2 arznei-telegramm 1/92 Neueinführung HA-1A (CENTOXIN) GEGEN GRAMNEGATIVE BAKTERIÄMIE MIT SEPTISCHEM SCHOCK Die Behandlungsergebnisse septischer Zustände sind bislang nicht optimal: Trotz umfangreicher unterstützender Maßnahmen einschließlich der Verwendung von Antibiotika beträgt die Mortalität von Krankenhauspatienten mit gramnegativer Sepsis auch heute noch bis zu 60%. Insgesamt wird die Häufigkeit gramnegativer Sepsen in Deutschland auf 30.000-70.000 geschätzt.1 Mit der Einführung des ersten gentechnisch hergestellten humanen monoklonalen Antikörpers zur Behandlung der gramnegativen Sepsis soll – so die Ärzte-Zeitung – eine „neue Therapie-Ära” beginnen.1 WIRKUNGEN: Gramnegative Bakteriämien gehen mit der Freisetzung von Endotoxin einher. Endotoxin ist ein Lipopolysaccharid-Bestandteil der Zellwände gramnegativer Erreger, das eine überschießende Immunantwort triggert und so die systemischen Folgen der gramnegativen Bakteriämie bis zum Multiorganversagen auslöst. Endotoxin greift dabei auch in das Blutgerinnungssystem ein und fördert die Freisetzung zellulärer und humoraler Faktoren wie Tumor-Nekrose-Faktor und Interleukin-6. HA-1A soll die Folgen der gramnegativen Bakteriämie abschwächen, indem es spezifisch an Endotoxin bindet. KLINIK: In einem randomisierten Doppelblindvergleich gegen Plazebo erhielten 262 Patienten neben angemessener unterstützender Therapie einmalig 100 mg HA-1A verdünnt in Serumalbumin, 281 lediglich Serumalbumin als Plazebo. Anhand klinischer Symptome wurde die Behandlung eingeleitet, bevor die Diagnose der gramnegativen Bakteriämie durch Blutkultur gesichert war. Von den 543 Patienten ließ sich nur bei 200 eine gramnegative Sepsis feststellen. Von diesen verstarben innerhalb der vierwöchigen Studiendauer 30% in der HA-1A Gruppe im Vergleich zu 49% unter Plazebo. Deutlicher wird der Nutzen von HA-1A, wenn die Patienten zur Zeit der Infusion bereits im septischen Schock waren. Hier verstarben 18 (33%) von 54 Personen unter HA-1A gegenüber 27 (57%) von 47 unter Plazebo.2 Ähnliche Ergebnisse bringt die vorläufige Auswertung einer noch laufenden offenen Studie an insgesamt 650 Patienten.3 16 Kinder mit Meningokokkensepsis erhielten 6 mg/kg bis maximal 100 mg HA-1A. Zwei (12,5%) verstarben bei einer erwarteten Mortalität von mindestens 50%. Diese Ergebnisse stützen die Hinweise auf den AntiEndotoxin-Effekt von HA-1A, da die fulminante Meningokokkensepsis mit sehr hohen Endotoxinspiegeln einhergeht.3 Da eine Blutvergiftung rasch lebensbedrohlich verläuft, sollte nach Ansicht der Autoren der erstgenannten Studie bei Patienten mit Sepsis und begründetem Verdacht auf gramnegative Infektion eine empirische Immuntherapie mit HA-1A in Erwägung gezogen werden, noch bevor Ergebnisse von Blutkulturen vorliegen.2 Ein solcher Rat läßt sich hingegen aus den Daten nicht ableiten: Noch fehlen geeignete Kriterien für die Auswahl der Patienten, die von HA-1A profitieren. Bezogen auf alle Patienten der Studie besteht kein signifikanter Unterschied zwischen HA-1A und Plazebo.6 Andererseits verstarben 40% der Patienten ohne gramnegative Bakteriämie unter Plazebo, aber 45% unter HA-1A.4 Neben diesem für HA-1A negativen Trend wird beanstandet, daß in der Studie ein Ungleichgewicht zwischen Behandlungs- und Plazebogruppe besteht hinsichtlich Alter, Leberversagen, akuten Nierenversagens, gleichzeitiger Antibiotikatherapie und anderer #1 Faktoren, die – wenn auch nicht statistisch signifikant – alle in die gleiche Richtung gehen und die Ergebnisse zugunsten von HA-1A beinflussen können.5 UNERWÜNSCHTE WIRKUNGEN: HA-1A darf nur einmal verwendet werden, da die Bildung von Antikörpern gegen HA-1A nicht auszuschließen ist. Bei 36 Patienten mit Mehrfachgabe ließen sich diese nicht nachweisen.7 HA-1A wurde in der klinischen Studie gut vertragen. Je ein Patient reagierte mit lokalisierter Urtikaria sowie mit Flush und Blutdruckabfall. Zu klären bleibt, ob Unverträglichkeitsreaktionen durch das schwere Krankheitsbild der Sepsis überdeckt werden. KOSTEN: Eine Ampulle zu 100 mg kostet 7.182 DM (Herstellerabgabepreis incl. MwSt.). Würde man in Deutschland sämtliche Patienten mit gramnegativer Sepsis (geschätzt bis 70.000 pro Jahr) und die Personen mit Verdacht auf gramnegative Sepsis (nach der HA-1A-Studie kommen 2,7 Verdachtsfälle auf eine erwiesene Sepsis) mit HA-1A behandeln, würde dies fast 1,4 Milliarden DM kosten, ohne daß ein Nutzen für die Gesamtheit der Behandelten dokumentiert ist. FAZIT: In der vorliegenden Studie senkt der gegen das Endotoxin gramnegativer Erreger gerichtete monoklonale Antikörper HA-1A (CENTOXIN) die Mortalität septischer Patienten. Im klinischen Alltag müßte die Entscheidung zur Anwendung erfolgen, bevor die Diagnose der gramnegativen Bakteriämie bakteriologisch gesichert ist. Besteht keine gramnegative Sepsis, bleibt ein Nutzen aus. Gegen die verbreitete optimistische Interpretation der Studienergebnisse spricht, daß sich bei Auswertung aller Studienpatienten kein signifikanter Vorteil der HA-1A-Behandlung gegenüber Plazebo feststellen läßt. Solange vor Behandlungsbeginn klare, klinisch faßbare Anwendungskriterien fehlen, welche Patienten von HA-1A profitieren werden, würde man bei breiter Anwendung des Antikörpers in Deutschland bis zu 1,4 Milliarden DM ohne gesicherten Nutzen aufwenden. 1 2 3 4 5 6 7 Ärzte Zeitung vom 10. Juni 1991 ZIEGLER, E. J. et al.: N. Engl. J. Med. 324 (1991), 429 Scrip 1651 (1991), 21 TANIO, C. P., H. I. FELDMAN: N. Engl. J. Med. 325 (1991), 280 CARLET, J. et al.: N. Engl. J. Med. 325 (1991), 280 CURRIE, D. C. et al.: Brit. med. J. 303 (1991), 1476 LORIJN, R. H. W.: Fax von Centocor, Malvern (Pennsylvania, USA) vom 10. Dez. 1991 Im Blickpunkt BRUSTKREBS IM FRÜHSTADIUM: JA ZUR SYSTEMISCHEN BEHANDLUNG Die Hormontherapie des Brustkrebses bringt bessere Ergebnisse, als bisher erwartet. Nach einer weltweiten Auswertung von 133 randomisierten Untersuchungen an 75.000 Frauen mit Brustkrebs im Frühstadium steigert die adjuvante chemotherapeutische oder HormonBehandlung des Brustkrebses die 10-Jahres-Lebenserwartung. Etwa 12% von Frauen mit Brustkrebs im Stadium II überlebten zusätzlich nach zehn Jahren, und etwa weitere 6% von Frauen mit Brustkrebs im Stadium I. Pro Jahrzehnt werden wegen Brustkrebs Millionen Frauen in Frühstadien behandelt. Derartige Ergebnisse lassen bei einer Million erkrankter Frauen auf 100.000 zusätzlich überlebende nach zehn Jahren schließen. Etwa ein Drittel des Zugewinns ist auf umsichtige Anwendung von Poly-