„Was ist nur mit mir los?“ Depressive Erkrankungen, Symptome

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„Was ist nur mit mir los?“
Depressive Erkrankungen, Symptome, Ursachen, Therapie.
Etwa vier Millionen Menschen in Deutschland leiden an einer
behandlungsbedürftigen Depression. In den Industriestaaten nimmt die Erkrankung
seit Jahren zu, und sie trifft immer mehr jüngere Menschen. Dennoch wird die
seelische Krankheit häufig unterschätzt und irgendwo zwischen Schnupfen und
Einbildung eingeordnet. In Wirklichkeit handelt es sich um eine ernsthafte
Erkrankung. – Den meisten depressiven Menschen könnte geholfen werden – es gibt
wirksame Behandlungsmethoden. Aber häufig wird die Krankheit nicht erkannt.
„Was ist nur mit mir los?“, berichtete einer meiner Patientinnen, „ich konnte nicht
mehr einkaufen, war einfach nicht mehr in der Lage, irgendetwas zu tun. Ich habe
Angst, Angst vor allem und jedem, Angst, schon das Bett zu verlassen. Du musst
aber aufstehen, sage ich mir, die Angst, das versuche ich mir zu sagen, die Angst
wird schon nicht so schlimm werden, wie du dir das jetzt ausmalst. Ich gehe in den
Tag und denke, das wird heute eine Katastrophe“.
Der Depressive empfindet keine Todes-, sondern viel mehr Lebensangst. Und erst
diese paradox erscheinende Variante der Angst, dieser als geradezu absurd
empfundene Gegensatz lässt endlich auch den aufwachen, der nie vom Hauch einer
Depression erfasst wurde. Ist Lebensangst überhaupt vorstellbar? Nein.
Normalerweise kann man sich einer konkreten Angst entziehen, während der
Depressive sich selber nicht mehr aushält und vor diesem „Sich-selbst-nichtaushalten-können“ große Angst hat. Konkret heißt das: Was mach ich, wenn ich
mich selbst nicht mehr aushalte? Da bleibt schlussendlich nur noch der Suizid.
Lebenszerstörende Wunschlosigkeit und zermürbende Angst sind Synonyme der
Depression. Aber nicht die einzigen. Wer aufgrund seiner Erkrankung in seinem
Leben wunschlos geworden ist, dessen Seelenzustand gleicht den monochromen
(einfarbigen) Schattierungen einer Röntgenaufnahme. Bedrohlich grau markiert sich
die Freudlosigkeit, noch dunkler zeichnen sich abgestorbene Lust und Erotik ab. Wo
einst pulsierender Lebensstrom ablesbar war, ist alles zum Erliegen gekommen. Es
gibt keine Zukunft mehr. Es gibt keine Lebensplanung mehr. Das Gedächtnis versagt
seinen ursprünglich verlässlichen Dienst. Der Mund brennt. Depression hat den
ganzen Körper erfasst. Seele, was ist das? Wo ist unser Ich?
Bei diesem Befund, diesem schwarzen Zerrbild unseres Selbst kann es nur einen
Ausweg aus der Unerträglichkeit des Daseins geben: den Tod. Den Tod durch
eigene Hand. Er hat sich aufgehängt, der immer gut gelaunte agile Freund und
Kollege ist tot.
Generell kann man sagen, dass Depression ein Zusammenspiel ist zwischen
vererbten Faktoren und Umwelteinflüssen. Das heißt, dass manche Menschen eine
Veranlagung zu Depressionen mitbringen, die aber durch äußere Einflüsse
verschlimmert oder erstmals ausgelöst werden kann.
Depressionen können ihre Wurzeln in der frühen Kindheit haben. Diese Phase
entscheidet ganz wesentlich mit, ob ein Mensch später anfällig für psychische
Störungen ist oder nicht. Wenn beide Eltern in der Lage sind, eine einfühlsame,
feinfühlige Beziehung zu den Kindern herzustellen, entwickeln sich bei diesen
Kindern weniger häufig Depressionen.
Grundsätzlich können Menschen in jedem Lebensalter an einer Depression
erkranken. Das gilt auch für Kinder.
Es gibt bahnbrechende Untersuchungen, die gezeigt haben, dass Verluste und
Trennungen von den Eltern für Kinder sehr belastend sein können und u.U. zu
depressiven Symptomen führen, die Kinder schwerst beeinträchtigen.
Großfamilien mit vielen Bezugspersonen bieten für Kinder ein stabileres psychisches
Umfeld als Kleinfamilien (Beispiel Taufe von Luisa). Das gilt auch für alte Menschen.
Die Vereinsamung führt immer häufiger zu sog. Altersdepressionen. Auslöser sind
auch hier oft Verlusterlebnisse. Häufig geht es um Abschiede, um den Tod von
Angehörigen und Freunden, der dann zum Verlust der Vitalität, der Lebensfreude,
des Lebenswillens führt.
Die Behandlungsmethoden von Depressionen unterscheiden sich je nach Schwere
der Erkrankung. Sehr schwere Fälle oder akut selbstmordgefährdete Menschen
müssen, das steht außer Frage, in der Klinik behandelt werden.
Sehr viele depressive Erkrankungen können aber auch ambulant behandelt werden.
Je nach der Schwere der Erkrankung kann die psychotherapeutische Behandlung
mit der Medikamentenbehandlung kombiniert werden.
Neuere Antidepressiva haben nicht mehr die Nebenwirkungen der älteren Präparate.
Im Gegensatz zu manchen Schlaf- und Beruhigungsmitteln machen sie nicht süchtig
– und, um auf ein verbreitetes Vorurteil einzugehen, sie verändern nicht die
Persönlichkeit. Am besten ist es in der Regel, Antidepressiva immer mit einer
Psychotherapie zu kombinieren.
Eine ausschließlich medikamentöse Behandlung halte ich bei depressiven
Erkrankungen nicht für sinnvoll, weil die individuelle Lebenssituation zu wenig
Berücksichtigung findet.
Entscheidend für den Erfolg einer Therapie ist das Vertrauensverhältnis zu dem
behandelnden Arzt oder Psychotherapeuten. Ihre Wirkung beruht darauf, dass
Wunden, die in frühen Entwicklungsphasen geschlagen wurden, in einer Neuauflage
durchgearbeitet und geheilt werden können.
Die Dauer einer Therapie hängt sehr von der Persönlichkeitsstruktur des Patienten
ab. Generell gilt: je schwerer und früher die Traumatisierung, etwa durch sexuellen
Missbrauch oder Misshandlungen in der Kindheit, umso länger braucht es, um die
Ursachen der Depression zu behandeln.
Die Einsicht, an einer seelischen Störung zu leiden, ängstigt. Sie widerspricht
unseren Vorstellungen eines freien Willens, den wir für uns in Anspruch nehmen
wollen. Keiner möchte als „verrückt“ gelten.
Dies hindert viele Menschen, sich bei einer psychischen Störung so zu verhalten, wie
beispielsweise bei starken Bauchschmerzen oder hohem Fieber: sie scheuen oder
schämen sich, fachgerechte Hilfe in Anspruch zu nehmen. Viele Menschen können
ihre Depression als auch Unkenntnis nicht als Krankheit erkenne. Dazu kommt: Es ist
nicht zu letzt die Depression selbst, die Betroffene hindert, Hilfe in Anspruch zu
nehmen.
Auch die Haltung vieler Angehöriger, Freunde, Kollegen und Nachbarn ist immer
noch von massiven Vorurteilen geprägt. „Häng nicht herum“ oder „reiß dich
zusammen“, aber auch „mach einfach Urlaub“ oder „morgen sieht alles schon wieder
ganz anders aus“ und die Aufforderung, einfach „positiv zu denken“ sind immer noch
häufige Reaktionen.
Aber: Eine Depression ist kein momentaner „Durchhänger“, keine Willensschwäche,
keine „schlechte Laune“.
Ein Teufelskreis beginnt: Denn die Symptome werden immer stärker, auch jene, die
den Kranken hindern, Hilfe in Anspruch zu nehmen. Eine Behandlung kann jedoch
oft erst dann beginnen, wenn die Symptome vor der Umwelt sich nicht mehr
verbergen lassen, also die Organisation des privaten und beruflichen Lebens nicht
mehr möglich ist.
Ein Teufelskreis ...
... man muss Ihn beenden – mit dem ersten Schritt zu einem Therapeuten.
Dr. med. Johannes Priller
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