Martin Schwyzer Herpesviren als Erbschleicher Vor genau 150 Jahren starb Albert Bitzius, besser bekannt unter seinem Pseudonym Jeremias Gotthelf. Vor 45 Jahren schloss ich in der Schule erste Bekanntschaft mit diesem grossen Menschenkenner. In «Hansjoggeli der Erbvetter» lasen wir: «...so hatte es eben die gierige Basenschaft mit dem alten Kirchmeier. Sie hatte lange gespäht in seinem Gesichte nach einem Zeichen des nahenden Todes und umsonst, und jetzt, als die Runzeln sich mehrten im Gesichte, die Beine die Schritte kürzten, so lang und weit am Rücken die Kutte hing, da gingen die Hallelujas an, doch begreiflich nur im stillen und im Herzen; äußerlich trat eine schreckliche Teilnahme zutage, und ein jämmerlich Wehklagen begann.» Wir wissen nun, was Erbschleicher sind. Doch was hat das mit den Herpesviren zu tun? Können Herpesviren schleichen? Was erben sie und wie geben sie das Erbe weiter? Sind Viren überhaupt lebendig oder tot? Viren sind infektiöse Mikroorganismen, die sich nur in einer lebenden Zelle vermehren können. Ausserhalb der Zelle bestehen sie aus Erbmaterial (Nukleinsäure: RNA oder DNA), das in einem Proteinmantel mit oder ohne Lipid verpackt ist. In diesem Zustand sind sie tote Materie. Innerhalb der Zelle wird das Erbmaterial ausgepackt und vermehrt, sowie in Virusproteine umgesetzt. Die Instruktionen sind im Erbmaterial verschlüsselt. Aus dem neuen Material werden Tausende von quasi identischen Nachkommen-Viren zusammengebaut. Ob die Zelle dabei zugrunde geht, oder ob Viren ohne Zelltod ausgeschleust werden, hängt vom Virus und Zelltyp ab. Die produzierten Viren können weitere Zellen infizieren. In ihrer Fähigkeit zur eigenen Vermehrung sind Viren als lebendig zu betrachten; es ist aber kein autonomes, sondern ein von der Zelle geborgtes Leben. Eine allgemeinverständliche Einführung in die Welt der Viren gibt Walter Doerfler.1 Viren heissen im Singular «das Virus»; denn der Name kommt von lateinisch virus, das Gift. Erstmals wurden Viren in den letzten Jahren des 19. Jahrhunderts nachgewiesen, fast gleichzeitig der Erreger der Maul- und Klauenseuche2 und das Tabakmosaikvirus, ein Pflanzenvirus.3 Da die Infektionserreger unter dem Mikroskop nicht sichtbar waren und die damals gebräuchlichen Bakterienfilter passierten, wurden sie als «flüssiges Gift» betrachtet. Erst ab 1940, mit der Erfindung des Elektronenmikroskops, war es möglich, die Viren als kleine Partikel mit einem Durchmesser von 18 bis 300 nm sichtbar zu machen.4 Alfred Hershey und Martha Chase wiesen 1952 nach, dass die Nukleinsäure das in den Viren steckende infektiöse Prinzip ist.5 Seither hat sich die Virologie zu einem wichtigen Zweig der Naturwissenschaften und der Medizin entwickelt. Heute sind gegen 4000 verschiedene Virusspezies bekannt. Sie werden auf Grund der Struktur ihrer Nukleinsäure (Erbsubstanz, Virusgenom), ihres Vermehrungsmechanismus, ihrer Morphologie im Elektronenmikroskop, ihres Wirtsspektrums sowie ihrer krankmachenden Eigenschaften klassifiziert und in Virusfamilien eingeteilt.6 Viren findet man beim Tier genauso wie beim Menschen. Auch Pflanzen, Pilze, Algen, Parasiten, Bakterien, überhaupt alle Lebewesen, lassen sich von Viren infizieren. Krankheit ist dabei eher die Ausnahme als die Regel. Manche Viren sind ständige, aber unbemerkte Begleiter ihrer Wirtsorganismen. Die friedliche Koexistenz kann durchbrochen werden von einem zeitweisen Ungleichgewicht zwischen den vorhandenen Viren und den Abwehrkräften des infizierten Organismus. Die Familie der Herpesviren bietet dafür gute Beispiele.7 Vielfalt der Herpesviren bei Mensch und Tier Herpes kommt von griechisch ερπειν, kriechen, schleichen. Der Name war schon gebräuchlich, bevor man die Erreger kannte. Er bezieht sich auf die bei diesen Infektionen auftretenden Hautläsionen und die Art, wie sie überraschend kommen und gehen. Die Fähigkeit der Herpesviren, sich in bestimmten Zellen jahrelang zu verstecken, heisst Latenz und wird im Abschnitt «Schleichwege der Herpesviren» näher behandelt. Den meisten Menschen bekannt ist herpes labialis, die Infektion der Lippenschleimhaut durch Herpes Simplex Virus Typ 1 (HSV1), wobei die Erstinfektion meist schon im Kindesalter geschieht. Das Virus zieht sich dann in Nervenzellen zurück und kann periodisch durch verschiedene auslösende Mechanismen wieder an die Oberfläche gelangen, wo es die typischen «Fieberbläschen» erzeugt. Das ist aber nicht die einzige bei Menschen mögliche Herpesvirusinfektion: insgesamt acht humane Herpesviren wurden bis jetzt beschrieben. Tabelle 1 vermittelt eine knappe Übersicht über deren Namen und die wichtigsten Krankheitsbilder. Es ist zu berücksichtigen, dass bei manchen Viren zusätzliche, weniger häufige Krankheiten auftreten können. Zum Beispiel kann HSV1 gelegentlich auch Entzündungen der Augenhornhaut oder des Zentralnervensystems auslösen; EBV kann in bestimmten Fällen zu Karzinomen oder Lymphomen führen; CMV und KSHV sind für immunologisch Gesunde harmlos und inapparent, für Menschen mit Immundefekten jedoch gefährlich. CMV führt dann zu schwerer generalisierter Infektion und bei Neugeborenen zu Missbildungen; KSHV kann die Bildung eines Hautkrebses (Kaposi Sarcoma) fördern, der für etwa einen Zehntel der AIDSPatienten zur Todesursache wird. Tabelle 1: Krankheiten beim Menschen, verursacht durch Herpesviren Virus Abkürzungen HVKrankheit Subfamilie Herpes Simplex Virus 1 HSV1, HHV1 alpha «Fieberbläschen» im Gesicht Herpes Simplex Virus 2 HSV2, HHV2 alpha Genitale Läsionen; generalisierte Infektion Neugeborener Varicella Zoster Virus VZV, HHV3 alpha Windpocken (Chickenpox); Gürtelrose (Zoster) nach Jahrzehnten Epstein-Barr Virus EBV, HHV4 gamma Infektiöse Mononukleose (Kusskrankheit) Cytomegalovirus CMV, HHV5 beta Generalisierte Infektion Neugeborener oder Immunkompromittierter Herpesvirus 6 HHV6 beta Dreitagefieber (Exanthem subitum, Roseola infantum) Herpesvirus 7 HHV7 beta Latenz in T-Lymphozyten, keine eindeutige Krankheit zugeordnet Herpesvirus 8 KSHV, HHV8 gamma AIDS-assoziiertes Kaposi Sarcoma Wie erwähnt, findet man Viren beim Tier und beim Menschen. Herpesviren machen da keine Ausnahme. Bei Säugetieren wurden bereits mehrere hundert Herpesviren identifiziert. Die meisten Herpesviren sind spezialisiert auf eine Tiergattung. Gelegentlich sind aber auch Wirtswechsel möglich. Solche «Fehlwirte» geben zwar die Infektion meistens nicht weiter, zeigen aber oft ein verändertes, heftigeres Krankheitsbild. Eine weitere mögliche Konsequenz von Wirtswechseln wird im Abschnitt «vom Wirtsorganismus erschlichenes Erbgut» behandelt. Tabelle 2 zeigt einige Beispiele von Herpesviren der Säugetiere mit besonderem Gewicht auf unserem Arbeitsgebiet, den Nutztieren.8 Die Tabelle liesse sich mit Herpesviren von Primaten, Halbaffen, Pferd, Hirsch, Rind, Büffel, Schaf, Ziege, Schwein, Hund, Katze, Ratte, Maus, Elefant beliebig erweitern. Tabelle 2: Einige Herpesviren der Säugetiere Virus Abkürzung HVWirt Subfamilie (Fehlwirt) Bovines Herpesvirus 1 BoHV1 alpha Rind Krankheit Respiratorische Infektion, Abort Fatale Meningoenzephalitis Euterläsionen Bovines Herpesvirus 5 BoHV5 alpha Rind Bovines Herpesmammillitisvirus Bovines Herpesvirus 4 Ovines Herpesvirus 2 Ovines Herpesvirus 2 BoHV2 alpha Rind BoHV4 OvHV2 OvHV2 gamma gamma gamma Pseudorabiesvirus PRV alpha Pseudorabiesvirus PRV alpha Rind Keine Symptome Schaf Keine Symptome (Rind u. a.) Bösartiges Katarrhalfieber Schwein Respiratorische Infektion, Abort (Hund u. a.) Neurologische Symptome (Pseudowut) Rhesusaffe Keine Symptome (Mensch) Enzephalitis, Transverse Myelitis Herpes B Virus Herpes B Virus alpha alpha Herpesviren werden in drei Subfamilien eingeteilt, alpha, beta und gamma. Alphaherpesviren infizieren vorwiegend Zellen von Schleimhäuten mit rascher, vorübergehender Zellzerstörung (lytische Infektion). Sie etablieren Latenz in Nervenzellen. Beta- und Gammaherpesviren infizieren verschiedene Zellen des Immunsystems, in welchen sowohl eine langsame Infektion mit persistenter Virusausscheidung als auch Latenz möglich ist. Vergleich der Virus-DNA bestätigt die Verwandtschaft und die Einteilung in die drei Subfamilien. Herpesviren kommen auch bei Nicht-Säugetieren vor. Bei Vögeln (Huhn, Ente, Truthahn) wurden Alphaherpesviren gefunden. Aber auch Fische, Reptilien und sogar Nichtwirbeltiere (Austern) enthalten Herpesviren, allerdings weiter entfernt verwandt und nicht in eine der Subfamilien passend. Wie gibt ein Herpesvirus sein Erbgut weiter? Zuerst betrachten wir die Struktur eines Herpesvirus ausserhalb der Zelle, also eines freigesetzten Virus, bevor es eine neue Zelle infiziert. Alle Herpesviren sind ähnlich aufgebaut. Abb. 1 zeigt einen typischen Vertreter im Elektronenmikroskop.9 Abb.1 Das Virus hat einen Durchmesser von 150 bis 200 nm; etwa 5000 Viren aneinandergereiht würden erst einen Millimeter ergeben. Von aussen nach innen sind sichtbar: die Hülle (Lipidmembran mit darin eingelassenen Virus-Glykoproteinen), das Tegument (Zwischenschicht mit verschiedenen Virusproteinen), das Kapsid (aus anderen Virusproteinen aufgebautes Behältnis mit symmetrischer, ikosaedrischer Struktur), und darin verpackt das Virus-Genom. Es ist ein 0.04 bis 0.08 mm langer zusammengeknäuelter Faden aus doppelsträngiger DNA, die je nach Virus 120'000 bis 240'000 Basenpaare (NukleotidBausteine A, T, C, G) umfasst. Damit eine Infektion beginnen kann, muss das Herpesvirus auf eine Zelle treffen, die empfänglich ist (das Eindringen des Virus erlaubt) und permissiv ist (die Virusvermehrung unterstützt). Sechs Phasen der Virusinfektion lassen sich unterscheiden. 1. Adsorption, das Anheften des Virus an passende Proteine auf der Zelloberfläche. 2. Penetration, das Eindringen des Virus durch die Zellmembran hindurch. 3. Uncoating, die Befreiung des Virus-Genoms von der schützenden Hülle und dem Kapsid. 4. Biosynthese, Ausführung der Instruktionen des Virus-Genoms durch die Zelle, damit neue Virusproteine und neue VirusGenome entstehen. 5. Zusammenbau, das selbsttätige Zusammenfügen der Virusbestandteile zu neuen Viruspartikeln. 6. Freisetzung, die Auflösung (Lyse) der Zelle oder das Ausschleusen von Viruspartikeln ohne Zellzerstörung. Aus einem einzigen Viruspartikel können so in einem Zyklus von etwa 12 Stunden Tausende von Nachkommen-Viren entstehen. Obwohl alle Phasen von Interesse sind, können wir hier nur auf die zentrale Phase der Biosynthese näher eintreten. Abb.2 Wie Abb. 2a schematisch zeigt, läuft die Biosynthese der Herpesviren in einer dreistufigen Kaskade ab. In den ersten zwei Stunden der Infektion dringt die parentale Virus-DNA in den Zellkern vor, und bestimmte Gen-Abschnitte, mit IE (immediate-early) bezeichnet, werden mittels zellulären Mechanismen zuerst in RNA umgeschrieben (Transkription) und dann in Protein übersetzt (Translation). Die IE-Proteine steuern den weiteren Verlauf der Biosynthese, indem sie die Transkription anderer Gen-Abschnitte fördern. Zuerst wird E(early)-RNA und E-Protein produziert, später L-(late)-RNA und L-Protein. Die E-Proteine umfassen vor allem Enzyme des Nukleinsäure-Stoffwechsels wie z.B. DNA Polymerase und Thymidin Kinase, welche die Produktion von neuer Virus-DNA unterstützen. Die L-Proteine sind vorwiegend Strukturproteine, welche in Hülle, Tegument und Kapsid der neuen Viruspartikel eingebaut werden. Die Produktion neuer Kopien der Virus-DNA ist ein komplizierter Prozess, woran virale und zelluläre Komponenten beteiligt sind. Abb. 2b zeigt ein vereinfachtes Schema. Die parentale DNA fügt sich zu einem Kreis zusammen; die DNA Polymerase heftet sich an eine bestimmte Stelle, den Replikationsursprung, und beginnt die DNA zu kopieren. Es entsteht eine überlange lineare DNA, die von anderen Enzymen auf die richtige Länge zugeschnitten wird, etwa wie bei der Produktion von Zeitungsblättern auf einer Rotationspresse. Ein Problem bleibt nachzutragen. Wer steuert eigentlich die IE-Transkription? Herpesviren haben dieses Problem gelöst, indem sie eines der L-Proteine mit der Eigenschaft ausstatteten, die IE-Transkription zu fördern (Abb. 2a oben links). Dieses L-Protein wird mit dem Tegument in neue Viruspartikel verpackt und steht für die nächste Virusinfektion zur Verfügung. Da immer auf das Produkt der vorherigen Virusinfektion zurückgegriffen werden muss, stellt sich die klassische Frage «was war zuerst, das Huhn oder das Ei?». Mögliche Antworten gibt die Theorie von der Evolution der Viren.10 Vom Wirtsorganismus erschlichenes Erbgut Die meisten Herpesviren infizieren strikte nur diejenige Tierart, auf die sie sich spezialisiert haben. Es gibt gute Gründe zur Annahme, dass die Herpesviren ständige Begleiter der Wirbeltiere waren und sich gemeinsam mit ihren Wirten auseinanderentwickelten, im Verlauf einer Evolution von rund 500 Millionen Jahren. Ein strenger Beweis lässt sich allerdings nicht erbringen. Wir kennen wohl fossile Tiere, aber weder die Viren noch die dadurch hervorgerufenen Krankheiten habe fossile Spuren hinterlassen. Hingegen können wir die vielen Arten heute existierender Herpesviren miteinander vergleichen. Molekulare Analysen der DNA-Sequenzen erlauben Rückschlüsse auf gemeinsame Vorfahren. Der Stammbaum der Herpesviren in Abb. 3 stützt sich auf einen Illustration von Andrew Davison,11 zeigt jedoch zum Teil andere Viren, die im vorliegenden Artikel eine Rolle spielen. Abb.3 Warum unterscheiden sich überhaupt verschiedene Virusarten? Die Triebfedern sind Mutation und Selektion. Jedesmal, wenn ein Virus-Genom kopiert wird, können Fehler entstehen. Manche Fehler stellen für die Virusvermehrung einen Nachteil dar und können sich in der Viruspopulation nicht halten. Manche sind neutral, und der Zufall entscheidet, ob sie bestehen bleiben. Einige sind sogar von Vorteil, weil sie das Virus besser an den Wirt anpassen, der selbst auch der Evolution unterliegt. Deshalb spricht man besser von «Mutation» als von «Fehler». Die Mutationsrate lässt sich bestimmen; sie beträgt für Herpesviren ungefähr 5 x 10-8 Mutationen pro Jahr und pro Basenpaar. Das heisst, dass Veränderungen von Herpesviren über sehr lange Zeiträume stattfinden (ein bestimmtes Basenpaar ändert sich nur einmal in 20 Millionen Jahren). Noch stabiler sind unsere Säugetier-Gene; die Mutationsrate liegt dank ausgeklügelten Reparatur-Mechanismen um mindestens einen Faktor 20 tiefer. Im Gegensatz dazu verfügen RNA-Viren über keine Reparatur-Mechanismen und zeigen derart hohe Mutationsraten (bis 10-2), dass bereits die Vermehrung in einem einzelnen Wirt zur Produktion unterschiedlicher Virus-Genome (sog. Quasi-Spezies) führt. Das ist ein Grund, weshalb sich das HIV-Virus bis heute einer effizienten Bekämpfung entzieht. Aus der Vererbungslehre wissen wir, dass bei der Bildung der Keimzellen (Spermien) eines Mannes die mütterlichen und väterlichen Gene durch Rekombination neu vermischt werden; dasselbe gilt für die Eizellen einer Frau. Die Rekombination, also der Austausch von ganzen Gen-Abschnitten mit Hilfe zellulärer Mechanismen, spielt auch eine Rolle in der Evolution von Herpesviren. Zwei verschiedene Herpesviren, welche in die gleiche Zelle gelangen, können durch Rekombination ihre Gene miteinander vermischen.12 Als seltenes Ereignis kann ein Herpesvirus sich durch Rekombination ein zelluläres Gen aneignen. Kürzlich hat die Arbeitsgruppe von Alain Vanderplasschen ein aufschlussreiches Beispiel gefunden.13 Für Einzelheiten verweisen wir auf den Originalartikel und versuchen lediglich, die wichtigsten Schlussfolgerungen darzustellen. Tabelle 3. Aneignung eines zellulären Gens durch BoHV4 Millionen Jahre Ereignis vor unserer Zeit 100-80 Trennung Paarhufer von Primaten 25-20 Trennung (Rind/Schaf) von (Rotwild/Giraffe) 14-12 Trennung Rind vom afrikanischem Büffel (Syncerus caffer) 1.5 Rind- und Büffel-Enzym verschieden (Sequenzanalysen) 0.7 Überlappender Lebensraum von Büffel und Rind? 0.01 Domestikation des Rindes Herpesviren Herpesvirus-Spezies entwickeln sich auseinander wie ihre Wirte (Cospeziation) BoHV4 im Büffel BoHV4 erwirbt Büffel-Enzym für Glykoproteinsynthese BoHV4 Wirtswechsel von Büffel zu Rind BoHV4 im Büffel sehr häufig (schützt vor bösartigem Katarrhalfieber) Es geht um ein zelluläres Enzym mit dem unaussprechlichen Namen «core 2 beta-1,6-Nacetylglucosaminyltransferase-mucin», das verantwortlich ist für das Anfügen eines bestimmten Zuckermoleküls an ein Glykoprotein. Das Gen für dieses Enzym kommt in diversen tierischen Zellen vor, mit kleinen nachweisbaren Unterschieden je nach Tierart. Ausserdem wurde es in einem Herpesvirus gefunden, im BoHV4, und nur in diesem. Die Sequenzanalyse zeigte überraschenderweise, dass es sich um das Büffel-spezifische und nicht das Rinder-spezifische Gen handelte. Daraus ergibt sich folgendes Szenario (Tabelle 3). Als sich vor 14-12 Millionen Jahren die Linie von Rind und Büffel trennte, begann sich BoHV4 zu einem Büffel-spezifischen Herpesvirus zu entwickeln. Vor sehr kurzer Zeit (1.5 Millionen Jahre) erwarb BoHV4 das neue zelluläre Büffel-Gen. Vor 0.7 Millionen Jahren fand BoHV4 Gelegenheit zu einem sekundären Wirtswechsel vom Büffel zum Rind. Seither entwickeln sich die beiden Viren wieder auseinander. Genau genommen sollte man das aus Büffeln isolierte Virus «Syncerine Herpesvirus» nennen, und nur das aus Rindern isolierte BoHV4. Verglichen mit der Zeit seit der Domestikation des Rindes durch den Menschen (10 000 Jahre), sind 1.5 Millionen Jahre eine lange Zeit. Alle anderen Beispiele der Aneignung zellulärer Gene durch Herpesviren (Tabelle 4) liegen aber vermutlich noch viel weiter zurück.14 Die meisten Gene für Enzyme des Nukleotid-Stoffwechsels müssen schon von einem fernen Vorfahren der Herpesviren erworben worden sein, da sie fast allen Herpesviren gemeinsam sind. Eine Ausnahme ist Thymidylat Synthase, das nur bei VZV vorkommt. In den anderen Kategorien wurden zelluläre Gene vorwiegend von Gammaherpesviren erworben. Diese Ereignisse können höchstens 200 Millionen Jahre zurückliegen, die Zeit der Trennung der Gammaherpesviren von den anderen Subfamilien. Tabelle 4. Von Wirtsorganismen «erschlichene» Gene Enzyme des NukleotidDNA Polymerase Stoffwechsels Thymidin Kinase, Thymidylat Synthase Uracil DNA Glycosylase, dUTPase Regulationswege der Zelle Diverse Protein Kinasen (Regulation durch Einbau von Phosphat-Gruppen) Komponenten des Immunsystems Zytokine: Interleukin 6 und 10, Interferon Regulationsfaktor. Chemokine, Fc-Rezeptor, Komplement Hemmung des programmierten Bcl-2, FLIP, GADD34 Zelltods (Apoptosis) Zusammenfassend läst sich sagen, dass Herpesviren äusserst selten als «Erbschleicher» auftreten. Wenn es aber geschieht, kann ein so erworbenes zelluläres Gen dem Virus gute Dienste leisten, vor allem indem es bestimmte Komponenten der Immunabwehr ausser Gefecht setzt. Deshalb bleibt ein solches Gen nachher über Millionen von Jahren im VirusGenom fixiert. Schleichwege der Herpesviren Die hier beschriebenen Gene zur «Überlistung» des Immunsystems sind während der lytischen Infektion aktiv. Sie ermöglichen es dem Virus, nach Infektion einer ersten Zelle und Durchlaufen des Vermehrungszyklus weitere Zellen nahe der Eintrittspforte zu infizieren und sich darin zu vermehren. Nur ausnahmsweise nimmt das Virus definitiv überhand und tötet den Wirt; sonst gewinnt über kurz oder lang das Immunsystem und vertreibt die Eindringlinge. Doch leider ist der Sieg des Immunsystems nicht dauerhaft. Herpesviren führen ein Doppelleben zwischen lytischer Infektion und Latenz. Alphaherpesviren ziehen sich in Nervenzellen zurück, zu welchen das Immunsystem keinen Zugang hat. Beta- und Gammaherpesviren etablieren Latenz just in jenen Zellen des Immunsystems, die ausgezogen sind, sie zu bekämpfen. Dort schlummern die Viren während Jahren oder Jahrzehnten. Schwächung des Immunsystems, Stress, Medikamente, Sonnenbrand und andere Auslöser können sie wieder reaktivieren. Die Krankheit tritt wieder auf. Viren werden wieder ausgeschieden und neue Individuen infiziert. Auch andere Virusfamilien haben Mechanismen entwickelt, um sich der Immunabwehr zu entziehen. Die einen vermehren sich so rasch wie möglich, um die Infektion weiter zu streuen, bevor das Immunsystem reagiert. Die anderen verändern ständig ihr Erbmaterial und zeigen dem Immunsystem immer wieder ein «unbekanntes Gesicht». Die Spezialität der Herpesviren ist «die Entdeckung der Langsamkeit». Besonders deutlich wird das bei Varicella Zoster Virus. Ein Kind macht die Windpocken durch. Die Krankheit ist bald überstanden und vergessen. Im Laufe der Jahre wird das Kind zur Grossmutter. Gerade hütet sie die Enkelkinder, als sich mit unerträglichen Schmerzen eine Gürtelrose meldet. Zwei Wochen später zeigen sich bei den Enkeln die typischen roten Male der Windpocken. So überspringt das Virus eine ganze Menschengeneration, statt sich andauernd aufs Neue vermehren zu müssen. Mit dieser Strategie haben die Herpesviren Millionen von Jahren überdauert. Wie funktionieren eigentlich die Schleichwege der Herpesviren? Besonders gut wurde die Latenz von Pseudorabiesvirus (PRV) in Nervenzellen untersucht.15 Wie oben beschrieben, vermehrt sich das eingedrungene Virus zuerst lytisch in Epithelzellen. Jede Körperregion wird von sensorischen Nerven versorgt, so auch die infizierte. Bei der Etablierung der Latenz gelingt es einigen Viruspartikeln (Virionen), in lokale Nervenendigungen einzudringen, vermutlich durch Fusion mit der Zellmembran. Eine Nervenzelle kann mit ihrem Axon (Leitungsfortsatz) bis zu einem Meter lang sein. Ihre Funktion, elektrische Signale zu übermitteln, kann sie nur erfüllen, wenn sie dauernd versorgt wird. Deshalb wird im nur 1/1000 mm dicken Axon ständig Material transportiert, und zwar zum Zellkern hin (retrograd) und vom Zellkern weg (anterograd). Die eingedrungenen Virionen tragen auf ihrer Oberfläche Moleküle, welche die Zelle als «transportwürdig» erkennt: so gelangen sie in den Zellkern (Abb. 4). Bereits wenige Wochen später sind dort aber keine Virionen mehr nachweisbar. Das ist die Definition der Latenz. Nun ist nur noch eine Virus-DNA vorhanden, meist zu einem Kreis geschlossen. Keine Virus-RNA wird mehr produziert ausser einem «latency-associated transcript», LAT oder LR genannt. Kein Virus-Protein wird mehr produziert. Ob LAT für spezifische Proteine kodiert oder eine Funktion nur in Form von RNA ausübt, ist umstritten. Bei der Reaktivierung aus der Latenz geschehen die Schritte der Etablierung in umgekehrter Reihenfolge. Die Transkription wird wieder angekurbelt, VirusProteine werden produziert, neue Virionen zusammengebaut und anterograd vom Zellkern in die Peripherie der Nervenzellen transportiert. Dort können neue Epithelzellen infiziert und Viren ausgeschieden werden. Abb.4 Woher weiss man dies alles so genau? Das Elektronenmikroskop zeigt die Viren zwar mit ausreichender Vergrösserung, aber nur als statisches Bild, da die Zellen für die Aufnahme fixiert werden müssen. Im Lichtmikroskop lassen sich lebende Zellen beobachten, aber die Viren sind zu klein und bleiben unsichtbar. Die Lösung des Problems bringt eine bläulich leuchtende Qualle namens Aequorea victoria, enthaltend ein autofluoreszierendes (selbstleuchtendes) Protein. Mit molekularbiologischen Methoden wird das Gen für dieses Protein der Qualle entnommen, modifiziert zur Änderung der Farbe (grün, türkis oder gelb), und dann so ins Virusgenom eingebaut, dass autofluoreszierende Virionen produziert werden. Da jedes einzelne Virion Dutzende von identischen leuchtenden Kapsidproteinen enthält, lässt sich dessen Bewegung im Lichtmikroskop in einzelnen lebenden Nervenzellen verfolgen.16 Die Virionen bewegen sich sprungweise Richtung Zellkern mit der beachtlichen Geschwindigkeit von bis zu 0.4 mm pro Minute, manchmal auch in entgegengesetzter Richtung. Auch der Übertritt von einer Nervenendigung zu einer anderen Zelle lässt sich beobachten. Obwohl wir in den letzten Jahren viel Wissen über die Mechanismen der Latenz erworben haben, neben PRV auch bei HSV1 und BoHV1,17 kennen wir bis heute kein probates Mittel gegen die Etablierung der Latenz. Gegen verschiedene Herpesviren (z.B. VZV, equine und bovine Herpesviren) existieren Impfstoffe. Sie bieten einen gewissen Schutz vor eindringenden Herpesviren, vermindern die Symptome und die Ausscheidung, verhindern aber die Latenz nicht und etablieren sogar selbst eine Latenz, wenn es Lebendimpfstoffe sind.18 Herpesviren gehören ausserdem zu den wenigen Viren, die auf antivirale Medikamente ansprechen, Acyclovir oder Zovirax genannt. Der Grund ist, dass dadurch zwei wichtige Virus-Enzyme gehemmt werden, DNA Polymerase und Thymidin Kinase (vgl. Tabelle 4). Auch diese Medikamente lindern bloss die Symptome und vermindern die Ausscheidung, bleiben aber ohne Einfluss auf die Latenz. Das Ovine Herpesvirus 2 wurde schon eingangs erwähnt als harmloser Begleiter von Schafen, aber gefürchteter Erreger des bösartigen Katarrhalfiebers bei Rind, Schwein, Hirsch, Bison und anderen Fehlwirten (Tabelle 2). Die Schleichwege von OvHV2 sind nicht einfach zu verfolgen, aber unser Institut ist ihnen auf der Spur.19 Dabei kommen in erster Linie molekularbiologische Methoden zum Einsatz, denn OvHV2 vermehrt sich nicht in Zellkultur. Von Schaf zu Schaf erfolgt die Übertragung aerogen (auf kurze Distanz durch die Luft) sowie venerisch (durch den Deckakt).20 Die Lämmer stecken sich innerhalb der ersten Lebensmonate an. Das Virus infiziert Zellen des Immunsystems, etabliert dort eine Latenz und verbreitet sich mit ihnen im Organismus. Die Schafe werden nicht krank, können aber das Virus ausscheiden. Steckt sich ein Rind damit an, so beginnt das Schaf-assoziierte bösartige Katarrhalfieber (SA-BKF) mit Fressunlust, Depression und Fieber, oft begleitet von Konjunktivitis, Keratitis, blutigem Durchfall und Harn, manchmal auch zentralnervösen Störungen. Es endet in über 95% der Fälle mit dem Tod. Zum Glück erkranken bei den Rindern meist nur Einzeltiere. Vor kurzem wurde das Genom von OvHV2 kloniert und sequenziert.21 Es umfasst 80 Gene innerhalb von 135'135 Basenpaaren. Das am nächsten verwandte Virus heisst Alcelaphines Herpesvirus-1 (AlHV1). Es wurde aus Gnus isoliert und ist der Erreger des Gnu-originären bösartigen Katarrhalfiebers (GO-BKF) bei Rindern in Afrika. Im Gegensatz zum SA-BKF galt beim GO-BKF die Ätiologie schon lange als bewiesen.22 Beim Vergleich der beiden Genomsequenzen findet man zwei lange, konservierte Segmente, flankiert von drei kürzeren, wenig konservierten Segmenten. Letztere enthalten beim OvHV2 elf Gene mit Homologien zu zellulären Genen in ähnlicher Art wie oben beschrieben (Tabelle 4). Nun wird untersucht, inwiefern diese Gene das unterschiedliche Verhalten von OvHV2 in den verschiedenen Tierarten erklären können. Die mangelnde Vermehrung von OvHV2 in Zellkultur ist nun kein gravierendes Forschungshindernis mehr. Die Gene von OvHV2 lassen sich einzeln klonieren, in Zell-Linien einschleusen, zur Produktion von markierten Virusproteinen und Antikörpern verwenden, und in sogenannten microarrays reihenweise testen. Mit fluorescence activated cell sorting (FACS) und real time polymerase chain reaction (PCR) wurde gezeigt, dass die CD4-positiven T-Lymphozyten bevorzugter Sitz der latenten Infektion mit OvHV2 sind.23 Schaden für den Wirt, Nutzen für das Virus? Bis hierher haben wir die Viren immer als mehr oder weniger bösartige Krankheitserreger beschrieben, die unter allen Umständen zu bekämpfen sind. Wir haben jedoch gesehen, dass manche Herpesviren im Lauf ihrer langen Evolution mit dem Wirt eine friedliche Koexistenz aufgebaut haben. Wenn solche Viren ihrem Wirt keinen Schaden zufügen, lassen sie sich künftig sogar zu dessen Nutzen einsetzen. Herpesviren haben ein vergleichsweise grosses Genom, und Teile davon sind für die Virusvermehrung nicht zwingend erforderlich. Diese Teile können mit molekularbiologischen Methoden durch therapeutisch nutzbringende Gene ersetzt werden. Ein Beispiel dafür sind genetisch modifizierte Herpesviren für somatische Gentherapie sowie onkolytische Herpesviren zur Behandlung von Tumoren. Sie wurden unter anderem in unserem Institut von Cornel Fraefel entwickelt.24 Onkolytische Herpesviren sind darauf ausgerichtet, sich vorzugsweise in sich teilenden Tumorzellen zu vermehren und diese gezielt zu zerstören (Abb. 5 A-D). Mit anderen genetisch modifizierten Herpesviren lassen sich durch Transduktion bestimmte Sorten von RNA einschleusen, welche WachstumsSignale von Tumorzellen unterbrechen (Abb. 5 unten).25 Abb.5 Viren sind aber nicht nur für medizinische Fragestellungen nützlich. Da der Lebenszyklus der Viren und ihrer Wirtszellen sehr eng miteinander verknüpft ist, lassen sich aus dem Studium der Virusbiologie immer wieder wertvolle Erkenntnisse zur Zellbiologie gewinnen. So wurde das für eukaryotische Zellen fundamentale RNA-Splicing im Jahr 1977 dank Virusforschung entdeckt.26 Mit der Erforschung der IE Proteine von Herpesviren und deren Wechselwirkung mit zellulären Proteinen versucht auch meine Arbeitsgruppe, ins Mosaik der modernen Zellbiologie einige Steinchen einzufügen.27 Perspektive Herpesviren sind unvermeidliche Begleiter von Mensch und Tier. Die acht heute bekannten humanen Herpesviren bieten hierzu gutes Anschauungsmaterial. Im Zentrum des vorliegenden Artikels stehen jedoch die animalen Herpesviren, da der Autor am Tierspital Zürich arbeitet. Die Aufgaben der Veterinär-Virologie sind: Viren erkennen (Diagnostik); die Funktion der Viren verstehen (Forschung); Erkenntnisse an die Studierenden der Veterinärmedizin weitergeben (Lehre). Dies soll in Massnahmen zur Überwachung, Prävention und Bekämpfung von Viruskrankheiten münden, sowie nutzbringende Anwendungen von Viren in Betracht ziehen. In der Schweiz laufen entsprechende Arbeiten am Virologischen Institut in Zürich, am Institut für Veterinär-Virologie in Bern und am Institut für Viruskrankheiten und Immunprophylaxe in Mittelhäusern bei Bern. Ob die Vetsuisse-Fakultät (Fusion der Veterinärmedizinischen Fakultäten von Bern und Zürich) definitiv zustande kommt, spielt keine Rolle, da die Veterinär-Virologie Schweiz seit mindestens 15 Jahren hervorragend zusammenarbeitet.28 Im Gegensatz zur Humanmedizin steht bei den Nutztieren nicht die Heilung Einzelner im Vordergrund, sondern wichtig ist die Gesundheit der ganzen Herde. Welche immer noch ungelösten Probleme der Herdengesundheit entgegenstehen können, zeigt die Latenz der Herpesviren. Sie wurde wohl schon zu Zeiten Jeremias Gotthelfs beobachtet. Wir schliessen deshalb diesen Artikel, wie er begonnen hat, mit einem Zitat aus «Hansjoggeli der Erbvetter»: «'Aber fragen muss ich doch, warum man mir da eine schlechte, krankhafte Kuh in den Stall stellt? (...) Der fehlt offenbar was und ist mir gebeizt, um mich zuschanden zu machen', antwortete Benz. 'Der verfluchte Schelm!' brummte der Alte zwischen den Zähnen. Dann befahl er Benz, den Tierarzt zu rufen.» Dank In erster Linie danke ich den heutigen Mitgliedern meiner Arbeitsgruppe, Bernd Vogt und Florian Steiner, für die gute Zusammenarbeit. Dank gebührt auch meinen ehemaligen Doktorandinnen und Doktoranden: zwischen 2002 und 1985 waren es Okay Saydam, Sabine Walser, Claudia Fischer-Bracher, René Köppel, Cornel Fraefel, Urs V. Wirth, Kristin Gunkel, Dieter Brunner und Bruno Sonderer. Weiter danke ich dem Direktor des Virologischen Instituts, Mathias Ackermann, sowie den vielen Kolleginnen und Kollegen für stimulierende Arbeitsbedingungen und wertvolle Diskussionen. Verschiedene Personen stellten Resultate zur Verfügung, die in den Fussnoten verdankt sind. Meine Forschung wird seit vielen Jahren vom Schweizerischen Nationalfonds unterstützt (aktuelle Nr. 3200-068223.02). Legenden zu den Abbildungen Abb. 1 Elektronenmikroskopische Aufnahmen9 des Bovinen Herpesvirus 1 (BoHV1). (a) Dünnschnitt. Von aussen nach innen sind zu erkennen: Hülle mit darin eingelassenen Glykoproteinen, Tegument, ikosaedrisches Kapsid als Sechseck aufgeschnitten, DNA als dunkle Masse. (b) Negativkontrast. Die DNA wird hier vom Kapsid verdeckt, dafür sind die regelmässig angeordneten Komponenten des Kapsids deutlich zu erkennen. Die Hülle hat oft eine unregelmässige Form. Abb. 2 (a) Ablauf der Herpesvirus-Biosynthese in einer dreistufigen Kaskade. Der Weg führt von der eingedrungenen und ausgepackten Virus-DNA (unten links) zu den Nachkommen-Viren (unten rechts). Die durchbrochenen, nach unten weisenden Pfeile bedeuten, dass hier eine Stufe der Kaskade gefördert wird. Dies geschieht dreimal: durch ein L-Protein aus dem vorherigen Zyklus, durch IE Proteine und durch E Proteine. (b) Kopieren der parentalen Virus-DNA durch DNA Polymerase. Einzelheiten finden sich im Text. Abb. 3 Evolution der Herpesviren als Stammbaum dargestellt. Eine Auswahl der heute existierenden Herpesvirus-Arten bildet zuoberst die «Blätter» des Baumes. Folgt man den Zweigen und Ästen nach unten, so stösst man z. B. auf die Verzweigung der Alpha-(α), Beta(β) und Gamma-(γ)-Herpesviren vor etwa 200 Millionen Jahren. Weiter zurückliegende Verzweigungen am Baumstrunk (1, 2, 3) sind eher spekulativ. Abkürzungen der Virusnamen: siehe Tabellen 1 und 2, sowie: CCV, channel catfish virus; SalHV, salmonid herpesvirus; RaHV, ranid herpesvirus (Frosch); MDV, Marek's disease virus (Geflügel); ILTV, infectious laryngotracheitis virus (Geflügel); MCMV, murine cytomegalovirus (Maus); ElHV1, elephant endotheliotropic herpesvirus; AlHV1, alcelaphine herpesvirus 1 (Gnu, Wildebeest); OsHV1, ostreid herpesvirus 1 (Austern). Abb. 4 Schematische Darstellung der Latenz von Herpesviren in einer Nervenzelle. Zur Etablierung der Latenz dringt das Virus in lokale Nervenendigungen ein und wird im stark verkürzt dargestellten Axon zum Zellkern transportiert. Während der Latenz «schlummert» das Virusgenom im Zellkern. Nach der Reaktivierung vermehrt sich das Virus in der Nervenzelle, wird wieder zurücktransportiert und kann nahe der ursprünglichen Eintrittspforte eine neue Infektion setzen. Einzelheiten finden sich im Text. Abb. 5 (A-D) Prinzip der onkolytischen Herpesviren.24 (A) Bösartiger Tumor (grau) in einem gesunden Gewebeverband; (B) Injektion onkolytischer Herpesviren in den Tumor; (C) gezielte Vermehrung der onkolytischen Viren in den teilungsaktiven Tumorzellen. Die Tumorzellen werden durch die Virusvermehrung und lytische Freisetzung der Viren geschädigt und abgetötet. (D) Gesunde Zellen sind resistent gegenüber den onkolytischen Viren. Wenn keine Tumorzellen mehr vorhanden sind, erfolgt keine weitere Virusvermehrung. Eine andere Methode wird in Abb. 5 unten gezeigt: Hemmung der Tumorbildung durch «kleine interferierende RNA» (siRNA).25 Zuerst wurden leuchtend markierte GlioblastomTumorzellen ins Peritoneum von Mäusen injiziert. Dann folgte Transduktion mit einem siRNA-exprimierenden Vektor (unterste vier Mäuse), mit einem Kontrollvektor (mittlere Mäuse) oder ganz ohne Vektor (obere Mäuse). Zwei Wochen später wurden die Mäuse anästhesiert und in eine hermetisch lichtdichte Kammer gebracht. Mit einer Spezialkamera namens IVIS wurde die Tumorbildung gemessen und sichtbar gemacht. In den Kontrolltieren wurde Tumorwachstum beobachtet, während die Tumoren in den siRNA-behandelten Tieren zurückgingen (Zahlen in Klammern sind gemessene Licht-Einheiten). 1 Doerfler, Walter: Viren, Berlin 1996, 315 S. Loeffler, F. und Frosch, P.: Summarischer Bericht über die Ergebnisse der Untersuchungen zur Erforschung der Maul- und Klauenseuche. Zentbl. Bakt. Abt. I Orig 22 (1897), S. 257. 3 Beijerinck, M. W.: Über ein Contagium vivum fluidum als Ursache der Fleckenkrankheit der Tabaksblätter. Zentbl. Bakt. ParasitKde. Abt. II 5 (1898), S. 27. 4 Ein Nanometer (nm) ist der Millionste Teil eines Millimeters. Viren sind kleiner als die Wellenlänge des sichtbaren Lichtes (400-800 nm). Deshalb sind nur die grössten Viren (z.B. Pockenviren) im Lichtmikroskop noch knapp erkennbar. 5 Hershey, A. D. and Chase, M.: Independent functions of viral protein and nucleic acid in growth of bacteriophage. J. Gen. Physiol. 36 (1952), 39-56. 6 Van Regenmortel, M. H. V., Fauqet, C. M. and Bishop, D. H. L. (eds.): Virus Taxonomy, Classification and Nomenclature of Viruses, San Diego 2002. 7 Ackermann, M., Engels, M., Fraefel, C., Metzler, A., Schwyzer, M., Suter, M. and Tobler, K.: Herpesviruses: balance in power and powers imbalanced. Vet. Microbiol. 86 (2002), 175181. 8 Engels, M. and Ackermann, M.: Pathogenesis of ruminant herpesvirus infections. Vet. Microbiol. 53 (1996), 3-15; Schwyzer, M. and Ackermann, M.: Molecular virology of ruminant herpesviruses, a. a. O. 17-29. 9 Mit freundlicher Genehmigung von Elisabeth Schraner und Peter Wild, Institut für Veterinäranatomie, Universität Zürich. 10 Schwyzer, M.: Was war zuerst, das Virus oder der Wirt? Vierteljahrsschr. Naturforsch. Ges. Zürich 136 (1991), 113-130. 11 Davison, A. J.: Evolution of the herpesviruses. Vet. Microbiol. 86 (2002), 69-88. 12 Thiry, E. et al.: Recombination in alphaherpesviruses. Rev. Med. Virol. 15 (2005), 89-103. 13 Markine-Goriaynoff, N. et. al.: The core 2 beta-1,6-N-acetylglucosaminyltransferase-mucin encoded by bovine herpesvirus 4 was acquired from an ancestor of the african buffalo. J. Virol. 77 (2003), 1784-1792. 14 Raftery, M., Müller, A. and Schönrich, G.: Herpesvirus homologues of cellular genes. Virus Genes 21 (2000), 65-75. 15 Enquist, L. W. and Card, J. P.: Recent advances in the use of neurotropic viruses for circuit analysis. Curr. Opin. Neurobiol. 13 (2003), 603-606. 16 Smith, G. A., Gross, S. P. and Enquist, L. W.: Herpesviruses use bidirectional fast-axonal transport to spread in sensory neurons. Proc. Natl. Acad. Sci. USA 98 (2001), 3466-3470. Es lohnt sich, die Arbeit vom Internet herunterzuladen (www.ncbi.nlm.nih.gov/entrez); denn sie enthält Filmaufnahmen, die mit Standard-Computerprogrammen visioniert werden können. 17 Jones, C.: Herpes Simplex Virus Type 1 and Bovine Herpesvirus 1 latency. Clin. Microbiol. Reviews 16 (2003), 79-95. 18 Van Drunen Littel van den Hurk, S.: Rationale and perspectives on the success of vaccination against BoHV1. Vet. Microbiol. (2005), im Druck; Engels, M. and Ackermann, M.: Pro and Contra IBR-eradication. a. a. O.; Davis-Poynter, N. and Kydd, J.: Problems despite vaccination: EHV1. a. a. O. 19 Ackermann, M.: Virus im Schafspelz. Schweiz. Arch. Tierheilk. (2005), im Druck. 20 Hüssy, D., Janett, F., Albini, S., Stäuber, N., Thun, R. and Ackermann, M.: Analysis of the pathogenetic basis for shedding and transmission of ovine gamma herpesvirus 2. J. Clin. Microbiol. 40 (2002), 4700-4704. 21 Stewart, J., Reid, H. and Ackermann, M. (2005), in Vorbereitung. 22 Plowright, W., Ferris, R. D. and Scott, G. R.: Blue wildebeest and the aetiological agent of bovine malignant catarrhal fever. Nature 188 (1960), 1167-1169. 23 Meier-Trummer, C., Bernasconi, M. Ryf, B. and Ackermann, M.: Comparison by microarray analysis of OvHV2 gene expression in bovine and sheep peripheral blood 2 mononuclear cells. Second ESVV veterinary herpesvirus symposium, Ghent, Belgium, March 2-4, 2005 24 Müller, L. and Fraefel, C.: Mehr als nur Fieberbläschen: Herpes simplex-Viren im Dienste der Gesundheit. Vierteljahrsschr. Naturforsch. Ges. Zürich 149 (2004), 87-94. 25 Saydam, O., Fraefel, C. et al. (2005), in Vorbereitung. 26 Berget, S. M., Moore, C. and Sharp, P. A.: Spliced segments at the 5' terminus of adenovirus 2 late mRNA. Proc. Natl. Acad. Sci. USA 74 (1977), 3171-3175; Chow, L. T. et al.: An amazing sequence arrangement at the 5' ends of adenovirus 2 messenger RNA. Cell 12 (1977), 1-8. 27 Saydam, O., Abril, C., Vogt, B., Ackermann, M. and Schwyzer, M.: Transactivator protein BICP0 of bovine herpesvirus 1 (BoHV-1) is blocked by prostaglandin D2 (PGD2), which points to a mechanism for PGD2-mediated inhibition of BoHV-1 replication. J. Virol. 78 (2004), 3805-3810; Saydam, O., Vogt, B., Steiner, F. and Schwyzer, M.: Host cell protein targets of immediate-early protein BICP22 of bovine herpesvirus 1. Second ESVV veterinary herpesvirus symposium, Ghent, Belgium, March 2-4, 2005; Steiner, F., Vogt, B., Tobler, K., Ackermann, M. and Schwyzer, M.: Bovine herpesvirus 1 with eCFP-tagged BICP0, a tool to study key events in virus infection, a. a. O. 28 Auf der Homepage unseres Instituts www.vetvir.uzh.ch finden sich weitere Angaben zur «Veterinär-Virologie Schweiz».