Kap. 11: Finanzkrisen - Wiwi Uni

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Kap. 11: Finanzkrisen
A. Definition, Arten, Fallbeispiele
B. Die Hypothese von Minsky
C. Krisenprävention und Krisenmanagement
Literatur
Fischer: On the Need for an International Lender of Last Resort, IMF ,
Januar 1999 (20 Seiten),
http://www.imf.org/external/np/speeches/1999/010399.
Kindleberger: Manias, Panics and Crashes, 4. Aufl. New York 2000,
Kap. 2: Anatomy of a Typical Crisis (S. 13-22)
International Monetary Fund: Financial Crises: Characteristics and
Indicators of Vulnerability, in: World Economic Outlook, Mai 1998
(S. 74-97)
Optional
Goodhart: Regulating the Regulators – Accountability and Control,
December 2002, mimeo, (16 Seiten)
Prof. Dr. W. Gebauer
Wechselkurs und internationale
Ökonomie, Kap. 11
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Finanzkrise I:
Definition, Hintergrund und Realbezug
• "Finanz": Geld in intertemporaler und/oder internationaler Verwendung
• "Krise": Plötzlicher und scharfer Rückgang von Finanzmarktindikatoren (u.a.
Aktienkurse und Wechselkurse) mit stark fallenden Vermögenswerten und
zunehmenden Liquiditätsproblemen an den Finanzmärkten sowie im realen Sektor
(u.a. "credit crunch")
• Hintergründe
- Unhaltbare Makropolitik (z.B. "Misalignment" der Wechselkursbindung und/oder zu
expansive Geldpolitik)
- Schwächen der Finanzstruktur (z.B. fehlende Bankenaufsicht)
- Globalisierung (zunehmende Integration) der Finanzmärkte
- Zunehmendes Volumen an anlagesuchendem Finanzkapital ("Geldschwemme"), das
zu einer Abkoppelung der Finanzmärkte von ihrer realwirtschaftlichen Basis führt ( z.B.
in Form spekulativ übersteigerter Aktienkurse)
- Politische Instabilität bzw. Führungsschwäche
• Prinzipieller Realbezug: Weil Finanzkrisen das effiziente Funktionieren der
Finanzmärkte stören, können sie zu einer Wirtschaftskrise (konjunkturelle Rezession
oder Depression) führen. Anhaltende Depression mit zunehmender Arbeitslosigkeit
und steigender Armut birgt wiederum die Gefahr einer gesellschaftlichen
Destabilisierung bzw. politischen Radikalisierung mit wachsender Konflikt- und
Gewaltbereitschaft.
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Wechselkurs und internationale
Ökonomie, Kap. 11
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Finanzkrise II: Arten
Währungskrise
‚currency crisis‘
Bankenkrise
‚Banking crisis‘
• Kursstuz spekulativ übersteigerter Preise (Kurse) für
finanzielle und reale Aktiva.
Dadurch notleidende Kreditforderungen der Banken/ hoher
Abschreibungsbedarf; Konvertibilität der Bankverbindlichkeiten wird eingeschränkt
oder suspendiert
• Bankzusammenbrüche
(Konkurse) / 'bank run' droht
• Potentielle Systemkrise auf
nationaler Ebene
Prof. Dr. W. Gebauer
•Spekulative Attacken gegen
bestehende Wechselkursbindung einer Währung;
Stützungsversuche der
Währungsbehörde
• Erzwungene Freigabe des
Wechselkurses („Wechselkurskrise“) mit massiver
Abwertung gegenüber der
bisherigen Referenzwährung
bei stark verringerten
Währungsreserven
(„Zahlungsbilanzkrise“)
• Krisensymptome des (Welt-)
Währungssystems (Gefahr
einer internationalen
Systemkrise)
Schuldenkrise
‚foreign debt crisis‘
• Hohe Auslandsverschuldung
im privaten und öffentlichen
Sektor eines Landes, wobei
Schuldendienst in Fremdwährung wegen der
Krisenhintergründe und/oder
einsetzender Finanzkrise
zunehmend gefährdet
erscheint
• Massiver Rückzug von
Investoren ("Kapitalflucht")
• Drohende Zahlungsunfähigkeit eines Landes (Banken und
Zentralbank) in internationalem Geld; Umschuldungen
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Ökonomie, Kap. 11
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Typischer Krisenverlauf in modernen
westlichen Industrieländern (Minsky)
• Auslöser
• Expansionsphase
• Phase euphorischer Spekulation
• Umkehrpunkt
• Abschwungphase
• Torschlußpanik
• Talsohle/Ende der Krise
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Ökonomie, Kap. 11
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Typischer Krisenverlauf in modernen westlichen
Industrieländern (Minsky)
• Auslöser
Exogener (makroökonomischer) Schock führt zu
Strukturwandel und neuen Expansionsfeldern
(„business confidence“ steigt).
• Expansionsphase
„Boom“ gekennzeichnet durch eine prinzipiell
unbegrenzte Kreditfinanzierung von
Konsumausgaben und Sachkapitalinvestitionen.
Die Verschuldung der Nichtbanken wächst,
auch gegenüber dem Ausland (steigende
Importe, passive Zahlungsbilanz).
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Typischer Krisenverlauf in modernen westlichen
Industrieländern (Minsky)
• Phase euphorischer Spekulation
Im Boom treten Preissteigerungen – und damit
neue Gewinnmöglichkeiten – auf den Güter- und
Finanzmärkten auf. Es erfolgen kreditfinanzierte
spekulative Engagements, u.a. finanzielle
Investitionen aufgrund erwarteter
Preissteigerungen - auch in Form kurzfristiger,
massiver Kapitalverkehrsströme. Die kurzfristige
Verschuldung steigt stark an.
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Typischer Krisenverlauf in modernen westlichen
Industrieländern (Minsky)
• Umkehrpunkt
An den Finanzmärkten halten sich erste
Gewinnmitnahmen durch Insider und weitere
spekulative Engagements die Waage. Preise
und Kurse steigen nicht mehr. Dadurch entsteht
„financial distress“: Die Befürchtung, kurzfristige
Verbindlichkeiten aus Liquiditätsmangel
eventuell nicht bedienen zu können.
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Typischer Krisenverlauf in modernen westlichen
Industrieländern (Minsky)
• Abschwungphase
- Die Liquiditätsvorsorge führt zunehmend zum
Verkauf von Aktiva gegen Kasse. Verkäufe
überwiegen.
- Preissturz an den Finanzmärkten mit
entsprechend schrumpfenden Vermögenswerten.
- Schuldner können zunehmend ihre
kurzfristigen Verbindlichkeiten nicht mehr
bedienen (Liquiditätsprobleme).
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Steigende Unsicherheiten
über weitere
Finanzmarktentwicklung
über Verläßlichkeit von
Risiko-Einschätzungen
Ängste vor weiteren
Schocks/Krisen/Abwertungswettläufen...
Vertrauenskrise:
Dominanz psychologischer Faktoren an den
Finanzmärkten /Kapitalflucht/internationaler
Rückzug aus allen Kapital-anlagen, die nicht als
völlig sicher angesehen werden
Globales Wirtschaftswachstum sinkt/
Deflationsgefahr
Internationale Ausweitung der Krise auf Länder
ohne ursprünglichen
"Krisenhintergrund"
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Krisenverschärfung
(weiter s.o. → "Teufelskreis")
Wechselkurs und internationale
Ökonomie, Kap. 11
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Höhere Zinsforderungen der
Banken und/oder
"credit crunch"
Typischer Krisenverlauf in modernen westlichen
Industrieländern (Minsky)
Neubewertung von Risiken wegen
hoher Vermögensverluste
• Torschlußpanik
- Verkauf finanzieller Aktiva „zu jedem Preis“
- Konkurse / Firmenzusammenbrüche
(Insolvenzen) wegen Zahlungsunfähigkeit
- Starker Preisverfall auf den Finanzmärkten
- Deflationstendenzen
• Talsohle /Ende der Krise
- Auf niedrigem Kursniveau Investitionen in
längerlaufende Finanzaktiva
- Wirksames staatliches Krisenmanagement,
u.a. Liquiditätshilfe an die Banken (Zentralbank als „Lender of Last Resort“)
Abwertungen/
Kapitalflucht
Prof. Dr. W. Gebauer
Bankenkrise
Vertrauenskrise und Krisenverschärfung
Prof. Dr. W. Gebauer
Kurssturz am
Aktienmarkt
Zur Rolle der Geldpolitik
Expansive Geldpolitik
sinkende nominale und reale Zinssätze am Geldmarkt
Konjunktur
Zunehmende Gesamtnachfrage, steigende
Ertragserwartungen und Inflationsdruck
"Asset price inflation "
bei Sachaktiva (insb. Grund
und Boden)
Wertpapiermärkte
Steigende Kurse (sinkende Rendite) in allen
Laufzeitbereichen
"Asset price inflation "
der Aktienkurse (= Ansprüche auf Sachaktiva)
Durch höhere Vermögenswerte steigende nominale
Sicherheiten für Kredite
Abkoppelung der Vermögenspreise von ihrer realen Basis
Inflationsbedingt sinkende reale Verschuldung
"Spekulative Blasen" bzw. Abfolge kreditfinanzierter Spekulationsrunden
Krisenhafter Preisverfall für reale und finanzielle Vermögenswerte ("Blase platzt")
Prof. Dr. W. Gebauer
Einsetzen restriktiver Geldpolitik, d.h. Geldzins wird
wegen Inflationsgefahr heraufgesetzt
Wechselkurs und internationale
Ökonomie, Kap. 11
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Finanz- und Wirtschaftskrise: Zusammenspiel und Ausbreitung
Geldpolitik und
Konjunktur
Bankensystem und Finanzmärkte
Zahlungsbilanz und Devisenmarkt
Restriktive
Geldpolitik
Drastischer Fall der Aktienkurse,
Preise von Sachaktiva stagnieren/
sinken, Liquiditätsprobleme
Passive Leistungsbilanz1)
und passive Kapitalbilanz2)
Höhere Zinssätze zur Abwehr spekulativer Attacken, Kreditrestriktionen
(balance sheet channel)
Zunehmend "notleidende
Kredite" in den Bankenbilanzen
Überschuldung von
Unternehmen, Konkurse,
Rezession/Depression
Bankzusammenbrüche
(Konkurse und Insolvenzen)
Abwertung der inländischen
Währung (Abfluß von
Währungsreserven)
Realer Wechselkurs fällt weiter
(höhere Importgüterpreise;
J-Kurveneffekt)
Krisen- und Rezessionsexport ins Ausland (Nachfragerückgang nach ausländischen Importen,
Rückzug aus Portfolio- und Direktinvestitionen)
1)
2)
Wegen inflationsbedingt gesunkenem realen Wechselkurs
Aufgrund von Kapitalabflüssen, verursacht durch Vertrauensverlust in Wechselkursbindung (Abwertungserwartungen)
Prof. Dr. W. Gebauer
Wechselkurs und internationale
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Prof. Dr. W. Gebauer
Bankenkrise und Krisenexport: Japan
(August 1998)
Kurssturz am Aktienmarkt
(Nikkei-Index büßt relativ zum Rekordhoch von 1989 fast
zwei Drittel ein)
Banken müssen auf ihr
Aktienportefeuille erheb-liche
Abschreibungen vornehmen
Eigenkapital
'tier-two' fällt*
Wechselkurs und internationale
Ökonomie, Kap. 11
Eigenkapitalstandards werden nicht mehr erfüllt
Solvenz erscheint gefährdet
Einlagen werden abgezogen/Gefahr eines 'bank run'
Krisenexport: Gefährdete japanische Banken ziehen sich
ihrerseits aus potentiellen Krisenregionen zurück. Folge:
Abwertungsdruck und Liquiditätsprobleme in diesen
Ländern.
Gefahr von Währungskrisen
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*Das Aktienportfolio zählt teilweise zum Eigenkapital japanischer Banken: 45 % der
stillen Reserven aus Marktwert minus Anschaffungskosten der Aktien sind
anrechenbar. Bei einem Stand des Nikkei-Index von ca. 15000 Punkten waren die
stillen Reserven auf Null reduziert; bei dem nachfolgenden weiteren Kursrückgang
wurde das 'tier-two'-Eigenkapital vorübergehend negativ.
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