Erste Hilfe in Analysis - ReadingSample - Beck-Shop

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Erste Hilfe in Analysis
Überblick und Grundwissen mit vielen Abbildungen und Beispielen
Bearbeitet von
Oliver Deiser
2012 2012. Taschenbuch. IV, 248 S. Paperback
ISBN 978 3 8274 2994 0
Format (B x L): 16,8 x 24 cm
Weitere Fachgebiete > Mathematik > Mathematische Analysis
Zu Inhaltsverzeichnis
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Kapitel 2
Die reellen und komplexen Zahlen
O. Deiser, Erste Hilfe in Analysis, DOI 10.1007/978-3-8274-2995-7_2,
© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2012
40
2. Die reellen und komplexen Zahlen
2. 1 Irrationale Zahlen
兹
=
1
x
Die alten Griechen kannten bereits arithmetische und geometrische Beweise dieses
Satzes. Das klassische Argument, das sich
insbesondere bei Euklid findet, ist:
2
Satz (Irrationalität der Quadratwurzel aus 2)
Sei d die Länge der Diagonalen des Einheitsquadrats. Dann ist d keine rationale
Zahl, d. h., es gilt d ≠ n/m für alle
(1, 1) ∈ ⺡2
natürlichen Zahlen n, m.
1
⺡
Ein arithmetischer Beweis
Wir nehmen an, dass d = n/m für natürliche Zahlen n und m gilt. Durch Kürzen des
Bruchs n/m dürfen wir weiter annehmen, dass n und m nicht beide gerade sind.
Nach dem Satz des Pythagoras gilt d2 = 1 + 1, also n2 /m2 = 2. Also ist
n 2 = 2 m2
und damit ist n2 gerade. Dann ist aber auch n gerade, da das Quadrat einer ungeraden Zahl ungerade ist. Folglich ist n2 durch 4 teilbar. Wegen m2 = n2 /2 ist also m2
durch 2 teilbar, also ist m2 gerade. Folglich ist auch m gerade, Widerspruch !
Der Satz des Pythagoras liefert die entscheidende Gleichung 2 m2 = n2 . Durch eine
zahlentheoretische Argumentation mit geraden und ungeraden Zahlen können wir dann
zeigen, dass n und m beide gerade sein müssen, was der Annahme der Teilerfremdheit von
n und m widerspricht. (Der Leser vergleiche dazu auch den induktiven Beweis in 1. 12.)
Für die Analysis ist das Ergebnis von fundamentaler Bedeutung. Sie benötigt ein Modell für ein Kontinuum, das alle in mathematischen Konstruktionen auftretenden Punkte
einer Linie beschreiben kann. Der Satz zeigt:
Die rationalen Zahlen sind kein geeignetes Modell für ein Kontinuum.
Da zwischen zwei rationalen Zahlen p und q immer noch eine weitere rationale Zahl liegt,
etwa (p + q)/2, besitzt ⺡ einen scheinbar kontinuierlichen Charakter. Und doch fängt die
„Linie“ ⺡, obwohl sie dicht mit Punkten bestückt ist, nicht alle Größen ein, die in der Mathematik auftreten. Übertragen wir wie im Diagramm oben die Diagonale des Einheitsquadrats auf die x-Achse, so treffen wir dort keine rationale Zahl an. Diese Lücke lässt sich
funktional als „Fehlen von Nullstellen“ formulieren:
Beispiel
Sei f : ⺡ → ⺡ mit f(q) = q2 − 2 für alle q ∈ ⺡. Es gilt
f(q) = −2 < 0 und f(2) = 2 > 0.
Aber die Funktion f besitzt keine Nullstelle, da aus f(q) = 0 folgen würde, dass
q2 = 2, was für q ∈ ⺡ nach dem Satz ausgeschlossen ist.
2. 1 Irrationale Zahlen
41
Erst wenn wir die reellen Zahlen zugrundelegen, können wir den allgemeinen Zwischenwertsatz beweisen, der für eine stetige Funktion die Existenz einer Nullstelle sichert, falls die Funktion sowohl negative als auch positive Werte annimmt (vgl. 5. 8).
Es gibt viele weitere irrationale Zahlen. Mit w = 兹2 ist zum Beispiel auch
w* = 兹w =
4
兹2
irrational. Denn wäre w* rational, so wäre auch w* ⋅ w* = w rational, da das Produkt zweier
rationaler Zahlen rational ist. Induktiv zeigt die Überlegung, dass die Zahlen
2
兹2,
4
兹2,
8
兹2,
16
兹2,
32
兹2, …
irrational sind. Damit haben wir unendlich viele irrationale Zahlen gefunden. Den Griechen war neben der Irrationalität von 兹2 auch bekannt, dass die Zahlen
兹3, 兹5, 兹6, 兹7, 兹8, 兹10, 兹11, 兹12, 兹13, 兹14, 兹15, 兹17
irrational sind. Warum sie bei 17 aufgehört haben, ist nicht restlos geklärt, aber die Liste legt
die Vermutung nahe, dass die Quadratwurzel
einer natürlichen Zahl n immer irrational ist,
wenn n keine Quadratzahl 1, 4, 9, 16, 25, 36, …
ist. Von Gauß stammt ein Satz, der diese Vermutung − und viel mehr − beweist:
1
1
x4
1
x3
x2
1
1
x17
x16
Satz (Satz von Gauß)
Seien a0 , …, ak − 1 ∈ ⺪ und sei x ∈ ⺢ mit
xk + a k − 1 xk − 1 + … + a1 x1 + a 0 = 0.
Dann ist x eine ganze Zahl oder irrational.
Eine geometrische Erzeugung von xn = 兹n für
n = 2, 3, 4, … Ab n = 18 überlappt sich die
Schnecke, was eine Erklärung für die historische Rolle von 兹17 sein könnte.
Beispiele
Die Gleichung x2 = 17 hat keine ganzzahligen Lösungen. Also ist die Zahl 兹17,
eine Lösung der Gleichung, irrational. Ebenso zeigt der Satz von Gauß für die
Gleichung x3 = 3, dass 3 兹3 irrational ist.
Weiß man, dass die rationalen Zahlen durch endliche oder periodisch unendliche Dezimaldarstellungen charakterisiert sind (vgl. 2.8 und 4.4), so ist es einfach, spielerische Beispiele für irrationale Zahlen zu erzeugen:
Beispiele
Die unendlichen Dezimalbrüche
0,101001000100001…, 0,010011000111…, 0,13579111315171921…
sind nicht periodisch, stellen also irrationale Zahlen dar. Im Gegensatz zu 兹2 haben
diese Zahlen aber keine offensichtliche geometrische oder analytische Bedeutung.
Sie wurden konstruiert, um irrational zu sein.
42
2. Die reellen und komplexen Zahlen
2. 2 Algebraische und transzendente Zahlen
Definition (algebraische und transzendente Zahlen, ⺑)
Eine reelle Zahl x heißt algebraisch, falls
rationale Zahlen a0 , …, ak mit ak ≠ 0
existieren, sodass
ak xk + ak − 1 xk− 1 + … + a1 x + a0 = 0.
10
2
f
1
5
5
Wir setzen
1
⺑ = { x ∈ ⺢ | x ist algebraisch }.
2
Eine reelle Zahl x heißt transzendent,
falls x nicht algebraisch ist.
10
Die algebraischen Zahlen sind die Nullstellen von
Polynomen mit rationalen Koeffizienten. Auch die
Funktion f, die um die 0 herum wie der Sinus aussieht, ist ein solches Polynom (nämlich die TaylorApproximation 21. Grades des Sinus im Nullpunkt,
vgl. 7.12). Die erste positive Nullstelle p von h ist
Es ist wichtig, nur rationale Koeffizienten a0 , …, ak zuzulassen. Denn a ist eine
Lösung von x − a = 0, sodass also jede
p = 3,14159265360…, während
reelle Zahl trivialerweise die Lösung einer
π = 3,14159265358…
algebraischen Gleichung mit reellen Koeffizienten ist. Dagegen erhalten wir die gleiche Menge ⺑, wenn wir nur ganzzahlige
Koeffizienten betrachten. Multiplizieren wir nämlich die rationalen Koeffizienten a0 ,
…, ak einer Gleichung mit ihrem gemeinsamen Hauptnenner, so erhalten wir eine neue
Gleichung mit ganzzahligen Koeffizienten, die dieselben Lösungen wie die ursprüngliche Gleichung besitzt.
Beispiele
(1) Die Gleichungen der Form a x − b = 0 mit ganzen Zahlen a und b, a ≠ 0,
zeigen, dass jede rationale Zahl algebraisch ist.
(2) Die Gleichung x2 − 2 = 0 zeigt, dass 兹2 und − 兹2 algebraisch sind. Damit ist
insbesondere ⺑ eine echte Obermenge von ⺡.
(3) Allgemeiner als (2) sind alle reellen Lösungen von Gleichungen zweiten Grades
x2 + b x + c = 0
mit rationalen Koeffizienten b und c algebraisch. Nach der Lösungsformel für
quadratische Gleichungen sind dies im Fall einer nichtnegativen Diskriminante
b2 − 4c genau die Zahlen
−b ± 兹b2 − 4 c
x1, 2 =
.
2
(4) Die Lösungen von
x5 + 3 x 4 − 2 x 2 + x − 1 = 0
sind algebraisch. Das obige Diagramm zeigt den Graphen des zugehörigen
Polynoms f : ⺢ → ⺢, f(x) = x5 + 3 x4 − 2 x2 + x − 1 für alle x.
2. 2 Algebraische und transzendente Zahlen
43
Auf die Menge ⺑ haben wir keinen so guten Zugriff wie auf ⺡, weil es uns an einfachen
Darstellungen wie n/m oder Charakterisierungen wie der Periodizität der Dezimaldarstellung mangelt. Lösungsformeln stehen nur noch für die Grade 3 und 4 zur Verfügung,
danach müssen wir meistens Näherungsverfahren einsetzen, um Lösungen zu berechnen.
Allerdings kann man zeigen, dass Summe, Differenz, Produkt und Quotient zweier algebraischer Zahlen wieder algebraisch sind. Wir können also in ⺑ frei rechnen, ohne ⺑ zu
verlassen. Zusammen mit den Polynomfunktionen, deren Graphen uns die algebraischen
Zahlen als Nullstellen vor Augen führen, entsteht so doch mit der Zeit ein Gefühl für die
Natur dieser Zahlenmenge.
Gibt es überhaupt transzendente Zahlen oder sind alle reellen Zahlen algebraisch?
Frühe Kandidaten für transzendente Zahlen waren die Kreiszahl π und die Eulersche
Zahl e. Johann Lambert vermutete die Transzendenz dieser Zahlen in der Mitte des
18. Jahrhunderts, als ihm ein Beweis der Irrationalität von π gelang. Aber es waren nicht
π oder e, sondern spielerisch konstruierte irrationale Zahlen, die zuerst als transzendent
erkannt wurden. Joseph Liouville bewies Mitte des 19. Jahrhunderts, dass die „künstliche“ reelle Zahl
0,1100010000000000000000001…,
in der die Einsen nur an den Nachkommastellen
1 ! = 1, 2 ! = 1 ⋅ 2 = 2, 3 ! = 1 ⋅ 2 ⋅ 3 = 6, 4 ! = 1 ⋅ 2 ⋅ 3 ⋅ 4 = 24, …
auftreten, transzendent ist. Seine Methoden wurden von Charles Hermite und Ferdinand
von Lindemann aufgegriffen, sodass e und π als transzendent nachgewiesen werden konnten. Heute weiß man viel über transzendente Zahlen, aber nicht alles:
Beispiele
(1) Transzendent sind:
e, π, e2 , π2 , e兹2 , 2兹2 , eπ , sin(3 兹3), log(1/3).
(2) Es ist unbekannt, ob π + e = 5,859874482048838473822… transzendent ist.
Durch den Nachweis der Transzendenz von π wurde zugleich auch ein Jahrtausende
altes Problem gelöst. Denn man kann zeigen, dass alle Zahlgrößen, die sich aus einer gegebenen Einheitsstrecke mit Zirkel und Lineal konstruieren lassen, algebraisch sind.
Folglich lässt sich ein Kreis mit Radius 1 nicht mit Zirkel und Lineal in ein flächengleiches
Quadrat verwandeln. Denn dieses Quadrat hätte die Seitenlänge s = 兹π. Die reelle Zahl
s und damit auch π = s2 wäre dann algebraisch, was nicht der Fall ist. Die „Quadratur des
Kreises“ ist also unmöglich.
Insgesamt gilt wie für die rationalen Zahlen:
Die algebraischen Zahlen sind kein gutes Modell für ein Kontinuum.
In der folgenden Sektion werden wir sehen, dass wir mit ⺑ von ⺢ nicht nur ein paar
Schritte, sondern Lichtjahre entfernt sind.
44
2. Die reellen und komplexen Zahlen
2. 3 Abzählbarkeit und Überabzählbarkeit
Definition (endlich, abzählbar, überabzählbar)
Eine Menge M heißt
(a) endlich, falls es eine Bijektion f : { 0, … n − 1 } → M für ein n ∈ ⺞ gibt,
(b) abzählbar unendlich, falls es eine Bijektion f : ⺞ → M gibt,
(c) abzählbar, falls M endlich oder abzählbar unendlich ist,
(d) überabzählbar, falls M nicht abzählbar ist.
⺞
f
M
0
x0
1
x1
2
x2
3
x3
⺞
M
x0
x1
x2
x3
0
1
2
3
xn
n
…
…
xn
n
…
…
Eine abzählbar unendliche Menge M (links) kann in eine 1-1-Korrespondenz
mit ⺞ gebracht werden. Bei einer überabzählbaren Menge M (oben) existieren
für jede Funktion f : ⺞ → M Elemente von M, die nicht im Bild von f liegen.
Endliche Mengen lassen also eine Darstellung M = { x 0 , …, x n − 1 } zu, abzählbaren Mengen eine Darstellung M = { x 0 , …, x n , … } (vgl. 1. 6). Die Elemente einer abzählbaren
Menge können also mit den natürlichen Zahlen „vollständig durchgezählt“ werden.
Beispiele
(1) ⺪ ist abzählbar : 0, 1, −1, 2, −2, 3, −3, …
(2) ⺡ ist abzählbar:
0/1, 1/1, −1/1, 2/1, −2/1, 1/2, −1/2, 3/1, −3/1, 1/3, −1/3,
4/1, −4/1, 3/2, −3/2, 2/3, −2/3, 1/4, −1/4, …
Hier zählen wir alle gekürzten Brüche nach der Summe der Beträge von Zähler
und Nenner auf.
(3) Die Menge aller algebraischen Gleichungen mit ganzzahligen Koeffizienten ist
abzählbar:
x = 0, x + 1 = 0, x − 1 = 0, x + 2 = 0, x − 2 = 0, 2 x + 1 = 0,
−2 x + 1 = 0, x2 = 0, − x2 = 0, 2 x − 1 = 0, − 2 x − 2 = 0, x2 + 1 = 0, …
Wir ordnen hier die Gleichungen nach der Summe k + |a0 | + … |ak | ihres
Grades und der Beträge ihrer Koeffizienten.
(4) ⺑ ist abzählbar : Wir ersetzen in der Abzählung in (3) jede Gleichung durch ihre
endlich vielen Nullstellen und streichen Wiederholungen.
2. 3 Abzählbarkeit und Überabzählbarkeit
45
Nun würde man vielleicht vermuten, dass auch die Menge der reellen Zahlen abzählbar ist. Unendlich ist scheinbar gleich unendlich, und damit gibt es scheinbar
ebenso viele natürliche Zahlen wie rationale wie algebraische wie reelle Zahlen. Durch
das sog. Cantorsche Diagonalverfahren lässt sich aber überraschend einfach zeigen, dass
die reellen Zahlen nicht abzählbar sind. Hierzu betrachten wir eine beliebige Folge
reeller Zahlen x 0 , x 1 , …, x n , … und schreiben in Dezimaldarstellung:
x 0 = ± a0 , d0,0 d0,1 d0,2 …
x 1 = ± a1 , d1,0 d1,1 d1,2 …
x 2 = ± a2 , d2,0 d2,1 d2,2 …
…
d3,3
d4,4
Nun betrachten wir die Diagonale der
Nachkommastellen des Diagramms und
definieren für alle n:
⎧
⎭
6,
falls dn,n = 7,
⎫
bn =
⎩
7,
falls dn,n ≠ 7.
dn,n
Nun setzen wir in Dezimaldarstellung
x* = 0, b0 b1 b2 …
Die Zahl x* ist nach Konstruktion von allen x 0 , x 1 , x 2 , … verschieden. Damit ist es also
unmöglich, die reellen Zahlen abzuzählen. Wir haben bewiesen:
Satz (Überabzählbarkeit der reellen Zahlen)
Sind x 0 , x 1 , …, x n , … reelle Zahlen, so gibt es eine reelle Zahl x*, die von allen x n
verschieden ist. Die reellen Zahlen sind also überabzählbar.
Die reellen Zahlen nehmen eine höhere Unendlichkeitsstufe ein als die Mengen ⺞, ⺡
und ⺑, die sich alle auf der Stufe der abzählbaren Unendlichkeit befinden. Weiter gilt:
⺢ entsteht nicht aus ⺑ durch Hinzunahme von abzählbar vielen Zahlen.
Denn ist ⺑ = { a0 , a1 , a2 , … } und X = { x 0 , x 1 , x 2 , … } eine Menge von „neuen“ Zahlen, so
ist die Menge
A ∪ X = { a 0 , x 0 , a1 , x 1 , a 2 , x 2 , … }
abzählbar und damit von ⺢ verschieden. ⺢ wird also nicht dadurch erzeugt, indem wir
zu ⺑ eine Handvoll transzendenter Zahlen wie e, π, e2 , π2 , eπ , … hinzunehmen. Die
Menge ⺢ − ⺑ der transzendenten Zahlen ist überabzählbar und damit sind „alle bis auf
abzählbar viele“ reelle Zahlen transzendent − so schwer es auch ist, einzelne Zahlen als
transzendent zu erkennen. Das Kontinuum ist umfassender, komplizierter und geheimnisvoller, als man meinen möchte.
46
2. Die reellen und komplexen Zahlen
2. 4 Die Körperaxiome
Definition (Körper)
Sei K eine Menge, und seien +, ⋅ : K2 → K. Weiter seien 0, 1 ∈ K. Dann heißt
(K, +, ⋅) oder kurz K ein Körper mit additiv neutralem Element 0 und multiplikativ
neutralem Element 1, falls für alle x, y, z ∈ K gilt:
(K1)
x + (y + z) = (x + y) + z,
(K2)
x + 0 = x,
(K3)
es gibt ein x′ mit x + x′ = 0,
(K4)
x + y = y + x,
(K5)
x ⋅ (y ⋅ z) = (x ⋅ y) ⋅ z,
(K6)
x ⋅ 1 = x,
(K7)
falls x ≠ 0 : es gibt ein x′ mit x ⋅ x′ = 1,
(K8)
x ⋅ y = y ⋅ x,
(K9)
x ⋅ (y + z) = (x ⋅ y) + (x ⋅ z),
(Assoziativgesetz für +)
(Neutralität von 0)
(Inverse für +)
(Kommutativgesetz für +)
(Assoziativgesetz für ⋅)
(Neutralität von 1)
(Inverse für ⋅)
(Kommutativgesetz für ⋅)
(Distributivgesetz)
(K10) 0 ≠ 1.
Ein Körper ist also eine mit einer Addition, einer Multiplikation und zwei speziellen Elementen ausgestattete Menge, sodass
die Körperaxiome (K1) − (K10) gelten. Wir
schreiben wie üblich x + y statt +(x, y) und
x ⋅ y oder x y statt ⋅ (x, y). Der Leser beachte,
dass „ +, ⋅ : K2 → K“ beinhaltet, dass x + y,
x ⋅ y ∈ K für alle x, y ∈ K gilt. Die Menge K
ist also abgeschlossen unter + und ⋅ .
Beispiele
(1) ⺡, ⺑ und ⺢ bilden einen Körper,
⺪ dagegen nicht : Es gelten alle
Axiome außer (K7) : Für 2 ∈ ⺪
existiert kein x′ ∈ ⺪ mit 2 ⋅ x′ = 1.
(Verschiedenheit von 0 und 1)
+
0
1
2
3
4
5
6
0
0
1
2
3
4
5
6
1
1
2
3
4
5
6
0
2
2
3
4
5
6
0
1
3
3
4
5
6
0
1
2
4
4
5
6
0
1
2
3
5
5
6
0
1
2
3
4
6
6
0
1
2
3
4
5
⋅
1
2
3
4
5
6
1
1
2
3
4
5
6
2
2
4
6
1
3
5
3
3
6
2
5
1
4
4
4
1
5
2
6
3
5
5
3
1
6
4
2
6
6
5
4
3
2
1
Additions- und Multiplikationstafel für den
Restklassenkörper modulo 7 (Beispiel 3)
(2) { 0, 1 } bildet einen Körper mit der
üblichen Multiplikation und der Addition 0 + 0 = 1 + 1 = 0, 0 + 1 = 1 + 0 = 1.
(3) Ist p eine Primzahl, so bildet { 0, …, p − 1 } einen Körper, wenn wir modulo p
rechnen. Man spricht vom Restklassenkörper modulo p. Sei zum Beispiel p = 7.
Dann gilt 4 + 3 = 0 und 5 ⋅ 3 = 1, da 4 + 3 = 7 und 5 ⋅ 3 = 15 bei Division durch 7
den Rest 0 bzw. 1 ergeben. Damit gilt − 4 = 3 und 5 −1 = 3 in diesem Körper.
Beispiel (2) entspricht dem Spezialfall p = 2.
2. 4 Die Körperaxiome
47
Der Körperbegriff lässt sich informal so beschreiben:
K ist ein Körper, falls die vier Grundrechenarten der Addition, Subtraktion,
Multiplikation und Division erklärt sind und alle üblichen Rechengesetze gelten.
„Üblich“ ist mit Vorsicht zu lesen, da 1 + 1 = 0 gelten kann, wie Beispiel (2) zeigt.
Bei dieser Beschreibung tauchen vier Operationen auf, während in der Körperdefinition nur von der Addition und Multiplikation die Rede ist. Die Subtraktion und die Division werden aber durch die Axiome (K3) und (K7) mitdefiniert. Hierzu vereinbaren wir:
Gilt x + x′ = 0, so schreiben wir − x für x′ und nennen − x das additive Inverse von x.
Gilt x ⋅ x′ = 1, so schreiben wir x −1 für x′ und nennen x−1 das multiplikative Inverse von x.
Nun können wir eine Subtraktion und eine Division auf K einführen:
x − y = x + − y für alle x, y ∈ K,
(Subtraktion in K)
x / y = x ⋅ y − 1 für alle x, y ∈ K mit y ≠ 0.
(Division in K)
Man kann nun die Gesetze für das Bruchrechnen beweisen, etwa
x1
y1
+
x2
y2
=
x 1 y 2 + x2 y 1
y1 y 2
für alle x 1 , x 2 , y1 , y2 ∈ K mit y1 , y2 ≠ 0.
Es ist bemerkenswert, dass die gesamte Schularithmetik der Grundrechenarten in zehn
Axiomen eingefangen werden kann, die die beiden komplizierteren Operationen der Subtraktion und der Division nur implizit behandeln.
Wir diskutieren noch zwei wichtige spezielle Aspekte.
Die Sonderrolle der Null bei der Division
Für alle x ∈ K gilt:
0 ⋅ x = (0 + 0) x = 0 ⋅ x + 0 ⋅ x für alle x ∈ K.
Dies zeigt, dass 0 ⋅ x = 1 für kein x gelten kann, da sonst 1 = 1 + 1 und damit
0 = 1 − 1 = (1 + 1) − 1 = 1 + (1 − 1) = 1 + 0 = 1
gelten würde. Die Null kann also kein multiplikatives Inverses besitzen, wenn die
anderen Axiome gelten sollen.
„Minus mal Minus gleich Plus“
Es gilt (−1) ⋅ (1 − 1) = (−1) ⋅ 0 = 0. Nach dem Distributivgesetz gilt also
(− 1) ⋅ 1 + (− 1) ⋅ (− 1) = 0,
und damit
(− 1) ⋅ (− 1) = − ((− 1) ⋅ 1) = − (− 1) = 1.
Allgemeiner gilt für alle x, y ∈ K
(− x) ⋅ (− y) = (− 1) ⋅ x ⋅ (− 1) ⋅ y = (− 1) ⋅ (− 1) ⋅ x ⋅ y = 1 ⋅ x ⋅ y = x ⋅ y.
48
2. Die reellen und komplexen Zahlen
2. 5 Die Anordnungsaxiome
Definition (angeordneter Körper)
Sei (K, +, ⋅) ein Körper, und sei < eine Relation auf K. Dann heißt (K, +, ⋅, <) oder
kurz K ein angeordneter Körper, falls für alle x, y, z ∈ K gilt:
(K11) nicht x < x,
(Irreflexivität)
(K12) x < y und y < z impliziert x < z,
(Transitivität)
(K13) x < y oder x = y oder y < x,
(Vergleichbarkeit)
(K14) x < y impliziert x + z < y + z,
(K15) 0 < x, y impliziert 0 < x ⋅ y .
Gilt 0 < x, so heißt x ein positives Element von K. Gilt x < 0, so heißt x ein negatives
Element von K. Weiter schreiben wir x ≤ y, falls x < y oder x = y.
<
x
0
<
x
y
impliziert
x+z
<
y+z
y
impliziert
0
<
x⋅y
Ein räumliches oder zeitliches Kontinuum ist vor allem durch ein „Links und Rechts“
bzw. „Früher oder Später“ ausgezeichnet. Diese Ordnungseigenschaften werden für die
reellen Zahlen durch die Körperaxiome (K1) − (K10) noch nicht erfasst. Dies ändert sich
durch die Anordnungsaxiome (K11) − (K15). Sie zerfallen in zwei Gruppen. Die ersten drei
Axiome beschreiben grundlegende Eigenschaften einer auf einer Menge K vorhandenen
linearen Ordnung. Die beiden anderen Axiome koppeln diese Ordnung an die Arithmetik
des Körpers K.
Beispiele
(1) ⺡, ⺑ und ⺢ sind angeordnete Körper.
(2) Die Restklassenkörper ({ 0, …, p − 1 }, +, ⋅) modulo einer Primzahl p lassen sich
nicht anordnen. Aus den Anordnungsaxiomen folgt, wie wir gleich sehen werden,
dass 0 < 1 gilt. Addition von 1 auf beiden Seiten liefert nach (K14), dass
1 = 0 + 1 < 1 + 1,
1 + 1 < 1 + 1 + 1 usw.
Induktiv folgt 0 < 1 + … + 1, was in den Restklassenkörpern nicht gültig ist.
Erreichen wir in einem Körper K durch Aufsummieren der Eins nie die Null, so sagen
wir, dass K die Charakteristik 0 besitzt. Die Überlegung in (2) zeigt, dass ein angeordneter
Körper notwendig die Charakteristik 0 besitzt. Dass es umgekehrt Körper der Charakteristik 0 gibt, die sich nicht anordnen lassen, werden die komplexen Zahlen zeigen.
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