Arzneimittelinteraktionen Neue Mechanismen und klinische Relevanz

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Ein Service der
Steiermärkischen
Gebietskrankenkasse
Oktober 2006
16. Jg. / Nr. 6 / 2006
Arzneimittelinteraktionen
Neue Mechanismen und klinische Relevanz
„Die meistem Menschen sterben an ihren Heilmitteln und nicht an ihren Krankheiten“
Dieses Zitat von Moliere (1673, der
eingebildete Kranke), steht auch heute noch gelegentlich am Anfang von
Fortbildungsveranstaltungen über Arzneimittel Wechselwirkungen (im Folgenden AM-WW).
Immer wieder müssen Warnungen
über AM-WW ausgesprochen werden.
AM-WW sind Ursache von Nebenwirkungen, Therapieversagen sowie
Krankenhauseinweisungen und verursachen beträchtliche Zusatzkosten.
Beim Wissensstand der heutigen Medizin sollten AM-WW eigentlich weitestgehend vermeidbar sein.
Auf der anderen Seite führt Polymorbidität zwangsläufig zur Polypharmakotherapie, diese wiederum zu
AM-WW bzw. zur Zunahme von unerwünschten Arzneimittelwirkungen.
Die Compliance Arzneimittel richtig
einzunehmen fällt lt. WHO bereits ab
3 verschiedenen AM deutlich ab.
Das Risiko einer AM-WW ist erhöht
bei Arzneimittel mit niedriger therapeutischer Breite, sowie bei Arzneimittel mit steilen Dosis-Wirkungs-Kurven.
Der Anstieg der AM-WW erfolgt nicht
linear sondern exponentiell.
Bei zwei Medikamenten ist nur eine
Wechselwirkung möglich, bei drei Medikamenten 3 Wechselwirkungen, bei
4 sechs mögliche Wechselwirkungen,
bei 5 Medikamenten 10 mögliche
Wechselwirkungen.
So zeigt eine Studie von Halkin H. et
al. (1) deutlich den Zusammenhang
zwischen der Anzahl an verordneten
Medikamenten und dem damit verbundenen zunehmenden Risiko für
unerwünschte Arzneimittelwechselwirkungen. So kam es bei Patienten, die
nur 2 Medikamente gleichzeitig verordnet bekommen haben, bei 0,17%
zu schweren, und bei 0,67% zu
moderaten Interaktionen, jedoch bei
Medikation mit 8 und mehr Medikamenten bei 3,58% der an der Studie
beteiligten Patienten zu schweren,
und bei 21,5% zu mäßigen Wechselwirkungen.
Entsprechend ihrer klinischen Relevanz unterteilt man die unerwünschten AM-WW in Schweregrade.
Folgende Unterteilung entspricht den
Beurteilungskriterien der Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände für die Erstellung der ABDADatenbank aus dem Handbuch zur
ABDA-Datenbank (Stand 08/2004):
z
Schwerwiegend:
Diese Arzneimittelkombination
kann für den Patienten lebensbedrohend sein, oder es können Intoxikationen oder bleibende Schädigungen für den Patienten entstehen. Die gleichzeitige Gabe ist in
der Regel kontraindiziert.
z
Mittelschwer:
Die Kombination führt häufig zu
therapeutischen Schwierigkeiten.
Bei sorgfältiger Überwachung des
Patienten und eventueller Dosisanpassung ist die gleichzeitige Gabe
möglich.
z
Geringfügig:
Bei dieser Kombination können etwas verstärkte oder verminderte
Wirkungen oder nur einen bestimmten Personenkreis (zum Beispiel Patienten mit Nieren- oder
Leberinsuffizienz, Langsam-Acetylierer) betreffende Wechselwirkungen auftreten.
z
Unbedeutend:
Interaktionen, die meist keine oder
nur geringe Auswirkungen haben
und in der Regel keine Maßnahmen erfordern.
Inhalt:
 Arzneimittelwechselwirkungen – Neue Mechanismen
und klinische Relevanz
 Wechselwirkung SSRI
oder SNRI mit einem Triptan
 Therapie der
chronischen Herzinsuffizienz
Impressum: Medieninhaber, Herausgeber, Verleger, Redaktion und Hersteller: alle Steiermärkische Gebietskrankenkasse, 8010 Graz, Josef-Pongratz-Platz 1. Offenlegung gem.
§ 25 Mediengesetz: Alleiniger Medieninhaber (Verleger): Steiermärkische Gebietskrankenkasse, 8010 Graz, Josef-Pongratz-Platz 1. Grundlegende Richtung des periodischen
Mediums: Fach- und Informationsblatt für die Vertragsärzte der Steiermärkischen Gebietskrankenkasse über die ökonomische Verschreibweise von Heilmitteln und andere mit
dem Vertragsverhältnis in Zusammenhang stehende Belange.
DVR: 0023990
Pharmakologische Mechanismen
Verschiedene pharmakologische Mechanismen spielen beim Auftreten von AM-WW eine Rolle.
Pharmakodynamische Wechselwirkungen
Pharmakodynamische Interaktionen sind dann zu erwarten, wenn zwei Wirkstoffe an einem Rezeptor, Erfolgsorgan, Regelkreis oder an den gleichen Zielzellen synergistisch oder antagonistisch angreifen.
Einige Beispiele
Alkohol + Sedativa
MAO Hemmer + SSRI
Manche Parkinsonmittel + Tricyclische AD
Schleifendiuretika + Aminoglycoside
Aminoglycoside + Cyclosporin
- starke Benommenheit
- Serotoninsyndrom
- verstärkte anticholinerge Effekte
- erhöhte Ototoxizität von Aminoglykosiden
- additive Nephrotoxizität
Pharmakokinetische Wechselwirkungen
Die Pharmakokinetik beschreibt die Zusammenhänge zwischen gegebener Dosis und der daraus resultierenden Plasmakonzentration. Resorption, Verteilung, Arzneimittelstoffwechsel und Elimination haben entscheidenden Einfluss auf die Plasmakonzentration eines Arzneimittels.
z
z
Metabolismus durch das Cytochrom-P450-System (CYP)
Eine besondere Bedeutung für die Praxis haben die metabolischen Wechselwirkungen, die immer dann auftreten, wenn
sich zwei gleichzeitig gegebene Arzneimittel in ihrem Stoffwechsel gegenseitig beeinflussen. Beim Abbau von Arzneimitteln durch Oxydation spielt das in letzter Zeit zunehmend erforschte Cytochrom-P450-System (CYP), eine wesentliche
Rolle. Bis 2000 waren 17, 2005 bereits 70 Cytochrom-P450 Isoenzyme bekannt. Diese Enzyme kommen vor allem in
der Leber, aber auch in den Enterozyten der Darmschleimhaut, im Gehirn und in der Niere vor. Arzneimittel können dieses System sowohl durch Induktion als auch durch Inhibition verändern und somit die Plasmaspiegel von gleichzeitig
gegebenen Arzneimitteln wesentlich beeinflussen. Eine Enzym-Induktion (Menge an Enzym nimmt zu) erfolgt relativ langsam (ca. 2 Wochen), eine Enzym-Inhibition relativ schnell (2-3 Tage).
Membranaler Wirkstofftransport
Bei den sog. ABC Transportern handelt es sich um ein Proteinsystem, das die Funktion hat, einen Arzneistoff, der das
Zellinnere erreicht hat, in einem gerichteten Transport wieder aus der Zelle herauszubefördern. Der bekannteste Vertreter dieser Gruppe ist das P-Glykoprotein (P-gp; Synonym P170). Auch hier gibt es Induktion und Inhibition.
Relevante Beispiele für Interaktionen durch
Phytotherapeutika, Nahrungs- und Genussmittel
Johanniskraut
bewirkt eine Enzyminduktion, dadurch kann die Wirkung von Gerinnungshemmern vom Cumarintyp, von Immunsuppresiva (2), Antikonzeptiva, Tricyclischer Antidepressiva (3), sowie von Herzglycosiden und Theophyllin vermindert sein.
Bei gleichzeitiger Gabe von SSRI`s kann es zum Auftreten von verstärkten serotoninergen Nebenwirkungen kommen.
Grapefruitsaft
Bestandteile des Safts hemmen ein Leberenzym (CYP 3A4) in der Darmwand, das Medikamente im Körper abbaut, somit
(Neben)Wirkungsverstärkung verschiedener Medikamente hervorrufen kann.
So kann die Kombination von Grapefruitsaft mit
Kopfschmerzmitteln
- Tachycardien hervorrufen,
Antihistaminika
- zu gefährlichen Herzrhythmusstörungen führen
blutdrucksenkenden Mitteln
- den Blutdruck erheblich mehr herabsetzen als erwünscht
Statinen
- deren Wirkung verstärken.
2
Raucher-Theophyllin
Zigarettenrauchen führt durch Erhöhung der Enzymaktivität zu einer Beschleunigung des Theophyllinabbaus und konsekutiv zu einer Senkung der Plasmakonzentration dieser Substanz. Klinische Relevanz erlangt diese Tatsache dann, wenn
ein auf Theophyllin eingestellter Raucher aufhört zu rauchen. Der Induktionseffekt ist nicht mehr gegeben, der zuvor beschleunigte Theophyllinabbau wird normalisiert, was unter Beibehalt der ursprünglichen Theophyllindosis zu starkem Ansteigen der Theophyllin-Plasmakonzentration, mit dem Auftreten von gefährlichen Nebenwirkungen wie Krämpfen oder Tachyarrhythmien führen kann.
Patientenbezogene Faktoren
Eine Reihe patientenbezogener Faktoren wie z.B. Störungen von Organfunktionen (z.B.: Atmung, Leber, Niere), Ernährungsgewohnheiten, (Un)Kenntnis über Arzneimittel u.v.a.m., erhöhen ebenfalls das Risiko von AM-WW.
Klinisch relevant werden AM-WW dann, wenn es zu erheblichen Wirkungsverlusten, nicht beachteten toxischen Erscheinungen unter verschiedenen Arzneimittel-Kombinationen oder überschießenden Arzneimittel-Wirkungen bei eigentlich normaler Dosierung kommt. Das verbesserte Verständnis der Mechanismen von Interaktionen führt zu einer besseren Vorhersagbarkeit ihres Auftretens.
Wichtig ist „stets daran zu denken“
Im Rahmen der Vertragspartnerinformation wollen und können wir nicht auf alle pharmakologischen Hintergründe von AMWW näher eingehen.
An Hand einiger Beispiele wollen wir sie, in dieser und in den folgenden Ausgaben, auf Probleme aufmerksam machen, die
in der Praxis der Pharmakotherapie häufig unzureichend beachtet werden.
Literatur
1 Halkin H. et al, Clin. Pharmakol. Ther.2001;Apr;69(4):260-5;
2 Hebert MF et al, J Clin Pharmacol. 2004 Jan;44(1):89-94;
3 Johne A et al, J Clin. Psychopharmacol. 2002 Feb;22(1):46-54;
Wichtige Wechselwirkungen mit ACE Hemmern
Die wichtigste und wohl bekannteste unerwünschte Wechselwirkung der ACE-Hemmer ist die Verstärkung der Hyperkaliämie bei gleichzeitiger Gabe von kaliumsparenden Diuretika (1).
Auch bei Kombination von ACE-Hemmern mit nichtsteroidalen Antirheumatika und mit Co-trimoxazol ist die Gefahr der Hyperkaliämie erhöht. Nichtsteroidale Antirheumatika können auch die Wirkung der ACE-Hemmer verringern. ACE-Hemmer
hemmen nicht nur die Umwandlung von Angiotensin I in Angiotensin II, sondern auch den Abbau von Bradykinin. Dies ist
für ihre antihypertensive Wirkung mitverantwortlich, denn Bradykinin steigert die Konzentration vasodilatierender Prostaglandine. ASS und andere nichtsteroidale Antirheumatika hemmen die Synthese der Prostaglandine und damit auch die
Wirkung der ACE-Hemmer. In einer Untersuchung von Hall (2) waren die Wirkungen von 10 mg Enalapril nach Gabe von
350 mg ASS nicht mehr nachweisbar. In einer Untersuchung von Spaulding (3) wurde nach einer Kombinationstherapie von
Enalapril plus Ticlopidin der systemische Gefäßwiderstand signifikant gesenkt. In der Kombination Enalapril plus ASS war
die Senkung nicht signifikant. Andere Untersucher kommen zu unterschiedlichen Ergebnissen (4,5,6). Heumann (7) konnte nachweisen, dass auch mit der heute zur Hemmung der Thrombozytenaggregation üblichen Dosis von 100 mg ASS die
ACE-Hemmer-Wirkung eingeschränkt wird: bei 25 Patienten mit Herzinsuffizienz und/oder Hypertonie sank unter der Therapie mit Fosinopril der mittlere arterielle Druck von 96 auf 90 mmHg. Nach Zugabe von ASS stieg der Mitteldruck um 2
mmHg, d.h. ein Drittel der Wirkung wurde aufgehoben. Zwar war die Wirkungsabschwächung in einer anderen Patientengruppe, bei der zuerst ASS und dann der ACE-Hemmer gegeben wurde, weniger deutlich. Insgesamt ist dies aber zusammen mit den übrigen Hinweisen in der Literatur eine Bestätigung dafür, dass ASS und ACE-Hemmer keine idealen Kombinationspartner sind.
Literatur (Wechselwirkung mit ACE-Hemmern)
Aus dem Arzneimittelbrief 2000 Ausgabe 03
1. Müller-Oerlinghausen, B., Lasek, R.,
Düppenbecker, H., Munter, K.-H.: Handbuch der
unerwünschten Arzneimittelwirkungen.
Urban & Fischer, München 1999.
2.
3.
4.
5.
Hall, D., et al.: J. Am. Coll. Cardiol. 1992, 20, 1549..
Spaudling, C., et al.: Circulation 1998, 98, 757.
Baur, L.H., et al.: Br. Heart J. 1995, 73, 227.
Bhagat, K., et al.: Circulation 1995, 92, 2113.
6. Evans, M.A., et al.: J. Am. Coll. Cardiol. 1995, 25, 1445.
7. Heumann, E.: Die Interaktion von niedrigdosierter
Acetylsalicylsäure und ACE-Hemmern.
Promotion Freie Universität Berlin 1999.
3
Wechselwirkung SSRI oder SNRI mit einem Triptan
Die amerikanische Gesundheitsbehörde warnt vor der potenziell lebensbedrohlichen Wechselwirkung bei gleichzeitiger
Einnahme eines Triptans und eines Antidepressivums aus der Gruppe der SSRI (Selektive Serotonin Wiederaufnahmehemmer) oder der SNRI (Selektive Serotonin- und Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer).
Quelle: http://www.fda.gov/Medwatch/safety/2006/safety06.htm#Triptans, Zugriff am 03.08.2006
Der lebensbedrohende Zustand eines
Serotoninsyndroms kann auftreten,
wenn Triptane zusammen mit einem
SSRI oder einem SNRI eingenommen werden. Das Serotoninsyndrom
tritt auf, wenn der Körper zuviel Serotonin im Nervensystem kumuliert.
Jedes der genannten Medikamente
(Triptane, SSRIs und SNRIs) verursacht eine Erhöhung des Serotoninspiegels.
Symptome des Serotoninsyndroms
können Ruhelosigkeit, Halluzinationen, Verlust der Koordination, schneller Herzschlag, Blutdruckschwankungen, erhöhte Körpertemperatur, gesteigerte Reflexe, Übelkeit, Erbrechen und Durchfall einschließen.
Ärzte, die ein Triptan, einen SSRI
oder einen SNRI verschreiben,
sollten
z
daran denken, dass ein Triptan
vorübergehend eingenommen
werden kann und dass sowohl
Triptan, SSRI oder SNRI auch von
einem anderen Arzt verordnet
werden kann
z
die mögliche Gefahr des Serotoninsyndroms mit dem erwarteten
Nutzen des Triptans in Kombination mit einem SSRI oder einem
SNRI abwiegen
z
die Möglichkeit des Serotoninsyndroms mit dem Patienten
besprechen, wenn ein Triptan und
ein SSRI oder ein SNRI gleichzeitig verwendet wird
z
Patienten genau beobachten,
wenn diese ein Triptan und ein
SSRI oder ein SNRI zusammen
einnehmen - besonders während
des Behandlungsbeginns, bei Dosissteigerung oder bei Erweiterung
mit einem anderen Medikament
aus der gleichen Substanzklasse.
z
PatientInnen anweisen, die ein
Triptan und ein SSRI oder ein
SNRI zusammen einnehmen, sich
sofort in ärztliche Behandlung zu
begeben, sobald sie Symptome
des Serotoninsyndroms erfahren.
Die betroffenen Wirkstoffe:
SSRIs
4
SNRIs
Triptane
z
Citalopram
z
Duloxetin
z
Almotriptan
z
Escitalopram
z
Milnacipran
z
Elatriptan
z
Fluoxetin
z
Venlafaxin
z
Frovatriptan
z
Fluvoxamin
z
Naratriptan
z
Paroxetin
z
Rizatriptan
z
Sertralin
z
Sumatriptan
z
Zolmitriptan
Relevanz der Kombination SSRI oder SNRI mit einem Triptan
Klinische Relevanz
Die klinische Relevanz wird durch
den Warnhinweis der amerikanischen
Gesundheitsbehörde bestätigt. Es
sind auch die Anbieter der betroffenen Substanzen angehalten, die
amerikanischen Fachinformationen
entsprechend anzupassen.
Reale Häufigkeit der
Kombinationstherapie
6 KV-Träger (BGKK, KGKK, NÖGKK,
SGKK, StGKK, WGKK) mit insgesamt
über 4,4 Mill. Anspruchsberechtigten
haben aus den Abrechnungsdaten die
Häufigkeit der Kombination eines SSRI
mit einem Triptan evaluiert. Im Jahr
2005 haben 242.349 Patienten Medikamentenverschreibungen eines SSRI,
ATC-Code N06AB. Das entspricht
5,52 % der Anspruchsberechtigten.
16.744 Patienten haben Medikamentenverschreibungen eines Triptans,
ATC-Code N02CC. Das entspricht
0,38 % der Anspruchsberechtigten.
1.906 Patienten haben zumindest in
einem Quartal sowohl eine SSRI- als
auch eine Triptanverschreibung. Das
ist jeder 9. Triptanpatient oder 11,38%.
Davon haben 946 Patienten zumindest in 2 Quartalen sowohl eine
SSRI- als auch eine Triptanverschreibung. Das sind 5,65 % aller Triptanpatienten.
Unter Einbeziehung des Verordnungsanteils der SNRI und hochgerechnet auf die österreichische Einwohnerzahl sind jährlich ca. 3.500
Patienten betroffen, die ein Triptan
gemeinsam mit einem SSRI oder
SNRI einnehmen.
Therapie der chronischen Herzinsuffizienz
OA Dr. Claudia Dornaus
Herzinsuffizienz-Ambulanz Hanusch-Krankenhaus
Die chronische Herzinsuffizienz ist eine häufige und maligne Erkrankung
mit hoher Hospitalisierungsrate. Betroffen sind vor allem ältere Patienten* mit einer Prävalenz von >10 %
ab dem 80. Lebensjahr. Schätzungen
zufolge beansprucht dieses Krankheitsbild ca. 2% des Gesundheitsbudgets, wobei etwa zwei Drittel der Behandlungskosten auf Spitalseinweisungen entfallen. In den kommenden
25 Jahren ist mit einem Anstieg um
rund 50% zu rechnen.
Die moderne Herzinsuffizienztherapie
hat das Ziel, die Letalität zu senken,
die Progression einer bestehenden
kardialen Funktionsstörung bereits im
asymptomatischen Stadium zu vermeiden bzw. zu verlangsamen, die
Symptome und damit die Lebensqua-
lität des Patienten zu verbessern, die
Hospitalisierungsrate zu vermindern
und hämodynamische Parameter positiv zu beeinflussen. Hierzu stehen
medikamentöse und nicht-medikamentöse therapeutische Maßnahmen
zur Verfügung. Liegt eine behebbare
Herzinsuffizienzursache vor, ist die
kausale Therapie (operativ, katheterinterventionell, medikamentös) vordringlich.
Um eine für die Patienten optimale
und kosteneffiziente Therapie zu gewährleisten ist es unerlässlich die aktuellen Therapieempfehlungen konsequent umzusetzen und eine effektive
Nachsorge zu ermöglichen. Bei den
meist polymorbiden älteren Patienten
gelingt dies am besten durch Organisation eines Disease-Managament-
Programmes angepasst an die lokalen Gegebenheiten. In Österreich
sind mittlerweile zahlreiche spezielle
Herzinsuffizienz-Ambulanzen etabliert, in denen versucht wird in Zusammenarbeit mit den niedergelassenen Ärzten die Patientenbetreuung
und -schulung zu optimieren. Darüber
hinaus haben einzelne Zentren zusätzlich eine häusliche Betreuung der
Patienten durch eine speziell geschulte Herzinsuffizienz-Schwester
organisiert.
Folgender Artikel soll die aktuelle medikamentöse Herzinsuffizienztherapie
im Überblick darstellen und mit Indikationsstellungen für die apparative
Therapie schließen.
5
ACE-Hemmer (Tab. 1)
ACE-Hemmer werden als Therapie
der 1. Wahl bei Patienten mit einer
reduzierten systolischen LV-Funktion
(< 40-45%) mit oder ohne Symptomen und bei Patienten, die im Rahmen eines Herzinfarktes eine Herzinsuffizienz entwickelt haben, empfohlen. ACE-Hemmer sollen bis zu den
Dosierungen, die in großen, kontrollierten Herzinsuffizienzstudien effektiv
waren, gesteigert werden.
In Österreich sind Captopril, Enalapril, Lisinopril und Ramipril für die
Therapie der Herzinsuffizienz zugelassen.
Kontraindikationen:
Serum-Kreatinin >3 mg/dl +/oder
Serumkalium >5,5 mmol/l, beidseitige
Nierenarterienstenose, Schwangerschaft, Angioödem während früherer
ACE-Hemmertherapie
Betablocker (Tab. 2)
Betablocker sind bei allen Patienten
mit symptomatischer stabiler ischämischer oder nicht ischämischer systolischer Herzinsuffizienz im NYHA-Stadium II-IV zusätzlich zu einer Standardtherapie mit ACE-Hemmern und
gegebenenfalls Diuretika indiziert.
Eine Betablocker-Therapie zusätzlich
zu ACE-Hemmern wird für Patienten
mit systolischer LV-Dysfunktion mit
oder ohne Herzinsuffizienzsymptome
nach einem akuten Myokardinfarkt
empfohlen.
Basierend auf rezenten Studienergebnissen können Betablocker bei
entsprechender Indikation (z.B. Tachyarrhythmie) auch vor dem ACEHemmer eingesetzt werden.
Betablocker sollen ebenso wie ACEHemmer langsam zu der empfohlenen Zieldosis gesteigert werden. Der
Therapiebeginn sollte in niedriger Dosis und nur beim stabilen Patienten
ohne Flüssigkeitsretention erfolgen.
Von der ESC werden nur Bisoprolol,
Carvedilol, Metoprolol-Succinat und
Nebivolol empfohlen.
6
Kontraindikationen:
Asthma bronchiale (relativ), höhergradige AV-Blockierungen, smptomatische Bradykardie und Hypotonie
Diuretika
Schleifendiuretika (Furosemid, Bumetanid, Torasemid) und Thiazide sind
essenziell für die symptomatische
Therapie, wenn eine Flüssigkeitsretention (Lungenstauung, periphere
Ödeme) vorliegt. Sie sollten immer in
Kombination mit einem ACE-Hemmer
und Betablocker verordnet werden,
soweit diese toleriert werden. Bei eingeschränkter Nierenfunktion (GFR
<30ml/min) sollten keine Thiazide,
außer in Kombination mit Schleifendiuretika verwendet werden.
Ein flexibles Diuretikaregime mit Dosisanpassung nach dem klinischen
Stadium der Herzinsuffizienz ist anzustreben. Für die Steuerung der Diuretika-Therapie eignet sich die tägliche
Gewichtskontrolle.
Aldosteron-Antagonisten (Tab. 3)
Spironolacton soll niedrig dosiert bei
schwerer systolischer Herzinsuffizienz (NYHA III-IV) additiv zu einer
Basistherapie mit ACE-Hemmer, Betablocker und Diuretikum verordnet
werden. Eplerenon wird zusätzlich zu
ACE-Hemmern und Betablockern bei
Patienten kurz nach Myokardinfarkt,
systolischer LV-Dysfunktion, Zeichen
der Herzinsuffizienz oder Diabetes
empfohlen. Die Ausbildung einer Gynäkomastie ist unter diesem selektiven Aldosteron-Antagonist seltener.
Kontraindikationen:
Serum-Kreatinin >2,5mg/dl +/oder
Serumkalium >5 mmol/l
Angiotensin-Rezeptor
Blocker (Tab. 4)
ARB sind eine gute Alternative zu
ACE-Hemmern bei symptomatischer
chronischer Herzinsuffizienz und
ACE-Hemmerintoleranz.
ARB reduzieren additiv zu einem
ACE-Hemmer und Betablocker bei
persistierender Symptomatik die Mortalität und Hospitalisierungsrate bei
chronischer Herzinsuffizienz. Die additive Gabe eines ARB's zu einem
ACE-Hemmer bietet sich als Option
bei Betablockerunverträglichkeit an.
Zur Therapie der chronischen Herzinsuffizienz sind in Österreich Candesartan, Losartan und Valsartan zugelassen. Candesartan ist zusätzlich zur
Gabe eines ACE-Hemmers in Kombination mit einem Betablocker (Dreifachkombination), Valsartan ist u.a.
auch in der Therapie der symptomatischen Herzinsuffizienz zusätzlich zu
einem ACE-Hemmer, wenn Betablocker nicht vertragen werden, zugelassen.
Kontraindikationen:
Ident mit ACE-Hemmern
Herzglykoside - Digitalis
Bei symptomatischer Herzinsuffizienz
kombiniert mit Vorhofflimmern sind
Herzglykoside indiziert, unabhängig
davon, ob eine systolische LV-Dysfunktion die Ursache ist. Herzglykoside haben keinen Effekt auf die Mortalität, können aber die Hospitalisierungsrate verringern, insbesondere
bei PatientInnen im Sinusrhythmus
mit systolischer Dysfunktion und zunehmender Herzinsuffizienz. Um negative Effekte zu vermeiden, soll der
Digitalisspiegel im unteren therapeutischen Bereich liegen.
Andere
Vasodilatantien (Nitrate, Hydralazin)
sind eine Alternative bei ACE-Hemmer-/ARB-Unverträglichkeit.
Eine orale Antikoagulation ist lediglich
bei PatientInnen mit Vorhofflimmern,
stattgehabten thromboembolischen
Ereignissen oder Nachweis eines mobilen Ventrikelthrombus angezeigt.
Antiarrhythmische Medikamente, die
nicht zur Familie der Betablocker gehören, sind im Allgemeinen bei Patienten mit chronischer Herzinsuffizienz nicht indiziert. Eine Therapie
mit anderen Antiarrhythmika (z.B.
Amiodaron) kann bei Patienten mit
Vorhofflimmern oder ventrikulären Tachykardien indiziert sein.
Pharmakotherapie einer
Herzinsuffizienz mit
erhaltener LVEF
oder diastolischer Dysfunktion
Die Empfehlungen sind wegen der
begrenzten Datenlage auf diesem
Gebiet weitgehend spekulativ. ACEHemmer, ARB's, Diuretika, Betabloc-
Tab. 1 ACE-Hemmer
ker sowie Kalziumantagonisten vom
Verapamiltyp können erwogen werden.
Ein Überblick über die Wahl und zeitliche Planung der Pharmakotherapie
bei symptomatischen Patienten mit
chronischer Herzinsuffizienz auf dem
Boden einer systolischen LV-Dysfunktion ist in Abbildung 1 dargestellt.
Tab. 2 Betablocker
Substanz
Startdosis mg/Tag
Zieldosis mg/Tag
Substanz
Startdosis mg/Tag
Zieldosis mg/Tag
Captopril
3 x 6,25
3 x 50
Bisoprolol
1 x 1,25
1 x 10
Enalapril
2 x 2,5
2 x 10-20
Carvedilol
2 x 3,125
2 x 25-50
Lisinopril
1 x 2,5
1 x 20-35
Metoprololsuccinat
1 x 23,75
2 x 95
Ramipril
1 x 1,25
2 x 5 od. 1 x 10
Nebivolol
1 x 1,25
1x5
Modifiziert nach der ESC-Empfehlung 2005.
Modifiziert nach der ESC-Empfehlung 2005.
Tab. 3 Aldosteron-Antagonisten
Tab. 4 Angiotensin-Rezeptor Blocker (ARB)
Substanz
Startdosis mg/Tag
Zieldosis mg/Tag
Spironolacton
1 x 12,5-25
1 x 25-50
Eplerenon
1 x 12,5-25
1 x 25-50
Modifiziert nach der ESC-Empfehlung 2005.
Substanz
Startdosis mg/Tag
Zieldosis mg/Tag
Candesartan
1x4
1 x 32
Valsartan
1 x 80
2 x 160
Modifiziert nach der ESC-Empfehlung 2005.
Die übrigen ARB werden nicht explizit zur Behandlung der Herzinsuffizienz empfohlen.
NYHA-Klassifikation bei Herzinsuffizienz
NYHA
Klinische Kriterien
I
Herzkrankheit ohne Beschwerden bei normaler körperlicher Belastung
II
Belastungsinsuffizienz, Beschwerden bei stärkerer körperlicher Belastung
III
Beginnende Ruheinsuffizienz, Beschwerden bei leichter körperlicher Belastung, in Ruhe meist beschwerdefrei
IV
Manifeste Ruheinsuffizienz, Beschwerden in Ruhe
7
Abb. 1 Therapieauswahl und zeitliche Planung bei LV systol. DF
NYHA I
Prognostisch (Überleben, Morbidität)
Symptomatisch
ACE-Hemmer fortsetzen/ARB bei ACE-Hemmerintoleranz, nach Myokardinfarkt
Aldosteronantagonisten fortsetzen, nach Myokardinfarkt zusätzlich Betablocker
Diuretikum
reduzieren/stoppen
NYHA II
ACE-Hemmer als Therapie der 1. Wahl/ARB bei ACE-Hemmerintoleranz
Zusätzlich Betablocker und nach Myokardinfarkt Aldosteronantagonist
+/- Diuretikum abhängig
von Flüssigkeitsretention
ACE-Hemmer plus ARB oder ARB alleine bei ACE-Hemmerintoleranz
NYHA III Betablocker
Zusätzlich Aldosteronantagonist
+ Diuretika + Digitalis
falls weiter symptomatisch
ACE-Hemmer/ARB fortsetzen
NYHA IV Betablocker
Aldosteronantagonisten
+/- Diuretika + Digitalis
+ evtl. zeitweise
inotrope Unterstützung
ESC-Empfehlung 2005.
Die Indikationsstellung für folgende Maßnahmen sollte von einem spezialisierten Zentrum erfolgen. Es wird daher erläutert
bei welchen Patienten an eine Überweisung gedacht werden sollte.
Kardiale Resynchronisations-Therapie (CRT), CRT+ICD, ICD
Symptomatische Patienten (NYHA III-IV) mit reduzierter LVEF (<35%) und Linksschenkelblock (QRS-Breite >120 ms), bei
denen bereits eine optimale medikamentöse Therapie etabliert worden ist.
Patienten mit denselben Kriterien und einem Myokardinfarkt in der Anamnese.
Patienten nach überlebtem Herztod oder anhaltender ventrikulärer Tachykardie mit reduzierter LVEF (<35%).
Herztransplantation (HTX)
Patienten mit schweren Herzinsuffizienzsymptomen, denen keine alternative Therapieform zur Verfügung steht und die eine schlechte Prognose haben.
Eine organisierte und spezialisierte Nachsorge bei Herzinsuffizienz verbessert die Symptome und senkt Hospitalisierungsrate und Mortalität. Um eine individuelle optimale Herzinsuffizienztherapie zu implementieren ist, wie schon eingangs erwähnt, ein funktionierendes Netzwerk zur Unterstützung der niedergelassenen Ärzte erforderlich.
* bei Wörtern wie Patient sind, wenn nicht extra angeführt, stets beide Geschlechter gemeint.
Abkürzungen:
ACE-Hemmer
ARB
CRT
DF
ESC
=
=
=
=
=
Angiotensin Converting Enzym-Hemmer
Angiotensin-Rezeptor Blocker
Cardiale Resynchronisationstherapie
Dysfunktion
European Society of Cardiology
ICD
LVEF
LV-Funktion
NYHA
=
=
=
=
Implantierbarer Cardioverter Defibrillator
Linksventrikuläre Ejektionsfraktion
Linksventrikuläre-Funktion
New York Heart Association
Literaturangaben:
¾ Guidelines for the diagnosis and treatment of chronic heart failure: executive summary (update 2005) The Task Force for the Diagnosis and Treatment of Chronic Heart
Failure of the European Society of Cardiology (ESC) Swedberg K. et al. European Heart Journal 2005; 26: 1115-1140
¾ Consensus Herzinsuffizienz „State of the Art 2006“ Grimm G., Pacher R., Weber H., et al. Österreichische Ärztezeitung 2006; Supplementum Juni 2006
¾ Effect on Survival and Hospitalization of Initiating Treatment for Chronic Heart Failure With Bisoprolol Followed by Enalapril, as Compared With the Opposite Sequence
Results of the Randomized Cardiac Insufficiency Bisoprolol Study (CIBIS) III Willenheimer R. Et al. Circulation 2005; 112: 2426-2435
¾ Association of serum digoxin concentration and outcomes in patients with heart failure Rathore SS, et al. Jama 2003; 289: 871-878
Kontaktadresse:
Steiermärkische
Gebietskrankenkasse
Dr. Harald Klier (DW 1270)
[email protected]
(0316) 8035-0
http://www.stgkk.at
Mag. Dr. Michaela Pogantsch (DW 1339)
[email protected]
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