XMM-Newton entdeckt Präzession bei einem Neutronenstern XMM

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Jahrbuch 2006/2007 | Haberl, Frank | XMM-New ton entdeckt Präzession bei einem Neutronenstern
XMM-Newton entdeckt Präzession bei einem Neutronenstern
XMM-Newton reveals a precessing neutron star
Haberl, Frank
Max-Planck-Institut für extraterrestrische Physik, Garching
Korrespondierender Autor
E-Mail: fw [email protected]
Zusammenfassung
Beobachtungen von nahen Neutronensternen mit dem Röntgenobservatorium XMM-New ton erbrachten eine
überraschende Entdeckung: es w urden Schw ankungen im Röntgenspektrum von RX J0720.4-3125 im Laufe
w eniger Jahre festgestellt. Man schließt daraus, dass der Neutronenstern möglicherw eise präzediert. Die
Untersuchung der Präzession bietet eine interessante Möglichkeit mehr über die innere Struktur von
Neutronensternen zu lernen.
Summary
Observations of nearby neutrons stars w ith the X-ray observatory XMM-New ton revealed a surprising
discovery: variations in the X-ray spectrum of RX J0720.4-3125 w ere found over only a few years. The likely
conclusion is that the neutron star precesses. The study of precession may provide an interesting tool to learn
more about the inner structure of neutron
Neutronensterne und Pulsare
Neutronensterne als die Endstadien der Entw icklung massereicher Sterne präsentieren sich als Himmelskörper
der Extreme: Die Masse der Sonne konzentrieren sie in einer Kugel, deren Durchmesser nicht größer als der
einer mittleren Groβstadt ist. Ihre Dichte ist mit rund einer Milliarde Tonnen pro Kubikzentimeter größer als die
eines Atomkerns. Auf ihrer Oberfläche herrschen Temperaturen von rund einer Million Grad, ihr Magnetfeld ist
mehrere Trillionen mal stärker als das der Erde und bei ihrer Geburt drehen sie sich rund 100-mal pro Sekunde
um sich selbst. Das Magnetfeld bremst die Sterne nur sehr langsam ab, w as sie für uns als sehr stabile
Rotatoren erscheinen lässt. Für etw a 10 Millionen Jahre können sie durch ihre Radiostrahlung für uns sichtbar
bleiben, w enn der gerichtete Radiostrahl des rotierenden Neutronensterns die Erde überstreicht und der Stern
als Radio-Pulsar zu sehen ist. Isolierte Neutronensterne ohne Begleitstern können durch ihre thermische
Emission auch im Röntgenlicht beobachtet w erden, solange sie noch heiβ genug sind, d.h. ihre Temperatur
noch nicht w esentlich unter eine Million Grad gesunken ist. Nach theoretischen Rechnungen dauert auch dies
mit typisch einigen Millionen Jahren sehr lange. Das Magnetfeld kann so stark sein, dass es den Hitzetranport
aus dem Sterninneren durch die Neutronensternkruste beeinflusst. Dadurch entstehen heiβe Flecken um die
Magnetpole
auf der Sternoberfläche. Es
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ist die
Strahlung dieser heiβen polaren Kappen, die
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das
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Röntgenspektrum dominiert.
Aus beobachteten Supernova-Explosionsraten, dem Anteil schw erer Elemente (die durch Kernprozesse im
Inneren der Sterne entstehen und bei der Supernova-Explosion freigesetzt w erden) in der interstellaren
Materie
und
aus
den
Eigenschaften
der
Radiopulsar-Population
schätzt
man
die
Gesamtzahl
der
Neutronensterne in unserer Milchstraβe auf etw a 100 Millionen bis eine Milliarde. Auβer den (relativ w enigen)
jungen kühlenden Neutronensternen könnten jedoch auch ältere Neutronensterne, die durch Einfang (so
genannte Akkretion) von Materie aus dem interstellaren Medium w ieder aufgeheizt w urden, im Röntgenbereich
detektierbar sein. Da Neutronensterne im Vergleich zu normalen Sternen sehr klein sind, sind äuβerst
empfindliche Messgeräte nötig, um sie zu entdecken. Abschätzungen ergaben jedoch, dass ROSAT bei seiner
vollständigen Himmelsdurchmusterung viele dieser alten isolierten Neutronensterne nachw eisen könnte. Diese
- w ie auch jüngere Neutronensterne - sollten ein sehr „w eiches“ Röntgenspektrum zeigen, d.h. hauptsächlich
bei niedrigen Röntgenenergien emittieren, und bei optischen Wellenlängen äuβerst lichtschw ach sein. Trotz
intensiver Suche in den ROSAT-Daten w urden nur sieben Neutronensterne mit den erw arteten Eigenschaften
entdeckt. Durch Beobachtungen mit groβen optischen Teleskopen w urde für die drei hellsten dieser sieben
Sterne eine relativ hohe Eigenbew egung am Himmel festgestellt, d.h. die Neutronensterne bew egen sich mit
hoher Geschw indigkeit (einige 100 km s-1) durch das interstellare Medium, w as Akkretion von Materie sehr
ineffektiv macht. Dies spricht gegen die Akkretions-Hypothese bei alten Neutronensternen sondern vielmehr
dafür, dass hier junge kühlende Neutronensterne entdeckt w urden. Der Vergleich der aus den Spektren
abgeleiteten Temperaturen mit theoretisch berechneten Erw artungsw erten lässt auf ein Alter von typisch
einer Million Jahre schlieβen. Die sieben von ROSAT entdeckten Neutronensterne sind deshalb so interessant,
w eil sie zu den w enigen gehören, von denen w ir direkt die thermische Emission von der Sternoberfläche
beobachten können. Ältere, w ieder aufgeheizte Neutronensterne w urden w ahrscheinlich deshalb nicht von
ROSAT gefunden, w eil sie sich zu schnell durch das interstellare Medium bew egen und deshalb keine
ausreichende Menge an Gas aufsammeln.
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Die R öntge n-Aufna hm e von XMM-Ne wton ze igt die
Him m e lsre gion um R X J0720.4-3125. Die Ene rgie de r
R öntge nphotone n ist fa rblich k odie rt: we iche
R öntge nstra hlung rot und e ne rgie re iche re Stra hlung bla u. De r
Ne utrone nste rn e rsche int a ls he lle s rötliche s O bje k t in de r
Bildm itte .
© Ha be rl, Ma x -P la nck -Institut für e x tra te rre strische P hysik
Der isolierte Neutronenstern RX J0720.4-3125
Die sieben mit ROSAT entdeckten Neutronensterne (oft „Die Glorreichen Sieben“ genannt) w urden mit den
noch empfindlicheren und mit besserer Energieauflösung ausgestatteten Messinstrumenten des ESA-Satelliten
XMM-New ton untersucht; bei der Entw icklung der Röntgenteleskope und einer der CCD-Kameras w ar das
Institut für extraterrestrische Physik w esentlich beteiligt. Da Neutronensterne als besonders stabil angesehen
w urden, hat man RX J0720.4-3125 sogar regelmäβig als Standardstern beobachtet um die Langzeitstabilität
der Instrumentierung zu überprüfen. Der Pulsar rotiert mit einer Umdrehungsperiode von 8.4 Sekunden und
steht rund 1000 Lichtjahre entfernt im Sternbild des Großen Hundes. Sein optisches Licht ist so schw ach, dass
es nur mit den stärksten Teleskopen zu beobachten ist. Als Röntgenquelle strahlt RX J0720.4-3125 allerdings
recht kräftig (Abb. 1).
Bei der genauen Untersuchung der Röntgenspektren aus verschiedenen Jahren w urde überraschenderw eise
festgestellt, dass sich die Spektren des Neutronensterns im Laufe w eniger Jahre veränderten: Zw ischen Mai
2000 und Mai 2004 w uchs der Anteil härteren Röntgenlichts in den spektralen Messungen. Das heißt der
Pulsar strahlte im Schnitt Röntgenlicht von höherer Energie aus. Anschließend sank dieser Anteil energiereicher
Strahlung w ieder (Abb. 2). Das könnte bedeuten, dass auch die Oberflächentemperatur von RX J0720.4-3125
schw ankt – und zw ar fast um 100000 Grad, also etw a einem Zehntel: Von der Temperatur, die auf der
Oberfläche eines Himmelskörpers herrscht, hängt ab, w ie stark ein Himmelkörper in einem bestimmten
Ausschnitt des elektromagnetischen Spektrums strahlt. Es ist jedoch sehr unw ahrscheinlich, dass sich die
globale Oberflächentemperatur des Neutronensterns in w enigen Jahren so stark ändert, da die Zeitskala für
die Abkühlung sehr viel länger ist.
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Die R öntge nspe k tre n von R X J0720.4-3125, a ufge ze ichne t m it
de m EP IC -pn Instrum e nt a uf XMM-Ne wton. Die
Spe k tra lve rte ilung ve rschob sich zwische n 2000 und 2004 zu
höhe re n Ene rgie n. Da na ch k e hrte sich de r Tre nd um . Die De lle
in de n Spe k tre n be i e twa 300 e V ist wa hrsche inlich durch
Zyk lotronre sona nza bsorption a n P rotone n in e ine m sta rk e n
Ma gne tfe ld ve rursa cht.
© Ha be rl, Ma x -P la nck -Institut für e x tra te rre strische P hysik
Die scheinbare Temperaturänderung rührt eher daher, dass die Rotationsachse von RX J0720.4-3125 selbst
sich auf einem Kegel bew egt und nicht stabil im Raum ruht. Durch diese Präzession rückt mal der eine Pol und
mal der andere stärker ins Blickfeld von XMM-New ton Satelliten. Sind die Pole unterschiedlich heiß und
unterschiedlich groβ, so strahlen sie auch verschieden hohe Anteile an hartem Röntgenlicht ab. Für eine
Präzession des Neutronensterns spricht auch eine Zeitanalyse seiner Röntgenpulse, w elche Abw eichungen
von seiner gleichmäβigen Abbremsung der Rotation zeigt. Beide Analysen deuten auf zyklische Änderungen mit
einer Periode von 7-8 Jahren, w as natürlicherw eise als die Präzessionsperiode gedeutet w ird (Abb. 3).
W ährend der ersten XMM-New ton-Beobachtung im Mai 2004 w ar die Temperatur im Minimum und der kühlere,
gröβere Fleck w ar hauptsächlich sichtbar. Vier Jahre später, im Mai 2004, w urde durch die Präzession der
heiβere, kleinere Fleck besser sichtbar, w as die beobachtete Temperatur erhöhte. Dieses Modell kann die
beobachteten Variationen in der Temperatur und der Gröβe des Emissionsgebietes und ihre Antikorrelation
erklären.
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Te m pe ra turschwa nk unge n übe r e ine n Ze itra um von se chs
Ja hre n, die sich a us de n spe k tra le n Me ssunge n de r
R öntge ninstrum e nte von XMM-Ne wton für die O be rflä che von
R X J0720.4-3125 e rge be n.
© Ha be rl, Ma x -P la nck -Institut für e x tra te rre strische P hysik
Dass der eine Pol deutlich heißer ist als der andere, liegt möglicherw eise am starken Magnetfeld von RX
J0720.4-3125. Die Magnetfeldstärke eines Pulsars lässt sich sow ohl aus dem Grad der Abbremsung seiner
Rotation, als auch über die
Energie
von Absorptionslinien (sow eit vorhanden) im Röntgenspektrum
abschätzen. Kann man eine Absorptionslinie eindeutig als Zyklotronresonanzlinie identifizieren, so erlaubt dies
die direkteste Bestimmung der Magnetfeldstärke. RX J0720.4-3125 ist einer der w enigen Neutronensterne, bei
dem beide Methoden anw endbar sind und übereinstimmend auf ein Magnetfeld von einigen 1013 Gauβ
schlieβen lassen. Je stärker das Magnetfeld an einem bestimmten Punkt seiner Oberfläche ist, desto mehr
W ärme könnte aus dem Inneren des Pulsars zu seiner Oberfläche fließen. Abw eichungen vom reinen,
symmetrischen
Dipolfeld,
insbesondere
nahe
der
Neutronensternoberfläche,
führen
dann
zu
einer
asymmetrischen Temperaturverteilung. Unterschiedlich heiβe Polregionen w urden auch von RBS 1223
gemessen, einem der anderen Neutronensterne aus der Gruppe der Sieben. Hier, w ie auch bei RX J0720.43125, zeigt sich dies auch durch periodische Schw ankungen der Spektren im Takt der Rotationsperiode. Im
Gegensatz zu RX J0720.4-3125 zeigt RBS 1223 jedoch bisher keine Anzeichen für Präzession.
Darüber w ie der kosmische Kreisel RX J0720.4-3125 ins Taumeln geraten ist, kann man bislang nur
spekulieren. Aus dem Verhältnis von Rotationsperiode zu Präzessionsperiode kann man die Abw eichung des
Neutronensterns von der Kugelform abschätzen. Bei einem Wert von einigen 10-8 bedeutet dies eine
Abw eichung von w eniger als einem Millimeter bei einem Radius von 20 km. Diese „Unw ucht“ könnte bei einem
Sternbeben entstanden sein, w ie sie bei sehr jungen Pulsaren häufig beobachtet w erden. Theoretische
Betrachtungen deuten jedoch darauf hin, dass Präzession stark gedämpft w ird mit Zeitskalen von typisch
hundert Präzessionsperioden. Danach dürfte das Sternbeben nicht viel länger als 1000 Jahre zurückliegen.
All dies hängt jedoch sehr davon ab, w ie es im Inneren von Neutronensternen aussieht, z.B. davon, ob sich
ihre
harte
Schale
um
einen
supraflüssigen
Kern
dreht.
Die
Untersuchung
der
Präzession
von
Neutronensternen könnte daher helfen, die innere Struktur von Neutronensternen zu untersuchen und mehr
über den Zustand der Materie in ihrem Inneren zu lernen, w elche unter Bedingungen existiert, die w ir nicht im
Labor herstellen können
Originalveröffentlichungen
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[1] Haberl, F., R. Turolla, C. de Vries, S. Zane, J. Vink, M. Mendez and F. Verbunt
Evidence for precession of the isolated neutron star RX J0720.4-3125
Astronomy and Astrophysics 451, L17-L21 (2006).
© 2007 Max-Planck-Gesellschaft
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