Einführung in die Mathematik (Vorkurs1)

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Einführung in die Mathematik (Vorkurs1)
Sommersemester 2017
Dr. J. Jordan
Institut für Mathematik
Universität Würzburg
Germany
1
Modulbezeichnung 10-M-VKM
1
Inhaltsverzeichnis
1 Aussagenlogik
4
2 Beweistypen
10
3 Vollständige Induktion
12
4 Mengen
17
5 Abbildungen
23
2
Was Sie über N nicht vergessen
haben sollten
Wir beginnen mit einer kleinen Wiederholung über natürliche Zahlen2 .
Mit dem Symbol N bezeichnen wir die Menge der natürlichen Zahlen, also
N := {1, 2, 3, 4, . . . }. Der Doppelpunkt auf der linken Seite des Gleichheitszeichen bedeutet übrigens, dass hier die linke Seite, also das Symbol N, definiert
wird. Das setzt natürlich vorraus, dass wir die rechte Seite schon verstehen können. Ich hoffe jeder weiß was mit der Schreibweise {1, 2, 3, 4, . . . } gemeint ist.
Mit N0 bezeichnen wir die Menge {0, 1, 2, 3, . . . }. Wir sagen die natürliche Zahl
a teiltdie natürliche Zahl b, falls es eine natürliche Zahl k gibt, so dass ak = b.
Wir sagen auch a ist ein Teiler von b und schreiben a|b. Z.B teilt 4 die 12,
denn 4 · 3 = 12. Wir schreiben also 4 | 12. Falls es keine natürliche Zahl k für
die ak = b gilt gibt, ist a kein Teiler von b. Z.B. ist 5 kein Teiler von 12. Wir
schreiben 5 - b. Zahlen für die 2 ein Teiler ist, nennen wir gerade Zahlen. Alle
anderen natürlichen Zahlen nennen wir ungerade Zahlen.
Definition 0.1 Eine natürliche Zahl n heißt Primzahl, wenn sie ungleich Eins
ist und nur durch Eins und durch sich selbst teilbar ist.
Die Zahl 2 ist also eine Primzahl, denn jeder Teiler müsste kleiner als 2 aber
ungleich Drei sein. Da 2 die 3 nicht teilt, ist auch 3 eine Primzahl. Wegen
4 = 2 · 2 ist 4 keine Primzahl. In Ihrem Studium werden Sie an verschiedenen
Stellen sehen, dass Primzahlen eine fundamentale Bedeutung in der Mathematik
haben. Im Augenblick benötigen wir die Menge der Primzahlen nur, um einfache
Beispiele zur Aussagenlogik diskutieren zu können.
2
Was natürliche Zahlen sind, scheint intuitiv klar und aus der Schule ausreichend bekannt.
Tatsächlich machen wir es uns hier ein bischen einfach. Im Studium der Mathematik wird
man noch eine axiomatische Einführung der natürlichen Zahlen bekommen. Das führt aber
schon über den Vorkursstoff hinaus
3
1 Aussagenlogik
Die formale Logik stellt die Regeln bereit, nach denen mathematische Aussagen schlüssig und eindeutig formuliert und begründet werden können.
Mathematische Aussagen sind immer genau eines von beiden, wahr oder
falsch. Jede mathematische Aussage hat also einen eindeutig bestimmten Wahrheitswert, w (für wahr) oder f (für falsch)1 .
Die Sätze:Heute ist Montag und Morgen ist Mittwoch sind beides Aussagen.
Je nachdem an welchem Tag Sie den Satz lesen sind diese Aussagen wahr oder
falsch. Der Satz Heute ist Montag und morgen ist Mittwoch ist in jedem Falle
falsch, aber trotzdem eine Aussage. Der Satz Wie ist das Wetter heute ist in
obigen Sinne keine Aussage. Ein bischen kniffliger ist die Frage, ob der Satz
Dieser Satz ist eine Aussage die falsch ist in obigen Sinne eine Aussage ist
(probieren Sie mal, ob der Satz eine wahre oder eine falsche Aussage sein kann).
Beispiel 1.1 Nun ein paar Beispiele zu Aussagen mit zahlentheoretischem Inhalt:
A: 2017 Ist eine Primzahl
B: Jede Primzahl ist ungerade
C: Jede gerade Zahl größer oder gleich 4 ist das Produkt aus genau zwei Primzahlen
D: Jede gerade Zahl größer oder gleich 4 ist die Summe aus genau zwei Primzahlen
Aussage A ist wahr. 2 ist gerade und eine Primzahl, also ist Aussage B falsch.
Auch Aussage C ist falsch, z.B. ist 30 das Produkt aus drei Primzahlen. Aussage
D ist die sogenannte Goldbachsche Vermutung an der sich die Mathematiker
schon seit 1742 die Zähne ausbeißen. Trotzdem, D ist entweder wahr oder falsch
und damit eine Aussage.
1
Die Logik der Mathematik ist somit zweiwertig. Es gibt auch mehrwertige oder sogar unscharfe (Fuzzy-)Logik, die in der Technik eine gewisse Rolle spielt (Fuzzy-Regelung . . . );
diese ist aber zur Grundlegung der Mathematik eher ungeeignet (. . . obwohl es inzwischen
schon Gebiete wie Fuzzy-Topologie, Fuzzy-Analysis, Fuzzy-Wahrscheinlichkeitstheorie
usw. gibt!).
4
1 Aussagenlogik
Aus einfachen Aussagen gewinnt man durch logische Verknüpfungen kompliziertere Aussagen2 .
(a) Konjunktion („und“), Schreibweise: A ∧ B.
Beispiel: Seien A und C die Aussagen aus Beispiel 1.1. Dann bedeutet
die Aussage A ∧ C :
9 ist eine Primzahl und 2 ist eine Primzahl
Das ist eine neue Aussage (und zwar eine falsche). Der Wahrheitswert
der neuen Aussage A ∧ B ist durch folgende Tabelle (eine sogenannte
Wahrheitstafel) definiert:
A
w
w
f
f
B
w
f
w
f
A∧B
w
f
f
f
Durch die folgende Wahrheitstafel werden weitere logische Verknüpfungen
definiert.
A B
w w
w f
f w
f f
¬A A ∧ B
f
w
f
f
w
f
w
f
A∨B
w
w
w
f
A⇒B
w
f
w
w
A⇔B
w
f
f
w
(b) Disjunktion „oder“, Schreibweise: A ∨ B
Bemerkung: Das logische „oder“, ∨, ist nicht, wie meist in der Umgangssprache, als „entweder-oder“ gemeint 3 , sondern als einschließendes Oder.
2
Die Aussagenlogik ist kein reines Konstrukt der Mathematik; sie „existiert“ in der Natur! In
der Schaltungstechnik werden logische Operationen durch geeignete Schaltkreise realisiert.
Dabei bedeutet falsch bzw. wahr:
A wahr: Der A-Schalter ist geschlossen, d.h. Strom kann fließen.
‘A falsch: Der A-Schalter ist offen, d.h. Strom kann nicht fließen.
Durch eine Reihenschaltung von mehreren Schaltern lassen sich damit Und-Verknüpfungen
realisieren, durch eine Parallelschaltung Oder-Verknüpfungen. Die Und, Oder und NichtElemente können mittels Halbleitertechnik realisiert werden; damit können binäre logische
Aussagen im Prinzip auch experimentell überprüft (besser: „erfahren“) werden.
3
Ein exklusives Oder (entweder oder) kann durch
A∆B := (A ∧ ¬B) ∨ (¬A ∧ B).
definiert werden.
5
1 Aussagenlogik
Beispiel: Betrachte die Aussagen C1 : Die Zahl 2 ist gerade und die Aussage C2 : Die Zahl 2 ist eine Primzahl. Die Aussage C1 ∨ C2 : Die Zahl
2 ist gerade oder eine Primzahl ist wahr, da mindestens eine der beiden
Aussagen C1 , C2 wahr ist. Tatsächlich sind sowohl C1 als auch C2 wahr.
(c) Negation („nicht A“), Schreibweise: ¬A.
Beispiel: Die Negation von C ist ¬C : 2 ist keine Primzahl. Die Negation
von Alle Studenten wissen, dass es unendlich viele Primzahlen gibt ist Es
gibt mindestens einen Studenten, welcher nicht weiß, dass es unendlich
viele Primzahlen gibt. Die Aussage ¬B ist Nicht jede Primzahl ist ungerade. Achtung: ein typischer Anfängerfehler wäre ¬B mit Jede Primzahl
ist gerade gleichzusetzen. Das kann schon deshalb nicht richtig sein, da ja
entweder B oder ¬B richtig sein muss.
(d) Implikation („A impliziert B“, aus A folgt B), Schreibweise: A ⇒ B
Bemerkung: Eine Implikation A ⇒ B ist stets wahr, wenn A falsch ist!
Aus einer falschen Aussage kann man alles folgern!
Beispiel: Die verknüpfte Aussage A ⇒ D : Ist 9 eine Primzahl, dann
gibt es unendlich viele Primzahlzwillinge4 ist also wahr, obwohl wir nicht
wissen, ob die Aussage D wahr ist.
(e) Äquivalenz („A ist äquivalent zu B“, A genau dann, wenn B),
Schreinweise: A ⇔ B
Beispiel: Sei q eine natürliche Zahl. Die Aussage q ist eine gerade Primzahl und die Aussage q ist 2 sind äquivalent. Sie sind entweder beide wahr
(nämlich wenn q tatsächlich 2 ist) oder beide falsch.
Mit Hilfe der Wahrheitstafel kann man nun Regeln verifizieren. Z.B. stellt
man fest, dass die Aussage A ∧ B genau dann wahr ist, wenn B ∧ A wahr ist.
Die sogenannte Kommutativität von ∧ ist also durch die Tabelle
A B
w w
w f
f w
f f
A∧B
w
f
f
f
B∧A
w
f
f
f
gezeigt. Analog geht man bei der Verifikation weiterer Regeln vor.
Regel 1.2
(a) Kommutativität:
A∧B ⇔B∧A
A ∨ B ⇔ B ∨ A.
4
Primzahllzwillinge sind Paare von Primzahlen, welche sich nur um 2 unterscheiden, also 3
und 5 oder 11 und 13.
6
1 Aussagenlogik
(b) Assoziativität:
A ∧ (B ∧ C) ⇔ (A ∧ B) ∧ C
A ∨ (B ∨ C) ⇔ (A ∨ B) ∨ C.
(c) Distributivität:
A ∧ (B ∨ C) ⇔ (A ∧ B) ∨ (A ∧ C)
A ∨ (B ∧ C) ⇔ (A ∨ B) ∧ (A ∨ C).
(d) Doppelte Negation:
¬(¬A) ⇔ A.
(e) de Morgansche Regeln:
¬(A ∧ B) ⇔ ¬A ∨ ¬B
¬(A ∨ B) ⇔ ¬A ∧ ¬B.
(f ) Kontraposition:
(A ⇒ B) ⇔ (¬B ⇒ ¬A).
(g) Syllogismus:
((A ⇒ B) ∧ (B ⇒ C)) ⇒ (A ⇒ C).
Mathematische Aussagen hängen oft von Variablen ab. Zum Beispiel hängt
die Aussage
A(n) : n ist größer als 2n
von der Variable n ab. Dabei sind die Variablen meist durch Annahme eines
gewissen Definitionsbereiches eingeschränkt. In obigem Beispiel etwa sei n eine
beliebige natürliche Zahl. Wir nehmen hier schon mal die Bezeichnung n ∈ N
für “n ist ein Element der natürlichen Zahlen“ vorweg. Wir schreiben
∀n ∈ N : A(n)
für Für alle natürlichen Zahlen n gilt die Aussage A(n). Das Symbol ∀ ist der
sogenannte Allquantor .
Wir schreiben
∃n ∈ N : A(n)
statt Es existiert eine natürliche Zahl n, so dass die Aussage A(n) gilt. Das
Symbol ∃ ist der sogenannte Existenzquantor.
Beispiel 1.3 Die folgenden Aussagen seien für ganze Zahlen n bzw. m erklärt.
7
1 Aussagenlogik
• Die Aussage A(n) : n ist größer als 2n ist für alle natürlichen Zahlen n
falsch. Wir könnten also schreiben
∀n ∈ N : ¬A(n).
• Sei nun B(n) die Aussage n2 > n. Für gewisse n ist diese Aussage wahr
(etwa für n = 3). Wir können also schreiben
∃n ∈ N : B(n).
Beachten Sie, dass bei der Negation einer Aussage die Quantoren ∀ und ∃
ihre Rollen vertauschen, d.h. es gilt
¬ (∀n ∈ N : A(n)) ⇔ ∃n ∈ N : ¬A(n).
Oder in Worten ausgedrückt: Ist A(n) nicht für alle n richtig, dann gibt es
mindestens ein n, so dass A(n) falsch ist. Analog gilt
¬ (∃n ∈ N : A(n)) ⇔ ∀n ∈ N : ¬A(n).
Beispiel 1.4 Die Aussage C(n, m): n ist größer als m hängt von den natürlichen Zahlen n und m ab.
Die Aussage D : Für jede natürliche Zahl m gibt es eine natürliche Zahl n so
dass n größer als m ist kann man abkürzend schreiben
D : ∀m ∈ N ∃n ∈ N : C(m, n).
Wir stellen zunächst fest, dass D etwas völlig anderes ist wie
E : ∃n ∈ N ∀m ∈ N : C(m, n).
In Worten: Es gibt eine natürliche Zahl m, so dass für jede natürliche Zahl n
die Ungleichung n > m gilt. Eine Aussage kann sich also ändern, wenn man die
Reihenfolge von Quantoren vertauscht.
Aussage D ist wahr, Aussage E ist falsch. E ist aber auch nicht die Negierung
von D. Die ergibt sich durch
¬D : ∃m ∈ N ∀n ∈ N : ¬C(m, n).
In Worten: Es existiert eine natürliche Zahl m so dass für jede natürliche Zahl
n die Ungleichung n ≤ m gilt.
Übung: Es sei C(m, n) eine Aussage, welche von Parametern n und m (jeweils
natürliche Zahlen) abhängig sind. Desweiteren sei:
A1 : ∃n ∈ N ∀m ∈ N : C(m, n)
A3 : ∀n ∈ N ∃m ∈ N : C(m, n)
A2 : ∀m ∈ N ∃n ∈ N : C(m, n)
A2 : ∃m ∈ N ∀n ∈ N : C(m, n)
8
1 Aussagenlogik
a) Finden Sie geeignete Beispiele für Aussagen C(m, n) welche belegen, dass
Die Aussagen A1 , A2 , A3 und A4 verschieden sind.
b) Gelten Implikationen zwiwschen den Aussagen A1 , A2 , A3 und A4?
Warnung: Die Symbole ∧, ∨, ¬, ⇒, ⇔, ∀ und ∃ sind oft sehr nützlich, etwa
wenn man verschachtelte logische Ausdrücke negieren will. Keinesfalls sollten sie aber im Sinne stenographischer Abkürzungen in einem mathematischen Text (z.B. bei der Bearbeitung von Übungsblättern,
Klausuraufgaben oder Bachelorarbeiten) verwendet werden. Ein mathematischer Text sollte immer aus vollständigen Sätzen bestehen.
9
2 Beweistypen
Gegeben seien zwei Aussagen A und B. Man will nun beweisen, dass aus der
Aussage A die Aussage B folgt. Wir müssen also zeigen, dass die Aussage B
wahr ist, falls A wahr ist.
Beispiel: Sei q eine natürliche Zahl. Die Aussage A sei q ist eine gerade Primzahl und B sei q ist kleiner als 5. Wir wollen zeigen, dass die Aussage A ⇒ B :
Ist q eine gerade Primzahl, so ist sie kleiner als 5 wahr ist, also dass die Aussage A die Aussage B impliziert.
Wir stellen nun die folgenden drei Beweistechniken vor:
• Direkter Beweis: Man nehme an, dass A wahr ist und folgere durch eine
Kette logischer Schlüsse, dass B wahr ist.
Beispiel: Aus A folgt zunächst die Aussage C : q ist 2, denn 2 ist eine
Primzahl, und jede andere gerade Zahl ist durch zwei teilbar und daher
keine Primzahl. Aus C wiederum folgt B, denn 2 ist kleiner als 5.
• Beweis durch Kontraposition: Hier nutzt man, die Kontrapositionsregel, d.h. die Tatsache, dass A ⇒ B genau dann wahr ist, wenn ¬B ⇒ ¬A
wahr ist. Wir verneinen also B und zeigen, dass hieraus ¬A folgt.
Beispiel: Es gelte also ¬B, d.h., q ist größer oder gleich 5. Dann ist q auch
ungleich 2. Da alle Primzahlen außer zwei ungerade sind, ist q ungerade
oder keine Primzahl. Es gilt also ¬A.
• Widerspruchsbeweis: Hier nutzt man, dass A ⇒ B äquivalent ist zu
¬A ∨ B. Die Negation dazu ist wiederum A ∧ ¬B. Um nun zu zeigen, dass
A ⇒ B wahr ist, zeigt man, dass A ∧ ¬B falsch ist.
Beispiel: Die Aussage A∧¬B ist q eine gerade Primzahl größer oder gleich
5. Als gerade Zahl ist q ein Vielfaches von 2 und damit keine Primzahl.
Ein Widerspruch.
Die beiden Beweistypen Kontaposition und Widerspruchsbeweis nennt
man indirekter Beweis.
Viele Übungsaufgaben lassen sich mit einer Kombination der drei folgenden
Fragetypen formulieren.
• Beweisen Sie: aus A folgt B:
Dies ist die Standardsituation, wie sie in Abschnitt 2 beschrieben ist.
10
2 Beweistypen
• Beweisen Sie, dass A und B äquivalent sind:
Um eine Äquivalenz zu zeigen, muß man beide Implikationen A ⇒ B und
B ⇒ A zeigen.
Beispiel 2.1 Wir beweisen, dass die Aussagen A: n ist gerade und die
Aussage B: n2 ist gerade äquivalent sind. Zunächst zeigen wir A ⇒ B:
Ist n gerade, so gibt es eine natürliche Zahl k, so dass n = 2k. Damit ist
auch n2 = 4 · k 2 = 2 · 2k 2 gerade.
Nun zeigen wir B ⇒ A. Hier probieren wir einen indirekten Beweis:
Wir nehmen an, n ist nicht gerade, also ungerade. Dann gibt es eine natürliche Zahl k, so dass n = 2k − 1. Dann ist n2 = 4k(k − 1) + 1 ungerade.
Wir haben damit ¬A ⇒ ¬B gezeigt. Wir wissen aber schon, dass das
äquivalent zu B ⇒ A ist (Kontraposition).
• Beweisen oder widerlegen Sie Aussage A:
In Übungsblättern und Klausuren werden Sie häufig mit einer Aussage
konfrontiert, von der Sie zunächst nicht wissen, ob sie wahr oder falsch
ist. Falls Sie ein Gegenbeispiel zur Aussage finden, ist die Aufgabe gelöst,
denn ein Gegenbeispiel ist ein Beweis. Nämlich dafür, dass eine Aussage
falsch ist. Das besagte Gegenbeispiel müssen sie aber genau ausführen,
d.h. begründen, warum dieses Beispiel die zu untersuchende Aussage wiederlegt. Falls die Aussage wahr ist, müssen sie einen Beweis finden. In
der Regel sind solche Aufgaben so konzipiert, dass ein Student mit etwas
Überblick weiß, ob die Aussage zu beweisen oder zu widerlegen ist.
Beispiel: Beweisen oder widerlegen Sie die folgende Aussage: „Für jede
natürliche Zahl m gibt es eine natürliche Zahl n, so dass n + m = nm“
Wer es probiert, wird schnell ein Gegenbeispiel finden. Die richtige Antwort
ist also: „ Die Aussage ist falsch. Z.B. für m = 1 gibt es kein solches n,
denn für jede natürliche Zahl n gilt n + 1 > n · 1. “
Achtung: Ein Beispiel ist kein Beweis! Für gewisse natürliche Zahlen m
gibt es ein n, so dass n + m = nm. Z.B. für m = 2 wähle man n = 2.
Dieses Beispiel liefert aber keinerlei Erkenntnis darüber, ob obige Aussage
insgesamt wahr oder falsch ist.
11
3 Vollständige Induktion
Die Vollständige Induktion ist eine sehr wichtige Beweismethode, welche wir in
allen mathematischen Disziplinen benutzen werden. Betrachten Sie die Aussagen
n
A := „Für alle n ∈ N ist die Zahl 22 + 1 eine Primzahl“
und
B := „Für alle n ∈ N ist die Zahl 22n − 1 durch drei teilbar“
Sind die Aussagen wahr? Man könnte vermuten, dass A wahr ist, denn man
n
rechnet leicht nach, dass 22 + 1 für n = 1, 2, 3 eine Primzahl ist. Mit etwas
4
5
Aufwand sieht man auch das 22 + 1 eine Primzahl ist. Es gilt aber 22 + 1 =
4294967297, und diese Zahl ist durch 641 teilbar. Die Aussage A ist hiermit also
widerlegt.
Die Aussage B ist allerdings wahr. Wieder könnte man anfangen, die Aussage
für möglichst viele natürliche Zahlen n zu testen. Im Gegensatz zu oben werden
Sie kein Gegenbeispiel finden. Die Aussage ist damit aber noch nicht beweisen,
da Sie ja, egal wie schnell Ihr Computer ist, nur für endlich viele n testen können.
Die Vollständige Induktion ist nun eine Methode, die es ermöglicht Aussagen wie
B zu beweisen.
Prinzip der vollständigen Induktion: Für jede natürliche Zahl n ∈ N sei
eine Aussage B(n) gegeben. Es gelte:
1) B(1) gilt, d.h. die Aussage stimmt für n = 1
2) B(n) ⇒ B(n + 1) gilt, d.h. falls die Aussage für eine Zahl n ∈ N wahr ist,
so ist sie auch für die Zahl n + 1 wahr.
Dann stimmt die Aussage B(n) für alle n ∈ N.
Die Voraussetzung, dass B(1) wahr ist, nennt man Induktionsanfang. Die
Implikation B(n) ⇒ B(n + 1) ist trivialerweise wahr, wenn B(n) falsch ist. Interresant ist also nur der Fall, wenn B(n) wahr ist. Dazu nehmen wir einfach an,
dass B(n) für ein abstraktes n wahr ist. Diese Annahme nennt man Induktionsannahme oder Induktionsvoraussetung. Im sogenannten Induktionsschluß muss man nun zeigen, dass aus B(n) auch B(n + 1) folgt 1 .
Bitte gewöhnen Sie sich gleich an, alle drei Schritte, also Induktionsanfang,
Induktionsvoraussetung und Induktionsschluß für den Leser Ihrer Lösungen kenntlich zu machen.
1
Tipp: Wer beim Induktionsschluß die Induktionsannahme nicht benutzt hat, hat ziemlich
sicher etwas falsch gemacht.
12
3 Vollständige Induktion
Wer Prinzip der vollständigen Induktion zum ersten mal sieht sollte sich nun
ersteinmal klar machen, warum dieses Prinzip intuitiv richtig ist. Gilt die Aussage B(1) dann folgt ja nach 2), dass die Aussage B(2) gilt. Daraus folgt dann,
wieder mit 2), dass B(3) gilt und daraus, dass B(4) gilt, und so weiter2 .
Viele wichtige Sätze und Rechenregeln, lassen sich durch vollständige Induktion beweisen. Wir zeigen nun einige Beispiele dafür.
Exkurs: Zunächst führen wir folgende wichtige Schreibweise für Summen ein.
Für
Pn Zahlen a1 , . . . , an schreiben wir für die Summe a1 + a2 + . . . an in Zukunft
P9
k=1 ak . Statt 1 + 2 + 3 + 4 + 5 + 6 + 7 + 8 + 9 schreiben wir also
k=1 k.
Hier ist also ak = k und n = 9. Noch ein Beispiel zu dieser Schreibweise.
P Für
die natürlichePZahl k sei ak durch ak = k 2 definiert. Dann bedeutet 7k=1 ak
dasselbe wie 7k=1 k 2 oder wie 1 + 4 + 9 + 16 + 25 + 36 + 49.
Aber nochmal zum Fall ak = k. Hier gilt:
Satz 3.1 Für alle natürlichen Zahlen n ∈ N gilt
n
X
k=
k=1
n(n + 1)
.
2
Beweis: Wir beweisen die Aussage mit Hilfe der Vollständigen Induktion.
also die von einer natürlichen Zahl n abhängigen Aussage
Pn Wir betrachten
n(n+1)
. Um die Struktur des Beweises sichtbarer zu machen nennen
k=1 k =
2
wir diese aussage A(n).
(Induktionsanfang:) Zunächst müssen wir zeigen, dass die Aussage A(1)
wahr ist. Das
P ist leicht, denn für die linke Seite der zu beweisenden Gleichung
= 1.
erhält man 1k=1 k = 1 und für die linke Seite erhält man 1·2
2
Nun müssen wir zeigen, dass A(n) ⇒ A(n + 1) wahr ist, d.h., wir zeigen, dass
P
P
n+1(n+2)
falls A(n) wahr ist, also nk=1 k = n(n+1)
gilt, so muss auch n+1
k=1 k =
2
2
gelten.
P
(Induktionsannahme:) Sei nk=1 k = n(n+1)
für eine natürliche Zahl n.
2
(Induktionsschluß:) Dann gilt
n+1
X
k =
k=1
n
X
k+n+1
Induktionsannahme
=
k=1
n(n + 1)
+n+1
2
n(n + 1) + 2(n + 1)
(n + 1)(n + 2)
=
2
2
Die Aussage A(n) ⇒ A(n + 1) ist also wahr.
=
2
Wir benutzen also nur die Eigenschaft der natürlichen Zahlen, dass man jede natürliche
Zahl erreicht, wenn man von der Eins ausgehend oft genug eine Eins addiert. Diese Eigenschaft der natürlichen Zahlen kann man übrigens nicht beweisen. Vielmehr ist diese
Eigenschaft ein Axiom, also eine Annahme. Mathematiker bemühen sich, die Mathematik auf möglichst wenigen Axiomen aufzubauen. Genauers darüber lernen Sie im späteren
Studium der Mathematik.
13
3 Vollständige Induktion
Exkurs 2: Auch für das zweite Beispiel führen führen wir eine wichtige
Schreibweise ein. Für
a1 · a2 ·
Q Zahlen a1 , . . . , an schreiben wir für das Produkt Q
· · · · an in Zukunft nk=1 ak . Für 1 · 2 · 3 · 4 · 5 · 6 · 7 · 8 schreiben wir also 8k=1 k.
Satz 3.2 Für die natürliche Zahl x 6= 1 und alle natürlichen Zahlen n ∈ N gilt
n
Y
n
(1 + x
k=1
2k−1
1 − x2
.
)=
1−x
Beweis: Wir beweisen die Aussage mit Hilfe der Vollständigen
Induktion.
n
Qn
1−x2
2k−1
Wir betrachten also die Aussage k=1 (1 + x
) = 1−x . Diese Aussage bezeichnen wir mit A(n).
Induktionsanfang: Zunächst müssen wir zeigen, dass die Aussage A(1) wahr
ist. Wieder ist dieser Schritt leicht, denn für n = 1 erhält man für die linke Seite:
1
Y
0
(1 + x2 ) = 1 + x
k=1
und für die rechte Seite:
1
(1 + x)(1 − x)
1 − x2
=
= 1 + x.
1−x
(1 − x)
Nun müssen wir zeigen, dass A(n) ⇒ A(n+1) wahr ist. Induktionsannahme:
Q
2n
k−1
Sei A(n) wahr für ein n ∈ N, d.h. nk=1 (1 + x2 ) = 1−x
. Induktionsschluß:
1−x
Dann gilt
n+1
Y
(1 + x
2k−1
)
2n
=
(1 + x )
k=1
n
Y
k−1
(1 + x2
)
k=1
n
Induktionsannahme
=
=
=
=
=
Die Aussage A(n) ⇒ A(n + 1) ist also wahr.
14
1 − x2
(1 + x )
1−x
n
2n
(1 + x )(1 − x2 )
1−x
2n 2
1 − (x )
1−x
n
n
1 − x2 +2
1−x
n+1
1 − x2
1−x
2n
3 Vollständige Induktion
Beispiel 3: Wir hatten ja am Anfang dieses Kapitels behauptet, dass die
Zahl 22n − 1 für jedes n ∈ N durch drei teilbar ist. Versuchen Sie einmal, diese
Aussage zu beweisen.
Beispiel 4: Für n ∈ N betrachten wir ein aus 2n mal 2n Einzelquadraten
bestehendes Quadrat, welchem wir ein beliebiges Einzelquadrat entnehmen.
(Die Skizze zeigt einen Fall für n = 3). Zeigen Sie, dass es für alle n ∈ N möglich
ist, jedes durch Herausnahme eines Kästchens reduzierte 2n × 2n -Quadrat mit
Fliesen der Form
vollständig zu parkettieren. (Fliesen dürfen dabei gedreht und versschoben werden, aber weder dürfen Fliesen zerschnitten werden, noch dürfen sie sich gegenseitig überdecken.)
Beweis: Versuchen Sie es zunächst selber.
Aus dem Prinzip der vollständigen Induktion lassen sich leicht verallgemeinerte Induktionsprinzipien ableiten: Z.B. gilt:
Korollar 3.3 Sei n0 ∈ Z = {0, ±1, ±2, . . . } fest gewählt. Um eine Aussage
B(n) für alle n ∈ Z mit n ≥ n0 zu beweisen, reicht es zu zeigen:
1) B(n0 ) gilt
2) Für beliebiges n ∈ Z mit n ≥ n0 gilt: Falls B(n) richtig ist, so auch
B(n + 1).
Beweis: Setze C(n) := B(n0 − n + 1) und wende das Prinzip der vollständigen
Induktion auf C(n) an.
Wer das Prinzip der vollständigen Induktion begriffen hat sieht ein, dass hier
nichts neues passiert. Wir fangen nur an einer anderen Stelle mit der Induktion
an. Als Konsequenz haben wir die Aussage nicht für alle Zahlen n ∈ N oder
n ∈ Z bewiesen, sondern nur für diejenigen, die größer als der Startwert n0 sind.
15
3 Vollständige Induktion
Beispiel 4: Wir zeigen, für alle n ≥ 4 gilt die Abschätzung 2n < n!. Der
Ausdruck
Q n! steht hierbei für die sogenannte Fakultät von n, also dem Produkt
n! := nk=1 k = 1 · 2 · · · · · n.
Für die Zahlen n = 1, 2, 3 gilt
21 = 2 > 1! = 1,
22 = 4 > 2! = 2 bzw. 23 = 8 > 3! = 6
die Aussage 2n < n! ist also für diese Zahlen falsch. Wir beginnen nun eine
vollständige Induktion ab n = 4. Induktionsanfang: Für n = 4 ist die Ungleichung richtig, denn 24 = 16 und 4! = 24. Induktionsannahme: Sei 2n < n!
für ein n ≥ 4. Induktionsschluß: Dann ist
2n+1 = 2 · 2n
Induktionsannahme
<
2 · n! < (n + 1)n! = (n + 1)!.
Somit ist die Aussage für alle n ≥ 4 gezeigt.
Man kann sich noch viele weitere Varianten der vollständigen Induktion überlegen. Besonders nützlich ist die folgende:
Korollar 3.4 Es sei B(n) eine Aussage, abhängig von einem Parameter n ∈ N.
Es gelte:
1) B(1) und B(2) ist wahr.
2) Für beliebiges n ∈ N mit gilt: Falls B(n − 1) und B(n) wahr ist so ist auch
B(n + 1) wahr.
dann ist B(n) für alle n ∈ N wahr.
Beispiel 5: Es sein a und b reelle Zahlen mit a 6= 0 und b 6= 0, mit der
Eigenschaft, das ab + ab eine natürliche Zahl ist. Wir zeigen, dass auch ( ab )n + ( ab )n
für jedes n ∈ N eine natürliche Zahl ist.
Dazu betrachten wir die Aussage B(n): ( ab )n + ( ab )n ∈ N.
0
0
Induktionsbeginn: Ist klar, da ab + ab = 2 ∈ N. da nach Vorraussetzung
a
+ ab ∈ N.
b
Induktionsannahme: Es gelte B(n) und B(n − 1) für ein n ∈ N
Induktionsschluß: Insbesondere gelte nach Induktionsannahme ( ab )n−1 +
( ab )n−1 ∈ N und ( ab )n + ( ab )n ∈ N.
Also ist auch
!
a n+1 b n+1 a b a n b n a n−1 b n−1
+
=
+
+
−
+
∈ N.
b
a
b a
b
a
b
a
| {z } |
{z
} |
{z
}
∈N
∈N
16
∈N
4 Mengen
Der Begriff Menge soll hier mit Bedacht nicht präzise definiert werden. Intuitiv kann man eine Menge als Zusammenfassung derjeniger Objekte (Elemente
der Menge genannt) einer „universellen Klasse“ vorstellen, die durch bestimmte
Eigenschaften ausgezeichnet sind.
Ist M eine Menge und x ein Element von M , so schreiben wir
x ∈ M.
Wir sagen auch: „x gehöre zu M “ oder „x liegt in M “. Ist x kein Element von
M , so schreiben wir
x∈
/ M.
Eine Menge kann durch Aufzählung ihrer Elemente erklärt werden, z.B. ist
M = {a, b, c, d}
die Menge aus den Elementen a, b, c und d. Meist werden Mengen aber durch
Angabe einer Eigenschaft beschrieben. Schreibweise:
M = {x | x hat Eigenschaft E} oder M = {x : x hat Eigenschaft E}.
Beispiel 4.1
(1) Die Menge der natürlichen Zahlen
N := {1, 2, 3, 4, 5, 6, . . .}.
(2) Die Menge der natürlichen Zahlen einschließlich 0:
N0 := {0, 1, 2, 3, 4, 5, 6, . . .}.
(3) Die Menge der geraden Zahlen
2N := {2, 4, 6, . . .}.
(4) Die Menge der Primzahlen
P := {p ∈ N | p = p1 p2 für p1 , p2 ∈ N mit p1 < p2 impliziert p1 = 1 < p2 },
Mengen haben aber nicht unbedingt etwas mit Zahlen zu tun. Zum Beispiel
werden wir später mit Mengen von Mengen, Mengen von Abbildungen usw.
arbeiten.
17
4 Mengen
Zwei Mengen M und N sind gleich, d.h. M = N , wenn sie dieselben Elemente
haben. Die Aussage M = N ist also definiert durch die Aussgae x ∈ M ⇔ x ∈
N.
Eine Menge M heißt Teilmenge von N , d.h. M ⊂ N , falls jedes Element von
M zu N gehört. Hier sei betont, dass die Bezeichnung M ⊂ N auch erlaubt,
dass M = N ist1 . Will man ausdrücken, dass M eine echte Teilmenge von N
ist, d.h. M ⊂ N und M 6= N , gilt schreibt man M $ N . Zusammenfassend gilt
also
M
M
M
M
=N
6= N
⊂N
⊃N
:⇔
:⇔
:⇔
:⇔
(x ∈ M ⇔ x ∈ N )
¬(M = N )
(x ∈ M ⇒ x ∈ N )
(x ∈ M ⇐ x ∈ N )
Um zu zeigen, dass eine Menge M Teilmenge einer anderen Menge N ist, muß
man zeigen, dass für jedes Element x ∈ M auch x ∈ N gilt. Um zu zeigen, dass
zwei Mengen M und N gleich sind, beweist man zunächst M ⊂ N und dann
N ⊂ M.
Die Menge
∅ := {x ∈ M | x 6= x}
heißt leere Menge. Sie ist eindeutig bestimmt und hängt nicht von M ab. Die
leere Menge ∅ ⊂ M ist Teilmenge jeder Menge; ∅ enthält selbst kein Element.
Die Potenzmenge 2M von M ist die Menge aller Teilmengen von M :
2M = {N | N ⊂ M }.
Beispiel 4.2
2{0,1} = {∅, {0}, {1}, {0, 1}} ,
2∅ = {∅},
∅
22 = {∅, {∅}}.
Ist M eine Menge mit endlich vielen Elementen, so bezeichnen wir die Anzahl
der Elemente von M mit |M |. Es gilt nun folgender Zusammenhang:
Satz 4.3 Hat M endlich viele Elemente, so hat 2M genau 2|M | viele Elemente.
Beweis: siehe Übung.
Im folgenden stellen wir einige wichtige Operationen mit Mengen vor:
1
Das ist leider nicht einheitlich in der Literatur. In manchen Büchern und Vorlesungen
werden die Symbole ⊆ (statt ⊂) bzw. ⊂ (statt und $) benutzt.
18
4 Mengen
Die Vereinigung
Die Vereinigung
M ∪ N := {x | x ∈ M ∨ x ∈ N }
zweier Mengen M, N besteht sowohl aus den Elementen von M als auch aus
denen von N .
Beispiel 4.4
{1, 2} ∪ {2, 3} = {1, 2, 3}.
Sei allgemeiner S eine Menge, deren Elemente selbst Mengen sind. Die Vereinigung der Mengen aus S ist die Menge
[
M := {x | ∃ M ∈ S mit x ∈ M }.
M ∈S
S
M ∈S M ist also die Menge der Elemente, die mindestens einem M ∈ S angehören. Oft wird das Mengensystem indiziert, d.h., jedem Element von S wird ein
eindeutiger Index i aus einer Indexmenge I zugeordnet, d.h., S = {Mi | i ∈ I}.
Wir schreiben
[
Mi := {x | ∃i ∈ I mit x ∈ Mi } .
i∈I
Beispiel 4.5 Sei I = N und Mi := {i, i + 1, . . . , 2i} für i ∈ N. Dann ist
[
Mi = N.
i∈I
S
Beweis: Da jede der Mengen Mi Teilmenge
von
N
ist,
gilt
i∈I Mi ⊂ N. Wir
S
müssen also noch zeigen, dass auch N ⊂ i∈I Mi gilt.
S Sei also n ein beliebiges
Element S
aus N, dann ist n ∈ Mn . Folglich ist n ∈ i∈I Mi . Da n beliebig war,
gilt N ⊂ i∈I Mi .
Der Durchschnitt
Der Durchschnitt zweier Mengen M und N
M ∩ N := {x | x ∈ M ∧ x ∈ N }
ist die Menge aller Elemente, die sowohl zu M als auch zu N gehören.
Beispiel 4.6
2N ∩ P = {2}.
19
4 Mengen
Allgemeiner ist
\
M := {x | ∀ M ∈ S gilt x ∈ M }
M ∈S
der Durchschnitt einer nichtleeren Menge S von Mengen. Er besteht aus den
Elementen, die zu allen M ∈ S gehören. Oder mit Indexschreibweise
\
Mi := {x | ∀i ∈ I ist x ∈ Mi }.
i∈I
Beispiel 4.7 Sei I die Indexmenge I = N und Mi := {n ∈ N | i < n < 4i}.
Dann ist
\
Mi = ∅.
i∈I
Beweisen Sie diese Gleichheit, ähnlich wie in Beispiel 4.5.
Das Komplement
Das Komplement einer Menge N in M (oder die Differenz von M und N ) ist
die Menge
M/N := {x | x ∈ M und x ∈
/ N}
M \N besteht aus allen Elementen von M , die nicht zu N gehören. Zum Beispiel
besteht N \ 2N genau aus den ungeraden Zahlen.
Kartesisches Produkt
Das geordnete Paar („Tupel“) zweier Objekte x, y ist das Objekt (x, y) mit
der Eigenschaft
(x, y) = (x0 , y 0 ) ⇔ x = x0 und y = y 0 .
Insbesondere ist (x, y) 6= (y, x) falls x 6= y. Formal kann man (x, y) als Menge
definieren vermöge
(x, y) := {{x}, {x, y}}.
Man zeigt dann leicht (Übungsaufgabe), dass die obige Eigenschaft erfüllt ist.
Das kartesische Produkt zweier Mengen M, N ist die Menge
M × N := {(x, y) | x ∈ M und y ∈ N }.
Beispiel 4.8 Die Menge N × N besteht aus den Paaren (a, b) mit a ∈ N und
b ∈ N. Also N × N = {(1, 1), (1, 2), (2, 1), . . . }.
n-faches kartesisches Produkt
M1 × · · · × Mn := {(x1 , . . . , xn ) | x1 ∈ M1 ∧ · · · ∧ xn ∈ Mn }.
20
4 Mengen
Dabei werden die n-Tupel (x1 , . . . , xn ) rekursiv durch
(x1 , . . . , xn ) := ((x1 , . . . , xn−1 ), xn )
definiert mit der Eigenschaft
(x1 , . . . , xn ) = (y1 , . . . , yn ) ⇔ x1 = y1 , . . . , xn = yn .
Wir halten nun folgende wichtige Zusammenhänge fest.
(a) M \M = ∅, M \∅ = M .
(b) M ∩ M = M, M ∪ M = M .
(c) Kommutativität:
M ∪ N = N ∪ M,
M ∩ N = N ∩ M.
(d) Assoziativität:
(M ∪ N ) ∪ L = M ∪ (N ∪ L),
(M ∩ N ) ∩ L = M ∩ (N ∩ L).
(e) Distributivität:
(M ∩ N ) ∪ L = (M ∪ L) ∩ (N ∪ L),
(M ∪ N ) ∩ L = (M ∩ L) ∪ (N ∩ L).
(M ∩ N ) × L = (M × L) ∩ (N × L).
(M ∪ N ) × L = (M × L) ∪ (N × L)
(f) Für die Teilmengen M, N einer Menge X gilt:
(1)
X\(X\M ) = M.
(2)
X\(M ∩ N ) = (X\M ) ∪ (X\N )
X\(M ∪ N ) = (X\M ) ∩ (X\N )
(3) Allgemeiner gilt sogar
T
S
X\ SM ∈S M = TM ∈S (X\M )
X\ M ∈S M = M ∈S (X\M )
21
de Morgansche Regel
de Morgansche Regel
4 Mengen
Wie beweist man solche Regeln? Wir führen dies am Beispiel der zweiten de
Morganschen Regel einmal vor:
Beweis von X\(M ∪ N ) = (X\M ) ∩ (X\N )
(i) Zunächst zeigen wir X\(M ∪N ) ⊂ (X\M )∩(X\N ). Sei also x ∈ X\(M ∪N ).
Dann ist x ∈ X aber x ∈
/ M ∪ N . Demnach ist x weder Element von N noch
Element von M . Also ist x sowohl in X\M wie auch in X\N und damit auch
im Schnitt dieser beiden.
(ii) Nun zeigen wir X\(M ∪ N ) ⊃ (X\M ) ∩ (X\N ). Ist x ∈ (X\M ) ∩ (X\N ),
dann ist x sowohl in X\M wie auch in X\N . Damit ist x weder in M noch in
N und damit in X\(M ∪ N ).
Versuchen Sie jetzt mal, eine der anderen beiden Eigenschaften zu beweisen.
Zum Beispiel, dass jedes Element aus (M1 ∩M2 )×N auch in (M1 ×N )∩(M2 ×N )
liegt, und das jedes Element aus (M1 × N ) ∩ (M2 × N ) auch in (M1 ∩ M2 ) × N
liegt.
22
5 Abbildungen
Eine Abbildung f einer Menge M in eine Menge N ist eine Vorschrift, die
jedem Element x ∈ M jeweils ein eindeutig bestimmtes Element y = f (x) ∈ N
zuordnet. y = f (x) heißt Wert von f an der Stelle x. M heißt Definitionsbereich, N der Wertebereich von f .
Schreibweise:
f : M → N, x 7→ f (x)
Beispiel 5.1 Oft werden Abbildungen durch Terme definiert, z.B.:
f : N → N, z 7→ z 2 .
Ein anderes Beispiel ist
g : N → N, n 7→ g(n)
und g(n) sei die kleinste Primzahl größer als n. Im zweiten Beispiel ist nicht
unbedingt klar, ob die Abbildung g wohldefiniert ist, d.h. ob jedem Wert aus
dem Definitionsbereich auch ein eindeutiger Wert aus dem Bildbereich zugeordnet wird. Gibt es zu jedem n ∈ N immer eine eindeutige kleinste Primzahl die
größer ist als n? Die Frage kann man bejahen, wenn man weiß, dass es unendlich
viele Primzahlen gibt.
Zwei Abbildungen f1 : M1 → N1 , f2 : M2 → N2 heißen gleich wenn gilt
(i)
(ii)
M1 = M2 , N1 = N2
f1 (x) = f2 (x) für alle x ∈ M1 = M2 .
Ist beides erfüllt schreiben wir f1 = f2 .
Beispiel 5.2 Betrachten Sie die Abbildungen f : N → N, z 7→ 2z, g : N →
2N, z 7→ 2z und
h : N → N, h(z) := Anzahl der Elemente der Menge {z + 1, z + 2, . . . , 3z}.
Obwohl f (z) = g(z) für alle z ∈ N gilt, ist f 6= g. Andererseits sind die Abbildungen f und h gleich.
Wir führen nun eine Reihe wichtiger Bezeichnungen ein:
Definition 5.3
a) Der Graph einer Abbildung f : M → N ist die Menge
Γf := {(x, f (x)) | x ∈ M } ⊂ M × N.
23
5 Abbildungen
b) Das Bild einer Teilmenge A ⊂ M unter f : M → N ist die Teilmenge
f (A) := {f (x) | x ∈ A}.
f (M ) heißt Bildmenge von M .
c) Das Urbild einer Menge B ⊂ N ist die Teilmenge
f −1 (B) := {x ∈ M | f (x) ∈ B}.
d) Sei A eine Teilmenge von M . Dann nennt man
f |A : A → N, x 7→ f (x)
die Einschränkung von f auf A.
Beispiel 5.4 Es sei
f : N → N, n 7→
1
n2
falls n ≥ 4,
falls n < 4.
Weiter sei P ⊂ N die Menge der Primzahlen. Das Bild von P unter f ist f (P) =
{4, 9}, denn f (2) = 4, f (3) = 9 und f (n) = 1 für alle n ≥ 4. Das Urbild von
P ⊂ N unter f ist f −1 (P) = ∅, denn f (n) ist für kein n ∈ N eine Primzahl.
Es gelten die folgenden Regeln für Bild- und Urbildmengen.
Satz 5.5 Für jede Abbildung f : M → N und Teilmengen A, A1 , A2 ⊂ M ,
B1 , B2 ⊂ N gilt:
(a)
f −1 (B1 ∪ B2 ) = f −1 (B1 ) ∪ f −1 (B2 )
(b)
f −1 (B1 ∩ B2 ) = f −1 (B1 ) ∩ f −1 (B2 )
(c)
f (A1 ∪ A2 ) = f (A1 ) ∪ f (A2 )
(d)
f (A1 ∩ A2 ) ⊂ f (A1 ) ∩ f (A2 )
(e)
A ⊂ f −1 (f (A))
24
5 Abbildungen
Beweis: Wir zeigen hier nur eine der Aussagen, dafür sehr ausführlich. Der
Rest ist Übung für Sie.
Sei zunächst x ∈ f −1 (B1 ∪ B2 ), d.h. f (x) ∈ B1 ∪ B2 . Ist f (x) ∈ B1 so ist
x ∈ f −1 (B1 ). Ist f (x) ∈ B2 so ist x ∈ f −1 (B2 ). In beiden Fällen gilt x ∈
f −1 (B1 )∪f −1 (B2 ) und damit f −1 (B1 ∪B2 ) ⊂ f −1 (B1 )∪f −1 (B2 ). Wir müssen also
noch f −1 (B1 ∪ B2 ) ⊃ f −1 (B1 ) ∪ f −1 (B2 ) zeigen. Ist x ∈ f −1 (B1 ) ∪ f −1 (B2 ), dann
ist f (x) in B1 oder in B2 . Es gilt also f (x) ∈ B1 ∪B2 und damit x ∈ f −1 (B1 ∪B2 ).
Bemerkung: Liest man die Aussagen (d) und (e), dann fragt man sich sofort,
ob denn nicht auch Gleichheit anstelle der Inklusion gilt. Überlegen Sie sich
Beispiele, welche belegen, dass die Gleichheiten im Allgemeinen nicht gelten.
Definition 5.6 Eine Abbildung f : M → N heißt
(a) injektiv, wenn für alle x1 , x2 ∈ M gilt
f (x1 ) = f (x2 ) ⇒ x1 = x2 .
Eine äquivalente Definition ist, dass das Urbild f −1 ({y}) für jedes y ∈ N
höchstens ein Element hat.
(b) surjektiv, wenn f (M ) = N . Eine äquivalente Definition ist, dass das
Urbild f −1 ({y}) für jedes y ∈ N mindestens ein Element hat.
(c) bijektiv, wenn f injektiv und surjektiv ist. Eine äquivalente Definition
ist, daß das Urbild f −1 ({y}) für jedes y ∈ N genau ein Element hat.
Beispiel 5.7 Betrachten Sie die Abbildungen f : Z → Z, z 7→ z 2 und g : N →
N, g(z) = z 2 . f ist weder injektiv (denn f (−1) = f (1)) noch surjektiv (denn
für alle z ∈ Z ist f (z) 6= −1). Die Abbildung g ist injektiv, denn g(z1 ) = g(z2 )
impliziert z1 = z2 . g ist aber nicht surjektiv, denn g(N) ist echt kleiner als der
Wertebereich N. Für alle z ∈ N gilt z.B. g(z) 6= 3.
Definition 5.8 Es seien f : P → N und g : M → P Abbildungen. Die Abbildung f ◦ g : M → N ist definiert durch
f ◦ g(x) := f (g(x)), x ∈ M
und heißt Verknüpfung von g mit f oder Komposition von g mit f oder
Hintereinanderausführung von g mit f . Bildet f eine Menge auf sich selbst
auch mit f n .
ab, also f : M → M so bezeichnet man
f ◦ f ◦ f ...f
{z
}
|
n fache Verknüpfung
Beispiel 5.9 Wir betrachten f : N → N, n 7→ 3n und g : N → N, n 7→ n2 .
Dann ist f ◦ g : n 7→ 3n2 aber g ◦ f : n 7→ (3n)2 = 9n2 . Insbesondere sehen wir
in diesem Beispiel, dass f ◦ g etwas anderes ist als g ◦ f . Weite ist f 2 : N → N,
n → 9n. Insbesondere ist f 2 (n) = 9n etwas anderes als (f (n))2 = (3n)2 = 9n2 .
25
5 Abbildungen
Definition 5.10 Es sei M eine Menge. die Abbdildung idM : M → M , x 7→ x
heißt Identität (auf M ).
Satz 5.11 Genau dann ist f : M → N bijektiv, wenn es eine Funktion g gibt,
welche f ◦ g = idN und g ◦ f = idM erfüllt. Dieses g ist eindeutig und wird als
Umkehrabbildung oder Inverse von f bezeichnet. Wir schreiben f −1 statt g.
Beweis: Da f surjektiv ist, so hat die Gleichung f (m) = n für jedes n ∈ N
eine Lösung mn . Da f injektiv ist, ist diese Lösung eindeutig. Also ist die Abbildung g : N → M , mn 7→ n ist wohldefiniert. Für alle m ∈ M gilt g(f (m)) = m
und für alle n ∈ N gilt f (g(n)) = n. Es gilt also f ◦ g = idN und g ◦ f = idM .
Umgekehrt folgt aus f ◦g = idN die Surjektivität von f , denn zu jedem n ∈ N
gibt es ein m ∈ M mit f (m) = n, nämlich m = g(n). Aus g ◦ f = idM folgt die
Injektivität, denn aus f (m1 ) = f (m2 ) folgt m1 = g(f (m1 )) = g(f (m2 )) = m2 .
Achtung: Eine Umkehrfunktion f −1 ist nur für bijektive Abbildungen definiert. Das Urbild f −1 (A) existiert für jede Abbildung f : M → N und jede
Teilmenge A ⊂ N .
Beispiel 5.12 Die Abbildung f : N → 2N, n → 2n ist bijektiv. Die Umkehrabbildung ist f −1 : 2N → N, n → 12 n. Die Abbildung g : 2N → 2N , M 7→ N \ M
ist auch bijektiv (können Sie das zeigen?). Was ist hier die Umkehrabbildung?
Den nächsten Satz sollten Sie einmal selber versuchen zu beweisen:
Satz 5.13 Es seien f : P → N und g : M → P Abbildungen.
a) Sind f und g beide injektiv, so ist f ◦ g injektiv.
b) Sind f und g beide surjektiv, so ist f ◦ g surjektiv.
c) Sind f und g beide bijektiv, so ist auch f ◦ g bijektiv und die Umkehrabbildung von f ◦ g ist g −1 ◦ f −1 .
26
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