-1Medizinisch-psychiatrische Erklärungsmodelle der Suizidalität Thesenblatt von Angela Bast Laut Wolfersdorf ist nach psychiatrischen Alltagserfahrungen nahezu bei allen psychiatrischen Erkrankungen das Suizidrisiko erhöht. Laut WHO steht der Suizid bei Depression an erster Stelle und beträgt 40 % von den Suiziden der Allgemeinbevölkerung, Suchterkrankungen, insbesondere Alkoholabhängigkeit an zweiter Stelle und schizophrene Erkrankungen mit 5-10 % an dritter Stelle. In den letzten 3- 4 Jahrzehnten ist eine Zunahme der Patientensuiziden während der stationären psychiatrischen Behandlung festzustellen. Psychose und Suizid nach Holderegger Ein Drittel der Suizidanten hätten an einer Psychose gelitten. Somit scheint sich die These zu bestätigen, der Suizid sei im Allgemeinen der Abschluß einer krankhaften psychiatrischen Entwicklung. Suizidalität bei Schizophrenie Suizidalter: Die meisten Schizophrenien werden zwischen der Pubertät und dem Beginn des vierten Lebensjahrzehnts manifest, deshalb ereignet sich auch in diesem Lebensabschnitt der Suizid. Das Klimakterium ist eine andere biologische Krisenzeit und somit kommt es hier ebenfalls zu Schizophrenieausbrüchen und Suiziden. Klinische Risikogruppen: Laut Wolfersdorf sind schizophrene Patienten ein "Hochrisikoklientel". Die Kliniksuizid- Verbundstudie von 1990- 92 zeigt, daß schizophrene Psychosen mit 57 % dominieren, davon sind die beiden größten Gruppen die paranoide Form mit 31 % und die schizoaffektive Form mit 17 %. Typische Merkmale eines schizophrenen Suizidanten sind: männlich, jünger als 30 Jahre, besonders gutes Ausbildungsniveau, nicht erwerbstätig, lebt bei den Eltern, leidet an einer paranoidhalluzinatorischen Schizophrenie, hat keine Zweitdiagnose, ist 2-5x stationär aufgenommen worden, die Krankheitsdauer beträgt mehr als 5 Jahre. Es sind Patienten, die sich ihrer Symptomatik, ihres Krankheitsverlaufs und der zu erwartenden Beeinträchtigung besonders bewußt sind. Der Suizidtag liegt meist im ersten Halbjahr nach der Indexaufnahme, besonders in den ersten drei Monaten. Symptome der Schizophrenie: > Plus-Symptome: Denkstörungen, innere Erregung und Anspannung, Wahnstimmung und -erlebnisse,, Halluzinationen, Ich-Störungen und Fremdbeeinflussung > Minus-Symptome: Verarmung des Gefühllebens, innere Leere, Niedergeschlagenheit und Depression, Mut- und Hoffnungslosigkeit, Minderwertigkeitsgefühle, Antriebslosigkeit, fehlende Spontaneität, Rückzugsverhalten Es müssen nicht alle Symptome gleichzeitig auftreten, oft liegen nur ein oder zwei Beschwerdegruppen vor. Minus und Plus-Symptome treten oft gleichzeitig auf. Symptome vor dem Suizid:Die häufigsten Symptome, die in den letzten 7 Tagen vor dem Suizid beobachtet wurden, waren laut der Kliniksuizid-Studie: Depressive Herabgestimmtheit/ Freudlosigkeit, Krankheitseinsicht, Leidensgefühl in Bezug auf die Erkrankung, begründete Sorge um Gesundheit und soziale Situation, Ambivalenz. Suizid bei inzipienter (beginnender) Schizophrenie Die Suizidimpulse sind sehr heftig, der Patient kann ihnen kaum entfliehen. Der Patient bemerkt selbst die psychopathologischen Veränderungen. Je stärker die Wahnideen, desto geringer erscheint die Suizidgefahr. Das Benehmen der Patienten kann vor dem Suizid ganz normal sein. Zum größten Teil sin psychopathologische Vorgänge für den Suizid verantwortlich, jedoch können auch exogene Faktoren mitwirken. Dies ist besonders der Fall, wenn der Beginn der Psychose mit einem lebensgeschichtlichen Trauma zusammenfällt. -2Suizid während des weiteren Verlaufs bei paranoider Schizophrenie: Die Suizidgefahr besteht permanent wegen dem Wahnsystem mit Verfolgungsgefühlen und Halluzinationen. Bei wellenförmig auftretenden Schüben intensiviert sich das Wahnsystem und die Suizidtendenz. Bei Remission klingt sie wieder ab. bei schizoaffektiver Psychose: Diese Patienten sin suizidgefährdet. bei hebephrener Schizophrenie: Die Patienten sind im weiteren Verlauf kaum noch suizidgefährdet. bei katatoner Schizophrenie: Sie sind im weiteren Verlauf ebenfalls kaum mehr suizidgefährdet. Bei kurz aufschießenden Wahnvorstellungen kann es jedoch zu unberechenbaren plötzlichen Fremdund Selbstaggressionen, mitunter mit tödlichem Ausgang kommen. Erklärungsmodelle für Schizophrenie 1. Das psychodynamische Modell nach Mentzos Bei der Schizophrenie handelt es sich um eine Störung auf niederem Strukturniveau: die Ich-Grenze ist mangelhaft ausgeprägt. Der Grundkonflikt betrifft die Subjekt-Objekt-Trennung. Der Modus der Verarbeitung des Konflikts wird durch primitive,grobe Abwehr- und Kompensationsmechanismen (wie Wahnideen und Halluzinationen) geleistet. Die Psychose auslösenden Situationen sind Objektverluste oder umgekehrt sich anbahnende intime Beziehungen. 2. Das multifaktorielle Erklärungsmodell: Die Interaktion zwischen biologischen, familiären und sozialen Belastungsfaktoren führen zum Ausbriuch der Schizophrenie. biologische Faktoren: Hirnorganische Defekte und Neurotransmitterstörung familiäre Belastungsfaktoren: Frühkindliche double bind-Kommunikationsstruktur soziale Faktoren: impulsives Verhalten im direkten Umfeld, z.B. Kritikfreudigkeit, feindselige Ablehnung, Bevormundung und Überbehütung. Behandlung: Die Behandlung mit Neuroleptikern ist allen anderen Therapieformen überlegen. Ergänzende Therapieformen sind Psychotherapie und Soziotherapie. Faktoren, die bei Schizophrenie zum Suizid führen: Die Symptomatik der Erkrankung, die sozialen Folgen der Erkrankung, Hoffnungslosigkeit und erhöhte Impulsivität. Einschätzung der Suizidalität: Es besteht ein hoher Anteil an Fehleinschätzungen! Persönlichkeitsstörungen und Suizid nach Holderegger Abnorme Persönlichkeiten sind besonders suizidgefährdet. Die Abnormität besteht in einer prägnanten und domianten Ausprägung eines weit verbreiteten Merkmals. Diese ungünstigen Charaktereigenschaften sind schon seit der Kindheit vorhanden und nicht auf Hirnschädigung der fetalen oder frühkindlichen Zeit zurüchzuführen. Untergruppen: Die abnorm Erregbaren: Sie neigen zu Kurzschlußhandlungen und Kurzschlußsuizid. Der Suizid wird alkoholisiert begangen, der Alkohol steigert die krankhafte Erregtheit, die Tat wird erleichtert. Die besonders Empfindsamen: Sie wenden sich nach innen und intensivieren die innere Spannung u.U. so stark, daß unter dem Eindruck der subjektiv als qualvoll empfundenen Spannungen kurzschlüssig Suizid begangen wird. Die Haltlosen: Der Suizid bei diesen Menschen ist häufig, besonders bei Inhaftierung. Die Hysterischen, Geltungssüchtigen: Hier kommt es meist nur zum Suizidversuch, dessen Inszenierung etwas Theatralisches hat. Nur bei Menschen mit Konversionssymptomem (Umwandlung unbewältigter starker Erlebnisse in körperliche Symptome), wie funktionelle Gehstörungen, Sensibilitätsausfälle, psychogene Ausfälle, Erregungs- und Dämmerzustände, usw. treten hysterischsuizidale Handlungen auf. Die Suizidanfälligkeit bei hysterischen Psychopathen ist hoch.