Aus der Klinik für Neurologie der Universität zu Lübeck (Direktor: Prof. Dr. med. D. Kömpf) und aus dem Institut für Genetische Medizin der Europäischen Akademie Bozen (Direktor: Priv.-Doz. Dr. med. P. P. Pramstaller) Klinische und molekulargenetische Untersuchungen bei verschiedenen erblichen Dystonieformen Inauguraldissertation zur Erlangung der Doktorwürde der Universität zu Lübeck - Aus der Medizinischen Fakultät - vorgelegt von Kemal Kabakci aus Uzunköprü (Türkei) Lübeck 2008 1. Berichterstatter: Priv. Doz. Dr. habil. Peter P. Pramstaller 2. Berichterstatter: Prof. Dr. med. Eberhard Schwinger 3. Tag der mündlichen Prüfung: 25.08.2008 Zum Druck genehmigt. Lübeck, den 25.08.2008 Meiner Familie INHALTSVERZEICHNIS 1 Einleitung............................................................................................................ 1 1.1 Das Krankheitsbild der Dystonie – Definition und Einteilung .................................. 1 1.2 Primäre Torsionsdystonie mit frühem Beginn (PTD, DYT1).................................... 3 1.2.1 Epidemiologie und Krankheitsbild............................................................................ 3 1.2.2 Genetik der DYT1 ..................................................................................................... 3 1.2.3 Fragestellung zur DYT1-Dystonie ............................................................................ 5 1.3 Dopa-responsive Dystonie (DRD, DYT5) ................................................................. 6 1.3.1 Epidemiologie und Krankheitsbild............................................................................ 6 1.3.2 Genetik der DRD....................................................................................................... 6 1.3.3 Fragestellung zur DYT5-Dystonie ............................................................................ 8 1.4 Dystonie-Parkinson-Syndrom mit raschem Beginn (DPS, DYT12).......................... 9 1.4.1 Epidemiologie und Krankheitsbild............................................................................ 9 1.4.2 Genetik des DPS........................................................................................................ 9 1.4.3 Fragestellung zum DPS........................................................................................... 11 2 Patienten, Material und Methoden.................................................................... 12 2.1 Patienten und Kontrollen.......................................................................................... 12 2.2 Material .................................................................................................................... 12 2.2.1 Chemikalien...................................................................................................... 12 2.2.2 Geräte................................................................................................................ 12 2.2.3 Stammlösungen und Puffer............................................................................... 13 2.3 Methoden.................................................................................................................. 13 2.3.1 Präparation genomischer DNA......................................................................... 13 2.3.2 Konzentrationsbestimmung von DNA ............................................................. 14 2.3.3 Polymerase-Kettenreaktion (PCR) ................................................................... 15 2.3.4 Agarose-Gelelektrophorese und Gelelution ..................................................... 18 2.3.5 Polyacrylamid-Gelelektrophorese (PAGE) und Silberfärbung ........................ 19 3 Ergebnisse......................................................................................................... 24 3.1 Mutationsanalyse des DYT1-Gens bei verschiedenen Bewegungsstörungen .......... 24 3.1.1 Zusammensetzung und klinische Daten der untersuchten Patienten................ 24 3.1.2 Ergebnisse der Mutationsanalyse ..................................................................... 26 3.2 Mutationsanalyse des GCH1-Gens bei Dopa-responsiver Dystonie........................ 29 3.2.1 Zusammensetzung und klinische Daten der untersuchten Patienten................ 29 3.2.2 Etablierung einer Methode zum systematischen Nachweis von heterozygoten Deletionen im GCHI-Gen mittels quantitativer Echtzeit-PCR ........................................ 32 3.2.3 Ergebnisse der Mutationsanalyse ..................................................................... 36 3.2.4 Phänotypischer Vergleich der Patienten in Abhängigkeit vom Mutationsstatus 41 3.3 Klinisch-genetische Charakterisierung einer Familie mit dem Dystonie-ParkinsonSyndrom (DPS) mit raschem Beginn ............................................................... 42 3.3.1 Demographische und klinische Untersuchungsergebnisse der DPS-Familie... 42 3.3.2 Ergebnisse der molekulargenetischen Analyse der DPS-Familie .................... 45 4 Diskussion......................................................................................................... 49 4.1 DYT1-Dystonie........................................................................................................ 49 4.1.1 Häufigkeit und phänotypisches Spektrum der GAG-Deletion im DYT1-Gen ........ 49 4.1.2 Detektion einer neuen Mutation im DYT1-Gen ...................................................... 50 4.2 DYT5-Dystonie........................................................................................................ 50 4.2.1 Bedeutung der Gendosisuntersuchung im GCHI-Gen ............................................ 50 4.2.2 Hohe Mutationsdetektionsrate im GCHI-Gen bei DRD-Patienten ......................... 51 4.2.3 Hohe Mutationsrate im GCHI-Gen ......................................................................... 51 4.2.4 Auswirkungen und Penetranz der Mutationen im GCHI-Gen ................................ 52 4.3 DYT12-Dystonie...................................................................................................... 53 4.3.1 Klinischer Vergleich der DPS-Familie mit der Literatur ........................................ 53 4.3.2 Die molekulargenetische Untersuchung der Familie mit einem klinischen DPS ... 54 5 Zusammenfassung ............................................................................................ 56 6 Ausblick............................................................................................................ 57 7 Anhang.............................................................................................................. 58 7.1 Literaturverzeichnis.................................................................................................. 58 7.2 Abkürzungsverzeichnis ............................................................................................ 65 7.3 Primer und Sonden................................................................................................... 67 7.3.1 Allgemeine Primer.................................................................................................. 67 7.3.2 Primer und Sonden für die quantitative Mutationsanalyse im GCH1-Gen ............ 67 7.4 Lebenslauf mit Publikationsliste .............................................................................. 68 7.5 Danksagung.............................................................................................................. 70 7.6 Eidesstattliche Erklärung.......................................................................................... 71 Einleitung 1 1 1.1 Einleitung Das Krankheitsbild der Dystonie – Definition und Einteilung Die Krankheitsbezeichnung „Dystonie“ (dys = fehlreguliert, tonus = Spannung) wurde 1911 von dem Berliner Neurologen Hermann Oppenheim (1858-1919) im Rahmen der Beschreibung einer „eigenartigen Krampfkrankheit des kindlichen und jugendlichen Alters – dystonia musculorum deformans“ eingeführt (Oppenheim 1911). Definiert wird die Dystonie mittlerweile als ein Syndrom anhaltender, repetitiver, unwillkürlicher Bewegungen, mit drehendem und schraubendem Charakter, die zur Einnahme unnatürlicher Haltungen führen (Fahn et al., 1998). Die Dystonien bilden eine klinisch und genetisch heterogene Gruppe von Bewegungsstörungen, für die es dadurch vielfältige Einteilungsmöglichkeiten gibt: nach Erkrankungsalter, Verteilungsmuster der beteiligten Körperpartien (fokal, segmental, multifokal, generalisiert) und ätiologisch (Fahn et al., 1998; Klein et al., 2000; Bressmann et al., 2004). Die einfachste Einteilung der Dystonien unterscheidet zwischen primären und sekundären Formen: Bei der primären Form ist die Dystonie - mit der möglichen Ausnahme eines Tremors - das einzige Symptom, wobei die Ursache der Erkrankung genetisch oder unbekannt ist. Die sekundäre Dystonie tritt als Begleitsymptom anderer, zumeist ebenfalls neurologischer Störungen auf wie z. B. bei Morbus Wilson, Chorea Huntington oder verschiedenen Stoffwechselkrankheiten (Fahn et al., 1998). Dystonieformen, die nicht vollständig mit den Kriterien einer primären oder sekundären Dystonie übereinstimmen, da sie mit anderen Bewegungsstörungen wie Parkinsonismus oder Myoklonien zwar einhergehen, ihnen aber nicht im Sinne einer sekundären Dystonie unterzuordnen sind, werden im Folgenden als “Dystonie-Plus-Syndrome” geführt. Es ist zur Zeit umstritten, ob sie in die Kategorie der primären oder der sekundären Dystonien fallen (Klein et al., 2002). Insgesamt werden 15 verschiedene primäre Dystonien und Dystonie-Plus-Syndrome klinischgenetisch unterschieden und mit DYT 1-15 abgekürzt. Diese sind in Tabelle 1.1, die einen Überblick über klinisches Bild und molekulargenetische Erkenntnisse gibt, zusammengefasst. Nach heutigem Wissensstand werden fast alle primären Dystonien autosomal-dominant vererbt. Der Grad der Penetranz und die Ausprägung der Erkrankung variieren dabei aber sowohl inter- als auch intrafamiliär. Zur Zeit sind sieben Dystonie-Gene (DYT1, DYT3, GTP-ZyklohydrolaseI [GCHI], Tyrosinhydroxylase [TH], Myofibrillogenese-Regulator 1 [MR-1], Epsilon-Sarkoglykan [SGCE], Na+/K+-ATPase alpha3 [ATP1A3]) und sieben Dystonie–Genorte bekannt (Tabelle 1.1). In der vorliegenden Arbeit wurden Fragestellungen zur primären DYT1-Dystonie und zu den Dystonie-Plus-Syndromen DYT5 und DYT12 bearbeitet. Einleitung 2 Tabelle 1.1: Überblick über die 15 DYT-Dystonieformen Akronym Dystonieform (OMIM) (Erkrankungsbeginn) DYT1 (128100) Torsionsdystonie mit frühem Beginn DYT2 Generalisiert oder segmental, früher (224500) Beginn DYT3 Generalisiertes Dystonie-Parkinson (314250) Syndrom, Erwachsenenalter (Philipinen) DYT4 Eine Familie (Australien) mit (128101) Dysphonie und Torticollis (13-37 Jahre) DYT5a Beginn meist in den Beinen, exzellente (128230) L-Dopa Antwort, früher Beginn DYT5b (605407) DYT6 (602629) DYT7 (602124) « Infantile Parkinsonism » Extremitätendystonie, frühes DYT9 Episodische Chorea-athetose, Ataxie (601042) und Spastizität (2-15 Jahre) DYT12 (128235) DYT13 (607671) Torsin A AR - - XR Xp13.1 - Ozelius et al. Kramer et al. Marsden et al. Kahn et al. Kupke et al. Wilhelmsen et al. Nolte et al. AD - - AD 14q22.1-q22.2 GCH1 AR 11p15.5 TH AD 8p21-q22 - AD 18p - Ahmad et al. Ichinose et al. Nygaard et al. Ludecke et al. Knappskog et al. Almasy et al. Müller et al. Leube et al. AD 2q33-q35 Myofibrillogenesis Regulator 1 Fouad et al. Fink et al. Rainer et al. AD 1p13.3-p21 - Auburger et al. AD 16p11.2-q12.1 - Tomita et al. AD 7q21 SGCE AD 19q12-q13.2 AD 1p36.3-36.1 - AD 14q13 - Grotzsch et al. AD 18p11 - Grimes et al. (6-16 Jahre) Myoklonus-Dystonie mit Alkoholsensitivität, variable Erkrankungsalter Dystonie-Parkonson Syndrom mit plötzlichem Beginn, Kindes- bis ATP1A3 Eine Familie (Italien) mit zervikaler und segmentaler Dystonie, Kindes- bis Erwachsenenalter Generalisierte Dystonie, dopa-responsiv, Kindesalter Zimprich et al. Nygaard et al. Kramer et al. De Carvalho et al. Jugendalter (607195) (607488) 9q34 Paroxysmale Chorea-athethose ausgelöst bei plötzlichen Bewegungen DYT14 DYT15 AD Beginn (28-70 Jahre) frühes Kindes- bis Jugendalter (159900) Genprodukt Eine Familie (Deutschland) mit kraniozervikalrer Dystonie, später (118800) DYT11 Genort gang Erwachsenenalter Paroxysmale dystone Chorea-athetose, (128200) Referenz Kraniozervikale oder DYT8 DYT10 Erb- Bentivoglio et al. Valente et al. Eine Familie (Kanada) mit Alkoholresponsiver myoklonischer Dystonie, Kindes- bis Jugendalter AD: autosomal-dominant; AR: autosomal-rezessiv; XR: X-chromosomal-rezessiv Einleitung 1.2 3 Primäre Torsionsdystonie mit frühem Beginn (PTD, DYT1) 1.2.1 Epidemiologie und Krankheitsbild Die primäre Torsionsdystonie mit frühem Krankheitsbeginn wurde klinisch und genetisch bislang gut charakterisiert. Die Häufigkeit in der Allgemeinbevölkerung (Prävalenz) beträgt ca. 1/160.000 (Zeman et al., 1967) und ist damit wesentlich niedriger als in der Ashkenazi-jüdischen Bevölkerung mit 1/3.000 bis 1/9.000. Diese Häufung ist auf einen Gründereffekt, der wahrscheinlich vor ca. 350 Jahren im heutigen Weissrussland oder Litauen entstand, zurückzuführen (Nutt et al., 1988; Risch et al., 1995). Die DYT1-Dystonie manifestiert sich klassischerweise im Kindesalter in einer Extremität, meistens in einer der unteren, und breitet sich von unten nach oben auf weitere Körperregionen aus und generalisiert dann im weiteren Krankheitsverlauf (Bressman et al., 1994). Die Erkrankung folgt einem autosomal-dominanten Erbgang mit reduzierter Penetranz von 30 – 40 %, milde und schwere Verlaufsformen eingeschlossen (Bressman et al., 1989; Risch et al., 1990; Bressman et al., 2000; Abbildung 1.1). Der Krankheitsverlauf ist variabel, und nur etwa ein Drittel der Erkrankten entwickelt die schwerste Form der DYT1-Dystonie. Die DYT1-Dystonie ist zurzeit unheilbar, und eine Gabe von L-Dopa führt nicht zur Linderung der Symptomatik. Eine Therapieoption bei schweren Verläufen ist die Tiefenhirnstimulation des Globus pallidus internus, die interessanterweise bei Trägern eines Gendefektes im DYT1-Gens besonders wirksam ist (Coubes et al., 2000; Kupsch et al., 2003; Coubes et al., 2004). Abbildung 1.1. Klinisches Bild der DYT1-Dystonie. Unterschiedliche Ausprägung des klinischen Bildes zweier Patienten mit DYT1-Dystonie. A) Patientin mit bibrachialer Dystonie, B) Patient mit generalisierter Dystonie und schweren Kontrakturen. Beide Patienten tragen die gleiche 3-Basenpaardeletion im DYT1-Gen. 1.2.2 Genetik der DYT1 Durch Kopplungsanalysen sowohl in jüdischen als auch in nichtjüdischen Familien wurde 1989 das DYT1-Gen auf Chromosom 9q34 lokalisiert (Ozelius et al., 1989), anschließend weiter eingegrenzt (Ozelius et al., 1992; Kramer et al., 1994), und schließlich 1997 identifiziert (Ozelius et al., 1997). Einleitung 4 Das DYT1-Gen überspannt eine Region von etwa 10 kb und besteht aus fünf Exons mit einem offenen Leseraster von 996 bp (Abbildung 1.2). DYT1 kodiert für ein Protein (TorsinA) mit 332 Aminosäuren. Sowohl die RNA als auch das Protein sind im Gehirn weit verbreitet (Augood et al., 1999). Bis zum Jahr 2001 war nur eine einzige genetische Veränderung im DYT1-Gen für die PTD bekannt. Es handelt sich hierbei um eine Deletion von drei Basenpaaren (GAG) in Exon 5 (904_906delGAG) (Ozelius et al., 1997). Interessanterweise zeigten bisher alle Patienten mit einer DYT1-Dystonie, unabhängig vom ethnischen Ursprung, immer dieselbe 3 bp-Deletion (Ozelius et al., 1997;). Während diese bei der Ashkenazi-jüdischen Bevölkerung auf den oben beschriebenen Gründereffekt zurückzuführen ist, handelt es sich in der nicht-jüdischen Bevölkerung häufig um de-novo-Mutationen (Klein et al., 1998). Die im Jahre 2001 entdeckte zweite Mutation im DYT1-Gen, eine Deletion von 18 bp (966_983del) im Exon 5, fand sich bei einem Patienten mit früh beginnender Dystonie und zusätzlichen Myoklonien (Leung et al., 2001). Die gut untersuchte 3-bp Deletion führt zum Verlust eines Glutamatrestes und die 18-bp Deletion zum Verlust von sechs Aminosäuren am carboxyterminalen Ende von TorsinA. TorsinA zeigt Homologien zur sogenannten „AAA+-Superfamilie“ von ATPasen (Neuwald et al., 1999). AAA+-Proteine formen charakteristische oligomere Komplexe, weisen ATP-Bindungsdomänen auf und fungieren als Chaperone, die typischerweise Konformationsänderungen von Zielproteinen vermitteln und eine Reihe von unterschiedlichen Funktionen, z. B. beim Proteinabbau und der zellulären Stressantwort, haben. TorsinA befindet sich im Lumen des endoplasmatischen Retikulums (ER) und ist mit synaptischen Vesikeln in Nervenzellen assoziiert (Hewett et al., 2000). Es konnte gezeigt werden, dass TorsinA mit Kinesin, einem Motorprotein, interagiert. TorsinA könnte daher als Chaperon fungieren, das die Kinesinaktivität und damit zelluläre Transportvorgänge reguliert (Kamm et al., 2004a). Kürzlich identifizierte eine amerikanische Arbeitsgruppe weitere Interaktionspartner von TorsinA, die in verschiedenen Subdomänen des ER-Systems lokalisiert sind (Goodchild et al., 2005). Überexpression des mutierten TorsinA führt im Zellmodell zur Bildung von Einschlusskörperchen (Breakefield et al., 2001). Neuropathologische Untersuchungen am Menschen sind bisher rar. Eine Studie fand keinen offensichtlichen Hinweis auf Einschlüsse oder Neurodegeneration bei der DYT1Dystonie und favorisiert eine funktionelle Störung gegenüber einer strukturellen (Rostasy et al., 2003). Eine neuere Untersuchung hingegen identifizierte perinukleäre Einschlusskörperchen in der Formatio reticularis im Mittelhirn und in der grauen Substanz um die Liquorräume bei vier Trägern der GAGDeletion im DYT1-Gen, jedoch nicht bei vier Kontrollen (McNaught et al., 2004). Dies wiederum legt strukturelle Veränderungen im extrapyramidalen System nahe, welche die Störung der Motorik und des Muskeltonus bei der DYT1-Dystonie pathopysiologisch erklären würden (McNaught et al., 2004). Einleitung 5 Abbildung 1.2. Struktur des DYT1-Gens. Das DYT1-Gen auf Chromosom 9 besteht aus fünf Exons, die durch Kästchen symbolisiert sind und deren Größe darunter angegeben ist. Die Größe der Introns ist relativ klein und variiert zwischen 98 bp und ca. 4 kb (oberhalb des Gens dargestellt) Bisherige Studien zur Häufigkeit und Bedeutung der 3-bp Deletion im Exon 5 des DYT1-Gens haben im Wesentlichen bestätigt, dass diese DYT1-Mutation typischerweise zu einer generalisierten PTD mit frühem Erkrankungsbeginn führt (Bressman et al., 2000). Bei Patienten mit diesem Phänotyp und Ashkenazi-jüdischen Ursprungs wurde in ca. 75 – 90 % der Fälle die GAG-Deletion nachgewiesen, bei Patienten nichtjüdischen Ursprungs in ca. 40 – 60 % (Bressman et al., 2000). Allerdings ist die 3bp Deletion auch bei Patienten mit für DYT1-Dystonie atypischen Symptomen, wie z. B. fokale Dystonie mit Beginn im Erwachsenenalter, nachgewiesen worden (Klein et al., 1998; Gasser et al., 1998; Bressman et al., 2001). Interessanterweise findet man eine Dystonie, besonders eine fokale (z. B. Fussdystonie), auch häufig bei Patienten mit einem Morbus Parkinson (MP) mit frühem Beginn (< 40. Lebensjahr) (Leung et al., 2001). Häufig liegt dieser speziellen Form des MP eine genetische Ursache zu Grunde. Neben dieser phänotypischen Überlappung gibt es auch molekulare Überschneidungen. Zum einen weist die DYT1mRNA die höchste Konzentration in den dopaminergen Neuronen der Substania nigra auf, welche bei MP typischerweise degenerieren (Augood et al., 1998; Augood et al., 1999). Zum anderen wurde die höchste TorsinA-Konzentration in den für MP charakteristischen Lewy-Körperchen nachgewiesen (Shashidharan et al., 2000; Sharma et al., 2001). Es ist daher denkbar, dass einige MP-Patienten ebenfalls die DYT1-Mutation tragen. 1.2.3 Fragestellung zur DYT1-Dystonie Auf Grund dieses Wissensstandes und um weitere Einblicke in die klinisch-genetisch heterogene Erkrankungsgruppe der DYT1-Dystonie zu erhalten, wurden im Rahmen der vorliegenden Arbeit folgende Fragen untersucht: 1. Wie häufig findet man die bekannte 3 bp-Deletion und die 18 bp-Deletion im DYT1-Gen bei Patienten mit verschiedenen Formen von Dystonie und anderen Bewegungsstörungen vor allem MP mit frühem Beginn und einer großen Gruppe von gesunden Kontrollen? 2. Gibt es eine Korrelation von Phänotyp und Genotyp in diesen Gruppen? 3. Gibt es weitere, noch nicht in der Literatur beschriebene, Mutationen im DYT1-Gen? Einleitung 6 1.3 Dopa-responsive Dystonie (DRD, DYT5) 1.3.1 Epidemiologie und Krankheitsbild Bei der Dopa-responsiven Dystonie (DRD, DYT5) handelt es sich um ein Dystonie-Plus-Syndrom, das wie der Name sagt, auf die Behandlung mit Dopamin (L-Dopa) anspricht. Die Prävalenz der DRD liegt bei ca. 0,5 x 10-6 (Nygaard et al., 1993b; Ichinose et al., 1994). Die Penetranz bei der dominanten Form der DRD beträgt 30 % bis 80 % und ist bei Frauen deutlich höher als bei Männern (Nygaard et al., 1990; Nygaard et al., 1993; Furukawa et al., 1998a; Steinberger et al., 1998). Eine erstmalige Fallbeschreibung datiert aus dem Jahre 1947 über ein sieben Jahre altes Mädchen mit ”muskulär deformierender Dystonie” (Beck et al., 1947). Segawa beschrieb 1976 unter dem Namen ”Heriditäre progressive Dystonie mit deutlichen Tagesschwankungen” das Krankheitsbild der DRD an japanischen Patienten, das heute auch als Segawa-Syndrom bezeichnet wird (Segawa et al., 1976). Klinisch ist die DRD durch einen Beginn der Krankheit in der Kindheit mit dystoner Gangstörung charakterisiert (Nygaard et al., 1988; Nygaard et al., 1990). Im Verlauf können alle vier Extremitäten, die axiale Muskulatur und der Nacken betroffen sein. Symptome eines Parkinsonismus, wie Haltungsinstabilität, Rigor, Bradykinese und weniger häufig Tremor können hinzutreten (Nygaard et al., 1990; Müller et al., 1998). Im Tagesverlauf kommt es in der Regel zu einer bemerkenswerten Verschlechterung der Symptome, die jedoch ein hervorragendes Ansprechen auf eine Therapie mit LDopa zumindest im frühen Krankheitsstadium zeigen (Nygaard et al., 1988; Nygaard et al., 1990; Ichinose et al., 1994). Hinzu kommen atypische Krankheitsverläufe mit dem klinischen Bild einer infantilen Zerebralparalyse, dem Vorliegen einer auch im weiteren Verlauf vorwiegend fokalen Dystonie bzw. einer Hemidystonie, oder aber einem isolierten dystonen Tremor, welche die klinische Diagnose erschweren (Bandmann et al., 1998a). 1.3.2 Genetik der DRD Bei der DRD konnte 1993 durch Kopplungsanalysen das Gen für die autosomal-dominant vererbte Form auf Chromosom 14q11-q24.3 lokalisiert werden (Nygaard et al., 1993). In nachfolgenden Untersuchungen der in dieser Region liegenden Kandidatengene wurden Mutationen im GTPCyclohydrolase-I-(GCHI)-Gen (Abb. 1.3) nachgewiesen, welches für einen Defekt dieses Gens als Ursache der autosomal-dominant vererbten Form spricht (Ichinose et al., 1994). Es handelt sich dabei um ein Gen mit sechs Exons, wobei mittlerweile in jedem der Exons Veränderungen gefunden wurden. Insgesamt sind derzeit über 100 verschiedene Mutationen beschrieben worden (Furukawa et al., 1998b; Bandmann et al., 1998b; Steinberger et al., 2000; Thony und Blau, 2006). Als krankheitsverursachender Mechanismus der bisher identifizierten Mutationen kommt es nahezu ausnahmslos zu einem dysfunktionalen Protein (Müller et al., 1998). Als Schrittmacherenzym der Biosynthese von Tetrahydrobiopterin, welches wiederum ein essentieller Kofaktor für die Phenylalanin-, Tryptophan-, und Tyrosinhydroxylase ist, kommt dem GCHI eine wichtige Funktion in der Dopaminsynthese zu (Abb. 1.4). Es konnte gezeigt werden, dass das GCHI- Einleitung 7 Protein als Homodekamer arbeitet (Nar et al., 1995). Tritt eine heterozygote Mutation auf, kommt es zur Bildung von Heterodekameren, die zum Funktionsverlust führen. Damit ist der krankheitsverursachende Mechanismus der GCHI-Mutationen ein dominant-negativer Effekt (Hirano et al., 1997) bzw. ein Funktionsverlust (loss of function) denkbar. Beide Mechanismen führen zu dem Resultat eines ausgeprägten Dopamin-Mangels. Mutationen im GCHI-Gen werden jedoch erstaunlicher Weise nur bei ca. 50 % - 60 % der untersuchten Patienten identifiziert. Als Ursache für die ”Mutations-negativen” Fälle wurden noch nicht untersuchte Regionen (Introns, Promotor) des Gens und andere Störungen im BiopterinMetabolismus (Hyland et al., 1998; Nomura et al., 1998) angenommen. Bei einer Familie konnte gezeigt werden, dass heterozygote Deletionen im GCHI-Gen vorkommen (Furukawa et al., 2000). Die Identifizierung solcher Defekte ist mit Methoden, die auf konventioneller PCR beruhen - wie z. B. Sequenzierung - nicht möglich. Zu Beginn der vorliegenden Arbeit wurden sie nur mit der sehr arbeits- und zeitintensiven Methode des Southern-Blots in einem einzigen Fall nachgewiesen (Furukawa et al., 2000). Abbildung 1.3. Struktur des GCHI-Gens. Das GCHI-Gen auf Chromosom 14 besteht aus sechs Exons, die durch Kästchen symbolisiert sind und deren Größe darunter angegeben ist. Die Größe der zum Teil relativ großen Introns variiert zwischen 1 und mehr als 36 kb (oberhalb des Gens dargestellt) Als eine zweite seltene erbliche Variante – nicht Gegenstand der vorliegenden Arbeit - der DRD konnte in Einzelfällen ein autosomal-rezessiver Erbgang mit Punktmutationen im Tyrosinhydroxylase(TH)-Gen auf Chromosom 11p15.5 nachgewiesen werden (Lüdecke et al., 1995; Knappskog et al., 1995; van den Heuvel et al., 1998). Einleitung 8 Abbildung 1.4. Biosyntheseweg von Dopamin. Bei der autosomal-dominanten DRD kommt es durch einen Funktionsverlust des ersten Enzyms in der Kette (GTP-Cyclohydrolase [GCHI], Pfeil) zum endogenen Mangel an Dopamin und folglich auch von Serotonin und Noradrenalin. MP-Patienten mit frühem Krankheitsbeginn zeigen häufig Zeichen einer Dystonie. In einem frühem Krankheitsstadium kann es deshalb manchmal schwierig sein DRD und MP differentialdiagnostisch auseinander zu halten, auch weil beide Krankheiten eine klare L-Dopa Anpsprechbarkeit zeigen. 1.3.3 Fragestellung zur DYT5-Dystonie Im Rahmen dieser Arbeit soll die phänotypische und die genetische Heterogenität der DRD weiter charakterisiert und aufgeklärt werden. Daraus ergeben sich im Einzelnen folgende Fragestellungen, die in diesem Teil der Arbeit näher betrachtet werden sollen: 1. Etablierung einer Methode zum systematischen Nachweis von heterozygoten Deletionen im GCHI-Gen mittels quantitativer Echtzeit-PCR. 2. Welche Deletionen findet man mit welcher Häufigkeit im GCHI-Gen bei Patienten mit DRD? 3. Spielen GCHI-Mutationen bei Patienten mit MP und frühem Krankheitsbeginn eine Rolle, wenn diese auch eine zusätzliche fokale Dystonie zeigen? 4. Gibt es eine Möglichkeit einer klinischen Unterscheidung der DRD in Abhängigkeit der Mutation (Phänotyp-Genotyp-Korrelation)? Einleitung 1.4 9 Dystonie-Parkinson-Syndrom mit raschem Beginn (DPS, DYT12) 1.4.1 Epidemiologie und Krankheitsbild Das Dystonie-Parkinson-Syndrom mit raschem Beginn (DPS, DYT12) gehört zu den Dystonie-PlusSyndromen und ist sehr selten. Bis 2007 wurden weltweit nur einige wenige DPS-Familien und ein sporadischer Fall detailliert klinisch beschrieben (Dobyns et al., 1993; Brashear et al., 1997; Pittock et al., 2000; Linazasoro et al., 2002, Brashear et al., 2007) sowie eine Rating-Skala für die Schwere der Erkrankung entwickelt (Brashear et al., 1997). Es zeigte sich, dass bei mindestens der Hälfte der Patienten der Ausbruch der Krankheit durch besondere Belastungssituationen wie Fieber, Geburten, extreme körperliche Anstrengung oder emotionalen Stress getriggert gewesen zu sein scheint. Die Erkrankung beginnt typischerweise in der späten Kindheit oder im frühen Erwachsenenalter, wobei die bisher beschriebene Spanne zwischen vier und 58 Jahren liegt. Die Symptomatik manifestiert sich häufig abrupt innerhalb von Stunden bis wenigen Wochen und stabilisiert sich in der Regel im Anschluss oder zeigt nur eine geringe Progression. Klinisch ist das DPS, als einzige Dystonieform, durch einen plötzlichen Beginn von Dysarthrie, Dysphagie, Orofazialer-Dystonie, Dystonien vor allem der oberen Extremitäten und dystone Spasmen sowie durch Parkinson-Zeichen wie Bradykinese, Rigor und Verlust der Haltungskontrolle charakterisiert (Dobyns et al., 1993; Brashear et al., 1996; Brashear et al., 1997; Pittock et al., 2000; Linazasoro et al., 2002). Strukturelle (zerebrale Magnetresonanz) und funktionelle (Positronen-Emissions-Tomographie) Bildgebungs-Untersuchungen sind unauffällig, was einen neurodegenerativen Prozess bzw. einen Verlust von präsynaptischen Dopamin-Transportern ausschließt (Brashear et al., 1998; Brashear et al., 1999; Kramer et al., 1999). Bei einigen Patienten wurden im Liquor niedrige HomovanillinsäureKonzentrationen, einem Dopamin-Metaboliten, gemessen (Dobyns et al., 1993; Brashear et al., 1998). Therapieversuche mit L-Dopa-Präparaten bewirkten allerdings keine oder nur eine sehr geringe Besserung der Symptomatik (Dobyns et al., 1993; Brashear et al., 1998b). 1.4.2 Genetik des DPS Das DPS folgt einem autosomal dominanten Erbgang mit reduzierter Penetranz. Kopplungsuntersuchungen bei zwei großen Familien lokalisierten das Gen für DPS in einer 8-cMRegion auf Chromosom 19q13 (Kramer et al., 1999). Die dritte Familie zeigte ebenfalls eine Kopplung zu diesem Genort, der jedoch nicht weiter eingeschränkt werden konnte (Pittock et al., 2000). Erst 2004 gelang es, den Genort durch detailliiertere Kopplungsanalysen bei der größten dieser drei Familien auf 5,9 cM einzuengen (Kamm et al., 2004b). Kürzlich konnten sechs verschiedene Mutationen bei insgesamt sieben Familien, die drei schon vorher beschriebenen eingeschlossen, in der alpha 3-Untereinheit des Natrium-Kalium-ATPase 1 alpha 3 (ATP1A3)-Gens identifiziert werden (de Carvalho Aguiar et al., 2004). Alle sechs Mutationen befinden sich in einer Region, die für einen Einleitung 10 hochkonservierten Abschnitt im Protein, der Natrium-Kalium-ATPase (Na+/K+-ATPase; Abb. 1.5), kodiert und konnten in keinem von 500 Kontroll-Chromosomen gefunden werden. Abbildung 1.5. Struktur des ATP1A3–Proteins. Dargestellt ist das ATP1A3–Protein als dreidimensionales Modell mit den sechs beschriebenen Mutationen in den hochkonservierten Regionen und den Domänen der Proteine (N, P, A). Aus: de Carvalho Aguiar et al. 2004 Die Na+/K+-ATPase, eine Ionen-Pumpe, gehört zur Gruppe der P-Typ-ATPasen. Diese katalysieren den aktiven Transport von Kationen durch die Zellmembran und erhalten den Ionengradienten während der ATP-Hydrolyse. Die alpha-Untereinheit ist für die katalytische Wirkung verantwortlich. Von dieser gibt es drei Isoformen (alpha 1, 2 und 3), die in Nervenzellen exprimiert werden (McGrail et al., 1991). Bisher ist bekannt, dass Mutationen in Ionen-Pumpen vom P-Typ zu neuronalen Dysfunktionen und Neurodegeneration bei der Fruchtfliege (Drosophila melanogaster) führen (Palladino et al., 2003). Eine Mutation in der alpha 2-Untereinheit (ATP1A2) kann bei Patienten mit familiärer hemiplegischer Migräne (Typ 2) vorhanden sein (De Fusco et al., 2003; Vanmolkot et al., 2003). De Carvalho Aguiar und Kollegen haben in ihren Strukturanalysen herausgefunden, dass keine der sechs Mutationen die Reifung der Na+/K+-ATPase beeinflussen oder abbrechen, was die oben erwähnten unauffälligen Ergebnisse der Bildgebungs-Untersuchungen bekräftigte. Bei ihren funktionellen Analysen zeigte sich eine reduzierte Aktivität und Expression der alpha 3-Untereinheit (ATP1A3), was mit einer abnormen elektrischen Signalübertragungen im Gehirn vereinbar wäre. Einleitung 11 1.4.3 Fragestellung zum DPS Dem Labor von Frau Professor Dr. Christine Klein stand durch Herrn Professor Schwarz (Neurologische Klinik, Klinikum Dortmund) eine vierte große DPS-Familie mit insgesamt acht betroffenen Personen für die molekulargenetische Untersuchung zur Verfügung. Folgende Fragen sollten beantwortet werden: 1. Zeigt diese Familie Kopplung zu dem identifizierten DPS-Genort auf Chromosom 19q13? 2. Lässt sich durch Sequenzierung eine Mutation im neu entdeckten ATP1A3-Gens identifizieren? 3. Trägt die Familie alternativ die GAG-Deletion im DYT1-Gen? 4. Hat die Familie möglicherweise eine andere oro-fazial betonte Dystonieform und koppelt zum DYT6-Genort auf Chromosom 8p-q? Patienten, Material und Methoden 2 12 Patienten, Material und Methoden 2.1 Patienten und Kontrollen Patienten und Kontrollen wurden an mehreren klinischen Zentren mit spezieller Expertise in neurologischen Bewegungsstörungen in Europa (Lübeck/Deutschland: Prof. Dr. Peter Vieregge; Dortmund/Deutschland: Prof. Dr. Michael Schwarz; Bozen/Italien: Priv. Doz. Dr. Peter P. Pramstaller; Ankara/ Türkei: Dr. Ercan Demir) und USA (New York: Dr. Rachel Saunders-Pullman, Prof. Dr. Susan Bressman) rekrutiert. Die Diagnose, der für die vorliegende Arbeit relevanten Krankheitsbilder PTD, DRD, DPS und MP, wurden anhand aktueller klinischer Kriterien gestellt (Nygaard et al. 1988, Bressman et al. 2002; Brashear et. al., 1997; Gibb and Lees 1988). Nach dem Erhalt einer Einverständniserklärung wurde den Patienten und gesunden Kontrollen eine venöse Blutprobe entnommen und DNA extrahiert (siehe 2.3.1). 2.2 Material Im Folgenden sind die verwendeten Materialien unter Angabe des Herstellers aufgeführt. 2.2.1 Chemikalien Acrylamid (30 %); rotiphoreseGel30 Roth Betain Sigma Desoxyribonukleotide (dNTPs) Amersham Biosciences Harnstoff USB Molekulargewichtsstandard (100 bp) Invitrogen Oligonukleotide Biometra; MWG Biotech; TIB Molbiol Oligonukleotide, markiert für LI-COR MWG Biotech Restriktionsenzyme und Puffer/BSA New England Biolabs; Invitrogen Sonden für LightCycler TIB Molbiol Taq-DNA-Polymerase + Puffer Quantum/Appligene; Eppendorf Alle weiteren hier nicht aufgeführten Laborchemikalien wurden von den Firmen Roth, Fluka Biochemica und Merck geliefert. 2.2.2 Geräte Sequenziergerät, LI-COR IR2-DNA-Sequenzierer MWG Biotech Patienten, Material und Methoden 13 Spektrophotometer Eppendorf Thermocycler, - Mastercycler Eppendorf - PTC-100 und PTC-200 Biozym - LightCycler RocheDiagnostics Alle hier nicht aufgeführten Standardgeräte wurden von den Firmen Eppendorf, Peqlab u. a. verwendet. 2.2.3 Stammlösungen und Puffer Formamid-Farbstoff 47,5 ml Formamid; 2,0 ml 0,5 M EDTA (pH 8,0); 0,01 g Bromphenolblau; 0,01 g Xylencyanol Leidener-Lösung: 155 mM NH4Cl; 10 mM KHCO3; 0,1 mM EDTA (pH 8,0); (steril filtriert) Lyse-Puffer: 10 mM Tris/HCl (pH 8,0); 400 mM NaCl; 0,2 mM EDTA (pH 8,0); (steril filtriert) PAA-Gel, denaturierend für Sequenzierung: 3,3 ml LongRanger Acrylamidlösung (Biozym); 3,0 ml 10x TBE; 12,6 g Harnstoff (entspricht 7 M); ad 30 ml mit dH2O (Delta Pharma); Polymerisieren mit 200 µl 10 % APS und 20 µl TEMED PAA-Gel, denaturierend für Haplotypanalyse und zur Detektion der GAG-Deletion: 6 % Acrylamid; 6,7 M Harnstoff; in 1x TBE mit 1/1000 Vol. TEMED; Polymerisieren von 30 ml Gellösung mit 180 µl 10 % APS 1x TE-Puffer: 10 mM Tris/HCl (pH 8,0); 1 mM EDTA (pH 8,0); (autoklaviert) 10x TBE-Puffer: 890 mM Tris; 890 mM Borsäure; 20 mM EDTA 2.3 Methoden 2.3.1 Präparation genomischer DNA Für die molekulargenetischen Untersuchungen, vor allem in Form von PCR-Reaktionen wurde humane genomische DNA als Vorlage benötigt. Die Präparation genomischer DNA erfolgte aus Patienten, Material und Methoden 14 Leukozyten des Blutes nach der Aussalzmethode (Miller et al., 1988). Die Zellen wurden zunächst lysiert, Proteine durch Proteinase K verdaut, und die DNA durch Präzipitation isoliert. Durchführung: Versetzen von 10 ml Vollblut (EDTA/Heparin/Citrat) mit 35 ml Leidener-Lösung Inkubation für 30 min auf Eis bei 200 rpm Abzentifugieren der Leukozyten (6000 rpm, 4° C, 20 min) Waschen des Pellets durch Resuspendieren in 10 ml Leidener-Lösung Inkubation für 20 min auf Eis und Zentrifugation (6000 rpm, 4° C, 20 min) Resuspension des Pellet in 3 ml Lysepuffer Zugabe von 200 µl Proteinase K (10 mg/ml) und 100 µl SDS (20 %ig) Inkubation über Nacht bei 55° C Zugabe von 1 ml 6 M NaCl-Lösung und kräftig schütteln Zentrifugation (6000 rpm, 20° C, 25 min) Überstand mit 6 M NaCl-Lösung waschen bis der Überstand keine sichtbaren Schwebteilchen mehr enthält Ausflocken der DNA durch Zugabe von 2 Vol. 96 % EtOH DNA-Flocke mit 1 ml 70% EtOH waschen Zentrifugation (12000 rpm, 4° C, 15 min), Überstand verwerfen Pellet (DNA) im Thermoblock bei 37° C trocknen Zugabe von 500 bis 1000 µl 1x TE-Puffer und DNA über Nacht im Kühlschrank lösen Mit dieser Methode konnten ca. 100 bis 1000 µg genomischer DNA guter Qualität präpariert werden. 2.3.2 Konzentrationsbestimmung von DNA Je nach Fragestellung standen zwei Methoden zur Konzentrationsbestimmung von Nukleinsäuren zur Auswahl. Spektrophotometrische Konzentrationsbestimmung Die Konzentration lässt sich über die spektralphotometrische Messung bei einer Wellenlänge von 260 nm nach dem Lambert-Beer´schen Gesetz aus der Extinktion berechnen. Nukleinsäuren absorbieren Licht zwischen einer Wellenlänge von 250 und 270 nm aufgrund der Spektralcharakteristika ihrer Basen. Proteine hingegen absorbieren vor allem Licht der Wellenlänge 280 nm. Der Quotient E260 : E280 ist für reine DNA zwischen 1,8 und 2,0. Ein Nachteil dieser Methode bei der Bestimmung der DNA-Konzentration ist die Messung der Gesamtnukleinsäure, also auch der RNA. Patienten, Material und Methoden 15 Berechnung der Konzentration nach dem Lambert-Beer´schen Gesetz: cNA = E260 * d * e * f mit E260...Extinktion bei 260 nm d.......Schichtdicke der Küvette ( = 1) e.......Extinktionskoeffizient ( = 50) f........Verdünnungsfaktor cNA....Konzentration der Nukleinsäure Bei der Messung am Photometer wurde zunächst ein Nullabgleich gegen Wasser durchgeführt, bevor die Proben gemessen wurden. Konzentrationsbestimmung durch optischen Vergleich Über einen Marker, dessen Konzentration bekannt ist, lässt sich durch Vergleich der Bandenintensität nach Ethidiumbromidfärbung im Agarosegel unter UV-Licht die Konzentration der Ziel-DNA abschätzen. Der Vorteil dieser Methode ist, die gleichzeitige Überprüfung der Qualität der isolierten DNA in Hinblick auf Fragmentierung und RNA-Gehalt. 2.3.3 Polymerase-Kettenreaktion (PCR) Die Polymerase-Kettenreaktion (Saiki et al., 1985) ist eine enzymatische Methode zur in-vitroAmplifikation von DNA. Die Spezifität der Amplifikation wird durch Verwendung zweier chemisch synthetisierter sequenzspezifischer Primer erreicht. Diese sind zu den Randbereichen der Zielsequenz komplementär und flankieren einen Bereich, der durch eine thermostabile Polymerase dupliziert wird. Der Prozess der PCR wird in drei sich wiederholende Schritte unterteilt: Zunächst findet eine Auftrennung der doppelsträngigen DNA in die beiden komplementären Einzelstränge statt (Denaturierung). An diese Einzelstränge können sich die komplementären Primer anlagern (Annealing). Im dritten Schritt sind die 3´-Enden der Primer Startpunkte der Polymerase, die entsprechend der Matrize eine komplementäre Kopie jedes Stranges synthetisiert (Extension). Dadurch wird eine exponentielle Vermehrung des gewünschten DNA-Fragments erreicht. 2.3.3.1 Design von Primern und PCR-Optimierung Die Sequenz von Primern für konventionelle Anwendungen wurde mit Hilfe des Programms „Oligo“ abgeleitet oder aus Publikationen entnommen. Primer und Sonden für Echtzeit-PCR-Anwendungen wurden in Zusammenarbeit mit Dr. Olfert Landt (TIB Molbiol, Berlin) entworfen. Primer und Sonden sind Oligonukleotide, die meist aus 20 bis 24 Basen bestehen. Es wurde darauf geachtet, dass die Primer möglichst keine Sekundärstrukturen mit sich selbst oder dem Gegen-Primer bilden. Das 3´OH-Ende bestand zumeist aus einem Guanin oder Cytosin, da dadurch eine höhere Bindungsstärke erreicht wird als bei einem A-T-Paar. Die Primer wurden so gewählt, dass sie, bedingt durch einen entsprechenden GC-Gehalt, Schmelztemperaturen von mindestens 55° C hatten. Patienten, Material und Methoden 16 Mit neuen Primern für konventionelle Anwendungen wurde zunächst eine Gradienten-PCR (Variation der Annealing-Temperatur) durchgeführt, um die optimale Temperatur zu ermitteln. Führte dies nicht zu einem zufriedenstellenden Resultat, wurde eine PCR-Optimierung gestartet, die verschiedene Mg2+Konzentrationen und die Verwendung von Zusätzen wie Formamid, Betain, Glycerin und DMSO in verschiedenen Konzentrationen beinhaltete. Alle verwendeten Primer und Sonden sowie die entsprechenden Annealing-Temperaturen und Besonderheiten sind im Anhang aufgeführt. 2.3.3.2 Protokolle zur PCR bei verschiedenen Fragestellungen Es wurden zwei prinzipielle Verfahren der PCR-Amplikfikation angewendet: die konventionelle PCR in einem herkömmlichen Thermocycler (A-B) und Echtzeit-PCR (C). A) PCR-Ansatz und -Reaktion für konventionelle Mutationsdetektion Für die Suche nach Mutationen mittels direkter PCR-Produkt-Sequenzierung wurden PCR-Reaktionen mit einer Standard-Taq-Polymerase durchgeführt (Q-Biogene oder Eppendorf). Das Enzym besitzt eine 5´-3´-Exonuklease-Aktivität, jedoch keine Korrekturlese-Funktion. An die 3´-Enden wird unabhängig von der Matrix, ein Desoxyadenosin angehängt. PCR-Ansatz: Substanz Konzentration steriles dH2O Puffer dNTP-Mix Primer + Primer Template Taq Volumen 10x 1 mM 10 µM 10 µM 5 - 10 ng/µl 5 U/µl Σ Menge im Ansatz 7,3 µl 2,0 µl 4,0 µl 0,8 µl 0,8 µl 5,0 µl 0,1 µl 20,0 µl 1x 4 nmol 8 pmol 8 pmol 25 - 50 ng 0,5 U Bei jeder PCR wurden auch eine Positiv- und eine Negativkontrolle angesetzt. Die Reaktionsgefäße wurden in einen auf 95° C vorgeheizten Block eines Thermocyclers mit beheizbarem Deckel gestellt. Die Amplifikation erfolgte bei einer der Primer-Sequenz angepassten Annealing-Temperatur. Die Extensions-Zeit richtete sich nach der erwarteten Produktgröße, wobei eine Synthesegeschwindigkeit von 1 kb/min angenommen wurde. Programm: 95° C 35 x 95° C 55 – 72° C 72° C 72° C 4° C 3 min initiale Denaturierung 30 s 30 s 30 s bis 4 min Denaturierung Annealing 10 min terminale Extension als Endtemperatur Extension Patienten, Material und Methoden 17 B) PCR für Haplotypisierung Da die Genotypen mit Hilfe eines automatischen Sequenziergerätes (LI-COR) ausgewertet wurden, musste das PCR-Produkt fluoreszenzmarkiert werden, was durch den Einbau eines entsprechenden Primers erfolgte. Der PCR-spezifische Vorwärts-PCR-Primer (Sequenzen laut Genomdatenbank unter http://www.gdb.org/) wurde dafür um die M13F-Nukleotidsequenz am 5´-Ende verlängert. Neben den beiden PCR-spezifischen Primern wurde zusätzlich jeder PCR ein mit dem Fluoreszenz-Farbstoff IRD-700 bzw. IRD-800 markierter Primer mit der M13F-Primer-Sequenz hinzugefügt. Bei der PCR entstanden so spezifische PCR-Produkte, die um eine M13F-Sequenz verlängert waren und zusätzlich am Kettenende das Fluorophor IRD-700 oder IRD-800 aufwiesen. Die PCR zur Genotypisierung wurde nach folgendem PCR-Ansatz durchgeführt: Substanz Konzentration steriles dH2O Puffer dNTP-Mix Primer + Primer M13 Primer Template Taq Volumen Menge im Ansatz 0,33 µl 0,5 µl 1,0 µl 0,06 µl 0,06 µl 0,05 µl 3,0 µl 0,05 µl 10x 1 mM 10 µM 10 µM 10 µM ~ 5 ng/µl 5 U/µl Σ 1x 1 nmol 0,6 pmol 0,6 pmol 0,5 pmol ~ 15 ng 0,25 U 5,0 µl Die Amplifikation fand unter folgenden Bedingungen statt: 95° C 3 min // 35 Zyklen: 95° C 30 s; 55° C 30 s; 72° C 30 s // 72° C 10 min // 4° C als Endtemperatur. C) Quantitative Echtzeit-PCR mit Hybridisierungssonden Echtzeit-PCR kann zur Quantifizierung von Ausgangsmaterial für eine PCR angewendet werden. Dabei kann am Computer-Monitor die Menge an PCR-Produkt online verfolgt werden. Das ist notwendig, um die log-lineare Phase einer PCR zu identifizieren, denn nur in diesem Stadium ist eine Quantifizierung möglich. Im Rahmen der vorliegenden Arbeit wurde der LightCycler (RocheDiagnostics) benutzt. Zur Bestimmung von (heterozygoten) Deletionen und Duplikationen ganzer Exons im GCH1-Gen wurden Hybridisierungssonden zum Messen der PCR-Produktmenge verwendet. Unter Einsatz von zwei unterschiedlich markierten Paaren von Hybridisierungssonden wurde eine Duplex-PCR durchgeführt, bei der jeweils ein Exon des GCH1-Genes und ein Teil des Referenz-Genes koamplifiziert wurden. Als Referenz-Gen diente das -Globin-Gen. Das GCH1-spezifische PCRProdukt wurde in Kanal F2 (mit LC640-markiert), und das Referenz-Gen-Produkt wurde in Kanal F3 (LC705-markiert) detektiert. Patienten, Material und Methoden 18 Eine Verdünnungsreihe einer Standard-DNA (RocheDiagnostics) bekannter Konzentration (0,3125 ng/µl, 5,0 ng/µl, 20,0 ng/µl) wurde bei jedem Lauf mitgeführt, um eine absolute Quantifizierung zu erreichen. Die vom LightCycler errechneten DNA-Anfangskonzentrationen wurden jeweils in ein Verhältnis zueinander gesetzt: Menge GCH1zu Menge -Globin. Werte zwischen 0,8 und 1,2 wurden als normal angesehen. Werte zwischen 0,4 und 0,7 wurden als heterozygote Deletion des entsprechenden Exons und Werte zwischen 1,3 und 1,7 als heterozygote Duplikation des betreffenden Exons gewertet. Alle Quantifizierungen wurden in Doppelbestimmung durchgeführt, und es wurden nur diejenigen Doppelwerte akzeptiert, deren Standardabweichung kleiner oder gleich 10 % der ermittelten Konzentration war. Es wurde nach folgendem Reaktionsansatz gearbeitet: Substanz dH2O MgCl2 Primer Ex (F+R) Sonde FL Ex Sonde LC Ex Primer Glob (F+R) Sonde FL Gl Sonde LC Gl Hybrid-Mix (Kit#) DNA Konzentration 25 mM 5 µM 4 µM 4 µM 5 µM 4 µM 4 µM 10x ~ 5 ng Volumen Endkonz. im Ansatz ad 10 µl 0,8 bis 1,8 µl 1,0 µl 0,5 µl 0,5 µl 1,0 µl 0,5 µl 0,5 µl 1,0 µl 2,0 µl 2 bis 4,5 mM * 0,5 µM 0,2 µM 0,2 µM 0,5 µM 0,2 µM 0,2 µM 1x ~ 10 ng *: 1 mM ist im Hybrid-Mix enthalten; #: DNA Master Fast Start Hybridization Probes (RocheDiagnostics) PCR-Programm am LightCycler: 95° C 10 min // 95° C 10 s; 55° C 10 bis 15 s; 64 bis 72° C 10 bis 25 s (38 Zyklen) // Kühlen auf 40° C 30 s Die Primer- und Sondensequenzen sowie die genauen PCR-Bedingungen sind im Anhang aufgeführt. 2.3.4 Agarose-Gelelektrophorese und Gelelution Die horizontale Agarose-Gelelektrophorese wurde als Standardmethode zur Überprüfung von DNAFragmentgrößen nach PCR angewendet. Das Auflösungsvermögen von Agarosegelen ist im Vergleich zu Polyacrylamid- (PAA-) Gelen zwar geringer, doch sind sie einfacher in der Anwendung. Die Auftrennung von Nukleinsäurefragmenten nach ihrer Größe im elektrischen Feld ist aufgrund der negativen Ladung des Zucker-Phosphat-Rückgrates möglich. Ihre Wanderungsgeschwindigkeit nimmt logarithmisch, wegen der Netzstruktur des Gels, mit steigender Basenzahl ab. Patienten, Material und Methoden 19 2.3.4.1 DNA-Auftrennung mittels Agarose-Gelelektrophorese In Abhängigkeit von der erwarteten Produktgröße wurden Gele einer Konzentration zwischen 0,7 % und 2,0 % verwendet. Durchführung: Suspendieren der entsprechenden Menge Agarose in 1x TBE Aufkochen der Gelsuspension in der Mikrowelle Zugabe von 1/50 Vol. Ethidiumbromid (Stammlösung: 10 mg/ml) Gießen des Gels in eine vorbereitete Kammer mit ein oder zwei Kämmen Proben mit 1/3 Vol. Formamid-Farbstoff versetzen Proben und geeigneten Längenstandard in die Ladetaschen pipettieren Elektrophorese bei 80 bis 120 V für 1 bis 2 h in 1x TBE als Laufpuffer Über den interkalierenden Farbstoff Ethidiumbromid konnte die DNA unter UV-Licht (365 nm) als rot-orange-farbige Bande sichtbar gemacht und mit einer Videokamera mit angeschlossenem Bildverarbeitungssystem (BioDocAnalyze, Biometra) fotografisch dokumentiert werden. 2.3.4.2 Isolierung von PCR-Produkten aus Agarosegelen – Gelelution Die Elution von DNA-Fragmenten aus Agarose wurde zur Reinigung der PCR-Produkte von Nukleotiden, Primern und unspezifischen PCR-Amplifikaten vor der Sequenzierung durchgeführt. Es kamen dabei zwei verschiedene vorgefertigte Systeme zur Anwendung, die zu keinen Unterschieden im Resultat führten: QIAEX II (Qiagen) und Perfectprep Cleanup (Eppendorf). Beide Systeme beruhen auf der Löslichkeit von Agarose und der selektiven Adsorption von DNA an Silica-Partikel in Hochsalzpuffern (Vogelstein und Gillepsie, 1979). Entsprechend ähneln sich auch die Arbeitsschritte sehr stark. Zunächst wurde die Agarose in einem Hochsalzpuffer durch Wärme gelöst und an Silica-Partikel bzw. an eine Membran gebunden. Es folgten Waschschritte und schließlich wurde die DNA mit Wasser oder 10 mM Tris-Lösung eluiert. Durchgeführt wurde die Gelelution entsprechend den Herstellerangaben. 2.3.5 Polyacrylamid-Gelelektrophorese (PAGE) und Silberfärbung Die vertikale Polyacrylamid-Gelelektrophorese (PAGE) wurde zur Auftrennung von DNAFragmenten nach einer PCR angewendet, wenn kleine Größenunterschiede detektiert werden sollten. Das heißt, die PAGE kam bei der Sequenzierung (1 bp-Unterschied), der Detektion der GAG-Deletion im DYT1-Gen (3 bp-Unterschied) und bei der Haplotypisierung (2 bis 4 bp-Unterschied) zum Einsatz. In Abhängigkeit von der erwarteten Produktgröße wurden Gele einer Konzentration zwischen 6 % und 8 % verwendet. Patienten, Material und Methoden 20 Die Fragmente wurden im Polyacrylamidgel entweder mit Silberfärbung, einer empfindliche Färbemethode, die auf der Komplexierung von Ag+-Ionen beruht, sichtbar gemacht oder mittels eines Lasers detektiert, wenn sie zuvor fluoreszenzmarkiert wurden. 2.3.5.1 DNA-Auftrennung mittels PAGE mit anschließender Silberfärbung Zu Beginn der vorliegenden Arbeit wurde die GAG-Deletion im DYT1-Gen mit einer herkömmlichen PAGE und anschließender Silberfärbung nachgewiesen. Durchführung - PAGE: • Zugabe von 500 µl 10 % APS zu 50 ml denaturierender Acrylamid-Gellösung • Gießen eines Gels (25 cm x 40 cm und 4 mm dick), luftblasenfrei • Einspannen der Gele nach der Polymerisation in Kammern, vertikal • PCR-Produkte mit 40 % Formamid-Farbstoff versetzen und für 5 min bei 95° C denaturieren, danach sofort auf Eis stellen • Je 7 µl PCR-Produkt bzw. Längenstandard pro Ladetasche auftragen • Elektrophorese bei konstanter Leistung (4 - 20 W) über 5 - 16 h • Silberfärbung der Gele zum Sichtbarmachen der Produkte Durchführung - Silberfärbung: • Trennen der beiden Elektrophoreseplatten • Inkubation der Gele für 5 min in 10 % Ethanol • Inkubation für 3 min in 1 % Salpetersäure • Zweimal mit Aqua dest. spülen • Inkubation für 20 bis 60 min in 12 mM AgNO3-Lösung • Dreimal mit Aqua dest spülen • Entwickeln der Gele mit 280 mM Na2CO3 in 0,2 % Formaldehyd-Lösung • Beenden der Färbung durch Zugabe von 10 % Essigsäure • Waschen des Gels mit Aqua dest. und Blotten des Gels auf Whatman-Papier • Trocknen des Gels auf heizbaren Geltrockner für 1-2 h bei 75° C 2.3.5.2 Sequenzierung Die Sequenzierung erfolgte nach dem Prinzip des Kettenabbruchverfahrens (Sanger, 1977). Diese enzymatische Methode, auch Didesoxymethode genannt, beruht auf dem Einbau von Didesoxynukleotiden, die auch am C3-Atom keine Hydroxyl-Gruppe, sondern nur ein WasserstoffAtom tragen. Aufgrund dessen ist keine Kettenverlängerung möglich, wenn ein solches Molekül eingebaut wurde. Patienten, Material und Methoden 21 Für die Sequenzier-Reaktion wurde ein vorgefertigtes System (Thermo Sequenase fluorescent labelled primer cycle sequencing kit) der Firma Amersham Biosciences verwendet. Pro Sequenz waren vier verschiedene Reaktionen (entsprechen den vier möglichen Nukleotiden) nötig. Der Reaktionsansatz enthielt ein Gemisch aus Desoxynukleotiden (dNTPs) und Didesoxynukleotiden (ddNTPs). Zunächst wurde die doppelsträngige DNA (geleluierte PCR-Produkte bzw. Plasmid-DNA) denaturiert und danach konnte der sequenzspezifische, fluoreszenzmarkierte Primer binden. Durch die Aktivität der DNA-Polymerase wurde der Einzelstrang entsprechend der Matrize aufgefüllt, bis zufällig ein komplementäres ddNTP anstatt des dNTPs eingebaut wurde und damit einen Kettenabbruch verursachte. Während der anschließenden elektrophoretischen Auftrennung der Fragmente nach ihrer Größe in einem denaturierenden Polyacrylamidgel erfolgte eine Detektion über Laser. Das verwendete Sequenziergerät (LI-COR Long Read IR2-DNA-Sequenzierer) ist ein Plattensequenziergerät, das mit Hilfe von zwei Infrarotlasern bei 700 und 800 nm simultan Informationen aufnehmen kann (Duolaser). Damit war es möglich, die Sequenzierung des Vorwärts- und des Rückwärts-Stranges durch Verwendung von unterschiedlich markierten Sequenzier-Primern in einem Ansatz durchzuführen. Durchführung – Sequenzierreaktion: • Ansatz Mastermix: DNA 2-10 µl M13F-Primer, IRD700-markiert, 2 µM 1,5 µl M13R-Primer, IRD800-markiert, 2 µM 1,5 µl dH2O ad 17,0 µl • Verteilen von je 3,9 µl Mastermix auf 4 Tubes • Zugabe von je 2 µl A-, T-, G-, C-Reagenz (aus Kit) • Amplifikation mit Kettenabbruch unter folgenden Bedingungen: 94° C 2 min // 30 Zyklen mit 94° C 30 s, 58° C 30 s, 72° C 30 s // 72° C 10 min // 4° C als Endtemperatur • Zugabe von je 4 µl Ladepuffer (aus Kit) Durchführung - Denaturierende PAGE am LI-COR: • Gießen eines Gels (25 cm × 41 cm × 0,2 mm) und in Sequenziergerät LI-COR einspannen • Rechner für den Gellauf vorbereiten (Fokussierung des Lasers und Hell-Dunkel-Abgleich) • Vorlauf (mind. 20 min) • Denaturieren der Proben bei 95° C für 3 min und in Kühlblock stellen • Laden von je 1,5 µl Produkt in der Reihenfolge A-T-G-C • Elektrophorese für ca. 6 h bei 50° C und 31,5 W in 1x TBE als Laufpuffer • Auswertung durch direktes Lesen am Bildschirm Patienten, Material und Methoden 22 2.3.5.3 Haplotyp-Analyse Die Haplo- oder Genotypanalyse ermöglicht es, die Herkunft von Chromosomenabschnitten innerhalb (Stammbaumanalysen, Kopplungsanalysen) und außerhalb (z. B. bei Gründermutationen) von Familien zu verfolgen. Dazu werden variable Bereiche (Polymorphismen) im Genom genutzt. Dies können sogenannte SNPs (single nucleotide polymorphisms) oder STRs (short tandem repeats) sein. Letztere bestehen aus einer Sequenz von zwei bis vier Basenpaaren, die sich zehn- bis dreißigmal aneinanderreiht und stabil vererbt wird. Bei einer PCR-Amplifikation bilden sich Produkte verschiedener Länge, die mittels Gelelektrophorese analysiert werden können. Schätzungsweise gibt es 50000 bis 100000 STRs im humanen Genom. Sie finden sich in nicht-kodierenden DNAAbschnitten des Genoms, so zum Beispiel in intergenischen und intronischen Bereichen. Der Informationsgehalt der einzelnen STRs ist unterschiedlich hoch, da der sogenannte Heterozygotiegrad schwankt. Dies ist für spätere Berechnungen von großer Bedeutung. Je polymorpher ein STR-Marker ist, d. h. je mehr Allelvarianten ein Marker aufweist, und je gleichverteilter diese Allelvarianten in der Bevölkerung auftreten, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, einen heterozygoten Träger des Allels anzutreffen. Ein Heterozygotiegrad für einen STR-Marker von z. B. 0,71 bedeutet, dass 29 % der getesteten Bevölkerung homozygot für diesen Marker sind, d. h. beide Chromosomen die gleiche Anzahl von Wiederholungen haben. Die STR-Marker werden auf einer genetischen Karte relativ zueinander plaziert. Festgelegt wird ihre Reihenfolge durch die Rekombinationhäufigkeit zwischen ihnen, deren Einheit Centi-Morgan (cM) ist. Liegen zwei STR-Marker beispielsweise 1 cM voneinander entfernt, bedeutet dies, dass zwischen Ihnen einmal pro 100 Zellteilungen eine Rekombination stattfindet. Von Haplotypen wird gesprochen, sobald die Genotypen mehrerer Marker, die auf einem einzelnen elterlichen Chromosom nacheinander folgen, geordnet sind, d. h. „in Phase gebracht“ sind. Ist die Anordnung der Haplotypen erfolgt, lassen sich Rekombinationen von einer Generation auf die nächste genau verfolgen. Für die Genotypisierung in der DYT12-Region wurden acht STR-Marker, die in und um die DYT12Region auf Chromosom 19q13 lokalisiert sind, genutzt. Für die DYT6-Region auf Chromosom 8p-q wurden sechs STR-Marker verwendet. Heterozygotiegrad und Lage der Mikrosatelliten sind im Anhang vermerkt. Die Amplifikation der PCR-Produkte erfolgte unter Standardbedingungen. Analysiert wurden die Produktlängen der STRs durch 6 %-ige PAA-Gelelektrophorese an einem automatischen Sequenziergerät (LI-COR) durch Erfassung der fluoreszenz-markierten PCR-Produkte. Um die korrekten Größen der Allele bestimmen zu können, wurden zwei Kontrollproben der Individuen 1331.1 und 1331.2 des Centre d’Etude du Polymorphisme Humaine (CEPH) in die Genotypisierung der einzelnen Marker einbezogen. Patienten, Material und Methoden 23 Die Methode der PAGE am LI-COR wurde im Rahmen der vorliegenden Arbeit auch zum Nachweis der GAG-Deletion etabliert, um damit die relative umständliche Silberfärbung zur Detektion der Produkte zu umgehen. Durchführung: • PCR-Produkte herstellen (vgl. 2.3.3.2) • Gießen eines Gels (20 cm × 25 cm × 0,4 mm) und Einspannen in LI-COR • Rechner für den Gellauf vorbereiten (Fokussierung des Lasers und Hell-Dunkel-Abgleich) • Vorlauf (mind. 20 min) • Mischen der Proben mit 200 bis 300 % Formamid-Farbstoff und bei 95° C für 3 min denaturieren • Je 1,5 µl Produkt laden, ggf. zwei unterschiedlich markierte Marker gleichzeitig laden • Elektrophorese für ca. 4 h bei 45° C und 25 W in 1x TBE • Manuelle Auswertung durch direktes Lesen Ergebnisse 24 3 3.1 Ergebnisse Mutationsanalyse des DYT1-Gens bei verschiedenen Bewegungsstörungen 3.1.1 Zusammensetzung und klinische Daten der untersuchten Patienten Im Rahmen der vorliegenden Arbeit wurde eine große Stichprobe von Patienten mit verschiedenen Dystonieformen und anderen Bewegungsstörungen vor allem MP mit frühem Beginn sowie gesunde Kontrollen molekulargenetisch auf die bis dahin bekannten Deletionen im DYT1-Gen untersucht. Die Stichprobe bestand aus 1486 Probanden, davon waren 674 nicht miteinander verwandte Patienten und 812 gesunde Kontrollen europäischen Ursprungs. Die Gruppe der Patienten setzte sich wie folgt zusammen: • 5 Patienten mit einer generalisierter PTD • 126 Patienten mit fokaler/segmentaler PTD • 34 Patienten mit einer Myoklonus-Dystonie (M-D) • 32 Patienten mit einer Neuroleptika induzierten Dystonie • 435 Patienten mit einem MP mit frühem Beginn • 42 Patienten mit verschiedenen Formen von Bewegungsstörungen (Parkinsonismus-PlusSyndrome wie Multiple-System-Atrophie oder Progressive-Supranukleäre-Blickparese und Restless Legs Syndrome). Die Gruppe der Kontrollen bestand aus 403 gesunden Blutspendern aus Südtirol (Italien), 297 nichtbetroffenen Mitgliedern welche im Rahmen von Familienstudien zu oben genannten Krankheiten rekrutiert wurden, und aus 112 Kontrollen, welche Teil einer populationsbasierten MP-Studie waren. In dieser großen Stichprobe wurde bei insgesamt sechs Patienten eine Deletion im DYT1-Gen gefunden, darunter fünf Dystonie-Patienten mit der GAG-Deletion (vgl. 3.1.2; Kabakci et al. 2004). Im Folgenden werden die demographischen und klinischen Daten der Patienten mit Mutation dargestellt: Patient 1 Diese Patientin, deutscher Herkunft und mit einer positiven Familienanamnese, begann im Alter von acht Jahren eine progressive Bewegungsstörung zu entwickeln, die in einer generalisierten Dystonie resultierte. Dabei waren die Beine stärker als die Arme betroffen, was zu schweren Gangstörungen führte. Die Symptome waren partiell Alkoholresponsiv. Die letzte neurologische Untersuchung im Alter von 43 Jahren zeigte einen milden dystonen Tremor der Stimmlippen, eine schwere axiale Torsionsdystonie, Dystonie aller vier Extremitäten mit einem dystonen Tremor der linken Hand und Ergebnisse 25 einer weiteren Verschlechterung der Gangstörung. Die übrige neurologische Untersuchung, die Laborwerte von Blut und Liquor sowie eine zerebrale Magnet-Resonanz-Tomographie (MRT) waren alle unauffällig. Patient 2 Dieser Patient deutscher Herkunft und unbekannter Familienanamnese leidet seit seinem 18. Lebensjahr an einer zunehmenden Bewegungsstörung des Kopfes mit unwillkürlichen Verdrehungen und einem dystonen „Nein-Nein-Tremor“. Außerdem kam es zu Krämpfen der rechten Hand mit Beeinträchtigung der Fingerfeinmotorik und zu Gangstörungen mit gelegentlichen Stürzen. Die Symptome waren Alkoholresponsiv. Bei seiner letzten Untersuchung mit 21 Jahren bestand ein Tortiund Laterocollis, ein dystoner Kopftremor, eine leichte Dystonie des Rumpfes, der rechten Hand sowie des rechten Fußes. Der übrige neurologische Befund war wie die Laborchemischen Untersuchungen von Blut und Liquor unauffällig. Die Neurophysiologischen Untersuchungen (visuell (VEP), somatosensorisch (SEP) und motorisch (MEP) evozierte Potentiale) waren bis auf die akustisch (AEP) evozierten Potentiale, die auf eine bilaterale periphere Läsion hinweisen, normal. Das zerebrale MRT zeigte eine linksseitige Arachnoidal Zyste, war aber sonst ohne pathologischen Befund. Patient 3 Mit sechs Jahren hatte die Patientin, deutscher Herkunft und positiver Familienanamnese, erstmals Verkrampfungen der rechten Hand beim Schreiben, die später auch in der linken Hand auftraten, bemerkt. Im weiteren Verlauf haben sich diese auf andere Tätigkeiten und die Arme ausgeweitet. Mit 16 Jahren benötigte sie einen Schreibcomputer und die Verkrampfungen traten auch in Ruhe auf. Es waren jedoch stets nur die oberen Extremitäten betroffen (Abbildung 1.1A). Bei der klinischneurologischen Untersuchung im Alter von 20 Jahren fand sich eine Dystonie beider Hände und Unterarme (rechts mehr als links), ein myokloniformer, dystoner Tremor der Hände und Unterarme (links mehr als rechts) und in Ruhe eine dystone Flexion des rechten Handgelenks. Bei geschlossenen Augen kam es zum Einschießen der Dystonie und des dystonen Tremors sowie insbesondere beim Schreiben und dem Versuch, ein Glas zu halten. Weitergehende Untersuchungen (Labor, MRT) wurden bisher nicht durchgeführt. Patient 4 Bei dieser serbischen Patientin mit positiver Familienanamnese war das Initialsymptom ein vergleichsweise spät einsetzender Tremor beider Hände im Alter von 31 Jahren. Danach zeigte die Patientin eine langsame Progression über 37 Jahre mit einer Überlagerung des Tremors mit häufigen Zuckungen, die zu großen Problemen beim Essen und Trinken führten. Mit 45 Jahren kam eine Ergebnisse 26 unwillkürliche Drehung des Kopfes nach rechts einhergehend mit schmerzhaften axialen Spasmen, dystoner Haltung der Beine (links mehr als rechts) und des linken Arms hinzu. Die Symptomatik war mäßig Alkoholresponsiv. Die neurologische Untersuchung im Alter von 68 Jahren ergab eine orofaziale Dystonie, einen Anterocollis, einen Laterocollis nach rechts, einen dystonen Kopftremor, eine Dystonie des linken Arms mit häufigen Zuckungen, plötzliche, ruckartige Bewegungen des Rumpfes mit Haltungsinstabilität, Aktionsmyoklonien der Beine mit intermittierender, schmerzhafter, dystoner Haltung des linken Beins und eine Gangstörung. Weitere Untersuchungen einschließlich Labor, Liquor, Neurophysiologie und zerebrales MRT ergaben normale Befunde. Patient 5 Dieser türkische Patient mit positiver Familienanamnese stammte aus einer konsanguinen Ehe. Die Schwangerschaft und Geburt verliefen normal. Mit zwei Jahren wurde eine motorische Entwicklungsverzögerung diagnostiziert und mit vier Jahren Sprachprobleme. Im Alter von drei Jahren entwickelte der Patient erstmals eine leichte Tetraparese und Spastik. Die Diagnose Dystonie wurde mit zehn Jahren gestellt. Ein Jahr später entwickelte sich noch eine bulbäre Symptomatik. Bei der neurologischen Untersuchung fanden sich eine Anarthrie, ein Torti- und Retrocollis, Kontrakturen an beiden Händen (Palmarflexion und Opposition des Daumens), generalisierte Dystonie mit ausgeprägter kyphotischer Skoliose, Atrophie der Beinmuskulatur, leichte Tetraparese mit gesteigerten Muskeleigenreflexen, Fußkloni und ein positives Babinski Zeichen rechts. Die Koordination war nicht prüfbar (Abb. 1.1B). Die Laborchemische Analyse inklusive der Langkettigen und organischen Fettsäuren und endokrinologischen Tests waren normal. Das EEG zeigte eine generelle Verlangsamung. Die SEP und MEP deuten auf eine zentrale (efferente) Läsion hin. Die kranialen und spinalen MRT-Bilder waren unauffällig. 3.1.2 Ergebnisse der Mutationsanalyse Ziel war es, die Häufigkeit der beiden bisher bekannten Deletionen (3 bp- [GAG] und 18 bp-Deletion) im Exon 5 des DYT1-Gens zu bestimmen. Dazu wurde in dieser Studie ein Kollektiv von 1486 Probanden (674 Patienten und 812 gesunde Kontrollen), untersucht. Die Testung dieses Kollektivs ergab folgende Ergebnisse: 1. Die 3 bp-Deletion (Abbildung 3.1) wurde bei insgesamt fünf Patienten detektiert. Drei Patienten (1, 2, 3) hatten eine klassische früh beginnende PTD, die bei zwei dieser Patienten im Krankheitsverlauf generalisierte (1, 2). Die Symptomatik der anderen beiden Mutationsträger (Patienten 4 und 5) war untypisch für die DYT1-Dystonie (vgl. 3.1.1). Dieses Resultat, dass drei der fünf Patienten (60%) mit typischer PTD die GAG-Deletion tragen, stimmt mit den Angaben in der Literatur überein (vlg. Diskussion 4.1.1). In der Gruppe der Kontrollen kam die GAG-Deletion nicht vor. Ergebnisse 27 2. Die 18 bp-Deletion konnte in keinem der Patienten und in keiner Kontrolle nachgewiesen werden. 3. Im Rahmen der Analyse wurde eine neue Mutation im Exon 5 des DYT1-Gens detektiert. Es handelt sich dabei um eine heterozygote 4 bp-Deletion, die bei einer gesunden Kontrolle gefunden wurde. Diese Mutation fiel durch die PCR-Produktgrößen von 250 bp (Wildtyp) und 246 bp (Produkt mit Deletion) bei der Auftrennung auf dem Polyacrylamid-Gel auf. Die Bande mit der Deletion zeigt eine weitere Lauflänge als die deletionstragende Bande bei der 3 bp-Deletion mit 247 bp (Abbildung 3.1). Die anschließende Sequenzierung der 4 bp-Deletion ergab eine heterozygote Deletion der vier Basenpaare AGAG an den Positionen 934_937delAGAG (Abbildung 3.2). Sie liegt somit genau zwischen der GAG- und der 18 bpDeletion (Abbildung 3.3). Im Gegensatz zu den beiden bisher bekannten Deletionen führt die neue 4 bp-Deletion zu einer Leserasterverschiebung und damit zu einer veränderten Aminosäuresequenz und zu einem vorzeitigen Proteinabbruch (Abbildung 3.4). Bei der mutationstragenden Kontrolle handelt es sich um einen mutmaßlich gesunden Blutspender aus Südtirol, der sich zu einer ausführlichen Anamnese und einer eingehenden neurologischen Untersuchung nicht bereit erklärte. Aus diesem Grund konnten keine klinischen Daten erhoben werden. Die neue Mutation wurde bei keiner anderen Kontrolle und auch bei keinem Abbildung 3.1. Polyacrylamid-Gel zur Kontrolle 2 Auftrennung der PCR-Produkte von Kontrolle 1 934_937delAGAG 904_906delGAG 934_937delAGAG 904_906delGAG 904_906delGAG der Patienten nachgewiesen. Exon 5 des DYT1-Gens. Zwei Banden von 250 bp und 247 bp Größe sind charakteristisch für die heterozygoten GAG-Deletionsträger (Spur 1, 2 und 4). Bei der heterozygoten 4 bp-Deletion (934_937delAGAG) beträgt die Größe der PCR-Produkte 250 bp und 246 bp (Spur 3 und 5). Gesunde Personen ohne eine Mutation im DYT1-Gen zeigen nur eine Bande von 250 bp (Spur 6 und 7). Ergebnisse 28 4 bp del Abbildung 3.2. Sequenziergel mit der 4 A A A A C G T C G G A A A T A G A C T C T T T T G A G A T G G C A A A A C G T C G G A A A T A G A C T C T T T T bp-Deletion (934_937delAGAG). Der Pfeil G A G G A G A A A C C C C T T T T T A C A G T A G A G G A G markiert die Stelle, an der die „Doppelsequenz“ mit einem normalen (Wildtyp [WT]) und einem deletierten Allel beginnt. 90 4_ 90 6 93 de 4_ lG 93 AG 7 d 96 el AG 6_ 98 AG 3 de l1 8b p A T G C WT 1 2 3 4 5 Abbildung 3.3. Schematische Darstellung der DYT1-mRNA. Die Pfeile geben die Lokalisation der drei Mutationen im Exon 5 wider. Grüner Pfeil = 3 bp-Deletion, roter Pfeil = 4 bp-Deletion, blauer Pfeil = 18 bp-Deletion. Ergebnisse 29 del302 del323-328 Leserasterkonforme Deletion: DEDIVSRVA*EMTFFPKEERVFSDKGCKTV******YYDD Wildtyp: DEDIVSRVAEEMTFFPKEERVFSDKGCKTVFTKLDYYYDD Leserasterverschiebende Deletion: DEDIVSRVAEEMTFFPKEEFSQIKAAKRCSPS Abbildung 3.4. Carboxy-Terminale Aminosäurensequenz des TorsinA. Die mittlere Sequenz zeigt das WildtypProtein. Darüber ist die Sequenz mit den beiden bekannten leserasterkonformen Deletionen dargestellt. Die deletierten Aminosäuren sind mit Sternchen gekennzeichnet, und die Pfeile geben die genauen Positionen an. In der unteren Sequenz sind die veränderten Aminosäuren hervorgehoben und der vorzeitige Proteinabbruch, der durch die neue 4 bp-Deletion verursacht wird, ist sichtbar. 3.2 Mutationsanalyse des GCH1-Gens bei Dopa-responsiver Dystonie 3.2.1 Zusammensetzung und klinische Daten der untersuchten Patienten Im Rahmen der vorliegenden Arbeit wurden zwei unterschiedliche Patientenkollektive (A und B) auf Gendosisuntersuchungen im GCHI-Gen untersucht: Aus jeder Familie wurde das zuerst untersuchte symptomatische Familienmitglied als Indexpatient ausgewählt und molekulargenetisch untersucht. Das Patientenkollektiv A bestand aus 23 nicht miteinander verwandten Patienten (3m, 20w) mit klinisch sicherer DRD. Das mittlere Erkrankungsalter der Patienten lag bei 7,0 ± 3,5 Jahren, wobei die Spanne des Erkrankungsalters von 1 bis 12 Jahren reichte. Bei allen Betroffenen begann die Erkrankung in den Beinen. Die biodemographischen, klinischen und genetischen Details der Index-Patienten sind in Tabelle 3.1 zusammengefasst. Darüber hinaus standen 69 Angehörige (16 erkrankt, 53 gesund) dieser Index-Patienten für molekulargenetische Untersuchungen zur Verfügung, und ie im Index-Patienten identifizierte Mutation wurde bei den Angehörigen getestet. Das Patientenkollektiv B bestand aus 17 Patienten mit der Diagnose MP mit frühen Beginn. Neben der typischen MP-Symptomatik zeigten all diese Patienten eine Fussdystonie zu Beginn der Erkrankung, und einige Patienten hatten auch andere Dystonieformen, z. B. Schreibkrampf. Ergebnisse 30 Klinische Details sind in der Tabelle 3.2 zusammengefasst. Diese Patienten wurden im Rahmen der Doktorarbeit von Herrn Dr. Martin Kann aus der neurogenetischen Arbeitsgruppe von Frau Prof. Dr. C. Klein auf Parkin-Mutationen untersucht, einer relativ häufigen Ursache des MP mit frühen Beginn. Vier der 17 Patienten trugen zwei Mutationen im Parkin-Gen (compound heterozygot) und ein Patient hatte eine einzelne heterozygote Parkin-Mutation (Kann 2004). Zwölf Familien von Patientenkollektiv A und das gesamte Patientenkollektiv B wurden im Rahmen der Doktorarbeit von Frau Dr. Kathrin Mohrmann aus der neurogenetischen Arbeitsgruppe von Frau Prof. Dr. C. Klein mit konventionellen Methoden (Single strand conformation polymorphism [SSCP]-Analyse und Sequenzierung) auf Punktmutationen und kleine Deletionen/Insertionen im GCHI-Gen untersucht (Mohrmann 2002). Ergebnisse 31 Tabelle 3.1. Biodemographische und klinische Daten der 23 DRD-Indexpatienten IndexPatient GCH1Mutation (DNA) GCH1-Mutation (Protein) A27674 Ex1-6del Kompletter Proteinverlust M 17 B7143 Ex1-4del Kompletter Proteinverlust W 37 C859 262 C>G Arg88Gly W D4022 272T>G Leu91Arg W E3721 281C>A Thr94Lys W F27258 308A>C Gln103Pro T2424 323G>A G4460 Geschlecht/ Alter/ Erkrankungsalter Erkrankungsbeginn L-Dopa Tagesdosis (mg) Ort der Dystonie Familien- Familienanamnese anamnese PS Dystonie 5 Beine 25 Arme und Beine Neg. Pos. Deutschland, England 1 (1) 6 (1) 12 Arm und Bein 100 Arm und Bein Unbekannt Neg. Unbekannt keine 1 (0) 21 12 Beine 200 Beine Neg. Pos. Deutschland 1 (1) 4 (3) 14 10 Bein 100 Bein Neg. Neg. AJ: Polen, Russland keine 2 (0) 25 11 Bein 150 Rumpf, Beine Pos. Pos. Schottland, Irland, Frankreich, England 1 (1) 1 (0) W 40 3 Extremitäten 600 Arme und Beine Neg. Pos. Unbekannt 1 (1) 1 (0) Gly108Asp W 16 9 Beine 100 Arme und Beine Pos. Pos. England, Deutschland Holland 3 (3) 4 (1) 532A>G Arg178Gly W 36 8 Bein 100 Beine Unbekannt Pos. Norwegen, Deutschland 1 (1) 6 (4) H3942 550C>T Arg184Cys W 25 1 Beine 100 Hals, Rumpf, Arme, Beine Pos. Neg. AJ: Polen, Ukraine, Russland, Österreich keine 1 (1) I1275 601G>A Gly201Arg W 35 11 Bein 350 Arme und Beine Neg. Neg. Deutschland keine 4 (0) J7671 604G>A Val202Ile W 28 5 Bein 150 Bein Neg. Pos. AJ: Polen, Ungarn keine keine K180 669C>A 68C>T Ser223Arg Pro23Leu M 38 7 Beine 500 Arme und Beine Pos. Neg. Italien keine keine L546 22_23GC>TA Ala8Stop W 30 3 Beine 700 Arm und Beine Neg. Pos. Deutschland England, Kuba, Spanien keine keine Herkunft Getestete Angehörige (Mutationsträger) Betroffen M26296 Gesund 646C>T Arg216Stop W 31 4 Bein, Rumpf 300 Arm und Beine Pos. Pos. Deutschland Schweiz 4 (4) 7 (0) N8819 316insTTC 106Thr/ins106Phe W 17 12 Bein 500 Bein Pos. Pos. Deutschland England, Irland 1 (1) 7 (0) O8548 631_632delAT Met 211/Stop248 W 17 9 Bein 250 Hals, Arm, Bein Neg. Neg. Italien, Schweden, Karibik keine 2 (0) P5664 654ins T Val218/stop249 W 37 5 Bein 300 Arme und Beine Neg. Pos. Italien 1 (1) keine Q8306 IVS4+1G>A M 34 6 Bein 500 Unteres Gesicht, Hals, Arm, Bein Neg. Pos. Portugal, Schottland 1 (1) 3 (1) R3793 IVS5+3insT W 44 1 Arme und Beine 400 Rumpf, Beine Neg. Neg. AJ: Polen, Deutschland Russland keine 3 (1) S5852 IVS5+3insT W 30 10 Extremitäten 100 Arme und Beine Neg. Pos. Japan, Korea 1 (1) 1 (0) U4834 Vorzeitiger Proteinabbruch Vorzeitiger Proteinabbruch Vorzeitiger Proteinabbruch keine detektiert Entfälllt W 54 6 Arm und Bein 150 Arm und Bein Pos. Pos. Irland, Nordamerikanische Eingeborene keine keine V27259 keine detektiert Entfällt W 41 5 Bein 100 Rumpf, Arm, Beine Neg. Pos. Deutschland Irland, partiell AJ keine keine W8829 Entfällt W 41 7 Bein 300 Arme und Beine Pos. Pos. England keine keine keine detektiert M = männlich; W = weiblich; AJ = Ashenaschi Juden Ergebnisse 32 Tabelle 3.2. Biodemographische und klinische Daten der 17 MP-Patienten mit frühem Beginn und zusätzlicher Dystonie IndexPatient Alter Geschlecht Erkrankungsalter FH L-Doparesponsiv Art der Dystonie L-283 48 m 35 ? Ja L-299 L-324 L-325 L-333 44 43 45 51 w m m m 37 31 34 16 ? Neg Pos ? Ja Ja Ja Ja L-341 L-359 L-362 L-367 L-368 L-378 L-387 L-389 L-395 L-517 42 51 53 45 50 53 47 50 51 36 w m w w w m m w w m 31 15 41 33 39 46 38 39 40 30 Pos Pos ? Pos ? ? Pos ? ? Pos Ja Ja Ja Ja Ja Ja Ja Ja Ja Ja L-561 L-649 53 46 m m 21 16 Pos Pos Ja Ja Fußdystonie, Torticollis, Schreibkrampf Fußdystonie, Schreibkrampf Fußdystonie Fußdystonie Fußdystonie, Toritcollis, Schreibkrampf, Blepherospasmus Fußdystonie, Schreibkrampf Fußdystonie Fußdystonie, Handdystonie Fußdystonie Fußdystonie Fußdystonie Fußdystonie Fußdystonie Fußdystonie Fußdystonie, Torticollis, Schreibkrampf Fußdystonie Fußdystonie, Schreibkrampf Verteilung der DystonieSymptome Multifokal Anzahl ParkinMutationen 0 Multifokal Fokal Fokal Multifokal 0 2 0 0 Multifokal Fokal Multifokal Fokal Fokal Fokal Fokal Fokal Fokal Multifokal 0 2 0 0 0 0 1 2 0 0 Fokal Multifokal 2 0 m = männlich; w = weiblich; FH = Familienanamnese; ? = unbekannt 3.2.2 Etablierung einer Methode zum systematischen Nachweis von heterozygoten Deletionen im GCHI-Gen mittels quantitativer EchtzeitPCR Bestimmte Deletionen oder Duplikationen sind mit konventionellen Methoden nicht darstellbar. Heterozygote Gendosisveränderungen von ein oder mehr Exons und angrenzenden Intronbereichen wie sie unter anderem im Parkin-Gen beobachtet wurden, sind für den Nachweis mit Fluoreszenz in-situ Hybridisierung (FISH) zu klein und für eine routinemäßige Detektion mit einer Deletions- oder Duplikations-überspannenden PCR zu groß. Daher wurde in der Arbeitsgruppe von Frau Prof. Dr. C. Klein zunächst eine neue Methode zum Nachweis dieser Mutationsart im Parkin-Gen mittels quantitativer Duplex-PCR mit dem LightCycler entwickelt (Hedrich et al., 2001) und im Rahmen der vorliegenden Arbeit für das GCHI-Gen modifiziert und etabliert (Klein et al., 2002). Im Normalfall (ohne Mutation) besitzt jeder Mensch zwei Kopien jedes Gens, eine väterliche und eine mütterliche. Bei einer partiellen Deletion, z. B. der Deletion eines Exons, ist nur noch eine Kopie dieses Bereiches vorhanden, wohingegen bei einer Duplikation oder Triplikation drei und mehr Kopien im Genom vorliegen (Tabelle 3.3). Mittels Echtzeit-PCR am LightCycler kann die Kopienzahl jedes einzelnen Exons bestimmt werden indem die Menge an DNA der einzelnen Exons mit der DNA-Menge eines Referenz-Gens verglichen wird. Ergebnisse 33 Tabelle 3.3: Kopienanzahl von Allelen bei Deletionen und Duplikationen. Anzahl der Allele Allele Ziel-Gen Allele Referenz-Gen Quotient Normalfall Homozygote Deletion Heterozygote Deletion Heterozygote Duplikation Homozygote Duplikation 2 2 2 1 0 0 2 0 1 1 2 0,5 3 3 2 1,5 4 4 2 2 Das verwendete Referenz-Gen -Globin liegt auf jeden Fall in normaler Kopienzahl (n=2) vor und die entsprechende PCR ist sehr robust, d. h. sie funktioniert über einen weiten Bereich von Reaktionsbedingungen. Menschen mit Mutationen im -Globin-Gen leiden an Thalassämie, einer klinisch leicht diagnostizierbaren Erkrankung des Blutes, die bei den Probanden ausgeschlossen wurde. Die Fragestellung erforderte eine sehr genaue Art der Quantifizierung, da die erwarteten und zu beurteilenden Quotienten von GCHI zu -Globin von 0,5, 1,0 und 1,5 zweifelsfrei unterschieden werden mussten (Tabelle 3.3). Daher wurden für die Quantifizierung wie beim Parkin-Gen sequenzspezifische Sonden in einer Duplex-PCR verwendet, wobei jedes einzelne Exon des GCHI-Gens mit dem Referenz-Gen -Globin koamplifiziert wurde. Um absolute DNA-Anfangskonzentrationen zu ermitteln, wurde eine Verdünnungsreihe einer menschlichen genomischen Standard-DNA bekannter Konzentration (RocheDiagnostics) in drei verschiedenen Konzentrationen (0,3125 ng/µl, 5 ng/µl und 20 ng/µl) bei jedem Lauf mitgeführt. Aus diesen Werten konnte die Software des LightCyclers eine Standardgerade (y=m*x+n) erstellen und daraus die DNA-Konzentration der zu messenden Proben berechnen. Zur Absicherung der Ergebnisse wurde jede Quantifizierung in Doppelbestimmung durchgeführt, und die Messwerte wurden nur Standardabweichung der Einzelwerte dann zur Auswertung herangezogen, wenn die 10 % der errechneten Konzentration betrug. Wegen der hohen Zahl von Oligonukleotiden in dem Reaktionsansatz (zwei Paar Sonden und zwei Paar Primer) wurde eine sogenannte Hot-Start-Polymerase (DNA Master Fast Start Hybridization Probes, RocheDiagnostics) verwendet, die ihre Aktivität erst nach einer 10minütigen Erhitzung bei 95° C entfaltet. Beim Design der GCHI-Primer wurde, neben den üblichen sequenzspezifischen Eigenschaften, auch darauf geachtet, dass die Primer möglichst innerhalb des Exons binden. Dadurch sollten mögliche falschpositive Deletionen wegen Mutationen in den Primer-Bindungsbereichen ausgeschlossen werden. Solche Mutationen würden durch die SSCP-Analyse mit den weiter außen liegenden intronischen Primern (Bandmann et al., 1998) auffallen. In Zusammenarbeit mit Dr. Olfert Landt (TIB MOLBIOL, Berlin) wurden entsprechende Primer und Sonden für alle Ergebnisse 34 sechs Exons des GCHI-Gens entworfen. Die PCR-Bedingungen wurden optimiert, so dass jedes Exon zuverlässig amplifiziert und quantifiziert werden konnte. Mit dieser Methode konnten Gendosisveränderungen im GCHI-Gen identifiziert werden. Eine Deletion wurde bei einem Verhältnis von GCHI-Exon zu -Globin von 0,3 bis 0,7 angenommen. Der Normalbereich war als Quotient zwischen 0,8 und 1,2 definiert. Die folgende Abbildung zeigt den Auswertebildschirm des LightCyclers mit dem Beispiel einer heterozygoten Deletion von Exon 3, ersichtlich durch einen Quotienten GCHI-Exon 3 zu ß-Globin von 0.52. Ergebnisse 35 A 1 3 2 B 1 3 2 Abbildung 3.5. Quantifizierung mit dem LightCycler. (A) Fluoreszenzkanal F2 normiert auf F1 im Zyklus 6. Die Intensität des Fluoreszenzsignals korreliert mit der Menge GCH1-Exon 3. (B) Fluoreszenzkanal F3 normiert auf F1 im Zyklus 6. Diese Kurve entspricht der PCR-Produkt Menge von -Globin. (1) Die Diagramme zeigen die Menge an PCR-Produkt für die drei verschiedenen Standardverdünnungen und eine DNA-Probe während der PCR (als Funktion der Zeit). (2) Unterhalb der Diagramme ist jeweils die Standardgerade (Fluoreszenzsignal als Funktion der Konzentration) für die drei Standardverdünnungen gezeigt. Daneben sind der Anstieg der Kurve, die daraus errechnete Effizienz der PCR und die Abweichung der Meßpunkte von der Gerade (Fehler) wiedergegeben. (3) Die absolute Konzentrationen der Proben basierend auf der Standardgerade sind angegeben. Im Beispiel ist an den absoluten Konzentrationen und am Vergleich der Probe DONH 27674 zu den Standards im Diagramm erkennbar, dass das Verhältnis von Konzentration GCH1-Exon 3 / -Globin = 3,900/7,567 = 0,52 ist. Daher hat die untersuchte Probe eine heterozygote Deletion in Exon 3. Ergebnisse 36 3.2.3 Ergebnisse der Mutationsanalyse Wir führten eine molekulargenetische Untersuchung des GCHI-Gens an einem großen Kollektiv von DRD- und MP-Patienten mit frühem Beginn anhand der neu etablierten Methode der quantitativen PCR-Analyse (Gendosis-Untersuchung) und mittels konventioneller Analysemethoden (Sequenzierung) durch (Hagenah et al., 2005). Im Rahmen der vorliegenden Arbeit erfolgte die Gendosisuntersuchung des GCHI-Gens bei insgesamt 40 und die Sequenzananlyse bei 11 Index-Patienten und bei insgesamt 69 Angehörigen. Im Patientenkollektiv A wurden bei 20 der 23 Familien (87 %) Mutationen im GCHI-Gen identifiziert (Tabelle 3.1). Es wurden bei zehn Betroffenen missense- und bei zwei Patienten nonsense-Mutationen mittels Sequenzanalyse detektiert. Darüber hinaus wurden drei splice site-, drei kleine Deletionen/Insertionen und zwei große Exondeletionen gefunden (Abbildung 3.5). Eine der splice-site-Mutationen (IVS5+3insT) wurde bei zwei nicht miteinander verwandten Patienten nachgewiesen (Tabelle 3.1). Einer der Patienten war asiatischer Abstammung, der zweite war Ashkenazi-jüdischen Ursprungs aus der Region Ost-Mitteleuropa. Von den zehn identifizierten missense-Mutationen waren sieben noch nicht vorbeschrieben und wurden nicht in 100 Europäischen Kontrollchromosomen gefunden. delEx1-4 delEx1-6 1 68C>T 2 262C>G 4 532A>G 272T>G IVS4+1G>A 281C>A 22_23GC>TA 3 308A>C 5 6 646C>T 550C>T 601G>A 669C>A 604G>A 323G>A 316insTTC IVS5+3insT 654insT Abbildung 3.6. Lokalisation der in dieser Studie identifizierten Mutationen im GCH1-Gen. Schematisch dargestellt ist das GCH1-Gen auf Chromosom 14 mit den sechs Exons (Kästchen). Mutationen die durch Sequenzierung gefunden wurden sind unterhalb des Gens zu sehen (Basenpaaraustausche mit Pfeilen und kleine Deletionen/Insertionen als Balken symbolisiert). Oberhalb des Gens sind die Exondeletionen gezeigt. Ein Basenpaaraustausch, der wahrscheinlich ein seltener Polymorphismus ist, stellt der graue Pfeil dar. Ergebnisse 37 Im Rahmen der vorliegenden Arbeit wurden 11 der 20 Mutationen im Patientenkollektiv A identifiziert. Die restlichen neun Mutationen sind bereits in der Promotionsarbeit von Frau Dr. Kathrin Mohrmann vorgestellt worden (Tabelle 3.1; Mohrmann 2002). Im Folgenden soll auf einige der hier identifizierten mutationstragenden Familien näher eingegangen werden: Familie A Diese amerikanische Familie wurde in der Doktorarbeit von Frau Dr. K. Mohrmann mittels SSCP- und Sequenz-Analyse auf Mutationen im GCH1-Gen untersucht, wobei keine Mutation gefunden werden konnte. Aber auf Grund der klinischen Befunde und des Stammbaums lag eine klassische DRD in dieser Familie vor (Abbildung 3.7). Die anschließende quantitative Analyse ergab eine heterozygote Deletion aller sechs Exons des GCH1-Gens bei dem Indexpatienten (Abbildung 3.8). Von sieben weiteren Familienmitgliedern, einschließlich der betroffenen Tante, stand DNA zur Verfügung (Abbildung 3.7). Bei der Gendosisuntersuchung dieser Angehörigen wurde eine heterozygote Deletion des GCHI-Gens bei der Tante (27109) und einem ihrer Söhne (AE484) detektiert. Bei dem Vater (27673) des Indexpatienten aber war die Deletion nicht nachzuweisen (Abbildung 3.8). Aufgrund des Stammbaums müsste der Vater obligater Mutationsträger sein, was dazu führte, dass die biologische Vaterschaft mit einer neuen DNAProbe und Haplotypisierung überprüft und letzten Endes bestätigt wurde. Ergebnisse 38 no DNA 27196 + no DNA 27109 27673/AE935 + ? no DNA no DNA AE485 27675 + AE485 27674 AE934/no DNA Abbildung 3.7: Stammbaum der Familie A. Von dieser DRD-Familie stand außer der des betroffenen Indexpatienten (Pfeil; schwarz; 27674) noch von sieben weiteren Familienmitgliedern DNA zur Verfügung (alle mit einer Nummer), darunter eine Betroffene (schwarz; 27109). Von den beiden erkrankten Zwillingen lag keine DNA vor und es war unklar, ob es sich um ein– oder zweieiige Zwillinge handelte (?). Die drei Mitglieder, bei denen die Deletion aller sechs Exons gefunden wurde, sind mit einem „+“ gekennzeichnet. Vater/27673 1,40 1,20 1,00 0,80 0,60 0,40 Index/27674 1,40 1,20 0,20 0,00 1 1,00 2 3 4 5 6 0,80 0,60 1,40 0,40 1,20 0,20 1,00 Väterl. Tante/27109 0,80 0,00 1 2 3 4 5 6 0,60 0,40 0,20 0,00 1 2 3 4 5 6 Abbildung 3.8: Ergebnisse der quantitativen PCR-Analyse. Dargestellt sind die Ergebnisse für die Gendosisuntersuchungen des GCH1-Gens des Indexpatienten 27674 sowie dessen Vater 27673 und seiner Tante 27109. Für jedes Exon des GCH1-Gens ist das Verhältnis von GCH1 zu -Globin im Säulendiagramm angegeben. Im Gegensatz zu dem Vater, dessen Werte alle im Normbereich zwischen 0,8 und 1,2 lagen, zeigten sich bei dem Indexpatienten und seiner väterlichen Tante Quotienten von 0,4 bis 0,7 (rot markierter Bereich). Damit konnte bei beiden eine heterozygote Deletion aller sechs Exons nachgewiesen werden. Ergebnisse 39 Familie B Bei der Indexpatientin 7143 der Familie B wurde eine heterozygote Deletion der Exons 1 bis 4 identifiziert (Abbildung 3.9). Sie war die einzige Betroffene in dieser Familie und DNA zur molekulargenetischen Analyse stand nur von ihr und ihrer Mutter 7144 zur Verfügung. Diese trug allerdings nicht die Mutation, was den Schluss nahe legt, dass es sich entweder um eine de novoMutation bei der Indexpatientin handelt, oder dass die Mutation vom Vater vererbt wurde. 7144 + 7143 1,20 Ratio GCHI / beta globin Family PIQ: delEx2-3 1,00 7143 1,08 1,03 1,00 0,91 0,85 0,88 7144 0,93 0,87 0,80 0,60 0,56 0,56 0,45 0,40 0,29 0,20 0,00 1 2 3 4 5 6 Exon Abbildung 3.9: Stammbaum der Familie B und die Ergebnisse der Gendosisuntersuchung. Im Stammbaum ist die betroffene (schwarz) Indexpatientin mit einem Pfeil markiert. Die Mutter (7144) ist mit einem „-„ gekennzeichnet, da sie die Mutation nicht trägt. Rechts sind die Ergebnisse für die quantitative PCR des GCH1-Gens für die Indexpatientin (schwarz) und deren Mutter (grau) in einem Diagramm dargestellt. Aufgetragen ist für jedes Exon das Verhältnis von GCHI zu -Globin. Die entsprechenden Quotienten sind über den Balken eingetragen. Ein Verhältnis von 0,8 bis 1,2 bedeutet keine Veränderung der Gendosis. Bei einem Quotienten von 0,3 bis 0,7 liegt eine heterozygote Deletion vor. Dies traf bei der Indexpatientin für die Exons 1 bis 4 zu. Bei ihrer Mutter lagen die Werte für alle Exons im Normalbereich. Familie D Neben den beiden detektierten Gendosisveränderungen bei den Familien A und B ergab sich zunächst eine dritte heterozygote Exon-Deletion. Die quantitative Analyse von Exon 1 bei Patient 4022 wies ein Verhältnis der Konzentration von Exon 1 des GCHI-Gens zum -Globin-Gen von 0,52 auf. Die Sequenzanalyse dieses Exons mit flankierenden Primern zeigte jedoch eine heterozygote Punktmutation (c.272T>G), die an der letzten 3´-Stelle des Rückwärts-Primers für die quantitative PCR zu einer Fehlpaarung führte. Deshalb war die Anlagerung des Primers an das zu amplifizierende PCR-Produkt gestört, und es wurde nur der nicht mutierte Strang während der LightCycler-Analyse vervielfältigt. Außer der Indexpatientin gab es keine weiteren Betroffenen in der Familie und kein Elternteil trug die Mutation. Damit handelt es sich bei der Mutation im Patienten 4022 um eine de novoMutation. Ergebnisse 40 Familie G Bei der Indexpatientin 4460 der Familie G wurde eine missense-Mutation in Exon 4 des GCHIGens (c.532A>G) gefunden (Abbildung 3.10). Sie hatte eine betroffene Schwester, die ebenfalls die Mutation trug. Darüber hinaus wurden weitere vier Mutationsträger in der Familie identifiziert, einschließlich des Vaters der beiden betroffenen Schwestern, die alle gesund waren. Dies unterstreicht die reduzierte Penetranz der GCHI-Mutation bei dieser Familie. Family SCHM: 532A>G + 4837 + 4459 4458 4838 + + 4832 4839 A T G C A T G C 4838 4460 + 4460 + 4831 Abbildung 3.10: Stammbaum und Sequenzanalyse der Familie G. Von acht Familienmitgliedern stand DNA zur Verfügung (mit Nummer versehen). Bei sechs von ihnen wurde die Mutation detektiert (+). Die Indexpatientin (4460; Pfeil) und eine Schwester (4459) waren betroffen (schwarz). Die vier übrigen Mutationsträger, durch einen Punkt gekennzeichnet, waren nicht betroffen. Zwei weitere Mitglieder trugen keine Mutation und waren gesund (-). Die Sequenzanalyse auf einem 6-%igen Polyacrylamidgel zeigt den heterozygoten Basenpaaraustausch T>C auf dem reversen Strang (Pfeil; entspricht auf dem vorwärts Strang c.532A>G) der Indexpatientin (4460). Links daneben ist der gleiche Sequenzabschnitt der nicht betroffenen Mutter (4838) dargestellt, der diese Mutation nicht zeigt. Familie K Interessanterweise trug der Patient K180 zwei verschiedene Basenpaaraustausche, die beide in einem Aminosäureaustausch resultierten (Tabelle 3.1). Einer dieser Basenpaaraustausche (c.68C>T) wurde zuvor bei drei anderen Patienten beschrieben (Steinberger et al., 2000; Jarman et al., 1997) und bei einer von 50 eigenen Kontrollen gefunden. Der andere Basenpaaraustausch (c.669C>A) wurde in keiner der Kontrollen detektiert. Leider standen keine Angehörigen dieses Patienten für eine Segregationsanalyse zur Verfügung. Ergebnisse 41 Im Patientenkollektiv B (17 MP-Patienten mit frühem Beginn) wurden hingegen keine Gendosisveränderungen gefunden (Abbildung 3.11). Zuvor wurden bereits Punktmutationen und kleine Deletionen/Insertionen in diesen Patienten ausgeschlossen (Mohrmann 2002). Verhältnis GCHI /ß-Globin 1,20 Abbildung 3.11: Ergebnisse der quantitativen PCR-Analyse für das Patientenkollektiv B. Gezeigt sind die durchschnittlichen Quotienten mit der einfachen Standardabweichung von jedem einzelnen Exon des GCHI-Gens im Verhältnis zum Referenzgen ßGlobin. Sie liegen alle im Normalbereich zwischen 0,8 und 1,2 und daher ist keines der Exons deletiert. 1,00 0,80 0,60 0,40 0,20 0,00 1 2 3 4 5 6 Exon 3.2.4 Phänotypischer Vergleich der Patienten in Abhängigkeit vom Mutationsstatus Innerhalb des Patientenkollektives A identifizierten wir 20 Mutationsträger (Gruppe I) und drei Index-Patienten ohne Mutation (Gruppe II). Bei beiden Gruppen gab es keinen Unterschied in Bezug auf das Erkrankungsalter (Median: 7,5 Jahre bei Gruppe I vs. 6,0 Jahre bei Gruppe II), auf die positive Familienanamnese für Dystonie (13/20 bei Gruppe I vs. 3/3 bei Gruppe II) und in Bezug auf die positive Familienanamnese für Parkinson (6/18 bei I vs. 2/3 bei II). Die durchschnittliche Tagesdosis von L-Dopa war bei Gruppe I höher (Median 225 mg) als bei Gruppe II (Median 150 mg). Für eine statistische Auswertung ist die Stichprobe (besonders die Gruppe II) zu klein. Ergebnisse 3.3 42 Klinisch-genetische Charakterisierung einer Familie mit dem Dystonie-Parkinson-Syndrom (DPS) mit raschem Beginn In diesem Teil der vorliegenden Arbeit wurde eine große Familie mit DPS klinisch und molekulargenetisch untersucht (Kabakci et al., 2005). 3.3.1 Demographische und klinische Untersuchungsergebnisse der DPS-Familie Von dieser aus Deutschland stammenden Familie mit acht Betroffenen mit klinisch typischem DPS konnte ein vier Generationen umfassender Stammbaum erstellt werden. Zwanzig der 37 identifizierten Familienmitglieder einschließlich der vier noch lebenden definitiv betroffenen Mitglieder stimmten einer klinisch-neurologischen Untersuchung zu. Informationen zu den übrigen 17 Verwandten, inklusive vier Betroffener, wurden durch Befragungen der Angehörigen eingeholt. Bei den verstorbenen definitiv erkrankten Familienmitgliedern wurde die Diagnose anhand von archivierten Krankenakten gestellt. Damit waren insgesamt acht Personen (4m, 4w) definitiv betroffen, wovon fünf zur zweiten und drei zur dritten Generation gehörten (Abbildung 3.12). Weiterhin konnte ein Individuum in der ersten Generation (I.2), auf Grund der Anamnese, als wahrscheinlich betroffen eingestuft werden. Aus der Analyse des Stammbaumes (Abbildung 3.11) ergab sich der Verdacht auf einen autosomal-dominanten Erbgang mit hoher Penetranz. Diese Annahme wurde durch das Auftreten von betroffenen Familienmitgliedern in drei aufeinander folgenden Generationen gestützt. Das Durchschnittsalter der Erkrankung lag für die acht definitiv Betroffenen bei 7,1 ± 2,7 Jahren mit einer Spanne von 4 – 12 Jahren. Bis zum Jahr 2004 wurde kein Angehöriger in der vierten Generation (Durchschnittsalter: 17,3 ± 6,5 J.; Spanne 4 – 25 Jahre) als erkrankt charakterisiert. Detaillierte klinische Daten zu jedem definitiv betroffenen Mitglied sind in Tabelle 3.4 dargestellt. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass alle Betroffenen eine orofaziale Dystonie hatten, die zu Dysarthrie (n=8) und Dysphagie (n=6) führte. Außerdem bestand bei fünf Patienten eine schwere Dystonie aller vier Extremitäten und bei drei Patienten eine Dystonie der Hand. Parkinsonzeichen in Form von Hypomimie, Bradykinese und Rigor wurden bei allen Erkrankten festgestellt. Ergebnisse 43 Abbildung 3.12. Der vier Generationen umfassende Stammbaum zeigt alle acht definitiv betroffenen (schwarz) und das wahrscheinlich betroffenene (grau) Familienmitglied. Die Indexpatientin ist mit einem Pfeil gekennzeichnet. Das Fragezeichen markiert die Angehörigen, die im ersten Lebensjahr mit unbekannter Ursache verstorben sind. Individuen mit einem “+” starben an Nierenversagen. Von allen, die mit einer “L” Nummer versehen sind, stand DNA zur Verfügung. Ergebnisse Tabelle 3.4. Biodemographische und klinische Daten der betroffenen Familienmitglieder der DPS-Familie 44 Ergebnisse 45 Neben der DPS-Symptomatik sind noch folgende Informationen zu dieser Familie interessant: Drei Individuen der II. bzw. III. Generation (II.5, II.6 und III.10) wurden zu früh geboren und verstarben innerhalb des ersten Lebensjahres mit unbekannter Ursache. Von den acht definitiv an DPS erkrankten Patienten entwickelten drei (II.2, II.3 und II.11) ein Nierenversagen, jeweils im Alter von 33, 47 bzw. 67 Jahren, an dem sie auch verstarben. Bei der Indexpatientin (III.15) wurden vor kurzem, im Alter von 39 Jahren, Schrumpfnieren (Hypoplastische Nieren) diagnostiziert. Bei der Mutter (II.9) der Indexpatientin waren schon seit einigen Jahren Nierenzysten bekannt. Im Folgenden sollen kurz die klinischen Daten der Indexpatientin vorgestellt werden: Sie erkrankte mit sechs Jahren nach einer febrilen Bronchitis plötzlich über Nacht an einer Sprechstörung und hatte Schwierigkeiten die Zunge zu bewegen (Motilitätsstörung der Zunge). Darüber hinaus litt sie an einer dystonen Verkrampfung der linken Hand. In den darauffolgenden Tagen kam es zu einer raschen Progression der Symptomatik. Sie entwickelte eine schwere Dysphonie und Dysphagie, was dazu führte, dass sie zeitweise über eine Magensonde ernährt werden musste. Außerdem hatte sie eine orofaziale Dystonie und eine Dystonie aller vier Extremitäten. Des Weiteren zeigte die Patientin ein ausdruckloses Gesicht (Hypomimie), vermehrten Speichelfluss (Hypersalivation) und eine allgemeine Verlangsamung der Bewegungen (Bradykinese). Nachdem sich diese Initialsymptome für drei Wochen stabilisierten, kam es zu einer partiellen Remission. Ein Therapieversuch mit Dopamin brachte keinen Erfolg. Bei der letzten neurologischen Untersuchung, nach 33 Jahren Krankheitsdauer, fand sich eine ausgeprägte orofaziale Dystonie, Dysarthrie und eine linksbetonte generalisierte Dystonie, vor allem der oberen Extremitäten. Parkinsonzeichen waren bis auf eine leichte Hypomimie und Bradykinese nicht mehr vorhanden. Der übrige neurologische Befund war normal. Die Routine Laborchemischen Tests, einschließlich Kupfer und Coeruloplasmin, waren im Normbereich. Das EEG und ein kranielles MRT waren ebenso unauffällig. Eine Lumbalpunktion konnte nicht durchgeführt werden. 3.3.2 Ergebnisse der molekulargenetischen Analyse der DPS-Familie Für eine molekulargenetische Untersuchung stand die DNA von allen vier lebenden definitiv betroffenen und 16 weiteren Familienmitgliedern zur Verfügung. Bei diesen insgesamt zwanzig Mitgliedern wurden für eine Kopplungsanalyse Mikrosatelliten-Marker an den beiden DystonieLoci DYT12 und DYT6 untersucht. Die Marker deckten die Genorte ab, die bisher als ursächlich oder assoziiert bei Familien mit einem DPS (DYT12) und Familien mit einer idiopathischen Torsionsdystonie mit vorherrschender kranio-zervikalen Beteiligung (DYT6) gelten. Die Mikrosatelliten-Marker wurden so ausgewählt, dass mindestens zwei Marker genau im betreffenden Bereich des Genortes lagen und je zwei weitere Marker diesen Genomabschnitt Ergebnisse 46 flankierten. Auf diese Weise wurden für den DYT12-Genort auf Chromosom 19q13 mit acht Markern und den DYT6-Genort auf Chromosom 8p-q mit sechs Markern die Haplotypen generiert. Die Haplotypen wurden per Hand in Phase gebracht und Lod-Score-Berechnungen durchgeführt. Die Bestimmung der Haplotypen, der in den DYT12- und DYT6-Regionen gelegenen Mikrosatelliten-Marker, war bis auf vereinzelte Rekombinationen ohne Unstimmigkeiten zwischen Eltern und Kindern möglich. In der Abbildung 3.13 sind die in Phase gebrachten Haplotypen für die DYT12-Region im Stammbaum der DPS-Familie eingetragen und veranschaulichen, dass nicht alle betroffenen Familienmitglieder einen gemeinsamen Haplotypen tragen. Dies wurde durch die Daten der Zweipunkt-Kopplungsanalyse, die in Tabelle 3.5 zusammengefasst sind, mit ausschließlich negativen Lod-Scores bis hin zu einem Wert von –3,10 unter Annahme einer Rekombinationswahrscheinlichkeit von 0 bestätigt. Unter Berücksichtigung aller genotypisierten Marker und ihrer genetischen Abstände sowie der Größe und Struktur der Familie fand sich deshalb kein Hinweis für eine Kopplung zum DYT12-Genort. Während der Kopplungsanalyse wurden von einer anderen Arbeitsgruppe sechs verschiedene Mutationen bei sieben DPS-Familien im ATP1A3-Gen identifiziert (de Carvalho Aguiar et al., 2004). Die kodierende Region und die Exon-Intron-Übergänge dieses Gens wurden von dieser Arbeitsgruppe bei der Indexpatientin sequenziert. In Übereinstimmung mit den Ergebnissen der Kopplungsanalyse zum DYT12-Locus konnten keine Mutationen im ATP1A3-Gen nachgewiesen werden. Ergebnisse nogusstb202 ? ? ? ? ? ? ? ? ? ? ? ? ? ? ? ? ? ? ? ? D19S245 D19S224 D19S223 D19S197 D19S420 D19S900 D19S178 D19S574 D19S903 D19S246 D19S245 D19S224 D19S223 D19S197 D19S420 D19S900 D19S178 D19S574 D19S903 D19S246 D19S245 D19S224 D19S223 D19S197 D19S420 D19S900 D19S178 D19S574 D19S903 D19S246 47 L-1518 1 1 12 15 8 7 9 6 3 8 9 3 16 6 10 7 1 9 10 10 L-1845 5 1 11 12 1 8 1 9 8 3 4 9 6 16 6 10 9 1 9 10 L-1847 5 5 11 2 1 1 1 1 8 8 4 6 6 6 6 4 9 9 9 6 L-1879 1 5 11 12 3 8 6 8 6 8 7 5 13 16 9 1 8 9 10 10 L-1846 5 5 11 2 1 5 1 1 8 4 4 9 6 6 6 7 9 10 9 7 L-1880 5 5 3 12 9 8 5 8 7 8 4 5 6 16 11 1 10 9 1 10 L-1838 7 1 10 12 9 8 4 6 7 8 2 3 14 6 7 7 9 9 7 10 L-1881 ? ? ? ? 3 6 6 1 6 7 ? ? ? ? ? ? ? ? ? ? L-1839 1 5 12 2 8 1 6 6 8 8 3 4 6 6 7 5 9 9 10 4 L-1799 5 1 12 15 5 7 6 6 3 8 10 3 6 6 5 7 11 9 10 10 L-1818 5 1 12 12 5 8 6 9 3 3 11 9 6 16 5 10 11 1 10 10 L-1821 5 1 12 12 1 8 1 9 7 3 6 9 6 16 9 10 8 1 4 10 L-1819 7 5 7 12 1 5 8 6 4 3 2 11 6 6 7 5 8 11 7 10 L-1820 L-1519 5 1 5 1 6 1212 12 3 8 5 8 9 9 6 9 7 3 3 3 8 9 11 9 19 16 6 16 7 10 5 10 9 1 11 1 9 1010 10 L-1822 3 1 3 15 3 7 6 6 7 8 7 3 1 6 4 7 8 9 10 10 L-1800 5 7 12 11 1 6 6 8 4 6 4 5 6 7 8 4 9 9 11 10 L-1802 5 7 12 11 1 6 6 8 4 6 4 5 6 7 8 4 9 9 11 10 L-1803 5 7 12 11 1 1 8 13 1 6 4 7 6 13 8 10 9 9 11 1 L-1801 7 3 11 10 6 8 1 6 4 8 5 9 7 16 4 9 9 8 10 1 Abbildung 3.13. Kopplungsanalyse der DPS-Familie. Auf dem Stammbaum sind die Ergebnisse der Kopplungsanalyse für die DYT12-Region auf Chromosom 19 dargestellt. Die Ergebnisse demonstrieren, dass nicht alle Betroffenen einen gemeinsamen Haplotyp tragen (Ausschluss von Kopplung). Ähnlich waren auch die Befunde für den DYT6-Genort. Auch hier konnte kein gemeinsamer Haplotyp bei den betroffenen Familienmitgliedern (Abbildung 3.14) nachgewiesen werden, und die Zweipunkt-Kopplungsanalyse erbrachte ebenso nur negative Lod-Score-Werte (Tabelle 3.5). Somit konnte eine Kopplung zu dieser Region ebenfalls ausgeschlossen werden. Das DYT6-Gen ist bisher noch nicht identifiziert. Darüber hinaus wurden auch weitere mögliche genetische Ursachen bei dieser Familie ausgeschlossen: Bei der Testung der Indexpatientin konnte weder die GAG- noch die 18 bpDeletion im Exon 5 des DYT1-Gens detektiert werden (Kabakci et al., 2005). Ergebnisse D8S1477 D8S1828 D8S1113 D8S1136 D8S2324 D8S1119 D8S1477 D8S1828 D8S1113 D8S1136 D8S2324 D8S1119 D8S1477 D8S1828 D8S1113 D8S1136 D8S2324 D8S1119 48 nogusstb202 ? ? ? ? ? ? ? ? ? ? ? ? L-1518 1 3 2 18 5 4 1 3 2 3 8 4 L-1845 7 7 1 4 5 6 3 3 3 3 4 4 L-1879 7 7 2 2 5 6 3 3 2 4 5 8 L-1847 7 1 1 15 5 5 3 2 3 4 4 4 L-1846 7 7 1 15 5 6 3 5 3 1 4 9 L-1880 6 7 14 2 5 6 3 3 7 4 5 5 L-1881 7 7 1 2 5 6 2 3 7 4 4 5 L-1838 5 1 4 2 5 5 2 1 3 2 1 4 L-1799 8 3 18 18 5 4 1 3 1 3 1 4 L-1839 5 7 4 4 5 5 2 3 3 4 1 9 L-1818 8 1 18 2 5 5 1 1 1 2 1 4 L-1821 7 1 5 2 5 5 3 1 3 2 10 4 nogusstb206 ? ? ? ? ? ? ? ? ? ? ? ? L-1820 10 1 16 2 7 5 2 1 4 3 1 4 L-1519 8 3 2 18 5 5 1 1 1 2 1 8 L-1822 4 3 4 18 6 5 1 1 5 2 7 8 L-1800 6 7 1 4 5 5 1 3 3 4 4 7 L-1819 6 8 4 18 2 5 3 1 3 1 9 1 L-1802 6 7 1 4 5 5 1 3 3 3 4 8 L-1803 7 8 4 14 5 7 1 1 3 4 4 7 L-1801 7 5 1 16 5 5 3 3 3 2 4 4 Abbildung 3.14. Kopplungsanalyse der DPS-Familie. Der Stammbaum zeigt die Ergebnisse der Kopplungs-analyse für die DYT6-Region auf Chromosom 8, welche eine Kopplung zu dieser Region ausschließt. Tabelle 3.5. Zweipunkt-Kopplungsanalyse mit Lod-Score-Werte lodscore at theta= Marker 0,00 0,01 0,05 0,10 0,20 0,30 Chr 8 D8S1477 D8S1828 D8S1113 D8S1136 D8S2324 D8S1119 -3,31 -3,09 -2,74 -2,78 -2,68 -2,56 -1,87 -1,41 -1,08 -1,30 -1,00 -1,06 -1,08 -0,74 -0,45 -0,63 -0,38 -0,43 -0,70 -0,48 -0,24 -0,36 -0,17 -0,20 -0,32 -0,23 -0,09 -0,14 -0,04 -0,05 -0,13 -0,10 -0,04 -0,04 -0,01 0,00 Chr 19 D19S224 -2,69 -1,01 -0,39 -0,18 -0,05 -0,02 D19S197 -2,81 -1,31 -0,65 -0,38 -0,16 -0,06 D19S223 -3,29 -1,72 -0,99 -0,65 -0,30 -0,12 D19S420 -3,14 -1,54 -0,85 -0,55 -0,26 -0,11 D19S900 -2,80 -1,10 -0,46 -0,23 -0,06 -0,01 D19S178 -2,82 -1,41 -0,72 -0,43 -0,17 -0,06 D19S574 -3,10 -2,62 -1,43 -0,88 -0,39 -0,15 D19S903 -2,75 -1,21 -0,56 -0,32 -0,12 -0,04 Diskussion 49 4 Diskussion 4.1 DYT1-Dystonie 4.1.1 Häufigkeit und phänotypisches Spektrum der GAG-Deletion im DYT1-Gen Im Rahmen der vorliegenden Arbeit wurde eine der größten Stichproben auf die GAG- und 18 bpDeletion im Exon 5 des DYT1-Gens untersucht. Die Bedeutung dieses Screenings liegt, außer in der Anzahl der eingeschlossenen Individuen, auch in der Zusammensetzung der Stichprobe. Auf Grund der in der Einleitung beschriebenen Überlappung der klinischen Symptomatik und der Interaktion auf neurobiologischer Ebene bestand ein großer Anteil aus Patienten mit einem MP mit frühem Beginn. Eine weitere Besonderheit ist die Größe der Kontrollgruppe mit 812 Personen. Die GAG-Deletion wurde insgesamt bei fünf Patienten detektiert. Und zwar ausschließlich bei Patienten mit verschiedenen Dystonieformen. Bei vier Mutationsträgern bestand eine klassische früh beginnende PTD, wovon drei dieser Patienten eine typische generalisierte Dystonie entwickelten. Die vierte Mutationsträgerin entwickelte sehr früh (mit sechs Jahren) eine bibrachiale Dystonie mit Schreibkrampf, die jedoch bis jetzt zum Alter von 20 Jahren nicht generalisierte. Da inzwischen in mehreren Studien (Gasser et al., 1998; Bressman et al., 2001) Mutationsträger mit früh beginnenden fokalen und segmentalen Dystonien gefunden wurden, konnte diese Patienten als „typisch“ eingestuft werden. Das wird auch noch dadurch unterstützt, dass die Mutation innerhalb der Familie segregiert. Der Vater der Patientin entwickelte mit 49 Jahren einen einseitigen Schreibkrampf und ihr Bruder ist seit Jahren durch eine generalisierte Dystonie bettlägerig. Die Befunde dieser Familie illustrieren eindrücklich das breite phänotypische Spektrum der GAG-Deletion und deren Variabilität innerhalb einer Familie. Die klinischen Zeichen der fünften Mutationsträgerin sind mit Zuckungen bzw. Aktionsmyoklonien neben der Dystonie und einem Tremor untypisch für eine DYT1-Dystonie. Außerdem tritt eine Besserung der Symptomatik nach Alkoholkonsum ein. Wegen dieser Befunde bestand zu Anfang der Verdacht auf eine M-D bei der Patientin, der sich aber nach Ausschluss einer Mutation im SGCE-Gen nicht bestätigte. Die Detektion der GAG-Deletion bei der Patientin und der Nachweis der Segregation der Mutation in der Familie ist in der Literatur nicht unbekannt. Denn es wurden zwei ähnliche Fälle beschrieben. Bei dem einen bestand genauso wie in unserem Fall eine große Überlappung der Symptome mit der M-D einschließlich der Alkoholsensivität (Chinnery et al., 2002), es lag aber eine GAG-Deletion vor. Die zweite Studie berichtet über eine M-D-Familie, die jedoch neben einer SGCE-Mutation zusätzlich die 18 bp-Deletion aufwies (Leung et al., 2001; Klein et al., 2002). Das klinische Spektrum der in der vorliegenden Arbeit identifizierten Mutationsträger umfasst somit die ganze Bandbreite der möglichen Phänotypen, d. h. von der typischen früh beginnenden PTD bis hin zur spät beginnenden, mit anderen Formen überlappenden, DYT1-Dystonie (Kabakci et al., 2004). Diskussion 50 4.1.2 Detektion einer neuen Mutation im DYT1-Gen Im Rahmen dieser Arbeit wurde eine neue, bisher noch nicht beschriebene, heterozygote 4 bpDeletion im Exon 5 des DYT1-Gens detektiert. Beim Mutationsträger handelt es sich um einen mutmaßlich gesunden Blutspender aus Südtirol, der leider nicht zu einer weiterführenden neurologischen Untersuchung nicht zustimmte. Diese neue Mutation wurde bei keiner anderen Kontrolle und auch bei keinem der Patienten nachgewiesen. Interessanterweise liegt diese Mutation genau zwischen der GAG- und der 18 bp-Deletion. Im Gegensatz zu den beiden bisher bekannten Deletionen führt diese neue 4 bp-Deletion zu einer Leserasterverschiebung und damit zu einer veränderten Aminosäuresequenz und zu einem vorzeitigen Proteinabbruch (vgl. Ergebnisse 3.1.2). 4.2 DYT5-Dystonie 4.2.1 Bedeutung der Gendosisuntersuchung im GCHI-Gen Nachdem im Rahmen der vorliegenden Arbeit die quantitative PCR-Analyse für das GCHI-Gen etabliert wurde, fanden sich in einer ersten Untersuchung an vier türkischen DRD-Familien bei zwei von ihnen große heterozygote Exondeletionen im GCHI-Gen (Klein et al., 2002). In der hier präsentierten Studie trugen zwei von 23 Indexpatienten eine große Deletion, womit dieser Mutationstyp nach ersten Schätzungen ca. 10% (4/27) aller Mutationen im GCHI-Gen ausmacht (Hagenah et al., 2005). Außerdem unterstreicht dieses Ergebnis noch einmal die Bedeutung einer quantitativen PCR-Analyse zur Detektion von Gendosisveränderungen. Die vorher schon für andere Gene, (z. B. Parkin) gezeigt wurden. Der quantitative PCR-Assay eignet sich als einfacher diagnostischer Test für die Suche nach Exondeletionen und sollte bei der molekulargenetischen Diagnostik der DRD in solchen Fällen zum Standard werden, wo die Sequenzanalyse keine Veränderungen gezeigt hat. Bei dem Indexpatienten der Familie A wurde eine heterozygote Deletion aller sechs Exons des GCHI-Gens mittels der quantitativen PCR-Analyse identifiziert. Interessanterweise wäre diese Mutation mit einer Southern-Blot-Analyse, wie sie zuvor angewendet wurde (Furukawa et al., 2000) nicht detektierbar gewesen, da die veränderten Restriktionsprodukte mit einer GCHI-spezifischen Sonde nicht darstellbar sind. Die Sensitivität und Spezifität des hier vorgestellten quantitativen PCR-Assays wurde durch eine falsch-positive Deletion bestätigt: Eine Probe mit einer heterozygoten Punktmutation, fiel durch einen gemessenen Quotienten von ungefähr 0,5 auf. Interessanterweise kommt dieser Quotient zustande, weil die Amplifikation des mutierten Stranges nicht möglich ist, da die 3´-Bindestelle des Rückwärts-Primers eine Fehlpaarung aufgrund der Mutation aufweist. Diskussion 51 4.2.2 Hohe Mutationsdetektionsrate im GCHI-Gen bei DRD-Patienten Wir stellen hier eine umfassende Mutationsanalyse, einschließlich Sequenzierung und quantitativer Gendosis-Bestimmung, an einem großen, klinisch sehr gut charakterisierten Patientenkollektiv mit DRD vor. In dieser Untersuchung lag der Anteil der gefundenen Mutationen mit über 85% wesentlich höher als in den bisher publizierten Studien mit ungefähr 50% - 60% (Furukawa et al., 2004; Bandmann et al., 1998; Steinberger et al., 2000). Die Detektion einer solch hohen Mutationsrate in der vorliegenden Arbeit, lässt sich auf zwei Faktoren zurückführen: 1. Die Etablierung und Durchführung einer quantitativen PCR-Analyse im GCHI-Gen zur Identifikation von großen heterozygoten Deletionen ganzer Exons. 2. Die konsequente Anwendung und Einhaltung strenger Einschlusskriterien. Die Gendosisuntersuchungen zeigten, dass 2 der 23 Familien eine heterozygote Deletion aufwiesen, die mit konventionellen qualitativen Untersuchungen nicht detektierbar sind. Ohne Gendosisuntersuchungen wäre also die Mutationsdetektionsrate in unserer Studie um ungefähr 10% geringer gewesen. Der zweite Grund auf den die hohe Mutationsrate in diesem Kollektiv zurückzuführen ist, könnte an der konsequenten Anwendung und Einhaltung strenger klinischer Kriterien für den Einschluss in die Untersuchung liegen. So wurden Patienten mit klinisch sicheren Zeichen der DRD ausgeschlossen, wenn kein L-Dopa Therapieversuch durchgeführt wurde, ohne Berücksichtigung von tageszeitlich abhängigen Schwankungen der Symptome und anhaltendem Ansprechen auf Anticholinergika. Außerdem wurden die Patienten, vor dem Einschluss in diese Studie, einem ausgedehnten Follow-up unterzogen, um atypische Patienten mit DRD auszuschließen. Diese Erkenntnis wird auch dadurch unterstrichen, dass bei den im Rahmen dieser Arbeit untersuchten Patienten mit MP mit frühem Beginn und einer fokalen Dystonie bei Erkrankungsbeginn keine GCHI-Mutationen detektiert wurden. Obwohl die Stichprobe von 17 Patienten zu klein ist, um definitive Aussagen zu treffen, so scheinen doch GCHIMutationen zumindest keine häufige Ursache bei Patienten mit einer Kombination von Dystonie und Parkinson zu sein. Interessanterweise trugen fünf der untersuchten Patienten ein oder zwei Mutationen im Parkin-Gen. Dies legt nahe, dass die Dystonie zu Beginn der Erkrankung eher zum phänotypischen Spektrum von Parkin-Mutationsträgern gehört. Ähnliche Befunde sind auch in der Literatur beschrieben (Lohmann et al., 2003). 4.2.3 Hohe Mutationsrate im GCHI-Gen Das GCHI-Gen scheint sehr anfällig für Mutationen zu sein, ohne dass sogenannte hot spots bestehen. Gegenwärtig sind mehr als 100 verschiedene Mutationen beschrieben, obwohl das GCHI-Gen mit sechs Exons und einem offenen Leseraster von 750 bp relativ klein ist (Thony and Blau, 2006). Interessanterweise fanden sich in dem ethnisch vielfältigen Kollektiv dieser Untersuchung vier Diskussion 52 Mutationsträger mit Ashkenazi-jüdischer Abstammung, bei denen jeweils eine andere Mutation detektiert wurde. Dieser Befund schließt einen Gründereffekt aus. Insgesamt war die Anzahl rekurrenter Mutationen sehr klein und nur eine Sequenzveränderung wurde in mehr als nur einem Patienten in der hier vorgestellten Studie identifiziert. Jedoch ist ein gemeinsamer Gründer auch in diesem Fall wegen des unterschiedlichen ethnischen Ursprungs (Asien versus Europa) sehr unwahrscheinlich. Von den 20 detektierten Mutationen stellen 15 (75%) eine neu beschriebene Mutation dar, was das Mutationsspektrum des GCHI-Gens noch mehr erweitert. 4.2.4 Auswirkungen und Penetranz der Mutationen im GCHI-Gen Bei dem Indexpatienten K180 wurden zwei Sequenzveränderungen nachgewiesen. Eine der Basenpaarsubstitutionen (c.68C>T) wurde schon in einer früheren Studie (Jarman et al., 1997) in einigen wenigen Kontrollen beschrieben und in einer eigenen Kontrolle. Außerdem wurde die gleiche Punktmutation vorher schon einmal bei einem Patienten mit klinischer DRD in Kombination mit einer anderen Mutation identifiziert (Jarman et al., 1997). Diese Ergebnisse lassen die Vermutung zu, dass die 68C>T-Veränderung in der Sequenz entweder ein seltener Polymorphismus ist oder nur in Verbindung mit einer anderen Mutation im GCHI-Gen die Erkrankung auslöst. Bei den drei Indexpatienten die keine Mutationen tragen, bleibt es weiterhin unklar, ob sie nicht doch eine Mutation haben, die aber trotz der umfassenden Methoden, die an diesem Kollektiv angewandt wurden, nicht zu identifizieren waren, wie z. B. Sequenzveränderungen im Bereich des Regulators oder im Intron. Diese Überlegung wird unterstützt durch die Beobachtung, dass kein signifikanter Unterschied im Phänotyp zwischen der Gruppe mit Mutationen und der Gruppe ohne Mutationen bestand. Diese Schlussfolgerung wird jedoch durch die relativ kleine Kollektivgröße, vor allem der Gruppe ohne Mutationen, eingeschränkt. Alternativ könnte bei diesen Patienten eine ganz andere Ätiologie der Grund für die DRD sein, wie z. B. Mutationen in einem weiteren autosomal-dominanten Gen für die DRD oder ein atypischer juveniler Parkinsonismus. Des weiteren ist es unwahrscheinlich, dass bei den drei Indexpatienten ohne Mutation im GCHI-Gen eine verminderte Tyrosinhydroxylase Aktivität (DYT5b) vorliegt, da ihre Familienanamnesen auf eine autosomal-dominante Erkrankung hinweisen. Weitere Untersuchungen werden nötig sein, um die endgültigen Ursachen für die Erkrankungen in diesen Familien aufzuklären. Im Rahmen der vorliegenden Arbeit wurden insgesamt 69 Angehörige auf die in der Familie identifizierte Mutation getestet. Dabei wurden 28 Mutationsträger identifiziert, wovon 12 gesund waren. Unter den Index-Patienten waren alle Mutationsträger betroffen. Das heißt die Penetranz der GCH1-Mutationen in den 20 mutationspositiven Familien liegt im Durchschnitt bei 75% (36 der 48 Mutationsträger sind erkrankt). Die Penetranz hängt aber sicherlich von den einzelnen Mutationen ab und ist in den verschiedenen Familien sehr unterschiedlich, z. B. in Familie G4460 sind nur 2 der 6 (33%) Mutationsträger erkrankt, wohingegen bei Familie M26296 alle fünf Mutationsträger (100%) an einer DRD leiden. Diese unterschiedliche Penetranz könnte man biologisch damit erklären, dass z. B. Diskussion 53 Familie G4460 eine missense-Mutation trägt, die auf das Protein möglicherweise eine weniger dramatische Auswirkung hat als die nonsense-Mutation und der damit verbundene Verlust an 50% der Proteinmenge bei Familie M26296. Um derartige Aussagen zu untermauern sind allerdings Untersuchungen an mehreren Familien mit einer größeren Probandenzahl notwendig. Darüber hinaus können nur molekulare Untersuchungen der Proteinfunktion derartige Spekulationen endgültig beweisen oder widerlegen. In anderen Studien wurde eine Penetranz zwischen 30 und 80% beschrieben (Nygaard et al., 1990; Nygaard et al., 1993; Furukawa et al., 1998a; Steinberger et al., 1998). Damit bestätigen die im Rahmen der vorliegenden Arbeit erzielten Ergebnisse die schon bekannten Werte. 4.3 DYT12-Dystonie 4.3.1 Klinischer Vergleich der DPS-Familie mit der Literatur In diesem dritten Abschnitt der vorliegenden Arbeit wurde die erste Familie mit einem klinischen DPS, deren Ursache aber nicht in einer Mutation im ATP1A3-Gen liegt, vorgestellt (Kabakci et al., 2005). Vergleicht man nun die klinischen Daten unserer Familie mit den Daten der zuvor in der Literatur beschriebenen sieben DPS-Familien mit Mutationen im ATP1A3-Gen (Dobyns et al., 1993; Brashear et al., 1997; Pittock et al., 2000; Linazasoro et al., 2002; de Carvalho Aguiar et al., 2004), so fallen viele Gemeinsamkeiten auf. Das klinische Bild unserer Familie ist ähnlich den vorbeschriebenen DPS-Familien. Im Einzelnen sind das der akute bzw. subakute Beginn der Symptomatik mit einer Kombination aus einer Dystonie, vor allem mit einer dominierenden bulbären Beteiligung und Parkinsonzeichen. Auch in der hier vorgestellten DPS-Familie war der Therapieversuch mit L-Dopa erfolglos. Insbesondere bei einer irischen DPS-Familie mit vier betroffenen und vier nicht betroffenen Familienmitgliedern wurde die Symptomatik durch eine Belastungssituation wie ungewohnte körperliche Anstrengung, Fieber, Geburten oder emotionaler Stress getriggert (Pittock et al., 2000). Auch in der hier beschriebenen neuen DPS-Familie ging dem Erkrankungsbeginn bei drei der acht definitiv betroffenen Familienangehörigen eine fieberhafte Erkrankung voraus. Ebenso stimmte die intrafamiliäre Variabilität der Symptomatik und die Erkrankungsdauer mit der bei den in der Literatur beschriebenen DPS-Familien überein. Damit entsprachen die klinischen Merkmale der von uns neu vorgestellten DPS-Familie den aktuellen DPS-Diagnosekriterien, die allerdings schon im Jahre 1997 von Brashear und Mitarbeitern aufgestellt wurden. Außerdem sollte bedacht werden, dass die besagten „typischen“ Diagnosekriterien damals auf nur zwei DPS-Familien basierend erstellt wurden. Da aber in der Zwischenzeit vier weitere Familien (Pittock et al., 2000; de Carvalho Aguiar et al., 2004) und ein sporadischer Fall aus Spanien (Linazasoro et al., 2002) klinisch identifiziert und molekulargenetisch bestätigt wurden, sollten die Diagnosekriterien aktualisiert werden. Diskussion 54 Jedoch weist unsere Familie drei klinische Besonderheiten auf: Zum einen lag das durchschnittliche Erkrankungsalter mit ungefähr sieben Jahren niedriger als bei den zuvor beschriebenen Familien, wo die Erkrankung in der Regel im jugendlichen Alter begann. Überraschenderweise war bis zur Beendigung der vorliegenden Arbeit kein Familienmitglied der vierten Generation am DPS erkrankt. Dies lässt sich zum Teil damit begründen, dass einige dieser Familienmitglieder das durchschnittliche Erkrankungsalter noch nicht erreicht hatten. Zum anderen traten bei der Familie drei Frühgeburten auf, die alle in ihrem ersten Lebensjahr an einer unbekannten Ursache verstarben. Da weder durch Befragung der Angehörigen noch archivierte Krankenakten zur Verfügung standen, gibt es heute keine Informationen zu den Todesursachen und zum neurologischen Status der Verstorbenen. D. h., ob die Frühgeburten Mutationsträger waren und unter einem besonders schwer ausgeprägtem Phänotyp litten und sogar an dessen Folgen verstarben, bleibt offen. Außerdem ist noch hinzuzufügen, dass drei der acht definitiv betroffenen Familienangehörigen nach einer langjährigen Nierenerkrankung an einem Nierenversagen verstarben (Abb. 3.1.12). Interessanterweise zeigten die Indexpatientin seit kurzem und ihre Mutter seit einigen Jahren ebenfalls eine Nierenerkrankung. Das Erkrankungsalter von allen Familienmitgliedern, die von dieser Nierenerkrankung betroffen waren, lag ausschließlich im Erwachsenenalter und kann somit als möglicher Trigger für das DPS ausgeschlossen werden. Dies lässt eine bisher noch nicht identifizierte familiäre Nierenerkrankung vermuten. Dennoch, der potenzielle Zusammenhang zwischen der ungewöhnlich häufig vorkommenden Nierenerkrankung bzw. dem Nierenversagen und dem DPS in dieser Familie, ist schwer zu definieren und bleibt noch zu klären. Unabhängig von der klinischen Übereinstimmung der Familien in Bezug auf die Trigger ist ihre Bedeutung bzw. der Mechanismus noch nicht verstanden. Und da sie sowohl bei den schon beschriebenen als auch bei unserer Familie in ungefähr der Hälfte der Fälle auftrat, bleibt die Rolle der Trigger wichtig und noch zu klären. Ebenso noch unverstanden und ungeklärt ist die in allen Familien beschriebene intrafamiliäre Variabilität der Symptomatik, was auf modifizierende Faktoren zurückzuführen sein dürfte. Zu klären wäre also, welche dieser Faktoren wirken bei dem DPS. 4.3.2 Die molekulargenetische Untersuchung der Familie mit einem klinischen DPS Die molekulargenetische Analyse dieser aus Deutschland stammenden Familie mit einem gemischten Dystonie-Parkinson-Phänotyp ergab überraschende Befunde: Als erstes wurde eine Kopplung zum bekannten DPS-Genort DYT12 (auf Chromosom 19q13) und entsprechend eine Mutation im ATP1A3-Gen ausgeschlossen. Auf Grund einer vorherrschend orofazial betonten Dystonie bei Familien mit idiopathischer Torsionsdystonie, gekoppelt zum DYT6- Diskussion 55 Genort auf Chromosom 8p-q, und da diese der „bulbären Dystonie“ der DPS-Familie sehr ähnlich sind, wurde eine Kopplung untersucht aber ausgeschlossen. Infolge des frühen Erkrankungsalters und des breiten klinischen Spektrums bei der DYT1-Dystonie (vgl. 3.1 und 4.1), wurde die Indexpatientin auf die GAG-Deletion im DYT1-Gen getestet. Diese wurde nicht detektiert. Zusammenfassend hat sich gezeigt, dass keine der am ehesten in Frage kommenden genetischen Ursachen für den gemischten Dystonie-Parkinson-Phänotyp bei dieser Familie verantwortlich ist. Das wiederum legt ein weiteres, dominant vererbtes, Gen als Ursache für das DPS nahe. Ob eine solche mögliche genetische Heterogenität bei dieser Familie vorliegt, ist noch durch einen Genomscan zu überprüfen. Zusammenfassung 56 5 Zusammenfassung Im Rahmen der vorliegenden Arbeit wurden verschiedene Dystonieformen klinisch und molekulargenetisch untersucht. Eine gebräuchliche Klassifizierung der Dystonien beruht auf klinischgenetischen Gesichtspunkten und umfasst zurzeit 15 Formen (DYT1-DYT15), wovon drei im Fokus der vorliegenden Arbeit standen. Eine bestimmte Mutation im DYT1-Gen (GAG-Deletion) verursacht häufig eine früh beginnende generalisierte primäre Torsionsdystonie. In fast 700 Individuen mit unterschiedlichen Formen von Bewegungsstörungen und über 800 gesunde Kontrollen wurde mittels einer Polyacrylamidgelelektrophorese die Häufigkeit von Mutationen im DYT1-Gen untersucht. Insgesamt wurden sechs Mutationsträger identifiziert. Dabei wurde die GAG-Deletion bei insgesamt fünf Dystoniepatienten detektiert, die z. T. typische aber auch untypische Phänotypen aufwiesen. Darüber hinaus wurde bei einer scheinbar gesunden Kontrolle eine neue Mutation im DYT1-Gen detektiert. Somit wurde im Rahmen der vorliegenden Arbeit das Phäno- und Genotypspektrum des DYT1-Gens erweitert (Kabakci et al. Neurology 2004). Im zweiten Teil der Arbeit wurde die Häufigkeit von Mutationen im DYT5 (GCH1)-Gen untersucht. Mutationen in diesem Gen führen zu Dopa-responsiver Dystonie, einer Dystonie mit tageszeitlichen Schwankungen, die oft in der Kindheit mit einer Gangstörung beginnt und mit Dopamin behandelt werden kann. Neben der qualitativen Mutationsanalyse mittels Sequenzierung wurde auch eine quantitative Mutationsanalyse zur Detektion großer Deletionen im GCH1-Gen zunächst etabliert (Klein et al,. Neurology 2002) und dann bei einem Kollektiv von insgesamt 40 Indexpatienten und deren Angehörigen angewendet. Insgesamt konnte bei 87% der Patienten mit einer typischen Doparesponsiver Dystonie eine Mutation nachgewiesen werden. Diese hohe Frequenz kann damit begründet werden, dass zwei der Mutationen große Deletionen waren, die nur aufgrund der neu etablierten quantitativen Testmethode detektiert werden konnten und den strengen Einschlusskriterien bei der Patientenauswahl (Hagenah et al,. Neurology 2005). Im dritten Teil der Arbeit wurde eine große Familie mit neun Betroffenen mit dem seltenen DystonieParkinson-Syndrom mit raschem Beginn (DYT12-Dystonie) untersucht. Diese Dystonie manifestiert sich typischerweise abrupt innerhalb von Stunden bis wenigen Wochen in der späten Kindheit oder im frühen Erwachsenenalter. Mittels Genotypanalyse von Mikrosatellitenmarkern wurde diese Familie auf Kopplung zum DYT12-Genort sowie auf eine mögliche Überlappung mit anderen Dystonieformen (DYT6 und DYT1) getestet. Alle drei untersuchten genetischen Ursachen konnten bei dieser Familie ausgeschlossen werden, was die Existenz eines weiteren ursächlichen Gens für das DystonieParkinson-Syndrom mit raschem Beginn nahe legt (Kabakci et al., J Neurol Neurosurg Psychiatry 2005). Ausblick 57 6 Ausblick Die im Rahmen der vorliegenden Arbeit erhaltenen Ergebnisse stellen wichtige Bausteine zum besseren Verständnis der untersuchten Dystonieformen dar. Dennoch bleiben einige Fragen offen und neue haben sich aus den gewonnenen Erkenntnissen ergeben. Bei den gefundenen Mutationen im DYT1-Gen ist z. B. die neu beschriebene 4-Basenpaar-Deletion ein Ansatzpunkt für weitergehende Untersuchungen. Diese Sequenzveränderung, die in einer wahrscheinlich gesunden Person identifiziert wurde, bedarf einer genauen funktionellen Charakterisierung. Erste Anstrengungen dazu wurden bereits von einer anderen Arbeitsgruppe unternommen (Kock et al., 2006). Darüber hinaus ist nach wie vor, die Funktion von DYT1 nicht endgültig geklärt und der Pathomechanismus der relativ häufigen 3-Basenpaar-Deletion in diesem Gen bei Patienten mit primärer Torsionsdystonie noch immer nicht verstanden. Damit verbunden ist auch die noch ausstehende Identifizierung von Interaktionspartnern von Torsin A, dem durch DYT1 kodierten Protein. Im Rahmen der Mutationsanalyse des GCHI-Gens wurde eine neue Methode etabliert, um systematisch auf quantitative Veränderungen (große genomische Deletionen und Multiplikationen) im GCHI-Gen zu testen. Zwischenzeitlich haben auch andere Arbeitsgruppen diese Art von Mutationen nachgewiesen (Wider et al., 2007). Detaillierte Mutationsanalysen an weiteren Patientenkollektiven werden genaueren Aufschluss über die Häufigkeit der heterozygoten Deletionen liefern. Die systematische Einbeziehung von betroffenen und gesunden Angehörigen in diese Untersuchungen kann einen Ausgangspunkt für die bessere Beurteilung der Penetranz der einzelnen Mutationen darstellen. Darüber hinaus ist die Identifizierung von Faktoren, sog. Modifier, die die reduzierte Penetranz und die variable Expressivität erklären, wünschenswert. Bei der hier vorgestellten Familie mit dem Dystonie-Parkinson-Syndrom ist eine genetische Ursache sehr stark zu vermuten. Da bekannte genetische Ursachen aber ausgeschlossen wurden, sind weitergehende Untersuchungen notwendig. In einem nächsten Schritt würde sich hier zunächst die Sequenzanalyse des Mitochondriengenoms anbieten, da der Stammbaum mit einer mitochondrialen Vererbung vereinbar ist. Darüber hinaus könnte man in einem zweiten Schritt einen kompletten Genomscan zur genetischen Lokalisation der Krankheitsursache durchführen. Dies muss aber in Kombination mit einer detaillierten klinischen Nachuntersuchung erfolgen, um den Krankheitsverlauf besser beurteilen zu können und vor allem um weitere Betroffene zu identifizieren. Anhang 58 7 7.1 Anhang Literaturverzeichnis 1. Ahmad F, Davis MB, Waddy HM, Oley CA, Marsden CD, Harding AE. Evidence for locus heterogeneity in autosomal dominant torsion dystonia. Genomics. 1993;15:9-12. 2. 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Abbildung APS Ammoniumpersulfat AS Aminosäure bp Basenpaar(e) C Cytosin cM Centi Morgan ddNTP 2´,3´-Didesoxyribonukleosid-5´-triphsophat dNTP 2´-Desoxynukleosid-5´-triphosphat DMSO Dimethylsulfoxid DNA Desoxyribonukleinsäure DRD Dopa-responsive Dystonie DYT Dystonie EDTA Ethylendiamintetraacetat EOP early-onset Parkinsonism ER Endoplasmatisches Retikulum ESDE Epidemiological Study of Dystonia in Europe EtOH Ethanol g Gramm G Guanin h Stunde kb Kilobasenpaare l Liter LC LightCycler Lsg. Lösung M Molar (g/mol) m Milli- (10-3) M-D Myoklonus-Dystonie min Minute MP Morbus Parkinson mRNA Messenger-RNA µ Mikro- (10-6) n Nano- (10-9) NCBI National Center for Biotechnology Information OD Optische Dichte p Pico- (10-12) PAA Polyacrylamid PAGE Polyacrylamid-Gelelektrophorese PCR Polymerase chain reaction PTD Primäre Torsionsdystonie pH Negativer dekadischer Logarithmus der Protonenkonzentration rpm Umdrehungen pro Minute Anhang 66 RT Raumtemperatur s Sekunde SDS Sodiumdodecylsulfat SN Substantia nigra SSCP single strand conformation polymorphism STR short tandem repeat, Mikrosatellitenmarker T Thymin Tab. Tabelle TEMED N,N,N´,N´-Tetramethylethylenediamid Tris Tris(hydroxymethyl)aminomethan üN Über Nacht U Unit (Maß für Enzymaktivität) UV Ultraviolett V Volt W Watt Anhang 67 Primer und Sonden 7.3 Alle für die SSCP- und Sequenzanalyse verwendeten Primer waren am 5´-Ende um die M13-PrimerSequenz verlängert, und zwar die Vorwärts-Primer mit M13F und die Rückwärts-Primer mit M13R. Für die Genotypisierung war jeweils der Vorwärts-Primer am 5´-Ende um die M13F-Sequenz verlängert. 7.3.1 Allgemeine Primer Primer-Name M13F-700 M13R-800 Region für LICORAnwendungen Sequenz IRD700-CACGACGTTGTAAAACGAC Annealing-Temp. (°C) 58 IRD800-GGATAACAATTTCACACAGG 7.3.2 Primer und Sonden für die quantitative Mutationsanalyse im GCH1Gen Primer-Sequenzen und deren Konzentrationen Gen/Exon Vorwärtsstrang Rückwärtsstrang Endkonzentration im Ansatz Beta-globin ACACAACTGTGTTCACTAGC CAACTTCATCCACGTTCACC GCH1/1 GCTGCGGCGGGTCCAT CTCCAGGGCGTCTTGAGCA 0.5 pmol/µl 0.5 pmol/µl GCH1/2 TGGACATGTTACTAAAGCAAGCC CTGGGAAACAACAAAGAGAACC 0.5 pmol/µl GCHI/3 TTTCACTCAGCTAATGATTTCCG GGTAAAGAGAGAAAGCCTGATGAG 0.5 pmol/µl GCH1/4 GTCCTTTTTGTTTTATGAGGAAGGC GGTGTGCACTCTTATAATCTCAGC 1.0 pmol/µl GCH1/5 GTGTCAGACTCTCAAACTGAGCTC TCACTTCTAGTGCACCATTATGACG 1.0 pmol/µl GCH1/6 ACCAAACCAGCAGCTGTCTACTCC AATGCTACTGGCAGTACGATCGG 0.5 pmol/µl Sonden-Sequenzen Gen/Exon Fluoreszein-markierte Sonde Beta- glob. CAAACAGACACCATGGTGCACCTGACTCCTGAGGA-F L705-AAGTCTGCCGTTACTGCCCTGTGGGGCAA LightCycler Farbstoff-markierte Sonde GCH1/1 ACCTCCCTAACCTGGCAGCCGCCT-F L640-CTCGTCCATCCTGAGCTCGCTGGG GCH1/2 TGATTGTGAAGGACATAGACATGTTTTCCAT-F L640-TGTGAGCATCACTTGGTTCCATTTG GCHI/3 CTCGCAAGTTTGCTGAGGCCAA-F L640-CTTGCTTGTTAGGAAGATAACCAATATGGAC GCH1/4 TCTTGCTCTGTCACCCAGGCTGGA-F L640-GCAGTGGTGCAATCTCGGCTCACT GCH1/5 ACTACCCCGACTCCAGCAGGCC-F L640-CAAGGCTTCCGTGATTGCTACAGC GCH1/6 GAGTCTTTGGATCCTCCCGGAACAC-F L640-CCCAACATTGTGCTGGTCACAGTTT Genehmigung der Ethikkommission Die Studie wurde unter dem Titel: „Einfluß genetischer Faktoren auf den Erkrankungsverlauf bei Patienten mit primärem Dystonie-Sndrom“ von der Ethikkommission der medizinischen Fakultät der Universität zu Lübeck genehmigt (Aktenzeichen: 04-180, Datum des Genehmigungsschreibens: 01.07.2005) Anhang 68 7.4 Lebenslauf mit Publikationsliste Persönliche Daten: Name Vorname Geburtsdatum / -ort Anschrift Familienstand Staatsangehörigkeit Kabakci Kemal 15.02.1972 in Uzunköprü, Türkei Großer Eschenhorst 4a, 23879 Mölln Ledig Türkisch Schulausbildung: 1979 – 1983 1983 – 1989 1989 – 1992 1992 Grundschule in Büchen Realschule in Büchen Fachgymnasium in Mölln Abitur Berufsausbildung: 08/1992 – 07/1994 Hochschulausbildung: 10/1994 – 05/2003 03/1998 08/1999 03/2002 05/2003 Famulaturen: 03/1999 – 04/1999 07/2000 – 09/2000 Berufsfachschule für Medizinisch-Technische Assistenz MU Lübeck Studium der Humanmedizin an der Medizinischen Universität zu Lübeck (MUL) Physikum 1. Staatsexamen 2. Staatsexamen 3. Staatsexamen 09/2000 – 10/2000 10/2000 Allgemeinarztpraxis, Ahrensburg Interdisziplinäre Aufnahme Kreiskrankenhaus Sarköy, Türkei Chirurgische Intensivstation, MUL Klinik für Dermatologie, MUL Praktisches Jahr: 04/2002 – 08/2002 08/2002 – 12/2002 12/2002 – 01/2003 02/2003 – 03/2003 Klinik für Neurologie, MUL Medizinische Klinik I, Abt. Hämato-Onkologie, MUL Klinik für Chirurgie, Abt. Traumatologie, MUL Klinik für Chirurgie, Abt. Visceralchirurgie, MUL Weiterbildung: 06/2003 – 10/2004 10/2004 – 12/2004 07/2005 – 06/2007 seit 07/2007 Arzt im Praktikum, Klinik für Neurologie, MUL Assistenzarzt, Klinik für Neurologie, MUL Weiterbildungsassistent für Innere Medizin Praxis Dr. Bahte, Büchen Assistenzarzt Innere Medizin, Johanniter Krankenhaus Geesthacht Anhang 69 Publikationen: 1. Klein C, Hedrich K, Kabakci K, Mohrmann K, Wiegers K, Landt O, Hagenah J, Schwinger E, Pramstaller PP, Ozelius LJ, Gucuyener K, Aysun S, Demir E. Exon deletions in the GCHI gene in two of four Turkish families with dopa-responsive dystonia. Neurology 2002;59:1783-1786. 2. Kabakci K, Hedrich K, Leung JC, Mitterer M, Vieregge P, Lencer R, Hagenah J, Garrels J, Witt K, Klostermann F, Svetel M, Friedman J, Kostic V, Bressman SB, Breakefield XO, Ozelius LJ, Pramstaller PP, Klein C. Mutations in DYT1: extension of the phenotypic and mutational spectrum. Neurology 2004;62:395-400. 3. Kock N, Kasten M, Schule B, Hedrich K, Wiegers K, Kabakci K, Hagenah J, Pramstaller PP, Nitschke MF, Munchau A, Sperner J, Klein C. Clinical and genetic features of myoclonusdystonia in 3 cases: a video presentation. Mov Disord 2004;19:231-234. 4. Schüle B, Kock N, Svetel M, Dragasevic N, Hedrich K, De Carvalho Aguiar P, Liu L, Kabakci K, Garrels J, Meyer EM, Berisavac I, Schwinger E, Kramer PL, Ozelius LJ, Klein C, Kostic V. Genetic heterogeneity in ten families with myoclonus-dystonia. J Neurol Neurosurg Psychiatry 2004;75:1181-1185. 5. Lencer R, Eismann G, Kasten M, Kabakci K, Geithe V, Grimm J, Klein C. Family history of primary movement disorders as a predictor for neuroleptic-induced extrapyramidal symptoms. Br J Psychiatry 2004;185:465-471. 6. Hagenah J, Saunders-Pullman R, Hedrich K, Kabakci K, Habermann K, Wiegers K, Mohrmann K, Lohnau T, Raymond D, Vieregge P, Nygaard T, Ozelius LJ, Bressman SB, Klein C. High mutation rate in dopa-responsive dystonia: detection with comprehensive GCHI screening. Neurology 2005;64:908-911. 7. Kabakci K, Isbruch K, Schilling K, Hedrich K, de Crvalho Aguiar P, Ozelius LJ, Kramer PL, Schwarz MHRM, Klein C. Genetic heterogeneity in rapid-onset dystonia-parkinsonism: Description of a new family. J Neurol Neurosurg Psychiatry 2005;76:860-862. 8. Hedrich K, Pramstaller PP, Stübke K, Hiller A, Kabakci K, Purmann S, Kasten M, Scaglione C, Schwinger E, Volkmann J, Kostic V, Vieregge P, Martinelli P, Abbruzzese G, Klein C, Zühlke C. Premutations in the FMR1 gene as a modifying factor in Parkin-associated Parkinson´s disease? Mov Disord 2005; 20: 1060-1062. 9. Adel S, Djarmati A, Kabakci K, Pichler I, Eskelson C, Lohnau T, Kock N, Hagenah J, Hedrich K, Schwinger E, Kramer PL, Pramstaller PP, Klein C. Co-occurrence of restless legs syndrome and Parkin mutations in two families. Mov Disord. 2006;21:258-263. 10. Hedrich K, Winkler S, Hagenah J, Kabakci K, Kasten M, Schwinger E, Volkmann J, Pramstaller PP, Kostic V, Vieregge P, Klein C.Recurrent LRRK2 (Park8) mutations in early-onset Parkinson's disease. Mov Disord. 2006; 21:1506-1510. 11. Kostic VS, Svetel M, Kabakci K, Ristic A, Petrovic I, Schule B, Kock N, Djarmati A, Romac S, Klein C. Intrafamilial phenotypic and genetic heterogeneity of dystonia. J Neurol Sci. 2006; 250:92-96. 12. Orth M, Djarmati A, Bäumer T, Winkler S, Grünewald A, Lohmann-Hedrich K, Kabakci K, Hagenah J, Klein C, Münchau A. Autosomal dominant myoclonus-dystonia and Tourette syndrome in a family without linkage to the SGCE gene. Mov Disord. 2007; 22: 2090-6 Mölln, den 22.02.2008 Anhang 70 7.5 Danksagung An dieser Stelle bedanke ich mich bei all denen, welche zum Gelingen dieser Arbeit beigetragen haben. Priv.-Doz. Dr. med. Peter P. Pramstaller und Prof. Dr. med. Christine Klein ermöglichten es mir, ein interessantes Thema zu bearbeiten und Untersuchungen an großen Patientenkollektiven mit verschiedenen erblichen Dystonieformen durchzuführen. Sie waren immer diskussionsbereit und die Zusammenarbeit war stets fruchtbar. Frau Dr. rer. nat. Katja Hedrich war in allen experimentellen Angelegenheiten eine kompetente und geduldige Ansprechpartnerin. Auch all den anderen Mitgliedern der AG Molekulare Neurogenetik danke ich für die hervorragende und immer konstruktive Zusammenarbeit. Priv.-Doz. Dr. med. Peter P. Pramstaller, Prof. Dr. med. Christine Klein, Prof. Dr. Susan Bressman, Dr. Rachel Saunders-Pullman, Prof. Dr. Peter Vieregge, Prof. Dr. Michael Schwarz und Dr. Ercan Demir haben die Patienten untersucht und die Blutproben sowie die klinischen Daten weitergeleitet. Ganz besonders herzlich bedanke ich mich bei den Patienten und Familienangehörigen für die Teilnahme an der Studie. Ganz herzlich bedanke ich mich bei meinen Eltern, meiner Schwester, meiner Freundin Barbara und unserer Tochter Sabiha Julia für ihren Rückhalt und ihre Unterstützung. Anhang 71 7.6 Eidesstattliche Erklärung Hiermit erkläre ich, dass ich die vorliegende Arbeit ohne fremde Hilfe und nur unter Verwendung der angegebenen Hilfsmittel angefertig habe. Ich versichere, dass ich keinen anderen Zulassungsantrag gestellt habe, und dass ich die Dissertation nicht andererortsvorgelegt habe. Ich habe mich bisher keinem anderen Promotionsverfahren unterzogen. Lübeck, den 22.02.2008