Strahlentherapie und Onkologie Rauchen und (Krebs

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Strahlentherapie
und Onkologie
Literatur kommentiert
Rauchen und (Krebs-)Mortalität bei Frauen: Mit der Aufgabe des Rauchens
sinkt sofort das Sterblichkeitsrisiko
Fragestellung und Hintergrund: Rauchen ist mit einem erhöhten
Gesamt- und ursachenabhängigen Todesrisiko assoziiert, wobei
bisher ungewiss blieb, inwieweit die Risikorate der Mortalität
nach Beendigung des Rauchens verglichen mit dem Weiterrauchen sinkt. Unzureichend war auch der Nachweis eines Zusammenhangs von Rauchen mit Eierstock- sowie Dick- und Enddarmkrebs. Die Abhängigkeiten zwischen Rauchverhalten bzw.
dem Beendigen des Rauchens zum Gesamt- und ursachenabhängigen Todesrisiko bei Frauen sollte in dieser Studie geklärt werden.
Probanden und Methodik: In der 1976 begonnenen, großen prospektiven Beobachtungsstudie von US-amerikanischen Krankenschwestern im Alter von 30 bis 55 Jahren mit ursprünglich 121 700
Teilnehmerinnen wurden detaillierte Informationen über den
Gesundheitsstand und Risikofaktoren für Krebs-, Herz- und andere Krankheiten erfragt, wobei diese Daten alle zwei Jahre erneut erhoben wurden [2]. Das Rauchverhalten, die gerauchte
Menge pro Tag, eine mögliche Beendigung und der Start des Rauchens wurden zu Beginn der Studie und während der Nachbefragungen genau eruiert. Die Daten von 104 519 Probandinnen mit
Follow-up-Zeiten von 1980 bis 2004 konnten ausgewertet werden. Die aufgetretenen Todesfälle wurden unabhängig von der
Ursache erfasst und nachträglich einer von sechs Gruppen zugeordnet: Vaskuläre Erkrankungen (koronare oder zerebrovaskuläre Krankheiten), respiratorische Erkrankungen, Lungenkrebs,
alle von Rauchen verursachten Krebse, alle anderen Krebsformen
und sonstige Ursachen (Klassifizierung nach dem US-Chirurgen
Report, 2004). Gemessen wurde die Hazard Ratio (HR) mit dem
proportionalen Cox-Hazard-Modell für die Gesamtmortalität
und für die oben dargestellten Gruppen, konditioniert durch das
Lebensalter in Monaten und die Nachuntersuchungszyklen.
Resultate: Insgesamt traten 12 483 Todesfälle in dieser Kohorte
auf, wovon 4485 (35,9%) Nichtraucher, 3602 (28,9%) aktuelle
Raucher und 4396 (35,2%) ehemalige Raucher waren. Verglichen
mit den Nichtrauchern hatten die derzeitigen Raucher ein erhöhtes Gesamtmortalitätsrisiko (HR = 2,81; 95%-Konfidenzintervall (KI) = [2,68; 2,95]), was qualitativ ebenfalls auch für alle
wesentlichen ursachenspezifischen Mortalitätsrisiken zutrifft. Für
Krebsformen, die dem Rauchen zugeschrieben werden können,
ergab sich die entsprechende HR = 7,25; 95%-KI = [6,43; 8,18]
und für alle anderen Krebsarten entsprach die HR = 1,58; 95%-KI
= [1,45; 1,73]. Für aktuelle Raucher verglichen mit Nichtrauchern
war die HR für kolorektale Krebse 1,63; 95%-KI = [1,29; 2,05]
und der Vergleich mit ehemaligen Rauchern resultierte in einer
HR = 1,23; 95%-KI = [1,02; 1,49]. Für Eierstockkrebs konnte eine
signifikante Assoziation nicht nachgewiesen werden. Signifikante
Trends wurden beobachtet für die Subpopulation mit einem frühen Rauchbeginn (i) bei der Gesamtmortalität (p = 0,003), (ii) bei
der Mortalität von respiratorischen Krankheiten (p = 0,001) und
(iii) bei durch Rauchen hervorgerufene Krebsmortalität (p =
0,001). Das im Vergleich größere Mortalitätsrisiko vermindert
sich für ehemalige Raucher unabhängig von der Ursache mit zunehmendem rauchfreiem Zeitintervall, bis es sich nach etwa 20
Jahren mit sehr unterschiedlicher Geschwindigkeit wieder dem
Risiko von Nichtrauchern angleicht, wobei bei kardiovaskulären
Krankheiten die Abnahme am schnellsten erfolgt, bei Lungenerkrankungen am langsamsten. Ungefähr 64% der Todesfälle bei
Rauchern und 28% bei ehemaligen Rauchern waren dem Tabakkonsum zuzuschreiben.
Schlussfolgerungen: Das Sterberisiko an rauchbedingten vaskulären Erkrankungen sinkt bei Frauen nach einem Rauchstopp
schnell, bleibt aber für Lungenerkrankungen in der Folgezeit
deutlich erhöht und erreicht für diese erst nach 20 Jahren das
Nichtraucherniveau. Ein später Rauchbeginn reduziert das Todesrisiko für respiratorische Erkrankungen, Lungenkrebs und
andere rauchbedingte Krebse, hat aber fast keinen Effekt auf andere ursachenabhängige Todesrisiken. Die Daten [2] legen eine
Assoziation von Rauchen und erhöhtem Sterberisiko an kolorektalen Krebsen, aber nicht an Eierstockkrebs nahe.
Kommentar
In der 2003 publizierten Iowa-Frauengesundheitsstudie [1],
einer prospektiven Studie mit 41 836 Teilnehmerinnen, wurden für Lungenkrebs ähnliche Resultate gefunden: Das Lungenkrebsrisiko für Raucher und ehemalige Raucher war erhöht und für Letztere mit zunehmender Dauer der Abstinenz
sinkend, wobei dieser Prozess im Vergleich zu anderen Studien verlangsamt ablief, speziell für sehr starke Raucherinnen. In [8] wurde gezeigt, dass allgemein unter Nichtrauchern Frauen ein höheres Risiko haben, an Lungenkrebs zu
erkranken als Männer, wobei Ursachen nicht ausgemacht
werden konnten. Die Erhöhung der HR der Lungenkrebsmortalität in der vorliegenden Studie ist mit 21,87; 95%-KI =
[17,85; 26,80] im Vergleich Raucher/Nichtraucher und HR =
4,93; 95%-KI = [4,00; 6,08] im Vergleich ehemalige Raucher/
610
Nichtraucher sehr deut­lich, wobei eher davon auszugehen ist
[7], dass Nichtraucher-Lungenkrebs sich auch zellbiologisch
mit inhärenten niedrigen Risiken von Raucherlungenkrebs
unterscheidet. Eine Erhöhung des Todesrisikos durch Rauchen untermauert auch eine Studie über squamöse Karzinome im Kopf-Hals-Bereich [5]. Das krankheitsbedingte relative Todesrisiko lag dort bei 3,98; 95%-KI = [1,11; 14,33]; p
= 0,034 und auch die Rekurrenz der Erkrankung und das Gesamttodesrisiko waren signifikant erhöht. Bei Brustkrebs,
der nicht gesondert in der besprochenen Analyse ausgewiesen war, ließ sich in einer schwedischen Studie [3] keine signifikante Erhöhung des relativen Risikos bei jedwedem Raucherstatus gegenüber Nichtrauchern finden, auch Intensität,
Beginn und bei ehemaligen Rauchern das Rauchintervall
Strahlenther Onkol 2008 · No. 11 © Urban & Vogel
Literatur kommentiert
spielten keine Rolle. Ein Ergebnis, das auch in einer britischen Studie [6] bestätigt wurde, wobei sich dort zusätzlich
kein Zusammenhang zum Passivrauchen finden ließ. Ein früher Rauchbeginn ist in der vorliegenden Studie mit einem
erhöhten Todesfallrisiko assoziiert, wobei ganz allgemein die
Raucherkarrieren wesentlich vom Elternhaus und dem kindlichen Experimentieren mit Tabak abhängen [4]. Die Daten
zeigen eindeutig, dass Rauchen das kanzerogene Potenzial
der Zellen erhöht und dieser Einfluss erst durch jahrzehntelange Rauchabstinenz normalisiert werden kann.
Fazit: Das Risiko, an einem durch Rauchen verursachten
Krebs zu sterben, ist bei Rauchern verglichen mit Nichtrauchern mehr als siebenfach und bei ehemaligen Rauchern
2,3-fach signifikant erhöht und bei Rauchern zusätzlich
auch noch abhängig von der Intensität (bis zum 12,8-Fachen). Während für kardiovaskuläre Erkrankungen ein
Rauchstopp sofort eine Besserung des Risikoprofils bedeutet, vergehen bei Krebserkrankungen bis zu zwei Jahrzehnte, bevor sich das Risiko den Nichtrauchern annähert.
Die Risiken des Tabakkonsums müssen besser kommuniziert werden und die Prävention sollte schon bei der Kindererziehung verstärkt einsetzen.
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Lothar R. Pilz, Heidelberg
Erstmals publiziert in InFoOnkologie 2008;11:330–1 (No. 5)
Die adjuvante Strahlentherapie erhöht die Überlebenswahrscheinlichkeit
von Patientinnen mit Endometriumkarzinom im Stadium IIIC
Fragestellung und Hintergrund: Die Datenlage zur postoperativen Therapie des fortgeschrittenen Endometriumkarzinoms,
insbesondere bei gesicherter Lymphknotenmetastasierung, ist
eher spärlich. So verglich die GOG‑Studie 122 kürzlich bei Patientinnen in den Stadien III und IV eine Ganzabdomenbestrahlung mit einer Chemotherapie, wobei sich nach Chemotherapie
ein besseres Gesamtüberleben ergab [4, 5]. Allerdings befand sich
in dieser Studie nur knapp die Hälfte der Patientinnen im gesicherten Stadium IIIC, also mit nachgewiesenen pelvinen oder
paraaortalen Lymphknotenmetastasen. Studien, die speziell den
Effekt der Radiotherapie im Stadium IIIC untersuchen, gibt es
zwar auch, jedoch sind die Patientenzahlen so klein, dass daraus
keine eindeutigen Schlüsse gezogen werden können.
Material und Methodik: In der vorgestellten Arbeit [6] wurden
die Daten aus der SEER‑Datenbank (Survival Epidemiology and
End Results) von Patientinnen mit operiertem, nodal positivem
Endometriumkarzinom unter dem Aspekt der adjuvanten Bestrahlung (externe Bestrahlung [EBRT], Brachytherapie [BT])
bzw. keiner adjuvanten Therapie (NAT) verglichen.
Ergebnisse: Zwischen 1988 und 1998 wurden 12 377 Patientinnen
mit Lymphknotensampling operiert, davon 737 (6%) im Stadi-
Strahlenther Onkol 2008 · No. 11 © Urban & Vogel
um IIIC und von diesen wiederum 611 mit registrierter Behandlung. Von diesen 611 Patientinnen erhielten 51% eine alleinige
EBRT, 21% eine EBRT + BT und 28% keine Nachbehandlung.
Die 5‑Jahres‑Überlebensrate für die Patientinnen ohne Nach­
behandlung betrug 40%, nach EBRT 56% und nach EBRT/BT
64%. Der Unterschied im Überleben nach EBRT und EBRT/
BT war im Vergleich zu NAT mit p < 0,001 hochsignifikant. Eine
Analyse der Subgruppe mit lokal begrenztem Primärtumor
(n = 293) ergab ein 5‑Jahres‑Überleben von 50% für NAT, 64%
für EBRT und 67% für EBRT/BT. Der Vorteil der Radiotherapie in dieser Subgruppe war mit p = 0,02 also ebenfalls vorhanden. Für Patientinnen mit einem lokal fortgeschrittenen Karzinom (n = 318) betrug die 5‑Jahres‑Überlebensrate 34% für
NAT, 47% für EBRT und 63% für EBRT/BT (p < 0,001). Die
Bedeutung der zusätzlichen BT zur EBRT war mit p < 0,002
ebenfalls signifikant.
Schlussfolgerung: Die SEER‑Analyse von 611 Patientinnen mit
operiertem Endometriumkarzinom im Stadium IIIC belegt den
Überlebensvorteil für die Patientinnen, die eine Nachbestrahlung
erhalten hatten, im Vergleich zu unbestrahlten Patientinnen. Für
Patientinnen mit einem lokal sehr ausgedehnten Karzinom brachte die zusätzliche BT einen weiteren Überlebensgewinn.
611
Literatur kommentiert
Kommentar
Das Endometriumkarzinom ist die häufigste maligne Erkrankung des weiblichen Genitaltrakts. 2003 wurde in der Todesursachenstatistik erstmals für das Endometriumkarzinom eine höhere Letalitätsrate als beim Zervixkarzinom ermittelt.
Anerkannte Risikofaktoren sind die Myometriuminvasion
des Tumors von > 50%, der histologische Entdifferenzierungsgrad G3, die Serosainfiltration bzw. die extrauterine
Ausbreitung einschließlich pelviner und paraaortaler Lymphknotenmetastasen. Etwa 80% aller Neuerkrankungen befinden sich bei Diagnose noch in den operablen Stadien I und II,
in denen die Therapie eindeutig definiert ist [1]. Im Stadium
III, das in Deutschland bei ca. 1 100–1 400 Neuerkrankungen
jährlich vorliegt, ist die Datenlage eher spärlich. Die Tumorstadien IIIA, IIIB und IIIC nach FIGO beschreiben Tumorausbreitungen, die hinsichtlich der Prognose sehr unterschiedlich zu bewerten sind [2]. Das ist wichtig für die
Entscheidung, ob eine lokal begrenzte Strahlentherapie oder
eher eine systemische Chemotherapie indiziert ist.
Die Chemotherapie spielte bis vor kurzem in der Therapie des fortgeschrittenen Endometriumkarzinoms eine nur
untergeordnete Rolle [3]. Die Veröffentlichung der Ergebnisse der GOG‑Studie 122, in der Patientinnen im Stadium
III oder IV entweder mit einer (zu niedrig dosierten) Ganzabdomenbestrahlung oder einer (sehr aggressiven) kombinierten Chemotherapie mit Doxorubicin und Cisplatin behandelt wurden [4], brachte hier durch das bessere
Abschneiden im Chemotherapiearm (50% vs. 38% für die
Radiotherapie) eine Wende. Diese sog. Randall‑Studie wird
deshalb von gynäkologischen Kollegen immer wieder als Begründung für den Einsatz einer Chemotherapie beim fortgeschrittenen Endometriumkarzinom zitiert. Unter diesem
Aspekt ist die vorliegende SEER‑Analyse [6] zum Wert der
Radiotherapie in der Behandlung des nodal positiven (und
damit lokal begrenzten) Endometriumkarzinoms eine wichtige Argumentationshilfe.
Für eine adjuvante Therapie des Endometriumkarzinoms ist die differenzierte postoperative Histologie aus-
schlaggebend. Hier reduziert die postoperative Strahlentherapie in der Hochrisiko‑Situation die Lokalrezidivrate und
ist für ein rezidivfreies Überleben gegenwärtig nach wie vor
unverzichtbar. Interessant ist darüber hinaus die Effizienz
der BT, die übrigens auch in der aktuellen Leitlinie der Deutschen Krebsgesellschaft unbestritten bleibt. Unbestritten ist
aber auch die Rechtfertigung der Chemotherapie, wobei sich
die Indikation auf viszeral metastasierte Befunde beschränken sollte.
In Zukunft sind auch für das Hochrisiko‑Endometriumkarzinom Studien zur multimodalen Therapie anzustreben,
wobei in Anbetracht des für gewöhnlich hohen Patientenalters und der relativ guten Prognose selbst der fortgeschrittenen Karzinome das Augenmerk auf die Reduktion der Toxizität gelegt werden muss.
Literatur
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Gabriele Hänsgen, Halle/Saale
Radioprotektion durch Toll‑like‑Rezeptor‑5‑vermittelte Aktivierung von NF‑kB
Fragestellung und Hintergrund: Die akute Normalgewebstoxizität ionisierender Strahlung ist in sensiblen Organen wie dem blutbildenden System und dem Magen‑Darm‑Trakt mit massiver
Apoptoseinduktion verbunden. Durch Aktivierung des Tran­
skriptionsfaktors NF‑kB kann eine Protektion gegenüber der
strahleninduzierten Apoptose erreicht werden. NF‑kB kann im
Rahmen einer Immunreaktion auf eine Infektion über sog.
Toll‑like‑Rezeptoren (TLR) aktiviert werden, die Strukturen von
Mikroorganismen erkennen und die angeborene Immunantwort
612
stimulieren. In dem vorgestellten Projekt [2] wurde untersucht,
ob in Normalgewebszellen des Darms bzw. des hämatopoetischen
Systems durch TLR‑5‑Agonisten eine selektive Aktivierung von
NF‑kB und damit eine Radioprotektion induziert werden kann.
Material und Methodik: Mäuse wurden 24 h bis 45 min vor einer
letalen Ganzkörperbestrahlung (9–13 Gy) mit einer Einzeldosis
von bakteriellem Flagellin oder des selektiven TLR‑5‑Agonisten
CBLB502 behandelt. Anschließend wurden das Überleben der
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Literatur kommentiert
Tiere nach Bestrahlung und das Ausmaß der strahleninduzierten
Gewebsschädigung im Darm und im hämatopoetischen System
evaluiert und der Einfluss von CBLB502 auf die NF‑kB‑Aktivität
durch Messung der Expression NF‑kB‑regulierter Proteine (Superoxiddismutase 2, Zytokine) quantifiziert. An Rhesusaffen
wurden die Radioprotektion von Thrombozyten im Blut durch
CBLB502 sowie das Überleben der Tiere nach Ganzkörperbestrahlung mit 6,5 Gy evaluiert. Um die Auswirkung von CBLB502
auf die Radiosensitivität von Tumoren festzustellen, wurden tumortragende Mäuse an 3 aufeinanderfolgenden Tagen mit
CBLB502 vorbehandelt oder nicht und dann dreimal täglich mit
4 Gy ganzkörperbestrahlt. Anschließend wurden über 2 Wochen
das Überleben der Mäuse und das verbliebene Tumorvolumen
gemessen.
Ergebnisse: Ebenso wie Flagellin induzierte das vom Salmonella‑Flagellin abgeleitete Peptid CBLB502 die Aktivierung von
NF‑kB. Eine einmalige Injektion von CBLB502 verhinderte die
akute Radiotoxizität im Darm und hämatopoetischen System und
verlängerte das Überleben der Tiere, allerdings nur nach geringeren Strahlendosen (9 Gy). Dabei wurde die Sensibilität von implantierten Tumoren nicht vermindert, und auch das karzinogene
Risiko ionisierender Strahlung veränderte sich nicht.
Schlussfolgerung: CBLB502 reduziert die Toxizität einer Strahlentherapie, ohne deren therapeutischen Effekt zu vermindern
oder deren karzinogene Wirkung zu fördern. TLR‑5‑Agonisten
sind somit potente Radioprotektoren, deren Einsatz in der Strahlentherapie sowie im Strahlenschutz von Interesse ist.
Kommentar
Im Rahmen einer Strahlentherapie werden nicht nur die Tumorzellen, sondern auch Zellen des umgebenden Normal­
gewebes z.T. erheblichen Strahlendosen ausgesetzt. Die
­Sensibilität des Normalgewebes stellt somit einen dosis­
limitierenden Faktor dar, insbesondere bei der Therapie von
Malignomen mit hoher intrinsischer Strahlenresistenz.
Die toxische Wirkung der Strahlentherapie ist in sensiblen
Organen wie dem Gehirn, dem Knochenmark, dem Magen‑Darm‑Trakt und der Lunge [8, 10, 12] ebenso wie bei Tumorzellen mit einer massiven Induktion des programmierten
Zelltods (Apoptose) verbunden. Kritisch für die beobachtete
Organtoxizität ist dabei eine ausgeprägte Sensitivität der Endothelzellen der kleinen Blutgefäße gegenüber der strahleninduzierten Apoptose, auch der Epithelzellen [15]. Die
Hämatotoxizität ist dagegen durch eine hohe Apoptosesensitivität der Zellen der lymphatischen Organe sowie der hämatopoetischen Stammzellen bedingt [3, 4].
Im Gegensatz dazu sind Tumorzellen häufig durch eine
Resistenz gegenüber der strahleninduzierten Apoptose gekennzeichnet [1]. Eine konstitutive Aktivierung des Tran­
skriptionsfaktors NF‑kB schützt Tumorzellen vor Apoptose
[7]. Die Hemmung von NF‑kB und NF‑kB‑regulierten anti­
apoptotischen Proteinen stellt somit ein interessantes „Target“ für die Überwindung von Therapieresistenz in Tumorzellen dar. Der Transkriptionsfaktor NF‑kB ist aber auch für
die Regulation der Strahlensensitivität von Normalgewebszellen von zentraler Bedeutung. So führte der Verlust von
NF‑kB in NF‑kB‑p50‑Knock-out‑Mäusen zu erhöhter Radio­
sensitivität des Darms [15]. Basierend auf diesen Beobachtungen entwickelte die Arbeitsgruppe um Andrei Gudkov
einen völlig neuen Ansatz zur Normalgewebsprotektion. Sie
aktivierte gezielt den antiapoptotischen Transkriptionsfaktor NF‑kB in strahlensensiblen Normalgewebszellen des
Darms und in Immunzellen [2].
Die Innovation des beschriebenen Ansatzes besteht in
der Strategie, wie die selektive Aktivierung von NF‑kB in
einem für die Radiotoxizität bei Ganzkörperbestrahlung kritischen Zellsystem, dem Darm, erreicht wurde. Neben der
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oben beschriebenen Wirkung als Überlebenssignal stellt
NF‑kB einen wichtigen Transkriptionsfaktor im Rahmen der
angeborenen und adaptiven Immunantwort auf bakterielle
und virale Infektionen dar. Dabei führt die Aktivierung von
TLR über komplexe Signalkaskaden zur Aktivierung von
NF‑kB und zur nachfolgenden Expression von NF‑kB‑regulierten Proteinen [5]. TLR gehören zu den sog. Pattern‑Recognition‑Rezeptoren, die konservierte Strukturen verschiedener Mikroorganismen, z.B. bakterielles Endotoxin,
Lipoteichonsäuren, virale oder bakterielle DNA und RNA,
erkennen. Die Bindung der spezifischen Liganden an die
TLR rekrutiert ein nachgeschaltetes Signalnetzwerk, welches in die Aktivierung der Transkriptionsfaktoren AP‑1
und NF‑kB mündet und nachfolgend eine Immunantwort stimuliert [9].
Um nun eine zytoprotektive Aktivierung von NF‑kB im
Normalgewebe zu erreichen, ohne gleichzeitig das Immunsystem massiv zu stimulieren, nutzten Burdelya et al. die Beobachtung, dass neben pathogenen Mikroorganismen auch
kommensale Bakterien des Darms über TLR‑Stimulation
NF‑kB aktivieren und so zur Protektion des Darmgewebes
beitragen [9, 11]. Da insbesondere die Apoptose von Endothelzellen im Darm in den meisten Fällen für die letale Wirkung einer Ganzkörperbestrahlung verantwortlich zu sein
scheint [8], zielten die Autoren durch Entwicklung eines spezifischen Liganden für TLR‑5 auf eine selektive Aktivierung
von NF‑kB im Darmgewebe. TLR‑5 wird auf dendritischen
Zellen, Enterozyten und Endothelzellen des Magen‑Darm‑
Trakts exprimiert und erkennt bakterielles Flagellin [6, 13,
14].
Die TLR‑5‑vermittelte Aktivierung von NF‑kB erwies
sich tatsächlich als erfolgreiche Gewebsprotektion unter
Strahlentherapie. Sowohl Flagellin selbst als auch ein davon
abgeleitetes weniger immunogenes Flagellinteilfragment,
CBLB502, verbesserten oder verlängerten das Überleben
von Mäusen und Rhesusaffen nach letaler Ganzkörperbestrahlung deutlich. CBLB502 war dabei deutlich wirksamer
als Amifostin. Die Radioprotektion bestand in einer Aktivie-
613
Literatur kommentiert
rung von NF‑kB und einer Reduktion der strahleninduzierten Apoptose in den Gefäßendothelien des Darms.
CBLB502 verbesserte auch das Überleben hämatopoetischer
Stamm‑ und früher Progenitorzellen. Somit schützt CBLB502
zwei wichtige zelluläre Systeme, ohne bei den eingesetzten
Dosierungen auffällige Nebenwirkungen zu verursachen.
Insbesondere wurde durch CBLB502 die Strahlensensibilität
der Tumoren nicht beeinträchtigt, was die Autoren auf eine
bereits maximale Stimulation von NF‑kB im Tumorgewebe
und eine Überlebenssignaltransduktion weiterer Systeme
wie des PI3K‑PKB‑Wegs zurückführen.
Fazit: Die TLR‑5‑vermittelte antiapoptotische Wirkung von
CBLB502 ist ein innovativer Ansatz für die Radioprotektion
von Normalgeweben bei der Strahlentherapie mit einer gegenüber den bisher eingesetzten Protektoren größeren Wirkung. Die Aktivierung von NF‑kB zeigt die therapeutische
Relevanz antiapoptotischer Therapiestrategien zur Limitierung akuter Strahlenschäden am Normalgewebe und ist darüber hinaus sicher auch wertvoll für die Normalgewebsprotektion unter anderen Therapien.
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Verena Jendrossek, Essen
Initiale Tumor‑ und Patientencharakteristika können Muster und Risiko eines
Rezidivs bei Patienten mit lokalisierten Rhabdomyosarkomen voraussagen
Fragestellung: Die Arbeit der Cooperativen Weichteilsarkom(CWS‑)Studiengruppe [2] analysiert spezifische Charakteristika
von Patienten mit Rhabdomyosarkomen im Hinblick auf spätere
Lokal‑ und Fernrezidive.
Patienten und Methodik: Basis der Analyse waren 1 164 zuvor
unbehandelte Patienten (Alter ≤ 21 Jahre, Median 5 Jahre) mit
einem Rhabdomyosarkom (888 embryonal [RME], 235 alveolär
[RMA], 41 andere), die in den Therapieoptimierungsstudien
CWS 81, CWS 86, CWS 91 und CWS 96 mit multimodalen Therapiekonzepten behandelt worden waren. Primär metastasierte Patienten sowie Patienten, die unter der multimodalen Therapie
keine komplette Remission erreicht hatten, waren zuvor von der
Analyse ausgeschlossen worden. Die Therapie erfolgte risikoadaptiert nach den Vorgaben der genannten Therapieoptimierungsstudien und beinhaltete in allen Fällen eine Polychemotherapie.
614
Ergebnisse: Nach einer medianen Nachbeobachtung von 5,8 Jahren betrug das 5‑Jahres‑Gesamtüberleben 77,1%. Rückfälle traten bei 337 Patienten (29%) auf, in der überwiegenden Anzahl als
Lokalrezidive (19%, n = 217) bzw. als kombinierte Lokal‑ und
Fernrezidive (3%; n = 35). Alleinige Fernrezidive waren dagegen
seltener (7%, n = 85). Die mediane Zeit bis zum Rückfall betrug
1,5 Jahre (0,2–13,5 Jahre). Später als 4 Jahre traten Rezidive nur
bei zwölf Patienten auf. In einer multivariaten Analyse waren folgende Risikofaktoren für ein Rezidiv zu erheben: histologischer
Typ (RME vs. RMA), Alter (< 10 vs. > 10 Jahre), Tumorgröße
(< 5 vs. > 5 cm), postoperativer Status (IRS‑Stadium I vs. IRS­
Stadium III), Lokalisation (Orbita, Kopf/Hals nicht parameningeal, urogenital außer Blase/Prostata vs. andere Lokalisationen),
Durchführung einer Strahlentherapie (ja vs. nein). In univariaten
Analysen korrelierten darüber hinaus auch Lymphknotenbefall
und T‑Kategorie mit dem Rezidivrisiko. Anhand der unter-
Strahlenther Onkol 2008 · No. 11 © Urban & Vogel
Literatur kommentiert
suchten Faktoren wurden drei Risikogruppen definiert (Gruppe
1: RME < 5 cm; Gruppe 2: RME > 5 cm; Gruppe 3: RMA), wobei
Patienten der Gruppe 1 ein deutlich geringeres Rezidivrisiko
­sowie ein erhöhtes kuratives Potential im Fall eines Rezidivs
­aufwiesen, insbesondere bei noch vorhandenen Radiotherapieoptionen.
Schlussfolgerung: Die Studie konnte Patientencharakteristika
definieren, die das Muster und das Rezidivrisiko von Patienten
mit lokalisierten Rhabdomyosarkomen einzuschätzen helfen.
Kommentar
Die vorgestellte Studie [2] präsentiert eindrucksvoll Risikofaktoren für Rezidive bei Patienten mit Rhabdomyosarkomen
anhand einer im Hinblick auf die seltene Diagnose großen Patientenzahl. Dadurch wird bereits bei Therapieende eine Einschätzung des individuellen Rezidivrisikos eines Patienten ermöglicht, und eine individualisierte Nachsorgeempfehlung
schließt sich an. Im Vergleich mit anderen großen internationalen Studien zeigt sich bei gleicher Häufigkeit systemischer
Rezidive eine Lokalrezidivrate, die höher als in den amerikanischen IRS‑Studien (Intergroup Rhabdomyosarcoma Study)
[6], etwa gleich wie in der italienischen AIEOP‑Studie (Associazione Italiana Ematologia Oncologia Pediatrica) [5] und
deutlich geringer als in den SIOP‑MMT‑Studien (Interna­
tional Society of Pediatric Oncology) [8] ist. Sie betrug in
den SIOP‑MMT‑Studien > 30% [8], in den italienischen
­AIEOP‑Studien 22% [5] und in den amerikanischen IRS­
Studien lediglich 13% [6].
Es ist gut nachvollziehbar, dass die Autoren diese Unterschiede auf unterschiedlich aggressive Lokaltherapien,
insbesondere auch unterschiedliche Indikationen zur Radiotherapie zurückführen. Der Verzicht auf eine Radiotherapie
im Rahmen der Primärtherapie führte in der kommentierten
Studie [2] zu gehäuften Lokalrezidiven. Im Fall eines Rezidivs und noch verbliebener Radiotherapieoptionen waren
jedoch die Ergebnisse der Rezidivtherapie vielversprechend.
Aus strahlentherapeutischer Sicht sind in diesem Zusammenhang einige Kritikpunkte zu nennen, die teilweise von
den Autoren selbst bereits eingeräumt werden:
1. Art und Ausmaß der Lokaltherapie (Operation, Strahlentherapie und deren Kombination) wurden nicht ausgewertet. Sie sind nur den Vorgaben zur Lokaltherapie in den
jeweiligen Studien zu entnehmen [3, 4]. Diesbezügliche
Teilanalysen wurden jedoch bereits publiziert [7].
2. Eine detaillierte Untersuchung der therapeutischen Maßnahmen im Fall eines Rezidivs war nicht Gegenstand der
Analyse, doch zeigte sich im Rezidivfall eine Gruppe (RME
< 5 cm) mit besseren therapeutischen Optionen und besserem Behandlungsergebnis, insbesondere dann, wenn noch
die Möglichkeit der Radiotherapie bestand.
3. Im Diskussionsteil der Arbeit wird zwar wiederholt auf die
unterschiedlichen Philosophien in der Lokal‑ und Systemtherapie in den verschiedenen Studien eingegangen, eine
weiterführende Diskussion unterbleibt jedoch.
Fazit: Die vier großen Studien [2, 5, 6, 8] zeigen, dass mit
fortschreitender Konsequenz der Lokaltherapie einschließ-
Strahlenther Onkol 2008 · No. 11 © Urban & Vogel
lich der Strahlentherapie die Häufigkeit an Lokalrezidiven
sinkt, auch wenn die Vergleichbarkeit der Studien mit ihren
unterschiedlichen Studienkonzepten eingeschränkt sein
mag. Die Behandlungsfolgen einer aggressiven Lokaltherapie, insbesondere der Strahlentherapie, die Grund für die
diesbezügliche Zurückhaltung der Studiengruppe waren,
werden überhaupt nicht näher beschrieben. Für die Nutzen‑Risiko‑Abwägung der Lokaltherapie sind weitere Studien notwendig [1]. Angesichts der beobachteten Lokalrezidivhäufigkeit, aber einer erfolgreichen Therapieoption
für eine günstige Rezidivgruppe (RME < 5 cm) scheinen die
Therapieprotokolle der CWS‑Studien derzeit ein vernünftiger Kompromiss zu sein. Doch wünscht man sich weitere
Untersuchungen zum Stellenwert der Strahlentherapie einschließlich der erforderlichen Dosis und des Zielvolumens
bei Rhabdomyosarkomen. Für die Einschätzung des indi­
viduellen Rezidivrisikos sowie für die Nachbeobachtung ist
die diskutierte Arbeit [2] jedoch schon jetzt von großer
­Bedeutung.
Literatur
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nach Strahlentherapie maligner Erkrankungen im Kindes‑ und Jugendalter. Strahlenther Onkol 2006;182:443–9.
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3. Koscielniak E, Harms D, Henze G, et al. Results of treatment for soft
tissue sarcoma in childhood and adolescence: a final report of the
German Cooperative Soft Tissue Sarcoma Study CWS‑86. J Clin Oncol
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4. Koscielniak E, Jurgens H, Winkler K, et al. Treatment of soft tissue
sarcoma in childhood and adolescence: a report of the German Cooperative Soft Tissue Sarcoma Study. Cancer 1992;70:2557–67.
5. Mazzoleni S, Bisogno G, Garaventa A, et al. Outcomes and prognostic
factors after recurrence in children and adolescents with nonmetastatic rhabdomyosarcoma. Cancer 2005;104:183–90.
6. Pappo AS, Anderson JR, Crist WM, et al. Survival after relapse in children
and adolescents with rhabdomyosarcoma: a report from the Intergroup
Rhabdomyosarcoma Study Group. J Clin Oncol 1999;17:3487–93.
7. Schuck A, Mattke AC, Schmidt B, et al. Group II rhabdomysarcoma and
rhabdomyosarcomalike tumors: is radiotherapy necessary? J Clin Oncol 2004;22:143–9.
8. Stevens MC, Rey A, Bouvet N, et al. Treatment of nonmetastatic rhabdomyosarcoma in childhood and adolescence: third study of the International Society of Paediatric Oncology – SIOP Malignant Mesenchymal Tumor 89. J Clin Oncol 2005;23:2618–28.
Tobias Bölling, Normann Willich, Münster
615
Literatur kommentiert
Nahrungsergänzungsmittel zur Lungenkrebsprävention?
Fragestellung und Hintergrund: Obst und Gemüse werden mit einer niedrigeren Inzidenzrate von Lungenkrebs assoziiert, und es
werden Wege gesucht, dies für eine Prävention zu nutzen. Obwohl ein erheblicher Anteil der Bevölkerung über längere Zeit
Nahrungsergänzungsmittel wie Multivitamine, Vitamine und Folsäure einnimmt – in den USA sind es mehr als die Hälfte –, gibt es
nur wenige Informationen über die spezifischen Auswirkungen
eines solchen Verhaltens auf das Risiko, an einem Bronchialkarzinom zu erkranken. Hinzu kommt noch die weitverbreitete Meinung, dass solche Supplemente von gesundheitlichem Nutzen
seien, zumindest jedoch sicher und nicht schaden können. Es gibt
jedoch Hinweise, dass der Nutzen statistisch nicht nachweisbar ist
und bei der Verwendung einiger Vitaminzusätze das Sterberisiko
sogar steigt.
Probanden und Methodik: An einer Untersuchung im US-Bundesstaat Washington, welche die Langzeiteinnahme von Nahrungsergänzungsmitteln wie Multivitamine, Vitamin C und E und
Folsäure einerseits und die Inzidenz von Bronchialkarzinomen
andererseits analysierte [10], nahmen insgesamt 77 719 Frauen
und Männer im Alter von 50–76 Jahren teil. In einer rund vierjährigen Periode wurden die Teilnehmer (99,7%) hinsichtlich des
Auftretens von Lungentumoren durch Verknüpfung mit dem regionalen epidemiologischen NCI-Regis­ter monitoriert. Ausgeschlossen wurden 588 Teilnehmer u. a. mit einer vorangegangenen Lungenkrebsdiagnose. Der Supplementgebrauch der letzten zehn Jahre von Multi­vitaminen, Vitamin C und E und
Folsäure wurde als kategorielle und Indikatorvariable des Gebrauchs modelliert (vier Kategorien: niemals und bei Gebrauch
die drei Tertile bezogen auf die Kohorte), um das Hazard Ratio
(HR) von Lungenkrebs zu analysieren. Für die Berechnung des
Trends wurde eine kontinuierliche ­Variable genutzt. Als Kovariable wurden Tabakkonsum, Alter, Geschlecht, Ethnie, Familienstand und Bildungsstatus herangezogen.
Ergebnisse: Insgesamt erfüllten 77 126 Probanden die Einschlusskriterien und wurden im Mittel 4,05 Jahre (Standardabweichung
0,78 Jahre) beobachtet. 521 Personen entwickelten in diesem
Zeitraum Lungenkrebs. Dies entsprach den Erwartungen. 75%
der Fälle waren nicht kleinzellige Lungenkarzinome, 14% kleinzellige und 11% nicht weiter spezifizierte Lungenkarzinome. Eine Analyse des Raucherstatus ergab deutlich, dass Tabakkonsum
im Verhältnis zu der Nichtrauchergruppe mit einem ansteigenden
Lungenkrebsrisiko assoziiert war, wobei sowohl Dauer wie Intensität zur Steigerung des Risikos beitrugen. Nach Adjustierung war
der durchschnittliche 10-Jahres-Gebrauch von zusätzlichen Multivitaminen, Vitamin C und Folsäure nicht mit dem Auftreten von
Lungenkrebs assoziiert, weder in den vier betrachteten Kategorien noch in der kontinuierlichen Variante. Auch für die vier Kategorien bei der zusätzlichen Einnahme von Vitamin E gab es
keinen statistisch signifikanten Zusammenhang zum Lungenkrebsrisiko, wobei die Rate im dritten Tertil erhöht war. Wird das
Lungenkrebsrisiko als kontinuierliche Variable über die durchschnittliche 10-Jahres-Einnahme von Vitamin E betrachtet, ist
das HR = 1,05 statistisch signifikant erhöht (95%-Konfidenzintervall [KI] = 1,00; 1,09 pro 100 mg/Tag; p = 0,03). Nach Adjustierung
von Vitamin E durch die gewöhnliche Nahrungsaufnahme war
der Punktschätzer des Vitamin-E-Supplements nahezu gleich geblieben (HR = 1,04; 95%-KI = 1,00; 1,09; p = 0,08), obwohl die
statistische Signifikanz verloren ging. Die nahrungsadjustierten
HR-Werte von Multivitamin, Vitamin C und Folsäure änderten
sich ebenfalls nicht subs­tanziell. Die Morphologie der Tumoren
spielte insgesamt keine Rolle. Im kontinuierlichen Modell stieg
mit der zusätzlichen Einnahme von Vitamin E auch das Lungenkrebsrisiko an (HR = 1,07 für jede 100 mg/Tag Steigerung; 95%KI = 1,02; 1,12; p < 0,01), was in ein 28% erhöhtes Risiko bei einer
Dosis von 400 mg/Tag und für zehn Jahre übersetzt werden kann.
Für die Untergruppe der Raucher werden diese Risiken bestätigt:
HR = 1,11; 95%-KI = 1,03; 1,19; p < 0,01.
Schlussfolgerungen: Die ergänzende Zufuhr von Multivitaminen,
Vitamin C, Vitamin E und Folsäure ist nicht mit einer Verringerung des Risikos assoziiert, an Lungenkrebs zu erkranken. Die
zusätzliche Einnahme von Vitamin E war mit einer geringen Erhöhung des Lungenkrebsrisikos verknüpft, wobei in der Subgruppe der Raucher das Risiko deutlicher ausgeprägt ist. Zur Vorbeugung von Lungenkrebs ist von der Verwendung von Supplementen abzuraten.
Kommentar
Diese große prospektive Studie [10] bestätigt einmal aufs
Neue, dass eine abwechslungsreiche gesunde Ernährung mit
viel Obst und Gemüse einen guten und genügenden Risikoschutz gegen eine Krebserkrankung bietet, die nicht durch
zusätzliche Einnahme von weiteren Multivitaminen, Vitamin
C und E und Folsäure verbessert werden kann. Es könnte sogar sein, dass eine zusätzliche Vitaminzufuhr kontraproduktiv wirkt und das Risiko ansteigen lässt. In einer aktuellen
Metastudie [1] wurde gezeigt, dass der Gebrauch von Betakarotin, Vitamin A und Vitamin E eher die Mortalität ansteigen
lässt und dass weiterer Klärungsbedarf bei Vita­min C besteht.
In einer Studie männlicher Raucher [2] wurde die Gabe von
616
zusätzlichem Vitamin E und Betakarotin in einem Zeitraum
von fünf bis acht Jahren getestet und festgestellt, dass diese
Supplemente keine Risikoverminderung bringen. In [3] sind
diese Hinweise zusammengefasst. In [7], einer Metastudie,
konnte ebenfalls kein Zusammenhang mit Betakarotin und
Vitamin C mit dem Lungenkrebsrisiko hergestellt werden.
Lediglich durch Nahrungsmittel mit einem hohen Beta-Cryptoxanthingehalt, einem natürlichen Karotenoid, könnte das
Lungenkrebsrisiko abgeschwächt werden. Ein Resultat, das
auch in einer kleinen Kohorte in Shanghai, China, [11] bei
rauchenden Männern mittleren Alters gefunden wurde. Keine Assozia­tion wurde hinsichtlich des Serumniveaus bei a-
Strahlenther Onkol 2008 · No. 11 © Urban & Vogel
Literatur kommentiert
und γ-Tocopherol (Vitamin E) gefunden, wobei in [5, 6] eine
Wirkung von γ-Tocopherol auf Lungenzelllinien in vitro
nachgewiesen und als möglicher Hemmstoff für Lungenkrebs
ins Gespräch gebracht wurde. Eine Vermutung, die in einer
größeren Studie bis jetzt nicht nachgewiesen werden konnte.
Ein eher gegenteiliger Effekt durch Betakarotin- und Vitamin-A-Supplemente wird auch in einer weiteren Präventionsstudie [8] konstatiert. In einer Interventionsstudie beim
Brustkrebs frühen Stadiums [9] konnte mit einer speziellen
Diät mit einem hohen Anteil an Obst und Gemüse und geringem Fettanteil in dem Beobachtungszeitraum von über sieben Jahren weder die Anzahl der Krebsereignisse vermindert
noch die Mortalität gesenkt werden. In [4] wird darauf hingewiesen, dass viele Patienten mit Schmerzsymptomen, Stuhlverstopfung und Appetitmangel aus einer mit Obst und Gemüse angereicherten Ernährung Nutzen ziehen können. Der
Effekt liegt dann auch eher in einer Stabilisierung oder Verbesserung des Ernährungsstatus, des Körpergewichts und
Funktionalstatus.
Fazit: Eine ausgewogene Ernährung mit ausreichend Obst
und Gemüse reicht für eine allfällige Prävention gegen Lungenkrebs und andere Krebsentitäten vollständig aus und sollte nicht durch zusätzliche Einnahme von Multivitaminen,
Vitamin C, Vitamin E und Folsäure ergänzt werden. Die Gefahr ist gegeben, dass durch höhere Vitamin-E-Dosen, was
auch für Beta-Karotin und Vitamin A zutrifft, eher das Risiko
einer Erkrankung zunimmt. Den Ratsuchenden sollte empfohlen werden, auf die Einnahme von Supplementen zur primären Vorbeugung zu verzichten.
on: systematic review and meta-analysis. JAMA 2007;297:842–57.
Erratum in: JAMA. 2008;299:765–6.
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Lothar R. Pilz, Heidelberg
Literatur
1. Bjelakovic G, Nikolova D, Gluud LL, et al. Mortality in randomized
trials of antioxidant supplements for primary and secondary preventi-
Erstmals publiziert in InFoOnkologie 2008;11:174–5 (No. 3)
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