Zentrum für Fisch- und Wildtiermedizin Abteilung für Wildtiere Institut für Tierpathologie, Vetsuisse Fakultät, Universität Bern, Länggass-Str. 122, Postfach 8466, CH-3001 Bern; Tel. 031 631 24 43 Fax 031 631 26 11 Steinbockprojekt, Modul Krankheiten „Veterinärmedizinische Untersuchungen an ausgewählten Steinwildpopulationen“ Schlussbericht I, April 2010 (Pilotprojekt Gämsblindheit) M.-P. Ryser-Degiorgis Nach dem wissenschaftlichen Artikel: "Detection of Mycoplasma conjunctivae in the eyes of healthy, free-ranging Alpine ibex (…)”, Vet. Microbiol. 2009 M.-P. Ryser-Degiorgis, D. Bischof, N. Marreros, Ch. Willisch, C. Signer, F. Filli, G. Brosi, J. Frey, E. Vilei 2 Steinbockprojekt FIWI, Schlussbericht I (Pilotprojekt Gämsblindheit), April 2010 Zusammenfassung Mycoplasma conjunctivae wird als Hauptursache der infektiösen Keratokonjunktivitis (IKK, Gämsblindheit) beim Steinbock und bei der Gämse angesehen. Es wurde schon früher dokumentiert, dass Hausschafe als gesunde Träger für M. conjunctivae fungieren können (d.h., die Tiere sind infiziert, zeigen aber keine klinischen Krankheitssymptome und können andere Tiere anstecken). Die Frage nach gesunden Trägern bei Wildtieren wurde allerdings bis zu Beginn dieser Studie nie angegangen. Deshalb haben wir im Rahmen des Moduls Krankheiten des interdisziplinären Steinbockprojektes bakteriologische Untersuchungen und Feldbeobachtungen durchgeführt um zu überprüfen, ob freilebende Steinböcke gesunde Träger von M. conjunctivae sein können. Von den 136 Steinböcken ohne IKK-Symptome, die mit der neuen TaqMan PCR-Methode auf M. conjunctivae untersucht werden konnten, waren 26 Tiere (19.1%) infiziert. Damit erwiesen sich nahezu ein Fünftel der untersuchten Tiere als gesunde Träger! Um das krankmachende Potential der M. conjunctivae-Stämme, die bei gesunden Trägern nachgewiesen wurden, zu evaluieren, wurden die Stämme von 3 gesunden Steinböcken und 15 IKK-Steinböcken und IKK-Gämsen genetisch verglichen. Es konnten keine bedeutenden Unterschiede nachgewiesen werden. Dies weist darauf hin, dass Steinböcke ohne Augenveränderungen mit M. conjunctivae-Stämmen infiziert sein können, die ein krankmachendes Potential haben. Zudem zeigen unsere Resultate, dass die Anwesenheit von Symptomen mit der Menge an Mykoplasmen in den Augen in Verbindung steht. Als Ergänzung führten wir eine Umfrage bei Wildhütern zum Vorkommen der IKK und zu den Interaktionen zwischen Schafen und Steinböcken durch. Die Antworten zeigten, dass die IKK häufiger bei Gämsen als bei Steinböcken vorkommt und dass die Infektion bei Wildtieren nicht immer mit der Anwesenheit von Schafen in Verbindung steht. Insgesamt unterstützen unsere Daten die Hypothese, dass gesunde Steinböcke für die Epidemiologie der IKK wichtig sein könnten. Es sind allerdings ergänzende Untersuchungen bei Steinböcken und Gämsen nötig, um klare Aussagen machen zu dürfen. 3 Steinbockprojekt FIWI, Schlussbericht I (Pilotprojekt Gämsblindheit), April 2010 1. Einleitung Das Modul Krankheiten des interdisziplinären Steinbockprojektes hat sich mit verschiedenen Infektionskrankheiten befasst, insbesondere (1) Aborterkrankungen, (2) Lungenentzündungen, (3) Parasitenbefall und (4) Gämsblindheit. Die Resultate der Untersuchungen zu (1), (2) und (3) werden im Schlussbericht Teil II vorgestellt. Die Untersuchungen zu (4) wurden schon im Frühling 2008 abgeschlossen (Pilotprojekt). Dabei ging es darum, die Hypothese zu überprüfen, ob Steinböcke gesunde Träger von Mycoplasma conjunctivae sein können. Die Resultate wurden in Form eines wissenschaftlichen Artikels auf English publiziert (RyserDegiorgis et al. 2009) und der jetzige Bericht besteht im Wesentlichen aus einer Übersetzung der eingereichten Fassung dieses Artikels. 2. Hintergrund Die durch eine Infektion mit dem Bakterium Mycoplasma conjunctivae verursachte „Infektiöse Keratokonjunktivitis“ (IKK, ansteckende Bindehautentzündung) ist weltweit eine häufige Erkrankung bei Hausschafen. In den Alpen wurde M. conjunctivae auch bei Steinwild, Gämsen und Mufflons als Erreger der IKK (bei Wildtieren auch Gämsblindheit genannt) identifiziert. Beim Hausschaf sind die Krankheitssymptome in der Regel nur mild und vorübergehend. Auch bei Wildwiederkäuern scheint die Spontanheilung der häufigste Krankheitsausgang darzustellen; allerdings kann die verursachte Mortalität manchmal beträchtlich sein. Hausschafe, Steinböcke und Gämsen begegnen einander oft auf denselben Alpweiden, was eine zwischenartliche Übertragung von Krankheitserregern ermöglicht. Molekularbiologische Untersuchungen haben tatsächlich bestätigt, dass die selben M. conjunctivae-Stämme (d.h. genetische Varianten) bei allen empfänglichen Arten auf der selben Weide zu finden sind. Aufgrund von Studien bei Schafen und Gämsen haben Giacometti und Mitarbeiter vorgeschlagen, dass M. conjunctivae in Wildpopulationen nicht persistiert und dass die Kontrolle der Infektion bei den Schafen notwendig ist, um der Ansteckung von Wildtieren vorzubeugen. Allerdings berichteten Terrier und Kollegen vor 10 Jahren über den Auftritt der IKK beim Steinwild in Frankreich bevor Schafe auf die Alp gekommen waren und warnten vor der Anwesenheit von gesunden Trägern (d.h. klinisch gesunden aber infizierten Tieren) bei Wildwiederkäuern. Vor drei Jahren erwähnten Tschopp und Mitarbeiter das Auftreten der IKK beim Steinwild unmittelbar vor den ersten Fällen bei Gämsen im selben Gebiet und schlugen vor, dass das Steinwild Träger von M. conjunctivae und Ansteckungsquelle für die Gämse sein könnte. Bis zur jetzigen Studie wurde die mögliche Rolle des Steinwildes in der Epidemiologie der Gämsblindheit allerdings nicht untersucht. Die Umsiedlung von Steinböcken ist eine verbreitete Management-Methode in den Alpen. Damit ansteckende Krankheitserreger, die für andere Tiere von Bedeutung sein könnten, nicht verbreitet werden, müssen die zur Umsiedlung bestimmten Tiere zuvor auf diese Erreger getestet werden. Die Anwesenheit von gesunden Trägern für M. conjunctivae wurde schon bei Hausschafen dokumentiert, nicht aber bei Wildwiederkäuern. Untersuchungen bei Wildtieren berücksichtigten bis jetzt nur kranke Tiere, mit der Ausnahme einer serologischen Studie bei der Gämse (Giacometti und Mitarbeiter). Im Rahmen eines Infektionsversuches persistierte M. conjunctivae nur vorübergehend in den Augen von Steinböcken nach Verschwinden der klinischen Symptome. Vor wenigen Jahren erwies sich allerdings eine gesunde 1-jährige Steingeiss in einer Wildauffangstation als positiv für M. conjunctivae mit der sogenannten “nested PCR”-Methode. Ein Reh- und ein Gämskitz erwiesen sich zuerst als negativ, zeigten aber später ein positives Resultat, als sie mit einer neuen, empfindlicheren Methode (“TaqMan realtime PCR”) erneut getestet wurden. Wiederholte Versuche, die Steingeiss zu behandeln, um die Infektion zu beseitigen, waren erfolglos. M. conjunctivae war monatelang in ihren Augen nachweisbar, obwohl sie nicht erkrankte. Interessanterweise haben Wildhüter schon beobachtet, wie gesunde Steinböcke zusammen mit blinden 4 Steinbockprojekt FIWI, Schlussbericht I (Pilotprojekt Gämsblindheit), April 2010 Gämsen äsen. Insgesamt deuten diese Beobachtungen darauf hin, dass der möglichen epidemiologischen Rolle des Steinbocks mehr Aufmerksamkeit geschenkt werden sollte. Das Ziel dieser Studie war die Untersuchung von gesunden freilebenden Steinböcken um zu überprüfen, ob gesunde Träger von M. conjunctivae auch in der freien Wildbahn vorkommen. Dazu wollten wir die mögliche Rolle des Alpensteinbocks in der Epidemiologie der Gämsblindheit diskutieren. Dazu haben wir (1) die Häufigkeit der gesunden Träger in der untersuchten Stichprobe ausgerechnet, (2) die DNA-Sequenzen von M. conjunctivae-Stämmen von gesunden und blinden Tieren verglichen, (3) eine mögliche Korrelation zwischen den IKK-Symptomen und der Mykoplasmenmenge in den Augentupfern untersucht, und (4) Feldbeobachtungen bezüglich Wechselwirkungen zwischen Wildwiederkäuern auf den Alpweiden sowie dem Auftreten von IKKEpidemien zusammengetragen. 3. Material und Methoden Die Augentupfer von 136 Steinböcken und Steingeissen ohne IKK-Symptome (d.h. ohne Sekretstrassen und ohne Hornhautveränderungen) konnten für diese Studie berücksichtigt werden. Ein einziges Tier (symptomloser Steinbock 1) zeigte eine einseitige, milde Hornhauttrübung in Abwesenheit einer Sekretstrasse und wurde als IKK-symptomlos betrachtet, da IKKTiere immer eine Sekretstrasse haben. Von diesen 136 symptomlosen Tieren wurden 74 erlegt und 62 wurden lebend gefangen. Die Steinböcke kamen von 12 verschiedenen Kolonien (A-L, Tabelle 1) aus fünf Kantonen (Wallis VS, Waadt VD, Bern BE, St. Gallen SG und Graubünden GR; Fig. 1). Eine Kolonie wird als eine Gruppe von Steinböcken mit regelmässigen Sozialkontakten definiert, währendem Tiere aus verschiedenen Kolonien keine oder nur ausnahmsweise Kontakte miteinander hatten (in der Regel als Folge geographischer Barrieren). Eine Kolonie kann somit als epidemiologische Einheit betrachtet werden. Eine einzelne Kolonie wird weiter in Subkolonien unterteilt: Intraspezifische Interaktionen sind viel häufiger zwischen Tieren aus der gleichen Subkolonie als zwischen Tieren von verschiedenen Subkolonien. Die lebenden Tiere stammten aus den Subkolonien A1, A2 und F1 (Tab. 1). Ausser sieben Tiere der Subkolonie F1, die zwischen Mai und Juni 2006 beprobt wurden, wurden alle Proben zwischen Januar und Dezember 2007 gesammelt. Insgesamt gab es 79 Böcke, 56 Geissen, und ein unbestimmtes Tier. Es wurden aufgrund des Sozial- und Reproduktionsverhaltens wie auch des Alterungsprozesses fünf Altersklassen gewählt: Jährling (1 Jahr alt, N=9), Jungadult (2-3 Jahre alt, N=23), mittelaltrig (4-10 Jahre alt, N=65) und alt (≥11 Jahre alt, N=36). Die meisten Tiere wurden im Frühling beprobt (April-Juni, N=55), gefolgt von Sommer (Juli-September, N=41) und Herbst (Oktober-Dezember, N=39). Nur ein Tier wurde im Winter (Januar) beprobt. Währenddem 52 von 62 (83.9%) lebend gefangenen Steinböcken im Frühling beprobt wurden, wurden die Proben von erlegten Tieren hauptsächlich im Sommer und Frühherbst gesammelt (70/74, 94.6%). Um die Mykoplasmenmenge und die M. conjunctivae-Stämme zwischen klinisch gesunden und IKK-kranken Tieren zu vergleichen, wurden zudem Augentupfer von 6 Steinböcken und 22 Gämsen mit IKKSymptomen für die Studie gebraucht, die zwischen April 2006 und Dezember 2007 in den Kantonen GR, VS, VD, SG, und UR gesammelt wurden. Die 6 Steinböcke waren entweder lebend gefangen worden (N=2) oder erlegt (N=4) und zeigten generell mildere Symptome als die Gämsen, die alle wegen fortgeschrittener Blindheit erlegt wurden. 2.2. Laborarbeit Alle Proben wurden am Institut für Veterinärbakteriologie der Universität Bern mit der sogenannten “TaqMan real-time PCR”-Methode untersucht. M. conjunctivae von drei symptomlosen Steinböcken (2 VS, 1 GR) und von vier IKKSteinböcken (3 VS, 1 GR) sowie 11 IKKGämsen (9 GR, 1 SG, 1 UR) wurden charakterisiert (sequenziert) und miteinander verglichen. 5 Steinbockprojekt FIWI, Schlussbericht I (Pilotprojekt Gämsblindheit), April 2010 2.3. Feldbeobachtungen In den Subkolonien A1, A2 und F1 wurden die Steinböcke mehrere Monate im Hinblick auf IKK-Symptome überwacht (C. Signer, D. Godli, F. Filli, Ch. Willisch, J.-C. Roch). Dank Ohrmarken, Hornmarkierungen und Radiotelemetrie-Halsbändern war es möglich, die Tiere individuell zu erkennen. 2.4. Umfrage Informationen über Wechselwirkungen zwischen Steinböcken und Schafen oder Gämsen und das Vorkommen früherer und aktueller IKK-Epidemien bei Steinböcken und Gämsen in den untersuchten Kolonien wurden dank eines Fragebogens gesammelt, die von 31 Wildhütern aus den 12 berücksichtigen Kolonien ausgefüllt wurden. 3. Resultate 3.1. Nachweis von M. conjunctivae mit der TaqMan PCR-Analyse 26 von 136 symptomlosen Steinböcken (19.1%) aus 7 verschiedenen Kolonien erwiesen sich als positiv für M. conjunctivae in mindestens einem Auge. Die Häufigkeit der Infektion variierte von 0% bis 30.2%, je nach Kolonie (Table 1, Fig. 1). Diese Unterschiede waren statistisch allerdings nicht von Bedeutung. Bedeutende Unterschiede waren nur zwischen den Tieren aus der Subkolonie A1 oder C (alle negativ, jeweils 10 Tiere untersucht) und Tieren der Subkolonie A2, wo 13/33 getestete Tiere (39.4%) positiv waren. In der Subkolonie F1 gab es einen signifikanten Unterschied zwischen den Untersuchungsjahren: Während in 2006 6/7 Tiere (85.7%) positiv waren, erwiesen sich in 2007 nur 1/18 (5.6%) als positiv. Es gab keine bedeutenden Unterschiede zwischen Altersklassen und Geschlechtern. Steinböcke, die lebend gefangen und beprobt wurden, waren häufiger infiziert als bejagte Tiere. Ein Unterschied bestand auch zwischen den Jahreszeiten: Die Häufigkeit von M. conjunctivae-Infektionen war höher im Frühling als im Sommer und Herbst. 20/26 Steinböcke, die infiziert waren, wurden zwischen Mitte Mai und Mitte Juni beprobt; ein weiteres positives Tier wurde früh im Mai beprobt. Da die meisten lebenden Tiere im Frühling gefangen wurden und die Jagdzeit im Sommer und Frühherbst stattfindet, war es nicht möglich festzustellen, ob der hohe Anteil positiver Tiere im Frühling auf die Jahreszeit oder auf die Tatsache, dass die Tiere lebend waren, zurückzuführen war. Wenn nur lebende Tiere für den Vergleich der Häufigkeiten zwischen den Jahreszeiten berücksichtigt wurden, blieb der Unterschied allerdings statistisch von Bedeutung. Wenn nur tote Steinböcke berücksichtigt wurden, waren 1/3 der Frühlings-Tiere positiv und 5/70 der Sommer/Herbst-Tiere positiv; der Unterschied zwischen diesen Häufigkeiten war aber nicht signifikant. Die sogenannte Ct-Werte stellen eine Messung der Mykoplasmenmenge dar (je tiefer der Ct-Wert, umso grösser die Mykoplasmenmenge). Die Bandbreite der gemessenen Ct-Werte war ähnlich für Proben von asymptomatischen und von IKK-Tieren, aber Werte <25 (d.h. viele Mykoplasmen) traten signifikant häufiger bei Gämsen und Steinböcken mit Augenveränderungen als bei gesunden Tieren, deren Mehrheit Ct-Werte von ≥35 aufwiesen (d.h. wenig Mykoplasmen; Table 2, Fig. 2) auf. Auf individuellem Niveau wiesen 14/26 infizierte aber asymptomatische Steinböcke (53.8%), 4/6 IKK-Steinböcke (66.7%) und 21/22 IKKGämsen (95.5% ) mindestens ein Auge mit einem Ct <35 auf. Der Unterschied war nur zwischen gesunden Steinböcken und IKKGämsen signifikant. Die Anzahl Tiere mit Ct<35 in beiden Augen war signifikant kleiner bei gesunden Steinböcken als bei IKK-Steinböcken und IKK-Gämsen. Proben von gesunden Steinböcken zeigten einen Ct-Wert von 33.33 ± 5.26, der von IKK-Steinböcken 24.26 ± 4.46 (Fig 2). 3.2 Molekularepidemiologie von Infektionen mit M. conjunctivae (Stamm-Analyse) Bei der genetischen Analyse von M. conjunctivae-Stämmen von asymptomatischen Steinböcken und IKK-kranken Gämsen/Steinböcken konnten keine signifikanten Unterschiede nachgewiesen werden. Zudem war der Stamm von einem asymptomatischen Steinbock aus dem Wallis dem Stamm von sechs kranken Gämsen aus Graubünden ähnlich (Fig. 3, schattierter 6 Steinbockprojekt FIWI, Schlussbericht I (Pilotprojekt Gämsblindheit), April 2010 Kasten A) und der Stamm von einem asymptomatischen Steinbock aus Graubünden war dem Stamm von zwei kranken Steinböcken aus dem Wallis ähnlich (Fig. 3, schattierter Kasten B). 3.3. Feldbeobachtungen In der Subkolonie A2 wurden während mehreren Jahren vor der Probenentnahme keine Tiere mit IKK-Symptomen festgestellt. In der Subkolonie F1 wurden in den Monaten vor der Probenentnahme nur drei Steingeissen mit vorübergehenden milden Symptomen beobachtet: Im November 2005 zeigte eine dieser Geissen einseitige, ausgeprägte und wässerige Sekretstrassen und im April/Mai 2006 (zum Zeitpunkt des Fangs) zeigten die zwei anderen beidseitige, minimale und wässerige Sekretstrassen. Diese zwei Tiere erwiesen sich als positiv für M. conjunctivae (Ct-Wert ≤35). Keiner der gesunden lebenden Steinböcke von den Subkolonien A2 und F1, die für M. conjunctivae positiv getestet wurden, entwickelte innerhalb sechs oder mehr Monaten nach der Beprobung IKKSymptome. Obwohl Interaktionen zwischen Steinböcken und Gämsen in diesen Subkolonien beobachtet wurden, gab es keinen Krankheitsausbruch bei diesen Tierarten in diesen Subkolonien. Interaktionen zwischen den studierten Steinböcken und den weidenden Schafen wurden in keiner der drei Subkolonien beobachtet. 3.4. Umfrage Gemäss Angaben auf den rückgesandten Fragebogen sind Schafe während der Sommerweidezeit in allen Steinbockkolonien vorhanden ausser in Subkolonie A1, die sich im Schweizer Nationalpark befindet. In allen Gebieten waren Schafe nur während einer bestimmten Zeitspanne pro Jahr anwesend. Die ersten Schafe kommen meist zwischen Mitte Mai und Mitte Juni (7/12 Kolonien, 58.3%) oder weniger häufig vor Mitte Mai (3/12) oder nach Mitte Juni (2/12). Die letzten Schafen verlassen die Steinbockgebiete im September (4/12), Oktober (5/12) oder später als Oktober (3/12). Interaktionen zwischen Schafen und Steinböcken wurden in allen 12 Kolonien von 28/ 29 Wildhütern festgestellt, die Schafe in ihrem Aufsichtskreis haben (96.6%). Vermischungen von weidenden Schafen und Steinbockherden wurden in allen 12 Kolonien beobachtet (22/31 Wildhüter, 75.9%) und Begegnungen bei einer Salzlecke fanden in neun verschiedenen Kolonien statt (16/31, 55.2%). Gämsen kommen in allen berücksichtigten Steinbockkolonien und Subkolonien vor und Interaktionen zwischen Gämsen und Steinböcken wurden von allen 31 Wildhütern erwähnt. Annäherungen von Gämsen und Steinböcken bei Salzlecken wurden von 18/31 Wildhütern (58.1%) in 10 Kolonien gemeldet. Die Vermischung von Gäms- und Steinbockherden wurde von 30 Wildhütern (96.8%) in allen 12 Kolonien beobachtet. In einem Aufsichtsgebiet waren die Interaktionen zwischen Steinböcken und Schafen/Gämsen auf die gemeinsame Nutzung der gleichen Weiden ohne Begegnungen begrenzt. Bezüglich Umsiedlungen erwähnten 5 Wildhüter von 2 Kolonien (D und J) von rezenten Freilassungen von Steinböcken aus anderen Kolonien (K und I). 28 Wildhüter (90.3%) von allen 12 Kolonien haben schon IKK bei Gämsen (kürzlich oder vor längerer Zeit) beobachtet, inklusive in der Subkolonie A1 (Nationalpark) aber nicht in der Subkolonie F1 (Cape-au-Moine). Bei Steinböcken wurde die IKK in 10 Kolonien von 23 Wildhütern (74.2%) festgestellt. Insgesamt meldeten 9/31 (29.0%) Wildhüter von 7 verschiedenen Kolonien, dass sie IKKFälle bei Gämsen, nicht aber bei Steinböcken beobachtet haben und 3 Wildhüter (9.7%) von 3 verschiedenen Kolonien erwähnten IKK-Fälle bei Steinböcken, nicht aber bei Gämsen im gleichen Gebiet. In Kolonien, in denen sich symptomlose Steinböcke als positiv für M. conjunctivae erwiesen haben, wurde eine IKK-Epidemie in 2007 (I, J, K, L), 2006 (B) oder vor 2005 (A,F) zum letzten Mal beobachtet. 7 Steinbockprojekt FIWI, Schlussbericht I (Pilotprojekt Gämsblindheit), April 2010 Tabelle 1. Häufigkeit („Prävalenzen“) der Infektionen mit M. conjunctivae (nachgewiesen mit der TaqMan PCR-Analyse) bei freilebenden Steinböcken aus der Schweiz ohne Symptome der Gämsblindheit. Steinbock-Kolonien Albris Subkolonie “Schweizer Nationalpark” Subkolonie “Piz Albris” Julier Falknis / Flüela-Rätikon Oberalp Tödi-Calanda / Foostock / Graue Hörner Churfirsten Cape au Moine-Chaussy / Pierreuse-G. / Wittenberg Subkolonie “Cape au Moine” Subkolonie “Wittenberg” Brienzer Rothorn / Augstmatthorn Schwarzmönch Chablais Valais central, linke Flussseite Oberwallis, linke Flussseite Oberwallis, rechte Flussseite (Unbekannt) TOTAL A A1 A2 B C D E F F1 F2 G H I J K L Kanton positiv/getestet % positiv GR GR GR GR GR GR-SG SG VD-BE VD BE BE BE VS VS VS VS VS 13/43 0/10 13/33 2/10 0/10 0/6 0/2 7/28 7/25 0/3 0/5 0/5 1/5 1/10 1/7 1/4 0/1 30.2 0 39.4 20.0 0 0 0 25.0 28.0 0 0 0 20.0 10.0 14.3 25.0 0 26/136 19.1 Abbildung 1. Karte der Schweiz mit den Hauptseen (dunkelgrau) mit Darstellung der untersuchten Kolonien (schattierte Flächen) und Verteilung der gesammelten Proben. Die Kreise stehen für die Steinbockproben, die Dreiecke für die von Gämsen. Schwarz: Positiv für M. conjunctivae mit IKKSymptomen; Weiss mit schwarzem Zentrum: Infiziert mit M. conjunctivae (PCR-positiv) aber ohne Symptome; Weiss: Nicht infiziert. Die Namen der Kolonien A-L sind in der Tabelle 1 angegeben. 8 Steinbockprojekt FIWI, Schlussbericht I (Pilotprojekt Gämsblindheit), April 2010 Tabelle 2. Ct-Werte der Tiere mit M. conjunctivae-Nachweis, mit oder ohne IKK-Symptome. Je höher der Ct-Wert, umso kleiner die Mykoplasmenmenge. Anzahl Tiere Anzahl positive Augen Ct Ct<25d Bandbreite Ct=25-<35d Ct≥35d Keine IKK-Symptome Steinbock 26 46 a 18-39 5 (10.9%) 12 (26.1%) 29 (63%) IKK Symptome Steinbock Gämse 6 22 10 b 31 c 19-37 19-35 6 (60%) 21 (67.7%) 1 (10%) 9 (29%) 3 (30%) 1 (3.2%) a 5 negativ, 1 nicht getestet. 1 negativ, 1 nicht getestet. c 1 negativ, 12 nicht getestet. d Ct<25 entspricht >3.6x106, Ct=25-<35 bis >3500-3.6x106, und Ct≥35 bis ≤3500 M. conjunctivae Zellen pro Augentupfer. b Abbildung 2. Darstellung der Mykoplasmenmenge in den Augentupfern. Die schwarzen Punkte stellen die Mediane der Mykoplasmenmenge für jede Gruppe dar. 9 Steinbockprojekt FIWI, Schlussbericht I (Pilotprojekt Gämsblindheit), April 2010 Abbildung 3. Darstellung der Stamm-Analyse. Der schattierte Kasten A beinhaltet Proben von einem symptomatischen Steinbock aus dem VS (Kolonie K) und von 6 IKK-Gämsen aus GR (Kolonie M), die sehr ähnlich waren. Der schattierte Kasten B beinhaltet ähnliche Stämme von einem gesunden Steinbock aus GR (Kolonie B) und einem kranken Steinbock aus VS (Kolonie J). 10 Steinbockprojekt FIWI, Schlussbericht I (Pilotprojekt Gämsblindheit), April 2010 5. Diskussion 5.1. Häufigkeit von gesunden Trägern Das Hauptziel dieser Studie war zu überprüfen, ob Steinböcke in Abwesenheit von klinischen Symptomen mit M. conjunctivae infiziert sein können. Die Gesamthäufigkeit von nahezu 20% positiven Tieren für M.conjunctivae dank der TaqMan PCR-Analyse und die Tatsache, dass mindestens ein positives Tier in 7 von 12 berücksichtigten Kolonien nachgewiesen wurde, zeigen, dass gesunde Träger in der schweizerischen Steinbockpopulation tatsächlich ziemlich verbreitet sind. 5.2. Stamm-Analyse Es gab keine signifikanten genetischen Unterschiede zwischen den Stämmen, die bei asymptomatischen Steinböcken isoliert wurden und den Stämmen von klinisch kranken Steinböcken und Gämsen. Dies weist darauf hin, dass gesunde Tiere mit positiven Resultaten in der TaqMan PCRAnalyse als Träger für M. conjunctivae und demnach als Infektionsquelle für andere Tiere fungieren können, wie schon von anderen Autoren vorgeschlagen (Naglic et al., 2000; Baker et al., 2001; Janovsky et al., 2001; Åkerstedt and Hofsagen, 2004; Jansen et al., 2006; Vilei et al., 2007). 5.3. Mykoplasmenmenge Die Mykoplasmenmenge bei asymptomatischen Steinböcken war meist klein (durchschnittlich 104 Mykoplasmen pro Augentupfer) im Vergleich mit derjenigen bei IKK-Tieren (durchschnittlich 106-107 Mykoplasmen pro Augentupfer). Zudem war eine grosse Mykoplasmenmenge (Ct-Wert <35) bei asymptomatischen Steinböcken selten; wenn vorhanden, war der hohe Wert meist nur in einem Auge vorhanden (das andere war negativ oder nur sehr leicht positiv). Im Gegensatz dazu zeigten kranke Tiere meist eine grosse Mykoplasmenmenge in beiden Augen. Daher gibt es eine offensichtliche Beziehung zwischen der Mykoplasmenmenge in den Augen und der Anwesenheit oder Abwesenheit von klinischen Zeichen bei infizierten Steinböcken und Gämsen, wie Terrier (1998) es schon vorgeschlagen hatte. Die statistische Bedeutung (Signifikanz) der Unterschiede im Vorkommen grosser Mykoplasmenmengen war stärker zwischen asymptomatischen Steinböcken und IKK-Gämsen als zwischen asymptomatischen Steinböcken und IKKSteinböcken. Augenveränderungen waren generell milder bei kranken Steinböcken als bei kranken Gämsen. Dies wiederspiegelt möglicherweise wiederum die Beziehung zwischen der Mykoplasmenmenge und dem Schweregrad der Augenveränderungen. Allerdings umfasste die Studie nur wenige IKK-Steinböcke und die Resultate könnten auch durch die geringe Probenzahl beeinflusst sein. Insgesamt weisen die Resultate darauf hin, dass die Entwicklung von IKK-Symptomen bei wilden Caprinae eher mit der Mykoplasmenmenge in den Augen als mit bestimmten M. conjunctivaeStämmen (die besonders krankmachend wären) in Zusammenhang steht. Zudem ist schon in früheren Studien vorgeschlagen worden, dass nicht alle Caprinae-Arten für alle M. conjunctivae-Stämme gleich empfindlich sind (Terrier, 1998; Zimmermann et al., 2008). 5.4. Geographische Unterschiede Unterschiede in der Häufigkeit der gesunden Träger waren zwischen den berücksichtigten Steinbock-Kolonien statistisch unbedeutend. Interessanterweise gab es aber einen signifikanten Unterschied zwischen Tieren der Subkolonien A1 und A2. Da die Probenzahl in den meisten Kolonien sehr klein war, war es nicht möglich zu bestimmen, ob die Abwesenheit oder Anwesenheit von Häufigkeits-Unterschieden der Wahrheit entsprechen oder die Zahlen durch die Probenzahl „verfälscht“ wurden („Bias“). 5.5. Saisonale Unterschiede und Beziehung zu den Schafen Ebenso war es nicht möglich zu eruieren, ob die hohe Häufigkeit von gesunden Trägern im Frühling ein zuverlässiger Hinweis auf saisonale Unterschiede war, oder ob es sich wieder um eine durch die Zusammensetzung der Proben bedingte „Verfälschung“ der Resultate handelte. Es ist nicht auszuschliessen, dass falsch-negative Resultate aus den Proben der bejagten Tiere gewonnen wurden. Diese Augentupfer wurden oft mehrere Stunden nach dem Tod entnommen, 11 Steinbockprojekt FIWI, Schlussbericht I (Pilotprojekt Gämsblindheit), April 2010 und könnten eventuell weniger geeignet für den Nachweis kleiner Mykoplasmenmengen sein. Allerdings weist die Tatsache, dass alle im Sommer/Herbst lebend beprobten Steinböcke negativ waren, eher auf das Vorkommen saisonaler Unterschiede hin. Es ist dass Verluste durch IKK bei Gämsen anscheinend häufiger im Sommer/ Herbst als während anderen Jahreszeiten sind (Giacometti et al., 2002b; Tschopp et al., 2005). Dies wurde als eine Folge der Wechselwirkungen mit infizierten Schafen auf den Sommerweiden interpretiert. In den Alpen kommen interspezifische Interaktionen zwischen Wild- und Hauswiederkäuern während der ganzen Alpsaison vor (Ryser-Degiorgis et al., 2002; Richomme et al., 2006; Rüttiman et al., 2008). In einer experimentellen Infektion fand die Übertragung von M. conjunctivae durch enge Kontakte innerhalb einer Gruppe von Steinböcken erst drei Wochen nach der Aussetzung zu infizierten Tieren statt (Giacometti et al., 1998); ähnlich brach eine natürliche Epidemie der IKK bei Dickhornschafen 3-4 Wochen nach Beginn der Interaktionen mit infizierten Hausziegen aus (Jansen et al., 2006). In der jetzigen Studie waren aber die meisten untersuchten Steinböcke zum Zeitpunkt der Ankunft der Schafe auf den Alpweiden schon infiziert. Dieses Resultat unterstützt also die Hypothese nicht, nach welcher die Infektionen von Steinböcken v.a. eine Folge der Interaktionen mit Schafen sind, und wirft die Frage nach der Herkunft der Infektion und der höheren Infektionshäufigkeit im Frühling auf. 5.6. Jährliche Unterschiede Bei Tieren der Subkolonie F1 wurde ein signifikanter Unterschied zwischen den beiden Untersuchungsjahren festgestellt. Es ist möglich, dass im ersten Jahr eine stille Epidemie stattfand und dass M. conjunctivae in wenigen Individuen bis zum folgenden Jahr persistierte. Als Alternativerklärung könnte M. conjunctivae Ende 2006 von der Subkolonie verschwunden sein und in 2007 durch eine externe Quellen wieder eingeschleppt worden sein. Insgesamt ist die Dynamik von M. conjunctivae-Infektionen in der Steinbock- population weitgehend unklar und weitere Untersuchungen sind notwendig. 5.7. Immunantwort Serologische Untersuchungen bei Alpengämsen haben gezeigt, dass nur 8% der Tiere von Subpopulationen mit IKKAusbrüchen zirkulierende Antikörper gegen M. conjunctivae aufweisen (Giacometti et al., 2002b). Dieser niedrige Prozentsatz kann eine hohe Mortalität bei den infizierten Gämsen und/oder eine kurze Persistenz der Antikörper bei den überlebenden Tieren wiederspiegeln. Es bedeutet auch, dass M. conjunctivae nach einem klinischen Ausbruch aus der betroffenen Subpopulation verschwindet. Antikörper können bei Tieren gefunden werden, die im PCR-Test negativ ausfallen (keine Mykoplasmen mehr aber Antikörper immer noch vorhanden; Grattarola et al., 1999). Daher darf man grundsätzlich erwarten, dass der Prozentsatz der Tiere mit Antikörpern im Blut grösser ist als derjenige der Tiere mit Mykoplasmen in den Augen. Wenn diese Annahme stimmt, ist n den schweizer Alpen die Häufigkeit von Antikörpern gegen M. conjunctivae offensichtlich viel niedriger bei Gämsen (8%) als bei Steinböcken (>20%). Frühinfektionen könnten allerdings serologisch unentdeckt bleiben, da nach einer Infektion mit M. conjunctivae 2 bis 4 Wochen für die Bildung von spezifischen Antikörper nötig sind (Degiorgis et al., 2000a). Insbesondere ist die Taqman PCR-Methode sehr empfindlich und kann schon kleine Mengen an Mykoplasmen nachweisen. Zudem wurde vorgeschlagen, dass die Stärke der Immunantwort (Menge der Antikörper im Blut) mit dem Schweregrad der Krankheit korreliert ist (Degiorgis et al., 2000a). Deswegen ist es denkbar, dass symptomlose Tiere keine Antikörper im Blut haben und in Studien unentdeckt bleiben, die sich nur auf den Nachweis der Antikörper im Blut stützen. Somit können unsere Resultate nur begrenzt mit den Resultaten von Giacometti et al. (2002b) verglichen werden. 5.8. Interaktionen zwischen Gämsen und Steinböcken und Auftreten der Krankheit Interessanterweise berichteten fast 30% der Wildhüter, die an der Studie teilgenommen haben, dass sie die IKK in ihrem 12 Steinbockprojekt FIWI, Schlussbericht I (Pilotprojekt Gämsblindheit), April 2010 Aufsichtskreis bei Gämsen aber nicht bei Steinböcken beobachtet haben. Schwere IKK-Ausbrüche scheinen weniger häufig bei Steinböcken als bei Gämse vorzukommen (Couturier, 1962; Giacometti et al., 1997). In einer kürzlich aufgetretenen IKK-Epidemie in den französischen Alpen, die sowohl Steinböcke als auch Gämsen befallen hatte, wurde beobachtet, dass die Mortalität bei Gämsen sehr hoch aber bei Steinböcken sehr tief war, obwohl die meisten Steinböcke auch von der Krankheit befallen waren (D. Gauthier, pers. comm.). Die in unserer Studie durchgeführte Stamm-Analyse zeigte, dass der Stamm von einem gesunden Steinbock nahezu identisch war mit dem Stamm schwer erkrankter Gämsen (Fig. 3, Box A). Insgesamt deuten diese Daten darauf hin, dass der Steinbock gegenüber der Gämse möglicherweise eine niedrigere Anfälligkeit gegenüber einer Entwicklung dieser Krankheit zeigt. Tschopp et al. (2005) beobachteten mehrmals mit IKK befallene Steinböcke unmittelbar vor dem Ausbruch der Krankheit bei Gämsen im selben Gebiet und haben vorgeschlagen, dass ziehende Steinböcke die Ursache von neuen Ausbrüchen in Gämsenherden sein könnten. Ausserdem wurde die IKK bei Gämsen im Schweizer Nationalpark (Subkolonie A1) beobachtet, obwohl keine Schafe in diesem Gebiet vorhanden sind. Es wurden aber Wanderungen männlicher Steinböcke zwischen den Subkolonien A1 und A2 dokumentiert (Abderhalden, 2005). Interaktionen zwischen Steinböcken und Schafen/Gämsen in den schweizer Alpen sind nicht ungewöhnlich (Ryser-Degiorgis et al., 2002). Die im Rahmen der jetzigen Studie durchgeführte Umfrage bestätigt, dass Begegnungen zwischen Steinböcken und anderen Caprinae-Arten auf den Alpweiden häufig vorkommen. Die Tatsache, dass M. conjunctivae bei asymptomatischen Steinböcken nachgewiesen wurde, und die mögliche niedrigere Anfälligkeit des Steinbocks für die IKK, unterstützten die Hypothese, dass Steinböcke eine wichtige Rolle in der Epidemiologie der IKK spielen könnten. 5.9. Schlussfolgerungen Die Resultate dieser Studie zeigen, dass es sich lohnen könnte, der möglichen Rolle des Steinbocks in der Epidemiologie der IKK mehr Aufmerksamkeit zu schenken. Während Schafe möglicherweise eine zentrale Rolle in der Übertragung von M. conjunctivae auf Gämsen in Gebieten ohne Steinböcke spielen, könnten Steinböcke eine wichtige Infektionsquelle in den Gebieten darstellen, in denen sie vorkommen. Weitere Untersuchungen bei Steinböcken und Gämsen sind notwendig, um diese Hypothese zu überprüfen. Zudem wirft der Nachweis von M. conjunctivae bei je einem asymptomatischen Reh und einer asymptomatischen Gämse weitere Fragen bezüglich der Epidemiologie der IKK auf. Die Resultate dieser Studie wecken auch erneut das Interesse für die mögliche Rolle prädisponierender Faktoren in der Entwicklung der Krankheit. In Konklusion weisen die Resultate darauf hin, dass der Alpensteinbock mit M. conjunctivae infiziert werden kann, auch wenn keine Augenveränderungen vorhanden sind. Die klinische Beurteilung der Tiere ist deshalb nicht genügend, um eine Infektion auszuschliessen. Dies ist besonders wichtig für das Management von Tieren im Rahmen von Umsiedlungsprojekten. 6. Aussichten Die Resultate dieser Pilotstudie haben zu einem grösseren Projekt zum Thema Gämsblindheit geführt (laufende Dissertation von Fabien Mavrot, 2008-2010). 7. Berichte und Artikel Ryser-Degiorgis, M.-P., Bischof, D.F., Marreros, N., Willisch, C., Signer, C., Filli, F., Brosi, G., Frey, J., Vilei, E.M., 2009. Detection of Mycoplasma conjunctivae in the eyes of healthy, freeranging Alpine ibex: Possible involvement as carriers for the main causing agent of infectious keratoconjunctivitis in wild Caprinae. Veterinary Microbiology 134: 368-374. 13 Steinbockprojekt FIWI, Schlussbericht I (Pilotprojekt Gämsblindheit), April 2010 8. Vorträge Ryser-Degiorgis, M.-P.: Mise en évidence de Mycoplasma conjunctivae chez des bouquetins cliniquement sains: nouveautés sur la kératoconjonctivite infectieuse. 26èmes Rencontres du GEEFSM, Faucon de Barcelonette/France, 15.18. Mai 2008. Ryser-Degiorgis, M.-P.: TaqMan realtime PCR zum Nachweis von Mycoplasma conjunctivae. SVTP Seminar, Zürich, 06. Juni 2008. 9. Dank Wir danken ganz herzlich allen beteiligten Jagdverwaltern, Wildhütern, Jägern und Jägerinnen für ihre wertvollen Beiträge! Wir danken auch K. Bieri, M. Caviezel-Ring, P. Deleury, D. Godli, B. Hofer, I. Leathwood, H. Nimmervoll und J.-C. Roch für ihre grossartige Hilfe bei den Fängen, Y. Schlatter für die wunderbare technische Unterstützung, und A. Ryser für die Hilfe, die Figuren zu zeichnen. Diese Studie wurde finanziell vom Bundesamt für Umwelt und von der Naturforschenden Gesellschaft Graubünden unterstützt. Dieser Bericht geht an: Jagdverwaltungen der Kantone BE, GR, SG, VS, VD Beteiligte Wildhüter, Jägerinnen und Jäger BAFU, Sektion Wild und Jagd E. Vilei, Institut für Bakteriologie der Universität Bern Ch. Willisch, C. Signer F. Filli, Schweizer Nationalpark