BÜCHER ZWANGHAFTE PERSÖNLICHKEITSSTÖRUNG Motivation zu Veränderungen Nur einige Patienten mit einer zwanghaften Persönlichkeitsstörung sind prinzipiell durch Therapie erreichbar, und zwar die, deren Störung nicht völlig ich-synton ist, sondern die Ambivalenzen und Diskrepanzen spüren. Auf diesen Personenkreis fokussiert das Buch und zeigt praktikable Wege auf. Aber auch bei diesen Personen ist die Therapie schwierig: Die Patienten müssen zu Veränderungen motiviert werden, die Therapeuten müssen sehr zielgerichtet vorgehen und auch sehr geduldig sein, um den Selbstbestimmungsaspekten der Klienten Rechnung zu tragen. Dazu wird im Buch, nach einem kurzen Kapitel zur Diagnostik, detaillierter auf die Störungstherapie eingegangen und es werden zentrale Beziehungsmotive, dysfunktionale Schemata, kompensatorische Schemata sowie die Besonderheiten des Personenkreises mit diesem Störungsprofil behandelt. Dann geht es um die Therapie. Zunächst werden einige wichtige grundlegende Dinge geklärt. Ein wichtiger Aspekt der allgemeinen Grundhaltung des Therapeuten ist Geduld: Weil die Klienten hochgradig autonomieorientiert sind, aber auch sehr empfindlich, muss der Therapeut dem Klienten besonders in der initialen Phase sehr viel Kontrolle übergeben. Zum Thema Akzeptanz wird ausgeführt, dass der Therapeut sehr genau prüfen soll, ob er den Klienten wirklich akzeptieren und sich auf ihn einstellen kann. Weil die Normen für die Klienten inhaltlich keine Funktion haben, sondern eine intrapsychische Regulationsfunktion sowie eine Funktion für die Beziehung, und dem Angstschutz dienen, sollen die Normen nie diskutiert werden. Nach einem Fallbeispiel werden die vier Therapiephasen skizziert. Nach dem Beziehungsaufbau wird in der zweiten Phase versucht, mit einer vorsichtigen Klärung relevanter Schemata zu beginnen. Später Rainer Sachse, Stefanie Kiszkenow-Bäker, Sandra Schirm: Klärungsorientierte Psychotherapie der zwanghaften Persönlichkeitsstörung. Hogrefe, Göttingen 2015, 100 Seiten, kartoniert, 22,95 Euro können vorsichtige Konfrontationen nützlich sein. In diesem Prozess kann eine biografische Arbeit hilfreich sein, der Klient erkennt, welchen Bedingungen er ausgesetzt war und welche Schemata und Lösungen er entwickeln musste. Eine Problemdefinition ist das Ziel dieser Phase. Gelingt es, eine Änderungsmotivation zu entwickeln, können in der nächsten Phase dysfunktionale wie kompensatorische Schemata herausgearbeitet und bearbeitet werden. Erst wenn der Klient der Frage folgt, welche Funktion Normen für ihn haben, kann der Therapeut Schritt für Schritt aufzeigen, dass er Normen folgt, weil er sich sonst wertlos oder unvollkommen fühlt, dass er somit stark an sich selbst und an Beziehungen zu anderen zweifelt und sich deshalb abschottet. Im letzten Teil des Buches werden die Therapieprinzipien an therapeutischen Transkripten Joachim Koch verdeutlicht. SIGMUND FREUD Auswertung der Therapie-Notizbücher Sigmund Freud fasziniert ungebrochen, jedes kleinste Detail interessiert. So auch seine Patientenkalender aus den Jahren 1910 bis 1920, die bislang unbeachtet im Londoner FreudMuseum schlummerten. Die Berliner Psychoanalytikerin Ulrike May befasst sich in ihrem Sammelband „Freud bei der Arbeit“ nicht nur mit wichtigen Freudschen Konzepten wie dem Narzissmus, der Depressionstheorie, den psychosexuellen Phasen und dem Todestrieb. Die Besonderheit dieser Zusammenstellung liegt in der Auswertung von Freuds Therapie-Notizbüchern. Hier eröffnet sich dem Freud-Kenner noch einmal ein bis dato unbekannter Einblick in dessen Arbeitsalltag. Freuds tägliches Therapiepensum betrug in der Regel zehn Stunden, manchmal auch elf oder zwölf. In 190 Ulrike May: Freud bei der Arbeit. Psychosozial-Verlag, Gießen 2015, 350 Seiten, kartoniert, 39,90 Euro der Hoch-Zeit kam Freud so auf bis zu 66 Behandlungsstunden pro Woche. May wählt aus den insgesamt 130 Patienten, die Freud zwischen 1910 und 1920 sah, 36 Analysen aus, und zwar 17 „Lernanalysen“ von bereits praktizierenden Analytikern wie René Spitz und Sándor Ferenczi, und 19 „echte“ Patienten. Die Dauer der Auffrischungsanalysen der Analytiker schwankte stark zwischen zwölf und 256 Stunden. Entgegen der später formulierten Abstinenzregel war Freud mit vielen von ihnen bekannt und befreundet, er verbrachte seine Ferien teilweise in ihren Häusern und manche besuchten ihn im Urlaub. Im Unterschied zum heute üblichen Vorgehen verhielt sich Freud in den Analysen eher undogmatisch und liberal. Der berühmteste unter den 19 ausgesuchten Patienten dürfte Sergej Pankejeff sein, der „Wolfsmann“. Der damals 23 Jahre alte, wohlhabende Student erhielt 1 165 Stunden bei Freud. Den Rekord dürfte Victor von Dirsztay mit 1 489 Stunden halten. Der expressionistische Schriftsteller empfand das Leben als Qual und beging mit seiner Exfrau 1935 Doppelselbstmord. Auch bei den Patienten schwankt die Gesamtstundenzahl stark zwischen 41 und den genannten 1 489 Sitzungen. Die Frequenz wurde in manchen Fällen während der Behandlung mehrmals verändert. May betont, dass Analytiker ihre Praxis heute anders führen. Die Frequenz sei geringer und vermutlich auch konstanter. Man sollte aber, so May, aus den Freudschen Patientenkalendern keine Richtlinien für die Gegenwart ableiten. Gerald Mackenthun Deutsches Ärzteblatt | PP | Heft 4 | April 2016