Länger leben durch Mittelmeerkost – Traum oder Wirklichkeit? Prof. Dr. med. Helmut Gohlke, Chefarzt Klinische Kardiologie II, Herz-Zentrum Bad Krozingen Was ist nicht alles angeblich gesund? Butter, Fleisch und Wurst aus deutschen Landen, sagt die Werbung. Pflanzliche Produkte, sagen die Vegetarier. Es kommt darauf an, Nachtschattengewächse wie Kartoffeln und Tomaten zu meiden, ebenso die Rohkost, behaupten die Makrobiotiker, die sich auf fernöstliche Philosophie berufen. Nein, gerade die Rohkost bringt uns die Kraft der Natur, entgegnen die Anhänger der Vollwertkost. Was gilt? Alles Gerede? Gibt es tatsächlich eine Ernährung, die die Gesundheit schützt und das Leben verlängert? Auf diese Frage gibt es heute eine Antwort: Schon lange hatte man beobachtet, dass Lebenserwartung und Lebensqualität in den Mittelmeerländern besonders hoch sind. Neuerdings hat sich die Wissenschaft in großen Studien mit der Mittelmeerkost beschäftigt. In den einzelnen Mittelmeerländern wird sehr verschieden gekocht mit vielfältigen Rezepten, deren Reiz wir aus dem Urlaub kennen. Was sind die entscheidenden Merkmale? ■ Ein hoher Anteil an pflanzlicher Nahrung: Obst, Gemüse, Hülsenfrüchte und Salat, ■ Olivenöl statt Butter, Sahne und anderen tierischen Fetten, ■ eher Fisch als Fleisch. Sehen wir uns diesen Ernährungsstil und seine wichtigsten Nahrungskomponenten genauer an: Kohlenhydrate Kohlenhydrate sind der wichtigste Kalorienträger: Etwa 50 bis 55% der täglichen Kalorien soll- ten durch Kohlenhydrate geliefert werden. Dabei ist den komplexen Kohlenhydraten in Getreide, Gemüse, Hülsenfrüchten und Obst der Vorzug zu geben. Sie liefern ausreichend Ballaststoffe, Vitamine und sogenannte Antioxidantien, die Zellschädigungen vorbeugen können. Raffinierte Kohlenhydrate wie Weißmehl und Zucker auch in der Form von Süßigkeiten, Kuchen und Desserts sollten Ausnahme bleiben. Bevölkerungsgruppen, die mit einer sehr stark kohlenhydratbetonten und fettarmen Kost leben, haben weniger Herzinfarkte und weniger Krebs. Fette In Deutschland wie in anderen modernen Gesellschaften wird nicht nur viel zu viel Fett gegessen, sondern auch die falschen Fettarten. Hier muss genau unterschieden werden: Gesättigte Fette: Die gesättigten Fette finden sich in Butter, Sahne, Fleisch, aber auch in Kokosfetten und Palmöl, die zum Frittieren gebraucht werden. Gesättigte Fette verstecken sich in erheblichen Mengen in Speck, Wurst und Käse. Je höher der Anteil der gesättigten Fette in der Nahrung ist, umso ungünstiger ist ihre Auswirkung. Denn gesättigte Fette begünstigen die koronare Herzerkrankung, den Herzinfarkt und den Schlaganfall. Sie schaden mehrfach: ■ Sie beeinträchtigen die LDL-Rezeptoren in ihrer Funktion und tragen auf diese Weise zur Erhöhung der gesundheitsgefährdenden LDL- Cholesterinwerte bei. Die Verminderung der gesättigten Fette in der Nahrung führt zu einem Rückgang der durchschnittlichen LDL-Cholesterinspiegel. ■ Die gesättigten Fette in der Nahrung verstärken die Gerinnungsaktivität im Blut und verstärken dadurch das Risiko für Herzinfarkt und Schlaganfall. Cholesterin: Die Aufnahme von Cholesterin mit der Nahrung kann den Cholesterinspiegel erhöhen. Wie sehr – ist auch genetisch festgelegt und kann bei verschiedenen Menschen sehr unterschiedlich sein. Die meisten Nahrungsmittel, die Cholesterin enthalten, haben auch einen hohen Anteil an gesättigten Fetten, z. B. Butter, Sahne, Schmalz. Ausnahmen sind Schalentiere, die einen hohen Anteil an Cholesterin, aber wenig gesättigte Fette enthalten. Die Nahrungsaufnahme von Cholesterin ist auch unabhängig von den Cholesterinspiegeln mit einem erhöhten Herzinfarkt-Risiko verbunden. Obwohl es keine exakten Studienergebnisse für die Obergrenze der zu empfehlenden Menge an Nahrungscholesterin gibt, wird – basierend auf bevölkerungsweiten Untersuchungen – von der American Heart Association eine durchschnittliche Höchstmenge von 300 mg/Tag empfohlen (dies entspricht etwa der Cholesterinmenge, die in einem Hühnereigelb enthalten ist). Bei Befolgung dieser Richtlinie wird – indirekt – auch die Aufnahme an gesättigten Fetten begrenzt. Trans-Fettsäuren: Sie werden von der Industrie genutzt, um die Lagerfähigkeit von Lebensmitteln zu erhöhen. Trans-Fettsäuren kommen in teilweise gehärteten (hydrogenierten) Fetten vor, besonders in Fertigprodukten, in Fast Food, Snacks, Fertighähnchen, Salatsaucen, Cocktailsaucen, Fertigsuppen, in Backfetten und in vielen Margarinen. Da Fertigprodukte immer beliebter werden, nimmt der Anteil von TransFettsäuren in unserer Nahrung zu. Trans-Fettsäuren sind auch im Milchfett. Trans-ungesättigte Fette in der Nahrung können das schädliche LDL-Cholesterin erhöhen und das schützende HDL-Cholesterin vermindern – mit den entsprechenden Folgen für das koronare Risiko. Lebensmittel, die einen hohen Anteil von Trans-Fettsäuren haben, sollten gekennzeichnet werden, damit man sie vermeiden kann. Ungesättigte Fettsäuren: Einfach und mehrfach ungesättigte Fette senken das LDL-Cholesterin, wenn sie statt gesättigter Fette verwandt werden. Die einfach ungesättigten Fette haben dabei einen leichten Vorteil, weil sie eine geringere Absenkung des schützenden HDL-Cholesterins bewirken. Die wichtigste einfach-ungesättigte Fettsäure ist die Oleinsäure, die in Olivenöl, Rapsöl, Weizenkeimöl und Erdnussöl, aber auch in Avoca- dos und Mandeln enthalten ist. Nüsse haben einen hohen Anteil an ungesättigten Fetten, allerdings auch einen hohen Gehalt an Kalorien. Unter den mehrfach ungesättigten Fetten nehmen die Omega-3-Fettsäuren einen besonderen Platz ein. Omega-3-Fettsäuren z. B. in Form von Fischmahlzeiten wirken sich günstig auf die Lebenserwartung aus und schützen vor der koronaren Herzkrankheit und dem Herzinfarkt. Insbesondere der Konsum von fettem Fisch mit einem hohen Anteil an Omega-3Fettsäuren wie Makrele, Hering, Lachs und Forelle ist als günstig anzusehen. Zwei wichtige Omega-3-Fettsäuren sind die Eikosapentaensäure (EPA) und die Dokosahexaensäure (DHA). Eine Übersicht über den Fettgehalt und den Gehalt an EPA und DHA in verschiedenen Fischen gibt die Tabelle auf Seite 8. Eine bis zwei Fischmahlzeiten pro Woche scheinen bereits die volle Schutzwirkung zur Verhütung des Herzinfarktes zu entfalten. Zur Verhütung des Schlaganfalls bei Frauen sind möglicherweise mehr als zwei Fischmahlzeiten besser: ■ Die Omega-3-Fettsäuren wirken entzündungshemmend, vermindern die Klebrigkeit der Blutplättchen, haben einen günstigen Einfluss auf die Innenschicht der Arterien und stabilisieren den Herzrhythmus. 6 ■ Die Omega-3-Fettsäuren, insbesondere DHA, vermindern bereits in relativ geringer Dosierung die Einwanderung von weißen Blutzellen (Monozyten und Makrophagen) in die Gefäßwand, was die Entwicklung der Arteriosklerose hemmt. ■ Die DHA verbessert die Insulinwirkung, was für Diabetiker von Bedeutung ist. Mit der Nahrung aufgenommene Fettsäuren haben einen Einfluss auf die Plaque-Bildung (Fettpolster-Bildung) in den Arterien und beeinflussen die Stabilität der Plaques: Fettsäuren, die die Oxidation des LDL-Cholesterins begünstigen (z. B. Omega-6-Fettsäuren), begünstigen das Aufbrechen der Plaques, die zum Herzinfarkt führen. Dagegen tragen Fettsäuren, die die Oxidation des LDL-Cholesterins verhindern (Olivenöl, Rapsöl) oder die Funktion der weißen Blutkörperchen vermindern (Omega-3-Fettsäuren), zur Stabilisierung der Plaques und damit zum Schutz vor dem Herzinfarkt bei. Eiweiß Eiweiß sollte etwa 15% zu dem täglichen Kalorienbedarf beisteuern. Die meisten Deutschen essen viel mehr tierisches Eiweiß als notwendig: 0,8 bis 1 g pro Kilogramm Normalgewicht sind ausreichend für einen Erwachsenen. Erhöhter Eiweißkonsum kann der Nierenfunktion schaden und zu einer verminderten Knochendichte führen. In der Mittelmeerkost wird wenig Fleisch gegessen, stattdessen Fisch und Hülsenfrüchte wie Bohnen, Linsen, Erbsen, die einen hohen Eiweißgehalt haben. Was zu wenig bekannt ist: Pflanzliches Eiweiß aus der Soja-Bohne enthält alle essentiellen Aminosäuren in ausreichender Menge, um eine vollständige Ernährung zu gewährleisten. Bei Personen mit erhöhten Cholesterinwerten (über 200 mg/dl) führt Soja zu einer Senkung des Gesamtcholesterins, des LDL-Cholesterins und der Triglyzeride um etwa 10% und zu einem Anstieg des HDL-Cholesterins um 4%. Etwa 25 g Soja-Protein pro Tag könnten zu einer Senkung des koronaren Risikos beitragen. Soja-Produkte als Ersatz für tierisches Eiweiß haben den Vorteil, dass sie sich seit Hunderten von Jahren in den asiatischen Ländern bewährt haben. Auch da ist das Risiko für Herzinfarkte niedrig und die Lebenserwartung hoch. Asiatische Rezepte – wenn Gemüse kurz im Wok gedünstet wer- den – sind eine Alternative zu Gemüsegerichten der Mittelmeerkost. Ballaststoffe Die Ballaststoffe in der Ernährung spielen eine bedeutsame – bisher unterschätzte – Rolle zur Vorbeugung der koronaren Herzerkrankung. Hier sind insbesondere Ballaststoffe aus Getreide zu nennen, z. B. Haferflocken und Vollkornprodukte. Eine ballaststoffreiche Ernährung vermindert das Risiko für eine koronare Herzkrankheit. Eine Ernährung, die reich an Ballaststoffen (50 g am Tag) ist, hat gerade bei Diabetikern einen günstigen Einfluss auf die Stoffwechsellage: Der Blutzucker wird gesenkt, die Insulinkonzentration im Serum und die Glukose-Ausscheidung im Urin vermindert. Zusätzlich sinken die Cholesterinspiegel und die Triglyzeridspiegel. Diese Veränderungen haben einen günstigen Einfluss auf die Entwicklung der Arteriosklerose. Vitamine Vitamine und Flavonoide sind Schutzfaktoren – aber nur wenn sie in natürlicher Form aufgenommen werden. Eine Ernährung, die reich an frischem Obst, Gemüse und Salat und Milchprodukten mit niedrigem Fettgehalt ist, verringert nicht nur das Herzinfarktrisiko, sondern kann zusätzlich den Blutdruck 7 Fischsorte Hering Lachs Makrele Forelle Heilbutt Scholle Flunder Fett (g) 10,0 – 19,0 7,0 – 10,1 5,2 – 20,2 3,4 2,3 – 13,8 1,5 1,0 EPA (g) 0,9 – 1,9 0,5 – 0,73 0,44 – 1,72 0,1 0,1 – 0,5 0,1 0,1 DHA (g) 0,9 – 1,9 0,5 – 0,9 0,43 – 1,66 0,1 0,3 – 0,4 0,4 0,1 kcal 160 208 187 108 106 80 77 Tabelle 1: Fett-, EPA =Eikosapentaensäure-, DHA = Dokosahexaensäure- und Kaloriengehalt von ausgewählten Fett- und Magerfischen (Angaben/100g) (nach Wenzel 1989) erheblich senken und verbessert die Lebenserwartung. Dagegen nützt es nichts, Vitamin C, E und Beta-Carotin in Tabletten einzunehmen. Das zeigten mehrere große Studien, z.B. die Heart Protection Study (HPS, 2001), in der Tausende von Patienten über fünf Jahre Vitamin C, E und Beta-Carotin einnahmen – ohne das Infarktrisiko zu verbessern. Was ist bewiesen? Soweit die wichtigsten Bausteine einer gesunden Ernährung. Auch als Ganzes hat sich die Mittelmeerkost als überlegen erwiesen. Aufsehen erregte die Lyon-Herz-Studie (Lyon Diet Heart Study, 1994, 1999). 605 Männer und Frauen, die einen Herzinfarkt durchgemacht hatten, wurden nach dem Zufallsprinzip in zwei Gruppen aufgeteilt. Die eine Gruppe (303 Personen) erhielt Ernährungsratschläge, wie sie nach einem Infarkt immer gegeben werden. Die andere Gruppe (302 Personen) wurde eingehend mit der Mittelmeerkost vertraut gemacht. Ihnen wurde geraten, mehr Gemüse, mehr Hülsenfrüchte, mehr Salat, mehr Obst zu essen, eher Fisch, und wenn Fleisch dann Huhn, sowie Butter und Sahne durch Margarine zu ersetzen. Für das Kochen und die Zubereitung von Salaten wurde ausschließlich Oliven- oder Rapsöl verwandt. Die Margarine wurde den Familien der Patienten zur Verfügung gestellt. Die Margarine enthielt Rapsöl, in dem Omega-3-Fettsäuren sind. Die Mittelmeerdiät erwies sich über alle Erwartungen hinaus als erfolgreich. In fast vier Jahren war das Risiko für einen Herzinfarkt in der Gruppe mit Mittelmeerkost um mehr als 60% niedriger als in 8 der Gruppe, die sich konventionell ernährte. Auch das Krebsrisiko war genauso stark verringert. Diese Studie steht nicht allein. In der US Health Professionals Follow-up Study (HPFS, 2000) wurden über 44 000 Männer im Alter von 40 bis 75 Jahren ohne bisherige koronare Herzerkrankung oder Karzinom über acht Jahre beobachtet. Die Männer, deren Ernährung durch verstärkten Konsum von Gemüse, Obst, Hülsenfrüchten, Vollkornprodukten, Fisch und Geflügel charakterisiert war, hatten ein um mehr als 50% reduziertes Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen, als die, die sich häufig mit rotem oder verarbeitetem Fleisch, veredelten Getreideprodukten, Süßigkeiten, Nachtischen, Pommes frites und fetthaltigen Milchprodukten ernährten. Aus den vorliegenden Studien geht hervor, dass ein verlängertes Leben durch eine mediterrane Kost kein Traum ist, sondern Wirklichkeit werden kann – wenn man diese Chance wahrnehmen will. Der Entschluss sollte nicht schwer fallen, denn diese Ernährung hat nichts mit Askese und Entsagung zu tun, sondern bringt vielfältigen Genuss in den Alltag. Das bestätigte sich auch in Lyon. Dort wird bekanntlich großer Wert auf gutes Essen gelegt und der durchschlagende Erfolg der Mittelmeerkost ist ein Zeichen dafür, wie attraktiv diese Küche sein kann. Weitere Informationen: Prof. Dr. Michael Hamm: Gesundheit aus dem Süden. Was ist Mittelmeerkost? Sonderdruck der Deutschen Herzstiftung. Anja Hellenbrecht: Neue Rezepte: gesund, einfach gut. Praktische Tips zur Mittelmeerkost. In: Herz heute 2/2001, Zeitschrift der Deutschen Herzstiftung. Prof. Dr. Michael Hamm; Prof. Dr. med. Helmut Gohlke: Vitalkost für Ihr Herz. Trias-Verlag, Stuttgart 1998.