Ethische Verantwortung in der Wirtschaft - Goethe

Werbung
Ethische Verantwortung
in der Wirtschaft
Prof. Dr. Hille Haker
Wenn von „Wirtschaft und Verantwortung“ die
Rede ist, wird meistens vorausgesetzt, dass wir
wissen, was „die“ Wirtschaft ist und was „Verantwortung“ bedeutet. Aber schon eine provisorische Bestimmung konfrontiert mit der
Schwierigkeit, in beiden wissenschaftlichen
Disziplinen, in der Wirtschaft und der Ethik,
gleichermaßen kompetent sein zu müssen.
In der Tat: „Die“ Wirtschaft 1 trägt Verantwortung 2
für dasjenige Handeln und diejenigen Praktiken,
die wir mit dem Segment identifizieren, für das der
Terminus „Wirtschaft“ steht – die Wirtschaft als
System aus Institutionen, Akteuren und Handlungen generiert eine gesellschaftliche Praxis, die
einerseits Eigenständigkeit behaupten darf, andererseits aber als Teil der gesellschaftlichen Zusammenhänge gesehen werden muss. Verantwortung
bedeutet im Sinne der Kernbedeutung des Begriffs,
dass Handlungen Personen oder Personengruppen
zugeschrieben werden können, die sich für ihr Tun
vor anderen rechtfertigen. Sie handeln im positiven
Sinn verantwortlich, wenn die Rechtfertigungen
bzw. Begründungen rational nachvollziehbar und
einsichtig sind. Wir können aber noch etwas weiter
präzisieren, worum es geht, wenn von Wirtschaft
und Verantwortung die Rede ist:
Prof. Dr. Hille Haker
Ab dem Wintersemester 2006/2007 findet an der
Johann Wolfgang Goethe-Uni als Bestandteil
des Studiengangs „Bachelor of Science in
Wirtschaftswissenschaften“ eine Veranstaltung
zur „Ethik in den Wirtschaftswissenschaften“
statt. Hier sollen Grundkompetenzen der Ethik
erworben werden, die in der Wirtschaft selbst,
zwischen Wirtschaft und Politik und zwischen
Wirtschaft und Technologie zum Tragen kommen. Professorin Hille Haker, verantwortlich
für das Programm, umreißt für den rer.pol. das
Konzept einer ethischen Verantwortung in der
Wirtschaft.
rer.pol.
14
1.2007
Die Wirtschaft trägt Verantwortung durch die
Akteure und für die Akteure, die das Handeln vollziehen und für die Adressaten ihres Handelns (die
gleichwohl ebenfalls Akteure des Marktes sind);
sie trägt Verantwortung für die Ziele und Mittel,
mit denen sie diese Ziele verfolgt, und sie trägt
Verantwortung für die Strukturen, die sie bereitstellt, um die Ziele in einer Weise zu verfolgen, die
sie für richtig erachtet.
Wir müssen also unterscheiden zwischen den
Subjekten und den Adressaten der Verantwortung,
den strukturellen bzw. institutionellen Bedingungen, die erfüllt sein müssen, um verantwortlich
handeln zu können („Organisation von Verantwortung“) und schließlich den Inhalten der
Verantwortung.
Wenn wir nun weiterhin davon ausgehen, dass
„Wirtschaft“ diejenigen Prozesse meint, die von
Personen, Personengruppen oder Institutionen im
Hinblick auf die Produktion, den Gebrauch oder
die Transaktion von Gütern (zu denen auch
Dienstleistungen gehören können) vorgenommen
werden, so bedeutet Verantwortung die faktische
Zuschreibung der Handlungen an die Akteure
sowie die moralische Zurechenbarkeit der
Handlungen an sie. Verantwortung zu übernehmen
bedeutet, sich als Akteur einer Handlung zu verstehen und rechtfertigende Gründe liefern zu können,
sofern diese erfragt werden.
Die Wirtschaftswissenschaften genauso wie die
Ethik reflektieren auf die Praktiken, die Handelnde vollziehen, ohne die rationalisierenden
Begründungen immer explizit angeben zu müssen. In der wissenschaftlichen Reflexion geht es
jedoch darum, die Praktiken einem Rationalitätstest zu unterziehen – dieser ist in den
Wirtschaftswissenschaften zu einem großen Teil
empirischer, theoretischer und hermeneutischer
Natur und nur zu einem geringen Teil normativer
Natur. Aber es ist vor allem dieser Bereich, der
die Wirtschaftswissenschaft in die Nähe der
Disziplin der Ethik treibt. Diese reflektiert die
Moral, das heißt, sie unterstellt die gelebten
Moralvorstellungen einer kritischen Rationalitätsprüfung. Im Unterschied zur wirtschaftswissenschaftlichen Rationalität ist diese in der Ethik
zu einem geringeren Teil empirisch und theoretisch, während die hermeneutische und praktischnormative Rationalität einen großen Raum einnimmt.
Lebensstandard und Lebensqualität
Die Ethik treibt beispielsweise dort in die Nähe der
Wirtschaftswissenschaften, wo es um die Präferenzen sowie die Priorisierungen bezüglich der
Herstellung und Verteilung von Gütern geht. Denn
die Ethik beansprucht, begründet annehmen zu
können, bestimmte Güter seien Bedingung für ein
„gutes Leben“ und entsprechend als Minimalstandards des Lebens bereitzustellen.3 Da die
Wirtschaft die Produktion, den Gebrauch und die
Transaktion von Gütern aber nicht alleine steuert
und vollzieht, ist ein Austausch zwischen Ethik,
Wirtschaft und Politik notwendig. Der Wirtschaft
kommt dann – mit Hilfe der Politik – die Verantwortung zu, die Minimalstandards für alle
Menschen verfügbar zu machen.
Wenn heute etwa in der Ethik von individuellen,
politischen und sozialen, kulturellen und ökonomischen Menschenrechten gesprochen wird, so sind
diese auf die Praxis und Theorie der Ökonomie im
Sinne einer Güter- und Transaktionstheorie zu
beziehen. Wenn es um Gesundheitsrechte oder die
Rechte zukünftiger Generationen auf natürliche
Ressourcen geht, welche die Voraussetzung der produktiven Wirtschaft darstellen, so sind die gegenwärtigen Ressourcennutzungen und -verteilungen
im Hinblick auf diese Rechte zu interpretieren.
Die Frage nach den Standards und der Qualität des
menschlichen Lebens, welche von der modernen
Wirtschaftstheorie spätestens seit dem 18. Jahrhundert in Form von Glücks- und Nutzenkalkulationen aufgenommen wurde,4 ist nun aber
sicherlich nicht so zu beantworten, dass die
Lebensqualität nach einer Formel errechnet werden könnte, für deren Erreichung die Wirtschaft
die Mittel und Wege bereitstellt. Um das einzusehen, reicht schon ein Blick in die Individualisierungsprozesse der Moderne aus. Vielmehr sind die
Ziele und die Formen des Wirtschaftens auf die
individuell und kulturell unterschiedlichen Wünsche der Kunden und Kundinnen ausgerichtet.
Dass das Wohlergehen des Menschen allgemein
bestimmt werden könne, war nun durchaus eine
Vorstellung, die den Klassischen Utilitarismus
prägte. Aber dieser muss auch im Licht der historischen Entwicklung der philosophischen Anthropologie und der Distanzierung von theologischen
Glücksvorstellungen gesehen werden. Dennoch
lebt diese Vorstellung bis heute in Formen der
Glückskalkulation und auch in der medial verstärkten „Ökonomisierung“ des Wohlergehens bzw.
Glücks fort. Denn die scheinbar individuellen
Präferenzen der KundInnen unterliegen Standardisierungen, die medial vermittelt sind und damit
bestimmte Normalisierungen und Muster von
Lebensqualität abbilden, sie zugleich aber auch
erst hervorbringen. Wissenschaftlich dominierend
sind heute gegenüber einer verallgemeinerten
Glückstheorie entscheidungstheoretische Ansätze
auf der Grundlage individueller Vorteilspräferenzen, die aber wiederum eine Schwäche darin
haben, dass sie sich nun umgekehrt eines jeden
Urteils über die Ziele der Marktökonomie enthalten. Die Ethik in den Wirtschaftswissenschaften
wird gegenüber beiden Modellen in Distanz gehen
und eine individualethische, glücksorientierte und
eine sozialethische, institutionenbezogene Konzeption der Wirtschaftsethik verfolgen.
rer.pol.
1.2007
15
Wie alle gesellschaftlichen Bereiche auch hat die
Wirtschaft also Teil an der Auseinandersetzung um
ein „gutes Leben“. Diese Auseinandersetzung hat
zum einen das Wohlergehen des Einzelnen bzw.
der Gesellschaften zum Gegenstand, zum anderen
muss sie aber auch die gegenseitigen Begrenzungen aufzeigen, die zwischen Wirtschaft und
Staat notwendig sind, um die Freiheit des einzelnen Wirtschaftsakteurs und das Wohlergehen der
BürgerInnen eines Staates zu gewährleisten.
An dieser Auseinandersetzung hat auch die Ethik
Teil, insofern Vorstellungen und Konzeptionen des
„guten Lebens“ zu ihrem genuinen Reflexionsfeld
gehören. Ihre Kompetenz ist auf dieser Ebene
zunächst hermeneutischer Natur – sie wird versuchen, verschiedene Ebenen und verschiedene
Denkformen verständlich zu machen, die im
Hintergrund der Konzeptionen des guten Lebens
stehen.5 Darüber hinaus fordert die Ethik jedoch als
normative Ethik (hier verstanden als die Perspektive der Verantwortung, der sich die Wirtschaft
bzw. der Staat aus moralischen Gründen stellen
muss) die Erfüllung von minimalen Lebensstandards, für alle Adressaten, die die Wirtschaft
erreichen kann – und dies sind unter globalisierten
Bedingungen der Ökonomie prinzipiell alle
Menschen. Die Aufgabe der Ethik ist auf dieser
Ebene die Begründung des Anspruchs auf die verschiedenen Formen der Menschenrechte, wobei
insbesondere die so genannten positiven oder
ermöglichenden (empowering) Menschenrechte
(empowering human rights) Gegenstand der
Diskussion sind. Aber auch Zielkonflikte wie etwa
zwischen den Freiheitsrechten (Abwehr von staatlichen Interventionen), der Förderung von
Wettbewerbsfähigkeit (Förderung innovativer
Bereiche) und/oder der Förderung von Entwicklungszielen, wie sie etwa in den Millenniumszielen
der UN festgeschrieben sind, gehören zu den
Aufgabenfeldern der Ethik.
Es geht also weniger darum, das Schlagwort
„Verantwortung der Wirtschaft“ unmittelbar als
politisch-ethische Forderung nach mehr Tugend
und Verantwortungsübernahme in verschiedenen
Feldern zu übersetzen – dies ist Aufgabe der konkreten Zusammenarbeit von Wirtschaftswissenschaften und Ethik – sondern vielmehr geht es
zunächst darum, die jeweiligen Kompetenzen zu
beschreiben und den Überschneidungsbereich zu
explizieren. Dabei geht es zum Beispiel um die
Verantwortung in Unternehmen einschließlich der
Führungsaufgaben und Unternehmenskodizes, um
die Verantwortung der KonsumentInnen einschließlich der fairen Handelsbedingungen und
ökologischen Verantwortung, um die moralisch
verantwortliche Strukturierung und Steuerung von
Institutionen und Strukturen mit Blick auf Freiheit
und Wohlergehen von Bürgern, bis hin zur gesellschaftlichen Verantwortung für die Entwicklung
im globalen Maßstab, für die Entwicklung und
Verfügbarkeit von Medikamenten in allen Ländern
(was bis in die Fragen der Patentierung von
Medikamenten und die Bekämpfung von Epidemien wie HIV/Aids hineinragt) sowie für eine
gerechte Weltwirtschaftsordnung; nicht zuletzt
geht es und sogar noch um die Verantwortung
gegenüber zukünftigen Generationen, die ein
Thema, das spätestens seit den jüngsten Berichten
zur Klimakatastrophe auch die Wirtschaftsunternehmen erreicht hat. Dies alles sind mögliche
Konkretionen, welche sich in der Zusammenarbeit
von Ethik und Wirtschaft beinahe zwangsläufig
ergeben werden.
Seit dem Sommersemester 2005 ist Hille Haker
Professorin für Moraltheologie/Sozialethik am
Fachbereich Katholische Theologie der Johann
Wolfgang Goethe-Universität. Sie wechselte von
der Harvard University, Cambridge, wo sie seit
2003 als Professorin für „Christian Ethics“ lehrte.
1
Das Lexikon der Wirtschaft definiert „Wirtschaft“ als „die Gesamtheit aller Einrichtungen wie Unternehmen, private und
öffentliche Haushalte sowie die notwendigen Abläufe wie Käufe und Verkäufe, die mit der Herstellung und dem Verbrauch von
Gütern und Dienstleistungen verbunden sind“. (Lexikon der Wirtschaft. Grundlegendes Wissen von A bis Z. 2. Aufl. Mannheim:
Bibliographisches Institut & F.A. Brockhaus 2004. Lizenzausgabe Bonn: Bundeszentrale für politische Bildung 2004).
2
„In der Kernbedeutung des Begriffs heißt‚ sich (für X gegenüber Y unter Berufung auf Z) verantworten’ soviel wie ‚sich (für X
gegenüber Y unter Berufung auf Z) rechtfertigen.“ (Handbuch Ethik, hg. v. M. Düwell/C. Hübenthal/M. Werner, Stuttgart, 2. Aufl.
2006), 541-549).
3
Vgl. Amartya Sen: The standard of living: The Tanner lectures, Cambridge, 1985, edited by Geoffrey Hawthorn. (Cambridge:
Cambridge University Press, 1987)
4
Die moderne Wirtschafts bzw. Wohlfahrtstheorie ist eng mit den Vertretern des Klassischen Utilitarismus Jeremy Bentham und John
Stuart Mill verbunden; historisch ist das Verhältnis jedoch umstritten. Vgl. Otmar Issing (Hrsg.): Geschichte der Nationalökonomie,
München 1994.
5
Auf dieser Ebene kommt im übrigen auch ein anderes, über den Zuschreibungsbegriff hinausgehendes Verständnis von
Verantwortung zum Tragen – das Verständnis von Verantwortung als einem Antworten auf die Ansprüche, die andere an
Moralsubjekte stellen. Hier wäre der Ort für „ethische Haltungen“ und die gegenseitige Verantwortung in Unternehmen.
rer.pol.
16
1.2007
Herunterladen