Marketing im 21. Jahrhundert - - Universität der Bundeswehr München

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Marketing im 21. Jahrhundert von der Absatzförderung zum marktinduzierten Lernen
Die neuen Herausforderungen an das Marketing liegen nicht primär auf der operativen Ebene,
im Sinne der Optimierung der Absatzförderungsfunktion, sondern in der kontinuierlichen Befähigung des Unternehmens zu marktinduziertem Lernen.
Davon ausgehend beschreibt dieser Artikel die zukünftigen Marketing-Kernfunktionen und
leitet Konklusionen hinsichtlich der Rolle, beziehungsweise der Träger eines effektiven Marketings im 21. Jahrhundert ab.
Prof. Dr. Hans A. Wüthrich, Lehrstuhl für Internationales Management an der Universität
der Bundeswehr, München; Partner D&RSW AG, Management Consulting Zürich
Dipl.-Kfm. Andreas Philipp, Mitarbeiter am Lehrstuhl für Internationales Management
an der Universität der Bundeswehr, München
“Die größte Gefahr für das Überleben von Unternehmungen
besteht im unkritischen Festhalten an dem, was sich in der
Vergangenheit als besonders erfolgreich erwiesen hat”.
Knut Bleicher
Ziel folgender Ausführungen ist es nicht, die kaum überblickbaren Megatrends (vgl. Naisbitt/Aburdene 1990 oder Gerken 1992) zu erweitern und darauf aufbauend futuristische MarketingMix-Instrumente vorzustellen. Die Annäherung an das Thema soll über zwei Fragen erfolgen:
• Welche Kernfunktionen hat das Marketing zukünftig sinnvollerweise zu erfüllen?
• Wer nimmt diese Funktionen mit welcher Rollenverantwortung wahr?
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Marketing-Kernfunktionen
Die Analyse der 100 TOP-Unternehmen in Europa im Zeitreihenvergleich zeigt, dass nur 4 der TOP
10 des Jahres 1990 sich auch 1995 noch unter den besten 100 platzieren konnten. Von den gesamten
TOP 100 sind nach 5 Jahren noch 19 dabei. Trotz einschneidender Veränderungsprozesse gelingt es
offensichtlich nur wenigen Firmen, den Wandel erfolgreich zu bewältigen (vgl. Abbildung 1).
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Abbildung 1: Veränderung der Euro-Top 100 in den Jahren 1990-1995
Viele Unternehmen haben somit ein zentrales Problem, sie lernen zu wenig schnell. Falls Lernen stattfindet, ist es oft ein durch Leidensdruck induziertes reaktives Lernen. Für Firmen, die sich einer dynamischen und komplexen Umwelt gegenübersehen, ist dieses ‘primitive’ Lernverhalten existenzbedrohend. Die Ursachen hierfür sind vielschichtig, sie lassen sich jedoch auf zwei Hauptprobleme fokussieren:
1. Systemimmanente-Defizite: Die mangelnde Lern- und Veränderungsfähigkeit ist primär eine
Frage der unternehmensinternen Rahmenbedingungen. Das hierarchische Struktur-Design, das
misstrauensbasierte System-Layout sowie eine Fehlervermeidungskultur stellen typische Change-Blockaden dar.
2. Marketing-Defizite: Verzerrte Wahrnehmung zwischen der Einschätzung der eigenen Leistung
und der Beurteilung aus Kundensicht, sowie der daraus resultierenden fehlenden Bereitschaft
von Kunden zu lernen.
Unter Berücksichtigung dieser Lernresistenz, lassen sich die Aufgaben des Marketing im 21. Jahrhundert wie folgt umschreiben. Neben den originären Funktionen der Absatzförderung und der marktorientierten Unternehmenspolitik, gewinnt zukünftig das ‘marktinduzierte Lernen’, als neue Kernfunktion, strategische Relevanz.
Während die Absatzförderung geeignete Techniken (KÖNNEN) erfordert, die sich zukünftig, unter
Berücksichtigung neuer Möglichkeiten, beispielsweise im Telekommunikationsbereich, markant ändern werden, kommt es bei der zweiten Funktion, der marktorientierten Unternehmenspolitik
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(WOLLEN), auch künftig auf eine Verankerung von kundenorientiertem Verhalten, im Sinne einer
spezifischen Mentalität bei allen Unternehmensangehörigen, an.
Neu und von zentraler Bedeutung im Hinblick auf die zunehmende Dynamik ist die dritte MarketingKernfunktion, das marktinduzierte Lernen (DÜRFEN). Hier geht es um die kontinuierliche Befähigung der Organisation zu effektivem und effizientem Lernen. Bei dieser Rolle steht die Schaffung von
Rahmenbedingungen im Mittelpunkt, welche Lernen zulassen, Gelerntes als Wissen im Unternehmen
erhalten und nicht zuletzt Lernwillen und -fähigkeit der Mitarbeiter belohnen. Träger dieser neuen
Herausforderung von morgen müssen die Marketingprofis von heute sein.
Abbildung 2: Die Marketing-Kernfunktionen der Zukunft
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Marketing-Träger
Wie bereits angedeutet, hat die Wahrnehmung der Marketing-Kernfunktionen differenziert zu erfolgen. So kann die Absatzförderung durch Marketingprofis, die zentral in Service-Centers oder dezentral
in der Linie angesiedelt sind, wahrgenommen werden. Ebenfalls denkbar ist das Outsourcing an Dritte.
Aus einer Studie von Arthur Andersen geht hervor, dass heute ca. 14% der Unternehmen von dieser
Möglichkeit Gebrauch machen. Bis in 1-3 Jahren rechnen die Verfasser der Studie damit, dass jedes
vierte Unternehmen die klassischen Marketingfunktionen an Dritte vergeben wird (Cash Nr. 7 vom
16.2.96, S. 22). Die Realisierung einer marktorientierten Unternehmenspolitik bleibt in der Verantwortung jedes einzelnen Mitarbeiters.
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Aufgabe des verantwortungs- und zukunftsbewussten Marketingprofis ist es schließlich marktinduziertes Lernen anzuregen. Konkret bedeutet dies:
• Als Initiator mittels Markt-Feedback Lernprozesse im gesamten Unternehmen provozieren: Aus
der Lerntheorie wissen wir, dass es grundsätzlich zwei Lernblockaden gibt: Keine Experimente zulassen sowie kein ehrliches und rechtzeitiges Feedback geben. Eine Schlüsselfunktion des Lerninitiators ist somit die Bereitstellung von Echzeit-Feedbackdaten. Die Mittel dazu können u.a. Kunden- und Lieferanten-Panels, internes bzw. externes Benchmarking, Experimente oder ein telefonisches Dialogsystem (TED) mit Kunden, Absatzmittlern und Absatzhelfern sein.
Ebenfalls zur Unterstützung der Lernprozesse gilt es, marktbezogenes Wissen zu kollektivieren und
vielen Mitarbeitern im Unternehmen zugänglich zu machen. Immer öfter gelangen dazu Wissensdatenbanken und Expertensysteme zum Einsatz.
Abbildung 3: Forderung 1 - Als Initiator Lernprozesse provozieren
• Als Initiator marktgerechte Strukturen und Systeme schaffen:
Wie an anderer Stelle bereits betont, wird als Ursache für lernresistentes Handeln von Unternehmen,
häufig menschliches ‘Fehlverhalten’ angesehen. Diese einseitige Sichtweise verkennt die Tatsache,
dass als originäre Ursache der Lernresistenz die systemimmanenten Rahmenbedingungen zu betrachten sind. Strukturell gilt es eine kundensegmentorientierte Aufbauorganisation zu schaffen,
klare Prozessverantwortungen für den Innovations- sowie Kundenanregungsprozess zu definieren
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sowie Netzwerke für eine effiziente Vermarktung der Produkte (Co-Marketing) zu etablieren. Auf
der Systemebene lässt sich das marktinduzierte Lernen beispielsweise durch die Einführung einer
an der Kundenzufriedenheit orientierten Leistungsvergütung oder durch institutionalisierte, messbare Qualitäts- und Service-Standards erreichen. Delta Dental - eine große amerikanische Versicherungsgesellschaft - garantiert beispielsweise einen schnellen Kundenservice. Wenn die Frage eines
Kunden nicht sofort beantwortet werden kann, ruft ein Delta-Vertreter innerhalb von 24 Stunden
zurück; ansonsten zahlt das Unternehmen dem Kunden 50 Dollar.
Abbildung 4: Forderung 2 - Als Initiator marktgerechte Strukturen und Systeme schaffen
• Als Initiator planwirtschaftliche Verhältnisse im Unternehmen durch Marktmechanismen (Aufbau einer internen Marktwirtschaft) ersetzen:
Damit ist gemeint, die Funktionsweise unserer Wirtschaftsordnung auch auf das Innere von Unternehmen zu übertragen. Dies bedeutet
• individuelle wirtschaftliche Handlungsfreiheit der Wirtschaftssubjekte,
• Koordination wirtschaftlicher Interessen über Märkte,
• Preisbildung aufgrund von Angebot und Nachfrage (Preismechanismus) und
• das Prinzip der Gewinnerzielung (individuelles Gewinnstreben)
im Unternehmen zu institutionalisieren (vgl. Schüller 1993, 34).
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Als Charakteristika einer internen Marktwirtschaft lassen sich u.a. nennen: Umorganisation der
Fachabteilungen in Service- und Profit-Center mit eigener Ergebnisverantwortung, Einführung interner Kunden-Lieferantenverhältnisse mit klaren Verrechnungspreisen, Reduktion rein koordinierender Führungsaufgaben, Abbau der Quersubventionen sowie Umwandlung von Overhead in
Wertschöpfung. Die Funktionsweise dieses ‘internen Marktes’ kann man sich analog zum normalen Marktgeschehen vorstellen. Jede Einheit eines Unternehmens ist als Profit-Center oder ServiceCenter konzipiert und bietet seine Leistungen den anderen internen Einheiten und gegebenenfalls
auch Externen an. Jede erstellte Leistung muss demnach bezahlt oder zumindest verrechnet werden
und misst sich an den Standards des Marktes. Daraus resultiert eine auftragsorientierte Leistungserstellung, welche Unwirtschaftlichkeit, ganz im Interesse beider Marktpartner, konsequent aufdeckt
und damit reduziert (vgl. Abbildung 5).
Abbildung 5: Forderung 3 - Als Initiator interne Marktmechanismen einführen
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Handlungsbedarf
“Manche halten das für Erfahrung, was sie
zwanzig Jahre lang falsch gemacht haben.”
George Bernard Shaw
Dieses Zitat führt uns treffend vor Augen, dass wir als Individuum immer wieder herausgefordert sind,
Erfolgsmuster der Vergangenheit kritisch zu hinterfragen und durch Lernen zu überwinden. Auch für
das Unternehmen wird seine Lernfähigkeit zu einem strategischen Erfolgsfaktor und damit sind alle
Marketingverantwortlichen insbesondere in der neuen Rolle als marktorientierter Lerninitiator gefordert. Wie ausgeprägt der persönliche Handlungsbedarf ist, können nur Sie selbst erkennen. Unterstützend dabei dienen die folgenden acht Fragen:
1. Verfügen die Mitarbeiter Ihres Unternehmens über ein rechtzeitiges, ehrliches und
permanentes Markt-Feedback?
2. Wird Marktwissen systematisch gespeichert und allen Interessierten zugänglich gemacht?
3. Orientiert sich die Aufbaustruktur Ihres Unternehmens an Kundensegmenten?
4. Ist die Verantwortung für den Innovations- und Kundenanregungsprozess klar geregelt?
5. Sind Marketing-Netzwerkpartner vorhanden?
6. Orientiert sich die Leistungsvergütung an der internen und externen Kundenzufriedenheit?
7. Sind in Ihrem Unternehmen Service- und Qualitätsstandards institutionalisiert?
8. Operieren mehr als 50% der internen Organisationseinheiten nach dem Prinzip der internen
Marktwirtschaft?
Wenn Sie alle Fragen mit ja beantworten können, vergessen Sie den gerade gelesenen Artikel und
ärgern Sie sich bitte nicht zu sehr über die verschwendete Zeit. Bleiben einige Fragen offen, so ermutigen wir Sie geeignete Maßnahmen einzuleiten; denn nichts verbessert die Wettbewerbskraft Ihres
Unternehmens nachhaltiger als die Fähigkeit permanent lernen zu können.
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Literatur:
Baden, K., et al. (1990): Die wahren Werte, in: Manager Magazin, 20. Jg., Nr. 11, 1990, S. 129 - 211.
Baden, K. (1996): Hoch im Norden - Europas Börsenfirmen im Leistungsvergleich, in: Manager Magazin, 26.
Jg., Nr. 1, 1996, S. 35 - 57.
Gerken, G. (1992): Trend Zeit - Die Zukunft überrascht sich selbst, Düsseldorf/ Wien/ New York/ Moskau,
1992.
Naisbitt, J./Aburdene, P. (1990): Megatrends 2000 - Zehn Perspektiven für den Weg ins nächste Jahrtausend,
Düsseldorf/ Wien/ New York, 1990.
Schüller, A. (1993): Die institutionellen Voraussetzungen einer marktwirtschaftlichen Ordnung, in: Handbuch
Marktwirtschaft, hrsg. v. R. Vaubel/ H.D. Barbier, 2. Aufl., Stuttgart: Neske 1993, S. 34-44, 1993.
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