Jan Müller-Wieland - Münchner Philharmoniker

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Jan Müller-Wieland
Claudia Barainsky
Klaus Maria Brandauer
Friedemann Winklhofer
Philharmonischer Chor München,
Einstudierung: Andreas Herrmann
Donnerstag, 27. November 2014, 20 Uhr
Freitag, 28. November 2014, 20 Uhr
Samstag, 29. November 2014, 19 Uhr
Wir bewegen uns
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J a n M ü l l e r- Wi e l a n d
„Egmonts Freiheit
oder Böhmen liegt am Meer“
für Sprecher, Sopran, Chor, Orgel und großes Orchester
Auftragswerk der Münchner Philharmoniker
Uraufführung
– Keine Pause –
Jan Müller-Wieland, Dirigent
Claudia Barainsky, Sopran
Klaus Maria Brandauer, Sprecher
Friedemann Winklhofer, Orgel
Philharmonischer Chor München,
Einstudierung: Andreas Herrmann
Donnerstag, 27. November 2014, 20 Uhr
2. Abonnementkonzer t b
Freitag, 28. November 2014, 20 Uhr
2. Abonnementkonzer t c
Samstag, 29. November 2014, 19 Uhr
3. Abonnementkonzer t d
Spielzeit 2014/2015
117. Spielzeit seit der Gründung 1893
Valery Gergiev, Chefdirigent (ab 2015/2016)
Paul Müller, Intendant
Inhaltsangabe
Ein Zeitenflug durch das Unwesen des Menschlichen: Krieg.
Brüssel: Jubel um Egmont und seine Leute.
Clärchen singt von einer Blume und vom süßen Schlaf.
Trotz Verrat an ihm: Egmont will durchschreiten.
Aufruf zum Kampf.
Letztes Gebet vor seiner Hinrichtung.
Clärchen besingt ihre Liebe.
Der Krieg jedoch prophezeit einen Chor von ungebornen Enkeln.
Sie marschieren herbei und singen:
„Der Krieg wird nicht mehr erklärt, sondern fortgesetzt...“
Inhaltsangabe
Anselm Kiefer: „Böhmen liegt am Meer“ (Museum Frieder Burda, Baden-Baden)
Anrufung Gottes durch einen Sandler und seine Mundharmonika.
Volksschulunterricht 1914 des Lehrers Zehetbauer.
Als Moral von der „G’schicht“ Egmonts übt er mit seiner
Schulklasse das Lied „Ehret den Fremdenverkehr“.
Doch Egmonts Seele verkehrt längst fremd in einem Böhmen am Meer.
Der Chor der ungebornen Enkel träumt vom Land freier Wahl.
Clärchen erschießt sich.
Leichter Wind. Leichte Wellen.
Ein alter Mann sucht Kontakt zur Welt.
Jan Müller-Wieland
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Der Gesangstext
„Egmonts Freiheit oder Böhmen liegt am Meer“
Jan Müller-Wieland
AUFRUF
Sprecher
„Das ist des Volkes aufgeregte Stimme...“
Sprecher
„Wenn die Rentabilität...“
„...ich stehe hoch und muß noch höher steigen.“
Prestissimo, fanatico, frenetico
feierlich, leidenschaftlich
Sprecher
„Wir sind in Brüssel !“
Chor
„Hopp ! Hopp ! Hopp !...“
Jubel
Sprecher
„Soll ich fallen...“
Sprecher
„So jubeln sie und zechen wohl noch lange...“
adagio
Clärchen
„Trommeln ! Pfeifen ! Lanzen ! Herzen !
Menschen !
Blut ! Liebster ! Feind ! Todfeind ! Liebster !“
Chor
„Herzen ! Menschen ! Blut ! Feind ! Tod !
Liebe !
Sieg ! Krieg ! Jeder Zeit ihren Krieg !“
Clärchen
„Freudvoll, leidvoll, gedankenvoll sein. Hangen.
Bangen.
In schwebender Pein ! Himmelhoch !
Jauchzend. Zum Tode.
Betrübt. Glücklich allein die Seele, die liebt.“
doppeltes Tempo
„Egmont ! Egmont ! Du Guter, Süßer !“
halbes Tempo
„Bist du da ? Kommst du ?“
marziale
„Jeder Zeit ! Jeder Zeit ihren Krieg !“
Der Gesangstext
Chor
„Doch das fremde Heer bringt Ketten.
Die Fackel brennt.“
sehr zart und bedächtig, nachgeben
„Nun gilts für Alle treu das Leben wagen.“
ARIE II
pietoso
„Süßer Schlaf ! Du kommst wie ein reines
Glück.
Ungebeten, unerfleht am willigsten.
Du lösest die Knoten der strengen Gedanken,
vermischest alle Bilder...“
emphatico
largo desolato
„Umgarnt im Netz steht Egmont nun vor
König Philipps Todesboten.
Für Recht und Freiheit erhob er laut das
Wort !“
Clärchen
„Egmont !“
„...der Freude und des...“
Sprecher
„Schmerzes...“
„...Schreitet durch !“
ARIE I
lamentoso
„Süße Blume ! Bald gesunken. Einsam bluten
deine Wunden.
Müde, müde. Nun wirds stille ! Friede. Friede.
Mit dem Geiste !
Mit der Hülle !“
molto euphorico
Sprecher
„Aus ist die Zeit...“
schnellstmöglich, wahnsinnig
Sprecher
„Die Siegesgöttin führt Euch an !...“
„...fallt freudig, wie ich euch ein Beispiel
gebe.“
Chor
„O – A – ... U – A !!!“
Sprecher
„Sprich, sprich, sprich Egmont...“
5
6
Der Gesangstext
Clärchen
„Vergiß nicht, daß auch du plötzlich an jenem
Morgen,
als dein Lager noch naß war von Tau und die
Nelke an
deinem Herzen schlief, den dunklen Fluß
sahst, der an dir vorbeizog.“
Clärchen
„Aber wie Orpheus weiß ich...“
Chor
„Ja !...“
Clärchen
„...auf der Seite des Todes...“
appassionato
„Die Saite des Schweigens gespannt auf die
Welle von Blut,
griff ich dein tönendes Herz.“
Chor
„Poch, poch, poch...“
Chor
„Ja !...“
Clärchen
„...das Leben...“
adagio
Clärchen
„Verwandelt ward deine Locke ins
Schattenhaar der Nacht,
der Finsternis schwarze Flocken beschneiten
dein Antlitz.“
„...und mir blaut dein für immer
geschlossenes Aug.“
molto largamente, quasi senza tempo
„Egmont ? Die ungebornen Enkel ? Deine
ungebornen Enkel ?“
Sprecher
„Schlaf und Tod...“
„Und ich gehör dir nicht zu.“
fanatico, panico (Anfangstempo)
Chor
„Krieg !“
Clärchen
„Beide klagen wir nun.“
Chor
„Ja !“
MARSCH DER UNGEBORNEN ENKEL
lugubre, schattenhaft
Sprecher
„Egmont ? Egmont ! ...Hörst du deine
ungebornen Enkel ?...
Da sind sie ! Ein Chor !...“
Der Gesangstext
CHOR DER UNGEBORNEN ENKEL
largo, zärtlichst, innigst
7
Mundharmonika
„Du großer...“
Chor
„Der Krieg wird nicht mehr erklärt, sondern
fortgesetzt.
Das Unerhörte ist alltäglich geworden.
Der Held bleibt den Kämpfen fern.
Der Schwache ist in die Feuerzonen gerückt.
Die Uniform des Tages ist die Geduld,
die Auszeichnung der armselige Stern
der Hoffnung über dem Herzen.
Er wird verliehen, wenn nichts mehr geschieht,
wenn das Trommelfeuer verstummt,
wenn der Feind unsichtbar geworden ist
und der Schatten ewiger Rüstung den Himmel
bedeckt.
Er wird verliehen für die Flucht von den Fahnen,
für die Tapferkeit vor dem Freund,
für den Verrat unwürdiger Geheimnisse
und die NICHTnichtnichtnichtnichtnicht...
achtung
jeglichen Befehls.“
leggero, verschwimmend
Chor
„Du großer Gott ! Du großer... ! Du ! Du !...“
Clärchen
„Aus Liebe, aus Liebe, aus Liebe will mein
Heiland...“
Chor
„Heilheilheilheilheiland...“
Clärchen
„...sterben...“
Chor
„Du großer, du großer...“
Clärchen
„...aus Liebe will mein Heiland sterben,
von einer Sünde weiß er nichts, nichts
von einer Sünde weiß er nichts, nichts,
nichts...“
BÄNKELSANG
Sprecher
„Du großer Gott...“
Mundharmonika
„Du großer Gott...“
Chor
„...nichts, nichts, nichts, Du großer ! Du
großer !...“
Clärchen
„...daß das ewige Verderben und die Strafe des
Gerichts
nicht auf meiner Seele bliebe.“
8
Der Gesangstext
Chor
„Du großer Gott !“
Clärchen
„Egmont ! Egmont ! Egmont !“
Sprecher
„Erobere mir ein Land...“
vorwärts
Chor
„Du großer Gott !“...
molto estatico
Chor
„Land ! Land ! Land...“
Clärchen
„Du guter Süßer ! Du guter Süßer ! ... Süßer !
... Egmont !“
Rufe, Schreie des Chores
Revolverschuss
Chor
„Du großer ! Du großer ! Ha ! ...
Du ! Du ! Du !...“
Sprecher
„Du ! Du ! Du ! ... du...du großer...“
Chor
„...meiner...“
Mundharmonika
DER LEHRER ZEHETBAUER
Chor
„...Wahl.“
leggero, luftigst
ABRUF
Chor
„Äh ? Äh ? Äh ?...“
Sprecher
„Böhmen liegt am Meer ? Egmont ?...“
con gentilezza, mit Anmut
Sprecher
„Sind hierorts Häuser grün...“
FINALE /HYMNUS / CLÄRCHENS TOD
andante, beschwingt
Chor
„La-La-La-La-Land, Land, Land, Land, ...
meiner, meiner, meiner...“
Jan Müller-Wieland: „Egmonts Freiheit“
9
Wofür es sich zu leben lohnt
Jens Brockmeier
Jan Müller-Wieland
Lebensdaten des Komponisten
(Geboren 1966)
Geboren am 30. März 1966 in Hamburg-Ohlstedt;
lebt derzeit in München.
„Egmonts Freiheit oder Böhmen liegt am Meer“
für Sprecher, Sopran, Chor, Orgel und großes
Orchester (2012–2014)
Auftragswerk der Münchner Philharmoniker
Uraufführung
– Keine Pause –
Textvorlage
Textcollage vom Komponisten frei nach ausgewählten Texten von Johann Wolfgang von Goethe
(1749–1832), Franz Grillparzer (1791–1872), Ingeborg Bachmann (1926–1973), Georg Trakl (1887–
1914), Karl Kraus (1874–1936) und Josef Roth
(1894–1939).
Entstehung
Entstanden 2012 bis 2014 in Berlin und München
als Auftragswerk der Münchner Philharmoniker
zum 100-jährigen Gedenken an den Ausbruch des
Ersten Weltkriegs (1914–1918).
Uraufführung
Am 27. November 2014 in München in der Philharmonie am Gasteig (Philharmonischer Chor
München und Münchner Philharmoniker unter
Leitung von Jan Müller-Wieland; Sprecher: Klaus
Maria Brandauer; Sopran: Claudia Barainsky; Orgel: Friedemann Winklhofer).
10
Jan Müller-Wieland: „Egmonts Freiheit“
Was ist Neue Musik ? Eine verbreitete Antwort
lautet, Neue Musik hat mit traditionellen Klangvorstellungen gebrochen und sich von vertrauten Hörgewohnheiten gelöst. Sie ist abstrakt
– worin sowohl ein Fortschritt wie ein Manko
gesehen worden ist. Ähnliches galt lange Zeit
auch für moderne Kunst, die häufig mit abstrakter Kunst geradezu gleichgesetzt wurde: Abstraktion als das Flaggschiff der Moderne. Allerdings
hat sich in der Welt der bildenden Künste die
Auffassung schnell durchgesetzt, dass Abstraktion nur eines der künstlerischen Formprinzipien
der Moderne ist. Ein anderes ist Konkretion. Der
direkte und konkrete Zugang zur Welt, ihre präzise, anschauliche und unerschrockene Vergegenwärtigung war gleichermaßen der bildenden
Kunst wie der Musik von vornherein auf ihre
Fahnen geschrieben, ungeachtet aller Abstraktionen, die beide jeweils auf ihre Art hervorgebracht und dann weiter radikalisiert haben.
Konkretisieren, Verdichten, Versinnlichen –
also dem Auge, dem Ohr und dem Gefühl so
nahe wie möglich bringen – ist ein Bestreben
vieler musikalischer, bildnerischer und performativer Künste. Es richtet sich nicht zuletzt
auch auf solche Dinge, die ihrer Natur nach eher
abstrakt und sperrig erscheinen. Abstrakt und
sperrig ? Nun, denken wir an komplexe geschichtliche Prozesse und Konstellationen, wie etwa
solche, für die die Jahreszahl 1914 zur Chiffre
geworden ist, zum Emblem eines Epochenbruchs,
der Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts. All
dies sind begriffliche Verallgemeinerungen,
hochgradige Abstraktionen. Oder denken wir
an philosophische oder moralische Fragen wie
die, wofür es sich lohnt zu leben und zu sterben. Eine Frage, auf die es 1914 in Europa nicht
schwer war, Antworten zu finden, einfache und
heroische zumal, während nach dem großen Krieg
vielen diese Antworten abhandengekommen
waren. Was von dem heroischen Pathos übrig
blieb, waren Leerstellen, Orte voller Ruinen.
Notdürftig gefüllt mit Katastrophen­b erichten,
Abscheu und Spott, sind sie bis heute Schauplätze zahlloser fehlgeschlagener Versuche
des Wiederaufbaus.
Lassen sich solche komplexen Fragen und Reflexionen künstlerisch einholen und konkret,
also sinnfällig machen ? Jan Müller-Wieland
hat hier eine klare und entschiedene Meinung.
Wie sehr „große“ Themen und Leidenschaften
ins Konkrete alltäglicher Dinge und Gefühle
verstrickt sind, hat er in vielen seiner früheren
Werke dargelegt. Auch sein neustes, vielleicht
bislang komplexestes musikalisches und literarisches Projekt, „Egmonts Freiheit oder Böhmen liegt am Meer“, führt diese Vorstellung
weiter aus. Ein Werk für die musikalische Bühne, geschrieben für fünf, in dieser Kombination
ungewöhnliche Protagonisten – Sprecher, Sopran, großer Chor, Orgel und großes Orchester
–, das ganz bewusst keine Oper ist. Doch umso
mehr dafür imaginäre Oper, Oper im Kopf. Wobei für Müller-Wieland Musiktheater, welches
in unserer Wahrnehmung und Vorstellung entsteht,
gerade da am dramatischsten und spannendsten
wird, wo ihm die klanglich-imaginative Konkretisierung gesellschaftlicher und geschichtlicher
Spannungen und Konflikte gelingt. Keine Frage,
eine solche Sichtweise ist ungewöhnlich für
einen zeitgenössischen Künstler, ganz zu schweigen von zeitgenössischen Komponisten. So un­
gewöhnlich wie es ist, mit den Mitteln des Musiktheaters über die Bedeutung des ersten großen
11
Kriegsbegeisterung auf dem Odeonsplatz (1. August 1914)
Weltkrieges, ja des Krieges überhaupt für uns
und unsere Situation in der Gegenwart nachzudenken.
Egmont – Aufstieg und Fall eines
Kriegs- und Freiheitshelden
Das Stück beginnt, es herrscht Krieg. Doch zunächst geht es nicht um das Geschehen von
1914–1918, den eigentlichen Dreh- und Angelpunkt des Werks. Es geht um ein Kriegsgeschehen einige Jahrhunderte früher, den Freiheitskampf der Niederlande. Wir stehen mit Egmont
im Feld. Egmont – dieser Name steht in der deutschen Kulturgeschichte nicht nur für einen Kriegsund Freiheitshelden, er hat noch einen anderen
Klang. Er verbindet den edlen „Siegesfürst“ und
seinen Krieg mit einer höheren Idealität. Er
kündet von einer sublimen Lichtgestalt in Wort
und Musik, von einem Modus des Denkens,
Fühlens und Daseins, wie ihn Schiller in seiner
Besprechung von Goethes Trauerspiel „Egmont“
beschworen und Beethoven in seiner, nach
Goethes Meinung kongenialen Schauspielmusik „Egmont“ (op. 84) noch einmal überhöht
hat. Egmont, das ist Goethes dramatische Vision seines Alter Ego als Mann der Tat, als Revolutionär, Krieger und leidenschaftlicher Freiheitskämpfer:
Wie von unsichtbaren Geistern gepeitscht,
gehen die Sonnenpferde der Zeit mit unseres
Schicksals leichtem Wagen durch;
uns bleibt nichts, als mutig gefaßt, die Zügel
festzuhalten.
…
Soll ich fallen, so mag ein Donnerschlag, ein
Sturmwind,
ja selbst ein verfehlter Schritt mich abwärts in
die Tiefe stürzen
…
12
Jan Müller-Wieland: „Egmonts Freiheit“
Da lieg ich mit viel Tausenden.
Ich habe nie verschmäht, mit meinen guten
Kriegsgesellen
um kleinen Gwinst das blutige Los zu werfen;
und sollt ich knickern, wenns um den ganzen
freien Wert des Lebens geht ?
(aus „Egmont“, Johann Wolfgang von Goethe)
Mit Egmont und seinen Leuten sind wir bereit,
nicht nur für die Freiheit der Niederlande, sondern für die der ganzen Menschheit furchtlos
in den Tod zu gehen. Für „den ganzen freien
Wert des Lebens“, wie es Goethes Drama fordert, das im Revolutionsjahr 1789 uraufgeführt
wurde. So wehen die Fahnen, die Trommeln werden gerühret, die Kugeln fliegen einem um die
Ohren, Egmont wird das Pferd unter dem Leib
weggeschossen und das Trauerspiel beginnt im
Jahr 2014 aufs Neue. Wir betrachten mit gehörigem Abstand, hundert Jahre nach dem Ersten Weltkrieg, eben jene Egmont’schen Ideale,
die wiederum gut ein Jahrhundert vor dem großen Abschlachten ihre scheinbar klassischzeitlose Ausgestaltung durch die Olympier des
Theaters und des Musikdramas erfahren haben.
Wir blicken zurück auf jene Zeiten, als es keine
Frage war, warum Kriege zu führen sind und
wofür es sich in ihnen zu sterben lohnt.
Fantastische Verschiebungen
Doch was sich wie eine zeitgenössische Neubesichtigung des Goetheschen und Beethovenschen Heereslagers in Brabant ausnimmt –
Müller-Wieland geizt bei dieser Besichtigung
nicht mit seinen musikalischen Mitteln, die von
Clustern zur Identifikation bestimmter heroischer Idiome Beethovens, aber etwa auch in
Verdis „Don Carlos“ reichen – verwandelt sich,
vielleicht nicht ganz überraschend, immer mehr
in eine fantastische Erzählung. Eine Erzählung
freilich, die wie so viele andere nach den epochalen Verheerungen des Ersten Weltkriegs
ohne kohärenten Plot auskommen muss. Was
wie narrative Verwirrung erscheint, ist jedoch
genau kalkuliert. Es sind einzelne Szenen voller
Zweifel, Parodie und Groteske, die nun das Geschehen bestimmen. Eine antiheroische Gegenbewegung zeichnet sich ab. Bänkelsang und
Mundharmonika werben für die Flucht von den
Fahnen und die Tapferkeit vor dem Freund. Die
Oper im Kopf wird zu einer filmisch geschnittenen, surrealistischen Collage.
So verschiebt sich die Egmont-Szene auf einmal
an einen Bachmann-Ort. Eine gedankliche und
klangliche Wende vollzieht sich.
Wie Orpheus spiel ich
auf den Saiten des Lebens den Tod
Und in der Schönheit der Erde
Und deiner Augen, die den Himmel verwalten,
weiß ich nur Dunkles zu sagen.
(aus „Dunkles zu sagen“, Ingeborg Bachmann)
Wenige Takte danach, doch wohl noch am selben Ort, setzt der Sopran ein, begleitet von der
Orgel in den Holzregistern: „so mild und zart
wie möglich – molto lontano“. Ergänzt werden
solch intime Momente häufig von einem weit
über Schlachtfelder und Bühnen verteilten Chor,
der in variablen Zusammensetzungen verschiedene Gruppen- und Kollektivstimmen zwischen
Vordergrund und Hintergrund zirkulieren lässt.
Der Chor ist allerdings nicht nur Begleitung
oder Kommentator, sondern verleiht zusammen
13
Historischer Bezugspunkt: Lamoral Graf von Egmond (1522–1568)
mit dem Sprecher, dem Sopran und der Orgel
immer neuen Protagonisten Gestalt – von einer
Schulklasse bis zur gesamten Menschheit –
und, schon allein durch seine beträchtliche
Größe, massive Präsenz.
Zeitenthoben
Das Libretto, das diesen Stimmen und Stimmungen zugrunde liegt, hat Müller-Wieland mit
Texten von Goethe, Grillparzer, Bachmann, Trakl,
Kraus und Roth frei zusammengestellt. Es mag
sein, dass das weite Spektrum von Texten einem
sehr eigenen, ausgreifenden, sprachverwandten
und synkretistischen Zug Müller-Wielands Personalstil entgegenkommt. Der ermöglicht es ihm
wiederum, sehr unterschiedliche Literatur- und
Textgenres äußerst differenziert aufzugreifen
und musikalisch fortzuentwickeln. Die ungewöhnliche Kombination von Sprech- und Singstimmen und Instrumenten setzt sich in Details
wie der Zusammensetzung des Schlagwerks
fort; neben den üblichen Instrumenten ge­hören
dazu auch Autohupen, Watergong, Sklavenketten,
robustes Zeitungspapier, Windmaschine, Peitsche und ein Revolver.
Die Textcollage schließt Egmont historisch und
dramaturgisch an die Gegenwart an. Doch ist
ihrer Verwandlung in Musik zugleich eine zeit­
enthobene und traumlogische Qualität eigen.
Irgendwo auf den Schlachtfeldern der Jahrhunderte scheint die klassische Einheit von Ort, Zeit
und Handlung verloren gegangen zu sein. Figu-
14
Jan Müller-Wieland: „Egmonts Freiheit“
ren, Gedanken und musikalisches Material aus
verschiedensten Zeit- und Problemräumen werden miteinander in einen Dialog gebracht. Das
ist vergleichbar etwa mit Bernd Alois Zimmermanns Oper „Die Soldaten“, die der Komponist
als musikalische Zeit-Collage verstanden hat,
„als Vehikel zur Verbindung weit entlegener
Zeitschichten“. Auch Luigi Nonos „Al gran sole
carico d’amore“ strebt danach, Zeit und Raum
aufzuheben, um die Toten gescheiterter Revolutionen, von der Pariser Commune bis zur Russischen Revolution, in einer dimensionslosen
utopischen Welt miteinander zu vereinen. So
wie es in vielen Opern Henzes geschieht, die
mythologische Sujets mit den politischen und
musikalischen Spannungen der Moderne auf
eine Weise aufladen, dass Zeit und Raum zu
gänzlich imaginativen Größen werden.
gestalt Egmont wird ein zögernder, zweifelnder
und zarter Prinz von Homburg, ein strauchelnder
Weggefährte Trakls, ein subversiv-sarkastischer
Begleiter Karl Kraus’ und schließlich ein Bruder
im Geiste Ingeborg Bachmanns, der erkennt,
dass der Krieg schon längst nicht mehr auf den
Schlachtfeldern Brabants, Verduns oder Stalin­
grads stattfindet, sondern in unserer Lebenswelt, in unserem Alltag, im Überlebenskampf
der Vielen, die nicht zu dem einen Prozent gehören.
Den Egmont-Klang zurücknehmen
Vor dem Hintergrund der Kollektiverfahrung
barbarischer Kriege, einer Erfahrung, in der der
Erste Weltkrieg eine Schlüsselstellung einnimmt,
formiert sich durch die Stimmen dieser Nachfolgergestalten Egmonts eine antiheroische
Gegenbewegung. Eine Bewegung, so können
wir vermuten, zu der viele weitere beigetragen
haben. Etwa auch der Tonsetzer Adrian Leverkühn, der Romanheld von Thomas Manns „Doktor Faustus“, dem es ebenfalls um eine Abkehr
von Beethoven, insbesondere seiner Neunten
Symphonie, geht und damit von dem Humanitätsideal der Weimarer und Wiener Klassik:
„Das Gute und Edle... Ich will es zurücknehmen“.
Gleichwohl lässt Thomas Mann seinen Protagonisten selbst dabei noch als Sachwalter des
heroischen Erbes agieren, der, um sein Ziel, die
Rücknahme des Egmont-Klangs, zu erreichen,
einen faustischen Pakt mit dem Teufel abschließt.
Was all die verschiedenen klanglichen und
poetische Reflexionen, die in „Egmonts Freiheit
oder Böhmen liegt am Meer“ zu einem Ganzen
zusammengeschlossen werden, umkreisen, ist
die Auflösung der „heroischen Illusionen“, um
das Wort von Marx zu benutzen, für die Egmont
und sein Clärchen gelebt haben und der Freiheitsheld und viele der Seinen auch gestorben
sind. In diesem Multiversum von Stimmen haben
sich ihre Ideale ebenso verflüchtigt wie jene
ideale Einheit von kriegerischer Aktion, Freiheit,
und selbstbestimmter Subjektivität, die nicht
nur der Klassik als Leitbilder dienen sollten. Je
mehr wir in dem großen Zeitraffer von MüllerWielands Musik in die Gegenwart katapultiert
werden, umso mehr entzieht sich die Helden­
figur des ersten Teil des Stücks; aus der Licht-
Der Krieg wird nicht mehr erklärt, sondern fortgesetzt.
Das Unerhörte ist alltäglich geworden.
Der Held bleibt den Kämpfen fern.
Der Schwache ist in die Feuerzonen gerückt.
(aus „Alle Tage“, Ingeborg Bachmann)
15
Skizzenblatt zu „Egmonts Freiheit oder Böhmen liegt am Meer“ (Sommer 2013)
16
Jan Müller-Wieland: „Egmonts Freiheit“
Flucht von den Fahnen
Und doch ist das humane Versprechen, das Beethovens Egmont-Klang immer auch innewohnt,
und das in Thomas Manns „Doktor Faustus“
weiterhin durchscheint, in Bachmanns Gedicht
„Böhmen liegt am Meer“ so wenig negiert wie
in Müller-Wielands Werk, das Bachmanns Gedicht aufgreift und an das es anschließt. Nicht
umsonst leiht es sich von ihm seinen Titel und
sein inneres Movens, vor allem in der zweiten
Hälfte, die mit dem Erscheinen der „ungebornen
Enkel“ Egmonts beginnt. Wer sind die „ungebornen Enkel“ ? Sie entstammen einer Zukunftsvision Georg Trakls aus seinem Gedicht „Grodek“,
einer Vision, die nun eine neue Deutung erfährt.
Shakespeares Vermutung, dass Böhmen „in
Wirklichkeit“ am Meer liegt, dass die utopische
Kraft künstlerischer Imagination und menschlicher Leidenschaften nicht nur Raum und Zeit
aufheben kann, sondern auch die sogenannte
Wirklichkeit aufzusprengen – oder moderner:
zu dekonstruieren – vermag, diese HerzblutThese der Musik wie aller Kunst durchzieht auch
Müller-Wielands „Egmont“. Das Musiktheater
also als gleichermaßen moralische wie fantastische Anstalt ? Gewiss, wo sonst ließe sich
konkret veranschaulichen, dass Egmonts Ideal
der Freiheit, das, wofür es sich zu leben lohnt,
längst nicht mehr im Krieg, sondern nur noch,
in Ingeborg Bachmanns Worten, in der „Flucht
von den Fahnen“ und der „Tapferkeit vor dem
Freund“, in einem Wort, in der Liebe zu Clärchen
eine mögliche Wirklichkeit hat.
Jan Müller-Wieland und die
böhmische Dimension unseres
Musikverständnisses
Müller-Wielands Werkverzeichnis umfasst eine erstaunliche Vielzahl musikalischer Genres
und Kompositionen mit ungewöhnlichen Besetzungen und Kombinationen. Vielfältige Interessen und Neugierden sind da zu entdecken,
das Spektrum der Themen, auch der „großen“,
ist lang. Aufgewachsen im Norden ist er nach
Stationen in Lübeck, Köln – unter anderem als
Student von Hans Werner Henze –, Berlin und
Rom, um nur die wichtigsten zu nennen, seit einigen Jahren im Süden sesshaft, als Professor
für Komposition an der Hochschule für Musik
und Theater München und als freier, begehrter
Gastdirigent internationaler Klangkörper. Doch
es ist nicht allein die musikalische und intellektuelle Weite des Spektrums moderner und
experimenteller Werke, die hervorsticht. Da ist
auch das für einen Musiker außerordentlich
enge Verhältnis zum Wort, die Vertrautheit mit
der Literatur, der deutschsprachigen zumal. Das
aber heißt, Komponieren vollzieht sich als ständige Auseinandersetzung mit der Sprachlichkeit
der Musik und der Musikalität der Sprache. Die
Grenze zwischen musikalischen und verbalen
Sprachformen ist dabei sehr durchlässig – wenn
wir einmal von der Frage absehen, ob sie denn
überhaupt besteht außerhalb musikwissenschaftlicher und musikästhetischer Diskurse.
Bei Müller-Wieland hat sie jedenfalls schon
früh an Bedeutung verloren. Man könnte auch
sagen, sie ist zweitrangig gegenüber dem Gegenstand, Sujet oder dramatischen Geschehen.
17
Jan Müller-Wieland dirigiert als Leonard-Bernstein-Stipendiat in Tanglewood
Auf dessen Konkretisierung, also auf die künstlerische Bedeutung kommt es ihm an, und nicht
darauf, ob der Klang dem nahekommt, was im
19. und 20. Jahrhundert absolute oder reine
Musik genannt wurde. Der Egmontsche Klang
macht das besonders sinnfällig. Über die Jahrhunderte tradiert, ist er ein Phänomen, das gleichermaßen durch die Sprache Goethes wie die
der Musik Beethovens lebt, ein Phänomen, das
zu dem symbolischen Geflecht gehört, in das
beide verstrickt sind. Er ist auf uns gekommen
wie das Licht längst verglühter Galaxien, Sternenstaub, den die Worte Trakls und Bachmanns
wie die Klänge Zimmermanns, Nonos und Henzes widerspiegeln, während sie ihn zugleich zu
konterkarieren suchen. Es ist dieses Geschehen,
das uns wiederum das Sprachmusikwerk
„Egmonts Freiheit oder Böhmen liegt am Meer“
zu vergegenwärtigen sucht.
Die Arbeit am Sprachmusikwerk treibt MüllerWieland seit Langem um. Sie ist wie ein Fluss,
der vieles mitreißt und zusammenführt, Musikalisches von einem Ufer, Sprachliches vom
anderen. Viele seiner Kompositionen, und nicht
allein die 15 abendfüllenden Musiktheaterwerke,
sind das Ergebnis intensiver Beschäftigung mit
Literatur und Poesie. Die Werke fast aller großen Namen der deutschsprachigen Literatur
gehören dazu, von Goethe, Schiller, Hölderlin
und Heine zu Kleist, Chamisso, Rilke, Hofmannsthal, Kafka und Nelly Sachs, um nur die Klassiker
zu nennen. Hinzu kommen Gegenwartsautoren
und -autorinnen, wie etwa Birgit Müller-Wieland,
18
Jan Müller-Wieland: „Egmonts Freiheit“
mit der er verheiratet ist und die an mehreren
seiner Projekte literarisch beteiligt ist.
„lamentoso“ oder „doloroso“ – also schmerzliches Empfinden – abverlangt.
So wie sich literarische Texte, aber auch Nichtliterarisches in musikdramatische Kompositionen verwandeln, so transformieren sich andererseits Klangstrukturen in sprachliche, sprachförmige und sprachhafte Gestalten. Wie eindringlich und unmissverständlich diese Gestalten werden können, dafür steht etwa auch
Müller-Wielands jüngstes Werk „Musik für eine
Kirche“ vom Juli 2014, komponiert anlässlich
des 70. Jahrestages des SS-Massakers im toskanischen St. Anna di Stazzema. Ebenso sein
Klavierdoppelkonzert „Zärtliche Kräfte“ vom
vergangenen Frühjahr.
Am flexibelsten aber lotet der Chor den Raum
der tausend und einen Übergänge zwischen
verbalem und musikalischem Klang aus. Von
„hauchend“, „zart, flüsternd“ und in „leisestem
Ausatmen ! Als ob man eine Fensterscheibe
anhaucht“ zu „dumpf, tonlos, aussichtslos, deprimierend, todkrank stöhnend“ reichen seine
Register im piano und pianissimo. Auf der anderen Extremseite ist seine Sprachmusik als
„fanatisch“ und „frenetisch“ notiert. Sie ist „keifend“, „hämisch“ und „so teuflisch wie möglich“.
„Alptraumrufe“ sind ihr genauso eigen wie das
Skandieren „wie auf einer Straßendemo“. Die
Klangflächen des Menschlichen, hier sind sie
das Terrain eines virtuosen Chores.
Das heißt also, wir nehmen teil an zwei gegenläufigen Bewegungen innerhalb eines poetischklanglichen Kontinuums. Wie nuanciert sich
dieses Kontinuum abstuft, macht ein Blick in
die Artikulationsanweisungen der Partitur von
„Egmonts Freiheit“ deutlich. Die Anweisungen
gelten nicht nur den Solostimmen, an einer Stelle ruft der Sprecher etwa „mit aller Wut“, während der Sopran „verzweifelt“ ist, sie geben
gleichermaßen den Instrumenten einen anthropomorphen Klangraum vor. Zum Beispiel den
Celli, auch ihre Saiten müssen „verzweifelt“
gestrichen werden. „Aschfahl“ versenken sich
die Geigen in „tiefen Schmerz“. Für einige Takte klingen die Posaunen „exaltiert“ und die
Trompeten „schmiegsam“, die Streicher sind
„bedächtig“, „schattenhaft“ und „zärtlichst,
nach innen“. Die Klarinette gestikuliert „schelmisch“ und die Orgel, oft durch Wirkungsnotation definiert, muss „monströs“ oder „ermattet“
gespielt werden. Selbst den Crotales wird ein
Es scheint, dass Müller-Wielands Erkundungen
der Symbiose von Musik und Sprache in seinem
Egmont-Projekt unser Verständnis dieser Symbiose um eine neue Dimension bereichert haben. Vielleicht können wir sie die böhmische
Dimension nennen.
19
Das Interview
Neun Fragen an Jan Müller-Wieland
Ihr prägendstes Konzerterlebnis ?
Bernsteins „Jeremiah“-Symphonie von 1942
unter Ozawa in Tanglewood 1991 mit dem
Tanglewood-Festival-Orchestra. „The Year after
Lennies Death“ wurde das Jahr 1991
in Tanglewood genannt.
Jemals einen Plan B gehabt zum
Berufswunsch Komponist ?
Tischler. Denn ich wollte mit 14 nicht weiter zur
Schule gehen.
Dirigiert man eigene Kompositionen am
besten selbst ?
Wenn es passt und richtig ist.
Gibt es Momente ohne Musik ?
Zuhause habe ich noch nicht einmal eine
Stereoanlage. Zuhause ist Musikruhe.
Sonst kann ich nichts in mir hören.
Ihr Lieblingsgefühl ?
Gleich beginnt die Probe mit den Münchner
Philharmonikern.
Kann man Komponieren lernen ?
Man kann nicht. Man muss.
Was haben Sie von Ihren Studenten
gelernt ?
Wie schnell die Zeit vergeht. Und: Das
Wichtigste ist Vertrauen.
Die beste innere Einstellung für einen
Konzertbesucher ?
Die Gedanken sind frei.
Warum muss man die musikalische
Vergangenheit kennen, um in die
musikalische Zukunft blicken zu können ?
„Kein Mensch muss müssen“, sagt Lessings
Nathan. Man muss nichts. Doch jeder Baum hat
Wurzeln, und nichts ist vom Storch je
abgeworfen worden. Oder doch ?
Die Fragen stellte Thomas Sonner
20
Die Künstler
Jan Müller-Wieland
Dirigent
wood-Music-Center), wo er an Dirigierkursen
bei Oliver Knussen und Seiji Ozawa teilnahm.
Der gebürtige Hamburger Jan Müller-Wieland
studierte er an der Musikhochschule Lübeck
Komposition bei Friedhelm Döhl, Kontrabass bei
Willi Beyer und Dirigieren bei Günther Behrens.
Kompositionsunterricht nahm er zudem auch bei
Hans Werner Henze in Köln und Rom. Jan MüllerWieland erhielt zahlreiche Preise (Förderpreis für
Komponisten der Ernst-von-Siemens-Musikstiftung, Hindemith-Preis des Schleswig-Holstein
Musik Festivals, Förderpreis des Hamburger
Bach-Preises, Hauptpreis der Lübecker PossehlStiftung, u. a.) sowie Stipendien in Frankreich
(Cité des Arts Internationales in Paris), Italien
(Villa Massimo in Rom) und in den USA (Tangle-
Von 1993 bis 2007 lebte Jan Müller-Wieland als
freischaffender Komponist und Dirigent in Berlin. Seit 2007 ist er Professor für Komposition
an der Hochschule für Musik und Theater München. Er komponierte über 130 Werke, darunter
fünfzehn abendfüllende Werke für das Musiktheater, wie „Kain“ für die Hamburgische Staatsoper, „Komödie ohne Titel“ für die Staatsoper
Unter den Linden, „Nathans Tod“ nach George
Tabori sowie Instrumentalwerke, inklusive vier
Symphonien, und Solokonzerte, unter anderem
für Jens Peter Maintz, Daniel Hope oder Evelyn
Glennie. Weitere Auftraggeber waren u. a. die
Deutsche Staatsoper Berlin, die Münchener
Biennale, die London Sinfonietta, das Holland
Festival, die Expo 2000, die Reihe Bonn-Chance
der Bonner Oper und des Bonner Beethovenfestes,
die Musikfabrik NRW, das Ensemble Resonanz,
das Ensemble Acht, die Ernst-von-SiemensMusikstiftung, das Beaux-Arts-Trio, das MenuhinFestival in Gstaad, das Feldkirch-Festival und die
Kasseler Musiktage.
Als Dirigent stand Jan Müller-Wieland u. a. am
Pult der Staatskapelle Berlin, des Deutschen Symphonieorchesters Berlin und des Babelsberger
Filmorchesters, mit dem er anlässlich der Wiedereröffnung des Berliner Admiralspalasts „Die
Dreigroschenoper“ (mit Campino und Katrin Sass,
inszeniert von Klaus Maria Brandauer) aufführte.
21
Die Künstler
Claudia Barainsky
Klaus Maria Brandauer
Sopran
Sprecher
Claudia Barainsky wurde in Berlin geboren und
studierte Gesang an der dortigen Hochschule der
Künste bei Ingrid Figur, Dietrich Fischer-Dieskau
und Aribert Reimann. Ihr breitgefächertes Repertoire umfasst Werke aus allen Epochen des Musiktheaters. So gestaltete sie Partien wie die Anna in Heinrich Marschners „Hans Heiling“, Badi‘at
in Hans Werner Henzes „L‘Upupa“, die Titelpartien
in Johann Adolf Hasses „Cleofide“ und in Reinhard
Keisers „Die römische Unruhe oder Die edelmütige
Octavia“ genauso wie die Titelpartie in Alban Bergs
„Lulu“, die Marie im „Wozzeck“ und die Marie in
„Die Soldaten“ von Bernd Alois Zimmermann. Für
ihre Darstellung der Titelpartie in Aribert Reimanns
Oper „Medea“ in Frankfurt erhielt Claudia Barainsky 2011 den deutschen Theaterpreis „Der Faust“.
Höhepunkte der letzten Spielzeit waren u.a. ihre
erfolgreiche Gestaltung der Maria Magdalena
in der Uraufführung von Mark Andrés „Wunderzaichen“ am Staatstheater Stuttgart.
Klaus Maria Brandauer stammt aus Altaussee in
der Steiermark und gehört zu den wichtigsten und
bekanntesten Bühnen- und Filmschauspielern unserer Zeit. Seit mehr als vierzig Jahren ist er Mitglied im Ensemble des Wiener Burgtheaters, wo
er als Hamlet, Don Carlo, Tartuffe, Cyrano de
Bergerac und Nathan der Weise auftrat. Seit einigen Jahren ist Klaus Maria Brandauer regelmäßig am Berliner Ensemble zu erleben. Dort spielt
er die Titelrollen in der zehnstündigen Fassung
von Schillers „Wallenstein“, in „Ödipus auf Kolonos“ von Sophokles und den Dorfrichter Adam in
Heinrich von Kleists „Der zerbrochene Krug“. Im
Jahr 2013 erarbeitete er mit „Das letzte Band“
erstmals ein Stück von Samuel Beckett und ist
seit Dezember 2013 in der Titelrolle in „König
Lear“ am Wiener Burgtheater zu sehen. Bereits
1970 begann Klaus Maria Brandauers internationale Filmkarriere. Er spielte u. a. in „James Bond
007 – Sag niemals nie“ sowie in „Jenseits von
Afrika“ von Sydney Pollack.
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Die Künstler
Die Künstler
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Auftakt
Komponisten
Die Kolumne von Elke Heidenreich
Warum ergreift uns manche Musik im
Konzertsaal und andere lässt uns kalt?
Warum versinken einige selig beim Zuhören und andere kramen in der Tasche
und sind unkonzentriert, was sich dann
meist auch in störendem Husten zeigt?
Warum klatschen sich einige am Ende
die Hände heiß, während andere nach
dem letzten Ton sofort zur Garderobe hetzen? Es
mag mit dem Stück zu tun haben, mit der persönlichen Stimmung an diesem Tag, aber ich habe bei
vielen Auftritten, bei denen ich als Erzählerin mit
Musikern auf der Bühne saß, gemerkt, wie man
auch unkonzentrierte Zuhörer fesseln kann: indem
man mehr über die Komponisten erzählt. Man hört
anders, wenn man weiß, dass zum Beispiel Schubert einer der Sargträger von Beethoven war und
dass er nach der Beerdigung im Gasthaus sein Glas
hob auf den, der als nächster Beethoven folgen
würde – und dass er selbst es war, nicht einmal
zwei Jahre später, 1828; oder wenn man weiß, dass
der Großvater von Felix Mendelssohn-Bartholdy
jener berühmte jüdische Philosoph Moses Mendel
war, der Freund Lessings, das Vorbild für Nathan
den Weisen; oder wenn man darüber staunt, dass
Beethoven Kellnern das Essen, das ihm nicht
schmeckte, ins Gesicht warf – warum war er so
schlecht gelaunt? Weil er Musiker war und taub,
das Schlimmste, was passieren konnte. Oder dass
Mozart nicht so arm war wie man immer sagt – er
hat es halt mit vollen Händen rausgeworfen, und
er war auch nicht so prächtig, wie er da in Salzburg
vor der Residenz in Bronze steht – gerade mal einen
Meter fünfzig war er groß, pockennarbig, glubsch-
äugig, ein Doppelkinn. Oder wussten
Sie, dass Anton Bruckner einen Zählzwang hatte? Nicht nur bei den Takten seiner unglaublich langen Sinfonien – er zählte auch die Pflastersteine auf der Straße und die Perlen
der Frauen, und überhaupt, Bruckner
und die Frauen! Ein Leben lang hat er
versucht, eine für sich zu gewinnen, mit Briefen,
Blumensträußen, Anträgen – immer jünger wurden
die Angeschwärmten, immer geringer seine Chancen, bei einer landen zu können, denn er war ein
wenig unbeholfen, vielleicht naiv. Gustav Mahler
soll gesagt haben: „Halb ein Gott, halb ein Trottel“, und die Erotik strahlte wohl eher seine kraftvolle Musik aus als seine Gestalt …ach, wenn
man das alles weiß, hört es sich manchmal anders, was da ertönt, denn nicht Götter haben diese Musik geschrieben, sondern Menschen. Menschen mit Lieben, Leiden, Ticks und Schwächen
– denken Sie an Mahler, der seiner Alma das
Komponieren glatt verbot, an Puccini, der seine
Elvira betrog, indem er einen Studenten anmietete, der im Gartenhäuschen Klavier spielte, während er zur Jagd oder zur Geliebten ging, und abends
sagte Elvira: „Heute hast du aber schön gespielt,
Giacomo!“
Im Konzertsaal hören wir Musik von Menschen, die
sind, die waren wie wir – mit einem Unterschied:
ihnen war ein wunderbares, göttliches Talent gegeben. Lassen wir uns davon beglücken, ohne das
Menschliche zu vergessen.
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Abschied (I)
Unsere Hornistin Maria Teiwes wechselt zu den
Bamberger Symphonikern und tritt dort die Stelle
als Solo-Hornistin an.
Abschied (II)
Barbara Kehrig hat die Stelle als Kontrafagottistin
beim Konzerthausorchester Berlin gewonnen, die
sie zum Start der Saison 2014/15 antreten wird.
Herzlich willkommen (I)
Wir begrüßen bei den Philharmonikern Floris Mijnders (Solo-Cello), Fora Baltacigil (Solo-Kontrabass),
Teresa Zimmermann (Solo-Harfe) und Mia Aselmeyer (Horn). Sie treten zum Beginn der neuen
Spielzeit ihre Stellen und das damit verbundene
Probejahr an. Ein Kurzportrait finden Sie auf den
folgenden Seiten.
Herzlich willkommen (II)
Ebenso herzlich heißen wir Sigrid Berwanger, Jiweon Moon und Laura Mead (2. Violinen), Christa
Jardine und Julie Risbet (Bratschen), Johannes
Hofbauer (Fagott) sowie Thiemo Besch (Horn) will-
25
kommen. Sie haben einen Zeitvertrag für die Saison 2014/15 erhalten.
Kampala, Uganda
Zu Gast in der Kampala Music School in Uganda.
Im August reisten zum ersten Mal Mitglieder des
Orchesters in die ugandische Hauptstadt Kampala,
um dort mit Kindern und Musikern der Musikschule in Workshops gemeinsam zu musizieren und Konzerte zu geben. Die Eindrücke in diesem tollen ostafrikanischen Land mit unglaublichen Menschen,
die Shengni Guo, Traudl Reich und Maria Teiwes
dort erlebten, können Sie in unserem Blog nachlesen bei facebook.com/spielfeldklassik.
Fußball
Eine höchst unglückliche Niederlage beim Fußballspiel gegen das Team des Bayerischen Staatsorchesters musste der FC Philharmoniker verzeichnen. Stark ersatzgeschwächt – sechs Stammkräfte mussten verletzungsbedingt kurzfristig absagen
– und trotz drückender spielerischer Überlegenheit
mit ansehnlichen Ballstaffetten nutzten selbst
klarste Elfmeterchancen nichts: das Spiel ging mit
0:1 verloren. Wir gratulieren dem Staatsorchester
und freuen uns auf das nächste Match. Wie es noch
besser geht, erlebten dann beide Mannschaften
beim WM-Viertelfinale Deutschland gegen Frankreich – das Spiel schauten sich alle in kollegialer
Eintracht beim gemeinsamen Grillen an.
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Konzertübersicht 2014/15
Eine Broschüre mit den neuen Konzertprogrammen
für die Spielzeit 2014/15 ist ab sofort in den Auslagen im Foyer des Gasteigs erhältlich. Allen Abonnenten wurde im Vorfeld der Saison eine Broschüre
mit den Programmen nach Abo-Reihen zugeschickt.
Sollten Sie kein Exemplar erhalten haben, bedienen
Sie sich bitte an den Auslagen oder wenden Sie sich
bitte an unser Abo-Büro.
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Philharmonische Notizen
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Wir begrüßen...
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Mia Aselmeyer
Teresa Zimmermann
Instrument: Horn
Instrument: Harfe
Mia Aselmeyer wuchs
in ihrem Geburtsort
Bonn auf und war Jungstudentin an der Kölner
Musikhochschule bei
Paul van Zelm. Während
des Studiums an der
Hochschule für Musik und Theater in Hamburg bei
Ab Koster war sie Mitglied der Jungen Deutschen
Philharmonie und Stipendiatin der Orchesterakademien des Schleswig-Holstein Musikfestivals und
der Sächsischen Staatskapelle Dresden. Für die
vergangene Saison erhielt sie bereits einen Zeitvertrag bei den Münchner Philharmonikern, nach
ihrem erfolgreichem Probespiel tritt sie nun ihr
Probejahr zur festen Stelle an.
„Mit der Stelle bei den Münchner Philharmonikern
erfüllt sich mir ein Lebenstraum. Ich bin gespannt
darauf mit dem Orchester an die unterschiedlichsten Orte zu reisen und der Welt somit die Stadt
München ein Stück näher zu bringen“, bekennt Mia
Aselmeyer, die in ihrer Freizeit gerne München und
das Umland entdeckt und ihre Häkel- und Backtechniken verfeinert.
Teresa Zimmermann
erhielt ihren ersten
Harfenunterricht in ihrer Heimatstadt Hannover mit sechs Jahren.
2008 schloss sie ihr
Studium bei Maria Graf
an der Hochschule für Musik „Hanns Eisler“ in Berlin mit Auszeichnung in der Solistenklasse ab. Sie
erhielt zahlreiche Preise und Auszeichnungen bei
allen bedeutenden internationalen Wettbewerben
für Harfe.
Seit Jahren konzertiert sie als Gast bei renommierten europäischen Orchestern und war seit
2013 Solo-Harfenistin des Philharmonia Orchestra London. Solokonzerte gab sie unter anderem
mit den Duisburger Philharmonikern, dem Warschauer Sinfonieorchester und dem Konzerthausorchester Berlin. 2011 wurde sie von ARTE unter der
Moderation von Rolando Villàzon für die Sendung
„Stars von morgen“ aufgenommen. Seit Dezember
2011 unterrichtet sie als Dozentin für Harfe eine
Hauptfachklasse an der Hochschule für Musik, Theater und Medien Hannover.
„Ich habe noch nie in Süddeutschland gelebt und
bin gespannt, was mich erwartet“, erzählt sie. „Als
begeisterte Sportlerin freue ich mich sehr auf die
viele Natur und die gute Luft!“
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Fora Baltacigil
Floris Mijnders
Instrument: Bass
Instrument: Cello
Fora Baltacigil, geboren in Istanbul, erhielt
ab dem Alter von neun
Jahren Bass-Unterricht
von seinem Vater, dem
Solo-Kontrabassisten
des Istanbul State Symphony Orchestra. Später studierte er bis zum Jahr
2002 am Istanbul University Conservatory und erhielt 2006 sein künstlerisches Diplom am Curtis
Institute of Music in Philadelphia, wo er Schüler
Hal Robinsons und Edgar Meyers war.
Fora Baltacigil war Mitglied der Berliner Philharmoniker und Solo-Bassist des Minnesota Orchestra und des New York Philharmonic Orchestras.
Als Solist spielte er mit dem Minnesota Orchestra
John Harbisons „Concerto for Bass Viol“ und trat
zusammen mit seinem Bruder Efe, dem Solo-Cellisten des Seattle Symphony Orchestras, mit den Berliner Philharmonikern unter der Leitung von Sir Simon Rattle auf (Programm: Giovanni Bottesinis
„Grand Duo Concertante“).
Seine Freizeit verbringt Fora Baltacigil – wenn er
nicht gerade als Hobby-Koch am Herd steht und
neue Rezepte ausprobiert – gerne als begeisterter
Segler und Taucher in bzw. auf dem Wasser.
Floris Mijnders, geboren in Den Haag, bekam
als Achtjähriger den
ersten Cello unterricht
von seinem Vater. Ab
1984 studierte er bei
Jean Decroos am Royal
Conservatory Den Haag. Während seines Studiums
spielte er im European Youth Orchestra und besuchte Meisterklassen bei Heinrich Schiff und
Mstislav Rostropovich.
Mijnders wurde 1990, kurz nach Studienende,
1. Solo-Cellist im Gelders Orkest in Arnhem. Nicht
viel später wechselte er in gleicher Position zum
Radio Filharmonisch Orkest. Seit 2001 war er
1. Solo-Cellist des Rotterdam Philharmonic Orchestra und wurde als Solo-Cellist von zahlreichen
renommierten europäischen Orchestern eingeladen.
Als Solist trat er mit vielen europäischen Orchestern auf, unter anderem mehrmals mit dem Concertgebouw Orchestra Amsterdam und dem Radio
Filharmonisch Orkest. Floris Mijnders ist Professor
für Violoncello am Sweelinck Concervatorium Amsterdam.
Neben der Musik ist Kochen Floris Mijnders Leidenschaft. Er freut sich auf die Zeit in München und
darauf, die schöne Natur Bayerns genießen und im
Winter Schlittschuhlaufen gehen zu können.
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Wir begrüßen...
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Über die Schulter geschaut
Im Dienste der Musik – die Notenarchivare
der Münchner Philharmoniker
Christian Beuke
Gefragt nach einem typigerne arbeiten die beiden
schen Arbeitstag, fällt ihre
Archivare für den EhrenAntwort kurz, prägnant und
dirigenten, Zubin Mehta.
mit einem Schmunzeln aus:
Denn pünktlicher als er ist
„Den gibt es nicht.“ Thomas
niemand. „Von ihm kommt
Lang und Georg Haider ardie Quinte mindestens drei
beiten seit zehn bzw. fünf
Monate vor der ersten ProJahren als Notenarchivare
be. Mehr als ausreichend
Zeit, damit wir die fertigen
bei den Münchner Philharmonikern. Vor allem sind sie
Stimmen pünktlich an die
dafür verantwortlich, dass Thomas Lang und Georg Haider (von links auf dem Foto) Orchestermusiker überdie Striche – die Auf- und arbeiten seit zehn bzw. fünf Jahren als Notenarchivare geben und sie die ProAbstriche der Streicher –
gramme vorbereiten könkorrekt in jede Stimme und nach den Wünschen des
nen. Unser Anspruch ist es, immer zwei bis drei
Dirigenten eingetragen sind. „Manche Maestri
Projekte voraus zu sein“, erläutert Georg Haider.
schicken uns eine sogenannte „Quinte“ – die ein„Treten Programmänderungen auf, hat die Aktualigerichteten Striche von je einer 1. und 2. Geige,
tät natürlich immer Vorrang.“
Bratsche, Cello und Bass“, erklärt Georg Haider.
Was sich auf den ersten Blick simpel anhört, ist
Durch ihre Hände wandern mitunter wahre Schätbei genauerem Hinsehen wesentlich komplexer.
ze. Gustavo Dudamel war sofort Feuer und Flamme
Jeder Maestro hat unterschiedliche Erwartungen:
als er hörte, dass es bei den Münchner Philharmoder eine bevorzugt das Notenmaterial eines benikern noch alte Noten gebe, die von Celibidache
stimmten Verlags, weil er mit diesen Noten schon
eingerichtet wurden und aus denen er dirigiert hat.
seit Jahren arbeitet. „Lorin Maazel hat dank seines
„Er fragte, ob er nach einer Probe kurz bei uns vorfotografischen Gedächtnisses sofort erkannt, ob es
bei kommen dürfe, um sich Partituren genauer an„sein“ Material war“, erinnert sich Thomas Lang.
zusehen“, berichtet Thomas Lang. „Fast eine Stun„Diese Stelle war doch bisher immer oben links auf
de war er da“ – eine Ausnahme, wie er gerne offen zugibt. „Mit offenem Mund hat er zugehört als
dieser Seite. Es ist ein wenig ungewohnt, wenn sie
auf einmal woanders auftaucht“, so der Kommentar
ich ihm sagte, dass die Münchner Philharmoniker
des Maestros. Andere Dirigenten sind dagegen
fast alle Orchesterwerke Richard Strauss’ vom
sehr an den neuesten Ausgaben interessiert, die
Komponisten selbst geschenkt bekommen haben.“
erst ganz frisch herausgekommen sind. Besonders
In der Tat eine absolute Besonderheit.
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Auch ein guter Draht zu den Musikern des Orchesters ist für Thomas Lang und Georg Haider selbstverständlich. Wünsche einzelner Kollegen werden
sofort erfüllt, sei es die Vergrößerung von Stimmen, das Übertragen kurzer Passagen in einen
anderen Notenschlüssel oder die Bereitstellung
von Stimmen auch mal früher als normalerweise
üblich. Wolfgang Berg, Bratscher und Erfinder des
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Odeonjugendorchesters, fragt regelmäßig für das
Patenorchester nach einer Quinte, damit die jungen Musiker die Striche in ihr gekauftes Material
übertragen können. Gleiches gilt für das Abonnentenorchester. Und unlesbare Stimmen, im letzten
Falle waren das zwei Soloviolinen, die in einem
Notensystem – „für das menschliche Auge kaum
mehr wahrnehmbar“ – zusammengefasst waren,
werden fein säuberlich getrennt neu notiert. Für
das beste künstlerische Ergebnis.
Georg Haider hat u.a. Komposition studiert. Bevor
er bei den Münchner Philharmonikern anfing, war
er als freischaffender Komponist tätig. Erst kürzlich
hat er mit einem außergewöhnlichen
Projekt von sich Reden gemacht: dem
Klangbuch „Der Dritte Mann“, nach
dem Roman von Orson Welles. Die
Musik für vier Zithern, Posaune und
Schlagzeug hat er ursprünglich für
ein Zitherfestival komponiert. Gemeinsam mit dem Sprecher Norbert
Gastell, mit verstellter Stimme als
Synchronstimme von Homer Simpson bekannt, ist ein Melodram entstanden, das der Mandelbaumverlag
herausgebracht hat. Deutschlandradio Kultur rezensiert: „Dieser „Dritte Mann“ ist kein
Futter für das Autoradio, kein Unterhaltungskrimi,
kein Auffrischen einer bereits bekannten Erzählung.
Georg Haiders „Der Dritte Mann – Orson Welles’
Schatten“ ist uneasy listening, faszinierend-verstörende Hörkunst, die bewusstes Hören erfordert.
Und nachdem man diesen Stoff mit anderen Ohren
gehört hat, wird man vermutlich auch den Film mit
anderen Augen sehen.“
Stets im Dienste der Musik eben.
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In der Regel aber wird das Notenmaterial eingekauft. Bedingung für den Erwerb ist, dass die Rechte der Komponisten an den Werken freigeworden
sind. In Deutschland ist das 70 Jahre nach dem Tod
des Komponisten der Fall. Richard Strauss zum
Beispiel ist also noch bis zum 1.1.2020 geschützt.
In Asien oder auch in Amerika gelten hingegen andere Regeln. So war in den USA bis vor kurzem
jedes Werk 50 Jahre nach dem Erscheinen des
jeweiligen Erstdrucks geschützt. Wann werden
welche Werke frei? Welche neuen Urtexte gibt es?
Fragen, die die beiden Archivare aus dem Stand beantworten können. Ein guter Draht zu den Musikverlagen ist dabei mehr als hilfreich, ja geradezu
Voraussetzung. Thomas Lang hat viele
Jahre in einem großen Notenverlag
gearbeitet, er kennt auch die andere
Seite bestens und hat schon die eine
oder andere kritische Situation still und
einvernehmlich gelöst. Vorher war er
als Dramaturg an verschiedenen Theatern in Deutschland tätig. Kein Wunder, dass seine große Liebe der Oper
gilt, genauer gesagt der unentdeckten
Oper. Mehr als 600 verschiedene Opern
hat er bereits gesehen, dafür reist er
durch ganz Deutschland, wann immer
es die Zeit zulässt. Besonders angetan ist er von
den zahlreichen Raritäten, die das Stadttheater Gießen schon seit Jahren ausgräbt.
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Orchestergeschichte
Die Philharmoniker im Ersten Weltkrieg
Gabriele E. Meyer
„Oesterreich-Ungarn erklärt den Krieg – Der Ernst
der Stunde – Vor der Entscheidung – Krieg oder
Frieden? – Der Krieg – Der Weltkrieg“ titelte die
Münchner Presse kurz vor und nach dem Ausbruch
des Ersten Weltkriegs. Die am Abend des 1. August verkündete allgemeine Mobilmachung machte die seit der Neuaufstellung im Herbst 1908 sukzessiv erreichte künstlerische und finanzielle Stabilisierung der Münchner Philharmoniker (damals
noch Konzertvereins-Orchester) mit einem Schlag
wieder zunichte. Nach einigen Wochen quälender
Unsicherheit und der inzwischen erfolgten Kündigung der Musiker als Mitglieder des „Konzertvereins“ eröffnete das Orchester unter Beibehaltung des offiziellen Namens die Saison 1914/15
mit sechs Volks-Symphonie-Konzerten „zugunsten
deutscher Orchestermusiker“. Initiator der Serie,
die für dieses Vorhaben mittels „erlesener Genüsse, Dirigenten von Ruf und billige Eintrittspreise“
um möglichst viele Besucher warb, war Richard
Strauss, Begründer der Genossenschaft deutscher
Tonsetzer; er übernahm sogleich die beiden ersten
Konzerte. Seinem Aufruf folgten Bruno Walter (2
Konzerte), Siegmund von Hausegger und Ernst
Boehe. Von diesen sehr gut besuchten Veranstaltungen scheint eine Initialzündung für die gesamte Spielzeit ausgegangen zu sein, konnten doch
trotz kriegsbedingter Schwierigkeiten bis Mitte
des folgenden Jahres alle 12 Abonnementskonzerte durchgeführt werden. Dazu kamen noch 2
„Mitgliederkonzerte“, 27 Volkssymphoniekonzerte, 13 Wohltätigkeitskonzerte, 9 „Fremdkonzerte“,
1 Moderner Abend, 1 Richard- Strauss-Konzert zu
dessen 50. Geburtstag, 1 Konzert „Münchner Ost-
preussenhilfe“, 3 „Vaterländische Konzerte“ sowie 1 Abend „Zu Gunsten des Roten Halbmond“,
nicht zu vergessen die 93 Populären Konzerte.
Namhafte Dirigenten wie Bruno Walter, Fritz
Steinbach, Ferdinand Löwe, Franz Mikorey und
Felix Weingartner standen am Pult des Orchesters. Noch Ende Januar 1915 bewarb sich Wilhelm
Furtwängler für die „erste verantwortliche Kapellmeister-Stellung“, die wegen der Rechtsunsicherheit allerdings nicht besetzt werden konnte. Beispielhaft erwähnt sei hier nur das 8. Abonnementkonzert vom 3. Febr. 1915, in dem Max Reger seine „Mozart-Variationen“ op. 132 und die „dem
Deutschen Heere“ gewidmete „Vaterländische
Ouvertüre“ erstmalig in München vorstellte. Das
an Reger gerichtete Dankesschreiben des damaligen Oberbürgermeisters Wilhelm von Borscht
beschrieb den überwältigenden Erfolg: „Der Besuch unserer Abonnementskonzerte war seit
Ausbruch des Krieges noch nie so stark, wie bei
Ihrem Konzert, die Begeisterung des Publikums
für Ihre bewundernswerten Leistungen war grösser und herrlicher denn je.“
Anfang Juli 1915 kam dann doch das Aus, weil
nahezu die Hälfte der Orchestermitglieder einberufen worden war. Da für die künstlerische Ausführung der Konzerte auch unter Heranziehung von
Aushilfsmusikern keine Verantwortung mehr übernommen werden konnte, sah sich „die Vorstandschaft gezwungen, von der geplanten Durchführung der Sommerkonzerte in der Tonhalle abzusehen und bis auf weiteres alle Veranstaltungen
einzustellen.“ Die verbliebenen Musiker aber gaben nicht auf. Verstärkt „durch hier lebende und
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Zwecke seines Daseins aufs neue zugewandt hat“
ging auch durch die Zeitungen. „Wenn man es
nicht schon vorher gewußt hätte“ schrieb Paul
Ehlers von den „Münchner Neuesten Nachrichten“,
„müßten es einen die konzertvereinslosen letzten
Winter gelehrt haben, wie nötig München den Konzertverein hat. Wir waren, weil die Musikalische
Akademie über ihre acht eigenen Abende und die
paar Konzerte mit dem Lehrergesangverein hinaus
nichts mehr übernehmen kann, musikalisch fast
auf den Rang einer Kleinstadt gedrückt worden
(wozu auch die einzig dastehende Kohlensperre
noch ihr Teil beigetragen hatte). Von neuen, zu
ihrer Aufführung eines Orchesters bedürfenden
Werken lernten wir kaum etwas mehr kennen und
selbst die „Klassiker“ unter den Modernen“, hier
ist wohl das symphonische Werk Bruckners und
Mahlers gemeint, „mußten wir mehr oder minder
entbehren.“ Trotz dieser grundsätzlichen Sympathiebekundung hinterließ das Konzert bei Ehlers
einen eher zwiespältigen Eindruck, angesichts der
äußeren Umstände nur allzu verständlich: „Wäre
Berta Morena nicht gewesen […], so wäre der
Eindruck des Abends, sein Ertrag an künstlerischen
Erlebnissen recht bescheiden geblieben.“ Es sollte noch einige Zeit vergehen, bis sich die Münchner Philharmoniker wieder auf der Höhe ihres Könnens vorstellen konnten…
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hierher berufene Tonkünstler“ versuchten sie als
„Neues Münchener Konzert-Orchester“, abgekürzt
„Neues Konzert-Orchester“ weiterzuarbeiten. Die
Besucher kamen trotz Kohlennot, Mangelernährung und schlechter Verkehrsverbindungen. Die
Programme konzentrierten sich, der personellen
Not gehorchend, meist auf kleiner besetzte Werke
wie Serenaden, Suiten und Symphonien. Viele bekannte Solisten, unter ihnen Elly Ney, Willem van
Hoogstraten, Alfred von Pauer, Eugen d’Albert,
Bronislaw Hubermann, Johannes Hegar, Adolf und
Fritz Busch, Teresa Carreño, Eugen Papst, Berta
Morena und Fritz Feinhals unterstützten die Orchestermusiker in ihrem Bestreben, auch weiterhin anspruchsvolle Abende zu gestalten. Gespielt
wurde im Hotel „Vier Jahreszeiten“. Wie allerdings
Wagners „Meistersinger“-Vorspiel von dem „leider sehr dezimierten Neuen Münchener KonzertOrchester“ erklang, sollte man sich eher nicht ausmalen.
Noch vor Kriegsende beschloß der „Konzertverein“,
zwischenzeitlich als kriegswichtiger Betrieb anerkannt, am 27. Mai 1918 die Wiederaufnahme des
Konzertbetriebs „im nächsten Winter“. Am 30.
September war es endlich soweit. Auf dem Programm des Eröffnungskonzerts unter der Leitung
von Florenz Werner stand die 1. Symphonie von
Johannes Brahms sowie Rezitativ und Arie der
Leonore aus Beethovens „Fidelio“ und „Vorspiel
und Isoldes Liebestod“ aus Wagners „Tristan und
Isolde“. Berta Morena, die hochgerühmte WagnerHeroine und Mitglied der Münchener Hofoper hatte den Gesangspart übernommen. Ein Aufatmen
ob der Tatsache, „daß sich der Konzertverein dem
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Orchestergeschichte
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So. 07.12.2014, 11:00 2. KaKo
Vorschau
Mo. 08.12.2014, 20:00 3. Abo f
Mi. 10.12.2014, 20:00 3. Abo a
„Wahlverwandtschaften“
Antonín Dvořák
Klavierquartett Nr. 1 D-Dur
op. 23
Josef Suk
Klavierquartett a-Moll op. 1
Johannes Brahms
Klavierquartett Nr. 2 A-Dur
op. 26
Kurt Weill
Symphonie Nr. 2
Johannes Brahms
Klavierquartett g-Moll op. 25
(Instrumentierung: Arnold
Schönberg)
Graphik: dm druckmedien
gmbh, München
Druck: Color Offset GmbH,
Geretsrieder Str. 10,
81379 München
Gedruckt auf holzfreiem und FSC-Mix
zertifiziertem Papier der Sorte
LuxoArt Samt.
Olivier Messiaen
„Les offrandes oubliées“,
Sinfonische Meditationen
Frédéric Chopin
Konzert für Klavier und
Orchester Nr. 1 e-Moll op. 11
Michael Sanderling, Dirigent
Jean Sibelius
Symphonie Nr. 1 e-Moll op. 39
Pietari Inkinen, Dirigent
William Youn, Klavier
Wolfram Lohschütz, Violine
Burkhard Sigl, Viola
Joachim Wohlgemuth,
Violoncello
Paul Rivinius, Klavier
Impressum
Herausgeber
Direktion der Münchner
Philharmoniker
Paul Müller, Intendant
Kellerstraße 4,
81667 München
Lektorat: Christine Möller
Corporate Design:
So. 14.12.2014, 11:00 3. Abo m
Di. 16.12.2014, 20:00 2. Abo k5
Mi. 17.12.2014, 20:00 2. Abo e5
Textnachweise
Jan Müller-Wieland, Jens
Brockmeier, Elke Heidenreich,
Christian Beuke und Gabriele
E. Meyer schrieben ihre Texte
als Originalbeiträge für die
Programmhefte der Münchner
Philharmoniker. Der Abdruck
des Gesangstextes erfolgt dank
der freundlichen Genehmigung
durch den Sikorski Verlag. Lexikalische Angaben und Kurzkommentare: Stephan Kohler.
Künstlerbiographien: Christine
Möller. Alle Rechte bei den
Autorinnen und Autoren; jeder
Nachdruck ist seitens der Urheber genehmigungs- und
kostenpflichtig.
Bildnachweise
Abbildungen: Museum Frieder
Burda, Baden-Baden (Anselm
Kiefer), Süddeutsche Zeitung
Photo (Kriegsbegeis­t erung
Odeonsplatz); de.wikimedia.org
(Lamoral Graf von Egmond);
privat (Skizzenblatt, Dirigierfoto). Künstlerphotographien:
Regine Körner (Müller-Wieland);
Anna Thorbjoernsson (Barainsky);
Christof Mattes (Brandauer);
privat (Herrmann); Leonie von
Kleist (Heidenreich); privat
(Aselmeyer, Zimmermann,
Baltacigil, Mijnders).
Diana Damrau
Manfred
Honeck
Sopran
Dirigent
Werke von Bizet, Thomas,
Offenbach, Bernstein, Johann
Strauß (Sohn), Josef Strauß
und Lehár
Mittwoch, 31.12.2014, 17 Uhr
Freitag, 02.01.2015, 20 Uhr
Samstag, 03.01.2015, 19 Uhr
Philharmonie im Gasteig
Karten € 85,50 / 71,50 / 62,70 / 51,50 / 45,10 / 26,20 / 17,40
Informationen und Karten über München Ticket
KlassikLine 089 / 54 81 81 400 und unter mphil.de
117. Spielzeit seit der Gründung 1893
Valery Gergiev, Chefdirigent (ab 2015/2016)
Paul Müller, Intendant
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