Übersicht über die analytische ENTWICKLUNGS- und NEUROSENLEHRE (zur Facharztweiterbildung von ÄrztInnen und PsychotherapiepatientInnen) Die Persönlichkeitsstruktur wird nach FREUD durch frühkindliche Erlebnisse geprägt. Sie ist Anpassung an die frühe Kindheitsumwelt. Die Neigung zu seelisch bedingten Symptomen (oder neurotischen Erkrankungen) entsteht aus einer frühkindlichen Schädigung (Versuchung oder Versagung, Zuviel oder Zuwenig), einem die Kindheit überdauernden Konflikt (z.B. mit einem Elternteil) und einer (spezifischen?) auslösenden Situation (einer "Schlüsselsituation", die wie ein Schlüssel oder ein Dietrich ins Schloss passt). In der Neurose werden frühkindliche Haltungen sinnloser weise wiederholt. Das Symptom ist ein Kompromiss zwischen Antrieb und Abwehr, Wunsch und Widerstand. Es wird von beiden Seiten gehalten und ist deshalb so zeitstabil (FREUD). Alle vier ("neurotischen") Strukturanteile gehören in Wirklichkeit zum normalen menschlichen Erleben, d.h. jeder Mensch hat (nach Harald SCHULTZ-HENCKE) schizoide, depressive, zwanghafte und histrionische (hysterische) Strukturanteile. Dabei gibt es keine reinen Strukturen. Jeder hat alles - mehr oder weniger! Das Übergewicht eines Strukturanteiles kann krank machen, wobei unsere Stärken unsere Schwächen sein können und unsere Schwächen unsere Stärken (s.u.)! Die einzelnen Phasen der "Objektlibido" (der Liebe zu den anderen) überlappen sich zeitlich und sind nicht genau abgrenzbar. Parallel zu diesen Phasen wird aus dem primären Narzissmus (einem frühen "objektlosen Urzustand", in dem das Kind sich selbst mit seiner ganzen Liebe "besetzt" und sich als nicht getrennt von der Mutter empfindet) die Objektlibido (Bei FREUD ist Libido immer sexuelle Energie, bei C.G. JUNG ist sie allgemeine seelische Energie). Narzissmus und Objektlibido halten sich nach Freud die Waage. Nach KOHUT entwickeln sich aus der idealisierenden Überschätzung der Eltern ("Ich bin nichts, du bist vollkommen!") und der grandiosen Selbstüberschätzung des kleinen Kindes ("Ihr werdet sein wie Gott!") die reifen Möglichkeiten, andere zu bewundern und sich zu begeistern bei Selbstachtung und Selbstvertrauen. Phasentypischer Wechsel der erogenen Zonen. Narzissmus kann tragische Selbstverliebtheit aber auch geglückte Selbstannahme bedeuten. Der Begriff stammt von FREUD und geht auf die griechische Mythologie zurück: Nach OVID war Narkissos der schöne Sohn der Quellnymphe Leirope und des Flussgottes Kephisos. In kaltem Hochmut wies er die in ihn verliebte Quellnymphe Echo ab, die sich darob zu Tode grämte und nur ihre Stimme auf Erden hinterließ. Auf Bitten einer anderen verschmähten Nymphe führte die Schicksalsgöttin Nemesis Narkissos zu einem Teich, in dessen Wasserspiegel er sich leidenschaftlich und unglücklich in sein Bild verliebte. Noch im Hades starrte er im stygischen Teich auf sein Bild, bis die Götter ihn gnädig in eine Narzisse verwandelten. 1. Intentionale Phase (nach H. SCHULTZ-HENCKE: etwa 6. bis 12. Lebensmonat) Normale Entwicklung: Zunächst ozeanische Einheit (FREUD), primäre Liebe (BALINT), narzisstischer Primärzustand (KOHUT) zwischen Mutter und Kind. Das Neugeborene ist eine psychosoziale Frühgeburt (PORTMAN) und braucht noch eine psychosoziale Gebärmutter. Es wird geschützt durch eine hohe Reizschwelle und Reflexreaktionen. In dieser Phase entwickelt sich Urvertrauen (ERIKSON) oder Urverunsicherung (HENSELER) in der Beziehung zur Dauerpflegeperson (SULLIVAN: The Mothering One). Nach KERNBERG: 2.-6. LM symbiotischer (psychotischer) Bereich, 6.-18. LM schizotypischer Bereich, 18.-36. LM Borderline-Bereich. Erste Realitätsprüfung beim "Acht-Monats-Fremdeln": Mutter und Nicht-Mutter werden unterschieden. Neue Säuglingsforschung: Babys sind von Anfang an kommunikativ, intensiver vorverbaler Mutter-Kind-Kontakt (Martin DORNES: „Der kompetente Säugling“). Störung: fehlende Wärme, Nähe, Zuwendung, kein Hautkontakt, Vernachlässigung. Haltung: Überschießende Neugier, oberflächliche Kontaktsuche (MENZEL), kalte Distanz Beziehungsverhalten: Wechsel zwischen Nähe + Abstand, wartet misstrauisch ab, Mimose, schleifende Kupplung (RIEMANN), Glaswand (KRETSCHMAR), Philobath genießt Skills und Thrills (BALINT). Grundgefühl: fehlendes Urvertrauen. Angst vor/Wunsch nach Nähe, Beziehung, Bindung, Abhängigkeit. Stärken: sehr rational und intellektuell, vorgeschobenes Radarsystem mit hochempfindlichen Antennen. Wissenschaftler, Künstler, Techniker, politische Führer, Messiasse. Schwächen: Angst vor der (unheimlichen) Welt, weltfremder Sonderling, tumber Tor, Extremist. Symptome: Kontaktstörungen, Allergien, Hauterkrankungen, unbestimmte Ängste, Gefühle innerer Leere und Sinnlosigkeit, keine anhaltende Befriedigung und Sicherheit. Ängste: vor Nähe, Bindung, Zuneigung, Hingabe, vor dem Verschlungenwerden. Wegen der Angst vor den anderen überwiegt die Drehung um sich selbst, die Rotation (RIEMANN). Suchtverhalten: Alleintrinker, k.o.-Trinken zur Kontrolle von Hass und Aggression bei früher Selbst- Objekt-Beziehungsstörung. Schneller Wechsel zwischen Abstinenz und Selbstzerstörung. Tarnung: scheinbare Herzlichkeit und Freundlichkeit, dahinter kalte Förmlichkeit und Diplomatie. Rationale Einsicht bis zur intellektuellen Hellsichtigkeit / verzerrte Realitätswahrnehmung. Erkrankungen: narzisstische Neurosen (FREUD meinte damit auch die endogenen Psychosen), intentionale Störung (SCHULTZ-HENCKE), Grundstörung (BALINT), Borderline-Störung, schizotypische Persönlichkeitsstörung, narzisstische Persönlichkeitsstörung (nach DSM III). Übertragung: feindseliges Misstrauen, kühle Kontrolle, Sachbezogenheit ohne Nähe ("Kann ich dem vertrauen?"), Wunsch nach Unabhängigkeit, Destrudo (Lust am Untergang). Religiosität: Gott als deistischer unbeteiligter Schöpfer, strafender Richter (Rationalismus). Gegenübertragung: Angst vor zielsicherer Verletzung, Hilflosigkeit in "lähmender Stille", Ärger und Ungeduld wegen des ständigen Misstrauens, Verunsicherung der TherapeutInnen. Partnerwahl: "Liebe als Einssein" in der narzisstischen Kollusion (nach Jürg WILLI): Der „grandiose“ Narzisst will Ideal-Selbst sein, der „schwärmerische“ Komplementärnarzisst sucht Ersatzselbst. Therapie: totale Aufmerksamkeit; vorsichtig Nähe, Wärme und Urvertrauen üben, intentionale Lücken schließen. Korrigierende emotionale Neuerfahrung (ALEXANDER), einfach da sein und im richtigen Abstand da sein. Nur indirekte genetische Deutungen, Prinzip Antwort (HEIGL-EVERS, HEIGL). Gefährdungen der Therapie: Unwahrhaftigkeit ist tödlich (absolute Ehrlichkeit des Therapeuten!). Wenig fragen, "Innenhof der Burg" meiden (MENZEL), sonst kommt es zu Panikreaktionen. Bevorzugte Abwehrmöglichkeiten: frühe (keine primitiven!) Formen: Projektion auf die Umwelt bis zu Verfolgungsideen, Spaltung (Idealisierung/Verteufelung des anderen), Leugnung, projektive Identifizierung (abgelehnte Eigenschaften werden paranoid-schizoid in den anderen verlagert, um ihn zu kontrollieren). Rationalisierungen über den kühlen Kopf. 2. Orale Phase (FREUD: Sexuelle Empfindungen über den Mund [etwa 6. bis 24. Lebensmonat]) Normale Entwicklung: Lustvolle orale Befriedigung beim Stillen und bei der Pflege. Entwicklung der Fähigkeit, sich etwas zu nehmen und zu genießen. RADO: alimentärer Orgasmus. Störung: Mangelhafte Versorgung, Trennung von der Dauerpflegeperson. René SPITZ filmte 1955 in den USA die anaklitische (anlehnungsbedürftige) Depression bei Findelkindern. Haltung: gieriger Nimmersatt, orale Hast, vorwurfsvolle Unzufriedenheit. Helfersyndrom. Beziehungsverhalten: hinter der Bescheidenheit anklammernd, saugend, parasitär. Grundgefühl: kann nicht genießen, ist nie zufrieden, Angst vor Trennung und Alleinsein. Dreht sich um andere. Schwarze Zukunft / Traum vom Schlaraffenland. Oknophiler fürchtet leere Weiten (BALINT): Stärken: Kann viel Wärme und Nähe geben, ist ein bescheidener und unermüdlicher Helfer. Schwächen: braucht viel Wärme, bekommt wegen der Überbescheidenheit nicht genug. Symptome: Depressive Verstimmungen mit "Losigkeits-Syndrom": Schwung-, Entschluss-, Hilf-, Interessen-, Kraft-, Freud-, Antriebs-, Teilnahms-, Hoffnungs- und Mutlosigkeit. Chronische verleiblichte Beschwerden: Appetitlosigkeit, Magen-Darm- Beschwerden, Schlaflosigkeit, Abhängigkeitserkrankungen (Alkohol, Medikamente, Magersucht), Rastlosigkeit (Sissy-Syndrom). Ängste: vor dem Verlassenwerden. Die Drehung um andere (Revolution) überwiegt (RIEMANN). Suchtverhalten: gesellige Bier- oder Weintrinker, gemütliche Kumpeltypen mit Pseudokontakt. Fettschicht als Schutzschicht. Schwaches Ich versucht Reizbewältigung gegen Uraffekt (ROST). Tarnung: Bescheidenheit statt Riesenerwartungen, Helfen statt Hilflosigkeit, Lächeln oder Clownerien, um nicht zu weinen. Ist willfährig und chancenblind. Macht alles (??) falsch! Erkrankungen: neurotische Depression, Melancholie, Abhängigkeitserkrankungen. Übertragung: Liebe und anklammernde Patienten, Nesthocker, ständig in den roten Zahlen; bekommen nie genug, sind chronische Opfer, suchen die Nähe, neigen zum parasitären Aussaugen. Religiosität: neigen zu erschöpfendem Glaubensleben und zu bemühter Nächstenliebe. Selbstzerstörerische Schuldgefühle, suchen Selbstvergessenheit und mystische Verschmelzung (RIEMANN). Gegenübertragung: Zunächst Beißhemmung und Helferimpuls durch Mitleid, später versteckter Ärger über die Ansprüchlichkeit. Ungeduld der TherapeutInnen wegen der Passivität der PatientInnen. Partnerwahl: "Liebe ist einander umsorgen" in der oralen Kollusion (nach Jürg WILLI): "Pflegling" ist bedürftig/unersättlich + undankbar, "Mutter" ist fürsorglich/vorwurfsvoll + abweisend. Therapie: zunächst wärmen, stützen, nahe sein. Nein sagen und orale Lücke üben: "Was können Sie (noch) nicht?" Mehr Mut zum Selbstsein, weniger Genese und Übertragung, mehr Training von Lebensfreude: möglicherweise an Beispielen vorphantasieren. Opferkonversion: Täteranteile erarbeiten (Die „reinen“ Opfer müssen immer leiden!! Aber: Nur Opfer dürfen Rache nehmen! [Tätermutation]) Gefährdungen der Therapie: übersteigerte Erwartungen führen zu Enttäuschungsaggressionen oder gemeinsamer Depression. Depotenzierung des Therapeuten. Klagemauer hilft nicht seit 70 n. Chr.!! Bevorzugte Abwehrmöglichkeiten: Introjektion, Verschiebung, Regression, Sublimierung. 3. Motorisch-aggressive Phase (nach FREUD: anale Phase: etwa 2. und 3. Lebensjahr) Normale Entwicklung: Lustvolles Ausleben der eigenen Aggressivität, z.B. durch neugelerntes Laufen. Welteroberungsdrang von der Mutter weg. Der Vater hilft als „Ritter in prächtiger Rüstung da draußen“ (M. MAHLER) gegen den mütterlichen Nestsog. Sauberkeitserziehung gegen urtümliche Schmutzlust. Erste Trotzphase: Entwicklung eigener Aggressivität und Intimität, von Besitzstreben und Ordnungssinn. Störung: aggressive Gehemmtheit bei fehlender Trotzphase und zu früher Sauberkeitsdressur; Regression vor ödipalem Konflikt; Versuch der Selbstsicherung und Selbstreparatur. Haltung: missmutig-aggressive Vorwurfshaltung, muffige Über – ICH - Unzufriedenheit. Wandelndes Gesetzbuch. Versuch der Selbstsicherung durch Regression auf den anal-sadistischen Konflikt. Beziehungsverhalten: zäh, unbeweglich, formalistisch, unspontan, klebend, haftend. Grundgefühl: Selbstunsicherheit, Sicherungshaltung, Zögern (wie Buridans Esel). Stärken: pünktlich, genau, sparsam, eigensinnig, ordentlich, Sammler, Systematiker. Schwächen: "analer Charakter" (nach FREUD): Geiz, Starrsinn, Pedanterie. Starre Fanatiker. Symptome: Zwänge, Phobien, funktionelle Kopf- oder Herzbeschwerden, Arbeitsstörungen, Autoritätskonflikte. Wechsel zwischen aggressiver Gehemmtheit und aggressiven Durchbrüchen (Leben zwischen Dammbau und Dammbruch). Überlanger "mentaler Hiatus", Entscheidungsschwäche. Ängste: vor dem Unterlegensein (FREUD: Kastrationsangst), vor Autonomieverlust, vor dem Triebdurchbruch, der Selbstauflösung. Zentripedale Schwerkraft überwiegt (RIEMANN). Suchtverhalten: ordentlicher Trinker mit Zeitsystemen. Muss seinen Ärger hinunterspülen. Kontrolle oder Ausleben von (aggressiven und sexuellen) Triebkonflikten durch den Rausch. Tarnung: Will fleißig und vernünftig sein, prinzipientreues wandelndes Gesetzbuch, hält sich an Regeln und Prinzipien und leistet gleichzeitig dagegen indirekten Widerstand. Koryphäenkiller. Erkrankungen: Zwangsneurose mit Zwangshandlungen, Zwangsgedanken, Phobien (z.B. Spinnenfurcht) und aggressiven Durchbruchshandlungen (s.o. Symptome). Übertragung: muffig, vorwurfsvoll, moralisierend, rechthaberisch, ärgert hintenherum. Religiosität: nach Freud sind Zwänge das Zerrbild einer Privatreligion, Religionen sind für ihn "universelle Zwangsneurosen", Neurosen sind individuelle Religionen (in: Zukunft einer Illusion: Illusionen sind nach Freud die "Erfüllung der ältesten, stärksten, dringendsten Wünsche der Menschheit"). Rituale binden die Angst. Strenges Gottesbild erzwingt egoistisch Triebverzicht. Häufig Beicht-, Betund Zweifelzwänge (RIEMANN). Nach C.G. JUNG gehört Religion zur Ganzheit der Person und ist ein Grundproblem der zweiten Lebenshälfte. Das Gottesbild koinzidiert (trifft sich) mit den Archetypen des Selbst. Gegenübertragung: Wut des Therapeuten über Hinterhältigkeit und Aggressivität, Angst vor Dammbruch oder Triebdurchbruch. Gefahr der Gegenübertragungsreaktion: Tritt in den Hintern! Partnerwahl: "Liebe als Einander ganz gehören" in der anal-sadistischen Kollusion (WILLI): der "autonome Herrscher" ist mächtig/tyrannisch, der "Untertan" ist passiv, gefügig/nachlässig (Topdog/Underdog). Therapie: aggressive Gehemmtheit lockern, Spielraum geben, um übers Ziel hinauszuschießen, Gefühle und Wünsche in der Beziehung lebendig, wahrnehmbar machen, Schuldgefühle mindern, freie Einfälle anregen, "bildern" lassen (RIEMANN), das Verbotene beim Namen nennen. Gefährdungen der Therapie: Steckenbleiben im Formalen, rechthaberische Diskussionen, Isolierung der Affekte (FENICHEL: Nur die Isolierung, nicht die Inhalte bearbeiten). Bevorzugte Abwehrmöglichkeiten: Verdrängung, Projektion, Reaktionsbildung, Verschiebung, Rationalisierung, Verleugnung, Ungeschehenmachen, "anale" Vorwürfe, „sachliche“ Affekt-Isolierung. 4. Sexuelle Phase (FREUD: phallische Phase, urethrale Phase: etwa 3. und 4. Lebensjahr) Normale Entwicklung: unbefangenes Erleben der eigenen Geschlechtsrolle, Entwicklung von Sexualneugier ("Was hast du denn da?"), und kindlichen Sexualtheorien. Frühblüte der Liebe: ödipale Situation durch den kleinen Ritter (will die Mama heiraten) oder die kleine Kokotte (versucht den Papa zu verführen). Zweite Realitätsprüfung: Bin ich ein Mann / Bin ich eine Frau? Störung: keine sichere weibliche oder männliche Identität durch Sexualfeindlichkeit der Eltern (z.B. "heimliche Sünde" der Masturbation [nicht der Onanie! Siehe 1. Mose 38]) oder durch Inzest. Haltung: schillerndes Geltungsstreben mit sexueller Färbung, angeheizter Reizhunger, lebt unhistorisch in Pseudowirklichkeit (RIEMANN). Beziehungsverhalten: planlos aktiv (SCHULTZ-HENCKE), unverbindlich, oberflächlich, viele Bekannte, keine Freunde. Unterentwickeltes Über - ICH. „Was kümmert mich mein Geschwätz von gestern?“ Grundgefühl: keine Klarheit, keine eindeutige weibliche oder männliche Selbstwahrnehmung. Angst vor reifer Partnerschaft, Angst vor dem Konkurrieren. Stärken: Ist nicht langweilig, kein Mauerblümchen, keine trübe Tasse. Kann viel in Bewegung setzen durch "hysterische Dramatisierung" (SCHULTZ-HENCKE). Schwächen: Unstet, unordentlich, flatterhaft, kann sich nicht festlegen. Symptome: buntes Bild: auffällige Ängste und Phobien, dramatische Konversionssymptome (seelisch bedingte körperliche Beschwerden), Anfälle, Lähmungen, Hyperventilations-Tetanien. Ängste: Angst vor der Konkurrenz, der Endgültigkeit, dem Altern. Zentrifugale Fliehkraft (RIEMANN). Suchtverhalten: Edeltrinker: Flucht in Rausch und Traum, hat immer einen Grund zum Feiern. Tarnung: blendende Fassade verhindert den Durchblick auf das Leid dahinter. Erkrankungen: hysterische (histrionische) Neurose mit bunter Symptomatik (s.o.), Frigidität, Impotenz. Übertragung: Erotisch-sexuelles Ringen um Anerkennung, theatralisches Verhalten, Gefühl fehlender Echtheit. Angst vor dem Endgültigen und Unausweichlichen (Alter, Tod). Schillernd, farbig, lockend: große Naive, Diva, weiblicher Vamp, Casanova, Don Juan, toller Kerl, Schauspieler, Hochstapler. Religiosität: neigt zum frommen Schein („Maske der Frömmigkeit“ 2. Tim. 3,5), mehr Nachahmung als Nachfolge, kindlich-unreifer Glaube, wundergläubig, verführbar durch oberflächliche Rauscherlebnisse. Gegenübertragung: anfangs Faszination, ausgedehnte therapeutische Flitterwochen (FERENCZI). Zuviel Material verschüttet den Zugang. Dann Ärger wegen der Täuschungsmanöver (Unterstellung der Unehrlichkeit), hilfloses Zappeln im Netz; Angst, Schuldgefühle. Partnerwahl: "Liebe als männliche/weibliche Bestätigung" in der phallisch-ödipalen Kollusion (nach WILLI): Der progressive "Mann" verdrängt passiv-feminine Wünsche, sie bestätigt und kastriert. Therapie: "Erinnern, wiederholen, durcharbeiten" (FREUD); besser: Wahrnehmen, erinnern, durcharbeiten - wiederholt wird ohnehin (s.u.). Klaren Behandlungsvertrag vereinbaren, ordnen, klarstellen, auf Distanz gehen, Staub absenken (MENZEL), sachlich abwartend arbeiten, nicht zuschütten lassen. Mehr Geschichtsbewusstsein erarbeiten (Schicksal oder Machsal??). Problem der Echtheit: Schein und Sein auseinanderhalten, Verlässlichkeit der Welt erleben lassen. Verleiblichte Konversionssymptomatik verständlich machen (Das Symptom als Schatztruhe des ungelebten Lebens!). Gefährdungen der Therapie: durch hysterisches Ausagieren (der Gefühle oder Konflikte bis zur vollzogenen Handlung), Spiel mit dem Feuer und Rivalisieren (Wer ist besser - du oder ich?). Bevorzugte Abwehrmöglichkeiten: Verleugnung, Verdrängung, unscharfe Realität, Aktivität im Zick-Zack. Im Extrazug durchs Leben. Viele Sündenböcke (Eltern, Pech, Umstände), Eigenanteil fehlt. Ödipuskomplex: Nach der griechischen Mythologie war Ödipus der Sohn des thebanischen Königspaares Laios und Iokaste. Wegen eines Orakelspruches (Laios wird durch Sohneshand sterben) wurde er ausgesetzt. Nach der Rettung wuchs er beim König von Korinth auf. Wegen eines weiteren Orakelspruches (wird seinen Vater töten und seine Mutter heiraten) verließ Ödipus seine vermeintliche Heimat Korinth. Auf der Wanderschaft erschlägt er im Kampf Laios, löst das Rätsel der Sphinx, heiratet Iokaste und besteigt den Thron von Theben. Während einer Pest enthüllt ihm der Seher Tiresias sein blutiges Geheimnis. Daraufhin erhängt sich Iokaste, Ödipus blendet sich und geht mit seiner Tochter Antigone in die Fremde. Dramen von SOPHOKLES, AISCHYLOS, EURIPIDES, SENECA. Nach Freud ist der Ödipuskomplex der Kern jeder Neurose. Durch unzureichende Bewältigung der libidinösen Wünsche zum gegengeschlechtlichen Elternteils entstehen Inzestwünsche, die wegen der Kastrationsangst verdrängt werden müssen und zur Übernahme der elterlichen und gesellschaftlichen Normen in das eigene Über-Ich führen. Der Untergang des Ödipuskomplexes leitet die Latenzphase ein. Die Pubertät führt zu einer Wiederbelebung und beeinflusst die Partnerwahl (Die Partnerfindung ist eine Wiederfindung). Allgemeiner Therapieverlauf, Therapieziele: In der psychotherapeutischen Beziehung wiederholen die PatientInnen Gefühle und Beziehungsmuster aus ihrer frühen Kindheit in der Übertragung (Übertragungsneurose) auf den Therapeuten (in der Selbsterfahrungs- bzw. Therapiegruppe auch auf anderer Gruppenmitglieder). Dabei ist die Übertragung keine unveränderte Wiederholung, sondern eine bearbeitete Neuauflage. Im Symptom (der Schatztruhe des ungelebten Lebens), in der Schlüsselsituation und in der Übertragung wiederholen sich unbewältigte (frühkindliche) Konflikte, die im Zusammenhang mit der jetzigen Lebenssituation durchgearbeitet werden können. Dabei sind die damaligen und die jetzigen Beziehungen zu den Familienmitgliedern keine Einbahnstraßen, sondern eher Mikrokosmen, kleine Sonnensysteme: Jeder beeinflusst jeden - so gut er kann! Ziel der analytischen oder analytisch orientierten Behandlung ist die Bewusstmachung und Änderung unbewussten Verhaltens in (der Abstinenz) der therapeutischen Beziehung. Dr. med. W. Scherf, LKH Hildesheim, 8. Oktober 2001 85: 11´88, 11´89, 3´91, 1´92, 6´92, 11´93, 5´95, 6´96, 10´97, 12´98, 5´00, 8´01 FDS: 9´94, 9´97. F’au: 11´94, 1´00 86: 8´01 Internet 6´01