Psychische Krankheit und Gefährlichkeit

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Psychische Krankheit
und
Gefährlichkeit
Hans Schanda
SS - 030184
(23. + 30. 3. 2011)
Die Prüfung findet am Ende des 2. Vorlesungsblocks statt (10 Multiple choice-Fragen).
Die Noten sind ausnahmslos erst ab der
18. Kalenderwoche (ab 2.5.2011) verfügbar,
Wiederholungstermin 11.5.2011.
1) Wie ist psychische Krankheit definiert?
Wie wird Gefährlichkeit definiert?
Wie wird Gefährlichkeit „gemessen“?
Wie entsteht Aggression?
2) Charakteristika der Risikoklientel
3) Aktuelle Daten zum Kriminalitäts- bzw. Gewalttätigkeitsrisiko psychisch Kranker
4) Externe Faktoren (Veränderungen der allgemeinpsychiatrischen Versorgung? Zunahme dissozialen
Verhaltens psychisch Kranker?)
ICD-10 Kapitel V
Psychische und Verhaltensstörungen (F00-F99)
F00-F09 Organische, einschließlich symptomatischer psychischer Störungen
F10-F19 Psychische und Verhaltensstörungen durch psychotrope Substanzen
F20-F29 Schizophrenie, schizotype und wahnhafte Störungen
F30-F39 Affektive Störungen
F40-F48 Neurotische, Belastungs- und somatoforme Störungen
F50-F59 Verhaltensauffälligkeiten mit körperlichen Störungen und Faktoren
F60-F69 Persönlichkeits- und Verhaltensstörungen
F70-F79 Intelligenzstörung
F80-F89 Entwicklungsstörungen
F90-F98 Verhaltens- und emotionale Störungen mit Beginn in der Kindheit
und Jugend
F99-F99 Nicht näher bezeichnete psychische Störungen
Organische einschließlich symptomatischer
psychischer Störungen (F00-F09)
Psychische Krankheiten mit nachweisbarer Ätiologie in einer zerebralen Krankheit,
einer Hirnverletzung oder einer anderen Schädigung, die zu einer Hirnfunktionsstörung führt.
Primär (Krankheiten, Verletzungen oder Störungen, die das Gehirn direkt oder in
besonderem Maße betreffen)
Sekundär (systemische Krankheiten oder Störungen, die das Gehirn als eines von
vielen anderen Organen oder Körpersystemen betreffen)
Demenz (F00-F03):
 Störung höherer kortikaler Funktionen (Gedächtnis, Denken, Orientierung,
Auffassung, Rechnen, Lernfähigkeit, Sprache und Urteilsvermögen)
 Veränderungen ► der emotionalen Kontrolle
► des Sozialverhaltens
► der Motivation
 Das Bewusstsein ist nicht getrübt.
Psychische und Verhaltensstörungen durch
psychotrope Substanzen (F10-F19)
Störungen unterschiedlichen Schweregrades mit verschiedenen klinischen
Erscheinungsbildern; die Gemeinsamkeit besteht im Gebrauch einer oder
mehrerer psychotroper Substanzen (mit oder ohne ärztliche Verordnung).
 Akute Intoxikation (akuter Rausch)
 Schädlicher Gebrauch
 Abhängigkeitssyndrom
 Entzugssyndrom
 Psychotische Störung
► Alkoholhalluzinose
► Alkoholische Paranoia
► Alkoholischer Eifersuchtswahn
Schizophrenie (F 20)
 Störungen von Denken und Wahrnehmung, inadäquate oder verflachte Affekte
 Bewusstseinsklarheit und intellektuelle Fähigkeiten sind in der Regel nicht beeinträchtigt, jedoch im Laufe der Zeit Entwicklung gewisser kognitiver Defizite.
Die wichtigsten psychopathologischen Phänomene:
 Gedankenlautwerden
 Gedankeneingebung oder Gedankenentzug
 Gedankenausbreitung
 Wahnwahrnehmung
 Kontrollwahn
 Beeinflussungswahn oder das Gefühl des Gemachten
 Stimmen, die in der dritten Person den Patienten kommentieren oder
über ihn sprechen,
 Denkstörungen und Negativsymptome
Verlauf:
 Kontinuierlich
 Episodisch mit zunehmenden oder stabilen Defiziten
 Eine oder mehrere Episoden mit vollständiger oder unvollständiger Remission
Anhaltende wahnhafte Störungen (F22)
Störungen, bei denen ein langandauernder Wahn das einzige oder das am
meisten ins Auge fallende klinische Charakteristikum darstellt, und die nicht als
organisch, schizophren oder affektiv klassifiziert werden können.
Eine Störung charakterisiert durch die Entwicklung eines einzelnen Wahns oder
mehrerer aufeinander bezogener Wahninhalte, die im allgemeinen lange, manchmal lebenslang, andauern. Der Inhalt des Wahns oder des Wahnsystems ist sehr
unterschiedlich. Eindeutige und anhaltende akustische Halluzinationen (Stimmen),
schizophrene Symptome wie Kontrollwahn oder Affektverflachung und eine eindeutige Gehirnerkrankung sind nicht mit der Diagnose vereinbar. Gelegentliche
oder vorübergehende akustische Halluzinationen schließen besonders bei älteren
Patienten die Diagnose jedoch nicht aus, solange diese Symptome nicht typisch
schizophren erscheinen und nur einen kleinen Teil des klinischen Bildes ausmachen.
Wahnhafte Störungen, die nur wenige Monate angedauert haben, sollten wenigstens
vorläufig unter F23.- kodiert werden.
Affektive Störungen (F30-F39)
 Veränderung der Stimmung oder der Affektivität entweder
► zur Depression (mit oder ohne Angst )
► zur gehobenen Stimmung (Hypomanie, Manie)
 Dieser Stimmungswechsel wird meist von einer Veränderung des allgemeinen
Aktivitätsniveaus begleitet. Die meisten anderen Symptome beruhen hierauf
oder sind im Zusammenhang mit dem Stimmungs- und Aktivitätswechsel leicht
zu verstehen.
 Rückfallsneigung
 Beginn der einzelnen Episoden oft in Zusammenhang mit belastenden
Ereignissen oder Situationen
► Unipolar
► Bipolar
Manische Episode
 Situationsinadäquat gehobene Stimmung (sorglose Heiterkeit bis fast
unkontrollierbare Erregung)
 Vermehrter Antrieb
► Überaktivität
► Rededrang
► Vermindertes Schlafbedürfnis
 Aufmerksamkeitsstörung
 Ablenkbarkeit
 Überhöhte Selbsteinschätzung (übertriebener Optimismus, Größenideen)
 Gesteigerte Libido
 Verlust sozialer Hemmungen, das Verhalten erscheint
► Leichtsinnig
► Rücksichtslos
► Unpassend
► Persönlichkeitsfremd
Depressive Episode
 Gedrückte Stimmung (morgendliches Pessimum)
 Verminderung von Antrieb und Aktivität
 Psychomotorische Hemmung oder Agitiertheit
 Ausgeprägte Müdigkeit
 Freudlosigkeit
 Interessenverlust
 Konzentrationsstörung
 Beeinträchtigung von Selbstwertgefühl und Selbstvertrauen
 Schuldgefühle oder Gedanken über die eigene Wertlosigkeit
 Schlafstörung (Etappenschlaf, vorzeitiges Erwachen)
 Appetitstörung
 Gewichtsverlust
 Libidoverlust
Spezifische Persönlichkeitsstörungen (F60-)
Schwere Störungen der Persönlichkeit und des Verhaltens, die nicht direkt auf eine Hirnschädigung oder -krankheit oder auf eine andere psychiatrische Störung zurückzuführen sind.
Sie erfassen verschiedene Persönlichkeitsbereiche und gehen beinahe immer mit persönlichen und sozialen Beeinträchtigungen einher. Persönlichkeitsstörungen treten meist in der
Kindheit oder in der Adoleszenz in Erscheinung und bestehen während des Erwachsenenalters weiter.
 Paranoide Persönlichkeitsstörung
 Schizoide Persönlichkeitsstörung
 Dissoziale Persönlichkeitsstörung
 Emotional instabile Persönlichkeitsstörung
 Histrionische Persönlichkeitsstörung
 Anankastische (zwanghafte) Persönlichkeitsstörung
 Ängstliche (vermeidende) Persönlichkeitsstörung
 Abhängige (asthenische) Persönlichkeitsstörung
 Andauernde Persönlichkeitsänderung nach Extrembelastung
 Andauernde Persönlichkeitsänderung nach psychischer Krankheit
 Abnorme Gewohnheiten und Störungen der Impulskontrolle
 Störungen der Geschlechtsidentität
 Störungen der Sexualpräferenz
PRÄVALENZ VON PERSÖNLICHKEITSSTÖRUNGEN IN DER ALLGEMEINBEVÖLKERUNG UND IN KOLLEKTIVEN VON BEGUTACHTETEN STRAFTÄTERN UND GEFÄNGNISINSASSEN
 Paranoide Persönlichkeitsstörung 0,4 - 1,8% (3 - 9%)
 Schizoide Persönlichkeitsstörung 0,4 - 0,9% (1,7 - 6,6%)
 Antisoziale Persönlichkeitsstörung 0,2 - 3,0% (17 - 29,3%)
 Borderline-Persönlichkeitsstörung 1,1 - 4,6% (6,1 - 17,9%)
 Histrionische Persönlichkeitsstörung 1,3 - 3,0%
 Narzisstische Persönlichkeitsstörung 0 - 0,4% (4,4 - 8,8%)
 Selbstunsichere Persönlichkeit und ängstlich-vermeidende
Persönlichkeitsstörung 0 - 1,3%
 Dependente (abhängige) Persönlichkeitsstörung 1,5 - 6,7%
 Anankastische Persönlichkeitsstörung 1,7 - 6,4%
 Passiv-aggressive Persönlichkeitsstörung 0,0 - 3,0%
EINTEILUNG DER PERSÖNLICHKEITSSTÖRUNGEN
ICD-10
DSM-IV
CLUSTER A (sonderbar, exzentrisch)
PARANOID
PARANOID
Misstrauen und Argwohn, andere seien böswillig
SCHIZOID
SCHIZOID
Soziale Distanz, eingeschränkter Ausdruck von Emotionen
(F 21 SCHIZOTYPE STÖRUNG)
SCHIZOTYPISCH
Soziale Ängste, Verzerrung von Denken und Wahrnehmung, exzentrisch
CLUSTER B (dramatisch, emotional, extrovertiert)
DISSOZIAL
ANTISOZIAL
Missachtung und Verletzung der Rechte anderer, Impulsivität, Aggressivität
EMOTIONAL INSTABIL (impulsiver und Borderline-Typ)
BORDERLINE
Instabilität in Beziehungen, im Selbstbild, in Affekten, Impulsivität, wiederholte Selbstverletzungen und Suizidversuche
HISTRIONISCH
HISTRIONISCH
Übermäßige Emotionalität, übermäßiges Verlangen nach Aufmerksamkeit
NARZISSTISCH
Gefühl der Großartigkeit, Bedürfnis, bewundert zu werden, Mangel an Empathie, benützt andere
CLUSTER C (ängstlich, furchtsam)
ÄNGSTLICH
SELBSTUNSICHER
Soziale Hemmung, Gefühl der Unzulänglichkeit, Angst vor negativer Beurteilung und Zurückweisung
ABHÄNGIG
DEPENDENT
Unterwürfig, anklammernd, Bedürfnis, versorgt zu werden
ANANKASTISCH
ZWANGHAFT
Beschäftigt mit Ordnung, Perfektionismus und Kontrolle
SCHIZOPHRENIE 1
 Erstmanifestation meist zwischen dem 17. und 30. Lebensjahr
 Prävalenz bei Männern und Frauen gleich, allerdings erkranken Männer
durchschnittlich 2 Jahre früher
 Genetisch teildeterminierte Erkrankung
► Höhere Konkordanzraten bei eineiigen im Vergleich zu zweieiigen
Zwillingen
► polygener Erbgang
► Verursachung wahrscheinlich durch mehrere/viele Dispositions-/
Suszeptibilitätsgene
► Ca. 30% des Risikos durch Umweltfaktoren erklärt
(Schwangerschafts-, Geburtskomplikationen, hohes väterliches
Alter, Drogenmissbrauch)
Maier W, Lichtermann D, Rietschel M, Held T, Falkai P, Wagner M, Schwab S. Genetik schizophrener Störungen. Nervenarzt 1999;70: 955-969
Falkai P, Maier W. Fortschritte in der neurobiologischen Erforschung der Schizophrenie. Perspektiven für neue Therapieansätze. Nervenarzt 2006
(Suppl 2) 77:S65-S76
SCHIZOPHRENIE 2
 Höhere familiäre Belastung bei Patienten mit ausgeprägter Negativsymptomatik
(sozialer Rückzug, bizarres Verhalten, formale Denkstörungen)
 In Familien Schizophrener gehäuft auftretende subklinische neuroanatomische
und neuropsychologische Normabweichungen
 Variable Expression des Phänotyps wahrscheinlich aufgrund unterschiedlicher
Kombinationen von prädisponierenden Genmutationen und Interaktionen mit
Umweltfaktoren (vgl. Diabetes mellitus Typ I und II, koronare Herzerkrankung,
Hypertonie)
 Störung des dopaminergen, des serotonergen- und des glutamatergen Systems
im Gehirn
Maier W, Lichtermann D, Rietschel M, Held T, Falkai P, Wagner M, Schwab S. Genetik schizophrener Störungen. Nervenarzt 1999;70: 955-969
Falkai P, Maier W. Fortschritte in der neurobiologischen Erforschung der Schizophrenie. Perspektiven für neue Therapieansätze. Nervenarzt 2006
(Suppl 2) 77:S65-S76
SCHIZOPHRENIE UND ERBLICHKEIT
 Lebenszeitrisiko 0,8-1%, Suizidrisiko 10%
 80% der Patienten haben keine manifest erkrankten Eltern
 60% keine manifest erkrankten weiteren Verwandten
Allgemeinbevölkerung
0,8-1%
Cousins, Onkel, Tanten
2%
Neffen, Nichten
3%
Enkel
4%
Eltern
6%
Geschwister
10%
Kinder
13%
Zweieiige Zwillinge
17%
Kinder von zwei manifest erkrankten Eltern
46%
Eineiige Zwillinge
48%
LEBENSZEITRISIKO FÜR AFFEKTIVE ERKRANKUNGEN IN DER ALLGEMEINBEVÖLKERUNG UND BEI VERWANDTEN VON BIPOLAR AFFEKTIV ERKRANKTEN
Allgemeinbevölkerung
Risiko für bipolar
affektive Störung
(Zusätzliches) Risiko für
unipolar depressive
Störung
0,5 -1,5% (m:f = 1:1)
5-10% (m:f = 1:2)
40-70%
15-25%
5-10%
10-20%
Eineiiger Zwillingspartner
Verwandte 1. Grades
KONKORDANZRATEN EINEIIGER UND ZWEIEIIGER ZWILLINGE
FÜR UNIPOLARE UND BIPOLARE ERKRANKUNGEN
Index-Zwilling
Ko-Zwilling
UP
BP
Eineiige Zwillinge
UP
BP
35-42%
18-20%
0-9%
50-61%
Zweieiige Zwillinge
UP
BP
18-20%
5-11%
2-6%
5-8%
Zusammengefasst bei Rietschel M, Nöthen MM. Genetik bipolar affektiver Störungen. psychoneuro 2003;29:171-174
Varianz
VARIANZ VON GENETISCHEN UND UMWELTFAKTOREN
FÜR SCHIZOPHRENIE UND BIPOLARE STÖRUNG
Lichtenstein P, Yip BH, Björk C, Pawitan Y, Cannon TD, Sullivan PF, Hultman ChM. Common genetic determinants
of schizophrenia and bipolar disorder in Swedish families: a population-based study. Lancet 2009;373:234-239
Allgemeine das Kriminalitäts- bzw.
Gewalttätigkeitsrisiko beeinflussende Faktoren
 Gesellschaftliche Situation
 Soziale Situation
 Substanzmissbrauchsraten*
 Kriminalitätsraten*
 Basisraten*
Die individuelle Aggressionsbereitschaft ist
abhängig von
 Geschlecht
 Geschlecht
 Alter
 Alter
 Aggressiver Prädisposition
 Aggressiver Prädisposition
 Externen Faktoren (Alkohol,
Drogen, Erziehung,
Sozialisation)
 Externen Faktoren (Alkohol,
Drogen, Erziehung,
Sozialisation)
Bei psychisch Gesunden
Bei psychisch Kranken
 zusätzlich von Art und Ausprägung
der Erkrankung
 Wechselwirkungen zwischen
Erkrankung und anderen Faktoren
Biologische Befunde zur
Entstehung von aggressivem/
antisozialem Verhalten
SCHÄTZUNG DES EINFLUSSES GENETISCHER UND UMWELTFAKTOREN AUF
ANTISOZIALES VERHALTEN IN UNTERSCHIEDLICHEN ENTWICKLUNGSTADIEN
POPULATIONSBASIERTE STUDIE, 6.806 GLEICH- UND GEGENGESCHLECHTLICHE ZWILLINGE
Männer
<15
15-17
Frauen
18+
<15
15-17
18+
 Keine geschlechtsspezifischen genetischen bzw. gemeinsamen Umweltfaktoren
 Genetische Faktoren in der Kindheit unterschiedlich von denen in Jugend und Erwachsenenalter
 Gemeinsame Umweltfaktoren in Kindheit, Jugend und Erwachsenenalter ähnlich
Jacobson KC, Prescott CA, Kendler KS. Sex differences in the genetic and environmental influences on the development of antisocial behavior. Development and
Psychopathology 2002;14:395-416
ENTSTEHUNG UND STEUERUNG VON AGGRESSION
HEMMUNG/REGULIERUNG
Sensorische
Beeinträchtigung
(Alkohol, Drogen)
Kulturelle,
soziale Faktoren
Stimulus,
Anregung, Reiz
Sensorische
Verarbeitung
Sensorische
Defizite
(optisch, akustisch)
Stress,
Trauma
(orbitofrontaler Cortex,
Gyrus cinguli anterior)
Frühe InformationsVerarbeitung,
Kognitive Beurteilung
AUSLÖSUNG/TRIGGER
(Amygdala, Insel)
Kognitive
Beeinträchtigung
(paranoide Reaktionsbereitschaft)
Nach Siever LJ. Neurobiology of aggression and violence. Am J Psychiatry 2008;165:429-442
Befunde und Hypothesen zur
Entstehung von
antisozialem/aggressivem
Verhalten bei Menschen
mit Psychosen
Major Mental Disorders (MMD) and antisocial behaviour - 1
 Hereditary factors
 Foetal neurodevelopmental factors
► Infections
► Toxic agents
 Perinatal factors (environmental via mother)
►Nutrition
► Illness
► Hormonal functioning
► Maternal risk behaviour (smoking)
► Stress
 Early childhood factors
MMD und Dissozialität: Perinatale Faktoren - 1
 Rauchen während der Schwangerschaft ist mit einer Störung des Sozialverhaltens (conduct disorder) in Kindheit und Jugend und, bei den männlichen
Nachkommen, mit persistierender Gewaltdelinquenz im Erwachsenenalter
assoziiert (auch nach Kontrolle für sozioökonomische Benachteiligung,
mangelhafte Erziehung bzw. elterliche und familiäre Probleme.1-4)
 Psychisch kranke Frauen zeigen in der Schwangerschaft häufiger für den Fötus
schädliche Verhaltensweisen; die negativen Auswirkungen sind wahrscheinlich
bei den Föten ausgeprägter, die ein genetisches Risiko für MMD haben.1)
1)Hodgins
S. The etiology and development of offending among persons with major mental disorders. In Hodgins S (ed).
Violence among the Mentally Ill. Effective Treatment and Management Strategies. Kluwer (Dordrecht 2000) pp 89-116
2)Hodgins S. Criminal and antisocial behaviours and schizophrenia: a neglected topic. In Gattaz WF & Häfner H (eds).
Search for the causes of schizophrenia. Steinkopff (Darmstadt 2004) pp 315-341
3)Fergusson et al. Maternal smoking during pregnancy and psychiatric adjustment in late adolescence. Arch Gen Psychiatry
1998;55:721-727 [NZ]
4)Brennan P et al. Maternal smoking during pregnancy and adult male criminal outcomes. Arch Gen Psychiatry 1999; 56:
215-242 [DK]
EXPOSURE TO INFLUENZA EPIDEMIC
Infektion im Übergang vom 6. zum 7. LM
 erhöhtes Risiko für Gewaltkriminalität
% of sons convicted
for violent offences
40 35 Exposition im 2. Trimester (v.a. 6. LM)
 erhöhtes Risiko für Schizophrenie
30 25 20 -
ˡ
1
ˡ
2
ˡ
3
Trimester
Mednick SA , Machon RA, Huttunen MO, Bonnet D. Adult schizophrenia following prenatal exposure to an influenza
epidemic. Arch Gen Psychiatry 1988; 45:189-192
Tehrani JA , Brennan PA, Hodgins S, Mednick SA. Mental illness and criminal violence. Soc Psychiatry Psychiatr
Epidemiol 1998;33:81-85
(Antisoziale) Persönlichkeitsstörung
Armut, soziale
Depravierung
Substanzmissbrauch
Life events,
Stress
Viktimisierung,
Gewalterfahrung
Neurobiologisches Substrat
Gewalt
Psychose
Spannungsgeladene Situationen
Misstrauen,
Argwohn
Bizarre
Symptome
Nach Hiday V. Understanding the connection between mental
illness and violence. Int J Law Psychiatry 1997;20:399-417
Bedingungskonstellationen dissozialen/
gewalttätigen Verhaltens psychisch Kranker
Persönlichkeit,
Sozialisation
Substanzmissbrauch
Substanzmissbrauch
Persönlichkeit,
Sozialisation
Krankheit
Persönlichkeit,
Sozialisation
Substanzmissbrauch
Krankheit
Pychosen (Major Mental Disorders) und dissoziales Verhalten
Early starters: Stabiles Muster dissozialen Verhaltens von Jugend an, m >> f
Late starters: Einsetzen dissozialen Verhaltens erst nach Krankheitsbeginn
 Keine wesentlichen Unterschiede im Ausprägungsgrad der Erkrankung
 Early starters:
▪ Mehr Verurteilungen/Vorstrafen (wegen jeder Art von Delinquenz)
▪ Bei der ersten Verurteilung im Durchschnitt 10 Jahre jünger
▪ Komorbider Substanzmissbrauch deutlich häufiger (76% vs 42%)
▪ Geringere Beeinträchtigung im psychosozialen Bereich
▪ Weniger neurologische “soft signs”
▪ Häufiger schulische Verhaltensprobleme in Kindheit und Jugend
(50% vs 13%)
▪ Bezüglich Art und Schweregrad dissozialen Verhaltens in Kindheit
und Jugend Ähnlichkeiten mit Personen, die eine Antisoziale
Persönlichkeitsstörung entwickeln
Hodgins S. The etiology and development of offending among persons with major mental disorders. In Hodgins S (ed).
Violence among the Mentally Ill. Effective Treatment and Management Strategies. Kluwer (Dordrecht 2000) pp 89-116
1) Wie ist psychische Krankheit definiert?
Wie wird Gefährlichkeit definiert?
Wie wird Gefährlichkeit „gemessen“?
Wie entsteht Aggression?
2) Charakteristika der Risikoklientel
3) Aktuelle Daten zum Kriminalitäts- bzw. Gewalttätigkeitsrisiko psychisch Kranker
4) Externe Faktoren (Veränderungen der allgemeinpsychiatrischen Versorgung? Zunahme dissozialen
Verhaltens psychisch Kranker?)
Charakteristika psychotischer Patienten mit Gewaltdelinquenz, gewalttätigem Verhalten: Psychotische
Symptome, Motive I
(Symptome = Motive?, Taylor 1985, Tidmarsh 1990)
Wahn
 Bei Tötungsdelikten in 25% Motiv (Gibbens 1958)
 „Systemisierter Wahn“ häufig, in 68% „paranoide Beziehung“ (Böker & Häfner
1973)
 In20% sicheres, in 26% wahrscheinliches Motiv (93% aktive psychotische
Symptome bei Attacke) (Taylor 1985)
 60% „acting on delusions“ (Wessely et al 1993)
Halluzinationen
 Bei 17,5% der männlichen und 23% der weiblichen schizophrenen Patienten
mit Gewaltdelinquenz imperative Stimmen (gelegentlich Trigger, selten Motiv)
(Böker & Häfner 1973)
 Selten Motiv (Taylor 1985)
 Halluzinationen vergrößern das Risiko für Aggressivität nicht signifikant
(Hellerstein 1987)
Psychose und Gewalttätigkeit: Krankheitsdauer
• Schwere Gewaltdelinquenz schizophrener Patienten nur
bei 9% in den ersten 6 Monaten nach Erkrankungsbeginn.
(Böker & Häfner 1973)
• “An interaction of several years may be required before
a delusional belief is likely to be translated into action.“
(Wessely & Taylor 1991, p 221)
• 46% der erstmals hospitalisierten Schizophrenen mit
aggressivem, bedrohlichem Verhalten sind bereits länger
als 1 Jahr krank. (Humphreys et al 1992)
• Krankheitsdauer bis zum Zeitpunkt des Tötungsdelikts im
MW 9 Jahre. (Schanda et al 1997)
Charakteristika psychiatrischer Patienten mit Gewaltdelinquenz, gewalttätigem Verhalten: Non-Compliance
 Massive Belastung Angehöriger durch Non-Compliance. (Gibbons et al 1984)
 Hochsignifikante Korrelation (p<0,001) zwischen Non-Compliance und
Vorgeschichte gewalttätiger Handlungen. (Smith 1989)
 Non-Compliance und Substanzmissbrauch sind die besten Prädiktoren für
polizeiliche Festnahmen Schizophrener. (McFarland et al 1989)
 Bei Patienten mit Tötungsdelikten im letzten Monat vor der Tat Compliance
in 8%, Krankheitseinsicht in 15%. (Schanda & Knecht 1998)
 Hochsignifikante Korrelation (p<0,001) zwischen Non-Compliance und
kriminellen Rückfällen entlassener Maßnahmepatienten. (Schanda et al 1998)
KONSEQUENZEN VON NONCOMPLIANCE
Psychotische Rückfälle
Häufigere Spitalsaufenthalte
Schlechtere Krankheitsprognose
Schlechtere soziale Prognose
Erhöhte Morbidität, Mortalität
Erhöhtes Suizidrisiko
Erhöhtes Aggressionsrisiko
 Belastung der Angehörigen
Höhere Kosten
Psychose und Gewalttätigkeit: Vorhospitalisierungen
•
Schwere Gewaltdelinquenz Schizophrener: Nur bei 41% keine stationäre
Vorbehandlung; „irreguläre Entlassungen“ vor der Tat häufiger. (Böker
&Häfner 1973)
•
61,3% der deutschen Maßregelpatienten (§63 DStGB) mindestens 1x hospitalisiert, davon 70% unfreiwillig (am häufigsten Patienten mit schizophrenen, affektiven und hirnorganischen Störungen). (Leygraf 1988)
•
Maßnahmepatienten (§21/1 ÖStGB) mit Tötungsdelikten: 66,7% mindestens
1x hospitalisiert MW 4,5), davon bei 70% zumindest 1 unfreiwillige Aufnahme (MW 3,3). (Schanda et al 1997)
•
„… the English special hospital patients, more than 90% of whom were well
known to general mental health services before admission and the vast
majority of whom will return eventually to them.“ (Taylor 1997, p 19)
•
Schizophrene Patienten im Maßregelvollzug von Nordrhein-Westfalen(2005):
Ø 7,5 stationäre Vorbehandlungen, ¼ der Patienten mit Körperverletzung war
zum Zeitpunkt des Delikts obdachlos. (Seifert 2007)
Schizophrenie und komorbider Substanzmissbrauch
Regier et al 1990 ECA, n = 20 291, DIS/DSM-III, Lebenszeitprävalenz
Jede Alkoholdiagnose
Jede Drogendiagnose
13,5%
6,1%
33,7%
27,5%
3,3
6,2
ECA-Stichprobe
Schizophrenie, schizophreniforme Psychosen
OR
Jacobi et al 2004 GHS-MHS, n = 4 181, M-CIDI, DSM-IV, Lebenszeitprävalenz
Missbrauch, Abhängigkeit
Alkohol
Schizophrenie (OR)
Volkow 2009
DSM-IV
1)Missbrauch
und Abhängigkeit; 2)Nur Abhängigkeit
m 2,63
Non-Alkohol
f 2,43
m 4,76
f 6,47
Schizophrenie1)
Allgemeinbevölkerung2)
43,1% - 65%
5,1%
Regier DA, Farmer ME, Rae DS, Locke BZ, Keith SJ, Judd LL, Goodwin FK. Comorbidity of mental disorders with alcohol and other drug abuse. JAMA
1990;64:2511-2518
Jacobi F, Wittchen H-U, Hölting C, Höfler M, Pfister H, Müller N, Lieb R. Prevalence, co-morbidity and correlates of mental disorders in the general
population: Results from the German General Health Interview and Examination Survey (GHS). Psychol Med 2004;34:1-15
Volkow ND. Substance use disorders in schizophrenia – clinical implications of comorbidity. Schizophr Bull 2009;35:469-472
RISIKOMERKMALE FÜR DISSOZIALES/GEWALTTÄTIGES
VERHALTEN PSYCHOTISCHER PATIENTEN
 Funktionelle oder organische Psychose
 Langer, meist chronischer Vorverlauf
 Hohe Komorbiditätsraten (Substanzmissbrauch, Organizität,
Persönlichkeitsstörungen)
 Impulsivität, mangelnde Impulskontrolle
 Mangelnde Krankheitseinsicht
 Fehlende Therapiemotivation
 Noncompliance
 Viele (unfreiwillige) stationäre Vorbehandlungen
 Häufige Behandlungsabbrüche
 In der Vorgeschichte Drohungen, Sachbeschädigungen, Tätlichkeiten
 Schlechte soziale Bedingungen
 Destabilisierende äußere Einflüsse
1) Wie ist psychische Krankheit definiert?
Wie wird Gefährlichkeit definiert?
Wie wird Gefährlichkeit „gemessen“?
Wie entsteht Aggression?
2) Charakteristika der Risikoklientel
3) Aktuelle Daten zum Kriminalitäts- bzw. Gewalttätigkeitsrisiko psychisch Kranker
4) Externe Faktoren (Veränderungen der allgemeinpsychiatrischen Versorgung? Zunahme dissozialen
Verhaltens psychisch Kranker?)
Schizophrenie, Kriminalität und Gewalttätigkeit: Aktuelle Befunde
Lindqvist & Allebeck 1990 N
RR
Jede
Verurteilung
Verurteilung wegen
Gewaltdelikt
m 1,2 (0,7-2,1)
m+w 3,9 (3,0-5,1)
Tötungsdelinquenz
w 2,2 (1,5-3,6)
Modestin & Ammann 1996 N
Eronen et al 1996b D
OR
m 0,9 (0,7-1,3)
m 5,2 (1,5-18,3)
OR
m 8,0 (6,1-10,4)
w 6,5 (2,6-16,0)
Hodgins et al 1996 K
Tiihonen et al 1997 K
Räsänen et al 1998 K
Wallace et al 1998 K
Mullen et al 2000 K
Brennan et al 2000 K
RR
m 3,7 ( 3,5-4,0)
m 4,5 (3,9-5,1)
w 4,5 (4,1-5,0)
w 8,7 (6,0-12,4)
OR
m+w 7,2 (3,1-16,6)
OR
OR
RR
m+w 7,0 (2,8-16,7)
m 3,2 (2,6-3,9)
m 4,4 (3,5-5,7)
m 10,1 (5,5-18,6)
w 4,2 (2,1-8,4)
w 4,3 (1,6-11,6)
w 10,6 (1,4-80,4)?
m 3,0 (1,9-4,9)
m 6,0 (2,2-16,6)
OR
m 1,9 (1,4-2,6)
w 7,1 (3,3-15,3)
Erb et al 2001 D
Haller et al 2001 D
Schanda et al 2004 D
OR
RR
OR
m+w 16,6 (11,2-24,5)
m +w 1,6 (1,3-1,9)
m +w 3,2 (2,4-4,2)
m+w 38,1 (17,9-81,0)?
m 5,9 (4,3-8,0)
w 18,8 (11,2-31,6)
SCHIZOPHRENIE, KRIMINALITÄT UND GEWALTTÄTIGKEIT:
KOMORBIDER SUBSTANZMISSBRAUCH
Jede Art von
Kriminalität
Eronen et
al 19961) D
OR
Gewaltkriminalität
Tötungsdelinquenz
-
m
7,3 (5,4-9,7)
+ 17,2 (12,4-23,7)
OR
-
w
5,1 (1,9-13,7)
+ 80,9 (25,7-255,0)
Räsänen et
al 19981) K
OR
Wallace et
al 19982) K
OR
m
Schanda et
al 20041) D
OR
m+w
-
m+w
?
3,6 (0,9-12,3)
+ 25,2 (6,1-97,5)
- 1,9 (1,4-2,5)
+ 12,4 (9,1-16,8)
- 2,4 (1,7-3,4)
+ 18,8 (13,5-26,5)
- 7,1 (3,3-15,5)
+ 28,8 (10,7-77,9)?
- 7,1 (5,1-9,8)
+ 20,7 (12,4-34,1)
1)Alkoholmissbrauch; 2)Substanzmissbrauch.
D= direkter Zusammenhang; K= Koinzidenz einer Registrierung
in einem Arrest-/Strafregister und einem Patientenregister bei einer Person
Eronen M et al. Schizophrenia and homicidal behavior. Schizophr Bull 1996;22:83-89
Räsänen P. Schizophrenia, alcohol abuse and violent behavior: A 26-year follow-up study of an unselected birth cohort. Schizophr Bull 1998;24:437-440
Wallace C et al. Serious criminal offending and mental disorder. Case linkage study. Br J Psychiatry 1998;172:477-484
Schanda et al. Homicide and major mental disorders: A twenty-five year study. Acta Psychiatr Scand 2004;110:98-107
MENTAL DISORDERS AND HOMICIDE
Eronen et al 1996
DSM-III-R
Partly age-adjusted OR (95% CI)
Schizophrenia, schizophreniform psychosis
M
8.0 (6.1-10.4)
F
6.5 (2.6-16.0)
Major depressive
episode
M
1.6 (1.1-2.4)
F
1.8 (0.7-4.4)
Mental retardation
M
1.2 (0.9-2.2)
F
2.4 (0.6-9.9)
M
10.7 (9.4-12.2)
F
37.7 (23.9-59.6)
M
11.7 (9.5-14.4)
F
53.8 (28.5-101.5)
M
10.0 (8.7-11.5)
F
10.5 (6.7-16.4)
Alcoholism
Antisocial PD
PD (all)
Eronen M et al. Mental disorders and homicidal behavior in Finland. Arch Gen Psychiatry 1996;53:497-501
RISK OF VIOLENT CRIME IN INDIVIDUALS WITH BIPOLAR DISORDER WITH AND
WITHOUT COMORBID SUBSTANCE ABUSE
COMPARISON WITH UNAFFECTED GENERAL POPULATION AND UNAFFECTED FULL SIBLINGS
Control
group
Adjusted odds ratio1)
(95%CI)
N (%) violent individuals
Bipolar disorder
Unaffected
general
population
controls
Unaffected
full sibling
controls
Bipolar
disorder
without
substance
abuse
Matched
unaffected
controls
Bipolar
disorder with
substance
abuse
Matched
unaffected
controls
Without
comorbid
substance
abuse
With
comorbid
substance
abuse
145
997
169
315
1.3
6.4
(4.9)
(3.4)
(21.3)
(4.0)
(1.0-1.5)
(5.1-8.1)
85
164
117
90
1.1
2.8
(4.2)
(5.1)
(22.4)
(10.9)
(0.7-1.6)
(1.8-4.3)
1)General
population controls were matched by age (birth year) and gender and the association was adjusted by confounders income (lowest vs. middle
and highest tertiles), marital status (single vs. not single), and immigrant status (individual or at least one parent born outside Sweden). The unaffected
full sibling controls were not matched, but the comparison was adjusted for age, gender, income, and marital status.
Fazel S, Lichtenstein P, Grann M, Goodwin GM, Långström N. Bipolar disorder and violent crime: new evidence from population-based
longitudinal studies and systematic review. Arch Gen Psychiatry 2010;67:931-938
The population impact of severe mental illness1) on violent crime2)
Odds ratio
(95% CI)
Population
attributable risk3)
Population
attributable risk
fraction4)
4.0 (3.9-4.1)
6.1 (5.8-6.5)
3.8 (3.7-3.9)
4.3
0.6
2.4
4.9%
10.4%
5.2%
SMI1)
M
W
M+W
All individuals discharged from Swedish mental hospitals 1988-2000 with a diagnosis of SMI (n=98,082), data linked with
national crime register
1)Schizophrenia (295.0-6, 295.8-9, F20-21), schizoaffective disorder (295.7, F25), affective psychoses (296), paranoid
states (297), other nonorganic psychoses (298, F28, F29), persistent and induced delusional disorders (F22, F24), acute
and transient psychotic disorders (F23), manic episode (F30), bipolar affective disorder with psychotic symptoms (F31.2,
F31.5), depressive disorders with psychotic symptoms (F32.3, F33.3)
2)Homicide, attempted homicide, aggravated assault, common assault, robbery, threatening behavior, harrassment, arson,
any sexual crime
3)Number of crimes per 1000 persons in the whole population that would not have occurred if SMI had been absent (r-ro)
4)Proportion of violent crimes in the whole population that could be attributed to patients with SMI (r-ro/r)
Fazel & Grann. Am J Psychiatry 2006;163:1397-1403
Aggression und Gewalttätigkeit sind allgemeinmenschliche, nicht auf psychische Störungen
oder gar (endogene) Psychosen beschränkte
Phänomene. Durch psychiatrische Krankheiten
i.e.S. (mit)bedingte Aggressivität erklärt nur
einen kleinen Teil der in unserer Gesellschaft
insgesamt zu beobachtenden Gewaltbereitschaft
und Kriminalität.
Exkurs:
Wie gefährlich sind
psychisch Kranke für sich selbst?
MMD UND KOMORBIDER SUBSTANZMISSBRAUCH
Jacobi et al 2004
Schizophrenie
Manie
Depression
(GHS-MHS, n = 4 181, M-CIDI,DSM-IV, Lebenszeitprävalenz)
Alkohol
Non-Alkohol
(Missbrauch, Abhängigkeit, OR)
(Missbrauch, Abhängigkeit, OR)
m
m
m
2,63
f
2,43
m
4,76
f
6,47
10,21
f
17,18
m
0,79
f
3,71
1,78
f
2,52
m
2,55
f
2,49
Jacobi F, Wittchen H-U, Hölting C, Höfler M, Pfister H, Müller N, Lieb R. Prevalence, co-morbidity and correlates of mental disorders in the
general population: Results from the German General Health Interview and Examination Survey (GHS). Psychol Med 2004;34:115
Bei Schizophrenie häufiger auftretende
somatische Störungen/Erkrankungen
Tuberkulose
Geburtskomplikationen ++
HIV ++
Hyperprolaktinämie-assoziierte
Effekte von Antipsychotika (z.B.
Zyklusstörungen, Galaktorrhoe)
Hepatitis B,C
Osteoporose, verminderte
Knochendichte
Kardiovaskuläre Erkrankungen ++
Lungenfunktionsstörungen
Hyperpigmentierung (Nebenwirkung
von Chlorpromazin)
Sexuelle Funktionsstörungen
Polydipsie
Extrapyramidale Nebenwirkungen
von Antipsychotika
Fettleibigkeit ++
Motorische Auffälligkeiten bei
antipsychotika-naiven Patienten
Hyperlipidämie
Mammakarzinom
Schilddrüsenfunktionsstörungen
Schlechter Zahnstatus
Diabetes
Metabolisches Syndrom
++ = Sehr gute Evidenz für erhöhtes Risiko (z.B. populationsbasierte Studien)
Leucht S. The integral management of long-term psychiatric and medical needs in patients with severe mental illness. 15. AEP
Kongress, Madrid, Spanien, 17. –21. März 2007)
EXCESS MORTALITY IN SUBJECTS WITH SCHIZOPHRENIA
AND AFFECTIVE DISORDERS (STANDARDIZED MORTALITY RATES, 95% CI)
Brown 1997: Meta-analysis (18 studies), n= 66.161
Natural causes
SCHIZOPHRENIA
m 1.2 (1.2-1.3)
f 1.3 (1.2-1.3)
Unnatural causes
m 5.1 (4.7-5.5)
f 3.5 (3.1-3.8)
Ösby et al 2000: Stockholm County, Sweden, 1973-1995, n= 7.784
Natural causes
SCHIZOPHRENIA
m 2.0 (1.8-2.2)
f 1.9 (1.8-2.0)
Unnatural causes
m 8.9 (8.0-9.9)
f 10.3 (9.9-11.6)
Ösby et al 2001: Stockholm County, Sweden, 1973-1995, n= 54.568
Natural causes
Unnatural causes
BIPOLAR
DISORDER
m 1.9 (1.8-2.0)
f 2.1 (2.0-2.2)
m 8.6 (7.9-9.4) f 12.7 (11.6-13.9)
UNIPOLAR
DEPRESSION
m 1.5 (1.4-1.5)
f 1.6 (1.5-1.6)
m 9.8 (9.3-10.4) f 12.3 (11.7-13.0)
TOD DURCH SUIZID, HOMIZID UND UNFALL BEI PATIENTEN MIT
SCHIZOPHRENEN UND AFFEKTIVEN PSYCHOSEN (Dänemark, 1973-1993,
bevölkerungsbasierte Daten, n = 275.720, standardised mortality rates, SMR, 95%CI)
Todesursache
Suizid
Homizid
Unfall
SMR (95% CI)
SMR (95% CI)
SMR (95% CI)
Schizophrenie m
10,73 (9,73-11,83)
7,34 (3,50-15,39)
2,13 (1,68-2,69)
f
10,80 (9,36-12,46)
3,41 (0,85-13,63)
2,87 (2,44-3,69)
m
16,44 (15,62-17,31)
3,05 (1,27-7,32)
2,23 (1,95-2,54)
f
16,00 (15,26-16,78)
3,27 (1,76-6,08)
2,10 (1,90-2,32)
Affektive
Psychosen
Hiroeh et al. Lancet 2001:358:2110-2112
 Psychotische Patienten tragen nur in geringem Ausmaß
zur Gesamtkriminalität bei.
 Es besteht ein mäßiger, jedoch statistisch robuster
Zusammenhang zwischen Psychose und dissozialem
bzw. gewalttätigem Verhalten.
 Dieser Zusammenhang wird mit zunehmender Schwere
der Gewalttätigkeit und in Populationen mit niedrigem
Risiko deutlicher, ist aber in jedem Fall wesentlich
geringer als der zwischen Substanzmissbrauch bzw.
Persönlichkeitsstörungen und Kriminalität.
 Komorbider Substanzmissbrauch und komorbide Persönlichkeitsstörungen haben großen Einfluss auf die Risikoerhöhung, sind aber ebenso wie sozioökonomische
Faktoren nicht imstande, den Zusammenhang völlig zu
erklären.
 Die Risikoerhöhung ist auf bestimmte Patientengruppen
konzentriert.
 Art und Qualität allgemeinpsychiatrischer Versorgung
haben wesentlichen Einfluss auf das Ausmaß dissozialen
Verhaltens psychisch Kranker.
1) Wie ist psychische Krankheit definiert?
Wie wird Gefährlichkeit definiert?
Wie wird Gefährlichkeit „gemessen“?
Wie entsteht Aggression?
2) Charakteristika der Risikoklientel
3) Aktuelle Daten zum Kriminalitäts- bzw. Gewalttätigkeitsrisiko psychisch Kranker
4) Externe Faktoren (Veränderungen der allgemeinpsychiatrischen Versorgung? Zunahme dissozialen
Verhaltens psychisch Kranker?)
VERSORGUNG IN DER PRÄ-REFORM ÄRA
◈ Die Versorgung schwer psychisch Kranker fand hauptsächlich in großen psychiatrischen Asylen statt.
◈ Lange Aufenthaltsdauer, hoher Anteil unfreiwilliger
Aufnahmen, beschränkte somatische Behandlungsmöglichkeiten.
◈ Psychiatrische Patienten und Psychiatrie waren gleichermaßen Ziel von Vorurteilen:
☆ Psychisch Kranke - im besonderen Schizophrene galten als unberechenbar und potentiell gefährlich.
☆ Psychiatrische Krankenhäuser wurden als Orte sozialer
Kontrolle angesehen, in denen Psychiater Zwang gegen
wehrlose Patienten ausüben.
 Verbesserung der Situation psychisch Kranker
 Normalisierung der Sonderstellung psychisch
Kranker (und der Psychiatrie!!)
 Medikalisierung
 Ideologie
 Lebensqualität 
 Krankheitseinsicht, Compliance 
 Zwang 
 Entstigmatisierung
Abbau psychiatrischer Betten in den USA und in Österreich
(Betten pro 100 000 Bevölkerung)
1955
USA
Österreich
1)Lamb
1975
1998
2002
211)
(6,2%)
3391)
1502)
563)
(37,3%)
HR & Bachrach LL. Some perspectives on deinstitutionalization. Psychiatr Serv 2001;52:1039-1045
R et al. Entwicklung und status quo der allgemein-psychiatrischen Versorgungsangebote in Österreich.
gemeindenahe psychiatrie 1994;49:5-17
3)Katschnig et al. Österreichischer Psychiatriebericht 2004: Analysen und Daten zur psychiatrischen Versorgung der
österreichischen Bevölkerung. Wien: Ludwig Boltzmann Institut für Sozialpsychiatrie, 2004
2)Forster
Veränderung der durchschnittlichen Verweildauer
in psychiatrischen Krankenhäusern (Tage)
Österreich
1970
1990
1671)
541)
1994
1997
20,92)
- 67,7%
Deutschland
2002
2005
16,63)
- 20,6%
82,54)
41,84)
- 49,3%
1)Forster
R et al. Entwicklung und status quo der allgemein-psychiatrischen Vesorgungsangebote in Österreich.
gemeindenahe psychiatrie 1994;49:5-17
2)Gutierrez-Lobos K & Trappl E. Wiener Psychiatriebericht. Stadt Wien (Hrsg), Wien 2006
3)WHO. Mental Health Declaration Baseline Project. Baseline Assessment Questionnaire - Austria. 2007, [email protected]
4)Schmidt-Quernheim F. Kommunizierende Röhren - Vom schwierigen Verhältnis von Sozialpsychiatrie und Maßregelvollzug. Psychiat Prax 2007;34:218-222
ZUNAHME DER ZAHL FORENSISCHPSYCHIATRISCHER PATIENTEN
1980
1987
1990
2000
550
Deutschland
2005
2009
1600
(Nordrhein-Westfalen)1)
+191%
137
Dänemark
330
(Kopenhagen)2)
+141%
Österreich3)
106*
110*
339*
+208%
*Nur zurechnungsunfähige geistig abnorme Rechtsbrecher (§ 21/1 ÖStGB);
Prävalenz inklusive zurechnungsfähiger geistig abnormer Rechtsbrecher (§21/2 ÖStGB):
1980: 189, 1990: 228, 2009: 743
1)Seifert
D. Kriminalprognose - gibt es auch Anwendungsmöglichkeiten für die Allgemeinpsychiatrie? 5. Hansesymposium,
Rostock - Warnemünde, 24.-25.8.2007
2)Kramp P, Gabrielsen G. Forensic patients in Denmark 1980-2004. 14th AEP-Congress, Nice, March 4th-8th 2006
3)1.1.2009, Bundesministerium für Justiz, 2009
Die Entwicklung der Psychiatriereform in Österreich
1970
▌
Gesetzliche,
administrative
Änderungen
N Betten
(pro 100 000
Bevölkerung)
Aufnahmen
gesamt/Jahr
- % Unfreiwillige
Aufnahmen
1975
▌
1980
▌
▌
1975
Strafrechtsreform
Psychiatriereform
1970
11 851
- 47%
1970
(150/100 000)
1970
25 093
1990
1995
▌
2000
▌
1991
Unterbringungsgesetz
1992
6 282
▌
+50%
1992
37 717
2005
2010
▌
▌
1997
LKF
2002
Bedingte
Einweisung
in die Maßnahme
- 28%
1995
(66,9/100 000)
2002
4 496
2002
(56/100 000)
+ 72%
2007
64 916
1970/71
1992
2007
70%
15%
27%
1992
2007
19%
32%
- % Gerichtliche
Meldungen
Zurechnungsunfähige
Rechtsbrecher
(§21/1 ÖStGB)
1985
1981
1981
–
1990
Prävalenz
1981-90/2009 +210%
109,5 (105-117)
–
1990
Inzidenz
1981-90/2007 +356%
24,5 (17-31)
2009
Prävalenz
339
2007
Inzidenz
111
Quellen: Bundesministerium für Justiz 2008; Danzer et al 2007; Forster 1988; Forster 1993; Forster et al 1994; Forster & Kinzl 2002; Hagleitner & Nepp
2008; Katschnig et al 1975; Katschnig et al 2001; Katschnig et al 2004; Statistik Austria 2006
Überproportionale Zunahme schizophrener Patienten
im Maßnahmen(Maßregel)vollzug
Österreich, zurechnungsunfähige Straftäter (§ 21/1 ÖStGB)1,2)
Gesamt
Schizophrenien (incl.
Wahnhafte Störungen)
1992
2009
126
357
68 (58,0%)
268 (75,1%)
Nordrhein-Westfalen, Maßregelvollzug (§ 63 DStGB)2)
Schizophrenie
1)Knecht
1984
2006
177 (32,8%)
531 (43,1%)
G. Unveröffentlichte Daten
G. Unveröffentlichte Daten
3)Kutscher S-U, Schiffer B, Seifert D. Schizophrene Patienten im psychiatrischen Maßregelvollzug § 63 StGB) Nordrhein-Westfalens.
Entwicklungen und Patientencharakteristika. Fortschr Neurol Psychiat 2009;77:91-96
2)Ortwein-Swoboda
Änderung der %-Anteile verschiedener Delikttypen an den jährlichen Inzidenzen
der Einweisungen nach § 21/1 StGB, Österreich, 1990 - 2007, curve esteem
58,6%
60
50
45%
40
30
23,4%
35%
20%
20
n=4
10
Inzidenz 1990 20
Prävalenz 1.1.1990 110
18%
Inzidenz 2007 111
Prävalenz 1.1.2008 337
0
1990 1991 1992 1993 1994 1995 1996 1997 1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007
Eigentumsdelikte, Brandstiftung, Sexualdelikte F=11,77, p=0,003
Tötungsdelikte, schwere Körperverletzung
F=4,99, p=0,04
Gefährliche Drohung, Nötigung, Widerstand gegen die Staatsgewalt
F=89,36, p=0,000
Schizophrenie und Tötungsdelikte im Laufe der Psychiatriereformen
Erb et al 2001:
Risko für Tötungsdelikte (inkl. Versuche) bei Schizophrenie (Verurteilungen vs. Exkulpierungen, m + w)
BRD 1955 - 1964
Schizophrenie
OR (95% CI)
12,7 (11,2 - 14,3)
Hessen 1992 - 1996
16,6 (11,2 - 24,5)
Statistisch signifikante Zunahme von komorbidem Alkoholismus (p< 0,001), Vorstrafen
(p< 0,01) und Vorstrafen wegen Gewalttätigkeit (p< 0,01) bei schizophrenen Straftätern.
Schanda et al 2010:
Risiko für Tötungsdelikte bei Schizophrenie (inkl. Wahnhafte Störung) (Verurteilungen vs. Exkulpierungen,
m + w)
Schizophrenie
OR (95% CI)
Österreich 1976 - 1983
Österreich 1992 - 1999
9,01 (6,3 - 12,9)
10,48 (7,80 – 14,04)
Bei gleichbleibenden Raten von komorbidem Alkoholmissbrauch (37,1% bzw. 38,5%)
deutliche Zunahme von komorbidem Polysubstanzmissbrauch (Alkohol + Drogen)
von 8,6% auf 23,1%.
Psychiatriereformen
?
Inzidenz und Prävalenz
zurechnungsunfähiger Straftäter
Inzidenz und Prävalenz zurechnungsunfähiger
Straftäter mit Schizophrenie
Inzidenz von Tötungsdelikten
schizophrener Patienten
=
Die Zunahme dissozialen/kriminellen Verhaltens bei einer
Subgruppe schwer kranker psychiatrischer Patienten kann
als (unvorhersehbare?) negative Folge der Psychiatriereformen (Mangel an ausreichender Behandlung und Unterstützung, Armut, Substanzmissbrauch) interpretiert werden.
Im Gegensatz dazu dürften die Risikofaktoren für schwerste
Formen von Gewalttätigkeit (teilweise) in direktem Zusammenhang mit der Erkrankung stehen. Das Risiko für Tötungsdelikte psychotischer Patienten war bereits vor den Reformen
erhöht und veränderte sich im Laufe der Zeit kaum.
Allgemeinpsychiatrie
Forensische
Psychiatrie
Obdachlosigkeit
Gefängnis
Schwer psychisch Kranke unterliegen nach
wie vor einer massiven sozialen Exklusion,
die jedoch im Gegensatz zu früher subtiler,
politisch und formal korrekter stattfindet.
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