Kultur E s s ay Da s Li cht des Wi sse ns Wa s von L essi ng u n d Mos e s Me n de l s s o h n ü be r den Umga ng m it dem I s la m z u le rn e n i s t. Vo n Mo ni k a M a ro n Maron, 69, ist Schriftstellerin und lebt in Berlin. Zuletzt veröffentlichte sie das Buch „Zwei Brüder: Gedanken zur Einheit 1989 – 2009“. Am vergangenen Samstag erhielt sie den „Lessing-Preis des Freistaates Sachsen“. In ihrer Dankesrede beschwört Maron die Freundschaft zwischen dem Dramatiker Gotthold Ephraim Lessing (1729 bis 1781) und dem jüdischen Philosophen Moses Mendelssohn (1729 bis 1786) – und fordert im Geiste dieser beiden Aufklärer einen aufgeklärten Islam. Der SPIEGEL druckt die Rede ab. Und der Predigersohn Lessing, dessen Bildungsweg hingegen, dank eines stipendiums, über die Fürstenschule st. afra in Meißen führte, war nach halbherzigen studien der Theologie und Medizin dem familiär vorgegebenen Lebensplan in die anrüchige Welt des Theaters, zur schauspieltruppe der Caroline Neuber, entflohen, die seinem freiheitlichen Temperament und seiner Neugier auf die Welt mehr zu bieten hatte als die reine akademische Gelehrsamkeit. Was immer es war, das Lessing befähigte, dem verwachsenen kleinen Juden Moses ganz und gar vorurteilsfrei gegenüberzutreten, als der jüdische arzt aron Gumpertz die beiden miteinander bekannt machte, ob die gemeinsame Erfahrung bedrückend religiöser Enge und erlittener armut, ob der gleiche Bildungshunger – auf jeden Fall war Lessing in Moses Mendelssohns Leben der erste Deutsche, der ihm von anfang an ohne jeden Vorbehalt begegnete. m Jahr 1729 wurden in Deutschland zwei Knaben geboren – Gotthold in Kamenz, Moses in Dessau –, die 25 Jahre später in Berlin eine Freundschaft begründen sollten, die einzigartig war in ihrem freiheitlichen Geist und ihrer Unvoreingenommenheit, chon 1749, also fünf Jahre die eine Demonstration dessen bevor er Moses traf, hatte war, was das Lebenswerk beiLessing das stück „Die der Männer später prägte: das Juden“ geschrieben, in dem er Ringen um aufklärung und die Welt auf den Kopf stellte Toleranz. und einer hässlichen christBeide kamen aus streng relichen Umwelt einen idealen ligiösem, wenig bemitteltem Juden präsentierte. aus GeldElternhaus, Lessing aus dem mangel wohnte Lessing im lutherisch-orthodox geprägten Berliner Judenviertel, wo er Predigerhaus in Kamenz, Menauch den gebildeten, reichen delssohn aus dem Dessauer und weltläufigen aron GumGhetto, wo sein Vater als Thora-schreiber die Familie mühAufklärer Mendelssohn (l.), Lessing (stehend)* pertz kennengelernt hatte, und sam ernährte. man darf annehmen, dass es Das Ringen um Toleranz als sich Lessing und Moses außer seiner tiefen ablehnung war das Lebenswerk dieser beiden Männer. Mendelssohn 1754 in Berlin trachristlich-religiöser anmaßung fen, hatten sich beide mit bediese Erfahrung war, die aufstaunenswertem Furor und in einem alter, das wir fast noch klärung und Judenemanzipation für ihn dauerhaft miteinander Kindheit zurechnen, ihren Weg aus der Enge ihrer Herkunft der verband. und durch das Dickicht gesellschaftlicher Beschränkungen geDer Ruf Friedrichs des Großen als aufgeklärter Monarch und schlagen. als Moses’ Lehrer, der Dessauer Landesrabbiner Da- Freund Voltaires verschleiert im historischen Rückblick oft die vid Fränkel, nach Berlin berufen wurde, sah sein stotternder elenden und entwürdigenden Bedingungen, unter denen die 14-jähriger schüler mit der schmächtigen Gestalt und dem ge- Juden in Berlin lebten. Unterteilt in sechs Klassen, von denen krümmten Rücken für sich keine andere Möglichkeit, als dem nur die wenigen schutzjuden mit nennenswerten staatsbürgerLicht des Wissens, das ihm in die Dessauer Judengasse gefallen lichen Rechten bedacht waren, lebten die meisten gesellschaftwar, in einem dreitägigen Fußmarsch nach Berlin zu folgen. lich verachtet und isoliert, ohne sicherheiten, ohne FreizügigFränkel hatte ihn mit den Lehren des Maimonides von Córdoba keit, viele sogar ohne das Recht zu heiraten. Vor diesem Hinbekannt gemacht, eines mittelalterlichen jüdischen Theologen tergrund ist die offene Freundschaft und der leidenschaftliche und Philosophen, der durch eine allegorische auslegung der geistige austausch zweier junger Männer, die nicht nach reliThora die biblische Offenbarung mit Erkenntnissen der Natur- giöser abstammung fragten, ein revolutionärer akt aufgeklärwissenschaften und Philosophie in Einklang bringen wollte; für Moses der erste ausweg aus dem erstarrten Gebäude der jüdi- * Mit dem evangelischen Theologen Johann Kaspar Lavater auf einem Gemälde von Moritz Daniel Oppenheim, 1856. schen Orthodoxie. HANS-CHRISTIAN PLAMBECK (L.); ULLSTEIN BILD / AKG (R.) I 104 d e r s p i e g e l 4 / 2 0 1 1 s ter Humanität, das gelebte Beispiel dessen, was in den gebilde- hen ihnen offen, vorausgesetzt, sie selbst bringen die nötige ten Berliner Zirkeln zwar zaghaft diskutiert, aber nicht gewagt Bildungsanstrengung auf. Vergleichbar ist die situation aber wurde. Gemeinsam mit dem Verleger Friedrich Nicolai gaben insofern, als auch heute die Idee der aufklärung kollidiert mit sie die Zeitschrift „Briefe, die neueste Literatur betreffend“ den weltlichen und politischen ansprüchen einer Religion. Wähheraus, entwickelten eine Theorie zum bürgerlichen Trauerspiel rend das Christentum und das Judentum nach zähen Kämpund gleichzeitig eine streitkultur, die wesentliches Merkmal fen den säkularen Gedanken und die Gültigkeit universaler dieser Freundschaft war: die Wahrheit suchen im streit der Menschenrechte in ihre Heilslehre integriert haben, hat der Meinungen, die auch da ertragen werden mussten, wo sie Islam seit dem 12. Jahrhundert jeden Versuch einer philosophischen auseinandersetzung mit seinen religiösen schriften verunvereinbar blieben. Die gedankliche Verbundenheit zwischen beiden hielt auch hindert. der räumlichen Trennung stand, als Lessing in Breslau, Hamur gleichen Zeit wie der Jude Maimonides lebte in Córburg, später in Wolfenbüttel lebte. doba der islamische Philosoph averroes, der wie jener In der Figur des Nathan verewigte Lessing seinen Freund für eine aufgeklärte Lesart religiöser Texte und die TrenMoses Mendelssohn und die gemeinsame Vision von einem friedlichen und gleichberechtigten Zusammenleben der drei nung von Offenbarung und Philosophie plädierte. averroes großen monotheistischen Religionen, darstellbar allerdings nur wurde verbannt, seine schriften verbrannt, die seitdem zwar, wie auch die schriften des Maimonides, europäische Philosoals eine märchenhafte Parabel. Und Mendelssohn schrieb nach Lessings Tod an dessen Bruder: phen wie Thomas von aquin inspirierten, im islamischen Den„Mit gerührtem Herzen danke ich der Vorsehung für die Wohltat, ken aber nie wieder belebt wurden. Es gab keinen Moses Mendass sie mich so früh, in der Blüte meiner Jugend, hat einen delssohn des Islam. Wie aber geht eine aufgeklärte säkulare Gesellschaft mit Mann kennen lassen, der meine seele gebildet hat, den ich bei jeder Handlung, die ich vorhatte, bei jeder Zeile, die ich schrei- einer unaufgeklärten Religion um, deren radikaler Flügel zudem ben sollte, mir als Freund und Richter vorstellte, und den ich im Namen der Religion Krieg gegen die Welt führt, auch gegen mir zu allen Zeiten noch als Freund und Richter vorstellen die islamische, wo sie den eigenen radikalen Parolen und Machtinteressen nicht bedingungslos folgt. werde, sooft ich einen schritt von Wichtigkeit zu tun habe.“ Warum diese so ungewöhnseit einiger Zeit steht die liche wie fruchtbare Freundaufklärung in der öffentlichen schaft in der kulturellen deutDebatte unter der anklage des schen Erinnerung von der DichFundamentalismus. aber was terfreundschaft zwischen Goesollte das heißen bei gesetzthe und schiller zu allen Zeiten lich garantierter Religionsfreinicht nur überschattet, sondern heit? Ist vielleicht die Fordeverdeckt wurde, lässt sich wohl rung nach Toleranz fundamennur zum Teil mit dem fortlebentalistisch? Ist es fundamentaden antisemitismus und dem listisch, die Gleichheit der Gemoralischen schock, der auf die schlechter zu fordern oder zu Judenvernichtung im Nationalverlangen, dass andere Religiosozialismus folgte, beantworten. nen nicht diffamiert oder gar Wahrscheinlich entsprachen die verfolgt werden? Verlangen wir politische Polemik und streitbazu viel, wenn wir von einer unre Wahrheitssuche der Berliner aufgeklärten Religion, die in Freunde auch weniger dem Ideal unsere Gesellschaft einzieht, erund Harmoniebedürfnis des Bilwarten, dass sie alle Gesetze, dungsbürgertums und seiner Voraber auch alle Werte achtet, die stellung von der reinen Kunst. dieser Gesellschaft als schütNach 1945 erschwerte die zenswert gelten? Ich spreche hier nicht von den Last der schuld an den Juden Muslimen schlechthin, schon die Würdigung eines Moses Mendelssohn, dessen großes Moschee-Besucherinnen in Berlin-Neukölln gar nicht von allen ZuwandeWerk der jüdischen aufklärung rern aus islamischen Ländern. Ist es fundamentalistisch, die Gleichheit der und Emanzipation die KatastroIch spreche von den Muslimen, Geschlechter zu verlangen? phe ja nicht verhindert hatte. die offen und weniger offen die westlichen Werte diskreditieber spätestens jetzt, da die Themen und Konflikte der ren, eben die Errungenschaften der aufklärung, wie die Relieuropäischen aufklärung unversehens in unsere Gesell- gionsfreiheit, die Meinungs- und Pressefreiheit, die individuelschaft zurückgekehrt sind und wir fast 260 Jahre nach len Rechte eines jeden Menschen und die Verantwortung für Lessings und Mendelssohns erster Begegnung in Berlin wieder das eigene Leben. mit einer Religion konfrontiert sind, der die große Errungenals Moses Mendelssohn die Erneuerung des Judentums in schaft der aufklärung, die Trennung von staat und Kirche, angriff nahm, hatte er nicht nur gegen den mächtigen preußifremd ist, wäre es an der Zeit, in der Freundschaft der beiden schen staat zu kämpfen, sondern auch gegen das starke orthonach dem Gleichnis zu suchen, das uns zu der antwort verhilft, doxe Rabbinat, dessen Interesse auf die religiöse und soziale die wir brauchen. abgrenzung des Judentums gerichtet war. Eine allgemeine BilNun unterscheidet sich die gegenwärtige Lage der Muslime dung und die Kenntnis der deutschen sprache bargen die Gein Deutschland sowohl juristisch als auch gesellschaftlich grund- fahr der annäherung aufbruchbereiter Juden an die deutsche sätzlich von der situation der Juden im 18. Jahrhundert. sie Gesellschaft, was auch von jüdischer seite nicht gewollt war. sind gleichberechtigte staatsbürger oder, wenn sie keine deutHier zeigt sich wohl die deutlichste Parallele zu unserem Proschen staatsbürger sind, doch ausgestattet mit allen bürgerli- blem mit dem Islam und Teilen unserer muslimischen Bevölchen Rechten. sie müssen sich Bildung nicht wie Mendelssohn kerung. Im Verständnis des Islam gehört jeder Muslim zuerst als autodidakten aneignen, alle schulen und Universitäten ste- der Umma, der weltweiten Glaubensgemeinschaft der Muslime, BERNHARD FREISEN / ABSOLUT PICTURES Z a d e r s p i e g e l 4 / 2 0 1 1 105 Kultur CHRISTIAN THIEL / DER SPIEGEL Rassismus – das ist die Formel, an. Die Religionszugehörigkeit mit der sie die lebensnotwenreglementiert alle anderen Bedige auseinandersetzung zu erziehungen gläubiger Muslime, sticken versuchen. Dabei ist das das Verhältnis zum staat, zur koloniale Gedankengut doch Gesellschaft, zur Familie. Das eher bei den Verteidigern kulInteresse der religiösen Führer tureller Reservate zu finden als und Funktionäre der islamibei jenen, die gleiche Rechte schen Verbände ist also auf den für alle fordern. Oder wie soll Zusammenhalt der Umma geman erklären, dass muslimische richtet und da, wo sie in nichtMädchen im Kindesalter und muslimischer Umgebung lebt, gegen ihren Willen verheiratet auf abgrenzung von der anderswerden dürfen, europäische nagläubigen oder atheistischen türlich nicht? Dass muslimische Welt. Ein sichtbares Zeichen der Frauen von ihren Männern geabgrenzung ist das Kopftuch schlagen werden dürfen, euroder Mädchen und Frauen, manpäische natürlich nicht? Dass gelnde sprachkenntnis verhinEuropäer das Recht auf freie dert den Kontakt zur deutschen Meinungsäußerung haben, die Gesellschaft, und eingeforderte Menschen in islamischen LänPrivilegien, die immer nur die dern natürlich nicht? Das alles religiöse Gemeinschaft, nicht Islam-Kritikerin Kelek auch im Namen des Islam. das Individuum betreffen, zeEs gibt nicht einen vernünftimentieren die eigene andersWer für die Aufklärung des Islam eintritt, gen Grund, den unaufgeklärten artigkeit, oft gepaart mit einem wird von den Wächtern des Islam diffamiert. Islam mit seinem Herrschaftsextremen Nationalismus des anspruch gegenüber dem IndiHerkunftslandes. Unabhängig von den schwierigkeiten, die ein Leben in einem viduum und der Gesellschaft nicht zu kritisieren, sofern Muslianderen Land mit einer fremden Kultur, der Wechsel aus zu- me von uns als gleichberechtigte Menschen angesehen werden. rückgebliebenen ländlichen Regionen in moderne Großstädte Nicht die als Hassprediger und heilige Krieger beschimpften ohnehin mit sich bringt, sind Muslime dem Druck und der In- Kritiker des Islam denken rassistisch, sondern jene, die der doktrination durch die eigene Community ausgesetzt. Wer die ethnischen und religiösen Herkunft mehr Bedeutung zumessen universalen Menschenrechte auch für Muslime, besonders für als den individuellen Menschenrechten, die, indem sie vorgeben, muslimische Frauen verlangt, wie ayaan Hirsi ali oder Necla eine andere Kultur zu schützen, die Freiheitsrechte der in dieser Kelek, wer vom Islam den Verzicht auf seinen politischen an- Kultur gefangenen Menschen opfern. Wir brauchen die solidarität der aufgeklärten. Unsere antspruch und den Rückzug auf seine spiritualität fordert, wer also für die aufklärung des Islam eintritt, wird von den Wäch- wort auf den Islam kann nicht die Rückbesinnung auf den tern des Islam diffamiert, verleumdet und in den vom Islam christlichen Glauben sein, wie es die Kanzlerin empfohlen hat. Unsere antwort finden wir bei den großen aufklärern Lessing beherrschten Ländern verfolgt, eingesperrt oder getötet. und Mendelssohn, bei Wilhelm von Humboldt und Rahel Varnnterstützt werden sie dabei von den deutschen und eu- hagen. Wir brauchen die solidarität und Freundschaft aller, die ropäischen Propagandisten der Toleranz gegenüber der für ein freiheitliches, säkulares Europa streiten, unabhängig Intoleranz und der Gleichwertigkeit aller Kulturen, die von ihrer Herkunft und ihrem Glauben. Unser Beistand gilt in der aufklärung offenbar nichts anderes sehen als einen neuen denen, die um eine Freiheit kämpfen müssen, die zu den selbstreligionsähnlichen Fundamentalismus oder eine moderne Form verständlichkeiten unseres Lebens gehört und die wir zu verdes Kolonialismus. Kritik am Islam gleich Islamophobie gleich teidigen haben. ◆ U