WICHTIGE STUDIEN · KRITISCH GELESEN HIV-Infektion Frühe antiretrovirale Therapie ist klinisch sinnvoll Wenn bei mit HIV infizierten Patienten die antiretrovirale Therapie bereits frühzeitig im asymptomatischen Stadium bei einer CD4+-Zellenzahl über 500 begonnen wird, hat dies eine signifikante Risikoreduktion für AIDS definierende Komplikationen zur Folge. Wann soll eine antiretrovirale Therapie begonnen werden? Häufige Praxis ist es, die Behandlung zu initiieren, wenn die CD4+-Zellen unter einen Schwellenwert von 350 Zellen pro Milliliter abgefallen sind. Doch die Evidenz für dieses Vorgehen beruht auf Beobachtungsstudien. Nun haben zwei zugleich im New England Journal of Medicine publizierten Studien untersucht, ob ein früherer Therapiestart lohnt. Studie 1 ist die START-Studie mit 4685 Patienten. Patienten der einen Gruppe wurden sofort behandelt, solange die CD4+-Zellzahl noch über 500 pro mm3 lag. Die anderen Patienten wurden behandelt, wenn die CD4+-Zellzahl unter 350 pro ml absank oder aber eine AIDS-definierende Komplikation eintrat oder eine andere absolute Therapieindikation eintrat. Im Median hatten die Patienten bei Studieneintritt ca. 12800 HIV-Kopien pro ml und 651 mm3. Die Studie wurde vorzeitig abgebrochen und es wurde allen Patienten mit verzögerter Therapie empfohlen, die antiretrovirale Therapie zu beginnen. Denn schwerwiegende Komplikationen oder Todesfälle traten bei 42 (1,8%) vs. 96 (4,1%) auf, die Risiko­ reduktion betrug 57%. Viele der Komplikationen traten auf, während die Patienten noch eine relativ gute Ausstattung mit CD4+-Zellzahl von über 500 pro mm3 aufwiesen. Die Therapie ging nicht mit schweren Nebenwirkungen einher. Die zweite Studie wurde in der Elfenbeinküste durchgeführt. An ihr nahmen 2056 Patienten teil. Untersucht wurde in vier Therapiegruppen, ob eine frühe antivirale Therapie sinnvoll ist und ob zusätzlich noch eine Isoniazid-Prophylaxe gegen Tuberkulose verabreicht werden sollte. Die Behandlung dauerte ca. 2 Jahre, bei 204 Patienten traten Komplikationen auf (3,8 Ereignisse pro Patientenjahr), darunter 68 Patienten mit CD4+-Zellen über 500 pro mm3. Das relative Risiko für schwere Komplikationen wurde durch die frühe antiretrovirale Therapie um 44% und durch Isoniazid um 35% gesenkt, was jeweils signifikant war. Diese Ergebnisse werden die Praxis verändern, wobei es in Entwicklungsländern natürlich schwer sein wird, einen früheren Therapiestart zu etablieren. wwWFR Quelle: The INSIGHT START Study Group; Initiation of Antiretroviral Therapy in Early Asymptomatic HIV Infection; N Engl J Med 2015; 373: 795-807; The TEMPRANO ANRS 12136 Study Group; A Trial of Early Antiretrovirals and Isoniazid Preventive Therapy in Africa. N Engl J Med 2015; 373: 808-822 Genitalherpes Tenofovir-Gel zur Prävention geeignet Nachdem Versuche mit oralem Tenofovir in der Prävention von Infektionen mit Herpes simplex Typ 2 keine überzeugenden Ergebnisse erbracht hatten, wurde nun eine topische Applikation erfolgreich getestet. Herpes simplex Virus (HSV) vom Typ 2 ist weltweit eine der am häufigsten übertragenen Genitalinfektionen. In besonderem Masse grassiert die Infektion in der südlichen Hälfte von Afrika: Man schätzt, dass dort 80% der sexuell aktiven Frauen und 50% der sexuell aktiven Männer infiziert sind. Tenofovir ist ein antiviraler Wirkstoff, der sich in der HIV-Therapie bewährt hat. In der aktuellen Studie wurde der Wirkstoff in Form eines topischen Vaginalgels perikoital angewendet mit dem Ziel, Frauen vor HSV-2-Infektionen zu schützen. An der doppelblinden, in Südafrika durchgeführten Studie nahmen 422 HSV-2-negative Frauen statt. HSV-2-Infektionen wurden mit Hilfe von HSV-2-IgG-Bestimmungen zwischen Studi- enbeginn und Studienende diagnostiziert und mit einem WesternBlot-Test bestätigt. Die HSV-2-Inzidenz wurden von 21 pro 100 Patienten-Jahren in der Kontrollgruppe durch die Gel-Applikation auf 10,2 pro 100 Patientenjahre halbiert (p = 0,003). Bei Frauen, die das Gel mit einer Konzentration von über 10 ng/ml anwendeten, war die Inzidenz mit 5,7 pro 100 Patienten-Jahren noch niedriger. Der Western Blot bestätigte 36 (Plazebo) vs. 16 (Tenofovir-Gel) HSV-2-Serokonversionen. Fazit: Vaginales Tenofovir-Gel halbiert das HSV-2-Risiko, wobei höhere Konzentrationen und regelmässige Applikation den Erfolg erhöhen. Zusammen mit Kondomen und Zirkumzisionen zählt die perikoitale Gelapplikation zu den effektiven Massnahmen der HSV-2-Prävention. wwWFR Quelle: S.S.Abdool Karim, et al.; Tenofovir Gel for the Prevention of Herpes Simplex Virus Type 2 Infektion. N Engl J Med 2015; 373: 530-9 _ 2016 _ der informierte arzt 601 WICHTIGE STUDIEN · KRITISCH GELESEN Hypoxisches Lungenversagen Nasale High-Flow O2 -Therapie scheint die beste Option zu sein Bei akutem hypoxischen Lungenversagen ohne Hyperkapnie ist eine nasale High-Flow Sauerstoff-Therapie über eine Nasensonde einer nicht-invasiven Beatmung hinsichtlich der 90-Tage-Sterblichkeit überlegen. Die nichtinvasive Beatmung mit positivem Beatmungsdruck reduziert die Atemarbeit und verbessert den Gasaustausch. Bei COPD sowie bei kardiogen bedingtem Lungenödem reduziert sie die Wahrscheinlichkeit einer Intubation und verbessert die Prognose. Bei hypoxischem Lungenversagen sind die Daten hingegen zu widersprüchlich, um das Therapieverfahren in dieser Indikation zu empfehlen. Alternativ steht hier die nasale Sauerstofftherapie mit hoher Flussrate zur Verfügung. Letztere sorgt für einen leichten Überdruck in den oberen Atemwegen und möglicherweise für eine Reduktion des physiologischen Totraumes in den Atemwegen. Die Therapie reduziert die Atemarbeit und erhöht den Patientenkomfort und die Sauerstoffkonzentration im Vergleich zu einer Standard-Sauerstoffgabe. In der vorliegenden Arbeit wurden nun erstmals die Standard-O2-Therapie, die O2-Therapie mit hoher Flussrate sowie die nicht-invasive Ventilation mit positivem Druck bei Patienten mit hypoxischem Lungenversagen ohne Hyperkapnie verglichen. 310 Patienten nahmen an der multizentrischen und randomisierten offenen Studie teil. Primärer Endpunkt war die Rate der Intubationen nach 28 Tagen. Sekundärer Endpunkt war u.a. die Mortalität nach 90 Tagen. Insgesamt mussten 38% der Patienten mit High-Flow-Sauerstofftherapie intubiert werden, 47% der Patienten mit StandardSauerstofftherapie und 50% der nicht-invasiv beatmeten Patienten. Die Unterschiede waren nicht signifikant, wenngleich die HighFlow-Therapie schon hier im Trend besser aussah. Die Patienten der High-Flow-Sauerstofftherapie wiesen signifikant weniger Intubationstage auf. Sie verbrachten im Schnitt 24 der ersten 28 Tage ohne mechanische Beatmung, im Vergleich zu 22 Tagen in der Standard-Sauerstofftherapie-Gruppe und 19 Tage in der nichtinvasiven Beatmungsgruppe. Noch deutlicher waren die Unterschiede in der Mortalität. Das Sterberisiko nach 90 Tagen war – im Vergleich zur High-Flow O2-Therapie – bei Standard-O2-Therapie verdoppelt und bei nichtinvasiver Beatmung um den Faktor 2,5 erhöht (p = 0.006). wwWFR Quelle: J-P Frat, et al.; High-Flow Oxygen through Nasal Cannula in Acute Hypoxemic Respiratory Failure. N Engl J Med 2015, 372: 2185-94 Neue Meta-Analyse Kognitive Verhaltenstherapie hilft langfristig gegen Schlafstörungen Mit kognitiver Verhaltenstherapie lassen sich Schlafstörungen im Erwachsenenalter effektiv behandeln, so das Ergebnis einer systematischen Meta-Analyse. 5% bis 15% aller Erwachsenen leiden unter chronischen Schlafstörungen, die häufig mit anderen Komorbiditäten wie Angst, Depression, Hypertonie, Diabetes, chronischen Schmerzen, erhöhte Unfallgefahr und Alkoholismus einher geht. Behandelt wird häufig mit Hypnotika, die wirksam sind, aber auch nebenwirkungsträchtig, und die ein Abhängigkeits-Potential besitzen können. Eine sichere und nebenwirkungsarme Alternative ist die kognitive Verhaltenstherapie, die in den letzten Jahren verbessert wurde und heute aus den fünf Komponenten kognitive Therapie, Stimulationskontrolle, Schlafrestriktion, Schlafhygiene und Entspannung besteht. Wie wirksam diese Massnahme ist, wurde nun in einer Gesamtbetrachtung aller vorhandenen Studien ermittelt, wobei von 292 Zitationen und 91 Publikationen 20 Studien mit zusammen 1162 Patienten den qualitativen Anforderungen der Autoren genügten. In den Studien mussten wenigstens drei der genannten fünf therapeutischen Komponenten geprüft worden sein. Die Autoren fanden, dass sich insgesamt Einschlafstörungen im Schnitt um 19 Minuten, Durchschlafprobleme um 26 Minuten, die gesamte Schlafzeit um 7 Minuten und die Schlafeffizienz um 10% verbessert haben. Diese Veränderungen beurteilten sie als signifikant und klinisch relevant. Die Veränderungen waren von längerer Dauer. Nebenwirkungen wurden nicht registriert. wwWFR Quelle: JM Trauer, et al.; Cognitive Behavioral Therapy for Chronic Insomnia. Ann Intern Med 2015; 163: 191-204 _ 2016 _ der informierte arzt 801