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Das Barmer Haus in St. Jakob als Feldlager für Geologen
von Prof. Dr. Bernhard Schulz, TU Bergakademie Freiberg/Sachsen
Seit etlichen Jahren dient das Barmer Haus in St. Jakob in Defereggen als sommerliches Quartier
und Feldlager für Studierende der Geowissenschaften. Den späteren beruflichen Anforderungen
entsprechend schließt die akademische Ausbildung in den Geowissenschaften (die Fächer Geologie,
Mineralogie, Geophysik und Geographie) etliche mehrtägige Exkursionen und Geländekurse ein.
Für diese Lehrveranstaltungen außerhalb der Hörsäle und Labore bietet das Barmer Haus im Defereggental ein vorzügliches Quartier. Es wird von geowissenschaftlichen Instituten (z. B. Freiberg,
Erlangen, Göttingen, Osnabrück und auch Greifswald) seit vielen Jahren genutzt. So trifft jedes Jahr
Ende Juli eine 15-köpfige Studentengruppe von der TU Bergakademie Freiberg/Sachsen unter der
Leitung von Professor Bernhard Schulz in St. Jakob ein. Vom Barmer Haus aus werden dann jeweils eintägige Touren (Befahrungen wäre der entsprechende Bergmanns-Ausdruck) im Defereggental und in der weiteren Umgebung Osttirols vorgenommen. Die Ziele sind Felsaufschlüsse verschiedener Kristallingesteine sowie die eiszeitlichen Lockergesteine und Landschaftsformen. In den
Gemeinschaftsräumen des Barmer Hauses können die Studenten dann abends oder bei schlechtem
Wetter ihre Feldaufzeichnungen und Kartenaufnahmen ausarbeiten. Im Ort besteht auch eine ideale
Versorgungslage. Man kann sogar das Quartier selbst oder viele Befahrungsziele mit den öffentlichen Verkehrsmitteln erreichen.
Eines der bevorzugten Ziele bei
diesen Touren ist der Bereich
des Staller Sattels. Hier kann
man eine Vielzahl von Kristallingesteinen, tektonischen Strukturen und eiszeitlichen Formen
auf engem Raum und exemplarisch antreffen. Im Bereich der
Staatsgrenze einige Meter nördlich des Grenzübergangs stehen
unter dem Hammer hart und
splittrig brechende grünlichbräunliche quarzitische Paragneise an, die stellenweise von
weissen Quarzklüften durchzogen sind. Folgt man dem Weg
nach S entlang des Ackstallbachs so fallen einem in Gletscherschliffen und Felsabbrüchen immer wieder steilachsig
Einmessen von Gesteins-Strukturen mit dem Geologenkompass
(gardinenartig) verfaltete Glimmerschiefer und Paragneise auf. Auch an Felsen neben dem Heldenkreuz kann man die steilachsigen Falten erkennen. Diese Faltenstrukturen sind vor über 300 Millionen Jahren zur Zeit des Karbons bei der variskischen Gebirgsbildung, also lange vor dem Beginn der eigentlichen alpidischen
Gebirgsbildung entstanden. Letztere kam ab den Zeiten von Kreide und Tertiär (vor 100 Millionen
Jahren) in Gang. Am Nordufer des Obersees und entlang der Grenze am Weg zum Almerhorn begegnet einem der Ortho-Augengneis. Dieser hat auffallende bis 5 cm große weißgraue KalifeldspatKristalle ("Augen") die von der Schieferung umgeben sind. Bei diesem Gestein handelt es sich um
einen bei der variskischen Gebirgsbildung umgewandelten (metamorphen) ehemaligen Granit. Mit
Altersbestimmungen am Mineral Zirkon in diesem zu Gneis umgewandelten Granit ließ sich dessen
Erstarrungsalter vor rund 450 Millionen Jahren im Ordovizium bestimmen. Damit wird auch durch
moderne isotopische Altersbestimmungen deutlich, daß diese Gesteine am Staller Sattel einer vergleichsweise alten kontinentalen Kruste angehören. Seit langem wird dafür im Ostalpen-Raum die
traditionelle Bezeichnung "Altkristallin" verwendet.
Nördlich vom Augengneis entlang des Weges an der Schipiste aufsteigend begegnen einem erst einmal
nur wenige und schon gar keine besonders auffälligen Felsaufschlüsse. Dennoch aufgepaßt! Gerade
hier zieht sich eine sehr bedeutende tektonische Störungslinie in W-E-Richtung entlang. Es handelt
sich um die Defereggen-Antholz-Vals-Linie,
die von Mauls am Brenner bis zum Iseltal verfolgbar ist. Im Bereich der Staller Alm findet
sich sogar eine Trias-Dolomit-Schuppe. Der
Verlauf der Störung ist durch Mylonite, Phyllonite und Kataklasite markiert. Diese Gesteine
und damit der Verlauf der Störungslinie im
Gelände sind nur für besonders geschulte und
aufmerksame Geologen erkennbar. Anhand der
Strukturen in den Gesteinen läßt sich sogar
eine seitliche Verschiebung des nördlichen
Krustenblockes nach W ableiten. In einem
weiteren Bereich südlich der DefereggenAntholz-Vals-Linie finden sich auch Pseudotachylit-Gesteine als Zeugen ehemaliger
Erdbeben. Dieses spezielle Gestein und damit
die Krustenblock-Bewegung entlang der Störungslinie war auf ein Alter von 26 Millionen
Jahren datierbar.
Dokumentation von Kalksilikat-Linsen im Paragneis
Wenn man dann nördlich der Defereggen-Antholz-Vals-Linie etwas vom Weg nach E in Richtung der
ehemaligen Lifttrasse abweicht, fallen einem kleine Felsaufschlüsse mit harten hellweissen Gesteinen
auf. Große Hellglimmer glitzern hier hervor und stellenweise treten bis cm-große mattschwarze Turmalin-Kristalle auf. Bei diesen Gesteinen handelt es sich um mehr oder weniger stark geschieferte
Pegmatite, die zu permischer Zeit (vor etwa 260 Millionen Jahren) in die Paragneise des Altkristallins eingedrungen sind. Im weiteren Anstieg zur Jägerscharte
schließlich verläßt man die Gneise des Altkristallins
und findet in Blockschutt und Felsaufschlüssen massenweise die Granodiorite und Tonalite der Rieserferner-Intrusion. Ein großer Teil der Rieserferner-Gruppe
mit den Gipfeln von Hochgall und Almerhorn sind aus
diesen Gesteinen aufgebaut. Auch die Barmer Hütte
Faltenstruktur im Paragneis
steht auf Granodiorit. Das Erstarrungsalter der Rieserferner-Intrusion wurde auf 30 - 28 Millionen Jahre datiert, fällt also eindeutig in die Zeit der alpidischen Gebirgsbildung.
Dieser Weg vom Staller Sattel zum Almerhorn zeigt nur einen kleinen Ausschnitt der sehr abwechslungsreichen Geologie und Gesteinswelt Osttirols. Auf Touren zur Neuen Reichenberger Hütte oder
im Virgental und Großvenedigergebiet kann man ganz andersartige metamorphe Gesteine sehen. In
der Schobergruppe, in den Villgrater Alpen oder gar in den Lienzer Dolomiten (sie werden geologisch als Drauzug bezeichnet) dominieren wiederum andere Gesteins-Serien. Geologische Karten
bilden die wichtigste Informationsquelle für den an
Gesteinen und eiszeitlichen Bildungen interessierten
Alpenwanderer. Die Geologische Bundesanstalt von
Österreich in Wien bietet hierzu auf ihrer Homepage frei herunterladbare Kartenausschnitte und
Druckveröffentlichungen aus dem Jahrbuch der
Geologischen Bundesanstalt an. Allerdings ist die
Ortho-Augengneis vom Staller Sattel mit
im Jahre 1971 von W. Senarcles-Grancy aufge2 cm langen weißen Kalifeldspat-Klasten
nommene Geologische Karte der westlichen De-
feregger Alpen schon seit langem vergriffen. Auf Anfrage beim Autor verfügbar ist noch eine Geologische Karte der Lasörling-Gruppe zwischen Virgental und Defereggental sowie die eigenen Publikationen. Obwohl die geologische Kartenaufnahme in Osttirol noch lange nicht als abgeschlossen bezeichnet werden kann, ist der geowissenschaftliche Erforschungsstand dort auf einem auch international sehr respektablen Stand. Dies zeigen die zahlreichen Altersbestimmungen an den verschiedenen
Gesteinen und viele Veröffentlichungen zu allen Themen der Geowissenschaften. Die Geologen und
Geowissenschaftler finden also immer wieder neue und interessante Aspekte in Osttirol. Dazu tragen
auch die große Gastfreundschaft der Einheimischen und das Angebot passender Quartiere wie das
Barmer Haus entscheidend bei.
Die Gruppe mit Geologie-Studenten aus Freiberg/Sachsen und Gastforschern aus Brasilien am
Heldenkreuz
Anm. der Redaktion:
Dieser Beitrag ist in der Frühjahrsausgabe 2012 von Wuppertal Alpin erschienen.
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