Moderne Operationsverfahren des Rektumkarzinoms

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M E D I Z I N
DIE ÜBERSICHT
Volker Schumpelick
Stefan Willis
Reinhard Kasperk
Moderne
Operationsverfahren des
Rektumkarzinoms
Sind adjuvante Maßnahmen notwendig?
ZUSAMMENFASSUNG
Etwa ein Drittel der kolorektalen Karzinome sind in
Deutschland Rektumkarzinome. Trotz vieler technischer Variationen ist die En-bloc-Resektion des Rektumkarzinoms inklusive der regionalen Gefäßversorgung unverändert der zentrale Eckpfeiler der chirurgischen Therapie. Systematische
pathoanatomische Erkenntnisse zur perirektalen Tumorausbreitung, ein besseres Verständnis der Kontinenzmechanismen und ein optimiertes Instrumentarium führten dazu, dass
onkologisch radikale Operationen mit Sphinktererhalt bei
Tumoren bis zu 5 cm ab Anokutanlinie heute möglich sind.
Circa 85 Prozent der Rektumkarzinome lassen sich kontinent
operieren, die Fünf-Jahres-Überlebensrate liegt deutlich über
50 Prozent. Neben der onkologischen Radikalität steht die
funktionelle Integrität zunehmend im
Vordergrund, wozu auch die neue
Technik der Kolon-Pouch-analen Anastomose rechnet, das
heißt, die Reservoirvergrößerung des Neorektums. In der
Chirurgie des Rektumkarzinoms wird die spezielle Erfahrung des Chirurgen zum wichtigen Prognosefaktor. So sinkt
in Zentren mit hohen Fallzahlen die Komplikationsquote,
steigt die Rate an Kontinenzerhalt, verbessert sich das Langzeitüberleben und reduziert sich die lokale Rezidivquote.
Adjuvante Behandlungen sind kein Ersatz für mangelhafte
Chirurgie, sind aber bei den meisten Tumorformen obligat.
Schlüsselwörter: Rektumkarzinom, chirurgische Therapie,
adjuvante Therapie
Radical and Function-Preserving Surgical
Therapy of Rectal Cancer
Rectal carcinomas belong to the most widespread malignancies in Germany. In the last years a significant evolution
has occurred in their surgical treatment. Due to a better
understanding of tumor spread and continence mechanisms, the distal resection margin could be reduced and
techniques such as mesorectal excision, endoanal stapling
and coloanal anastomosis allowed sphincter-preserving
procedures for the treatment of low and mid-rectal carcinomas without compromising oncological results. The
introduction of colonic pouch-anal anastomosis led to
an additional improvement of functional results during the last years. Today, restorative
resections are possible in 85 per cent of all patients with a
5-year survival of more than 50 per cent. Thereby, the
specific experience of the surgeon is one of the most important prognostic factors for local recurrence, long-time
survival and functional results. Though adjuvant chemoor radiotherapy are helpful and necessary in specific
tumor stages, they cannot compensate for an inadequate
surgical technique.
Key words: Rectal carcinoma, surgical therapy, adjuvant
therapy
D
as kolorektale Karzinom wird
vom Laien häufig als hoffnungslose Krebserkrankung
angesehen, deren Behandlung immer
in eine verstümmelnde Operation ohne realistische Heilungschance mündet. Folgen sind die weitgehende Verweigerung der kostenlosen Vorsorgeuntersuchung und damit die hohe Rate
diagnostisch ungünstiger fortgeschrittener Tumorstadien. Dieser Zustand
ist einer aufgeklärten Gesellschaft
nicht würdig. Er entspricht nicht dem
Sachverhalt, dass dieser Tumor eine
sehr viel bessere Heilungschance hat
als jeder andere gastrointestinale
Krebs. Aber auch die Fortschritte der
Chirurgie rechtfertigen keinerlei Nihilismus (6). Durch besseres Verständnis
der Kontinenzmechanismen, systema-
tische pathoanatomische Erkenntnisse
zur perirektalen Tumorausbreitung,
neue operative Möglichkeiten zum
Rektumersatz sowie differenzierte adjuvante Therapieschemata kann heute
das Rektumkarzinom in 85 Prozent
mit Sphinktererhalt und einer FünfJahres-Überlebensquote von über
50 Prozent operiert werden (Grafik 1).
Anatomie des Rektums
Das Rektum als Abschlusssegment des Magen-Darm-Trakts bietet
hervorragende Möglichkeiten der
Chirurgische Universitätsklinik und Poliklinik
(Direktor: Prof. Dr. med. Dr. h. c. Volker
Schumpelick) der RWTH Aachen
A-1138 Deutsches Ärzteblatt 97, Heft 17, 28. April 2000
SUMMARY
vollständigen endoskopischen Inspektion mit starren Instrumenten (Rektoskop, Proktoskop) zur Inspektion,
Biopsie und Endosonographie. Es
wird eingeteilt in ein unteres (4 bis 7
cm), mittleres (7 bis 11 cm) und oberes
Drittel (11 bis 15 cm). Alle Angaben
beziehen sich auf den Abstand von der
Anokutanlinie am äußeren Rand des
Analkanals, das heißt circa 2 cm distal
der Linea dentata. Das obere Rektumdrittel liegt intraperitoneal, sodass
größere Tumoren in diesem Bereich
noch eine direkte Beziehung zur freien Bauchhöhle haben. Im Gegensatz
dazu neigen Tumoren des unteren und
mittleren Drittels eher zur Infiltration
der Nachbarorgane. Im kleinen
Becken wird das Rektum zirkulär vom
blut- und lymphgefäßführenden Fett-
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DIE ÜBERSICHT
körper, dem Mesorektum umgeben
(19). Dieses ist gegen das Becken
durch eine feine embryonale Bindegewebsschicht in Form der dorsalen Waldeyerschen Faszie und der ventralen
Denonvilleschen Faszie abgegrenzt.
Diese Grenzschichten bilden über lange Zeit eine natürliche Tumorbarriere,
die erst spät, das heißt bei ausgedehnten Tumorstadien durchbrochen wird.
Somit ist das Rektumkarzinom lange
ein lokales Problem. Die Metastasie-
dings ausreichende Sicherheitsabstände und suffiziente Lymphadenektomie. Zirkuläre Nähapparate
haben sich vor allem am tiefen Rektum mit Erfolg durchgesetzt und gleichen die interindividuellen Schwankungen einzelner Operateure durch
Standardisierung aus. Die Grenze
der kontinenten Resektabilität schob
sich über die Jahre immer tiefer, sie
liegt heute bei 5 cm ab Anokutanlinie, in Einzelfällen sogar noch tiefer,
das heißt kontinenzwahrende Rektumresektion bei Tumoruntergrenzen von 5 cm
sind heute technisch möglich.
Resektionsabstand
Systematische Studien
demonstrierten, dass die distale intramurale Tumorausbreitung nur selten 1 cm
überschreitet (26). So ist es
Abbildung 1: Kolon-Pouch-anale Anastomose (Schemazeichnung onkologisch vertretbar, von
und Röntgenbild): Durch die intersphinktäre Resektion kommt die dem lange geltenden 5 cm
Anastomose in Höhe der Linea dentata zu liegen.
betragenden Resektionsabstand nach distal abzurücken
rungswege laufen entlang der epi- und und den Sicherheitsabstand auf 2 cm
pararektalen Lymphknoten analog zu am unfixierten gestreckten Operaden zuführenden und abführenden tionspräparat zu verkürzen. In einer
Gefäßen innerhalb des Mesorektums. Vielzahl von Studien fanden sich unDie weiteren Lymphknotenstationen ter dieser Prämisse keine signifikanliegen zentral am Abgang der A. me- ten Unterschiede bezüglich der lokasenterica inferior und paraaortal. len Rezidivrate nach TAR, APR soLymphatische Tumorausbreitung nach wie koloanaler Anastomose (CAA)
distal entlang der A. rectalis inferior (2, 8, 22, 29, 42, 56). Doch definiert
und ein Befall der iliakalen Lymph- sich die Indikation zur kontinenzknoten sind selten und nur beim Anal- erhaltenden Operation nicht allein
karzinom die Regel. Hämatogen me- durch die Tumorhöhe, sondern auch
tastasiert das Rektum in die Pfortader, durch das klinische Staging samt Enin seltenen Fällen bei sehr tiefen Tu- dosonographie und die intraoperative
moren direkt über die Vena cava auch Beurteilung durch den Operateur.
in die Lungen.
Rektumkarzinome im Levatorentrichter mit Überschreitung der Muscularis propria oder solche mit Infiltration des Sphinkters (schmerzhafte
Rektum-Chirurgie
digitale Untersuchung!) müssen von
Tumorlokalisation
vornherein von einer Kontinenzerhaltung ausgeschlossen werden. Daher
Viele Studien der 70er-Jahre ist bei T3-Befunden unter 4 cm und
konnten zeigen, dass die tiefe anterio- T4-Befunden unter 5 cm ab Anokutre Resektion (TAR) der abdomino- anlinie aus Gründen der Radikalität
perinealen Rektumamputation (APR) auch heute noch eine Rektumhinsichtlich lokaler Tumorkontrolle amputation unvermeidlich.
und Überlebensrate gleichwertig,
Tumorgrading und Wachstumshinsichtlich der Lebensqualität aber form definieren die Verfahrenswahl
wegen des Kontinenzerhalts überle- nur in geringerem Maße. Lediglich bei
gen ist (43, 58). Bedingung sind aller- entdifferenzierten und exulzerierten
Tumoren des distalen Drittels sollte
die Indikationsstellung zur sphinktererhaltenden Operation nicht erzwungen werden.
Kontinenz
Neben lokaler Tumorausbreitung
und Lymphadenektomie limitiert der
Kontinenzapparat die Resektionshöhe. Ein intaktes Sphinktersystem toleriert selbst intersphinktäre Resektionen mit koloanaler Naht. Bedingung
sind ein ausreichend sensibles Anoderm, eine gute Reservoirfunktion des
Rektumersatzes und eine ungestörte
willkürliche und unwillkürliche muskuläre Sphinkteraktivität. Unter diesen
Kriterien ist eine direkte Anastomosierung zwischen Colon descendens und
Anus, das heißt die direkte koloanale
Naht, die Extremform kontinenzerhaltender Rektumchirurgie. Sie bringt allerdings häufig zumindest in den ersten
postoperativen Monaten einen gewissen Funktionsverlust mit sich, der sich
in erhöhter Defäkationsfrequenz und
belästigendem Stuhldrang ausdrückt.
Dies ist Folge der schlechteren Compliance und der geringeren Reservoirfunktion des als Neorektum verwendeten Colon descendens (35). Zur Verbesserung der Kontinenzfunktion nach
koloanaler Naht wird in jüngster Zeit
zunehmend der Kolon-J-Pouch favorisiert, der ein vergrößertes Neorektum,
also ein besseres Reservoirvolumen
und damit eine suffizientere Kontinenz
ermöglicht (Abbildung 1).
✁
Abbildung 2: Totale Mesorektumresektion (Schemazeichnung): Durch Entfernung des gesamten Mesorektums bis auf den Beckenboden werden auch
distal des Tumors gelegene Lymphknoten entfernt.
Deutsches Ärzteblatt 97, Heft 17, 28. April 2000 A-1139
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DIE ÜBERSICHT
Tabelle 1
Funktionelle Ergebnisse nach CPA und CAA im Vergleich (Follow-up: 1 Jahr) (50)
Autor
Anzahl
Patienten
Anzahl der Stühle/Tag
median
Imperativer
Stuhldrang
inkomplette
Entleerung
Kontinenz
perfekt/mäßig/schlecht
CPA
CAA
CPA
CAA
CPA
CAA
CPA
CAA
CPA
CAA
Nicholls et al.
Br J Surg 1988;
75: 318–320.
13
15
1,4 (0,5–2)
2,3 (1–6,5)
1
1
–
–
10/3/0
9/6/1
Ortiz et al.
Dis Colon Rectum
1995; 38: 375–377.
15
15
*1
*1
6
9
–
–
6/6/3
3/7/5
Cavaliere et al.
Dis Colon Rectum
1995; 38: 807–812.
7
22
2 (0,5–4)
3 (1–8)
–
–
–
–
5/2/0
12/6/4
Seow Choen et al.
Br J Surg 1995;
82: 608–610.
19
20
2 (0,5–4)
4 (0,5–10)
2
4
–
–
19/0/0
14/0/6
Hallböök et al.
Ann Surg 1996;
224: 58–65.
42
47
2 (1,3–2,3)
3,5 (2,4–4,5)
1
7
2
3
*2
*2
Ho et al.
Br J Surg 1996;
83: 978–980.
17
16
3 (2–7)
6 (3–7)
1
5
10
3
15/1/1
14/1/1
Benoist et al.
J Am Coll Surg
1997; 185: 114–119.
15
37
2,1⫾1,4*3
3,1⫾1,7
0
3
–
–
11/4/0
19/14/4
Kienle et al.
Chirurg 1997;
68: 630–632.
13
21
3,3⫾1,3*3
5,2⫾3,3*3
–
–
–
–
9/4/0
12/7/2
Lazorthes et al.
Br J Surg 1997;
84: 1449–1451.
19
18
2,3
4,5
3
2
1
1
*4
*4
Wang et al.
Dis Colon Rectum
1997; 40: 30–34.
27
21
*5
*5
2
17
2
0
23/4/0
14/7/0
Dehni et al.
Dis Colon Rectum
1998; 41: 817–822.
47
34
1,6⫾1,1*3
2,8⫾2,0*3
1
3
14
24
14/27/6
11/19/4
Joo et al.
Dis Colon Rectum
1998; 41: 740–746.
26
30
2,4⫾1,3*3
4,0⫾2,0*3
2
11
2
7
*2
*2
Schumpelick et al.
Chirurg 1999;
70: 543–551.
15
62
1,8⫾2,3*3
2,4⫾3,6*3
0
9
2
17
12/3/0
49/11/2*6
– keine Angaben
p < 0,05 bei fettgedruckten Resultaten
*1 Anzahl der Pat. mit mehr als 3 Stühlen/Tag signifikant unterschiedlich: CPA 5/15; CAA 11/15
*2 Inkontinenz-Score nach CPA signifikant niedriger als nach CAA
*3 Mittelwert Standardabweichung
*4 Kontinenz nach CPA signifikant besser als nach CAA nach der Kirwan-Fazio-Klassifikation
*5 Anzahl der Pat. mit mehr als 5 Stühlen/Tag signifikant unterschiedlich: CPA 0/27; CAA 10/21
*6 Follow-up nach CPA 1 Jahr; mittlere Beobachtungszeit nach CAA 6,6 Jahre
CPA, Kolon-Pouch-anale Anastomose
CAA, koloanale Anastomose
A-1140 Deutsches Ärzteblatt 97, Heft 17, 28. April 2000
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DIE ÜBERSICHT
Totale Mesorektumexzision
Ein weiterer Fortschritt der letzten Jahre war die totale Mesorektumexzision (TME), das heißt die minutiöse Entfernung des gesamten Mesorektums in toto unter Respektierung
der umgebenden Faszien. Diese vor
allem von Heald et al. als so genannte
„totale mesorectal excision“ propagierte Methode reduziert die Rate der
Lokalrezidive drastisch und steigert
die Überlebensrate. Aufgrund der
Beobachtung von isolierten Tumorzellnestern auch mehrere Zentimeter
distal des Primärtumors im Mesorektum wurde die komplette Entfernung
des Mesorektums bis zum muskulären
Beckenboden bei Tumoren des mittleren und distalen Drittels (Abbildung 2) Standard (19, 21, 27, 37). In einer prospektiven Studie an 519 Patienten betrug die allgemeine Überlebensrate nach TME 68 Prozent nach
fünf Jahren und 66 Prozent nach zehn
Jahren. Die Lokalrezidivrate betrug
sechs Prozent nach fünf Jahren und
acht Prozent nach zehn Jahren. Bei
primär „kurativer“ Resektion erhöhte sich die Zehn-Jahres-Überlebensrate auf 78 Prozent (20). Der Vorteil
dieser Operationstechnik wurde in
mehreren Studien anderer Kliniken
mittlerweile belegt (5, 13). Somit steht
der modernen Rektum-Chirurgie mit
der tiefen anterioren Resektion, der
koloanalen Anastomose, der KolonPouch-analen Anastomose, der totalen Mesorektumexzision und der
regionalen Lymphadenektomie ein
technisches Spektrum zur Verfügung,
mit dem sich 85 Prozent der Rektumkarzinome kontinent, bei Lokalrezidivquoten unter zehn Prozent und
Überlebensraten von über 50 Prozent
operieren lassen.
Erweiterte
Lymphadenektomie
Die TME stellt eine Komplettierung der regionalen Lymphadenektomie im Rahmen der TAR dar. Noch
weiter geht die so genannte „erweiterte Lymphadenektomie“, die auch die
aorto-iliakalen und pelvinen Lymphknoten entfernt. So wiesen japanische
Arbeitsgruppen bei Patienten mit
tiefsitzenden Rektumkarzinomen in
Abbildung 3: Kontinuitätswiederherstellung durch
maschinelle Kolon-Pouch-anale Anastomose.
bis zu 36 Prozent pelvine Tumorzellnester außerhalb des Mesorektums
nach (40). 1986 schlug Enker deshalb
die aorto-iliakale und pelvine Lymphadenektomie vor, welche die Lymphknoten kaudal der aortocavalen Bifurkation entlang der A. iliaca communis bis hin zur A. iliaca interna umfasste. Im Gegensatz zu älteren Studien (15) waren die Fünf-Jahres-Überlebensraten im Stadium Dukes C mit
64 Prozent signifikant besser als die
einer historischen Kontrollgruppe (54
Prozent). In den Stadien Dukes A und
B zeigten sich keine Unterschiede
(14). Die beeindruckendsten Daten,
welche eine sehr radikale Lymphadenektomie unterstützen, findet man in
japanischen Studien (41, 53, 59). Hojo
et al. erreichten durch eine weite pelvine Lymphknotendissektion FünfJahres-Überlebensraten von 88 Prozent im Stadium Dukes B und 74 Prozent im Stadium Dukes C (24). Diese
Resultate wurden bislang allerdings
noch nicht von anderen Chirurgen erreicht oder durch prospektive, randomisierte Studien gesichert.
Nachteil dieser Technik ist die
hohe Morbidität im Hinblick auf postoperative Blasen- und Sexualstörungen. Ursächlich ist die Verletzung
pararektaler autonomer Nerven, so in
erster Linie des periaortalen Plexus
hypogastricus superior, des sakralen
Plexus hypogastricus inferior und des
autonomen N. hypogastricus. Es gilt
jedoch festzustellen, dass es bis heute
keine gesicherten Kriterien für eine
erweiterte Lymphadenektomie gibt.
Alle Varianten der ausgedehnten
Lymphadenektomie sind mit einer erhöhten postoperativen Komplikationsrate und Letalität vergesellschaftet und sollten deshalb nicht routinemäßig außerhalb klinischer Studien angewendet werden. Unter dem
Schlagwort „nerve-preserving surgery“ propagieren einzelne Zentren,
so auch wir, eine Operationstechnik
mit akribischer Darstellung und selektiver Schonung aller autonomen
pararektalen Nervenstrukturen bei
der lateralen Lymphknotendissektion
(40, 57). Die vollständige Schonung
autonomer Nerven erhält sowohl die
Blasen- als auch die Sexualfunktion,
während die partielle Schonung mit
Verletzung des N. hypogastricus zu
Potenzstörungen führt (51). Dabei
geht die Verletzung des Plexus hypogastricus superior mit Ejakulationsstörungen und des Plexus hypogastricus inferior mit Erektionsstörungen
einher (36).
Totale Beckenexenteration
Fortgeschrittene Tumoren des
Rektums mit Infiltration in Nachbarorgane sind möglichst en bloc mit allseits tumorfreien Resektionsrändern
zu entfernen. Eine vorausgehende
Separation infiltrierter Organe mit
Verletzung des Primärtumors führt
zu einer Tumorzellverschleppung im
Becken mit konsekutiver Reduktion
der Fünf-Jahres-Überlebensrate um
20 bis 30 Prozent (38). Die Extremform der En-bloc-Resektion stellt
die totale Beckenexenteration mit
Entfernung von Harnblase, Vagina,
Uterus und Ovarien beziehungsweise Samenblasen und Prostata und
gegebenenfalls des distalen Sakrums
dar.
Fünf-Jahres-Überlebensraten
nach primär kurativer Resektion von
Deutsches Ärzteblatt 97, Heft 17, 28. April 2000 A-1141
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DIE ÜBERSICHT
Tabelle 2
Postoperative Komplikationen nach Kolon-Pouch-analer und koloanaler Anastomose (50)
Patienten
N
Letalität
Anastomoseinsuffizienz
Blasenentleerungsstörung
Anastomosestenose
Ileus
Berger et al.
World J Surg 1992;
16: 470–477.
162
1
5
2
0
3
Hildebrandt et al.
Chirurg 1995;
66: 377–384.
35
0
4
0
1
0
Hallböök et al.
Ann Surg 1996;
224: 58–65.
45
1
1
5
3
1
Kienle et al.
Chirurg 1997;
68: 630–632.
24
0
3
2
2
1
Lazorthes et al.
Dis Colon Rectum 1997;
40: 1409–1413.
47
1
2
1
0
0
Wang et al.
Dis Colon Rectum 1997;
40: 30–34.
30
1
2
3
1
1
Joo et al.
Dis Colon Rectum 1998;
41: 740–746.
44
1
2
–
0
4
Schumpelick et al.
Chirurg 1999;
70: 543–551.
24
1
3
1
1
1
Gesamt
411
6
(1,5%)
22
(5,4%)
14
(3,8%)
8
(2,0%)
11
(2,7%)
Hallböök et al.
Ann Surg 1996;
224: 58–65.
52
0
8
4
7
1
Van Tets et al.
Scand J Gastroenterol
Suppl 1996; 218: 34–37.
39
0
3
–
2
1
Kienle et al.
Chirurg 1997;
68: 630–632.
39
1
8
3
5
1
Wang et al.
Dis Colon Rectum 1997;
40: 30–34.
21
0
0
2
1
0
Joo et al.
Dis Colon Rectum 1998;
41: 740–746.
39
2
2
–
4
2
Schumpelick et al.
Chirurg 1999;
70: 543–551.
128
4
10
3
3
0
Gesamt
318
7
(2,2%)
31
(9,7%)
12
(5,0%)
22
(6,9%)
5
(1,6%)
Kolon-Pouch-anale
Anastomose
Koloanale Anastomose
– keine Angaben
A-1142 Deutsches Ärzteblatt 97, Heft 17, 28. April 2000
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DIE ÜBERSICHT
56 Prozent und Lokalrezidivraten von
nur 16 Prozent sind zufriedenstellend,
allerdings liegt das Morbiditätsrisiko
bei bis zu 73 Prozent. Patienten, bei
denen eine kurative Resektion nicht
gelingt, haben durchschnittlich ein
Langzeitüberleben von weniger als
zehn Prozent (57). Morbiditäts- und
Mortalitätsrisiko sind daher sorgfältig
gegen die potenziell kurative Resektion abzuwägen. Zudem müssen die
funktionellen, sexuellen und psychologischen Folgen, die sich zwangsläufig aus diesem verstümmelnden Eingriff ergeben, mit dem Patienten besprochen werden.
Koloanale und KolonPouch-anale Anastomose
Die mittlere Stuhlfrequenz nach
anteriorer Rektumresektion steht in
inverser Korrelation zur Reservoirkapazität des belassenen Rektumstumpfes (26, 34). Unter der Vorstellung,
durch die Schaffung eines künstlichen
Stuhlreservoirs die funktionellen Ergebnisse nach tiefer Rektumresektion
zu verbessern, ergänzten Lazorthes
(31) und Parc (46) 1986 die koloanale
Rekonstruktion mit einem vorgeschalteten Kolon-J-Reservoir, dem
so genannten Kolon-Pouch (KolonPouch-anale Anastomose, CPA) (Abbildungen 1 und 3, Grafik 2). Während der letzten Jahre wurden mehrere Studien publiziert, in denen eine
signifikante Reduktion der täglichen
und nächtlichen Stuhlgänge durch
den Pouch belegt wurde (Tabelle 1).
Zudem wird durch die Pouchanlage
trotz größerer Anastomosenlänge
die Komplikationsrate im Vergleich
zur geraden koloanalen Anastomose
nicht erhöht. Bisher veröffentlichte
Ergebnisse lassen sogar vermuten,
dass die Insuffizienzrate nach CPA
niedriger ist als nach CAA (Tabelle 2)
(16). Ursächlich ist möglicherweise
eine verbesserte Durchblutung der
Seit-zu-End-Anastomose (17), und
ein geringeres Risiko für ResidualHämatome im kleinen Becken, da der
Pouch den präsakralen Raum besser
ausfüllt (50). Die funktionellen Vorteile gegenüber der einfachen CPA
sind unmittelbar postoperativ am
ausgeprägtesten und nehmen im Verlauf eines Jahres kontinuierlich ab
(16, 25, 30). Gerade deshalb eignet
sich dieses, im Vergleich zur geraden
Anastomosierung nur wenig aufwendigere Verfahren auch für Patienten
mit eingeschränkter Lebenserwartung.
Sowohl CPA als auch CAA interferieren mit den physiologischen Kontinenzmechanismen. Der für die Diskriminierung wichtige rektoanale inhibitorische Reflex wird durch intramurale intrinsische Nervenbahnen vermittelt und ist nach tiefer Resektion
des Rektums meist aufgehoben.
Dehnungsrezeptoren des muskulären
Beckenbodens vermitteln allerdings
eine ausreichende postoperative Sensibilität, sodass bei den Patienten ohne
Inhibitionsreflex der Stuhldrang, das
Gefühl für den Füllungszustand sowie
die Fähigkeit zur vollständigen Stuhldiskriminierung erhalten bleiben (50).
Eine weitere Folge tiefer Rektumresektionen ist die Schädigung des inneren, für die unwillkürliche Kontinenz
zuständigen Schließmuskels, welche
zum Teil direkt durch den Stapler und
zum Teil indirekt durch Nervenverletzung bei der Präparation zustande
kommt (51). Diese Defizienz kann
durch die hohe Leistungsreserve des
äußeren, willkürlichen Schließmuskels kompensiert werden, sodass in
der Regel eine ausreichende postope-
rative Kontinenz resultiert (Tabelle 1).
Bei Patienten mit präoperativer Inkontinenz oder schlechter Schließmuskelfunktion sollte allerdings generell auf eine CAA oder CPA, also eine
sphinktererhaltende Operation verzichtet werden. In diesen Fällen haben
die meist älteren Patienten mit einem
funktionierenden Kolostoma eine
deutlich bessere Lebensqualität als
mit einem inkontinenten Anus naturalis. Eine exakte Anamneseerhebung
und der präoperative Nachweis einer
normalen Sphinkterfunktion mittels
Analmanometrie sind daher unabdingbar.
Um die Folgen einer Anastomoseninsuffizienz
(pelvine
Sepsis,
Pouchfibrose) möglichst gering zu
halten wird von vielen Autoren die
Anlage einer protektiven Transversostomie empfohlen. Allerdings zeigen
einzelne Studien, dass ein protektives
Stoma nicht unbedingt in allen Fällen
erforderlich ist (10, 56). Bei unserem
Patientenkollektiv kam es bei den vier
Patienten ohne Deviationsstoma in
keinem Fall zu einer Anastomoseninsuffizienz. Bei gut durchbluteten,
problemlosen Anastomosen kann unseres Erachtens auf ein protektives
Stoma verzichtet werden. Bei älteren
Patienten mit grenzwertiger Sphinkterfunktion oder intra- oder postope-
Grafik 1
Überlebenswahrscheinlichkeit
1
0,8
0,6
0,4
CAA
TAR
APR
0,2
0
0
10
20
30
40
50
60
70
66,6 %
58,8 %
63,9 %
80 90 100 110 120 130 140 150 160 170
Monate
Alterskorrigiertes Überleben (Fünf-Jahres-Überleben) beim Rektumkarzinom an der RWTH Aachen (KaplanMeier; alle Tumorstadien): abdomino-perineale Rektumamputation (APR) n=115, tiefe anteriore Resektion
(TAR) n=501, koloanale Anastomose (CAA) n=114
Deutsches Ärzteblatt 97, Heft 17, 28. April 2000 A-1143
M E D I Z I N
DIE ÜBERSICHT
rativer Radiotherapie sollte jedoch
aus Sicherheitsgründen ein protektives Ileo- oder Transversostoma angelegt werden.
Minimal invasive
Operationsverfahren
Im Zuge der Entwicklung der Laparoskopie wurden auch Techniken
zur laparoskopischen Rektumresektion entwickelt. Die wesentlichen Vorteile sind das geringere Operationstrauma und die dadurch schnellere
Rekonvaleszenz (55, 57). Die technischen Anforderungen an den Chirurgen sind durch Schwierigkeiten bei
der Kontrolle von Blutungen im kleinen Becken und bei der Bergung des
Präparats hoch. Das größte Problem
ist jedoch der Verdacht auf ein erhöhtes Risiko der intraoperativen Tumorzellverschleppung, da Implantationsmetastasen in bis zu sieben Prozent
bei laparoskopisch operierten Patienten beschrieben wurden (42, 57). Bis
dieser Verdacht nicht ausgeräumt ist,
sollte die laparoskopische Resektion
von Rektumkarzinomen nur im Rahmen kontrollierter Studien erfolgen.
An unserer Klinik wird diese Operationstechnik nur bei Palliativeingriffen
als laparoskopisch assistierte Rek-
tumamputation angewendet. Bei der
transanal endoskopischen mikrochirurgischen Rektumresektion (TEM)
werden unter Zuhilfenahme des von
Buess et al. entwickelten Operationsrektoskops kleine Rektumtumoren im
distalen und mittleren Drittel transanal
allschichtig reseziert (3, 9). Die zugehörigen Lymphbahnen und -knoten
können hierbei nicht entfernt werden
und verbleiben in situ. Da der definitive
Lymphknotenstatus präoperativ mit
allen bildgebenden Verfahren einschließlich der Endosonographie nicht
zu 100 Prozent verlässlich beurteilbar
ist und auch bei T1-Karzinomen in bis
zu zehn Prozent Lymphknotenmetastasen vorliegen können, sollte dieses
Operationsverfahren nur bei Patienten
mit gut differenzierten uT1-Karzinomen angewandt werden (3, 18).
Ähnliches gilt für die lokale Tumorexzision mit zusätzlicher präoder postoperativer Bestrahlung. Die
zurzeit verfügbaren Ergebnisse zeigen, dass dieser Ansatz auch bei lokal
fortgeschrittenen Tumoren erfolgversprechend ist (1). Er kann bei Patienten mit stark erhöhtem Operationsrisiko oder solchen, die eine radikale
Operation ablehnen, erfolgen. Die
routinemäßige Indikation bei ansonsten gesunden Patienten ist nach derzeitigem Wissensstand abzulehnen.
Grafik 2
ml
350
300
250
200
150
100
50
0
CAA
4 cm Rektum
6 cm Rektum
CPA
>12 cm
Rektum
Darstellung der Reservoirkapazität nach Rektumresektion in Abhängigkeit von Anastomosenlokalisation und
Rekonstruktionstechnik.
A-1144 Deutsches Ärzteblatt 97, Heft 17, 28. April 2000
Adjuvante
Therapiekonzepte
Die adjuvante Therapie des
Rektumkarzinoms umfasst den perioperativen Einsatz einer Radiound/oder Chemotherapie (RCT) unter folgenden Rahmenbedingungen:
❃ präoperativ bei fortgeschrittenen Tumoren,
❃ intraoperativ bei fortgeschrittenen Tumoren,
❃ postoperativ nach mikro- und
makroskopisch vollständiger Tumorentfernung,
❃ postoperativ nach unvollständiger Tumorentfernung.
Zielkriterium aller derartigen
ergänzenden Therapien ist der Überlebensvorteil oder die verbesserte
Lebensqualität (Tabelle 3). Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass
eine neo-/adjuvante Radiotherapie
das perioperative Komplikationsrisiko steigert (11, 36, 45, 52). Wenngleich die Studienergebnisse hierzu
erheblich differieren, finden sich
doch Berichte über vermehrte
Komplikationen wie Ileus, Fistelbildungen, Blasenentleerungsstörungen oder eine Beeinträchtigung der
Kontinenzleistung (28, 32).
Die präoperative Radiotherapie
zielt auf die Tumorverkleinerung, also auf die Steigerung der technischen Resektabilität oder ein echtes
„down staging“ (32). Dies wird heute
mit einer kombinierten Radiochemotherapie erreicht. Ziel ist es,
durch eine Tumorverkleinerung Resektabilität oder gar Sphinktererhalt
zu ermöglichen. Stets ist hierzu eine
Vorbehandlungsdauer von mehreren
Wochen erforderlich. Devitalisierung von Tumorzellen und damit die
Verhinderung der intraoperativen
Dissemination ist ein anderes, häufigeres Ziel. Hierzu ist eine kurze Vorbehandlung von etwa einer Woche
ausreichend (7, 54). Der Vorteil ist
die Vermeidung einer postoperativen Bestrahlung des rekonstruierten
Darmabschnitts. Die Kombination
von prä- und postoperativer Bestrahlung ist wegen erheblicher Nebenwirkungen wieder verlassen worden. Die alleinige präoperative Radiotherapie ist in über 30 Jahren in
vielen Studien überprüft worden
(32). Insgesamt kommt es zu einer
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DIE ÜBERSICHT
Reduktion der lokalen Rezidivrate,
die sogar deutlicher ist als nach postoperativer Bestrahlung (45). Allerdings wirkt sich dies in vielen Studien nicht signifikant auf das Fünf-Jahres-Überleben aus. Große Erwartungen werden daher in die kombinierte präoperative RCT gesetzt, die
zurzeit in einigen Studien überprüft
wird (32).
Die intraoperative Strahlentherapie (IORT) erlaubt die Applikation sehr hoher Strahlendosen im Zielvolumen bei Schonung strahlensensibler Nachbarstrukturen. Obgleich
die IORT bereits seit den 70er-Jahren eingesetzt wird, lässt sich ihre
Bedeutung immer noch nicht definitiv einschätzen. Die publizierten Studien sind zumeist nicht randomisiert
und kombinieren die IORT vielfältig
mit prä-, intra- oder postoperativen
Radio- oder Chemotherapien. Die
IORT scheint zumindest im Rahmen
einer R0-Resektion das lokale Rezidivrisiko zu vermindern und tendenziell das Überleben zu verlängern
(36). Ein makroskopischer Tumorrest kann durch IORT nicht vernichtet werden. Als Nachteil der Maßnahme ergibt sich in einigen Untersuchungen eine Zunahme lokaler
septischer Komplikationen (32).
Die postoperative RCT nach
kurativer Resektion des Rektumkarzinoms stellt seit der KonsensusEmpfehlung der NIH 1990 und entsprechenden Empfehlungen beziehungsweise Leitlinien verschiedener
medizinischer Fachgesellschaften in
Deutschland den gegenwärtigen
Standard für die Stadien II und III
dar (33). Diese adjuvante Therapie
mit 5-Fluorouracil (5-FU) und Leucovorin oder Levamisol scheint die
Fünf-Jahres-Überlebensraten insgesamt um fünf bis zehn Prozent zu
verbessern (12, 36). Neuere Studien
weisen darauf hin, dass eine kontinuierliche Infusion von 5-FU der üblichen Bolusgabe überlegen sein
könnte (4). Allerdings gelten diese
Daten für die Rektumchirurgie vor
der systematischen Einführung der
totalen Mesorektumexzision. Unter
konsequenter Anwendung der TME
erscheint es diskutabel, sich bei R0Resektionen wie beim Kolonkarzinom auf die postoperative Chemotherapie zu beschränken, da die Ra-
diotherapie eine erhebliche Morbidität nach sich ziehen kann. Mehrere
Zentren (Fazio, Cleveland Clinic;
Pemberton, Mayo-Clinic; Heald, Basingstoke Hospital; Phillips, St.
Marks und die RWTH Aachen) befürworten diese Entwicklung wegen
der nicht übersehbaren Langzeitfolgen der postoperativen Radiotherapie auf den Urogenitaltrakt.
Die postoperative RCT nach
unvollständiger Tumorentfernung
erfolgt in unterschiedlichen Situationen. Im engeren Sinne kann eine lokal nicht radikale Resektion vorliegen (palliative Resektion beispielsweise bei blutendem Tumor: R 1 =
bermetastasen stehen eine Reihe
palliativer Therapien zur Verfügung,
wie die perkutane Alkoholinjektion
oder thermische Tumorzellvernichtung sowie die regionale Chemotherapie über einen A.-hepatica-PortKatheter (34). Mit Ausnahme der regionalen Chemotherapie ist eine Lebenszeitverlängerung durch diese
Verfahren bislang allerdings nicht
zweifelsfrei bewiesen. Bei multilokulärer Tumorausbreitung ohne chirurgische Zugriffsmöglichkeit und
gutem Allgemeinzustand ist gegenwärtig eine systemische Chemotherapie beispielsweise mit 5-FU im so
genannten Hochdosisbereich oder
Tabelle 3
Derzeitige Indikationen zur perioperativen Radio-/Chemotherapie beim Rektumkarzinom
außerhalb von Studien (13, 15, 16, 17, 21, 22)
Klinische Situation
Adjuvante Therapie
Großes T3-Karzinom
präoperative RT + CT (+ evtl. IORT)
T4-Karzinom/extraluminales Rezidiv
prä-/postoperative RC + CT + IORT
kurativ reseziertes Karzinom
Stadium II oder III (ohne TME)
postoperative RT + CT
Lokal exzidiertes Karzinom
> T1/low risk
(bei Risikokonstellation oder keiner
Einwilligung zu erneuter OP)
postoperative RT + CT
RT, Radiotherapie; CT, Chemotherapie; IORT, intraoperative Strahlentherapie
mikroskopischer, R 2 = makroskopischer Tumorrest). Zum anderen
kann die Resektion lokal radikal
sein, aber eine Fernmetastasierung,
typischerweise in die Leber, bestehen. Eine lokal palliative Resektion
lässt sich durch eine RCT nicht kurativ beherrschen. Gleichwohl scheint
die RCT die Entstehung des Rezidivs zu verzögern und die Überlebenszeit zu verlängern (36).
Fernmetastasen
Eine Fernmetastasierung in Leber oder Lunge ist heute, technische
Resektabilität vorausgesetzt, bei Vorliegen einer geringen Zahl (< 4) von
umschriebenen Metastasen grundsätzlich eine eindeutige Indikation
zur Resektion. Für irresektable Le-
mit einem Topoisomerasehemmer zu
empfehlen (49). Der Überlebensvorteil scheint zwar statistisch signifikant, allerdings beträgt er nur wenige
Monate, sodass die nicht zu vernachlässigenden Nebenwirkungen in die
Indikationsstellung mit einzubeziehen sind (44).
Prognosefaktor „Chirurg“
Die Vielzahl adjuvanter Therapieverfahren darf den Blick nicht
darauf verstellen, dass die chirurgische Entfernung des Tumors und seines Lymphabflussgebietes nach wie
vor die Grundvoraussetzung der
Heilung eines Rektumkarzinoms ist
(39). Einen in diesem Zusammenhang wichtigen Aspekt zeigen Untersuchungen auf, die für verschiede-
Deutsches Ärzteblatt 97, Heft 17, 28. April 2000 A-1145
M E D I Z I N
DIE ÜBERSICHT/KURZBERICHT
ne Länder belegen, dass unabhängig
vom Tumorstadium die postoperative Komplikationsrate und das Patientenüberleben signifikant vom
Operateur abhängen (23, 47). Die
technische Durchführung des Eingriffs gewinnt damit den Charakter
eines entscheidenden Prognosefaktors. Untersucht man die publizierten Studien zur adjuvanten Therapie
beim kolorektalen Karzinom auf eine Berücksichtigung dieses Prognosefaktors, so fehlt diese fast ausnahmslos (32). Wenn allein die exakte, an anatomischen Grenzschichten
orientierte Resektionstechnik die
Lokalrezidivraten derartig zu reduzieren vermag, erscheint es wahrscheinlich, dass die große Mehrzahl
der adjuvant behandelten Patienten
keinen Nutzen von dieser Zusatztherapie hat. Es muss daher überprüft
werden, ob der postulierte Überlebensvorteil einer adjuvanten RCT
lediglich auf dem Vorhandensein
hoher Rezidivraten nach alleiniger
Operation – und damit auf einer
kompletten Chirurgie – beruht. Es
gilt, die Leistungsfähigkeit der alleinigen chirurgischen Therapie im
Vergleich zur Kombination der Chirurgie mit adjuvanter Therapie neu zu
dokumentieren (48). Zum anderen
werden dringend weitere tumorbezogene Risiko- und Prognoseparameter benötigt, um die verfügbaren
adjuvanten Maßnahmen gezielter
einsetzen und nicht profitierenden
Patientengruppen die Nebenwirkungen ersparen zu können (60).
Zitierweise dieses Beitrags:
Dt Ärztebl 2000; 97: A-1138–1146
[Heft 17]
Die Zahlen in Klammern beziehen sich auf
das Literaturverzeichnis, das über den Sonderdruck beim Verfasser und über das Internet
(www.aerzteblatt.de) erhältlich ist.
Anschrift für die Verfasser
Prof. Dr. med. Dr. h. c.
Volker Schumpelick
Chirurgische Universitätsklinik und
Poliklinik der RWTH Aachen
Pauwelsstraße 30, 52074 Aachen
Magnetresonanztomographie bei
Patienten mit künstlicher Herzklappe
Hellmut Oelert1, Manfred Thelen2
A
ls nichtinvasives Untersuchungsverfahren findet die
Magnetresonanztomographie
(MRT) in der medizinischen Diagnostik zunehmend Anwendung. Während dieser Untersuchung sind die Patienten verschiedenen magnetischen
und elektromagnetischen Feldern
ausgesetzt:
❃ einem starken statischen Magnetfeld zur Erzeugung der Kernpolarisation,
❃ schwächeren, sich schnell ändernden Gradientenfeldern für
die Lokalisierung und Ortskodierung und
❃ dem Hochfrequenzfeld zur Änderung des Energiezustandes der
Protonen.
Für die metallische Komponente
eines Implantats wurden theoretisch
mögliche biologische und mechanische Effekte durch diese Felder in
Form von Induktion eines elektrischen Stroms und Erwärmung beschrieben (4). Seitdem galten die magnetischen und elektromagnetischen
Felder der MRT für Patienten mit
künstlichen Herzklappen und ihren
beweglichen Verschlusskörpern als
potenzielle Gefahrenquellen.
Zwangsläufig waren daraufhin
nicht nur viele Patienten mit künstlicher Herzklappe, sondern auch der sie
weiterbehandelnde Arzt oft verunsichert und daran interessiert zu erfahren, inwieweit die MRT-Untersuchung
bei später auftretenden Erkrankungen, wie zum Beispiel einem Tumorleiden, klappenbezogene Komplikationen auslösen kann. Ergebnisse aus
früheren Jahren, wonach die MRT bei
Trägern künstlicher Herzklappen gefahrlos möglich ist, liegen zwar bereits
vor (1, 2), häufige Rückfragen lassen
jedoch erkennen, dass fortwährende
Unsicherheit besteht, ob MRT-Untersuchungen mit den modernen Geräten
möglicherweise nicht doch Sitz und
Funktion der Kunstherzklappe beein1 Klinik und Poliklinik für Herz-, Thorax- und
Gefäßchirurgie (Direktor: Prof. Dr. med.
Hellmut Oelert) der Johannes GutenbergUniversität, Mainz
2 Klinik und Poliklinik für Radiologie (Direktor:
Prof. Dr. med. Manfred Thelen) der Johannes
Gutenberg-Universität, Mainz
A-1146 Deutsches Ärzteblatt 97, Heft 17, 28. April 2000
flussen und dadurch auch hämodynamische Störungen nach sich ziehen
können.
Kein Risiko für Träger
künstlicher Herzklappen
An 17 der gebräuchlichsten
Herzklappenprothesen (Tabelle) wurden deshalb In-vitro-Untersuchungen
zur Beurteilung einer möglichen Anziehung und/oder Erhitzung während
einer MRT bei 1,5 Tesla durchgeführt
(3). Dabei konnte weder eine messbare Ablenkung (Anziehung) noch eine
Temperaturerhöhung im umgebenden Medium von mehr als 0,5°C gefunden werden. Als Nebeneffekt zeigte sich lediglich die Bildqualität durch
Metallartefakte unterschiedlich beeinflusst, und zwar bei den Bioprothesen weniger stark als bei den mechanischen Substituten. In Bezug auf die
Untersuchungstechnik waren Bildartefakte durch den Metalleinschluss
in einer künstlichen Herzklappe bei
Anwendung einer Gradienten-Echosequenz deutlicher als bei Einsatz der
M E D I Z I N
KURZBERICHT/FÜR SIE REFERIERT
Turbo-Spin-Echosequenz. Sie erlaubten aber in beiden Fällen weiterhin
die Darstellung und Interpretation
der benachbarten Gewebestrukturen
des Herzens.
Die Untersuchungen erfolgten in
Ruhe, ohne einen zusätzlichen kühlenden Blutfluss, sodass eine Dislokation oder Beeinträchtigung des
Flügelspiels einer Kunstherzklappe
durch Überwärmung in vivo unwahrscheinlich ist; ebenso eine Dislokation
im statischen Magnetfeld. Bei der Rotation der Herzklappe um eine Achse,
die senkrecht zum statischen Magnetfeld ausgerichtet ist, wurde eine leichte hemmende Krafteinwirkung beobachtet. Diese scheint aber wesentlich
geringer zu sein, als die mechanischen
Wirkungen der Herzbewegung oder
des strömenden Blutes, sodass sich
Patienten mit den von uns untersuchten Herzklappen gefahrlos jeglicher
standardisierter MRT-Diagnostik bei
Feldstärken bis 1,5 Tesla unterziehen
können.
Zitierweise dieses Beitrags:
Dt Ärztebl 2000; 97: A-1146–1147
[Heft 17]
Literatur
1. Bachmann R, Deutsch JH, Jüngehülsing M,
Sechtem U, Hilger HH, Schicha H: Magnetresonanztomographie bei Patienten mit
Herzklappenersatz. RöFo 1991; 155: 499–505.
2. Di Cesaro E, Enrici RM, Paparoni S, Castaldo F, Alagia MG, Spendiani A, Bottone A,
Lupatelli L: Low-field magnetic resonance
imaging in the evaluation of mechanical and
biological heart valve function. EJR 1995;
20: 224–228.
3. Kalden P, Prüfer D, Schreiber W, Kreitner
K-F, Oelert H, Thelen M: In-vitro-Untersuchung von biologischen und technischen
Herzklappenprothesen im MRT: Beurteilung möglicher Anziehung und Erhitzung
der Implantate. Fortschr Röntgenstr 2000;
172: 184–188
4. Kanal E, Shellock FG, Talagala L: Safety
considerations in MR imaging. Radiology
1990; 176: 593–606.
Anschrift für die Verfasser
Prof. Dr. med. Hellmut Oelert
Klinik und Poliklinik für Herz-,
Thorax- und Gefäßchirurgie
Klinikum der Johannes GutenbergUniversität Mainz
Langenbeckstraße 1
55131 Mainz
E-Mail: [email protected]
Tabelle
Auflistung der im MRT untersuchten Herzklappen*
Herzklappenprothese
Position
Bauart
Baxter MIRA 21 AF
aortal
technisch
Baxter MIRA 27 M
mitral
technisch
Björk-Shiley Monostrut
mitral
technisch
On-X 19 mm
aortal
technisch
On-X 13 mm
aortal
technisch
On-X 25 mm
mitral
technisch
SJM 23 A101
aortal
technisch
SJM 25 MEC
mitral
technisch
SJM 27 MS601 (Silzone)
mitral
technisch
Omniscience
aortal
technisch
Sorin Bicarbon
mitral
technisch
Ultracor
mitral
technisch
Baxter CE SAV 33 mm
mitral
biologisch
Baxter CE 23 mm Perimount
aortal
biologisch
Baxter CE SAV 31 mm
aortal
biologisch
Mitroflow
aortal
biologisch
SJM Mitral 28 mm (Bioimplant)
mitral
biologisch
* Darunter befinden sich zwölf technische und fünf biologische Modelle der gebräuchlichsten Substitute für den Aorten- und Mitralklappenersatz. Neben der Industrie-Bezeichnung
sind die jeweils vorgesehene Position und Bauart der Klappenprothese angegeben.
Prävalenz von
Hepatitis-C-Antikörpern
in Deutschland
Vor 1990 war die Hepatitis C die
häufigste Ursache der Posttransfusions-Hepatitis in Deutschland. Seit
Nachweis von Anti-HCV-Antikörpern ist die Zahl der Infektionen mit
einer Posttransfusions-Hepatitis C in
Deutschland von 100 per 100 000
Bluttransfusionen auf weniger als fünf
zurückgegangen.
Die Autoren führten eine epidemiologische Studie an 5 312 Individuen im Alter von 18 bis 70 Jahren
durch, die in fünf Bundesländern
vorgenommen wurde und wobei
mittels Enzym-Immunoassay AntiHCV-Antikörper bestimmt wurden.
Antikörper gegen das Hepatitis-CVirus fanden sich in 0,63 Prozent, bei
älteren Individuen häufiger als bei
jüngeren. Rund die Hälfte der Patienten zeigte gleichzeitig auch Marker
einer Hepatitis-B-Virusinfektion. w
Palitzsch K-D, Hottenträger B, Schlottmann K, Frick E, Holstege A, Schölmerich J, Jilg W: Prevalence of antibodies
against hepatitis C voris in the adult
German population. Eur J Gastroenterol
Hepatol 1999; 11: 1215–1220.
Klinik und Poliklinik für Innere Medizin I, Institut für Medizinische Mikrobiologie und Hygiene, Universität Regensburg, Postfach 10 06 62, 93042 Regensburg.
Deutsches Ärzteblatt 97, Heft 17, 28. April 2000 A-1147
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