs-Systeme Dr. Harm Müller, Dr. Nicole Wiese, Dr. Thomas Fenner Citylabor Dres. Fenner & Partner, Abt. DNA-Analytik und Sequenzierung, Bergstr. 14, 20095 Hamburg, Email: [email protected] Unter der antiretroviralen Therapie kommt es zur Entstehung von Resistenzen, diese können dann über die genotypische Resistenzbestimmung analysiert werden. Die Beurteilung der genotypischen Resistenzbestimmung von HIV unterscheidet sich dabei aber grundsätzlich von einer bakteriologischen Resistenzbestimmung, sie ist keine ja-nein Entscheidung; Zwischen Sensitiv und Resistent liegt ein sehr differenzierter Graubereich, der möglichst präzise von der vorliegenden Sequenz abgeleitet werden muss, damit daraufhin eine Therapieentscheidung gefällt werden kann. Dabei stellen sich zwei grundsätzliche Fragen: Lässt der Genotyp eines Patientenvirus die Vermutung zu, dass ein Ansprechen auf ein bestimmtes Medikament wie bei einem Wildypvirus zu erwarten sein wird? Oder: Lässt der Genotyp des Virus vermuten, dass bei der Gabe des Medikamentes überhaupt noch mit einem virologischen Benefit zu rechnen ist? Da sich mittlerweile die Technik der Sequenzierung aufgrund von kommerziell erhältlichen stan-dardisierten Kits im Allgemeinen auf einem verlässlich hohen Niveau befindet, liegt der Focus nun auf der Interpretation von Sequenzdaten. Für die Interpretation von HIV Protease und Reverse Transskriptase stehen verschiedenen Systeme zur Verfügung: Die sogenannten regelbasierten Algorithmen greifen auf publizierte Daten zur Korrelation Geno - Phänotyp, das klinische Ansprechen oder aber die Vortherapie zurück. Die Bewertung der Resistenz einer Mutation für ein einzelnes Medikament ist dabei - das sollte man nicht vergessen – grundsätzlich eine persönliche Entscheidung des Experten, der den Algorithmus definiert. Neben diesen regelbasierten Algorithmen sind andere Interpretationssysteme entwickelt worden, die aufgrund von Geno-Phäno Datenpaaren anhand von neuronalen Netzen oder selbstlernenden Maschinen genotypische Sequenzdaten interpretieren. Ziel der Interpretationssysteme sollte es dabei sein nicht mehr nur den Phänotyp vorherzusagen sondern auch eine Aussage über das virologisches Ansprechen zu geben. In den folgenden Abschnitten soll eine Auswahl der z. Zt. modernsten und am häufigsten benutzen Interpretationssystemen gegeben werden. Interpretationssysteme Virtueller Phänotyp (www.tibotecvirco.com) Die Firma Tibotec-Virco bietet auf kommerzieller Basis den sogenannten „Virtual Phänotyp“ an. Für die Erstellung eines virtuellen Phänotyps kann entweder die Probe für die Genotypisierung oder aber auch nur die Sequenz an Virco-Tibotec versandt werden. Der virtuelle Phänotyp ist ein Pattern-matching Algorithmus, der auf der Basis korrelierter Genotyp- und Phänotyp-Daten von über 10 000 Patientenproben arbeitet (1). Für die Resistenzvorhersage vergleicht das System die von der Patientensequenz identifizierten Resistenz-relevanten Mutationen und sucht in der Datenbank nach entsprechenden Datenkorrelaten. Für die Resistenzvorhersage werden dann phänotypische Resistenzfaktoren der gefundenen Treffer für die einzelnen Medikamente gemittelt. Die Analyse gibt die Anzahl der Treffer mit entsprechendem Mutationsmuster für jedes Medikament und die Verteilung der Phänotypen mit entsprechenden Mutationsmuster an. Die IC50 der identifizierten Proben wird anhand eines biologischen, medikamentenspezifischen cut-offs, und in einer quantitativen Vorhersage der Resistenz ausgegeben. Geno2Pheno (www.genafor.org) Eine Kooperation des Nationalen Referenzzentrums für Retroviren und einer Vielzahl von hochkarätigen Informatikinstituten etablierte im Rahmen des AREVIR-Projektes, ein Computerbasiertes System, das anhand verschiedener Modelle aus einem Pool von Genotyp-Phänotyp Datenpaaren die phänotypische Resistenz vorhersagt. Geno2Pheno ist ein reines phänotypisches Vorhersagesystem aus genotypischen Daten und basiert nicht auf zuvor definierten Regeln. In der aktuellen Version 2.2 liegen dem System Daten von über 600 Datenpaaren von geno- und phänotypischer Resistenzbestimmung gegen bis zu 17 unterschiedliche antiretrovirale Medikamente zugrunde. Ziel von Geno2Pheno ist anhand der Analyse mit bioanalytischen Methoden ein Vorhersagesystem für neue Sequenzen mit unbekanntem Phänotyp zu entwickeln. In diesem System sollen nicht nur die bekannten Resistenz-relevanten Mutationen für die phänotypische Vorhersage herangezogen werden, sondern alle für die Entstehung von Resistenz wichtigen Interaktion von Mutationen in klinischen Proben berücksichtigt werden (2). Die Website ist kostenfrei zugänglich und leicht und übersichtlich zu bedienen. Die benutzerdefinierte Patientensequenz kann als Text- oder Fasta-File in das Programm geladen werden und der Benutzer hat die Möglichkeit, die cut-offs für die einzelnen Medikamente frei zu wählen oder den Vorgaben des Systems zu folgen.Der Report umfasst einen Vergleich der Patientensequenz mit der Referenzsequenz, eine Liste aller Aminosäureaustausche sowie im wesentlichen die Vorhersage der Resistenz für insgesamt 17 antiretrovirale Medikamente in Form einer Tabelle. Geno2Pheno erarbeitet anhand von sogenannten Entscheidungsbäumen ein qualitatives Ergebniss (ja/nein), und auch eine quantitative Vorhersage des Resistenzfaktors. Zur Zeit existieren für Geno2Pheno noch keine am klinischen Erfolg definierte cut-offs. HIV RT und Protease Sequence Database (hivdb.stanford.edu) Die HIV RT und Protease Sequenz Database der Stanford Universität ist eine Online Datenbank, die verschiedene Sequenzanalyseprogramme zur Verfügung stellt. Diese Web-Site ist sicherlich die international anerkannteste Informationsquelle zur Interpretation von HIV-Resistenztests. Die Database emöglicht vielfältigste Suchmöglichkeiten. Im ersten Teil "Database Query Pages" werden dem Benutzer vielfältige und klar gegliederte Suchmöglichkeiten angeboten; ausgehend von einem Medikament kann z.B. nach Sequenzen von Patienten gesucht werden, die mit dem Medikament behandelt wurden oder umgekehrt kann anhand von Mutationen nach deren bisher publizierten Effekt auf die Resistenz bestimmter Medikamente gesucht werden. Das Programm HIV-Seq vergleicht benutzerdefinierte Protease- und Reverse TranskriptaseSequenzen mit einer Referenzsequenz, ermittelt die abweichenden Mutationen und bestimmt deren quantitatives und qualitatives Auftreten im bisherigen Datenbestand bei Therapie-naiven bzw vortherapierten Patienten. Diese Daten sind wesentlich für eine Qualitäts/Plausibilitätsprüfung der Ergebnisse, so werden hier z.B. Stopcodons, Frameshifts, oder sogenannte außergewöhnliche Reste gekennzeichnet. Diese Information erlaubt dem Benutzer ungewöhnliche Mutationen schnell zu identifizieren und die Rohdaten der Sequenz wiederholt zu überprüfen. Ein Abgleich der eingespeisten Patientensequenz mit Daten verschiedener Subtypen ermittelt die Subtyp-Sequenz, die die insgesamt höchste Homologie mit der zu analysierenden Sequenz aufweist. Diese Funktion ist keine wirkliche Subtypendifferenzierung, liefert aber weitgehend verlässliche Anhaltspunkte für das Vorliegen eines non-B Subtypes. Das Hauptprogramm für die Resistenzbestimmung aber ist die beta-Testversion des Drug Resistance Algorithm, die anhand von benutzerdefinierten Protease und Reversetranskriptase Sequenzen oder einer Mutationsliste eine Resistenzinterpretation vornimmt (1). Der Resistenzalgorithmus basiert auf einem Punktesystem, wobei die Resistenzmutationen anhand ihres resistenzvermittelnden Effektes mit Punkten bewertet werden. Grundlage für dieses System sind Publikationen über Korrelationen zwischen Geno und Phänotyp, zwischen Genotyp und bisheriger Therapie und zwischen Genotyp und nachfolgendem klinischem Verlauf. Anhand von Schwellenwerten werden die summierten Punktwerte in 5 Resistenzkategorien eingeteilt: susecptible, potential low level of resistance, low level of resistance, intermediate resistance und high level resistance. Das Ergebniss ist sehr klar gegliedert und nachvollziehbar. Im ersten Teil der Auswertung werden die Qualität der Sequenz (Stopcodons, Frameshifts usw. ) sowie die Homologie der Patientensequenz zu typische Subtyp-Sequenzen aufgelistet. Der Befund nennt die Resistenz- und die nicht-Resistenz-relevanten Mutationen, sowie die Resistenzinterpretation für die einzelnen Medikamente. Spezifische Kommentare zum Resitenz-relevanten Effekt der einzelnen Mutationen und eine Tabelle aller Punktwerte runden die Auswertung ab. Ein sehr interessantes Tool bietet das Programm HIValg der Stanford Database. Es ermöglicht die simmultane Interpretation von verschiedenen genotypischen Interpretationsalgorithmen. Unter anderen sind die neben der Betaversion des Stanforddatabase folgende Regelbasierte Algorithmen implementiert: Rega Algorithm v.5.5 Rega-Institut, Leuven Belgien, ANRS AC11 09/2002, Agence Nationale de Recherche sur le SIDA, Frankreich ANRS AC11 09/2002, Agence Nationale de Recherche sur le SIDA (www.hivfrenchresistance.org) Im Unterschied zu der bisherigen Praxis versucht die französische Arbeitsgruppe ANRS AC-11 durch statistische Auswertung geeigneter Daten, einzelne Mutationen bzw. Mutationsmuster direkt mit dem klinischen Ansprechen zu korrelieren. Die Daten der NARVAL Studie stellen dabei die Basis für diese Auswertung. Durch eine univariante Analyse wurden zunächst einzelne Mutationen ermittelt, die mit einem geringeren virologischen Ansprechen assoziiert sind. In einem weiteren Schritt wurde die Anzahl der so identifizierten Mutationen stufenweise in Bezug zur entsprechenden Viruslastabsenkung gesetzt. Der Algorithmus wird 2 mal jährlich aktualisiert und kann über die Stanford-Database direkt für die Rohdatenanalyse verwendet werden. Der Algorithmus ist ansonsten in Tabellenform zu beziehen. Durch seine einfache Handhabung und übersichtliche Darstellung hat dieser Algorithmus in Frankreich eine weite Verbreitung gefunden und ist Bestandteil der französischen Richtlinien zur Therapie von HIV-Patienten. RetroGramTM-Decision Support System (www.retrogram.com) Die Interpretationssoftware RetroGram kann kostenlos nach einer erfolgreichen Registrierung genutzt werden. Das System beruht auf einem Regelwerk, das aber nicht wie z.B. beim ANRS oder der Stanford Database öffentlich zugänglich ist. Die aktuell gültige Version 1.6i ist über das Internet nutzbar. Für die Sequenzinterpretation muss eine Liste aller Aminosäureaustausche gegenüber dem Wildtyp angegeben werden, d.h.eine direkte Analyse der DNA-Sequenz erfolgt nicht. Im Drug Resistance Report werden diese Abweichungen als relevant, natural oder unreportet klassifiziert. Die eigentliche Interpretation kategorisiert die Medikamente in 4 Gruppen (A,B,C,D), und zwar nicht anhand ihrer Resistenz sondern für die Therapie. Eine Besonderheit des Systems sind spezifische Regeln für die Verwendung von Proteaseinhibitoren mit pharmakologischem Ritonavir Booster dadurch können Viren mit identifiziert werden, die aufgrund der höheren erreichbaren Plasmaspiegel unter Umständen noch ausreichend gehemmt werden können. Ausblick Die vorgestellten Interpretationssysteme stellen dem Anwender sehr komfortable Hilfen für die Befundung der HIV-Resistenzbestimmung zur Verfügung. Die Vorhersagepräzision der Interpretationssysteme liegt in der Regel bei 70-90 %, wobei sehr deutlich festgestellt werden muss, dass alle Systeme unterschiedlich sind und daher in besonderen Fällen auch unterschiedliche Interpretationen liefern. Besonders gut ist die Vorhersagepräzision für die Gruppe der NNRT-Inhibitoren und für einzelne NRT-Inhibitoren (z.B. Epivir). In der Gruppe der NRTInhibitoren gibt es aber auch Medikamente wie Videx, Hivid und Zerit die mit den meisten Interpretationssystemen ungenauere Vorhersagen erreichen. Leider gibt es bisher auch nur wenige Algorithmen für die Bewertung von geboosterten PI-Regimen. Für den Anwender ist es aus den erwähnten Gründen wesentlich, sich nicht ausschließlich auf ein System zu verlassen, sondern mehrere Systeme zu vergleichen und dabei, falls möglich, die entscheidungsrelevanten Rationalen zu verfolgen und zu bewerten. Alle Systeme werden von den Betreibern in der Regel bei Publikation neuer Erkenntnisse aktualisiert, leider jedoch oft mit monatelangen Verzögerungen: Es ist daher trotz der prinzipiell recht hohen Qualität der Systeme angeraten, darüber hinaus nicht den eigenen Blick für neue Daten und Erkenntnisse zu verlieren. 1. Shafer R:Genotypic Testing for Human Immunodeficiency Virus Typ1 Drug Resistance, Clinical Microbiology Rev. 2002;15:247-277 2. Schmidt B, Walter H, Zeitler N, Korn K:Genotypic Drug Resistance Interpretation Systems – The cutting edge of Antiretroviral Therapy. AIDS Rev. 2002; 4:148-156