momentum2011:gleichheit Track 7: Gleichheit im Recht Ein Beitrag zum Thema Sprache & Recht Sabine Gatt & Caroline Voithofer Der Gleichheitsgedanke kam mit der bürgerlichen Aufklärung in das kodifizierte Recht Österreichs. Damals wurde Gleichheit überwiegend noch mit formeller Gleichheit, die ungleiche Ausgangslagen unberücksichtigt ließ, gleichgesetzt. Erst später versuchte der Gesetzgeber durch Spezialgesetze – wie etwa das Konsumentenschutz- oder das Mietrechtsgesetz – durch Recht auch materielle Gleichheit herzustellen. Ebenso mit dem Gleichheitsgedanken der Aufklärung ging die Territorialisierung kollektiver Repräsentationen einher. Während frühere Gesellschaften durch horizontale Grenzziehungen geprägt waren und eine Hierarchisierung nach Ständen aufweisten, verhalf der Nationsgedanke der Aufklärung der Etablierung und Verfestigung der vertikalen Grenzziehung. Die vertikale Grenzziehung prägt die territorial nationalstaatlich organisierte Moderne. Sie brachte neue rechtliche und politische soziale Schließungen hervor, die sich dem nationalen Organisationsprinzip bedienen. Während vormoderne Reiche auf dem Prinzip der Ungleichheit ruhten, institutionalisierten Nationalstaaten die Gleichheit ihrer zunächst nur männlichen Bürger und sicherten rechtlich die Diskriminierung zwischen diesen und Fremden durch den Partikularismus national definierter Staatsbürgerschaft ab.1 Aber auch innerhalb der gleichen Bürger ist offen, ob der Zugang zum Recht für alle, die der staatlichen Rechtssprechung unterworfen sind, gleich ist. Eine zentrale Schranke zum Zugang zum Recht und Rechtsstaat oder der Rechtsdurchsetzung, die mit der sozialen und/oder ethnischen Herkunft einhergeht, stellt die Sprache dar. In unserem Beitrag widmen wir uns von diesen Überlegungen ausgehend einem Thema, dass die Meta-Frage nach dem gleichen Zugang zum Rechtsstaat und zum Recht behandelt. Dabei konzentrieren wir uns auf einen Aspekt der im Zusammenhang mit Rechtsdurchsetzung und Rechtskenntnis wesentlich ist: nämlich auf die Sprache. Im ersten Teil des Beitrags geben wir einen Überblick über die in der Rechtswissenschaft antreffbaren Ideen über das Verhältnis von Recht und Sprache. Um den Trackleiter zu zitieren: „Der Zusammenhang von Recht – Sprache – Herrschaft ist ein unauflösbarer.“2 Im zweiten Teil beschäftigen wir uns mit der Frage, inwieweit Sprachkompetenzen wesentlich sind für die Durchsetzung der eigenen Rechtsansprüche innerhalb des Rechtssystems. Sprachkompetenz steht im Zusammenhang mit sozialen Ausschlussmechanismen. Sprache ist Teil unseres kulturellen Kapitals. (Pierre Bourdieu) Der Elaborationsgrad der Sprache ist unmittelbar 1 vgl. Wimmer Andreas, Kultur als Prozess. Zur Dynamik des Aushandelns von Bedeutungen, Wiesbaden 2005, S. 117 ff. 2 Funk, Recht – Sprache – Herrschaft. Wege und Irrwege der Rechtswissenschaft, in: Nicolini (Hg.), Wissenschaft helldunkler Ort. Sprache im Dienst des Verstehens (Wien, 2008), 49. 1 momentum2011:gleichheit Track 7: Gleichheit im Recht Ein Beitrag zum Thema Sprache & Recht Sabine Gatt & Caroline Voithofer mit dem individuellen Bildungshintergrund verknüpft. Ein elaborierter Code ist aus soziolinguistischer Perspektive Kennzeichen der Zugehörigkeit zu einer gebildeten Schicht. Mit Bourdieu kann dieser Code als „feiner Unterschied“ bezeichnet werden, der mitunter unsere Stellung in der Gesellschaft markiert. Im Gegensatz dazu positioniert ein restringierter Code die eigene Person in niedereren Schichten. Diese Fremdzuschreibungen wirken allgemein im gerichtlichen oder behördlichen Rechtsdurchsetzungsverfahren und besonders bei Personen, deren Muttersprache von der Nationalsprache des Territoriums abweicht. Niedere Sprachkompetenzen in der Fremdsprache wird häufig mit geringen Bildungsgraden gleichgesetzt. Besonders in monolingualen Nationalstaaten wie Österreich wird deutlich, dass Plurilingualität selten als Kompetenz erkannt wird, sondern aus der Perspektive der Defizitorientierung betrachtet wird. Sprachkompetenzen sind somit aufs engste mit Fremdzuschreibungen verbunden, dienen als Platzanweiserinnen in der Gesellschaft und stützen Hierarchisierungstendenzen und Exklusionsmechanismen, die Ungleichheiten verstärken. Diese soziolinguistische Perspektive untermauern wir mit uns zugänglichen empirischen rechtssoziologischen Untersuchungsergebnissen, die untersuchen wie sich Sprachkompetenz auf die Durchsetzung von Ansprüchen im behördlichen und gerichtlichen Verfahren auswirkt. Im dritten Teil behandeln wir ein konkretes Beispiel, das mit dem Zugang zum Rechtsstaat zu tun hat. Die Sprachkompetenz ist in Österreich seit 1998 mit dem Zugang zu staatsbürgerlichen Rechten verbunden. Sprachkompetenz wird neben anderen Faktoren als Inklusionfaktor herangezogen, um in die Gemeinschaft der StaatsbürgerInnen aufgenommen zu werden. Seit der ÖVP-FPÖ-Koalition wird Sprachenpolitik im Rahmen der Integrationsvereinbarung eingesetzt, um den Aufenthaltstitel von Drittstaatsangehörigen zu verfestigen. Mit der Novelle des Fremdenrechts 2011 und der Einführung der Maßnahme „Deutsch vor Zuzug“ werden Sprachstandserhebungen dazu genutzt, um die Migration durch Drittsaatsangehörige mit niederen Qualifikationen nach Österreich zu erschweren. Besonders die Einführung der Sprachstandserhebung vor Zuzug macht deutlich, dass etwaige zukünftige StaatsbürgerInnen durch das Recht ungleich behandelt werden. Die zeitgleiche Einführung des Aufenthaltstitels „Rot Weiß Rot - Karte“ zeigt die Kluft zwischen gewünschter Zuwanderung durch „qualifizierte“ Drittstaatsangehörige und der Etablierung einer Zuzugshürde mittels Sprachenpolitik gegenüber „weniger qualifizierten“ bzw. „weniger erwünschten“ Drittstaatsangehörigen. Die Regelung „Deutsch vor Zuzug“ wird besonders stark im Bereich der Familienzusammenführung greifen. Es stellen sich somit aus politologischer Perspektive Fragen danach, inwiefern im Rahmen der Sprachenpolitik Heteronormativismen, Ethnozentrismen und Klassismen wirken. 2 momentum2011:gleichheit Track 7: Gleichheit im Recht Ein Beitrag zum Thema Sprache & Recht Sabine Gatt & Caroline Voithofer Zu den Einreicherinnen: Sabine Gatt studierte Politikwissenschaft und Germanistik an der Universität Innsbruck und verfasst derzeit ihre Dissertation in Politikwissenschaft zum Thema: „Symbolic Politics Matter. Sprachenpolitik als Instrument der intersektionalen Feinbildkonstruktion“. Zudem arbeitet sie als Sprachtrainerin für Deutsch als Fremdsprache und ist immer wieder in Kunstprojekte involviert. Caroline Voithofer studierte Rechtswissenschaft und Betriebswirtschaft, letzteres mit dem Schwerpunkt auf der Organisationsforschung, an der Universität Innsbruck. Sie arbeitet derzeit als Universitätsasstistentin (Post-Doc) am Institut für Zivilrecht (noch) bei Prof. Heinz Barta und ist neuerdings Redaktionsmitglied des juridikum. Bibliographie: Bourdieu Pierre (1983), Ökonomisches Kapital, kulturelles Kapital, soziales Kapital, in: Soziale Ungleichheiten, Kreckel Reinhard (Hg.), Göttingen, S. 183-198 Degele Nina / Winker Gabriele (2009), Intersektionalität. Zur Analyse sozialer Ungleichheiten, Bielefeld Funk Bernd-Christian (2008), Recht – Sprache – Herrschaft. Wege und Irrwege der Rechtswissenschaft, in: Wissenschaft helldunkler Ort. Sprache im Dienst des Verstehens, Nicolini Maria (Hg.), Wien, S. 45-53. Kreckel Reinhard (2004), Politische Soziologie der sozialen Ungleichheit, Frankfurt am Main / New York Die Macht der Sprache, Limbach Jutta / Katharina von Ruckteschell (Hg.), München Plutzar Verena (2010), Sprache als „Schlüssel“ zur Integration? Eine kritische Annäherung an die österreichische Sprachenpolitik im Kontext von Migration, in: Integration in Österreich. Sozialwissenschaftliche Befunde, Bozen / Innsbruck / Wien, S. 123-142 Van Avermaert Piet (2009), Fortress Europe? Language policy regimes for immigration and citizenship, in: Discourses on Language and Integration, Gabrielle Hogan-Brun, MarMolinero Clare / Stevenson Patrick (Hg.), Amsterdam, S. 15-44 Wimmer Andreas (2005), Kultur als Prozess. Zur Dynamik des Aushandelns von Bedeutungen, Wiesbaden 3