Deutscher Realismus und Amerikanischer Pragmatismus

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DZPhil, Berlin 47 (1999) 2,183-201
Deutscher Realismus und Amerikanischer Pragmatismus
D e r Einfluß d e s R e a l i s m u s v o n J o h a n n Friedrich H e r b a r t
auf die Philosophie v o n C h a r l e s S a n d e r s Peirce
Von S T E F F E N S C H L Ü T E R (Berlin)
I.
Peirce bezieht an vielen Stellen seine Philosophie in die Tradition des Realismus ein, welche er b e s o n d e r s aus der Scholastik und Berkeleys Idealismus herausarbeitete.'
D i e e i g e n e Einordnung in die Tradition d e s scholastischen Realismus beinhaltet zugleich
die historische Tradition, g e g e n w e l c h e sich Peirces Philosophieren richten soll. D e r Streit
zwischen Realismus und N o m i n a l i s m u s bestimmt nach seiner Auffassung die philosophische D e b a t t e seit d e m 11. Jahrhundert. Peirces Fazit dieser Diskussion: D i e neuzeitliche
M o d e r n e ist nominalistisch.^
So behauptet Peirce beispielsweise, daß sein „Pragmatizismus den scholastischen Realismus umfaßt"
(Charles Sanders Peirce, Religionsphilosophische Schriften, hg. v. Hermann Deuser, Hamburg 1995
[im folgenden RS], 299) und er selbst „the extreme form of realism" bevorzugt (Peirce, Reasoning
and the Logic of Things. The Cambridge Lectures of 1898, hg. v. Kenneth Laine Keiner, Cambridge/London 1992 [im folgenden RLT], 162). Die interessanteste Herausarbeitung seiner Begriffe
„Reales" und „Realität" steUt Peirce in seiner Rezension der von Fräser herausgegebenen Werke
George Berkeleys dar. In dieser Rezension wird Duns Scotus als erster „konsistenter" Realist der
Philosophiegeschichte genannt (Peirce, Schriften zum Pragmatismus und Pragmatizismus, hg. v. KarlOtto Apel (1967/70), Frankfurt/M. 1993 [im folgenden SPP], 106-138, zu Scotus speziell 112).
Vgl.: Robert F. Almeder, Peirce's Pragmatism and Scotistic Realism, in: Transactions of the Charles
Sanders Peirce Society, 9,1973,3-23. - Ralph J. Bastian, The ,Scholastic' Realism of Charles Sanders
Peirce, in: Philosophy and Phenomenology Research, 14,1953, 246-249. - Jan P. Beckmann, Realismus und Pragmatismus. Zum Möglichkeitsbegriff bei Duns Scotus und Peirce, in: Regnum hominis
et regnum dei. Acta quarti congressus scotistici internationalis, hg. v. Camille Beruht, Bd. I., Rom
1978, 333-345. - John F Boler, Peirce, Ockham and the Scholastic Realism, in: Monist, 63, 1980,
290-303. - Ludger Honnefelder, Scientia transcendens. Die formale Bestimmung der Seiendheit und
Realität in der Metaphysik des Mittelalters und der Neuzeit (Duns Scotus, Suärez, Wolff, Kant,
Peirce), Hamburg 1990. - C. K. McKeon, Peirce's Scotistic Realism, in: Studies in the Philosophy of
Charles Sanders Peirce, hg. v. Philip P Wiener/Frederic H. Young, Cambridge 1952, 238-250. F. Michael, Two Forms of Scholastic Realism in Peirce's Philosophy, in: Transactions of the Charles
Peirce Society, 24,1988,317-348. - Cornelis de Waal,The Real Issue Between Nominalism and Realism, Peirce and Berkeley Reconsidered, in: Transactions of the Charles Sanders Peirce Society, 32,
1996,425-442.
Peirce: „Die nominalistische Weltanschauung hat sich mit dem vereinigt, was ich das Fleisch und Blut
des modernen Durchschnittsgeistes zu nennen wagen will." (Peirce, Vorlesungen über Pragmatismus
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Weiterhin bestimmt Peirces Plazierung seines zum Pragmatizismus umbenannten Pragmatismus ein wesentliches Ziel seines philosophischen Realismus: Überwindung der Moderne und ihres Nominalismus durch Konstituierung eines neuen Realismus. Dabei könnte
man einschränken, daß Peirce zwar von einer nominalistischen Moderne spricht, insofern
also eine realistische Moderne zugleich als Post-Moderne auftritt. Andererseits sieht
Peirce, auch wenn er den Geist der Moderne nominalistisch nennt, den Realismus als
eigentliche Konsequenz der neuzeitlichen Geistesgeschichte, deren Quellen bis zu ihren
Anfängen im antiken Philosophieren zurückverfolgt werden können. Das bedeutet: Nach
Peirce vollendet sich die Moderne in einem erneuerten Realismus.' Obwohl der Realismus
als Problem theoretischer Philosophie verstanden werden soll, bleibt er an seine praktische
Bedeutung gebunden, nämlich Praxis zu ermöglichen. Pragmatisch formuliert: Handeln ist
nicht Zweck des Denkens", der Realismus bezweckt keine Praxis im Sinne einer theoretischen Begründung von Praxis, jedoch steht das realistische Denken als theoretisches
Regulativ realistischen Handelns zur Verfügung. Anschaulicher formuliert: Eine wissenschaftliche Methode garantiert keine wissenschaftliche Erkenntnis, sondern kann sie nur
befördern. Garantiert sind ausschließlich die Resultate eines Experiments, fallibel und relativ bis zum nächsten wissenschaftlichen Versuch.' Auf das wissenschaftliche Verhältnis
von Denken und Sein zielt der Realismus Peirces.
Es stellt sich die Frage, wenn nach Peirce die gesamte Philosophie seit dem 11. Jahrhundert nominalistisch ist, an welches Denken er am unmittelbarsten anknüpft. Gibt es einen
Ansatzpunkt im Denken des 19. Jahrhunderts, der ihn zur Neuformulierung des Realismus
bewogen haben könnte? Es ist wahr, daß Peirce an vielen Stellen Bezüge zu den Großen
der Philosophiegeschichte herstellt. Sie lassen den Leser etwas unzufrieden zurück, wenn
Peirce diese Denker in der Konsequenz ihres Philosophierens als Nominalisten kennzeichnet. Die Wertschätzung Kants durch Peirce wird vermutlich unbestritten bleiben.'
(1903), hg. V. Elisabeth Walther, Hamburg 1991 [im folgenden VüP], 38) - Nach dem Mittelalter
„blieb die gesamte moderne Welt nominalistisch" (Peirce, Semiotische Schriften, hg. v. Helmut Pape,
3 Bde., Frankfurt/M. 1986-1993 [im folgenden SS], III (1909/10), 389).
3 In einem sehr frühen und trotzdem zugleich wesentlichen Aufsatz aus dem Jahr 1863 bezeichnet
Peirce die nominalistische Moderne als sechstes Zeitalter, dem ein siebentes folgt. In ihm werden sich
Idealismus und Materialismus/Empirismus zu einer Philosophie verbinden. Die vorausgegangenen
Epochen bilden ein Kontinuum der Geistesgeschichte seit der Antike (vgl. RS, 27-47).
4 Zur Pragmatischen Maxime vgl. unten S. 185,195 f.
5 Peirce: „Aber obwohl das Problem von Realismus und Nominalismus in den technischen Einzelheiten der Logik wurzelt, erstrecken sich seine Verästelungen doch über unser ganzes Leben. Die Frage,
ob das genus homo nur in der Form von Individuen existiert, ist die Frage, ob es irgendetwas von
höherer Würde, Wert und Bedeutung gibt als individuelles Glück, individuelle Bestrebungen und individuelles Leben. Ob die Menschen wirklich etwas gemeinsam haben, so daß die Gemeinschaft als
Ziel an sich zu betrachten ist, und, wenn das der Fall ist, worin der relative Wert der beiden Faktoren
besteht - dies ist die fundamentalste praktische Frage im Hinblick auf jede öffentliche Institution,
deren Verfassung zu beeinflussen in unserer Macht steht." (SPP, 135).
6 James K. Feibleman, Peirce's Use of Kant, in: Journal of Philosophy, 42,1945, 364-377. - Murray
G. Murphey, Kant's Children. The Cambridge Pragmatists, in: Transactions of the Charles Sanders
Peirce Society, 6,1968,3-33. - Karl-Otto Apel, Von Kant zu Peirce. Die semiotische Transformation
der Transzendentalen Logik (1970/72/73), in: ders., Transformation der Philosophie, Bd. II, Frank-
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Doch leitete Kant den Übergang vom Nominalismus zum Realismus der Moderne nur
ein', vollzog ihn aber nicht. Peirce entzieht seinem Denken mit der Kritik des „Ding an
sich" eine Grundlage Kantischen Philosophierens.** Scotus selbst ist für Peirce, so sehr er
ihn auch als Realisten hervorhebt, noch „zu nominalistisch".' Konsequente Denker, wie
Peirce meint, sollte die nominalistische Nachfolge Scotus durch Wilhelm von Ockham
eigentlich nicht überraschen dürfen.'" Andere Philosophen, wie beispielsweise Berkeley
und auch Locke, vertreten zwar einen latenten Realismus, denken aber grundlegend nominalistisch." Andererseits: Peirces auffallend gezielte Herausarbeitung des vorhandenen
realistischen Potentials für einen philosophischen Realismus im Verlauf seiner verstreuten
Auseinandersetzungen mit den Großen der Philosophiegeschichte seit der Antike'^ läßt
die Frage entstehen: Woher bezieht Peirce den Realismus als Aspekt seiner philosophiegeschichtlichen Interpretationen?
II.
In seinem Vortrag Eine neue Liste der Kategorien aus dem Jahr 1867 entwickelt Peirce im
Alter von 28 Jahren den Kern seiner phänomenologischen Kategorienlehre und Logik.
Die Ursprünge hierzu reichen bis 1861 zurück. Schon in dieser Zeit entwickelte Peirce mit
erst 22 Jahren fragmentarisch ein metaphysisches System. An diesem Konzept, welches
1867 seinen ersten Abschluß erreichte, hielt Peirce zeitlebens fest. Von eigenen Äußerun-
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furt/M. 1993,157-177. - Gerd Wartenberg, Logischer Sozialismus. Die Transformation der Kaatschen Transzendentalphilosophie durch Ch. S. Peirce, Frankfurt/M. 1971. - Karl-Otto Apel, Transcendental Semiotic and Hypothetical Metaphysics of Evolution. A Peircean or Quasi-Peircean
Answer to a Recurrent Problem of Post-Kantian Philosophy, in; Peirce and Contemporary Thought.
Philosophical Inquiries, hg. v. Kenneth Laine Ketner, New York 1995, 366-397. - Emily Michael,
Peirce's Adaption of Kant's Definition of Logic. The Early Manuscripts, in: Transactions of the
Charles Sanders Peirce Society, 14,1978,176-183. - EUsabeth Walther, Common-Sense bei Kant
und Peirce, in: Semiosis, 23,1981,58-66.
Peirce, SPP, 118.
Zur Bedeutung dieser Kritik vgl. unten S. 198 f.
Peirce, SPP, 578.
Ebd., 112.
Für Peirce gibt es eine „intimate connection between Ockamism and the modern English philosophy of Locke, Berkeley, Hume, Hartley, Brown, the two Mills, and Bain." (Writings of Charles
Peirce. A Chronological Edition, 5 Bde., Bloomington u. a. 1982-1993 [im folgenden W], II, 336)
Sein Urteil über Locke ist eindeutig: „His philosophy is nominalistic [...]." (W, II, 476) Das über
Berkeley steht dem nicht nach: „Seine ganze Philosophie beruht auf einem extremen Nominalismus
sensualistischer Prägung." (SPP, 120) Gegen Epikur, Descartes, Pythagoras und Hege! äußert er sich
in RLT, 123. Hegels Hauptfehler ist nach Peirce die Ignorierung der Außenwelt (W, V, 225) und die
Aufhebung der unabhängigen Wirklichkeit im Denken (VüP, 63).
Gleichzeitig sollte nicht übersehen werden, daß sich Peirce trotzdem als scholastischen Realisten,
Hegelianer usw. bezeichnet. Er transformiert die Philosophie in einen philosophischen Realismus
hinein, den er selber weiterzuentwickeln beabsichtigt.
Zur Vermittlung von systematischer Philosophie und Philosophiegeschichte vgl.: Karl-Otto Apel,
Der Denkweg von Charles Sanders Peirce, Frankfurt/M. 1975 (1967/70), 41.
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Steffen Schlüter, Deutscher Reahsmus und Amerikanischer Pragmatismus
g e n Peirces unterstützt, setzte sich am einflußreichsten seit Jahrzehnten die Interpretation
durch, daß sich in Peirces Schriften erneuertes, transformiertes Kantisches Philosophieren
äußere." Bisher unbemerkt blieb dabei der Einfluß des Herbartschen Realismus auf Peirces Frühwerk"*, das dieser kontinuierlich bis zu s e i n e m Tod 1914 weiterentwickelte.'^
Z u m Zentrum der Peirceschen Logik wurde die Pragmatische M a x i m e aus d e m Jahr
1878. Sie entstand aus d e n Vorarbeiten der Jahre zuvor, durchzieht dann Peirces Pragmatismus bis zu s e i n e m Tode 1914'' und bot die geistige A n r e g u n g für den Pragmatismus nach
Peirce, besonders in ihrer Weiterverwendung durch William James.'^ Wichtigstes A n l i e g e n
der Pragmatischen M a x i m e ist die Klärung v o n Begriffen.
D i e erste wesentliche Darstellung seiner Logik verfaßte Peirce im bereits erwähnten
Vortrag aus d e m Jahr 1867. Logik wird hier als Folge einer p h ä n o m e n o l o g i s c h e n Kategorienlehre vorgestellt. D a s Konzept v o n 1867 entwickelte Peirce zeitlebens quantitativ weiter, qualitativ ist hier der Kern seiner theoretischen Philosophie formuliert.
13 Vgl. die Literartur über Kant und Peirce in Anm. 6.
14 Es gibt keine Darstellung der Beziehung zwischen Peirce und Herbart. Alle Recherchen in den
Peirce-Bibliographien blieben erfolglos. Vgl. Kenneth Laine Keiner u. a., A Comprehensive Bibliography and Index of the Published Works of Charles Sanders Peirce with a Bibliography of Secondary Studies, Greenwich 1977. - Christian J. W. Kloesel, Bibliography of Charles Peirce 1976 through
1980, in: The Monist, 65,1982,246-276. - Wolfgang M. Ueding, A German Supplement of the Peirce
Bibliographies, 1877-1981, in: American Journal of Semiotics, 2,1983,209-224. - Elisabeth Walther,
Eine Ergänzung zu den bisher veröffentlichten Peirce-Bibliographien, in: Semiosis, 48, 1987,
36-58. - Auch in der Zeitschrift Transactions of the Charles Sanders Peirce Society findet sich kein
Beitrag über „Peirce und Herbart".
Ebenso negativ blieb die Gegenprobe: Josef N. Schmitz, Herbart-Bibliographie 1842-1%3, Weinheim 1964. - Rudolf Koschnitzke, Herbart und die Herbartschule, Aalen 1988, 99-132 [Bibliographie].
Schließlich wurde zusätzlich auch in der Deutschen Nationalbibliographie und der Internationalen Bibliographie der Zeitschriften nachgesehen, in denen mehrere Jahrzehnte durch leichte CDROM-Recherche am Computer abgefragt werden können, was ebenfalls ohne Treffer abgeschlossen wurde.
Insgesamt wurden auf diese Weise mehere tausend Titel separat zu Peirce und Herbart gesichtet.
15 Insbesondere zur Kontinuität der Phänomenologie in Peirces Denkweg vgl.: Ulrich Baltzer: „Die
,phänomenologische' Kategorienlehre [um 1903] ist [...] keine Neukonzeption, sondern eine Überarbeitung der ,New List' [von 1867], die einige Probleme dieses Entwurfs mit Mitteln behebt, die
bereits keimhaft in der ,New List' entworfen waren." (Baltzer, Erkenntnis als Relationengeflecht.
Kategorien bei Charles Sanders Peirce, Paderborn u. a. 1994,16).
Vgl. zuvor bereits bei: W. L. Rosensohn, The Phenomenology of Charles S. Peirce. From the Doctrin of Categories to Phaneroscopy, Amsterdam 1974. - Klaus Dehler, Peirce contra Aristotle. 1\vo
Forms of the Theory of Categories, in: Proceedings of the C. S. Peirce Bicentennial International
Congress, hg. v. K. L. Ketner u. a., Amsterdam 1981,335-342.
16 Die Kontinuität der „pragmatischen Maxime" in Peirces Denkweg zeigt: B. Altshuler, The Nature
of Peirce's Pragmatism, in: Transactions of the Charles Sanders Peirce Society, 14,1978,147-175.
17 Über den Ursprung des Pragmatismus bei Peirce und seine allgemeinste Weiterentwicklung in
James Schriften vergleiche z. B. die zweite Vorlesung „Was will der Pragmatismus" in: William
James, Der Pragmatismus (1907), Hamburg 1994,28-29.
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Es ist im Rahmen eines Aufsatzes nur möglich, den Gedanken von 1867 zu skizzieren:'®
Peirce läßt den Verstand Kategorien einführen, die die Mannigfaltigkeit der Sinneseindrücke synthetisieren. Erste Kategorie ist das Sein, letzte die Substanz. Zwischen beiden
vermittelt eine Logik als Semiotik. Die Analyse der Semiotik erfolgt als Sprachanalyse, da
die Sprache die Fähigkeit zeigt, Sinneseindrücke verstehbar zu machen. Wichtigstes Resultat dieser Kategorien- und Semiotiktheorie für die Sozialphilosophie von Peirce ist eine
Verabschiedung des introspektiven, transzendentalen Erkenntnissubjektes. Diese Idee ist
ein unmittelbares Ergebnis der Herbart-Rezeption von Peirce.
In seinem Kategorien-Vortrag von 1867 schreibt er: „Die als Darstellungen betrachteten Objekte des Verstandes sind Symbole, das heißt Zeichen, die zumindest potentiell
allgemein sind. Aber die Regeln der Logik gelten für alle Symbole, ob sie nun geschrieben, gesprochen oder auch nur gedacht werden. [...] In gewisser Weise beziehen sich in
der Tat alle Symbole auf den Verstand, aber nur insoweit, als sich alle Dinge auf den Verstand beziehen. Aus diesem Grunde ist es nicht nötig, die Beziehung auf den Verstand in
der Definition des Bereiches der Logik zu erwähnen, da sie die Grenzen dieses Bereiches nicht bestimmt. [...] So kommen wir also zu der Feststellung, daß die Logik vom Bezug der Symbole auf ihre Objekte im allgemeinen handelt."" Peirce entwickelt eine
Trichotomie: Verstand, Symbol als Objekt des Verstandes und zugleich Zeichen des Dinges, schließlich das Ding. Wichtig ist hier für Peirce: Die Logik untersucht die Zeichen in
ihrer Beziehung zu den Dingen unter dem Aspekt, daß diese Zeichen als Symbole den
Verstand so bestimmen, wie die Zeichen vom Ding bestimmt wurden, so daß der Verstand als Vernetzung oder Folge von Zeichen aufzufassen ist und die Untersuchung des
Verstandes als logische Untersuchung der Zeichen erfolgen kann. Diese Beziehung zwischen Verstand, Zeichen und Ding ist der Peirce-Forschung als triadische Relation des
Zeichens bekannt und gilt unbestritten als ein Zentralproblem Peirceschen Philosophierens.
Das entscheidende Resultat dieser Ontologisierung des Geistes ist die Verabschiedung
des transzendentalen Subjektbegriffes und des psychologisierten^" subjektiven Geistes.
Zur Begründung dieser Entscheidung bezog sich Peirce auf den Logik- und Verstandesbegriff Johann Friedrich Herbarts. Den Verzicht einer Untersuchung der Beziehung zwischen Zeichen und Verstand und die Ersetzung solcher Darstellungen durch die Beschreibung der Bezüge von Zeichen auf die Dinge, leitet Peirce 1867 von einem Zitat aus
Herbarts Lehrbuch zur Einleitung in die Philosophie, § 34, ab. Peirce zitiert: „Unsre sämtlichen Gedanken lassen sich von zwei Seiten betrachten; theils als Thätigkeiten unseres
Geistes, theils in Hinsicht dessen, was durch sie gedacht wird. In letzterer Beziehung heissen sie Begriffe, welches Wort, in dem es das Begriffene bezeichnet, zu abstrahiren gebietet
von der Art und Weise, wie wir den Gedanken empfangen, produciren, oder reproduciren
18 Der Autor des vorliegenden Aufsatzes verteidigte vor kurzem an der Humboldt-Universität zu
Berlin eine Dissertation zum Thema „Individuum und Gemeinschaft. Sozialphilosophie im Denkweg und im System von Charles Sanders Peirce". Dort liegt eine Vertiefung des Problems vor.
19 Peirce, SS, 1,155-156.
20 Charles J. Dougherty, C. S. Peirce's Critique of Psychologism, in: Two Centuries of Philosophy in
America, hg. v. Peter Caws,Totowa 1980,86-93.
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m ö g e n . I n Bezug auf dasselbe Zitat äußert Peirce genau, in einer Kritik gegenüber
William Hamilton, welche Idee Herbarts er an dieser Stelle vollständig übernimmt: Nach
Hamilton gebe es in der Untersuchung der Bedeutung von Propositionen einen „Unterschied in der Einstellung oder im subjektiven Geisteszustand. Aber das ist nicht bewiesen,
und wäre es so, ist es nicht im geringsten wahrscheinlich, daß er auch nur begonnen hat,
alle geistigen Einstellungen zu spezifizieren, die mit derselben Bedeutung verbunden sein
können. Aber selbst wenn wir zugestehen wollten, daß er das getan hätte, ist doch eine
Unterscheidung, die lediglich auf einem Unterschied von subjektiven Geisteszuständen
beruht, von keiner Relevanz in der Logik, denn die Logik ist die Wissenschaft der Beziehung der Symbole überhaupt auf ihre Gegenstände - oder, wie der große deutsche
Metaphysiker Herbart es ausdrückt", worauf Peirce dieselbe, bereits zitierte Stelle aus dem
Paragraph 34 des Herbartschen Philosophie-Lehrbuches folgen läßt. Wie zentral dieser
Logik-Begriff Herbarts für Peirces Gesamtkonzept blieb, beweist ein Zitat Peirces aus
dem Jahr 1905, neun Jahre vor seinem Tod: „Logik, sagt Herbart, obgleich er ein Psychologe war, ist eine Wissenschaft der Begriffe, doch ein Begriff von dem, was begriffen wurde;
so daß Logik die Wissenschaft von dem Ergebnis des Begreifens ist und nichts mit den Mitteln zu tun hat, mit denen das Begreifen durchgeführt wird. In den Bemerkungen Herbarts
könnte man Gedanken und Denken durch Begriff und Begreifen ersetzen. Ein Begriff ist
ein der Vorstellung gegenwärtiges Symbol - das heißt, genauer formuliert, ein einzelner
Verwendungsfall des Symbols kann der Vorstellung gegenwärtig sein. Doch der Vorstellungscharakter des Verwendungsereignisses des Symbols hat für die Logik keinerlei Bedeutung. Ihre Regeln gelten gleichermaßen für Symbole, die in etwas real Existierendem
verkörpert sind. Denn die Logik beschäftigt sich mit den Symbolen in ihrer allgemeinen
Seinsweise und nicht mit der individuellen Verkörperung.
1867 definiert der Autor die Logik als die Wissenschaft von den formalen Gesetzen der
Beziehung von Symbolen zu Objekten. Doch eine ausgereiftere Betrachtung des Wesens
der Grenzen zwischen den verschiedenen Zweigen der Wissenschaft hat ihn davon überzeugt, daß es besser ist, Logik als das gesamte cenoskopische Studium von Symbolen und
nicht nur von Symbolen, sondern von allen Arten von Zeichen anzusehen."^^
Dieser Kontext berechtigt zu der Feststellung: Peirce entwickelte den ontologischen
Grundgedanken seiner Semiotik aus Herbarts Logik-Begriff. Der Zeichenbegriff ersetzt
den Vorstellungsbegriff. Untersucht wird nicht der Ursprung der Vorstellung im Geist,
sondern die Verkörperung der Zeichen im real Existierenden, der Bezug zwischen Ding
und Zeichen, der bestimmend ist für den Zusammenhang zwischen semiotisch verstandener Vorstellung und Geist. Auf einen Punkt gebracht: Das Objekt bestimmt das Subjekt
bzw. das Subjekt steht nicht ausgezeichnet außerhalb der objektiven Welt, als das die Objektwelt setzende Medium. In seiner Herbart-Rezeption löst Peirce die subjektive Genese
der Objektivität in der Vorstellung der traditionell neuzeitlichen Erkenntnistheorie durch
die objektive Genese der Subjektivität mittels Zeichen im Sinne des Herbartschen Realismus ab.
21 Peirce, SS, 1,156.
22 Peirce, SS, 1,122; II, 332-333.
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III.
Die Aufnahme der Logik Herbarts führt Peirces Philosophie in die Nähe des deutschen
Realismus im 19. Jahrhundert und dessen Verabschiedung des transzendentalphilosophischen Solipsismus Kants und Fichtes. Peirce erwähnte Herbart sehr selten. Setzt man
aber Peirce und Herbart in Beziehung, ergeben sich überraschende Parallelen. Zugleich ermöglicht der Blick auf Peirce von Herbart her neue, interessante Klärungen Peircescher
Fragestellungen. Im Folgenden soll ein Anfangspunkt des Vergleichs vorgeschlagen werden, der sich unmittelbar aus Peirces Herbart-Logik und damit verbundener Subjekt-Kritik ergibt.
Für Herbart ist Logik die Wissenschaft des Verstandes. Sie untersucht nicht die Entsprechung der Gedanken zur Beschaffenheit des Geistes. Peirce knüpft an diesem Punkt
unmittelbar an: Eine Darstellung der Beziehung zwischen Gedanken und Verstand ist Aufgabe der Psychologie. In der Logik muß aber alles Psychologische ignoriert werden. Der
Logik geht es nur um die Formen der Verknüpfung von Gedanken im Verstand.^' Für Herbart bedeutet Verstand in der Logik, im selben Sinne wie für Peirce, Verknüpfung der Gedanken entsprechend der Beschaffenheit des Gedachten.^"
Was Peirce aufgreift, ist, wie schon gezeigt, Herbarts Forderung, daß in der Logik die Gedanken nicht in Bezug zur Tätigkeit des Geistes, sondern ausschließlich in Bezug auf das,
was durch die Gedanken gedacht wird, zu untersuchen sind. Solche Gedanken heißen Begriffe. Es geht in der Logik Herbarts nicht darum, wie Begriffe im Geist empfangen, produziert oder reproduziert werden, sondern wie der Bezug der Begriffe auf ihren Inhalt,
dem Gedachten, dargestellt werden kann. Diese Inhaltsangabe erfolgt in der Definition
des Begriffes.^'^
In der Definition werden die Merkmale des Begriffes zerlegt. Diese Merkmale sind mit
dem Inhalt des Begriffes identisch. Die Zerlegung der Merkmale eines Begriffes ist zugleich ihre Zusammensetzung.^''
Die Zusammensetzung der Merkmale ist die Definition des Begriffs und Bestimmung
der Dinge. Beides erfolgt in Bezug auf das Gegebene. Die Form der Definition ist hinzugedacht. Die Materie der Merkmale liefert die Erfahrung. Fragt man jedoch in Herbarts
Schriften danach, wie die Formen hinzugedacht werden können, erhält man die Antwort,
daß die Formen ebenfalls wahrgenommen werden. Form und Materie der Merkmale bzw.
Definition des Begriffes und Bestimmung seines Inhaltes resultiert in der Logik aus der
Wahrnehmung des Dinges.^' Interessant nun im Vergleich zu Peirce ist in besonderer
Weise Herbarts Übergang zum Ich-Begriff: „Das Ich ist eine Complexion von Merkmalen
Damit entsteht eine Genese des Ichs aus den materiellen Wahrnehmungen von
23 Johann Friedrich Herbart, Lehrbuch zur Einleitung in die Philosophie (1812/1837), hg. v. Wolfhart
Henckmann, Hamburg 1993 [im folgenden LEP], 82.
24 Ebd.
25 Ebd., 82,87.
26 Ebd., 87.
27 Ebd., 72-73,75.
28 Johann Friedrich Herbarts Sämtliche Werke, hg. v. K. Kehrenbach/O. FlügelATh. Fritzsch, 19 Bde.,
Langensalza 1887-1912 [im folgenden HSWK], Bd. VIII, 210.
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Steffen Schlüter, Deutscher Realismus und Amerikanischer Pragmatismus
Dingen, die sich zu Begriffen zusammensetzen, die die Gedanken des Verstandes repräsentieren. Ersetzen wir nun im Sinne Peirces „Merkmal" durch „Zeichen" und speziell
„Begriff" durch „Symbol", ergibt sich eine Bestimmung der Zeichen durch das Objekt und
speziell mittels des Symbols die Bestimmung des Verstandes. Das heißt: Herbart entwickelte den Vorläufer der triadischen Zeichenrelation von Peirce.
Es lohnt sich, an dieser Stelle nicht abzubrechen und Herbarts Ich-Begriff weiter zu verfolgen. Die Parallelität im Realismus von Peirce und Herbart wird hieran sichtbar. Wir
kehren hierzu noch einmal zum Definitionsbegriff von Herbart zurück.
Herbart unterscheidet Nominal- und Realdefinitionen. Die Nominaldefinition erklärt
einen Begriff willkürlich im Sinne desjenigen individuellen Verstandes, der den Begriff
oder Gedanken gebraucht. Nur die Realdefinition definiert den Begriff durch Zusammensetzung der Merkmale. Herbart betont nun: „Hätte [...] der, welcher die Definition
gibt, allein diesen Zweck, oder rühmte er sich einer besonderen Auffassung des Gegebenen, die niemand sonst in sich wiederfände, so würde er auch seine Definition für sich allein
behalten müssen."^' Herbart spricht hier klar von der Definition eines Realen, das unabhängig davon ist, wie ein Einzelner sich das zu Definierende oder Gedachte vorstellen
möchte. Es muß kein empirisches Reales sein. Die Mathematik ist objektiv, weil ihre Formen den Verstand ebenso überzeugend bestimmen können, wie eine äußere Tatsache. Eine
weitere Vertiefung des Ich-Begriffes bei Herbart wird hierzu noch einiges Interessante
mehr verdeutlichen können, was auch bei Peirce an Grundlegendem zu entdecken ist.
Zunächst sind alle Vorstellungen im Bewußtsein vereinigt. Eine Unterscheidung von inneren und äußeren Vorstellungen ist vom „Ich aus" nicht möglich. Die nominalistischen
bzw. individualistischen Gedanken können willkürlich verändert werden. Das Ich kann
sich willkürlich als Ausdruck der objektiven Welt erklären. Ich und Nicht-Ich gehen hierbei jedoch ununterscheidbar ineinander über. Es gibt hier weder ein Ich, noch ein NichtIch. Das nominalistische „Ich" erfährt in radikaler Einsamkeit den Weltverlust, damit zugleich den Verlust seines „Selbst". Wenn es aber kein Selbst oder Ich gibt, kann auch keine
Setzung des Nicht-Ich durch das Ich und auch keine Erkenntnis der Erkenntnis der
Außenwelt behauptet werden. Oder in Peirces Worten: Eine intuitive Unterscheidung der
Ich-Erkenntnis von der Nicht-Ich-Erkenntnis bzw. Außenwelterkenntnis ist nicht möglich.
Nach Herbart ist nur durch die Wirkung der unabhängigen Außenwelt der Mensch zum
selbstbewußten Ich fähig: „Allein unsere Vorstellungen selbst können wir uns von neuem
vorstellen; wir können die Vorstellungen, die wir uns zuschreiben, von den vorgestellten
Dingen unterscheiden; wir sind uns mannigfaltiger Tätigkeiten, welche auf dieselben Bezug haben, bewußt, als des Denkens, Wollens, der Aufregung unserer Gefühle, Begierden,
Leidenschaften, durch die teils gegebenen, teils auch nur wiedererweckten Vorstellungen.
Indem nun unser Inneres zum Schauplatze wird für so mancherlei auf demselben vorgehende Veränderungen: haben wir von diesem Schauplatze wiederum eine Vorstellung, vermöge deren er nicht bloß die Form des Beisammenseins aller andern Vorstellungen, sondern selbst ein realer Gegenstand ist; nämlich die Vorstellung Ich, mit welchem Worte das
eigentümliche Selbstbewußtsein eines jeden sich ausspricht."'" Herbarts Verleger Otto
29 Herbart, LEP, 8
30 Ebd., 198-199.
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Flügel beschreibt das Kernproblem dieses Ich-Begriffes noch genauer: „[...] hat das Geschehen im Ich, also haben meine Wahrnehmungen innere oder äußere Ursachen? Haben
sie nur innere Ursachen, erzeugt das Ich selbst, wenn schon unbewußt, alle Empfindungen
rein von innen, dann bin ich wieder in den Idealismus oder Solipsismus gebannt. Wenn man
jedoch nachweisen könnte, daß es falsch sei, nur innere Ursachen anzunehmen, dann
bliebe allein die Voraussetzung von äußeren Ursachen übrig. Und dann müßte man mit
wissenschaftlicher Notwendigkeit den Idealismus verlassen und als einzige Möglichkeit
den Realismus festhalten. Dann steht die Realität der Außenwelt fest, als die notwendige
Ergänzung, als die erschlossene Voraussetzung der allein gegebenen Innenwelt oder des
Ich."" Herbarts Kritik am nominalistischen bzw. idealistischen Ich-Begriff ist der Kern seiner Begründung des Realismus.'^ Das Ich bildet sich vom Nicht-Ich her. Dieser Gedanke
ist grundlegend für Herbarts Kant-Kritik."
Verfolgt man nun eine Untersuchung der Begriffe „Selbstbewußtsein" bei Herbart und
Peirce unter dem Aspekt eines Vergleichs, stellt sich die Parallelität im Philosophieren am
deutlichsten heraus. Der Vergleich soll sich hier mit folgender These beschäftigen: Peirces
Pragmatische Maxime erweist sich als konsequenter Gedanke des Herbartschen Realismus.
1868 versuchte Peirce, nachdem seine vom subjektiven Verstand unabhängige Kategorienlehre und Logik 1867 seinen ersten Abschluß fand, den Begriff des „Ich" in der Form
des „Selbstbewußtseins" zu erklären.
Selbstbewußtsein hat nichts mit Innerlichkeit des menschlichen Bewußtseins zu tun.
Selbstbewußtsein bedeutet Erkenntnis des persönlichen Selbst. Peirce fragt, ob das auf der
Grundlage einer Intuition möglich sein kann. Er verneint diese Variante, da es intuitiv nicht
möglich ist, eine intuitive Erkenntnis intuitiv von einer anderen Erkenntnis, die sich auf
eine vorangehende Erkenntnis stützt, zu unterscheiden, was bereits oben bemerkt wurde.
Bedenkt man, daß eine „Erkenntnis [...] ein Bewußtsein des Gegenstandes als eines vorgestellten"'^" ist, muß der nicht-intuitiven Erkenntnis ein Gegenstand der Erkenntnis vorausliegen. Dieser Gedanke führt auf die triadische Relation des Zeichens hinaus. Jede Erkenntnis bezeichnet Peirce als Interpretanten, der durch ein Zeichen bestimmt wird, das
wiederum durch ein Objekt der Erkenntnis bestimmt wird, so daß jede Erkenntnis von
ihrem Gegenstand oder Objekt determiniert ist. Das Nicht-Ich bestimmt also das Ich. Dieser Grundgedanke, den Peirce und Herbart gemeinsam vertreten, durchdringt die Entwicklung im Begriff „Selbstbewußtsein" bei beiden.
1. Peirce und Herbart beschreiben eine genetische Entwicklung des Selbstbewußtseins,
die sie aus der Psychologie des Kindes hervortreten lassen. Das Kind erfährt zuerst den
31 Otto Flügel, Herbarts Lehren und Leben, Leipzig 1912,4.
32 Herbart schreibt an Brandis: „Sie wissen, dass ich weit entfernt bin, diesen meinen Realismus als ein
Axiom hinzustellen. Das Ich des Idealismus war gerade der erste Gegenstand meiner selbständigen
Untersuchungen. Die Unmöglichkeit dieses Ich war deren erstes Ergebniss. Völliges Aufgeben des
gesamten Idealismus, als einer in jeder Gestalt unrichtigen Ansicht, war die unvermeidliche Folge.
So entstand, auf rein theoretischem Wege, mein Realismus." (HSWK, Bd. VIII, 413).
33 Alfred Langewand, Moralische Verbindlichkeit oder Erziehung. Herbarts frühe Subjektivitätskritik
und die Entstehung des ethisch-edukativen Dilemmas, Freiburg u. a. 1991,180,277.
34 Peirce (1868), SPP, 21-22.
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eigenen Körper. Er wird der Ausgangsgegenstand für die Herstellung aller Relationen zwischen sich selbst und der Außenwelt. Das Kind versucht durch sinnliche Kontaktaufnahme
die Dinge als etwas Äußeres zu erfahren. Peirce und Herbart gehen dabei vom selben Gedanken Kants in der „Anthropologie" aus, daß Kinder erst spät bzw. im fortgeschrittenen
Alter das Wort „Ich" verwenden.
Peirce schreibt: „Als erstes ist zu bemerken, daß bei sehr kleinen Kindern kein Selbstbewußtsein nachweisbar ist. Es ist bereits von Kant betont worden [Anthropologie in pragmatischer Hinsicht, Akad. Ausg., VII., § 1,15], daß der späte Gebrauch des sehr alltäglichen
Wortes ,ich' bei Kindern zeigt, daß sie ein noch unvollkommenes Selbstbewußtsein haben.
Soweit es daher für uns zulässig ist, irgendeine Schlußfolgerung hinsichtlich des geistigen
Zustandes der Kinder zu ziehen, die noch jünger sind, muß diese gegen die Existenz
irgendeines Selbstbewußtseins in ihnen sprechen." Von diesem Gedanken Kants ausgehend, beginnt Peirce eine kinderpsychologische Skizze der Entstehung des Selbstbewußtseins vor dem Hervortreten des selbstbewußten Ich-Ausdrucks im Sprachgebrauch und
damit Denken eines Menschen: „Man kann immer wieder beobachten, daß ein sehr kleines Kind seinen eigenen Körper mit großer Aufmerksamkeit betrachtet. Es hat allen
Grund dazu, denn vom Standpunkt des Kindes aus ist dieser Körper die wichtigste Sache
von der Welt. Nur was es berührt, hat eine wirkliche und gegenwärtige Gefühlsqualität; nur
was es anschauen kann, hat eine wirkliche Farbe; nur was es in den Mund nimmt, hat einen
wirklichen Geschmack.""
Herbart entwickelt seine Gedanken in derselben Weise: „Kant beginnt seine Anthropologie mit dem Lobe der Ichheit, als eines unendlich wichtigen Vorzuges des Menschen vor
allen anderen auf Erden lebenden Wesen. Wiewohl er nun gar nicht zweifelt, dass derjenige, der das Ich noch nicht sprechen kann, es dennoch in Gedanken habe: so fügt er doch
mit der, dem wahrhaft vortrefflichen Denker natürlichen Aufrichtigkeit, Folgendes hinzu:
,Es ist aber merkwürdig, dass das Kind, was schon ziemlich fertig sprechen kann, doch
ziemlich spät (vielleicht wohl ein Jahr nachher) allererst anfängt durch Ich zu reden, so
lange aber von sich in der dritten Person sprach, (Karl will essen, gehen, u. s. w.) und dass
ihm gleichsam ein Licht aufgegangen zu seyn scheint, wenn es den Anfang macht durch Ich
zu sprechen; von welchem Tage an es niemals mehr in jene Sprechart zurückkehrt. - Vorher/w/i/fe es sich selbst, jetzt denkt es sich selbst. - Die Erklärung dieses Phänomens möcht
den Anthropologen ziemlich schwer fallen.'" Nach dieser Kantrezeption geht Herbart genauso wie Peirce zur Leibwahrnehmung des Kindes über: „Die dritte Person, als welche
das Kind sich selbst bezeichnet, findet ihre erste Grundlage in der Auffassung des Leibes,
sowohl im Sehen und Betasten der eigenen Gliedmass[ß]en als durch körperliche Gefühle." Diese Auffassung ist die erste Vorstellung des Selbst. Von hier aus entwickelte Herbart Komplexionsstufen der Selbsterkenntnis auf objektiver Grundlage im Sinne des „das
Nicht-Ich bestimmt das Ich", bis zur Verwendung des selbstbewußten Gebrauchs des Wortes „Ich"."^
2. Durch das Zusammentreffen bzw. Verbinden der Wahrnehmungen und Vorstellungen,
werden nach gemeinsamer Auffassung von Peirce und Herbart die ersten Begriffe von
35 Ebd., 22-23.
36 Herbart, HSWK, Bd. VI, 170 f., 177 f.
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Dingen gelernt und ihren äußeren Objekten zugeordnet. Dieses Erlernen der Sprache fällt
mit dem Einfluß der gesellschaftlichen Außenwelt zusammen. Das Kind lernt vom Anderen den Gebrauch der Sprache, kreiert aber zugleich diesen Gebrauch instinktiv selbst.
Hier schließt sich der nächste Schritt an.
Der heranwachsende Mensch entwickelt nun eine Reihe von wesentlichen Unterscheidungen zwischen sich Selbst und der Außenwelt. Durch sinnliche Erfahrung der Außenwelt und durch kommunikatives Erfahren von Möglichkeiten der Außenwelt lernt das
Selbst die Welt zu begreifen und bildet damit sein Selbstbewußtsein. Bei Peirce und Herbart wird so die objektive Entstehung des Selbstbewußtseins beschrieben. Sie impliziert
eine Wechselwirkung zwischen Ich und Nicht-Ich, bestimmt durch das Nicht-Ich. Selbstbewußtsein bedeutet Erkenntnis des Nicht-Ich durch den Verstand. Wissenschaft des Verstandes ist, wie oben gezeigt wurde, die Logik. Die Logik ist daher eine ontologisch systematische Darstellung der Entstehung des Selbstbewußtseins auf objektiver Grundlage.
Um diese Parallelität nachvollziehen zu können, zuerst der Blick auf Peirces konkrete
Darstellung:
Ein Kind erlernt die Sprache durch Verbindung von Sprache und Fakten im Verstand.
Zugleich erlernt es dadurch, sich zu verständigen. Der gesamte Vorgang erfolgt weitgehend
instinktiv.
Im nächsten Entwicklungsstadium findet das Kind heraus, daß Zeugenaussagen von
Mitmenschen Gewißheit liber Wirklichkeit mitbringen. Ein solches Zeugnis findet ein
Kind dann überzeugend, wenn es die der Behauptung zu Grunde liegende Erfahrung
selbst machen konnte. „Auf diese Weise wird es seiner Unwissenheit bewußt und muß notwendig ein Selbst annehmen, dessen Eigenschaft diese Unwissenheit ist. So bewirkt das
Zeugnis anderer das erste Aufdämmern des Selbstbewußtseins."
Schließlich erkennt ein Kind, daß es in Bezug auf den eigenen Körper Erfahrungen
macht, die von anderen verneint werden. Durch Erfahrungen anderer wird die eigene Erfahrung erweitert, so daß sich eigene Erkenntnis als Irrtum erweist.
Zusammenfassend schreibt Peirce: „Unwissenheit und Irrtum sind alles, was unser privates Selbst vom absoluten Ego der reinen Apperzeption trennt." Durch Unwissenheit
und Irrtum ist die objektive Bedingtheit des Selbstbewußtseins verstanden bzw. begriffen.
Allein dieses Ich ist zur Differenz von Ich und Nicht-Ich fähig und unterscheidet sich daher vom das Nicht-Ich setzenden absoluten Ego, für welches es in Wirklichkeit und Wahrheit kein Nicht-Ich gibt, sondern allein ein Ich.''
Im selben Sinne äußerte sich bereits Herbart. Im Folgenden nun seine konkrete Darstellung:
Im Anschluß an seine oben schon erwähnten Stufen von Komplexionen bis zum Selbstbewußtsein schreibt Herbart: „[...] es gibt immer etwas Neues zu sehen,zu hören und zu
lernen; und alles Gesehene, Gehörte und Gelernte kommt zu dem Vorrathe der Bilder, die
in dem Inneren, entgegengesetzt allem Aeusseren, ihren Platz hat. [...] In der ganzen Complexion also, welche der Mensch als sein eignes Selbst denkt, ragt über die andern Bestimmungen diejenige hervor, dass dieses Selbst ein vorstellendes, ein wissendes, ein erkennendes sey; und das Uebergewicht dieser Bestimmung wächst immer mit dem Fortschreiten
37 Peirce (1868), SPP, 24-25.
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der Bildung." Das Überragende ist also der Gedanke als Form der Erkenntnis (Das Kind
„braucht überhaupt nur zu sprechen, um Sich zu finden".), den Herbart, wie oben gezeigt,
Begriff nennt und als Gegenstand der Logik festhält. Diese Logik umschreibt die Entstehung des Selbstbewußtseins als Konsequenz des Nicht-Ich als natürliche und gesellschaftliche Gegenständlichkeit. Wie sehr dieser Logikbegriff Herbarts Peirces spätere SprecherHörer-Perspektiven der Semiotik, aber vielleicht auch nicht uninteressante Ansätze einer
möglichen realistischen Diskursethik enthält, dokumentieren folgende Äußerungen Herbarts: „In der Gesellschaft, und in der Mitte der Natur-Ordnung, bekommt in mancherley
Hinsicht das Ich eine andere Bedeutung." Das bedeutet konkreter: „[...] im Gespräch findet die Ichheit fortdauernd Nahrung. Jenes Uebergehen vom Denken zum Empfinden und
Erfahren, worauf die Bestimmung des Subjects, und die Voraussetzung desselben vor dem
Objekte beruhet, geschieht jeden Augenblick, indem der Sprechende [Sprecher] seine Gedanken den Andern [Hörer] mittheilt, damit ihn dieser antwortend ergänze [Kommunikation mit dem Ziel einer Verständigung und eines Konsens]. Hier ist immer die Antwort das
Eintretende, Hinzukommende, zu ihrem Vorausgesetztem, dem Denken [Denken bedeutet Gedanke und Gedanken bedeuten Logik. Wenn Denken der Kommunikation bzw.
einer Verständigung zwischen Sprecher und Hörer vorausgesetzt sein soll, muß die Logik
auch eine Logik der Kommunikation sein. Wenn Kommunikation oder das Sprechen und
Hören Denken vorraussetzt, das Denken aber Gegenstand der Logik ist, dann ist schon bei
Herbart wenigstens potentiell Logik Voraussetzung subjektiv-intersubjektiven Denkens.].
Und hier [in der „Sprecher-Hörer-Perspektive"] findet unaufhörlich das Ich sich selbst [Individuierung durch Kommunikation?], denn das Gespräch ist in gleichem Maasse, und in
schneller, steter Abwechslung, theils Wirksamkeit, theils Hingebung. Dieselbe Folge, wie
das Gespräch hat nun auch die Lebensweise, das Thun und Leiden im geselligen Zustande
[Ansatz zum Übergang vom subjektiv-intersubjektiven Denken zum Handeln, vgl. unten];
nur nach vergrössertem Maasse. Und was ist selbst das Verhältnis des Menschen zur Natur
anders, als ein abwechselndes Wirken und Hingeben?
Aber die Gesellschaft erweitert noch obendrein, und beschränkt auch hinwiederum, das
Wirken, und die Pläne dazu, durch den Besitz und dessen Gränzen. Sie [die Gesellschaft]
macht etwas aus dem Menschen; giebt ihm Bilder dessen, wofür er gelten soll [erneut Individuierung durch Vergesellschaftung?]; unterwirft ihn den Meinungen und Vorurtheilen
[Ansatz für eine normative Geltung von Konsensus?]."'** Das Nicht-Ich als natürliche und
gesellschaftliche Außenwelt bestimmt das Ich. Zentral für diese Bestimmung ist die Sprache, insbesondere ihr kommunikativer Gebrauch.
3. Die Bildung des Selbstbewußtseins erlangt bei Peirce und Herbart jedoch noch nicht
im Denken allein sein Endstadium. Das Denken fungiert als eine Art Abschluß- und
Übergangspunkt zugleich. Der Gesamtzyklus zur Bildung des Selbstbewußtseins umfaßt
Denken als Ermöglichung von Handeln. Ziel des Denkens ist nicht Handeln, sondern als
Grundlage von Handeln fungieren zu können. Das Erfassen des Realen ist erst die Klärung
des Denkens. Was sich in diesem Denken als Selbstbewußtsein oder Überzeugung ausspricht, will sich durch Tätigkeit im empirischen Realen selbst erfahren und verifizieren.
Durch dieses Handeln erfährt das Selbstbewußtsein, ob es die Wahrheit und damit sich
38 Herbart, HSWK, Bd. VI, 184-185.
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selbst in Wahrheit begreifen konnte oder nicht. Diese Interpretation richtet sich auf eine
Parallele der „Pragmatischen Maxime" Peirces zum Begriff der „Klarheit von Begriffen"
bei Herbart.
Peirce entwickelte seine Pragmatische Maxime 1878. Sie sollte als Methode zur Klarheit
von Begriffen fungieren.
Peirce woUte konkreter mit der Maxime den Zusammenhang zwischen Begriff und Ding
verdeutlichen, die durch das Handeln vermittelt werden: „So hat unser Handeln ausschließlich Bezug auf das, was unsere Sinne beeinflußt, unsere Verhaltensweise hat denselben Bezug wie unsere Handlung, unsere Überzeugung denselben wie unsere Verhaltensweise, unser Begriff denselben wie unsere Überzeugung [...]." Damit bezieht sich der
Begriff auf das sinnlich Gegebene oder den Gegenstand der Erfahrung. Zwischen Ding
und Begriff vermitteln Handlung, Verhaltensweise und Überzeugung. Daran schließt
Peirce eine Seite weiter die Pragmatische Maxime an: „Überlege, welche Wirkungen,
die denkbarerweise praktische Relevanz haben könnten, wir dem Gegenstand unseres
Begriffs in unserer Vorstellung zuschreiben. Dann ist unser Begriff dieser Wirkungen das
Ganze unseres Begriffes des Gegenstandes." Das Hervorgehen des Begriffes aus dem
Gegenstand bezeichnet die Klarheit eines Begriffes. Das Denken wird nicht im Handeln
abgeschlossen, sondern in der Möglichkeit zu Handeln. Anders könnte Handeln nicht Beweggrund zu neuem Denken sein, wäre eine experimentelle Falsifikation unsinnig für wissenschaftliches Erkennen. Die Ermöglichung der praktischen Möglichkeit setzt aber eine
objektive Entstehung des Begriffes voraus, damit des Selbstbewußtseins. Handeln vollzieht
„kreisläufig" die Synthese von Denken und Sein in den Formen Abduktion, Deduktion
und Induktion. Handeln bedeutet Realisierung des Denkens und Rationalisierung des
Realen. Es zeigt, daß das Selbstbewußtsein Zeichen unter Zeichen im Realen ist, auf höchster Ebene als Sprache und Schlußfolgern bzw. Symbol.'^'
Auch bei Herbart ist eine Vorstellung über „Klarheit eines Begriffes" zu entdecken. Da
Begriffe in seiner Philosophie Verstand und Ich zusammensetzen, verbinden sich bei Herbart wie bei Peirce eine kritische Neubegründung des Ich-Begriffes mit der „Klärung von
Begriffen".
Konkret läßt Herbart diesen Zusammenhang vom Terminus der Philosophie ausgehen:
„Philosophie ist Bearbeitung der Begriffe. Aus den Hauptarten der Bearbeitung der Begriffe ergeben sich die Hauptteile der Philosophie.
Der erste Erfolg der auf die Begriffe gewendeten Aufmerksamkeit besteht darin, daß sie
klar, und, wofern sie dazu geeignet sind, deutlich werden. Die Deutlichkeit besteht in der
Unterscheidung der Merkmale eines Begriffes, sowie die Klarheit in der Unterscheidung
mehrerer Begriffe untereinander. Deutliche Begriffe können die Form von Urteilen annehmen, und die Vereinigung der Urteile ergibt Schlüsse. Hiervon handelt die Logik; und
sie selbst ist derjenige erste Teil der Philosophie, welcher die Deutlichkeit in Begriffen, und
die daraus entspringende Zusammenstellung der letzteren [also Klarheit von Begriffen],
im allgemeinen betrachtet."""' Die Merkmale des Begriffs sind, wie oben dargestellt, die
sinnlichen Eindrücke vom Ding oder Gegenstand des Begriffs. Der deutliche Begriff ist
39 Peirce (1878/1893/1905), SPP, 194 f., 212 f.
40 Herbart, LEP, 50-51.
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also der Begriff der Erfahrung. Zusammensetzung der Begriffe der Erfahrung in ihre Beziehungen untereinander heißt für Herbart Klarheit des Begriffs. Deutlichkeit und Klarheit, deutliche Klarheit oder Klarheit des Begriffs auf Grund der sinnlichen Wirkung des
Dinges auf das Vorstellen im Denken ist der Kern der Logik, eingeschlossen das Problem
des Schlußfolgerns. Oben ist auch gezeigt worden, daß die Bestimmung des Begriffs zugleich die Bestimmung des Ichs übernimmt. Damit ist für Herbart aber, genausowenig wie
für Peirce, die objektive Entstehung des Selbstbewußtseins schon vollendet. Bis zu diesem
Punkt wären Herbart und Peirce Idealisten geblieben, die die Außenwelt im Begriff aufheben, damit aber das Denken und denkende Ich als das zumindest Realere gegenüber der
Außenwelt einräumend. Dieser Weg führt zur subjektiven Genese der Objektivität zurück.
Für Peirce lag die Bedeutung von Begriffen bzw. Symbolen und damit des Selbstbewußtseins in der allgemeinen Entschließung zum Handeln.'" Der Übergang vom Denken zum
Handeln findet sich genauso pragmatisch bei Herbart: „Am deutlichsten [...] wird das Ich
erscheinen in äusserer Thätigkeit.'"*^ „[...] das Handeln in der Welt, nach dem Gesetze der
wachsenden Selbständigkeit [...], dies ist die eigentliche Ichheit, deren Wurzel daher vielmehr in dem praktischen Vermögen [!] als im theoretischen muss gesucht werden.'"" Herbart traf hier die wichtige Unterscheidung, auf die auch Peirce größten Wert in der Pragmatischen Maxime legte: Sinn und Bedeutung von Ich, Symbol, Begriff oder Denken
liegen nicht in der Praxis, sondern im Vermögen zur Praxis. Zweck des Denkens ist nicht
das Handeln, sondern die Ermöglichung zu handeln.""
Herbart und Peirce entwickeln also gemeinsam ein reales oder exoterisches Selbstbewußtsein. Das transzendentale oder esoterische Ich ist nach ihrer Auffassung nicht fähig.
Ich und Nicht-Ich vom Ich aus zu unterscheiden. Wenn das Ich das grundlegend Reale sein
will, wie von Herbart in seiner Fichte-Kritik und von Peirce in seiner Kritik der Introspektion kritisch gegenüber der ursprünglich durch Kant begründeten Transzendentalphilosophie bemerkt wird, tritt die Außenwelt, das Nicht-Ich, als Hindernis oder Unbestimmbares auf. Die Entstehung des Selbstbewußtseins setzt dadurch eine Überwindung dieses
Hindernisses oder seine Ignorierung in der Erkenntnis voraus, über das Stadium der Isolation des Ichs von aller Außenwelt bis zur Konsequenz der Zerstörung des Nicht-Ich, ver-
41
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44
Peirce (1878), SPP, 191.
Herbart, HSWK, Bd. VI, 182.
Ebd., Bd. VIII, 222.
Nach einer Analyse der Herbartschen Philosophie unter dem Aspekt des Pragmatismus kann es
schließlich nicht verwundern, daß 1835 Joseph Hillebrand im Anschluß an Herbarts Logik eine
„Pragmatologie" entwickelte. Weiterhin interessant ist die Tatsache, daß Hillebrand Hegelianer war
und seine pragmatische Philosophie aus Hegelstudien entwarf, die er kritisch auf der Grundlage der
Herbartschen Schriften betrieb. Diese Verbindung scheint nicht unbedeutend zu sein, sofern der
Versuch durchdacht wird, eine Vermittlung zwischen pragmatischem Philosophieren und Hegelianismus zu entwickeln. Peirces eigene Ansätze, seinen an Herbart angelehnten Pragmatismus kritisch auf Hegel zu beziehen, scheinen zumindest nach außen hin bei diesem Versuch bis heute weitestgehend unberücksichtigt zu bleiben. Die Vermittlung zwischen Pragmatismus und Hegel wird
von Vittorio Hösle über Josiah Royce vollzogen (vgl.: Pragmatik. Handbuch Pragmatischen Denkens, hg. V. Herbert Stachowiak, 2 Bde., Hamburg 1986/87, Bd. I., XXX. - Vittorio Hösle, Die Krise
der Gegenwart und die Verantwortung der Philosophie, München 1990,99-108).
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standen als Natur und Gesellschaft. Das Ich auf objektiver Grundlage hingegen will sein
exoterisch bedingtes Selbstbewußtsein argumentierend und handelnd realisieren. Jeder
einzelne Fortschritt in der Weiterentwicklung der Persönlichkeit schließt sich bei Peirce
und Herbart mit dem Vollzug einer durchdachten Handlung ab, die das Selbstbewußtsein
verneint oder bestätigt. Oder einfacher formuliert: Ziel des Denkens und individuellen Erkennens der Wahrheit ist Ermöglichung der Verifikation des Denkens und damit des
Selbstbewußtseins im objektiven Realen. Bis zur Handlung bleibt jede Erkenntnis, jedes
Selbstbewußtsein hypothetisch. Gleichzeitig ist Handlung nicht mehr Denken. Das Denken durchdringt das Wollen der Handlung und kann dies nur, wenn es klar abgeschlossen
wurde. Bei Herbart und Peirce geht die Klarheit des Denkens, das eine Klarheit des Begriffs ist, dem Handeln voraus. Gleichzeitig gibt es aufgrund der objektiven Bedingtheit des
Selbstbewußtseins keine intuitive oder introspektive Erkenntnis des Selbst. Das Selbst
erfährt und erkennt sich im Anderen der Natur und Gemeinschaft, am intensivsten durch
Verifikation kreativ-hypothetischer Ideen (und speziell bei Peirce Liebe).
Bei Herbart und Peirce verbirgt sich darin auch eine deutliche und klare religionsphilosophische Idee: Gott erschließt sich nicht in der spirituellen oder cartesischen Meditation
ohne Überprüfung des religiösen Glaubens und der erdachten Hypothese in der schöpferischen Praxis. Religion und Verstand werden damit nicht dualisiert. Sondern: Durch die
Forderung der „Verifikation" und des Glaubens an eine „Welt als Schöpfung Gottes"
transzendiert die exoterische Welt Glauben und Erkenntnis gleichermaßen. Fragen und
Mysterien offenbaren ihre Antworten in der Außenwelt, der exoterischen Schöpfung
Gottes. Introspektiv, intuitiv, esoterisch, meditativ gelangt ein Individuum zu einem geistigen Selbst, aber keinem Selbstbewußtsein. Auf das Selbstbewußtsein das Denken auszurichten ist gleichbedeutend mit dem Weg der Erlösung des Menschen als Individuum und
Gemeinschaft.
IV.
Die vorangegangenen Seiten sollten die Übernahme und Interpretation des Realismus
von Herbart in der Philosophie Peirces dokumentieren. Es wurden drei Aspekte ausgewählt:
1. Die in der Peirce-Forschung beobachtete Transformation der Philosophiegeschichte
zum Realismus durch Peirce läßt sich aus der Perspektive des Einflusses Herbarts auf den
Realismus von Peirce neu interpretieren. Peirces fragmentarische historische Reflexionen
bezeugen den Versuch, die Geschichte der Philosophie mit dem Herbartschen Ansatz des
Realismus zu verknüpfen.
2. Zentral für Peirces Realismus ist seine Logik. Sie ist belegbar aus dem Einfluß Herbarts entstanden.
3. Peirces Realismus ist mit einer Kritik der Tradition des „Selbstbewußtseins" und
„Ichs" der Philosophie verbunden. Die Pragmatische Maxime als Methode der Logik und
ein neuer Begriff von Selbstbewußtsein verbinden sich bei Peirce, in gleicher Weise wie bei
Herbart in seiner Verknüpfung von Logik und Selbstbewußtsein, zum philosophischen
Realismus.
Ziel des vorliegenden Aufsatzes war die Anregung zu vertiefenden Vergleichsstudien
über Peirce und Herbart. Selbst der Versuch einer Widerlegung der vorliegenden Thesen
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Steffen Schlüter, Deutscher Reahsmus und Amerikanischer Pragmatismus
würden der Intention des Beitrages als kritischer Dialogpart willkommen begegnen. Der
Autor ist zugleich davon überzeugt, daß sich bei Vergleichsstudien eine neue Perspektive
innerhalb der vorhandenen Peirce-Forschung herausstellen könnte. Hierzu wäre es möglich, die Perspektive einer Peirce-Herbart-Forschung u. a. zu folgenden Themen voranzubringen:
1. Vergleich des Systems der Philosophie bei Herbart und der Klassifikation der Wissenschaften und innerhalb dieser der Disziplin Philosophie bei Peirce.
2. Vergleich der Beziehung der Mathematik zur Phänomenologie, Logik der Existentiellen Graphen und Metaphysik bei Peirce mit der Anwendung der Mathematik auf die Psychologie bei Herbart.""
3. Vergleich des Synechismus bei Peirce und der Synechologie von Herbart."^
4. Interessant dürfte auch der Vergleich der Kritik Herbarts am Ding an sich Kants mit
der von Peirce sein. Nach Herbart, wie schon gezeigt wurde, wirkt ein Ding durch sinnliche
Empfindung auf den Menschen. Was der Mensch zusammenknüpfen kann, sind nur
Merkmale des Dinges. Diese sind aber relativ. Das Ding als Eines verschwindet dahinter.""
Peirce setzte sich schon 1861, also mit 22 Jahren, sehr sicher mit diesem Problem auseinander. Er behauptete, entgegen der neuzeitlichen Erkenntnistheorie, daß das, woran gedacht wird, auf das Bewußtsein zwingend einwirkt und Eindrücke im Bewußtsein hinterläßt. Diese Eindrücke bilden den Gedanken, wie er im Bewußtsein erscheint. Ein
unerkennbares Ding an sich kann es nicht geben."^ Für Peirce steht auch noch Jahrzehnte
später fest, „daß die Unmittelbare Wahrnehmung die vollständige Überflüssigkeit des
Ding an sich ans Licht bringt". Auch die von Karl-Otto Apel gesehene Ersetzung des Ding
an sich durch „das Reale als das ,in the long run' durch die ,Community of investigators'
Erkennbare'"" ist im Keim schon bei Herbart zu entdecken. Oben ist gezeigt worden, daß
Herbart Nominal- und Realdefinition unterscheidet. Die reale Definition des Begriffes
eines Dinges liegt dann vor, wenn der Begriff unabhängig vom individuellen Denken defi-
45 Die Existentiellen Graphen stellen ein System der Logik dar. Sie bilden eine transformierte Logistik mathematischer Algebra. Ziel der Graphen ist es, eine unpsychologische Form des menschlichen Bewußtseins zu entwickeln, wie es sich aus dem Bezug des Bewußtseins auf das, was seinen
Inhalt, also der Objekte, objektiv entwickeh. (Peirce, SS, III, 109; ebd., II. 405-406) Dieser Versuch
kann mit Herbarts Anwendung der Mathematik auf Psychologie verglichen werden. (Vgl.: Ueber
die Moeglichkeit und Nothwendigkeit, Mathematik auf Psychologie anzuwenden (1822), in:
HSWK, Bd. V, 1890,91-122) - Vgl. auch Don Davis Roberts, The Existential Graphs of Charles S.
Peirce, The Hague 1973.
46 Genauso, wie Peirce und Herbart gemeinsam die psychologische Behandlung des Bewußtseins
durch eine mathematische Untersuchung zweitrangig werden lassen wollen, verbinden sie auch Mathematik und Naturwissenschaft zu einer Mensch und Natur umfassenenden Naturphilosophie des
Kontinuums und der Stetigkeit. (Peirces Begriff des „Synechismus" in: Das Gesetz des Geistes, in:
ders., Naturordnung und Zeichenprozeß, hg. v. Helmut Pape, Frankfurt/M. 1991 [im folgenden NZ],
179-209; verghchen mit Herbarts Begriff „Synechologie" in seiner „Allgemeinen Metaphysik",
HSWK, VIII, 110-197).
47 Herbart, LEP 186,193-194.
48 Peirce, W, 1,60-61. - Vgl. zu dieser Stelle: Apel, Der Denkweg von Charles Sanders Peirce, a. a. O.,
51-52.
49 Apel, Der Denkweg von Charles Sanders Peirce, a. a. O., 196.
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niert werden kann. Das Reale ist für Herbart von grundlegender Bedeutung. Es ist unabhängig vom Denken bzw. von der Willkür irgendeines Vorstellenden.'''' Die oben dargestellte kommunikative Erweiterung des Denkens positioniert Herbart an die Grenze zur
Peirceschen Sozialphilosophie als semiotische Metaphysik, die Apel weiterentwickelte.
5. Herbart läßt seiner Kritik des Ding an sich eine Eidologie folgen, eine Lehre von den
Abbildern der Gegenstände im Bewußtsein. Oben ist derselbe Funktionszusammenhang
für die Logik gezeigt worden. Herbart hält drei Arten des „eidolon" für grundlegend: „Die
erste Classe der Vorstellungen (im weitern Sinne des Worts) sind die einfachen Empfindungen selbst [...]. Die zweyte Classe enthält solche Vorstellungen, welche als Verbindungen einfacher Empfindungen in bestimmten Formen anzusehen sind; und dahin gehören
die Vorstellungen der sinnlichen Dinge, mit ihren Merkmalen, und ihrer räumlichen Gestaltung.[...] Die dritte Classe aber ergeben diejenigen Vorstellungen, deren Inhalt nicht
Empfindung ist; wie des Raumes, der Zeit, und aller übersinnlichen Gegenstände." Es ist
zumindest die Frage berechtigt, ob diese drei Klassen nicht eine merkwürdige Ähnlichkeit
mit der einfachen Empfindungsqualität des Ikons und eines Ersten, dem äußeren sinnlichen Zwang eines Index und Zweiten sowie den allgemeinsten Symbolen und Dritten bei
Peirce besitzen. Eine Vergleichsstudie zwischen Herbarts Eidologie und Metaphysik sowie
Peirces Kategorienlehre und der aus ihr folgenden Semiotik und Metaphysik könnte auch
hier zu interessanten Überraschungen führen.'''
6. Untrennbar von Herbarts Verabschiedung des transzendentalen Selbstbewußtseins ist
seine Begründung der Pädagogik als Wissenschaft, die mit Peirces pädagogischen Absichten der Logik verglichen werden können.'^
7. Durch die umfassende Edition der Peirceschen Beiträge zur Wissenschafts- und Logikgeschichte'^ sind Peirces Versuche dokumentiert, den Zusammenhang von Abduktion
und Instinkt im anthropologischen Zusammenhang zu untersuchen.^" Betrachtet man die
50 Weiss, 1928, 42^3. - Vgl. Max Frischeisen-Köhler, Herbarts Begründung des Realismus, in: Festschrift Johannes Volkelt zum 70. Geburtstag, München 1918,154-172.
51 Zitat: Herbart, HSWK, VIII, 221-222. - Zu Peirces Kategorienlehre: Peirce, SS, I (1867), 147-159
und VüP (1903), 22-79.
52 Langewand, Moralische Verbindlichkeit oder Erziehung, a. a. O. - Peirce, RLT, Vorlesung V, „Training in Reasoning", 181-196. Um diese Vorlesung herum, in der Peirce auch Herbart erwähnt,
könnten die Äußerungen Peirces über Bildung, Universität, Persönlichkeitsentwicklung u. ä. im
Zusammenhang mit dem pädagogischen Zweck der Logik und Klassifikation der Wissenschaften
systematisch zusammengetragen werden.
53 Historical Perspectives on Peirce's Logic of Science. A History of Science, 2 Bde., hg. v. Carolyn
Eisele, Beriin/New York/Amsterdam 1985.
54 In den zwischen 1931 und 1935 veröffentlichten ersten sechs Bänden der Collected Papers of Charles Sanders Peirce sind die von Peirce 1903 gehaltenen „Vorlesungen über Pragmatismus" enthalten (vollständige dt. Übersetzung durch Elisabeth Walther 1991 im Hamburger Meiner-Verlag
veröffentlicht [VüP]). Die Voriesung VI enthält den Abschnitt „Instinkt und Abduktion" (WaltherAusgabe, 115-117). Die Abduktion wird hier als einzige Schlußart beschrieben, durch welche der
Mensch zu neuen Ideen und wissenschaftlichem Fortschritt gelangen kann. Diese wissenschaftliche
Schlußart setzte Peirce in eine Tradition von 20.000 Jahren Menschheitsgeschichte. Die Abduktion
gleicht einem Instinkt des Menschen. Schon zehn Jahre zuvor beschrieb Peirce in den „Lowell
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Geschichte der Herbartianer, ihre Tendenz zur anthropologischen D e u t u n g der Sprachentstehung, könnte auch hier ein Vergleich zwischen Peirce und d e n Herbartianern untern o m m e n werden.'"'
8. Für die amerikanische Kulturgeschichte wäre es möglicherweise v o n b e s o n d e r e m Interesse, daß ca. 25 Jahre vor d e m Einzug der Pädagogik Herbarts in die Vereinigten Staaten u m ca. 1885 bis 1890'^ eine e n g e B e z i e h u n g zwischen Herbarts Philosophie als G a n z e s
und der Begründung des Pragmatismus bei Peirce bestand und daß sich in der Auseinandersetzung zwischen Peirce und William James derselbe Streit abspielte, der auch die A b lösung der Herbartschen Psychologie durch die Jamessche u m 1900 charakteresierte"'', w o bei jedoch die Verwurzelung des Pragmatismus v o n James durch die Vermittlung Peirces
im Ideenkreis sozusagen der Herbartschen „Pragmatologie"'® ebenfalls e i n e interessante
Vergleichsstudie ergeben dürfte.
O b Peirce als Herbartianer zu bezeichnen wäre, und zwar mit wahrscheinlicher w e r d e n d
mehr R e c h t als ihn Kantianer zu nennen, kann im vorliegenden beschränkten U m f a n g e
nicht beantwortet werden. Peirces N ä h e zu Kant, die nicht bestritten w e r d e n soll, und
zugleich merkwürdige Distanz zu Kant, die e b e n s o w e n i g ignoriert w e r d e n kann, würden
Institute Lectures. The History of Science" aus den Jahren 1892/93, wie sich der Affenmensch
(semian) auf Grund seiner Instinkte „Selbst- und Arterhaltung" zum wissenschaftlichen Denken
erhebt. (Historical Perspectives on Peirce's Logic of Science, a. a. O., 239-240,146) - Vgl.: Maryann
Ayim, Retroduction. The Rational Instinct, in: Transactions, 10,1974,34-43. - William H. Davis, Do
Instinctive Truths Incline Us Toward the Truth?, in: Philosophy Today, 22,1978,307-318. Diese Problematik untersucht der Autor des vorliegenden Beitrages in seiner oben (Anm. 18) genannten Dissertation als einen Schwerpunkt.
55 Weiss, 1928,228-252.
56 Kurt F. Leidecker, Herbart in den Vereingten Staaten, in: Internationale Zeitschrift für Erziehung,
10,1941,233-241. - Harold B. Dunkel, Herbartianism Comes to America, in: History of Education
Quarterly 9,1969,202-233,376-390. - Richard Ph. Krenzer, Erziehungsdenken in den Vereinigten
Staaten von Amerika. Zur Geschichte der Pädagogik in den USA von deren Unabhängigkeit an bis
hin zu John Dewey, Frankfurt/M. u. a. 1984,187-200. - Kathleen Cruikshank/Michael Knoll, Herbart in Amerika. Vom Anfang und Ende eines einflußreichen Reformkonzepts 1886-1901, in: Bildung und Erziehung, 47,1994,149-164.
57 Vgl. Leidecker, Herbart in den Vereingten Staaten, a. a. O., 234. -Jürgen Oelkers, Das Ende des
Herbartianismus. Überlegungen zu einem Fallbeispiel der pädagogischen Wissenschaftsgeschichte,
in: Rekonstruktionen pädagogischer Wissenschaftsgeschichte, hg. v. Peter Zedler/Eckard König,
Weinheim 1989,77-116, hier 84.
Mit den Entwicklungen der Psychophysik durch E. H. Weber und G. Th. Fechner sowie der experimentellen Psychologie durch W. Wundt und schließlich der empirischen Psychologie durch W.
James, veraltete Herbarts auf Mathematik, Logik und Metaphysik begründete Psychologie und
Pädagogik. Peirces Versuche, sich mit Fechners Ideen zu arrangieren, obwohl auch er (energisch gegen W. James) Psychologie auf Logik und diese auf Mathematik begründen wollte, sind Hinweise
für Peirces Bemühungen, sich mit der Entwicklung und den Schwierigkeiten der Herbart-Schule
konstruktiv (!) auseinanderzusetzen. (Hierzu vgl.: Michael Heidelberger, Die innere Seite der Natur. Gustav Theodor Fechners wissenschaftlich-philosophische Weltauffassung, Franfurt/M. 1993,
hier über Herbart 45-50 und Peirce 304-321).
58 Vgl. Anm. 44.
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DZPhü 47 (1999) 2
201
jedoch durch Untersuchungen unter dem Aspekt „Peirce als Herbartianer" neue Erklärungen finden. Das an dieser Stelle zumindest eine berechtigte neue Problematik (vielleicht nicht nur) für die Peirceforschung entwickelt werden konnte, bringt die aufrichtigste
Hoffnung der vorausliegenden Seiten zum Ausdruck.
Stejfen Schlüter, Seumestr. 14, D-10245 Berlin
Abicürzungsverzeichnis
HSWK, I-XIX-. Johann Friedrich Herbarts Sämtliche Werke, hg. v. K. Kehrenbach/O. Flügel/Th. Fritzsch,
19 Bde., Langensalza 1887-1912.
LEP: Johann Friedrich Herbart, Lehrbuch zur Einleitung in die Philosophie (1812/1837), hg. v. Wolfhart Henckmann, Hamburg 1993.
NZ: Charles Sanders Peirce, Naturordnung und Zeichenprozeß, hg. v. Helmut Pape, Frankfurt/M. 1991
(1988).
RLT. Charles Sanders Peirce, Reasoning and the Logic of Things. The Cambridge Lectures of 1898, hg.
V. Kenneth Laine Keiner, Cambridge/London 1992.
RS: Charles Sanders Peirce, Religionsphilosophische Schriften, hg. v. Hermann Deuser, Hamburg
1995.
SPP: Charles Sanders Peirce, Schriften zum Pragmatismus und Pragmatizismus, hg. v. Karl-Otto Apel
(1967/70), Frankfurt/M. 1993.
SS, I-Iir. Charies Sanders Peirce, Semiotische Schriften, hg. v. Helmut Pape, 3 Bde., Frankfurt/M.
1986-1993.
VüP: Charies Sanders Peirce, Vorlesungen über Pragmatismus (1903), hg. v. Elisabeth Walther, Hamburg 1991.
W, I-V: Writings of Charles Peirce. A Chronological Edition, 5 Bde., Bloomington u. a. 1982-1993
[Edition in Fortsetzung].
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Immanuel Kant: Metaphysische
Anfangsgründe der Rechtslehre
Herausgegeben von Otfried Höffe
Klassiker Auslegen, Band 19
Herausgegeben von Otfried Höffe
1999. VIII, 310 S. - 130 x 210 mm
Engl. Broschur, DM 29,80
ISBN 3-05-003025-9
Kant hat in der Rechts- und Staatsphilosophie manche Wertschätzung erfahren, in deren engsten
Kanon ist er aber nie gelangt. Die Aufmerksamkeit, die für die Antike Piatons PoUteia und Aristoteles' Politik erhalten, für die Wende zum christlichen Mittelalter Augustinus' De civitate dei und
für die Neuzeit Hobbes' Leviathan, Lockes Second Treatise (on Government), Rousseaus Central
social und Hegels Rechtsphilosophie,
sind Kants Rechtslehre nicht vergönnt. Für die geringere
Wirkung sind eher kontingente Ursachen, etwa Schopenhauers Urteil: „sehr schlechtes Buch" und
die Übermächtigkeit der Hegel-Schule, verantwortlich - einen minderen philosophischen Rang
hat Kants Rechtslehre nicht. Ihre Bedeutung beginnt schon bei ihrem thematischen Reichtum.
Obwohl ihr Grundgedanke, der kategorische Imperativ, eine wichtige Rolle spielt, greifen die üblichen Vorwürfe gegen Kants Moralphilosophie (Ein-Satz-Ethik, bloßer Formalismus und Ohnmacht des Sollens) hier offensichtlich nicht.
Aus dem Inhalt:
Otfried Höjfe: Einführung
Allen Wood: Kant's Doctrine of Right: Introduction
Otfried Höffe: Der kategorische Rechtsimperativ „Einleitung in die Rechtslehre"
Robert B. Pippin: Dividing and Deriving in Kant's Rechtslehre
Hans Friedrich Fulda: Erkenntnis der Art, etwas Äußeres als das Seine zu haben
Kristian Kühl: Von der Art, etwas Äußeres zu erwerben, insbesondere vom Sachenrecht (§§ 10-17)
Peter König: §§ 18-31, Episodischer Abschnitt, §§ 32-40
Terry Pinkard: Kant, Citizenship, and Freedom (§§ 41-52)
Bernd Ludwig-, Zum Staatsrecht (II) §§ 51-52; Allgemeine Anmerkung A; Anhang, Beschluss
Jean-Christophe Merle: Funktionen, Befugnisse und Zwecke der Staatsverwaltung. Zur Allgemeinen Anmerkung zu § 52, B - D
Otfried Höffe: Vom Straf- und Begnadigungsrecht
Alessandro Pinzano: Das Völkerrrecht (§§ 53-61)
Jörg Paul Müller: Das Weltbürgerrecht (§ 62) und Beschluß
Otfried Höffe: Ist Kants Rechtsphilosophie noch aktuell?
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