Lebensmittelkonsum, Ernährung & Gesundheit

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Förderkonzept des Bioökonomierates
Lebensmittelkonsum,
Ernährung & Gesundheit
3
Zusammenfassung
In der Innovationspolitik der deutschen Bundesregierung nimmt die Bioökonomie heute eine zentrale
Stellung ein. Während das Bundesministerium für
Bildung und Forschung (BMBF) und das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL)
bereits seit nahezu zwei Jahrzehnten verschiedene
Teilgebiete der Bioökonomie, wie zum Beispiel die
Pflanzenforschung, intensiv fördern, wurde die sozialwissenschaftliche Forschung, insbesondere die
Konsum-, Verbraucher- und Verhaltensforschung, im
Bereich der Bioökonomie bisher nur unzureichend in
Fördermaßnahmen abgebildet. Der Bioökonomierat
empfiehlt, dass die Bioökonomie den Dialog mit den
Konsumenten und allen gesellschaftlichen Gruppen
von Anfang an sucht, intensiv begleitet und pflegt.
Dafür ist der Sektor Lebensmittel und Ernährung in
seiner Unmittelbarkeit in besonderer Weise geeignet. Grundlage für einen erfolgreichen Dialog ist jedoch eine sozialwissenschaftliche Forschung, die
Bedarf, Erwartung und Verhalten von Verbrauchern
ermittelt, analysiert und ein vielfältiges Instrumentarium sowie geeignete Kommunikationsformen
entwickelt, die nachhaltigere und gesundheitsförderliche Konsumformen unterstützen.
Das aktuelle Förderkonzept wurde von der Arbeitsgruppe Ernährung & Gesundheit um Prof. Dr. Hannelore Daniel, Prof. Dr. Lucia Reisch sowie Prof. Dr. Ulrich Hamm erarbeitet. Es wurde am 26.11.2013 vom
Bioökonomierat verabschiedet.
4
Förderkonzept
Lebensmittelkonsum, Ernährungsverhalten, Gesundheit
in der Nationalen Forschungsstrategie Bioökonomie 2030
1. Einleitung
Die Bioökonomie hält vielversprechende Lösungsansätze für die großen Herausforderungen der
Zukunft bereit.[1] Neue biologische und technologische Erkenntnisse und Verfahren für eine mengenmäßig ausreichende, qualitativ hochwertige und
nachhaltige Produktion sowie die Bereitstellung
und Verarbeitung von Biomasse können einen
grundlegenden Wandel der industriellen Rohstoffbasis bei Produkten und Produktionsprozessen
herbeiführen und zur Minderung der Belastung der
Umwelt und Schonung der endlichen Ressourcen
der Erde beitragen. Insofern kann die Bioökonomie
einen bedeutsamen Beitrag zur „Green Economy“
leisten. Ebenso bietet sie große Potentiale für die
nachhaltigere Lebensmittelproduktion, die globale
Ernährungssicherung und gesundheitsförderliche
Lebensstile. Diese Chancen sollten der Gesellschaft vermittelt werden – bei der gleichzeitigen
offenen und umfassenden Kommunikation möglicher Zielkonflikte oder gar Risiken. Das Verständnis
für Bioökonomie erfordert den Dialog zwischen
Politik, Zivilgesellschaft, Wirtschaft, Wissenschaft
und Bürgern. Auch die Medien spielen hier eine
prominente Rolle. Dabei kann und darf es nicht
um „Wissenschaftsmarketing“ oder „Akzeptanzbeschaffung“ für biobasierte Wirtschaft gehen,
sondern um eine ehrliche Auseinandersetzung
mit Chancen und Risiken, deren Bewertung und
Abwägung, letztlich also um das Schaffen von sozial robustem Wissen. Dazu werden gegenwärtig
neuartige Partizipations- und Dialogformen u. a. in
den Feldern Energie(-infrastruktur) und Nanotechnologie entwickelt und getestet; inwieweit sie auf
die Bioökonomie übertragbar sind, sollte geprüft
werden. Im Sektor Lebensmittel ist dies eine besondere Herausforderung, da Konsumenten in
Deutschland einerseits einen hohen Anspruch an
die Natürlichkeit der Produkte formulieren und
andererseits ein ausgeprägtes Preisbewusstsein
aufweisen. Der Sektor ist zudem wie nur wenige
andere Lebensbereiche emotionalisiert und von
einem hohen Maß an Entfremdung von der Produk-
Verzehr von zu wenig Obst, Gemüse
31%
Abendlicher Heißhunger
31%
Verzehr von zu viel Süßem
26%
Unregelmäßiges Essverhalten
26%
Zu wenig trinken
25%
Verzehr von zu fettem Essen
25%
Genuss von zu viel Kaffee
23%
Zu wenig Zeit zum Essen
23%
Zu einseitige Ernährung
22%
Kann Essen nicht ablehnen
22%
Esse oft zu viel
19%
Esse zu viel zwischendurch
18%
Muss zu oft alleine essen
15%
Konsum zu vieler süßer Getränke
15%
Verzehr von zu viel Fleisch
15%
Verzehr von zu vielen Fertiggerichten
11%
Richte mich beim Essen nach anderen
11%
Frust und Stress als Essensgründe
10%
Keine Defizite
15%
0%
5%
10%
15%
20%
25%
30%
Anteil der Befragten
35%
Quelle: IfD Allensbach; 2008; Deutschland; 4.000 Befragte zwischen 16 und 79 Jahren
Rubrik
Abb. 1: Selbsteinschätzung von Verbrauchern: Häufigstes Fehlverhalten bei der Ernährung
tion gekennzeichnet. Gleichzeitig bieten Lebensmittel und Ernährung jedoch in ihrer Mittlerfunktion
für viele Teilgebiete der Bioökonomie sowie für die
Ernährungssicherung und die menschliche Gesundheit ein zentrales Feld für die Kommunikation des
Verbrauchernutzens der Bioökonomie.
Der Bioökonomierat hat mehrere Themenbereiche
identifiziert, in denen politisches Handeln zur Unterstützung von Forschung und Entwicklung sowie
Umsetzung prioritär ist.[1] Auch für das Handlungsfeld Lebensmittel, Ernährung, Gesundheit hat er
Empfehlungen vorgelegt.[2] Diese behandeln Themen entlang der gesamten Lebensmittelkette: von
der Genese und Optimierung des Ertrags und der
Umweltfreundlichkeit ihrer Produktion (pflanzlicher
und tierischer Lebensmittel), über Technologien
und Maßnahmen zur Steigerung der Nachhaltigkeit
und der Ressourcenoptimierung in der Be- und
Verarbeitung bis zur Logistik und Vermarktung.
Was bisher aber nicht oder nur unzureichend in das
Themenfeld integriert wurde, sind die Forschungsansätze zum besseren Verständnis des Konsumentenverhaltens und seiner Werteordnung sowie
die Ansätze, wie dieses Verhalten im Sinne eines
nachhaltigeren Konsums und eines gesundheitsförderlichen Lebensstils zu beeinflussen sind.
2. Forschungsbedarf zu Konsum,
Ernährungsverhalten und Gesundheit
In vielen Teilgebieten der Bioökonomie kommt
dem Verbraucherverhalten zukünftig eine noch
größere Bedeutung zu. Im Lebensmittelsektor gilt
5
6
Milchprodukte
(z. B. Joghurt, Quark)
59,7%
59,2%
47,9%
48,4%
Koffeinhaltiger Kaffee
47,5%
46,8%
Teigwaren, Nudeln
39,9%
41,1%
Tafelschokolade
Salziges Knabbergebäck
32,5%
31,8%
Kekse, süßes
Knabbergebäck
31,3%
31,4%
Gemüse (Tiefkühltheke)
30,6%
31,1%
Tee in Aufgussbeuteln
29,8%
29,6%
Bio-Obst, -Gemüse
29,3%
28,5%
26,0%
26,6%
Gewürzsoßen
Backwaren zum Aufbacken
25,3%
25,0%
Bonbons, Fruchtgummi
24,5%
25,0%
Fisch (Tiefkühltheke)
24,4%
24,9%
22,7%
23,1%
Schokoladenriegel
Olivenöl
20,1%
19,8%
Müsli, Cornflakes
18,8%
19,0%
Geflügel (Tiefkühltheke)
18,1%
19,4%
Pudding, Dessertcreme
17,7%
18,6%
Fertiggerichte
(Tiefkühltheke)
16,5%
16,8%
Speiseeis
15,7%
15,9%
Fixprodukte
13,5%
14,2%
Pralinen
13,4%
13,9%
Fertigsuppen
12,5%
13,0%
Müsliriegel
12,2%
12,5%
Feinkostspezialitäten
11,5%
11,3%
11,4%
13,6%
Katzenfutter
Tomaten- oder Gemüsesaft
11,4%
11,4%
Hundefutter
11,4%
11,5%
Kakao, Kakaogetränke
10,5%
11,2%
Fertiggerichte
(nicht tiefgekühlt)
Koffeinfreier Kaffee
Diabetikerlebensmittel
Babykost
8,2%
8,7%
6,9%
7,2%
3,4%
3,6%
2,5%
2,7%
Abb. 2: Meistgekaufte Produkte und Lebensmittel
des täglichen Bedarfs in Deutschland 2012 (grün)
und 2013 (grau). Prozentwerte = Einkäufe der
befragten Haushalte innerhalb von 14 Tagen vor
dem Zeitpunkt der Umfrage. Quelle: IfD Allensbach
dies gleichermaßen für die Minderung der Lebensmittelverluste, der Nachhaltigkeit im Konsum und
einer insgesamt gesundheitsförderlichen Ernährungsweise. Gesunde, an den Lebensstil und die
Erwartungen der Konsumenten angepasste sowie
umweltverträgliche und dabei noch möglichst preisgünstige Lebensmittel können durch den Einsatz
modernster Technologien auf allen Ebenen der
Wertschöpfungskette erhalten werden. Im Lebensmittelbereich stehen die Verbraucher jedoch neuen
Technologien mit besonderer Skepsis gegenüber.
Der Verbraucherwunsch nach möglichst naturbelassenen Lebensmitteln aus traditioneller Produktion
(wie vielfach auch durch die Werbung zu Unrecht
suggeriert) trifft hier auf nur ungenaue Kenntnisse
von Verfahren und Techniken der heutigen Lebensmittelerzeugung. Ein Bewusstsein dafür, dass moderne Methoden der Lebensmittelproduktion dem
Konsumenten durchaus dienlich sein können und
bereits häufig vorkommen, ist kaum vorhanden. So
sind beispielsweise die zunehmend nachgefragten
laktosefreien Milchprodukte nur durch technologische Verfahren herstellbar. Darüber hinaus wird
die Lebensmittelauswahl durch viele emotionale
Faktoren sowie soziale und sensorische Prägungen
beeinflusst. Rationale Entscheidungsprozesse auf
Grundlage wissenschaftlich basierter Informationen
spielen hier oftmals nur eine untergeordnete Rolle.
In Bezug auf Ernährungsinformation und -beratung
kommt hinzu, dass die semiwissenschaftliche Ratgeberliteratur keineswegs nur hilfreich ist, sondern
Moden und Trends zu folgen scheint, was auch
interessierte und willige Konsumenten auf Dauer
verwirrt und demotiviert. Elemente einer effektiven
und effizienten Ernährungspolitik zu entwickeln, die
das Ernährungsverhalten sowohl nachhaltiger als
auch gesundheitsförderlicher macht, ist daher eine
der größten Herausforderungen.
Das Lebensmittelangebot in Deutschland war noch
nie so vielfältig, sicher und preiswert wie heute.
Jedoch führt die ubiquitäre Verfügbarkeit aller Arten
von Lebensmitteln und Getränken in Verbindung mit
einem oftmals bewegungsarmen Lebensstil zu kalorischer Überernährung mit zum Teil gravierenden
negativen gesundheitlichen Folgen. Diese zeigen
sich im Formenkreis der Adipositas und den mit ihr
verbundenen Folgeerkrankungen wie Typ 2-Diabetes, Herz-Kreislauf-Erkrankungen sowie diversen Tumorerkrankungen. Gesundheitsförderliche Lebens-
7
führung und Ernährungsweise zeigen dabei auch
enge Bezüge zum Bildungsstand. Um ein besseres
Verständnis jener Mechanismen zu erhalten, die
Verbraucherentscheidungen im Sektor Lebensmittel, Ernährung und Gesundheit maßgeblich prägen,
ist die Konsum- und Verhaltensforschung mit ihren
sozioökonomischen und kulturwissenschaftlichen
Ansätzen zu intensivieren und als ein übergeordneter Forschungsschwerpunkt zu formulieren.
Was einen solchen Schwerpunkt in besonderem
Maße kennzeichnet, ist die notwendige enge Verschränkung unterschiedlichster Wissenschaftsbereiche. Die häufig noch in ihren unterschiedlichen
Fächerkulturen verhafteten Sozial- und Naturwissenschaften fördern bisher nicht ausreichend
die notwendigen Lernprozesse auf beiden Seiten.
Dies gilt gleichermaßen für die Akteure der Wissenschaft und in den Trägereinrichtungen der
öffentlichen Forschung. Bei der Bearbeitung dieser
Forschungsfragen im Herz der Bioökonomie sollten
daher in Konsortien auch „Unusual alliances“ gewagt werden, die – mit festgelegter Arbeitsteilung
und Verantwortung – Akteure der Zivilgesellschaft
und Unternehmen einbinden. Eine stärkere Vernetzung der bestehenden Forschungseinrichtungen
und die intensivere Förderung inter- und transdisziplinärer Forschungsstrukturen sind hier dringend
erforderlich.
Eine bessere Einbindung der nationalen Großforschungseinrichtungen in das Themenfeld „Lebensmittel, Ernährung, Gesundheit“, insbesondere was
die sozialwissenschaftliche Forschung angeht, ist
ebenfalls anzustreben. Sinnvoll wäre zudem ein
Schulterschluss mit der sich gerade neu institutionalisierenden Verbraucherforschung in Deutschland (vgl. insbesondere: Netzwerk Verbraucherforschung des BMEL; Netzwerk Verbraucherforschung
Baden-Württemberg; Kompetenznetzwerk Verbraucherforschung NRW) sowie mit der Deutschen Agrarforschungs-Allianz (DAFA), insbesondere dem
Cluster „Gesellschaft“. Ebenfalls relevant ist die
sozialwissenschaftliche Nachhaltigkeitsforschung
(FONA), vor allem die Sozialökologische Forschung
(SÖF). Diese beschäftigt sich seit über einem Jahrzehnt unter anderem mit Fragen der Partizipation,
Risikowahrnehmung, Akzeptanz und des Engagements – Themen, die im Rahmen der Bioökonomie
zentral sind. Aus den genannten Forschungsprogrammen und -initiativen sind nicht nur thematische Anknüpfungspunkte zu erwarten (z. B. Tierwohl – Tierschutzlabel – Tierschutz als Nachhaltigkeitsdimension), sondern auch wichtige methodische Ansätze und Erweiterungen, die andere Disziplinen und Forschungsfelder entwickelt haben. Zu
denken wäre hier an experimentelle Ansätze der
Verhaltensökonomik und der Umweltpsychologie
(Labor- und Feldexperimente, natürliche Experi-
Romantik und Realität: Nicht immer haben Verbraucher ein klares Bild von der Lebensmittelerzeugung.
8
Innovationsaufwendungen in Milliarden Euro
3
2,5
2,13
2,37
2,27
2
2,22
2,18
2012
2013*
1,79
1,5
1
0,5
0
2008
2009
2010
2011
Abb. 3: Innovationsaufwendungen der deutschen Nahrungsmittelindustrie in den Jahren 2008 bis 2013
*Schätzung; Quelle: ZEW
(in Milliarden Euro)
mente) sowie innovative Messansätze der Neurowissenschaften. Ebenso hilfreich könnten partizipative Methoden der Akzeptanzforschung sein wie
auch „Nutzer-integrierende“ Ansätze der Innovationsforschung. Ein weitgehend unerforschtes Feld
ist auch der Einfluss neuer Anwendungsmöglichkeiten der Informationstechnologie (z. B. Apps, QRCodes) sowie der Einfluss von sozialen Netzwerken
auf das Kauf- und Ernährungsverhalten von Verbrauchern. Insbesondere den Fragen, ob und wie
gesundheitsförderliche und nachhaltige Ernährungsweisen durch IT-Anwendungen unterstützt
werden können, sollte intensiv nachgegangen werden, sind doch mit neuen Medien auch Zielgruppen
zu erreichen, die über die traditionellen Formen der
Informationsübermittlung nicht erreichbar sind.
Konsumenten sind vielfältigen Einflüssen ausgesetzt, die gezielt auf ihr Einkaufs-, Ernährungs- und
Gesundheitsverhalten einwirken. Während im kommerziellen Sektor sehr anspruchsvolle und weitreichende Forschungsansätze entwickelt wurden und
ein unermessliches Datenmaterial vorliegt, ist die
öffentliche Konsum- und Verhaltensforschung in
Deutschland bisher nur unzureichend präsent. Hier
besteht dringender Bedarf zum Ausbau einer leistungsfähigen öffentlichen Konsum- und Verhaltensforschung, die unter anderem auch Längsschnittstu-
dien zum Verbraucherverhalten durchführt, regelmäßig Haushaltspaneldaten auswertet und Szenarien
entwickelt, wie im Sinne öffentlicher Gesundheitsvorsorge das Konsumverhalten gefördert werden
kann. Hier sind insbesondere auch internationale
Vergleiche hilfreich sowie die Implementierung koordinierter, grenzüberschreitender Programme. Effektivität und Effizienz von Maßnahmen zur Förderung
eines gesundheitsförderlichen Ernährungsverhaltens werden selten geprüft. Meist sind die Vorhaben
zum Lebensstileingriff nur auf kurze Erfassungszeiträume und interventionell ausgerichtet und besitzen
daher vorwiegend nur Kampagnen-Charakter. In ihrer eminenten Bedeutung für den notwendigen gesellschaftlichen Wandel hin zu einem gesundheitsförderlichen Ernährungsverhalten und Lebensstil
müssen neue Instrumente und Verfahren erprobt
und wissenschaftlich auf ihre Wirksamkeit (evidence-based) geprüft werden. Das gilt auch für die
Instrumente der Politik.Dazu sollten in Deutschland
Programme etabliert werden, die die Erfahrungen
aus anderen Ländern nutzen und eine vergleichende
Bewertung erlauben.[4]
• Im angloamerikanischen Raum werden seit einiger Zeit Politikinstrumente des „Nudging“ (insbesondere: Defaults, soziale Normen, Framing)
und der gesundheitsfördernden „Architektur
9
250
Angaben in Milliarden Euro
200
183,96
176,30 178,51 177,49 177,21 179,08 181,20
198,56
191,45 194,42
207,36
214,66
150
100
50
0
2001
2002
2003
2004
2005
2006
2007
2008
2009
2010
2011
2012
Abb. 4: Konsumausgaben privater Haushalte in Deutschland für Nahrungsmittel, Getränke und
Quelle: Statistisches Bundesamt
Tabakwaren in den Jahren 2001 bis 2012 (in Milliarden Euro)
der Wahl“[5],[6] zur Förderung eines umwelt- und
gesundheitsbewussten Kauf- und Konsumverhaltens untersucht und praktisch erprobt.
Die Ansätze sind vielversprechend, über ihre
Übertragbarkeit und langfristige Wirksamkeit ist
jedoch noch wenig bekannt.
• Im Rahmen einer begleitenden Politikwirkungsforschung (ex ante, ex interim und ex post)
sollten Maßnahmen und Verfahren auf ihre
Wirksamkeit und Kosteneffizienz überprüft werden. So haben beispielsweise in Großbritannien
die Arbeiten der „Behavioural Insights Unit“ der
Regierung gezeigt, dass ein Vorab-Test der Verständlichkeit und Attraktivität eines staatlichen
Programmes zur Steigerung der Energieeffizienz
in Haushalten durch die Konsumenten selbst
Optimierungen des Programmes erlaubten, die
die Inanspruchnahme der angebotenen Optionen
deutlich erhöhte. Auch in den USA wurde jüngst
ein solches Behavioral Insight Team im Weißen
Haus eingerichtet.
• Neben Fokusgruppen und Pilotstudien kommen
auch „natürliche Experimente“ infrage, die die
Wirkung übergeordneter Ereignisse auf die Lebensumwelt des Menschen untersuchen. Als Teil
der Konsum- und Gesundheitsforschung lassen
sich Maßnahmen und Instrumente identifizieren
und in ihrer Wirksamkeit prüfen, die zu günstigen
Veränderungen der Konsumgewohnheiten und
Lebensstile beitragen können. Die intendierten
und nicht intendierten Effekte von Belohnungssystemen (Anreize versus Gebühren) oder von
staatlichen Lenkungsmaßnahmen (z. B. Besteuerung hochkalorischer Lebensmittel; Re-gulierung von Portionsgrößen; Auslistung von Produkten) können durch Analyse der Wirkungen in anderen Ländern („Frontrunner“) abgeschätzt
werden. Gute Beispiele und Schlüsselerfolgsfaktoren können in vergleichenden Studien identifiziert werden.
Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass der
Sektor Lebensmittel, Ernährung und Gesundheit
viele Teilgebiete der Bioökonomie verbindet und
diese mit den hier formulierten Forschungszielen
sehr nahe an die Verbraucher bringt. Konsumenten
in ihrem Verhalten als Marktteilnehmer besser zu
verstehen, bedarf einer intensivierten sozial-, kultur- und verhaltenswissenschaftlichen Forschung.
Im Spannungsbogen von Konsumentenerwartungen und nachhaltiger Förderung eines umwelt- und
gesundheitsbewussten Konsumverhaltens stellt
das Themenfeld jedoch auch eine große Herausforderung für die Kommunikation der Bioökonomie
10
dar, die in neuer Qualität eine konzertierte Aktion
der Akteure aus Wissenschaft, Wirtschaft, Politik
und Zivilgesellschaft einfordert.
3. Z usammenfassung des identifizierten Forschungsbedarfs im Themenfeld
• S tärkung der öffentlichen Konsum- und Verhaltensforschung mit Schwerpunkt „biobasierte
Produkte“
• A nalyse der Klimarelevanz des Einkaufs- und
Ernährungsverhaltens von Verbrauchern
• A nalyse der Wirkung von neueren IT-Anwendungen auf ein gesundheitsförderliches und
nachhaltiges Kauf- und Ernährungsverhalten von
Verbrauchern
• Entwicklung und wissenschaftliche Begleitung
von „Nudging-Ansätzen“
• S tudien zur Effektivität ökonomischer Anreizsysteme, um Verbraucherverhalten (Gesundheit
oder Umweltverträglichkeit) dauerhaft zu verändern (z. B. Prämien versus Steuern/Gebühren)
4. Literatur
• Verbesserung der Daten- und Bewertungsgrundlage durch Längsschnittstudien zum Verbraucherverhalten sowie regelmäßige Erhebung und
Auswertung von Haushaltspaneldaten (national
und international)
[1] Bioökonomierat 2013, Eckpunktepapier,
www.biooekonomierat.de
[2] Bioökonomierat 2012, Die Zukunft im Sektor
Lebensmittel, Ernährung und Gesundheit,
www.biooekonomierat.de
• P rüfung der Effektivität/Effizienz von Maßnahmen zur Promotion eines gesundheitsförderlichen Ernährungsverhaltens einschließlich
vergleichender Politikwirkungsforschung
[3] G
ortmaker, S. et. al., 2011, Changing the future
of obesity: science, policy and action. The Lancet,
Volume 378, Issue 9793, Pages 838 - 847
• W issenschaftliche Evaluierung von „natural
experiments“ sowie Implementierung und wissenschaftliche Bewertung von Feldversuchen
zur Entwicklung eines gesundheits- und/oder
umweltverträglichen Konsumverhaltens
[5] Thaler, RH, Sunstein, CR, 2009, Nudge: Improving
Decisions About Health, Wealth and Happiness,
Penguin, ISBN-13: 978-0141040011
[4] E
U, 2010, http://ec.europa.eu/research/bioeconomy/pdf/vision_paper_oct2010_pagination.pdf
[6] Wansink, B., 2014, Slim by design – mindless
eating solutions for everyday life, William Morrow,
ISBN-13: 978-0062136527
Verbraucherverhalten ist ein wichtiger Faktor auf dem Weg in die biobasierte Wirtschaft.
Impressum
Autoren: Prof. Dr. Hannelore Daniel,
Prof. Dr. Lucia Reisch, Prof. Dr. Ulrich Hamm
Herausgeber:
Geschäftsstelle des Bioökonomierates
Dr. Patrick Dieckhoff
c/o BIOCOM AG
Lützowstraße 33-36
10785 Berlin
Gestaltung: Sven-Oliver Reblin, Berlin
Bilder: Daniel Etzold/Fotolia.com (Titel),
Maceo/Fotolia.com (S. 2),
4774344sean/istockphoto.com (S. 4),
Visions/Fotolia.com, endostock/Fotolia.com (S. 7),
Art Allianz/istockphoto.com (S. 10)
Berlin, 31.01.2014
Klimaneutral gedruckt
www.biooekonomierat.de
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