Renale Wirkungen und Nebenwirkungen der Angiotensin

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M E D I Z I N
ZUR FORTBILDUNG
Johannes Mann1
Karl F. Hilgers2
Roland E. Schmieder2
Roland Veelken2
Renale Wirkungen
und Nebenwirkungen
der Angiotensin-RezeptorAntagonisten
ZUSAMMENFASSUNG
AT1-Rezeptorantagonisten (AT1RA) blockieren den
AT1-Rezeptor, der alle bekannten Effekte des Angiotensius II vermittelt. Über ihre Effekte an der Niere bewirken
AT1RA die Verminderung einer bestehenden Proteinurie
sowie eine Natriurese und Diurese. Diese Effekte sind erwünscht und tragen wahrscheinlich zu der antihypertensiven und potentiell nephroprotektiven Wirkung dieser
Substanzen bei. Als unerwünschte renale Wirkung ist vor
allem ein akutes Nierenversagen zu erwähnen. Tierexperimentell ist das Risiko für AT1RA für ein akutes Nieren-
versagen geringer als für ACE-Hemmer. Ob dieser Unterschied auch für
Patienten besteht, ist unklar. Jedenfalls ist akutes Nierenversagen unter AT1RA selten und betrifft praktisch nur
Risikogruppen: Patienten mit Exsikkose, hohen Diuretikadosen, Stenose einer Einzelniere oder nach Nierentransplantation.
Schlüsselwörter: Blutdruck, Angiotensin-Rezeptor-Antagonist, ACE-Hemmer, akutes Nierenversagen, Nierenarterienstenose
Renal Effects of Angiotensin II Receptor Antagonists
Angiotensin 1 receptor antagonists (AT1RA) block the
AT1 receptor which mediates all the known effects of
angiotensin II. In the kidney, AT1RA decrease proteinuria
and enhance diuresis and natriuresis. These effects most
likely contribute to the antihypertensive and potentially
renoprotective actions of AT1RA. Acute renal failure is the
most important adverse effect of AT1RA. In experimental
animals, the risk for acute renal failure is lower with
AT1RA than with ACE-inhibitors in rats. In humans, it re-
mains to be established whether AT1RA carry a
lower risk of acute renal failure than ACE inhibitors. However, acute renal failure due to AT1RA
occurs rarely and has been reported exclusively in patients
at high risk due to severe volume deficits, high doses of
diuretics, renal artery stenosis of a solitary kidney, or after
renal transplantation.
Key words: blood pressure, Angiotensin receptor antagonist, ACE-inhibitor, acute renal failure, renal artery
stenosis
M
it den Antagonisten der
Typ-1-Rezeptoren von Angiotensin II (AT1RA) haben wir, neben den ACE-Hemmern,
eine zweite Klasse von Pharmaka zur
Verfügung, die das Renin-Angiotensin-System hemmen (16). Wir setzen
die AT1RA und die ACE-Hemmer –
in der Praxis und in klinischen Studien – zur Behandlung von Patienten mit Hypertonie, Herzinsuffizienz
oder Niereninsuffizienz ein. Grafik 1
veranschaulicht die Angriffspunkte
der beiden Pharmaka. Von den ACEHemmern wissen wir, daß eine Hemmung des Renin-Systems die Niere
positiv wie negativ beeinflussen kann
(Textkasten Wirkungen der ACEHemmer). In dieser Arbeit wollen
wir darstellen, wie das renale Risiko
und die potentiellen Vorteile der
AT1RA für die Niere beim gegenwärtigen Stand des Wissens einzuschätzen sind. Zur akuten renalen
Wirkung der AT1RA liegen genü-
gend experimentelle und klinische
Daten vor. Die langfristigen Studien
zur Nephroprotektion werden erst in
drei bis vier Jahren abgeschlossen
sein. Bis dahin ist eine Information
über den aktuellen Stand wichtig, da
die renalen Wirkungen und Nebenwirkungen bei Hemmung des ReninSystems von großem Interesse sind.
Wir werden hier auf die akute Verschlechterung der Nierenfunktion,
die Beeinflussung der Proteinurie,
die Progression der chronischen Niereninsuffizienz und die diuretische
Wirkung der AT1RA eingehen,
meist im Vergleich mit den gut bekannten ACE-Hemmern.
1 VI. Medizinische Abteilung (Direktor: Prof.
Dr. med. Johannes Mann), Krankenhaus
Schwabing, Akademisches Lehrkrankenhaus
der Ludwig-Maximilians-Universität, München
2 4. Medizinische Universitätsklinik (Direktor:
Prof. Dr. med. Ralf Bernd Sterzel), Erlangen–Nürnberg
SUMMARY
AT1RA und akute
Verschlechterung der
Nierenfunktion
Mit den ACE-Hemmern haben
wir gelernt, daß eine Hemmung des
Renin-Angiotensin-Systems eine Verschlechterung der Nierenfunktion
auslösen kann (18). Einzelfälle von
akutem, dialysepflichtigem Nierenversagen sind berichtet worden. Warum kann die glomeruläre Filtrationsrate (GFR) durch ACE-Hemmer
akut verschlechtert werden, und besteht das gleiche Risiko für AT1RA?
Bei Krankheiten mit einer stark
reduzierten Nierendurchblutung (wie
Nierenarterienstenose, schwere Herzinsuffizienz, Exsikkose, Diarrhö)
kann Angiotensin (ANG) II die glomeruläre Filtrationsrate stabilisieren
(Grafik 2). Angiotensin II verengt vor
allem die efferente glomeruläre Arteriole, also die Gefäßstrecke direkt
hinter dem glomerulären Filter. Fließt
Deutsches Ärzteblatt 95, Heft 51–52, 21. Dezember 1998 (43) A-3287
M E D I Z I N
ZUR FORTBILDUNG
relativ wenig Blut durch die Niere, nicht, wie im Tierversuch (12), gesteidann wird durch eine Verengung der gert. Der Effekt des AT1RA war also
efferenten Arteriole der Filtrations- ähnlich, wie man es von einem ACEdruck und damit die GFR trotz gerin- Hemmer erwarten würde. Es gibt
gem Blutfluß aufrechterhalten. Ist al- auch erste Fallberichte über oligurileine Angiotensin für die Kontrolle sches akutes Nierenversagen unter
der efferenten Arteriole verantwort- AT1RA bei Hochrisiko-Patienten,
lich, dann sollten AT1RA und ACE- etwa Patienten mit bilateraler NieHemmer ein gleiches Risiko für ein renarterienstenose oder nach Nieakutes Nierenversagen haGrafik 1
ben.
Tierexperimente
spreAngiotensinogen
chen aber dafür, daß das renale Risiko mit AT1RA geringer
Renin
ist als mit ACE-Hemmern.
Beispielhaft sollen zwei Arbeiten angeführt werden. Kon
Angiotensin I
Inaktive Fragmente
und Mitarbeiter (12) prüften
mit Mikropunktion die HäACE _
_ ACE
ACE-Hemmer
modynamik einzelner Glomeruli bei stark exsikkierten Ratten. Wie Grafik 3 zeigt, wurAngiotensin II
Bradykinin
de der glomeruläre Kapillardruck mit einem ACEHemmer deutlicher gesenkt
_ AT1-Rezeptor-Antagonisten
als mit einem AT1RA, die glomuläre Filtrationsrate (GFR)
AT2 AT1
B1 B2
fiel mit dem ACE-Hemmer
Rezeptoren
Rezeptoren
ab und stieg mit dem AT1RA
an. Die Dilatation der efferenAngriffspunkte der AT1RA und der ACE-Hemmer auf das Renin-Syten Arteriole durch den ACEstem und Interaktion mit Bradykinin. AT1RA hemmen nur die TypHemmer konnte von einem
1-Rezeptoren von Angiotensin II; diese Rezeptoren vermitteln alle
Bradykininantagonisten ge- gut bekannten Wirkungen von Angiotensin II wie Vasokonstriktion
bremst werden. Als zweites und Antinatriurese. ACE-Hemmer vermindern die Bildung von Anexperimentelles Beispiel sei giotensin II und den Abbau von Bradykinin, die Konzentration von
die diabetische Ratte ange- Angiotensin II sinkt also, die von Bradykinin steigt. AT1 und AT2,
führt (11). Die Hyperfiltration Typ-1- und -2-Rezeptoren für Angiotensin II. Die Effekte des AT2dieser Tiere konnte mit einem Rezeptors sind noch nicht vollständig gesichert, wahrscheinlich wirACE-Hemmer akut normali- ken sie den Effekten des AT1 entgegen. B1 und B2, Bradykinin-Resiert werden, nicht jedoch mit zeptoren; B1 spielt vor allem bei inflammatorischen Effekten des
einem AT1RA oder mit einer Bradykinin eine Rolle, während B2 Vasodilatation vermittelt.
Kombination aus ACE-Hemmer und Bradykininantagonist. Das rentransplantation (4). Inzwischen
heißt, daß Bradykinin, dessen Wir- wurden AT1RA und ACE-Hemmer
kung von ACE-Hemmern verstärkt bei 17 Patienten mit Nierenarterienund von AT1RA nicht beeinflußt wird stenose verglichen (20). Blutdruck
(Grafik 1), bei Ratten die efferente und GFR fielen unter akuter Gabe
Arteriole erweitert, die also nicht nur von 50 mg Captopril und 200 mg Losvon Angiotensin kontrolliert wird artan in gleichem Ausmaß ab (20). In
(Grafik 2).
einer weiteren Untersuchung wurde
Wie ist die Situation beim Pati- bei über 700 Patienten mit schwerer
enten? Für Bradykinin sind schließ- Herzinsuffizienz ein AT1RA im doplich erhebliche Speziesunterschiede pelblinden Vergleich mit hochdosierbekannt. Doig et al. (5) haben gesun- tem Captopril über zwei Jahre gegede Freiwillige mit einer kochsalzlo- ben (21). Leichte Anstiege des Kreasen Diät und zusätzlicher Gabe von tininwertes, die primäre Zielvariable,
Furosemid exsikkiert. Unter diesen wurden in beiden Gruppen bei zehn
Bedingungen hat ein AT1RA die Prozent beobachtet, erhebliche AnGFR reversibel für mehrere Stunden stiege bei keinem Patienten. Im übrium etwa die Hälfte reduziert und gen war das unerwartete Ergebnis
A-3288 (44) Deutsches Ärzteblatt 95, Heft 51–52, 21. Dezember 1998
dieser sogenannten Elite-Studie, daß
der AT1RA einen Überlebensvorteil
gegenüber der etablierten ACEHemmertherapie bei Herzinsuffizienz zeigt (21).
Trotz widersprechender tierexperimenteller Befunde haben also
AT1RA beim Patienten ein ähnliches
Risiko für ein akutes Nierenversagen
wie ACE-Hemmer. Ob das Risiko
aber genauso hoch ist, wissen wir
nicht, da außer der Elite-Studie (21)
größere vergleichende klinische Untersuchungen noch fehlen. Auf jeden
Fall werden akute Kreatininanstiege
unter AT1RA und ACE-Hemmern
nur bei ganz bestimmten Risikogruppen beobachtet, die im Textkasten Risikogruppen aufgelistet sind. Klinisch
bedeutend sind vor allem Patienten
mit sehr hohen Diuretikadosen oder
anderen Ursachen eines intravasalen
Volumenmangels (2).
AT1RA und Proteinurie
Niedrige intrarenale Konzentrationen von ANGII lösen eine Proteinurie aus. Die Mechanismen, die
dazu führen, sind vielfältig (8, 10).
Wie mehrfach erwähnt, erhöht
ANGII den glomerulären Kapillardruck. Außerdem vergrößert das
Oktapeptid die Größe der glomerulären Filtrationsporen und die Anzahl großer Poren. Auch Änderungen
der Ladungseigenschaft der glomerulären Basalmembran sind unter
ANGII beschrieben worden. Umgekehrt ist gut belegt, daß ACE-Hemmer eine vorhandene Proteinurie vermindern, und zwar über ihre antihypertensive Wirkung hinaus (8, 11).
Diese antiproteinurische Wirkung
kann durch eine sehr hohe Salzzufuhr, mithin durch eine Suppression
des Renin-Systems, aufgehoben werden (11). Im übrigen wird ein Rückgang einer Proteinurie immer als prognostisch günstiges Zeichen für die
Niere angesehen.
Sind AT1RA ähnlich antiproteinurisch wirksam wie ACE-Hemmer? Gansevoort et al. (6) konnten
dies bei Patienten mit nicht diabetischer Proteinurie und fast normaler
GFR belegen. Die Patienten erhielten doppelblind und überkreuzt zwei
Dosen eines AT1RA und eines ACE-
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ZUR FORTBILDUNG
Hemmers über je acht Wochen. Unter beiden Medikamenten ging die
Proteinurie von etwa 4,5 g/d auf 2,3
g/d zurück. Auch die Veränderungen
von Blutdruck, glomerulärer Filtration und renalem Blutfluß waren identisch. Diese ersten Ergebnisse wurden inzwischen mit verschiedenen
AT1RA bestätigt.
Erwünschte und
unerwünschte Wirkungen der
ACE-Hemmer auf die Niere
Erwünschte Wirkungen:
Reduktion einer glomerulären
Hyperfiltration
Senkung einer glomerulären
Hypertonie
Verbesserung der glomerulären Permselektivität für
Makromoleküle
Verminderung einer Proteinurie
Erhöhung der Kochsalzausscheidung
Verminderung der glomerulären Entzündungs- und
Vernarbungsreaktion
Verlangsamung der
Progression von chronischen
Nierenerkrankungen
Unerwünschte Wirkungen:
Akutes Nierenversagen
(bei Risikopatienten; siehe
Textkasten Risikopatienten)
Erhöhung der Reninfreisetzung, vermehrte Bildung
von Angiotensin I
Langfristige Gabe bei
Nierenarterienstenose: im
Tierexperiment Atrophie der
poststenotischen Niere
Störung der kindlichen
Nierenentwicklung in der
Spätschwangerschaft
In Tiermodellen sind die Daten
von AT1RA und ACE-Hemmern etwas weniger konkordant als am Patienten. Unabhängig von der Art der
experimentellen Nierenschädigung
wurde beobachtet, daß die akute Wirkung der AT1RA auf die Proteinurie
erheblich geringer ist als die der
ACE-Hemmer (1, 9). Bei chronischer, das heißt wochenlanger Gabe
gleicht die antiproteinurische Wirkung der AT1RA der Wirksamkeit
der ACE-Hemmer, und diese beiden
Substanzgruppen sind anderen Antihypertensiva bezüglich der Proteinurieabsenkung deutlich überlegen (13, 22). Auch bei der akuten antiproteinurischen Wirkung der ACEHemmer scheint ein verstärkter Ef-
außerordentlich renoprotektiv (Grafik 4). Auch ACE-Hemmer haben
sich, teilweise unabhängig von der
Blutdrucksenkung, als renoprotektiv
erwiesen. Das konnten wir in einer
doppelblinden Untersuchung über
drei Jahre an fast 600 Patienten mit
Niereninsuffizienz unterschiedlicher
Genese zeigen. Hier verminderte der
Grafik 2
Glomeruläre
Kapillaren
Efferente
Arteriole
Afferente
Arteriole
Bradykinin
Angiotensin II
Vasotonus
Kapillardruck
Filtration
Filtration
Regulation des glomerulären Kapillardrucks. Der hydrostatische Kapillardruck bewirkt die glomeruläre Filtration, solange er höher als der kolloidosmotische Druck des Serums ist. Bei niedrigem renalen Blutfluß verengt
Angiotensin II die efferente Arteriole und stellt sicher, daß eine glomeruläre Filtrationsrate (GFR) erhalten
bleibt, die im Verhältnis zum renalen Blutfluß relativ hoch ist. Bradykinin erweitert die efferente Arteriole. Ein
ACE-Hemmer verhindert die Bildung von Angiotensin II und kann bei niedrigem glomerulären Fluß so zu einer
– in diesem Fall unerwünschten – Erweiterung der efferenten Arteriole mit folgendem Abfall der GFR führen,
das heißt zu einem akuten Nierenversagen.
fekt von Bradykinin auf die efferente
Arteriole (Grafik 2) eine Rolle zu
spielen. Für die chronische antiproteinurische Wirkung – die eng mit der
nephroprotektiven Wirkung korreliert beziehungsweise diese mitbedingt – sind offensichtlich alleine angiotensinabhängige Effekte im Spiel.
AT1RA und Progression
von Nierenerkrankungen
Wir bezeichnen ein Medikament
als renoprotektiv, wenn es bei Nierenkranken verhindert, daß sich die Nierenfunktion verschlechtert, oder wenn
es zumindest das Voranschreiten einer Nierenerkrankung verlangsamt.
In diesem Sinne ist eine Senkung des
Blutdrucks (optimal wahrscheinlich
um 120/80 mmHg) bei hypertensiven
Patienten mit Nierenerkrankungen
ACE-Hemmer Benazepril das Risiko
einer deutlichen Verschlechterung
der Nierenfunktion um die Hälfte (17,
19). Diese Ergebnisse wurden kürzlich mit Ramipril bestätigt, insbesondere die weitgehende Unabhängigkeit der nephroprotektiven Wirkung
von der Blutdrucksenkung (7). Vorher waren ähnlich gute Ergebnisse
mit Captopril bei 400 Patienten mit
Nephropathie bei Typ-I-Diabetesmellitus berichtet worden (14).
Welche Rolle spielt das ReninAngiotensin-System in der Progression von Nierenerkrankungen, und welchen Platz haben hier die AT1RA?
Die Konzentrationen von Angiotensin II in manchen intrarenalen Kompartimenten (beispielsweise TubulusLumen) sind mehrfach höher als im
Blut. Intrarenal kann Angiotensin II
den Druck in den glomerulären Kapillarschlingen regulieren, vor allem
Deutsches Ärzteblatt 95, Heft 51–52, 21. Dezember 1998 (45) A-3289
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ZUR FORTBILDUNG
über eine Tonusänderung der efferenten Arteriole (Grafik 2). Es gibt gute
Belege dafür, daß bei vielen chronischen Nierenerkrankungen eine glomerulokapilläre Hypertonie besteht,
die zum Fortschreiten der Niereninsuffizienz beiträgt (10). Die druckbedingt erhöhte kapilläre Wandspannung führt danach zu einer Aktivierung von Vernarbungsprozessen und
damit zu einer fortschreitenden Glomerulosklerose. Neben diesen hämodynamischen Effekten wirkt Angiotensin II direkt auf glomeruläre
Zellen im Sinne einer vermehrten
Produktion von Matrixproteinen, die
weiter zur Vernarbung beitragen.
Auch Vernarbungsprozesse im Interstitium der Niere werden wahrscheinlich durch Angiotensin II verstärkt (8,
10). Angiotensin II fördert die Infiltration von Monozyten/Makrophagen
Grafik 3
(mmHg)
100
80
60
40
20
0
Blutdruck
(Aorta)
Glomeruläre
(nl/min) Filtrationsrate
120
Glomerulärer
Kapillardruck
Glomerulärer
Blutfluß
80
40
0
Afferenter Widerstand
(mmHg*min/nl)
0,3
Efferenter Widerstand
0,2
0,1
0,0
Baseline
ACE-Hemmer
AT1-Rezeptorantagonist
Ratten erhielten zwei Tage Furosemid und kein Trinkwasser (Exsikkose). Dann wurde akut eine hohe Dosis eines AT1RA oder eines ACE-Hemmers gegeben.
Einzelne Glomeruli wurden mit Mikropipetten anpunktiert, die glomeruläre Filtrationsrate, der Blutfluß sowie die afferenten und efferenten Widerstände wurden in einzelnen Glomeruli gemessen. Modifiziert nach Kon et al. (12).
der glomerulären Vernarbung (12,
13, 22). Dies gilt auch für die Experimente, die eine bessere Akutwirkung der ACE-Hemmer als
der AT1RA auf die Proteinurie
nachwiesen.
Risikogruppen für
eine Verschlechterung der
Nierenfunktion unter AT1RA und
unter ACE-Hemmern
Hohe Dosen eines Diuretikums
Erbrechen, Diarrhö, Exsikkose
Hyponatriämie, insbesondere mit
schwerer Herzinsuffizienz
Nierenarterienstenose
(insbesondere bilaterale Stenose
und Stenose einer Einzelniere)
Vorbestehende Niereninsuffizienz
Gleichzeitige Therapie mit nichtsteroidalen Antiphlogistika
Nierentransplantierte Patienten
ins Nierengewebe (8). Die eben genannten hämodynamischen und trophischen Wirkungen des Angiotensins II werden überwiegend vom Typ1-Rezeptor vermittelt und sind daher
potentiell durch AT1RA beeinflußbar (Grafik 2). Tatsächlich ist im Tierexperiment gezeigt worden, daß die
Hemmung des Renin-Systems zu einer Verminderung des intraglomerulären Drucks, der Proteinurie und
der Vernarbungsreaktion bei chronischer Glomerulonephritis sowie zur
Verminderung der Infiltration von
Entzündungszellen bei chronisch interstitieller Nephritis führt (8, 10).
Langzeitstudien zur Nephroprotektion, ähnlich den Studien mit
ACE-Hemmern (7, 17, 19), sind mit
AT1RA derzeit in Arbeit. In einer ersten doppelblinden Untersuchung
über immerhin sechs Monate unterschied sich ein AT1RA gegenüber
Plazebo nicht hinsichtlich der GFR,
und der Blutdruck wurde noch besser
als bei primärer Hypertonie gesenkt
(Manuskript in Vorbereitung). Für
die Dokumentation eines renoprotektiven Effektes sind allerdings mindestens zwei Jahre Beobachtungszeit
notwendig.
Es existieren Tiermodelle für
chronisch progredientes Nierenversagen. In diesen Modellen der chronischen Glomerulonephritis, der subtotalen Nephrektomie und der diabetischen Nephropathie der Ratte waren
ein ACE-Hemmer und ein AT1RA
gleich effektiv in der Normalisierung
des glomerulären Kapillardrucks, in
der Vermeidung der Proteinurie und
A-3290 (46) Deutsches Ärzteblatt 95, Heft 51–52, 21. Dezember 1998
AT1RA und Natriurese
Angiotensin II ist gut bekannt als Vasokonstriktor. Weniger geläufig ist seine antinatriuretische Wirkung. Tatsächlich können schon geringste Mengen von
ANGII, die den Blutdruck vollständig unbeeinflußt lassen, eine
Antinatriurese hervorrufen. Angiotensin bewirkt eine Steigerung
der Aldosteronsekretion und hat direkte Angriffpunkte am proximalen
Tubulus, wo es die Natriumrückresorption erhöht, und zwar vermittelt
über AT1-Rezeptoren. Umgekehrt
ist gut dokumentiert, daß ACE-Hemmer natriuretisch wirken, wenn dies
auch nicht allgemein bekannt zu sein
scheint. Bei Patienten kann unter
Grafik 4
GFR (ml/min)
80
ACE-Hemmer
RR 135/85
RR 165/110
60
40
AT1-RezeptorAntagonist?
20
0
0
5
Zeit (Jahre)
10
15
Schematische Darstellung des Verlaufs chronischer
Nierenerkrankungen, abgeleitet aus Studien mit diabetischer und nichtdiabetischer Nephropathie. Die
Senkung des Blutdruckes (RR) auf normotensive
Werte führt zu einer Verlangsamung des Verlustes
der Nierenfunktion beziehungsweise der glomerulären Filtrationsrate (GFR). Therapie mit einem
ACE-Hemmer führt zu einer zusätzlichen Verlangsamung der Progression von Nierenerkrankungen.
Der Verlust der glomerulären Filtrationsrate beträgt
etwa 10 ml/min pro Jahr bei mäßiger Hypertonie,
wird bei Normalisierung des Blutdrucks auf etwa
5 ml/min pro Jahr gesenkt und bei Einsatz eines
ACE-Hemmers noch weiter verlangsamt. Die langfristigen Effekte der AT1RA sind derzeit noch nicht
hinreichend bekannt. RR: Blutdruck in mmHg.
M E D I Z I N
ZUR FORTBILDUNG/FÜR SIE REFERIERT
ACE-Hemmern die Natriumausscheidung durchaus Werte erreichen,
die der Wirkung einer mittleren Dosis
von Hydrochlorothiazid (beispielsweise Esidrix 25 mg) entsprechen.
Auch AT1RA können in klinisch
wirksamer Dosis eine Natriurese bewirken, wie von uns in experimentellen Studien belegt (23) (Grafik 5).
Grafik 5
Na-Exkretion
(µmol/min/gNiere)
p<0,01
6
p<0,05
4
2
0
Baseline
Ang II
Ang II +
AT1RA
AT1RA
Effekte des Angiotensins (ANG) II und eines AT1RA
auf die Natriumexkretion (µmol/min/g Niere) wacher, chronisch instrumentierter, euvolämischer Ratten. Angiotensin II vermindert, ein AT1RA erhöht die
Natriumexkretion; außerdem blockiert der AT1RA
die Effekte des Angiotensins II. Der Blutdruck, die
glomeruläre Filtrationsrate und die glomeruläre
Durchblutung blieben bei diesen Experimenten unverändert. Modifiziert nach Veelken et al. (23).
Auch erste Ergebnisse am Patienten
bestätigen die experimentellen Daten
(3). Vergleiche zu Diuretika oder zu
ACE-Hemmern fehlen noch. Außerdem ist für die AT1RA noch ungenügend dokumentiert, wie lange die diuretische Wirkung beim Patienten anhält. Gerade in der Behandlung der
Hypertonie, der Nieren- oder der
Herzinsuffizienz ist ja ein diuretischer
Zusatzeffekt vasodilatierender Substanzen sehr erwünscht.
Resümee und praktische
Hinweise
Wir haben mit den AT1RA noch
wesentlich weniger Erfahrung und Daten als mit den ACE-Hemmern. Dies
gilt auch für die erwünschten und unerwünschten Wirkungen der AT1RA auf
die Niere. Tierexperimente sprechen
dafür, daß das Risiko eines akuten Nierenversagens mit AT1RA geringer ist
als mit ACE-Hemmern. Diese experimentellen Hinweise werden bisher nur
von vereinzelten Fallberichten unterstützt. Kontrollierte Untersuchungen
bei Patienten mit geringem Risiko für
einen Kreatininanstieg zeigen ein gleiches Risiko dieser Nebenwirkung unter ACE-Hemmer und AT1RA. Deswegen sollte man bei gefährdeten Patienten (Textkasten Risikopatienten) das
Serumkreatinin und -kalium in den ersten Tagen nach Beginn einer Therapie
mit einem AT1RA kontrollieren. Eine
Nierenarterienstenose ist als Kontraindikation für den Einsatz der AT1RA
zu betrachten, sofern der Blutdruck
mit anderen Maßnahmen kontrolliert
werden kann. Nach heutigem Kenntnisstand sind die AT1RA ebenso
natriuretisch und antiproteinurisch
wirksam wie ACE-Hemmer. Ihre blutdrucksenkende Wirkung bei Niereninsuffizienten ist erheblich. Ob auch die
AT1RA, ähnlich den ACE-Hemmern,
den Eintritt der Dialyse bei chronisch
progredientem Nierenversagen unterschiedlicher Ursache hinausschieben
können, werden Studienergebnisse in
etwa drei Jahren zeigen. Prinzipiell
muß die Dosis der meisten AT1RA bei
Niereninsuffizienz nicht reduziert werden, außer bei einer Kreatininclearance < 10 ml/min. Man kann AT1RA bei
Niereninsuffizienz besonders dann
einsetzen, wenn ein ACE-Hemmer indiziert ist, aber wegen Nebenwirkungen (wie Husten) nicht gegeben werden kann.
Herrn Prof. Dr. med. E. Ritz zum 60.
Geburtstag gewidmet.
Zitierweise dieses Beitrags:
Dt Ärztebl 1998; 95: A-3287–3291
[Heft 51-52]
Die Zahlen in Klammern beziehen sich auf
das Literaturverzeichnis, das über den Sonderdruck beim Verfasser und über die Internetseiten (unter http://www.aerzteblatt.de)
erhältlich ist.
Anschrift für die Verfasser
Prof. Dr. med. Johannes Mann
Krankenhaus Schwabing
VI. Medizinische Abteilung
(Schwerpunkt: Nieren- und
Hochdruckkrankheiten)
80804 München
Unleserliche Schrift
Über das Problem, handschriftliche Notizen von Ärzten zu entziffern,
wird seit Jahrzehnten geklagt. Die Autoren wollten diesem Problem in einer
Vergleichsstudie nachgehen und führten eine Studie an 92 Angehörigen
eines Krankenhauses durch, deren
Handschrift von einem Computer analysiert wurde. Ärzte, Schwestern und
Verwaltungspersonal nahmen an dieser
Analyse teil. Ärzte, selbst wenn sie aufgefordert werden, leserlich zu schreiben, haben Probleme mit der Umsetzung. Die Probleme der Leserlichkeit
bezogen sich weniger auf Zahlen –
schließlich geht es hier um die Dosierung von Medikamenten –, sondern auf
die Umsetzung des Alphabets.
w
Lyons R, Payne C, McCabe M, Fielder C:
Legibility of doctors’ handwriting: quantitative comparative study. Br Med J
1998; 317: 863–864.
Department of Public Health, Swansea
SA1 1 LT, Großbritannien.
Alkohol und Krebs
Erhöhter Alkoholkonsum führt zu
einer Zunahme von Mammakarzinomen sowie von Krebserkrankungen
von Mundhöhle, Speiseröhre, Pharynx,
Larynx und Leber. Die dänischen Autoren führten eine Studie an 15 117
Männern und 13 063 Frauen im Alter
zwischen 20 und 98 Jahren durch, wobei über einen Beobachtungszeitraum
von im Mittel 13,5 Jahren 156 Krebserkrankungen des oberen Verdauungstraktes mit Trinkgewohnheiten korreliert wurden. Mäßiger Weingenuß hatte
keinen Einfluß auf das Krebsrisiko,
wohl aber der Konsum von 7 bis 21 Bieren pro Woche oder entsprechender
Schnapskonsum. Das Risiko, ein Karzinom des oberen Verdauungstraktes zu
entwickeln, stieg um den Faktor 3 an.
Möglicherweise hemmt Resveratrol,
eine Substanz aus Trauben und Wein,
die Karzinogenese.
w
Grönbaek M, Becker U, Johansen D,
Tönnesen H, Jensen G, Sörensen TIA:
Population based cohort study of the association between alcohol intake and
cancer of the upper digestive tract. Br
Med J 1998; 317: 844–848.
Copenhagen Centre for Prospective Population Studies, Danish Epidemiology
Science Centre at the Institute of Preventive Medicine, Kommunehospitalet,
1399, Kopenhagen, Dänemark.
Deutsches Ärzteblatt 95, Heft 51–52, 21. Dezember 1998 (47) A-3291
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