Jan Müller-Wieland Claudia Barainsky Klaus Maria Brandauer Friedemann Winklhofer Philharmonischer Chor München, Einstudierung: Andreas Herrmann Donnerstag, 27. November 2014, 20 Uhr Freitag, 28. November 2014, 20 Uhr Samstag, 29. November 2014, 19 Uhr Wir bewegen uns IM RHYTHMUS DER ZEIT. Seit 150 Jahren 150 Jahre Juwelier Fridrich Jubiläumsedition Fridrich max bill by JUNGHANS limitiert auf je 150 Stück Automatik: € 670,– statt € 745,– Handaufzug: € 490,–statt € 545,– Von jeder verkauften Fridrich max bill Jubiläumsedition spenden wir 25,– Euro an: T R AU R I N G H AU S · SC H M U C K · J U W E L E N · U H R E N · M E I ST E RW E R KST Ä T T E N J. B. FRIDRICH GMBH & CO. KG · SENDLINGER STR ASSE 15 · 80331 MÜNCHEN TELEFON: 089 260 80 38 · WWW.FRIDRICH.DE J a n M ü l l e r- Wi e l a n d „Egmonts Freiheit oder Böhmen liegt am Meer“ für Sprecher, Sopran, Chor, Orgel und großes Orchester Auftragswerk der Münchner Philharmoniker Uraufführung – Keine Pause – Jan Müller-Wieland, Dirigent Claudia Barainsky, Sopran Klaus Maria Brandauer, Sprecher Friedemann Winklhofer, Orgel Philharmonischer Chor München, Einstudierung: Andreas Herrmann Donnerstag, 27. November 2014, 20 Uhr 2. Abonnementkonzer t b Freitag, 28. November 2014, 20 Uhr 2. Abonnementkonzer t c Samstag, 29. November 2014, 19 Uhr 3. Abonnementkonzer t d Spielzeit 2014/2015 117. Spielzeit seit der Gründung 1893 Valery Gergiev, Chefdirigent (ab 2015/2016) Paul Müller, Intendant Inhaltsangabe Ein Zeitenflug durch das Unwesen des Menschlichen: Krieg. Brüssel: Jubel um Egmont und seine Leute. Clärchen singt von einer Blume und vom süßen Schlaf. Trotz Verrat an ihm: Egmont will durchschreiten. Aufruf zum Kampf. Letztes Gebet vor seiner Hinrichtung. Clärchen besingt ihre Liebe. Der Krieg jedoch prophezeit einen Chor von ungebornen Enkeln. Sie marschieren herbei und singen: „Der Krieg wird nicht mehr erklärt, sondern fortgesetzt...“ Inhaltsangabe Anselm Kiefer: „Böhmen liegt am Meer“ (Museum Frieder Burda, Baden-Baden) Anrufung Gottes durch einen Sandler und seine Mundharmonika. Volksschulunterricht 1914 des Lehrers Zehetbauer. Als Moral von der „G’schicht“ Egmonts übt er mit seiner Schulklasse das Lied „Ehret den Fremdenverkehr“. Doch Egmonts Seele verkehrt längst fremd in einem Böhmen am Meer. Der Chor der ungebornen Enkel träumt vom Land freier Wahl. Clärchen erschießt sich. Leichter Wind. Leichte Wellen. Ein alter Mann sucht Kontakt zur Welt. Jan Müller-Wieland 4 Der Gesangstext „Egmonts Freiheit oder Böhmen liegt am Meer“ Jan Müller-Wieland AUFRUF Sprecher „Das ist des Volkes aufgeregte Stimme...“ Sprecher „Wenn die Rentabilität...“ „...ich stehe hoch und muß noch höher steigen.“ Prestissimo, fanatico, frenetico feierlich, leidenschaftlich Sprecher „Wir sind in Brüssel !“ Chor „Hopp ! Hopp ! Hopp !...“ Jubel Sprecher „Soll ich fallen...“ Sprecher „So jubeln sie und zechen wohl noch lange...“ adagio Clärchen „Trommeln ! Pfeifen ! Lanzen ! Herzen ! Menschen ! Blut ! Liebster ! Feind ! Todfeind ! Liebster !“ Chor „Herzen ! Menschen ! Blut ! Feind ! Tod ! Liebe ! Sieg ! Krieg ! Jeder Zeit ihren Krieg !“ Clärchen „Freudvoll, leidvoll, gedankenvoll sein. Hangen. Bangen. In schwebender Pein ! Himmelhoch ! Jauchzend. Zum Tode. Betrübt. Glücklich allein die Seele, die liebt.“ doppeltes Tempo „Egmont ! Egmont ! Du Guter, Süßer !“ halbes Tempo „Bist du da ? Kommst du ?“ marziale „Jeder Zeit ! Jeder Zeit ihren Krieg !“ Der Gesangstext Chor „Doch das fremde Heer bringt Ketten. Die Fackel brennt.“ sehr zart und bedächtig, nachgeben „Nun gilts für Alle treu das Leben wagen.“ ARIE II pietoso „Süßer Schlaf ! Du kommst wie ein reines Glück. Ungebeten, unerfleht am willigsten. Du lösest die Knoten der strengen Gedanken, vermischest alle Bilder...“ emphatico largo desolato „Umgarnt im Netz steht Egmont nun vor König Philipps Todesboten. Für Recht und Freiheit erhob er laut das Wort !“ Clärchen „Egmont !“ „...der Freude und des...“ Sprecher „Schmerzes...“ „...Schreitet durch !“ ARIE I lamentoso „Süße Blume ! Bald gesunken. Einsam bluten deine Wunden. Müde, müde. Nun wirds stille ! Friede. Friede. Mit dem Geiste ! Mit der Hülle !“ molto euphorico Sprecher „Aus ist die Zeit...“ schnellstmöglich, wahnsinnig Sprecher „Die Siegesgöttin führt Euch an !...“ „...fallt freudig, wie ich euch ein Beispiel gebe.“ Chor „O – A – ... U – A !!!“ Sprecher „Sprich, sprich, sprich Egmont...“ 5 6 Der Gesangstext Clärchen „Vergiß nicht, daß auch du plötzlich an jenem Morgen, als dein Lager noch naß war von Tau und die Nelke an deinem Herzen schlief, den dunklen Fluß sahst, der an dir vorbeizog.“ Clärchen „Aber wie Orpheus weiß ich...“ Chor „Ja !...“ Clärchen „...auf der Seite des Todes...“ appassionato „Die Saite des Schweigens gespannt auf die Welle von Blut, griff ich dein tönendes Herz.“ Chor „Poch, poch, poch...“ Chor „Ja !...“ Clärchen „...das Leben...“ adagio Clärchen „Verwandelt ward deine Locke ins Schattenhaar der Nacht, der Finsternis schwarze Flocken beschneiten dein Antlitz.“ „...und mir blaut dein für immer geschlossenes Aug.“ molto largamente, quasi senza tempo „Egmont ? Die ungebornen Enkel ? Deine ungebornen Enkel ?“ Sprecher „Schlaf und Tod...“ „Und ich gehör dir nicht zu.“ fanatico, panico (Anfangstempo) Chor „Krieg !“ Clärchen „Beide klagen wir nun.“ Chor „Ja !“ MARSCH DER UNGEBORNEN ENKEL lugubre, schattenhaft Sprecher „Egmont ? Egmont ! ...Hörst du deine ungebornen Enkel ?... Da sind sie ! Ein Chor !...“ Der Gesangstext CHOR DER UNGEBORNEN ENKEL largo, zärtlichst, innigst 7 Mundharmonika „Du großer...“ Chor „Der Krieg wird nicht mehr erklärt, sondern fortgesetzt. Das Unerhörte ist alltäglich geworden. Der Held bleibt den Kämpfen fern. Der Schwache ist in die Feuerzonen gerückt. Die Uniform des Tages ist die Geduld, die Auszeichnung der armselige Stern der Hoffnung über dem Herzen. Er wird verliehen, wenn nichts mehr geschieht, wenn das Trommelfeuer verstummt, wenn der Feind unsichtbar geworden ist und der Schatten ewiger Rüstung den Himmel bedeckt. Er wird verliehen für die Flucht von den Fahnen, für die Tapferkeit vor dem Freund, für den Verrat unwürdiger Geheimnisse und die NICHTnichtnichtnichtnichtnicht... achtung jeglichen Befehls.“ leggero, verschwimmend Chor „Du großer Gott ! Du großer... ! Du ! Du !...“ Clärchen „Aus Liebe, aus Liebe, aus Liebe will mein Heiland...“ Chor „Heilheilheilheilheiland...“ Clärchen „...sterben...“ Chor „Du großer, du großer...“ Clärchen „...aus Liebe will mein Heiland sterben, von einer Sünde weiß er nichts, nichts von einer Sünde weiß er nichts, nichts, nichts...“ BÄNKELSANG Sprecher „Du großer Gott...“ Mundharmonika „Du großer Gott...“ Chor „...nichts, nichts, nichts, Du großer ! Du großer !...“ Clärchen „...daß das ewige Verderben und die Strafe des Gerichts nicht auf meiner Seele bliebe.“ 8 Der Gesangstext Chor „Du großer Gott !“ Clärchen „Egmont ! Egmont ! Egmont !“ Sprecher „Erobere mir ein Land...“ vorwärts Chor „Du großer Gott !“... molto estatico Chor „Land ! Land ! Land...“ Clärchen „Du guter Süßer ! Du guter Süßer ! ... Süßer ! ... Egmont !“ Rufe, Schreie des Chores Revolverschuss Chor „Du großer ! Du großer ! Ha ! ... Du ! Du ! Du !...“ Sprecher „Du ! Du ! Du ! ... du...du großer...“ Chor „...meiner...“ Mundharmonika DER LEHRER ZEHETBAUER Chor „...Wahl.“ leggero, luftigst ABRUF Chor „Äh ? Äh ? Äh ?...“ Sprecher „Böhmen liegt am Meer ? Egmont ?...“ con gentilezza, mit Anmut Sprecher „Sind hierorts Häuser grün...“ FINALE /HYMNUS / CLÄRCHENS TOD andante, beschwingt Chor „La-La-La-La-Land, Land, Land, Land, ... meiner, meiner, meiner...“ Jan Müller-Wieland: „Egmonts Freiheit“ 9 Wofür es sich zu leben lohnt Jens Brockmeier Jan Müller-Wieland Lebensdaten des Komponisten (Geboren 1966) Geboren am 30. März 1966 in Hamburg-Ohlstedt; lebt derzeit in München. „Egmonts Freiheit oder Böhmen liegt am Meer“ für Sprecher, Sopran, Chor, Orgel und großes Orchester (2012–2014) Auftragswerk der Münchner Philharmoniker Uraufführung – Keine Pause – Textvorlage Textcollage vom Komponisten frei nach ausgewählten Texten von Johann Wolfgang von Goethe (1749–1832), Franz Grillparzer (1791–1872), Ingeborg Bachmann (1926–1973), Georg Trakl (1887– 1914), Karl Kraus (1874–1936) und Josef Roth (1894–1939). Entstehung Entstanden 2012 bis 2014 in Berlin und München als Auftragswerk der Münchner Philharmoniker zum 100-jährigen Gedenken an den Ausbruch des Ersten Weltkriegs (1914–1918). Uraufführung Am 27. November 2014 in München in der Philharmonie am Gasteig (Philharmonischer Chor München und Münchner Philharmoniker unter Leitung von Jan Müller-Wieland; Sprecher: Klaus Maria Brandauer; Sopran: Claudia Barainsky; Orgel: Friedemann Winklhofer). 10 Jan Müller-Wieland: „Egmonts Freiheit“ Was ist Neue Musik ? Eine verbreitete Antwort lautet, Neue Musik hat mit traditionellen Klangvorstellungen gebrochen und sich von vertrauten Hörgewohnheiten gelöst. Sie ist abstrakt – worin sowohl ein Fortschritt wie ein Manko gesehen worden ist. Ähnliches galt lange Zeit auch für moderne Kunst, die häufig mit abstrakter Kunst geradezu gleichgesetzt wurde: Abstraktion als das Flaggschiff der Moderne. Allerdings hat sich in der Welt der bildenden Künste die Auffassung schnell durchgesetzt, dass Abstraktion nur eines der künstlerischen Formprinzipien der Moderne ist. Ein anderes ist Konkretion. Der direkte und konkrete Zugang zur Welt, ihre präzise, anschauliche und unerschrockene Vergegenwärtigung war gleichermaßen der bildenden Kunst wie der Musik von vornherein auf ihre Fahnen geschrieben, ungeachtet aller Abstraktionen, die beide jeweils auf ihre Art hervorgebracht und dann weiter radikalisiert haben. Konkretisieren, Verdichten, Versinnlichen – also dem Auge, dem Ohr und dem Gefühl so nahe wie möglich bringen – ist ein Bestreben vieler musikalischer, bildnerischer und performativer Künste. Es richtet sich nicht zuletzt auch auf solche Dinge, die ihrer Natur nach eher abstrakt und sperrig erscheinen. Abstrakt und sperrig ? Nun, denken wir an komplexe geschichtliche Prozesse und Konstellationen, wie etwa solche, für die die Jahreszahl 1914 zur Chiffre geworden ist, zum Emblem eines Epochenbruchs, der Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts. All dies sind begriffliche Verallgemeinerungen, hochgradige Abstraktionen. Oder denken wir an philosophische oder moralische Fragen wie die, wofür es sich lohnt zu leben und zu sterben. Eine Frage, auf die es 1914 in Europa nicht schwer war, Antworten zu finden, einfache und heroische zumal, während nach dem großen Krieg vielen diese Antworten abhandengekommen waren. Was von dem heroischen Pathos übrig blieb, waren Leerstellen, Orte voller Ruinen. Notdürftig gefüllt mit Katastrophen­b erichten, Abscheu und Spott, sind sie bis heute Schauplätze zahlloser fehlgeschlagener Versuche des Wiederaufbaus. Lassen sich solche komplexen Fragen und Reflexionen künstlerisch einholen und konkret, also sinnfällig machen ? Jan Müller-Wieland hat hier eine klare und entschiedene Meinung. Wie sehr „große“ Themen und Leidenschaften ins Konkrete alltäglicher Dinge und Gefühle verstrickt sind, hat er in vielen seiner früheren Werke dargelegt. Auch sein neustes, vielleicht bislang komplexestes musikalisches und literarisches Projekt, „Egmonts Freiheit oder Böhmen liegt am Meer“, führt diese Vorstellung weiter aus. Ein Werk für die musikalische Bühne, geschrieben für fünf, in dieser Kombination ungewöhnliche Protagonisten – Sprecher, Sopran, großer Chor, Orgel und großes Orchester –, das ganz bewusst keine Oper ist. Doch umso mehr dafür imaginäre Oper, Oper im Kopf. Wobei für Müller-Wieland Musiktheater, welches in unserer Wahrnehmung und Vorstellung entsteht, gerade da am dramatischsten und spannendsten wird, wo ihm die klanglich-imaginative Konkretisierung gesellschaftlicher und geschichtlicher Spannungen und Konflikte gelingt. Keine Frage, eine solche Sichtweise ist ungewöhnlich für einen zeitgenössischen Künstler, ganz zu schweigen von zeitgenössischen Komponisten. So un­ gewöhnlich wie es ist, mit den Mitteln des Musiktheaters über die Bedeutung des ersten großen 11 Kriegsbegeisterung auf dem Odeonsplatz (1. August 1914) Weltkrieges, ja des Krieges überhaupt für uns und unsere Situation in der Gegenwart nachzudenken. Egmont – Aufstieg und Fall eines Kriegs- und Freiheitshelden Das Stück beginnt, es herrscht Krieg. Doch zunächst geht es nicht um das Geschehen von 1914–1918, den eigentlichen Dreh- und Angelpunkt des Werks. Es geht um ein Kriegsgeschehen einige Jahrhunderte früher, den Freiheitskampf der Niederlande. Wir stehen mit Egmont im Feld. Egmont – dieser Name steht in der deutschen Kulturgeschichte nicht nur für einen Kriegsund Freiheitshelden, er hat noch einen anderen Klang. Er verbindet den edlen „Siegesfürst“ und seinen Krieg mit einer höheren Idealität. Er kündet von einer sublimen Lichtgestalt in Wort und Musik, von einem Modus des Denkens, Fühlens und Daseins, wie ihn Schiller in seiner Besprechung von Goethes Trauerspiel „Egmont“ beschworen und Beethoven in seiner, nach Goethes Meinung kongenialen Schauspielmusik „Egmont“ (op. 84) noch einmal überhöht hat. Egmont, das ist Goethes dramatische Vision seines Alter Ego als Mann der Tat, als Revolutionär, Krieger und leidenschaftlicher Freiheitskämpfer: Wie von unsichtbaren Geistern gepeitscht, gehen die Sonnenpferde der Zeit mit unseres Schicksals leichtem Wagen durch; uns bleibt nichts, als mutig gefaßt, die Zügel festzuhalten. … Soll ich fallen, so mag ein Donnerschlag, ein Sturmwind, ja selbst ein verfehlter Schritt mich abwärts in die Tiefe stürzen … 12 Jan Müller-Wieland: „Egmonts Freiheit“ Da lieg ich mit viel Tausenden. Ich habe nie verschmäht, mit meinen guten Kriegsgesellen um kleinen Gwinst das blutige Los zu werfen; und sollt ich knickern, wenns um den ganzen freien Wert des Lebens geht ? (aus „Egmont“, Johann Wolfgang von Goethe) Mit Egmont und seinen Leuten sind wir bereit, nicht nur für die Freiheit der Niederlande, sondern für die der ganzen Menschheit furchtlos in den Tod zu gehen. Für „den ganzen freien Wert des Lebens“, wie es Goethes Drama fordert, das im Revolutionsjahr 1789 uraufgeführt wurde. So wehen die Fahnen, die Trommeln werden gerühret, die Kugeln fliegen einem um die Ohren, Egmont wird das Pferd unter dem Leib weggeschossen und das Trauerspiel beginnt im Jahr 2014 aufs Neue. Wir betrachten mit gehörigem Abstand, hundert Jahre nach dem Ersten Weltkrieg, eben jene Egmont’schen Ideale, die wiederum gut ein Jahrhundert vor dem großen Abschlachten ihre scheinbar klassischzeitlose Ausgestaltung durch die Olympier des Theaters und des Musikdramas erfahren haben. Wir blicken zurück auf jene Zeiten, als es keine Frage war, warum Kriege zu führen sind und wofür es sich in ihnen zu sterben lohnt. Fantastische Verschiebungen Doch was sich wie eine zeitgenössische Neubesichtigung des Goetheschen und Beethovenschen Heereslagers in Brabant ausnimmt – Müller-Wieland geizt bei dieser Besichtigung nicht mit seinen musikalischen Mitteln, die von Clustern zur Identifikation bestimmter heroischer Idiome Beethovens, aber etwa auch in Verdis „Don Carlos“ reichen – verwandelt sich, vielleicht nicht ganz überraschend, immer mehr in eine fantastische Erzählung. Eine Erzählung freilich, die wie so viele andere nach den epochalen Verheerungen des Ersten Weltkriegs ohne kohärenten Plot auskommen muss. Was wie narrative Verwirrung erscheint, ist jedoch genau kalkuliert. Es sind einzelne Szenen voller Zweifel, Parodie und Groteske, die nun das Geschehen bestimmen. Eine antiheroische Gegenbewegung zeichnet sich ab. Bänkelsang und Mundharmonika werben für die Flucht von den Fahnen und die Tapferkeit vor dem Freund. Die Oper im Kopf wird zu einer filmisch geschnittenen, surrealistischen Collage. So verschiebt sich die Egmont-Szene auf einmal an einen Bachmann-Ort. Eine gedankliche und klangliche Wende vollzieht sich. Wie Orpheus spiel ich auf den Saiten des Lebens den Tod Und in der Schönheit der Erde Und deiner Augen, die den Himmel verwalten, weiß ich nur Dunkles zu sagen. (aus „Dunkles zu sagen“, Ingeborg Bachmann) Wenige Takte danach, doch wohl noch am selben Ort, setzt der Sopran ein, begleitet von der Orgel in den Holzregistern: „so mild und zart wie möglich – molto lontano“. Ergänzt werden solch intime Momente häufig von einem weit über Schlachtfelder und Bühnen verteilten Chor, der in variablen Zusammensetzungen verschiedene Gruppen- und Kollektivstimmen zwischen Vordergrund und Hintergrund zirkulieren lässt. Der Chor ist allerdings nicht nur Begleitung oder Kommentator, sondern verleiht zusammen 13 Historischer Bezugspunkt: Lamoral Graf von Egmond (1522–1568) mit dem Sprecher, dem Sopran und der Orgel immer neuen Protagonisten Gestalt – von einer Schulklasse bis zur gesamten Menschheit – und, schon allein durch seine beträchtliche Größe, massive Präsenz. Zeitenthoben Das Libretto, das diesen Stimmen und Stimmungen zugrunde liegt, hat Müller-Wieland mit Texten von Goethe, Grillparzer, Bachmann, Trakl, Kraus und Roth frei zusammengestellt. Es mag sein, dass das weite Spektrum von Texten einem sehr eigenen, ausgreifenden, sprachverwandten und synkretistischen Zug Müller-Wielands Personalstil entgegenkommt. Der ermöglicht es ihm wiederum, sehr unterschiedliche Literatur- und Textgenres äußerst differenziert aufzugreifen und musikalisch fortzuentwickeln. Die ungewöhnliche Kombination von Sprech- und Singstimmen und Instrumenten setzt sich in Details wie der Zusammensetzung des Schlagwerks fort; neben den üblichen Instrumenten ge­hören dazu auch Autohupen, Watergong, Sklavenketten, robustes Zeitungspapier, Windmaschine, Peitsche und ein Revolver. Die Textcollage schließt Egmont historisch und dramaturgisch an die Gegenwart an. Doch ist ihrer Verwandlung in Musik zugleich eine zeit­ enthobene und traumlogische Qualität eigen. Irgendwo auf den Schlachtfeldern der Jahrhunderte scheint die klassische Einheit von Ort, Zeit und Handlung verloren gegangen zu sein. Figu- 14 Jan Müller-Wieland: „Egmonts Freiheit“ ren, Gedanken und musikalisches Material aus verschiedensten Zeit- und Problemräumen werden miteinander in einen Dialog gebracht. Das ist vergleichbar etwa mit Bernd Alois Zimmermanns Oper „Die Soldaten“, die der Komponist als musikalische Zeit-Collage verstanden hat, „als Vehikel zur Verbindung weit entlegener Zeitschichten“. Auch Luigi Nonos „Al gran sole carico d’amore“ strebt danach, Zeit und Raum aufzuheben, um die Toten gescheiterter Revolutionen, von der Pariser Commune bis zur Russischen Revolution, in einer dimensionslosen utopischen Welt miteinander zu vereinen. So wie es in vielen Opern Henzes geschieht, die mythologische Sujets mit den politischen und musikalischen Spannungen der Moderne auf eine Weise aufladen, dass Zeit und Raum zu gänzlich imaginativen Größen werden. gestalt Egmont wird ein zögernder, zweifelnder und zarter Prinz von Homburg, ein strauchelnder Weggefährte Trakls, ein subversiv-sarkastischer Begleiter Karl Kraus’ und schließlich ein Bruder im Geiste Ingeborg Bachmanns, der erkennt, dass der Krieg schon längst nicht mehr auf den Schlachtfeldern Brabants, Verduns oder Stalin­ grads stattfindet, sondern in unserer Lebenswelt, in unserem Alltag, im Überlebenskampf der Vielen, die nicht zu dem einen Prozent gehören. Den Egmont-Klang zurücknehmen Vor dem Hintergrund der Kollektiverfahrung barbarischer Kriege, einer Erfahrung, in der der Erste Weltkrieg eine Schlüsselstellung einnimmt, formiert sich durch die Stimmen dieser Nachfolgergestalten Egmonts eine antiheroische Gegenbewegung. Eine Bewegung, so können wir vermuten, zu der viele weitere beigetragen haben. Etwa auch der Tonsetzer Adrian Leverkühn, der Romanheld von Thomas Manns „Doktor Faustus“, dem es ebenfalls um eine Abkehr von Beethoven, insbesondere seiner Neunten Symphonie, geht und damit von dem Humanitätsideal der Weimarer und Wiener Klassik: „Das Gute und Edle... Ich will es zurücknehmen“. Gleichwohl lässt Thomas Mann seinen Protagonisten selbst dabei noch als Sachwalter des heroischen Erbes agieren, der, um sein Ziel, die Rücknahme des Egmont-Klangs, zu erreichen, einen faustischen Pakt mit dem Teufel abschließt. Was all die verschiedenen klanglichen und poetische Reflexionen, die in „Egmonts Freiheit oder Böhmen liegt am Meer“ zu einem Ganzen zusammengeschlossen werden, umkreisen, ist die Auflösung der „heroischen Illusionen“, um das Wort von Marx zu benutzen, für die Egmont und sein Clärchen gelebt haben und der Freiheitsheld und viele der Seinen auch gestorben sind. In diesem Multiversum von Stimmen haben sich ihre Ideale ebenso verflüchtigt wie jene ideale Einheit von kriegerischer Aktion, Freiheit, und selbstbestimmter Subjektivität, die nicht nur der Klassik als Leitbilder dienen sollten. Je mehr wir in dem großen Zeitraffer von MüllerWielands Musik in die Gegenwart katapultiert werden, umso mehr entzieht sich die Helden­ figur des ersten Teil des Stücks; aus der Licht- Der Krieg wird nicht mehr erklärt, sondern fortgesetzt. Das Unerhörte ist alltäglich geworden. Der Held bleibt den Kämpfen fern. Der Schwache ist in die Feuerzonen gerückt. (aus „Alle Tage“, Ingeborg Bachmann) 15 Skizzenblatt zu „Egmonts Freiheit oder Böhmen liegt am Meer“ (Sommer 2013) 16 Jan Müller-Wieland: „Egmonts Freiheit“ Flucht von den Fahnen Und doch ist das humane Versprechen, das Beethovens Egmont-Klang immer auch innewohnt, und das in Thomas Manns „Doktor Faustus“ weiterhin durchscheint, in Bachmanns Gedicht „Böhmen liegt am Meer“ so wenig negiert wie in Müller-Wielands Werk, das Bachmanns Gedicht aufgreift und an das es anschließt. Nicht umsonst leiht es sich von ihm seinen Titel und sein inneres Movens, vor allem in der zweiten Hälfte, die mit dem Erscheinen der „ungebornen Enkel“ Egmonts beginnt. Wer sind die „ungebornen Enkel“ ? Sie entstammen einer Zukunftsvision Georg Trakls aus seinem Gedicht „Grodek“, einer Vision, die nun eine neue Deutung erfährt. Shakespeares Vermutung, dass Böhmen „in Wirklichkeit“ am Meer liegt, dass die utopische Kraft künstlerischer Imagination und menschlicher Leidenschaften nicht nur Raum und Zeit aufheben kann, sondern auch die sogenannte Wirklichkeit aufzusprengen – oder moderner: zu dekonstruieren – vermag, diese HerzblutThese der Musik wie aller Kunst durchzieht auch Müller-Wielands „Egmont“. Das Musiktheater also als gleichermaßen moralische wie fantastische Anstalt ? Gewiss, wo sonst ließe sich konkret veranschaulichen, dass Egmonts Ideal der Freiheit, das, wofür es sich zu leben lohnt, längst nicht mehr im Krieg, sondern nur noch, in Ingeborg Bachmanns Worten, in der „Flucht von den Fahnen“ und der „Tapferkeit vor dem Freund“, in einem Wort, in der Liebe zu Clärchen eine mögliche Wirklichkeit hat. Jan Müller-Wieland und die böhmische Dimension unseres Musikverständnisses Müller-Wielands Werkverzeichnis umfasst eine erstaunliche Vielzahl musikalischer Genres und Kompositionen mit ungewöhnlichen Besetzungen und Kombinationen. Vielfältige Interessen und Neugierden sind da zu entdecken, das Spektrum der Themen, auch der „großen“, ist lang. Aufgewachsen im Norden ist er nach Stationen in Lübeck, Köln – unter anderem als Student von Hans Werner Henze –, Berlin und Rom, um nur die wichtigsten zu nennen, seit einigen Jahren im Süden sesshaft, als Professor für Komposition an der Hochschule für Musik und Theater München und als freier, begehrter Gastdirigent internationaler Klangkörper. Doch es ist nicht allein die musikalische und intellektuelle Weite des Spektrums moderner und experimenteller Werke, die hervorsticht. Da ist auch das für einen Musiker außerordentlich enge Verhältnis zum Wort, die Vertrautheit mit der Literatur, der deutschsprachigen zumal. Das aber heißt, Komponieren vollzieht sich als ständige Auseinandersetzung mit der Sprachlichkeit der Musik und der Musikalität der Sprache. Die Grenze zwischen musikalischen und verbalen Sprachformen ist dabei sehr durchlässig – wenn wir einmal von der Frage absehen, ob sie denn überhaupt besteht außerhalb musikwissenschaftlicher und musikästhetischer Diskurse. Bei Müller-Wieland hat sie jedenfalls schon früh an Bedeutung verloren. Man könnte auch sagen, sie ist zweitrangig gegenüber dem Gegenstand, Sujet oder dramatischen Geschehen. 17 Jan Müller-Wieland dirigiert als Leonard-Bernstein-Stipendiat in Tanglewood Auf dessen Konkretisierung, also auf die künstlerische Bedeutung kommt es ihm an, und nicht darauf, ob der Klang dem nahekommt, was im 19. und 20. Jahrhundert absolute oder reine Musik genannt wurde. Der Egmontsche Klang macht das besonders sinnfällig. Über die Jahrhunderte tradiert, ist er ein Phänomen, das gleichermaßen durch die Sprache Goethes wie die der Musik Beethovens lebt, ein Phänomen, das zu dem symbolischen Geflecht gehört, in das beide verstrickt sind. Er ist auf uns gekommen wie das Licht längst verglühter Galaxien, Sternenstaub, den die Worte Trakls und Bachmanns wie die Klänge Zimmermanns, Nonos und Henzes widerspiegeln, während sie ihn zugleich zu konterkarieren suchen. Es ist dieses Geschehen, das uns wiederum das Sprachmusikwerk „Egmonts Freiheit oder Böhmen liegt am Meer“ zu vergegenwärtigen sucht. Die Arbeit am Sprachmusikwerk treibt MüllerWieland seit Langem um. Sie ist wie ein Fluss, der vieles mitreißt und zusammenführt, Musikalisches von einem Ufer, Sprachliches vom anderen. Viele seiner Kompositionen, und nicht allein die 15 abendfüllenden Musiktheaterwerke, sind das Ergebnis intensiver Beschäftigung mit Literatur und Poesie. Die Werke fast aller großen Namen der deutschsprachigen Literatur gehören dazu, von Goethe, Schiller, Hölderlin und Heine zu Kleist, Chamisso, Rilke, Hofmannsthal, Kafka und Nelly Sachs, um nur die Klassiker zu nennen. Hinzu kommen Gegenwartsautoren und -autorinnen, wie etwa Birgit Müller-Wieland, 18 Jan Müller-Wieland: „Egmonts Freiheit“ mit der er verheiratet ist und die an mehreren seiner Projekte literarisch beteiligt ist. „lamentoso“ oder „doloroso“ – also schmerzliches Empfinden – abverlangt. So wie sich literarische Texte, aber auch Nichtliterarisches in musikdramatische Kompositionen verwandeln, so transformieren sich andererseits Klangstrukturen in sprachliche, sprachförmige und sprachhafte Gestalten. Wie eindringlich und unmissverständlich diese Gestalten werden können, dafür steht etwa auch Müller-Wielands jüngstes Werk „Musik für eine Kirche“ vom Juli 2014, komponiert anlässlich des 70. Jahrestages des SS-Massakers im toskanischen St. Anna di Stazzema. Ebenso sein Klavierdoppelkonzert „Zärtliche Kräfte“ vom vergangenen Frühjahr. Am flexibelsten aber lotet der Chor den Raum der tausend und einen Übergänge zwischen verbalem und musikalischem Klang aus. Von „hauchend“, „zart, flüsternd“ und in „leisestem Ausatmen ! Als ob man eine Fensterscheibe anhaucht“ zu „dumpf, tonlos, aussichtslos, deprimierend, todkrank stöhnend“ reichen seine Register im piano und pianissimo. Auf der anderen Extremseite ist seine Sprachmusik als „fanatisch“ und „frenetisch“ notiert. Sie ist „keifend“, „hämisch“ und „so teuflisch wie möglich“. „Alptraumrufe“ sind ihr genauso eigen wie das Skandieren „wie auf einer Straßendemo“. Die Klangflächen des Menschlichen, hier sind sie das Terrain eines virtuosen Chores. Das heißt also, wir nehmen teil an zwei gegenläufigen Bewegungen innerhalb eines poetischklanglichen Kontinuums. Wie nuanciert sich dieses Kontinuum abstuft, macht ein Blick in die Artikulationsanweisungen der Partitur von „Egmonts Freiheit“ deutlich. Die Anweisungen gelten nicht nur den Solostimmen, an einer Stelle ruft der Sprecher etwa „mit aller Wut“, während der Sopran „verzweifelt“ ist, sie geben gleichermaßen den Instrumenten einen anthropomorphen Klangraum vor. Zum Beispiel den Celli, auch ihre Saiten müssen „verzweifelt“ gestrichen werden. „Aschfahl“ versenken sich die Geigen in „tiefen Schmerz“. Für einige Takte klingen die Posaunen „exaltiert“ und die Trompeten „schmiegsam“, die Streicher sind „bedächtig“, „schattenhaft“ und „zärtlichst, nach innen“. Die Klarinette gestikuliert „schelmisch“ und die Orgel, oft durch Wirkungsnotation definiert, muss „monströs“ oder „ermattet“ gespielt werden. Selbst den Crotales wird ein Es scheint, dass Müller-Wielands Erkundungen der Symbiose von Musik und Sprache in seinem Egmont-Projekt unser Verständnis dieser Symbiose um eine neue Dimension bereichert haben. Vielleicht können wir sie die böhmische Dimension nennen. 19 Das Interview Neun Fragen an Jan Müller-Wieland Ihr prägendstes Konzerterlebnis ? Bernsteins „Jeremiah“-Symphonie von 1942 unter Ozawa in Tanglewood 1991 mit dem Tanglewood-Festival-Orchestra. „The Year after Lennies Death“ wurde das Jahr 1991 in Tanglewood genannt. Jemals einen Plan B gehabt zum Berufswunsch Komponist ? Tischler. Denn ich wollte mit 14 nicht weiter zur Schule gehen. Dirigiert man eigene Kompositionen am besten selbst ? Wenn es passt und richtig ist. Gibt es Momente ohne Musik ? Zuhause habe ich noch nicht einmal eine Stereoanlage. Zuhause ist Musikruhe. Sonst kann ich nichts in mir hören. Ihr Lieblingsgefühl ? Gleich beginnt die Probe mit den Münchner Philharmonikern. Kann man Komponieren lernen ? Man kann nicht. Man muss. Was haben Sie von Ihren Studenten gelernt ? Wie schnell die Zeit vergeht. Und: Das Wichtigste ist Vertrauen. Die beste innere Einstellung für einen Konzertbesucher ? Die Gedanken sind frei. Warum muss man die musikalische Vergangenheit kennen, um in die musikalische Zukunft blicken zu können ? „Kein Mensch muss müssen“, sagt Lessings Nathan. Man muss nichts. Doch jeder Baum hat Wurzeln, und nichts ist vom Storch je abgeworfen worden. Oder doch ? Die Fragen stellte Thomas Sonner 20 Die Künstler Jan Müller-Wieland Dirigent wood-Music-Center), wo er an Dirigierkursen bei Oliver Knussen und Seiji Ozawa teilnahm. Der gebürtige Hamburger Jan Müller-Wieland studierte er an der Musikhochschule Lübeck Komposition bei Friedhelm Döhl, Kontrabass bei Willi Beyer und Dirigieren bei Günther Behrens. Kompositionsunterricht nahm er zudem auch bei Hans Werner Henze in Köln und Rom. Jan MüllerWieland erhielt zahlreiche Preise (Förderpreis für Komponisten der Ernst-von-Siemens-Musikstiftung, Hindemith-Preis des Schleswig-Holstein Musik Festivals, Förderpreis des Hamburger Bach-Preises, Hauptpreis der Lübecker PossehlStiftung, u. a.) sowie Stipendien in Frankreich (Cité des Arts Internationales in Paris), Italien (Villa Massimo in Rom) und in den USA (Tangle- Von 1993 bis 2007 lebte Jan Müller-Wieland als freischaffender Komponist und Dirigent in Berlin. Seit 2007 ist er Professor für Komposition an der Hochschule für Musik und Theater München. Er komponierte über 130 Werke, darunter fünfzehn abendfüllende Werke für das Musiktheater, wie „Kain“ für die Hamburgische Staatsoper, „Komödie ohne Titel“ für die Staatsoper Unter den Linden, „Nathans Tod“ nach George Tabori sowie Instrumentalwerke, inklusive vier Symphonien, und Solokonzerte, unter anderem für Jens Peter Maintz, Daniel Hope oder Evelyn Glennie. Weitere Auftraggeber waren u. a. die Deutsche Staatsoper Berlin, die Münchener Biennale, die London Sinfonietta, das Holland Festival, die Expo 2000, die Reihe Bonn-Chance der Bonner Oper und des Bonner Beethovenfestes, die Musikfabrik NRW, das Ensemble Resonanz, das Ensemble Acht, die Ernst-von-SiemensMusikstiftung, das Beaux-Arts-Trio, das MenuhinFestival in Gstaad, das Feldkirch-Festival und die Kasseler Musiktage. Als Dirigent stand Jan Müller-Wieland u. a. am Pult der Staatskapelle Berlin, des Deutschen Symphonieorchesters Berlin und des Babelsberger Filmorchesters, mit dem er anlässlich der Wiedereröffnung des Berliner Admiralspalasts „Die Dreigroschenoper“ (mit Campino und Katrin Sass, inszeniert von Klaus Maria Brandauer) aufführte. 21 Die Künstler Claudia Barainsky Klaus Maria Brandauer Sopran Sprecher Claudia Barainsky wurde in Berlin geboren und studierte Gesang an der dortigen Hochschule der Künste bei Ingrid Figur, Dietrich Fischer-Dieskau und Aribert Reimann. Ihr breitgefächertes Repertoire umfasst Werke aus allen Epochen des Musiktheaters. So gestaltete sie Partien wie die Anna in Heinrich Marschners „Hans Heiling“, Badi‘at in Hans Werner Henzes „L‘Upupa“, die Titelpartien in Johann Adolf Hasses „Cleofide“ und in Reinhard Keisers „Die römische Unruhe oder Die edelmütige Octavia“ genauso wie die Titelpartie in Alban Bergs „Lulu“, die Marie im „Wozzeck“ und die Marie in „Die Soldaten“ von Bernd Alois Zimmermann. Für ihre Darstellung der Titelpartie in Aribert Reimanns Oper „Medea“ in Frankfurt erhielt Claudia Barainsky 2011 den deutschen Theaterpreis „Der Faust“. Höhepunkte der letzten Spielzeit waren u.a. ihre erfolgreiche Gestaltung der Maria Magdalena in der Uraufführung von Mark Andrés „Wunderzaichen“ am Staatstheater Stuttgart. Klaus Maria Brandauer stammt aus Altaussee in der Steiermark und gehört zu den wichtigsten und bekanntesten Bühnen- und Filmschauspielern unserer Zeit. Seit mehr als vierzig Jahren ist er Mitglied im Ensemble des Wiener Burgtheaters, wo er als Hamlet, Don Carlo, Tartuffe, Cyrano de Bergerac und Nathan der Weise auftrat. Seit einigen Jahren ist Klaus Maria Brandauer regelmäßig am Berliner Ensemble zu erleben. Dort spielt er die Titelrollen in der zehnstündigen Fassung von Schillers „Wallenstein“, in „Ödipus auf Kolonos“ von Sophokles und den Dorfrichter Adam in Heinrich von Kleists „Der zerbrochene Krug“. Im Jahr 2013 erarbeitete er mit „Das letzte Band“ erstmals ein Stück von Samuel Beckett und ist seit Dezember 2013 in der Titelrolle in „König Lear“ am Wiener Burgtheater zu sehen. Bereits 1970 begann Klaus Maria Brandauers internationale Filmkarriere. Er spielte u. a. in „James Bond 007 – Sag niemals nie“ sowie in „Jenseits von Afrika“ von Sydney Pollack. 22 Die Künstler Die Künstler 23 e ilh a Bl rm ät on te is r ch Ph 24 Auftakt Komponisten Die Kolumne von Elke Heidenreich Warum ergreift uns manche Musik im Konzertsaal und andere lässt uns kalt? Warum versinken einige selig beim Zuhören und andere kramen in der Tasche und sind unkonzentriert, was sich dann meist auch in störendem Husten zeigt? Warum klatschen sich einige am Ende die Hände heiß, während andere nach dem letzten Ton sofort zur Garderobe hetzen? Es mag mit dem Stück zu tun haben, mit der persönlichen Stimmung an diesem Tag, aber ich habe bei vielen Auftritten, bei denen ich als Erzählerin mit Musikern auf der Bühne saß, gemerkt, wie man auch unkonzentrierte Zuhörer fesseln kann: indem man mehr über die Komponisten erzählt. Man hört anders, wenn man weiß, dass zum Beispiel Schubert einer der Sargträger von Beethoven war und dass er nach der Beerdigung im Gasthaus sein Glas hob auf den, der als nächster Beethoven folgen würde – und dass er selbst es war, nicht einmal zwei Jahre später, 1828; oder wenn man weiß, dass der Großvater von Felix Mendelssohn-Bartholdy jener berühmte jüdische Philosoph Moses Mendel war, der Freund Lessings, das Vorbild für Nathan den Weisen; oder wenn man darüber staunt, dass Beethoven Kellnern das Essen, das ihm nicht schmeckte, ins Gesicht warf – warum war er so schlecht gelaunt? Weil er Musiker war und taub, das Schlimmste, was passieren konnte. Oder dass Mozart nicht so arm war wie man immer sagt – er hat es halt mit vollen Händen rausgeworfen, und er war auch nicht so prächtig, wie er da in Salzburg vor der Residenz in Bronze steht – gerade mal einen Meter fünfzig war er groß, pockennarbig, glubsch- äugig, ein Doppelkinn. Oder wussten Sie, dass Anton Bruckner einen Zählzwang hatte? Nicht nur bei den Takten seiner unglaublich langen Sinfonien – er zählte auch die Pflastersteine auf der Straße und die Perlen der Frauen, und überhaupt, Bruckner und die Frauen! Ein Leben lang hat er versucht, eine für sich zu gewinnen, mit Briefen, Blumensträußen, Anträgen – immer jünger wurden die Angeschwärmten, immer geringer seine Chancen, bei einer landen zu können, denn er war ein wenig unbeholfen, vielleicht naiv. Gustav Mahler soll gesagt haben: „Halb ein Gott, halb ein Trottel“, und die Erotik strahlte wohl eher seine kraftvolle Musik aus als seine Gestalt …ach, wenn man das alles weiß, hört es sich manchmal anders, was da ertönt, denn nicht Götter haben diese Musik geschrieben, sondern Menschen. Menschen mit Lieben, Leiden, Ticks und Schwächen – denken Sie an Mahler, der seiner Alma das Komponieren glatt verbot, an Puccini, der seine Elvira betrog, indem er einen Studenten anmietete, der im Gartenhäuschen Klavier spielte, während er zur Jagd oder zur Geliebten ging, und abends sagte Elvira: „Heute hast du aber schön gespielt, Giacomo!“ Im Konzertsaal hören wir Musik von Menschen, die sind, die waren wie wir – mit einem Unterschied: ihnen war ein wunderbares, göttliches Talent gegeben. Lassen wir uns davon beglücken, ohne das Menschliche zu vergessen. Ph Abschied (I) Unsere Hornistin Maria Teiwes wechselt zu den Bamberger Symphonikern und tritt dort die Stelle als Solo-Hornistin an. Abschied (II) Barbara Kehrig hat die Stelle als Kontrafagottistin beim Konzerthausorchester Berlin gewonnen, die sie zum Start der Saison 2014/15 antreten wird. Herzlich willkommen (I) Wir begrüßen bei den Philharmonikern Floris Mijnders (Solo-Cello), Fora Baltacigil (Solo-Kontrabass), Teresa Zimmermann (Solo-Harfe) und Mia Aselmeyer (Horn). Sie treten zum Beginn der neuen Spielzeit ihre Stellen und das damit verbundene Probejahr an. Ein Kurzportrait finden Sie auf den folgenden Seiten. Herzlich willkommen (II) Ebenso herzlich heißen wir Sigrid Berwanger, Jiweon Moon und Laura Mead (2. Violinen), Christa Jardine und Julie Risbet (Bratschen), Johannes Hofbauer (Fagott) sowie Thiemo Besch (Horn) will- 25 kommen. Sie haben einen Zeitvertrag für die Saison 2014/15 erhalten. Kampala, Uganda Zu Gast in der Kampala Music School in Uganda. Im August reisten zum ersten Mal Mitglieder des Orchesters in die ugandische Hauptstadt Kampala, um dort mit Kindern und Musikern der Musikschule in Workshops gemeinsam zu musizieren und Konzerte zu geben. Die Eindrücke in diesem tollen ostafrikanischen Land mit unglaublichen Menschen, die Shengni Guo, Traudl Reich und Maria Teiwes dort erlebten, können Sie in unserem Blog nachlesen bei facebook.com/spielfeldklassik. Fußball Eine höchst unglückliche Niederlage beim Fußballspiel gegen das Team des Bayerischen Staatsorchesters musste der FC Philharmoniker verzeichnen. Stark ersatzgeschwächt – sechs Stammkräfte mussten verletzungsbedingt kurzfristig absagen – und trotz drückender spielerischer Überlegenheit mit ansehnlichen Ballstaffetten nutzten selbst klarste Elfmeterchancen nichts: das Spiel ging mit 0:1 verloren. Wir gratulieren dem Staatsorchester und freuen uns auf das nächste Match. Wie es noch besser geht, erlebten dann beide Mannschaften beim WM-Viertelfinale Deutschland gegen Frankreich – das Spiel schauten sich alle in kollegialer Eintracht beim gemeinsamen Grillen an. e Konzertübersicht 2014/15 Eine Broschüre mit den neuen Konzertprogrammen für die Spielzeit 2014/15 ist ab sofort in den Auslagen im Foyer des Gasteigs erhältlich. Allen Abonnenten wurde im Vorfeld der Saison eine Broschüre mit den Programmen nach Abo-Reihen zugeschickt. Sollten Sie kein Exemplar erhalten haben, bedienen Sie sich bitte an den Auslagen oder wenden Sie sich bitte an unser Abo-Büro. ch is on m er ar ätt ilh Bl Philharmonische Notizen e ilh a Bl rm ät on te is r ch Ph Wir begrüßen... 26 Mia Aselmeyer Teresa Zimmermann Instrument: Horn Instrument: Harfe Mia Aselmeyer wuchs in ihrem Geburtsort Bonn auf und war Jungstudentin an der Kölner Musikhochschule bei Paul van Zelm. Während des Studiums an der Hochschule für Musik und Theater in Hamburg bei Ab Koster war sie Mitglied der Jungen Deutschen Philharmonie und Stipendiatin der Orchesterakademien des Schleswig-Holstein Musikfestivals und der Sächsischen Staatskapelle Dresden. Für die vergangene Saison erhielt sie bereits einen Zeitvertrag bei den Münchner Philharmonikern, nach ihrem erfolgreichem Probespiel tritt sie nun ihr Probejahr zur festen Stelle an. „Mit der Stelle bei den Münchner Philharmonikern erfüllt sich mir ein Lebenstraum. Ich bin gespannt darauf mit dem Orchester an die unterschiedlichsten Orte zu reisen und der Welt somit die Stadt München ein Stück näher zu bringen“, bekennt Mia Aselmeyer, die in ihrer Freizeit gerne München und das Umland entdeckt und ihre Häkel- und Backtechniken verfeinert. Teresa Zimmermann erhielt ihren ersten Harfenunterricht in ihrer Heimatstadt Hannover mit sechs Jahren. 2008 schloss sie ihr Studium bei Maria Graf an der Hochschule für Musik „Hanns Eisler“ in Berlin mit Auszeichnung in der Solistenklasse ab. Sie erhielt zahlreiche Preise und Auszeichnungen bei allen bedeutenden internationalen Wettbewerben für Harfe. Seit Jahren konzertiert sie als Gast bei renommierten europäischen Orchestern und war seit 2013 Solo-Harfenistin des Philharmonia Orchestra London. Solokonzerte gab sie unter anderem mit den Duisburger Philharmonikern, dem Warschauer Sinfonieorchester und dem Konzerthausorchester Berlin. 2011 wurde sie von ARTE unter der Moderation von Rolando Villàzon für die Sendung „Stars von morgen“ aufgenommen. Seit Dezember 2011 unterrichtet sie als Dozentin für Harfe eine Hauptfachklasse an der Hochschule für Musik, Theater und Medien Hannover. „Ich habe noch nie in Süddeutschland gelebt und bin gespannt, was mich erwartet“, erzählt sie. „Als begeisterte Sportlerin freue ich mich sehr auf die viele Natur und die gute Luft!“ Ph ch is on m er ar ätt ilh Bl 27 Fora Baltacigil Floris Mijnders Instrument: Bass Instrument: Cello Fora Baltacigil, geboren in Istanbul, erhielt ab dem Alter von neun Jahren Bass-Unterricht von seinem Vater, dem Solo-Kontrabassisten des Istanbul State Symphony Orchestra. Später studierte er bis zum Jahr 2002 am Istanbul University Conservatory und erhielt 2006 sein künstlerisches Diplom am Curtis Institute of Music in Philadelphia, wo er Schüler Hal Robinsons und Edgar Meyers war. Fora Baltacigil war Mitglied der Berliner Philharmoniker und Solo-Bassist des Minnesota Orchestra und des New York Philharmonic Orchestras. Als Solist spielte er mit dem Minnesota Orchestra John Harbisons „Concerto for Bass Viol“ und trat zusammen mit seinem Bruder Efe, dem Solo-Cellisten des Seattle Symphony Orchestras, mit den Berliner Philharmonikern unter der Leitung von Sir Simon Rattle auf (Programm: Giovanni Bottesinis „Grand Duo Concertante“). Seine Freizeit verbringt Fora Baltacigil – wenn er nicht gerade als Hobby-Koch am Herd steht und neue Rezepte ausprobiert – gerne als begeisterter Segler und Taucher in bzw. auf dem Wasser. Floris Mijnders, geboren in Den Haag, bekam als Achtjähriger den ersten Cello unterricht von seinem Vater. Ab 1984 studierte er bei Jean Decroos am Royal Conservatory Den Haag. Während seines Studiums spielte er im European Youth Orchestra und besuchte Meisterklassen bei Heinrich Schiff und Mstislav Rostropovich. Mijnders wurde 1990, kurz nach Studienende, 1. Solo-Cellist im Gelders Orkest in Arnhem. Nicht viel später wechselte er in gleicher Position zum Radio Filharmonisch Orkest. Seit 2001 war er 1. Solo-Cellist des Rotterdam Philharmonic Orchestra und wurde als Solo-Cellist von zahlreichen renommierten europäischen Orchestern eingeladen. Als Solist trat er mit vielen europäischen Orchestern auf, unter anderem mehrmals mit dem Concertgebouw Orchestra Amsterdam und dem Radio Filharmonisch Orkest. Floris Mijnders ist Professor für Violoncello am Sweelinck Concervatorium Amsterdam. Neben der Musik ist Kochen Floris Mijnders Leidenschaft. Er freut sich auf die Zeit in München und darauf, die schöne Natur Bayerns genießen und im Winter Schlittschuhlaufen gehen zu können. e Wir begrüßen... e ilh a Bl rm ät on te is r ch Ph 28 Über die Schulter geschaut Im Dienste der Musik – die Notenarchivare der Münchner Philharmoniker Christian Beuke Gefragt nach einem typigerne arbeiten die beiden schen Arbeitstag, fällt ihre Archivare für den EhrenAntwort kurz, prägnant und dirigenten, Zubin Mehta. mit einem Schmunzeln aus: Denn pünktlicher als er ist „Den gibt es nicht.“ Thomas niemand. „Von ihm kommt Lang und Georg Haider ardie Quinte mindestens drei beiten seit zehn bzw. fünf Monate vor der ersten ProJahren als Notenarchivare be. Mehr als ausreichend Zeit, damit wir die fertigen bei den Münchner Philharmonikern. Vor allem sind sie Stimmen pünktlich an die dafür verantwortlich, dass Thomas Lang und Georg Haider (von links auf dem Foto) Orchestermusiker überdie Striche – die Auf- und arbeiten seit zehn bzw. fünf Jahren als Notenarchivare geben und sie die ProAbstriche der Streicher – gramme vorbereiten könkorrekt in jede Stimme und nach den Wünschen des nen. Unser Anspruch ist es, immer zwei bis drei Dirigenten eingetragen sind. „Manche Maestri Projekte voraus zu sein“, erläutert Georg Haider. schicken uns eine sogenannte „Quinte“ – die ein„Treten Programmänderungen auf, hat die Aktualigerichteten Striche von je einer 1. und 2. Geige, tät natürlich immer Vorrang.“ Bratsche, Cello und Bass“, erklärt Georg Haider. Was sich auf den ersten Blick simpel anhört, ist Durch ihre Hände wandern mitunter wahre Schätbei genauerem Hinsehen wesentlich komplexer. ze. Gustavo Dudamel war sofort Feuer und Flamme Jeder Maestro hat unterschiedliche Erwartungen: als er hörte, dass es bei den Münchner Philharmoder eine bevorzugt das Notenmaterial eines benikern noch alte Noten gebe, die von Celibidache stimmten Verlags, weil er mit diesen Noten schon eingerichtet wurden und aus denen er dirigiert hat. seit Jahren arbeitet. „Lorin Maazel hat dank seines „Er fragte, ob er nach einer Probe kurz bei uns vorfotografischen Gedächtnisses sofort erkannt, ob es bei kommen dürfe, um sich Partituren genauer an„sein“ Material war“, erinnert sich Thomas Lang. zusehen“, berichtet Thomas Lang. „Fast eine Stun„Diese Stelle war doch bisher immer oben links auf de war er da“ – eine Ausnahme, wie er gerne offen zugibt. „Mit offenem Mund hat er zugehört als dieser Seite. Es ist ein wenig ungewohnt, wenn sie auf einmal woanders auftaucht“, so der Kommentar ich ihm sagte, dass die Münchner Philharmoniker des Maestros. Andere Dirigenten sind dagegen fast alle Orchesterwerke Richard Strauss’ vom sehr an den neuesten Ausgaben interessiert, die Komponisten selbst geschenkt bekommen haben.“ erst ganz frisch herausgekommen sind. Besonders In der Tat eine absolute Besonderheit. Ph Auch ein guter Draht zu den Musikern des Orchesters ist für Thomas Lang und Georg Haider selbstverständlich. Wünsche einzelner Kollegen werden sofort erfüllt, sei es die Vergrößerung von Stimmen, das Übertragen kurzer Passagen in einen anderen Notenschlüssel oder die Bereitstellung von Stimmen auch mal früher als normalerweise üblich. Wolfgang Berg, Bratscher und Erfinder des 29 Odeonjugendorchesters, fragt regelmäßig für das Patenorchester nach einer Quinte, damit die jungen Musiker die Striche in ihr gekauftes Material übertragen können. Gleiches gilt für das Abonnentenorchester. Und unlesbare Stimmen, im letzten Falle waren das zwei Soloviolinen, die in einem Notensystem – „für das menschliche Auge kaum mehr wahrnehmbar“ – zusammengefasst waren, werden fein säuberlich getrennt neu notiert. Für das beste künstlerische Ergebnis. Georg Haider hat u.a. Komposition studiert. Bevor er bei den Münchner Philharmonikern anfing, war er als freischaffender Komponist tätig. Erst kürzlich hat er mit einem außergewöhnlichen Projekt von sich Reden gemacht: dem Klangbuch „Der Dritte Mann“, nach dem Roman von Orson Welles. Die Musik für vier Zithern, Posaune und Schlagzeug hat er ursprünglich für ein Zitherfestival komponiert. Gemeinsam mit dem Sprecher Norbert Gastell, mit verstellter Stimme als Synchronstimme von Homer Simpson bekannt, ist ein Melodram entstanden, das der Mandelbaumverlag herausgebracht hat. Deutschlandradio Kultur rezensiert: „Dieser „Dritte Mann“ ist kein Futter für das Autoradio, kein Unterhaltungskrimi, kein Auffrischen einer bereits bekannten Erzählung. Georg Haiders „Der Dritte Mann – Orson Welles’ Schatten“ ist uneasy listening, faszinierend-verstörende Hörkunst, die bewusstes Hören erfordert. Und nachdem man diesen Stoff mit anderen Ohren gehört hat, wird man vermutlich auch den Film mit anderen Augen sehen.“ Stets im Dienste der Musik eben. e In der Regel aber wird das Notenmaterial eingekauft. Bedingung für den Erwerb ist, dass die Rechte der Komponisten an den Werken freigeworden sind. In Deutschland ist das 70 Jahre nach dem Tod des Komponisten der Fall. Richard Strauss zum Beispiel ist also noch bis zum 1.1.2020 geschützt. In Asien oder auch in Amerika gelten hingegen andere Regeln. So war in den USA bis vor kurzem jedes Werk 50 Jahre nach dem Erscheinen des jeweiligen Erstdrucks geschützt. Wann werden welche Werke frei? Welche neuen Urtexte gibt es? Fragen, die die beiden Archivare aus dem Stand beantworten können. Ein guter Draht zu den Musikverlagen ist dabei mehr als hilfreich, ja geradezu Voraussetzung. Thomas Lang hat viele Jahre in einem großen Notenverlag gearbeitet, er kennt auch die andere Seite bestens und hat schon die eine oder andere kritische Situation still und einvernehmlich gelöst. Vorher war er als Dramaturg an verschiedenen Theatern in Deutschland tätig. Kein Wunder, dass seine große Liebe der Oper gilt, genauer gesagt der unentdeckten Oper. Mehr als 600 verschiedene Opern hat er bereits gesehen, dafür reist er durch ganz Deutschland, wann immer es die Zeit zulässt. Besonders angetan ist er von den zahlreichen Raritäten, die das Stadttheater Gießen schon seit Jahren ausgräbt. ch is on m er ar ätt ilh Bl Über die Schulter geschaut e ilh a Bl rm ät on te is r ch Ph 30 Orchestergeschichte Die Philharmoniker im Ersten Weltkrieg Gabriele E. Meyer „Oesterreich-Ungarn erklärt den Krieg – Der Ernst der Stunde – Vor der Entscheidung – Krieg oder Frieden? – Der Krieg – Der Weltkrieg“ titelte die Münchner Presse kurz vor und nach dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs. Die am Abend des 1. August verkündete allgemeine Mobilmachung machte die seit der Neuaufstellung im Herbst 1908 sukzessiv erreichte künstlerische und finanzielle Stabilisierung der Münchner Philharmoniker (damals noch Konzertvereins-Orchester) mit einem Schlag wieder zunichte. Nach einigen Wochen quälender Unsicherheit und der inzwischen erfolgten Kündigung der Musiker als Mitglieder des „Konzertvereins“ eröffnete das Orchester unter Beibehaltung des offiziellen Namens die Saison 1914/15 mit sechs Volks-Symphonie-Konzerten „zugunsten deutscher Orchestermusiker“. Initiator der Serie, die für dieses Vorhaben mittels „erlesener Genüsse, Dirigenten von Ruf und billige Eintrittspreise“ um möglichst viele Besucher warb, war Richard Strauss, Begründer der Genossenschaft deutscher Tonsetzer; er übernahm sogleich die beiden ersten Konzerte. Seinem Aufruf folgten Bruno Walter (2 Konzerte), Siegmund von Hausegger und Ernst Boehe. Von diesen sehr gut besuchten Veranstaltungen scheint eine Initialzündung für die gesamte Spielzeit ausgegangen zu sein, konnten doch trotz kriegsbedingter Schwierigkeiten bis Mitte des folgenden Jahres alle 12 Abonnementskonzerte durchgeführt werden. Dazu kamen noch 2 „Mitgliederkonzerte“, 27 Volkssymphoniekonzerte, 13 Wohltätigkeitskonzerte, 9 „Fremdkonzerte“, 1 Moderner Abend, 1 Richard- Strauss-Konzert zu dessen 50. Geburtstag, 1 Konzert „Münchner Ost- preussenhilfe“, 3 „Vaterländische Konzerte“ sowie 1 Abend „Zu Gunsten des Roten Halbmond“, nicht zu vergessen die 93 Populären Konzerte. Namhafte Dirigenten wie Bruno Walter, Fritz Steinbach, Ferdinand Löwe, Franz Mikorey und Felix Weingartner standen am Pult des Orchesters. Noch Ende Januar 1915 bewarb sich Wilhelm Furtwängler für die „erste verantwortliche Kapellmeister-Stellung“, die wegen der Rechtsunsicherheit allerdings nicht besetzt werden konnte. Beispielhaft erwähnt sei hier nur das 8. Abonnementkonzert vom 3. Febr. 1915, in dem Max Reger seine „Mozart-Variationen“ op. 132 und die „dem Deutschen Heere“ gewidmete „Vaterländische Ouvertüre“ erstmalig in München vorstellte. Das an Reger gerichtete Dankesschreiben des damaligen Oberbürgermeisters Wilhelm von Borscht beschrieb den überwältigenden Erfolg: „Der Besuch unserer Abonnementskonzerte war seit Ausbruch des Krieges noch nie so stark, wie bei Ihrem Konzert, die Begeisterung des Publikums für Ihre bewundernswerten Leistungen war grösser und herrlicher denn je.“ Anfang Juli 1915 kam dann doch das Aus, weil nahezu die Hälfte der Orchestermitglieder einberufen worden war. Da für die künstlerische Ausführung der Konzerte auch unter Heranziehung von Aushilfsmusikern keine Verantwortung mehr übernommen werden konnte, sah sich „die Vorstandschaft gezwungen, von der geplanten Durchführung der Sommerkonzerte in der Tonhalle abzusehen und bis auf weiteres alle Veranstaltungen einzustellen.“ Die verbliebenen Musiker aber gaben nicht auf. Verstärkt „durch hier lebende und Ph 31 Zwecke seines Daseins aufs neue zugewandt hat“ ging auch durch die Zeitungen. „Wenn man es nicht schon vorher gewußt hätte“ schrieb Paul Ehlers von den „Münchner Neuesten Nachrichten“, „müßten es einen die konzertvereinslosen letzten Winter gelehrt haben, wie nötig München den Konzertverein hat. Wir waren, weil die Musikalische Akademie über ihre acht eigenen Abende und die paar Konzerte mit dem Lehrergesangverein hinaus nichts mehr übernehmen kann, musikalisch fast auf den Rang einer Kleinstadt gedrückt worden (wozu auch die einzig dastehende Kohlensperre noch ihr Teil beigetragen hatte). Von neuen, zu ihrer Aufführung eines Orchesters bedürfenden Werken lernten wir kaum etwas mehr kennen und selbst die „Klassiker“ unter den Modernen“, hier ist wohl das symphonische Werk Bruckners und Mahlers gemeint, „mußten wir mehr oder minder entbehren.“ Trotz dieser grundsätzlichen Sympathiebekundung hinterließ das Konzert bei Ehlers einen eher zwiespältigen Eindruck, angesichts der äußeren Umstände nur allzu verständlich: „Wäre Berta Morena nicht gewesen […], so wäre der Eindruck des Abends, sein Ertrag an künstlerischen Erlebnissen recht bescheiden geblieben.“ Es sollte noch einige Zeit vergehen, bis sich die Münchner Philharmoniker wieder auf der Höhe ihres Könnens vorstellen konnten… e hierher berufene Tonkünstler“ versuchten sie als „Neues Münchener Konzert-Orchester“, abgekürzt „Neues Konzert-Orchester“ weiterzuarbeiten. Die Besucher kamen trotz Kohlennot, Mangelernährung und schlechter Verkehrsverbindungen. Die Programme konzentrierten sich, der personellen Not gehorchend, meist auf kleiner besetzte Werke wie Serenaden, Suiten und Symphonien. Viele bekannte Solisten, unter ihnen Elly Ney, Willem van Hoogstraten, Alfred von Pauer, Eugen d’Albert, Bronislaw Hubermann, Johannes Hegar, Adolf und Fritz Busch, Teresa Carreño, Eugen Papst, Berta Morena und Fritz Feinhals unterstützten die Orchestermusiker in ihrem Bestreben, auch weiterhin anspruchsvolle Abende zu gestalten. Gespielt wurde im Hotel „Vier Jahreszeiten“. Wie allerdings Wagners „Meistersinger“-Vorspiel von dem „leider sehr dezimierten Neuen Münchener KonzertOrchester“ erklang, sollte man sich eher nicht ausmalen. Noch vor Kriegsende beschloß der „Konzertverein“, zwischenzeitlich als kriegswichtiger Betrieb anerkannt, am 27. Mai 1918 die Wiederaufnahme des Konzertbetriebs „im nächsten Winter“. Am 30. September war es endlich soweit. Auf dem Programm des Eröffnungskonzerts unter der Leitung von Florenz Werner stand die 1. Symphonie von Johannes Brahms sowie Rezitativ und Arie der Leonore aus Beethovens „Fidelio“ und „Vorspiel und Isoldes Liebestod“ aus Wagners „Tristan und Isolde“. Berta Morena, die hochgerühmte WagnerHeroine und Mitglied der Münchener Hofoper hatte den Gesangspart übernommen. Ein Aufatmen ob der Tatsache, „daß sich der Konzertverein dem ch is on m er ar ätt ilh Bl Orchestergeschichte 32 So. 07.12.2014, 11:00 2. KaKo Vorschau Mo. 08.12.2014, 20:00 3. Abo f Mi. 10.12.2014, 20:00 3. Abo a „Wahlverwandtschaften“ Antonín Dvořák Klavierquartett Nr. 1 D-Dur op. 23 Josef Suk Klavierquartett a-Moll op. 1 Johannes Brahms Klavierquartett Nr. 2 A-Dur op. 26 Kurt Weill Symphonie Nr. 2 Johannes Brahms Klavierquartett g-Moll op. 25 (Instrumentierung: Arnold Schönberg) Graphik: dm druckmedien gmbh, München Druck: Color Offset GmbH, Geretsrieder Str. 10, 81379 München Gedruckt auf holzfreiem und FSC-Mix zertifiziertem Papier der Sorte LuxoArt Samt. Olivier Messiaen „Les offrandes oubliées“, Sinfonische Meditationen Frédéric Chopin Konzert für Klavier und Orchester Nr. 1 e-Moll op. 11 Michael Sanderling, Dirigent Jean Sibelius Symphonie Nr. 1 e-Moll op. 39 Pietari Inkinen, Dirigent William Youn, Klavier Wolfram Lohschütz, Violine Burkhard Sigl, Viola Joachim Wohlgemuth, Violoncello Paul Rivinius, Klavier Impressum Herausgeber Direktion der Münchner Philharmoniker Paul Müller, Intendant Kellerstraße 4, 81667 München Lektorat: Christine Möller Corporate Design: So. 14.12.2014, 11:00 3. Abo m Di. 16.12.2014, 20:00 2. Abo k5 Mi. 17.12.2014, 20:00 2. Abo e5 Textnachweise Jan Müller-Wieland, Jens Brockmeier, Elke Heidenreich, Christian Beuke und Gabriele E. Meyer schrieben ihre Texte als Originalbeiträge für die Programmhefte der Münchner Philharmoniker. Der Abdruck des Gesangstextes erfolgt dank der freundlichen Genehmigung durch den Sikorski Verlag. Lexikalische Angaben und Kurzkommentare: Stephan Kohler. Künstlerbiographien: Christine Möller. Alle Rechte bei den Autorinnen und Autoren; jeder Nachdruck ist seitens der Urheber genehmigungs- und kostenpflichtig. Bildnachweise Abbildungen: Museum Frieder Burda, Baden-Baden (Anselm Kiefer), Süddeutsche Zeitung Photo (Kriegsbegeis­t erung Odeonsplatz); de.wikimedia.org (Lamoral Graf von Egmond); privat (Skizzenblatt, Dirigierfoto). Künstlerphotographien: Regine Körner (Müller-Wieland); Anna Thorbjoernsson (Barainsky); Christof Mattes (Brandauer); privat (Herrmann); Leonie von Kleist (Heidenreich); privat (Aselmeyer, Zimmermann, Baltacigil, Mijnders). Diana Damrau Manfred Honeck Sopran Dirigent Werke von Bizet, Thomas, Offenbach, Bernstein, Johann Strauß (Sohn), Josef Strauß und Lehár Mittwoch, 31.12.2014, 17 Uhr Freitag, 02.01.2015, 20 Uhr Samstag, 03.01.2015, 19 Uhr Philharmonie im Gasteig Karten € 85,50 / 71,50 / 62,70 / 51,50 / 45,10 / 26,20 / 17,40 Informationen und Karten über München Ticket KlassikLine 089 / 54 81 81 400 und unter mphil.de 117. Spielzeit seit der Gründung 1893 Valery Gergiev, Chefdirigent (ab 2015/2016) Paul Müller, Intendant